Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Zweites Kapitel

Die nächsten Wochen verstrichen ruhig. Die Leute leisteten der Herrschaft die Robot in hergebrachter Weise; der Mandatar schien sich wenig darum zu kümmern. Er war oft tagelang in der Kreisstadt oder in den Dörfern der Umgegend, wo er mit den Offizieren zechte und spielte. Die Bauern sahen ihn selten, sprachen aber um so häufiger von ihm. Während am Tage seines Einzugs das feindselige Urteil feststand: »Der neue Büttel des Herrn ist ein Duckmäuser, aber wir lassen uns nicht täuschen!«, besserte sich nun zusehends die Stimmung. Zwar beharrten viele, der Richter an der Spitze, in trotzigem Mißtrauen, aber daneben machten sich, an Zahl und Einfluß wachsend, mildere Stimmen geltend: »Seien wir gerecht, er hat uns ja bisher nichts getan!« Wurden diese Sanftmütigen von den anderen verhöhnt, so erwiderten sie: »Taras denkt wie wir, also kann unsere Meinung weder unsinnig noch schlecht sein!« Das war in der Tat ein Grund, dem auch die Gegner wenig entgegenzusetzen wußten, nur Stefan Woronka pflegte heftig zu erwidern: »Es ist unglaublich! Wer hätte sich träumen lassen, daß dieses Lamm der Ebene jemals uns Bären der Berge beherrschen würde? Aber sehet zu, welche Freuden ihr dabei erlebet!«

Er hatte nicht Unrecht; der Einfluß, den sich der junge Fremdling im Dorfe erworben hatte, mußte jedem, der die Art dieser Männer kannte, fast unglaublich erscheinen. Aber dieses Wunder war auch nur durch den seltenen Zauber möglich geworden, den Zauber eines unendlich guten und zugleich unendlich starken Herzens, das im Kampfe mit widrigen Schicksalen, die tausend andere verderbt und verbittert hätten, nur immer edler und tapferer geworden war.

Taras Barabola war im Dorfe Ridowa bei Barnow geboren, der Sohn einer armen Magd, deren Verlobter als Rekrut fortgezogen und Soldat geblieben war, weil ihm der bunte Rock und die fröhliche Kriegszeit besser behagten als das Tagelöhnern in der Heimat. Unter Kummer und Tränen zog die Verlassene ihr Kind auf, und neben der Not stand auch die Schmach an seiner Wiege, denn der podolische Bauer denkt nicht leichtfertig über solche Verirrungen, ja oft so streng, daß sich das Gefühl der Menschlichkeit dagegen auflehnt. Die unglückliche Magd mußte lange suchen, bis sich eine barmherzige Bäuerin fand, die sie und ihr Kind aufnahm, und der kleine Taras hatte viele Püffe und Scheltworte zu ertragen, weil sein Vater ein leichtfertiger Bursche gewesen. Den armen, verschüchterten Knaben zu mißhandeln, erschien den Leuten von Ridowa als das passendste Mittel, die eigene Tugend zu beweisen; sie hätten sich nicht beklagen dürfen, wenn sie auf diese Weise in ihm einen Verderber und Verbrecher großgezogen hätten, die Schmach und Zuchtrute seines Dorfes. Mit Taras fügte es sich anders, weil ihm sein Geschick in aller Trübsal ein großes Glück gegönnt hatte. Im Busen der armen Magd, die ihn geboren hatte, schlug ein heldenmütiges Herz. Wenn er, ein Büblein von fünf Jahren, mit seiner Mutter zur Kirche kam und, während sie demütig an der Tür stehen blieb, nach Kinderart neugierig vorwärts, dem Altar zu, drängte und darauf vom Küster zurückgeschleudert wurde, als beflecke sein Hauch den heiligen Raum; wenn er sich zu den spielenden Kindern auf der Straße gesellen wollte und von ihnen mit Fäusten oder Steinwürfen abgewehrt wurde und wenn darauf dieses arme, gehetzte Kind weinend an das einzige Herz flüchtete, das ihm eine Zufluchtsstätte war, da gab dieses Herz der Dulderin Worte ein, so edel und klug zugleich, daß man an göttliche Eingebung hätte glauben mögen, wenn nicht die Mutterliebe an sich herrlich genug wäre, um auch dies zu erklären. Wohl weinte sie bitter, und selten mag eines Kindes Haupt so von Muttertränen betaut worden sein wie das seine, aber dazwischen mahnte sie feierlich: »Taras! Werde nicht schlecht! Hasse die Menschen nicht, obwohl sie ungütig gegen dich sind, denn sie tun dir kein Unrecht! Nein, mein Kind, du büßest nur dafür, weil dein Vater und ich, weil deine Eltern sich an ihnen versündigt haben; sie hassen dich, weil sie glauben, daß du so werden wirst, wie einst wir waren! Sieh, noch bist du ein Kind, hast weder Gutes noch Schlimmes getan, die Leute wissen von dir nichts, als daß du deiner Eltern Sohn bist, und darum mißhandeln sie dich! Aber später, wenn du zeigen wirst, wie du selbst bist, dann werden sie dich darnach behandeln: gut oder schlecht, wie du selbst es verdienst! Und darum beschwöre ich dich: tue keinem Böses, sei gut und gerecht, und alle werden gut zu dir sein und dich lieben!«

So schluchzte, so mahnte seine Mutter, und wie jung er auch war, die Worte gruben sich ihm tief in Hirn und Herz. Nicht vergeblich hatte sie, ihr Kind zu retten, das einzige Gut und Glück ihres Lebens aufs Spiel gesetzt: die Liebe dieses Kindes. Die grenzenlose Hingebung, die sie ihm erwies, schützte sie vor der Gefahr, daß sich sein Haß, von den anderen abgelenkt, auf sie, die Schuldige, für die er büßte, entlade; Taras fuhr fort, seine Mutter zu lieben, und als sie auf seine Frage, wodurch sie sich denn an der ganzen Gemeinde versündigt, erwiderte, er könne dies erst weit später erfahren, da grübelte er darüber nicht weiter nach. Um so stärker aber klang jene Mahnung in ihm fort, und der Keim zu der Entwicklung seines Wesens ward dadurch gelegt, daß er in einem Alter, wo andere Kinder nur an Spiel und Essen denken, angeleitet wurde, die Welt für gerecht zu halten und stets nur von der eigenen Tat Lohn oder Strafe zu erwarten. So ertrug er denn das Schlechte ohne Grimm, aber auch, weil er ja nicht für sich büßte, ohne Demut, und als er, zehn Jahre alt, zum Gänsehirten des Dorfes gewählt wurde, freilich gegen den Einspruch vieler und wohl nur deshalb, weil sich sonst kein tauglicher Junge dafür fand, da brannte sein Herz vor Begierde, sich die Zufriedenheit aller zu erwerben. Und weil er seine ganze Kraft daran wandte, darum erreichte er auch dieses Ziel, allerdings zum besten Teil infolge eines furchtbaren Erlebnisses, das etwa ein Jahr später über ihn kam und das junge Gemüt in seinen tiefsten Tiefen erschütterte.

An einem Herbstmorgen war's; er hatte seine Gänse schon in grauer Frühe, wie gewöhnlich, zur Weide gebracht. Es war ein einsamer Anger, in der Mitte erhob sich ein Kreuz, dicht neben einer Quelle; weit und breit war keine Hütte, und nur selten ging ein Mensch über den Feldweg, der die Wiese durchschnitt. Am Fuße des Kreuzes, auf dem Stein an der Quelle, pflegte der Knabe zu verweilen. So war es auch an jenem Tage; fröhlich aß er von dem Brote, das ihm die Mutter mitgegeben hatte, und blies zwischendurch auf seiner Rohrpfeife.

Da hörte er plötzlich schwere Schritte, und als er sich umwandte, erschrak er heftig; der da herankam, war ein boshafter Greis, Waleri Kostarenko, weitaus der Schlimmste unter seinen Quälern. »Hinweg, Hundsblut!« pflegte er dem Knaben zuzurufen, wenn dieser an seinem Hofe vorüberging; beeilte sich Taras nicht, so pfiff der Alte seinen Hunden, ihn zu hetzen, und als er ihn einst im Spiel mit seinem Enkel überraschte, da hieb er ihn so wund, daß sich der Ärmste kaum heimschleppen konnte. Nicht aus Sittlichkeit verfolgte er ihn so, sondern aus einem eklen Grunde: er hatte der Mutter des Taras, da sie noch als Magd auf seinem Hofe diente, vergeblich nachgestellt, und darum höhnte er sie aufs Blut, nachdem sie zu Falle gekommen war, und quälte ihr Kind. Taras wich ihm aus, wo er konnte, und gar an jenem Morgen begann er, kaum daß er seinen Quäler erkannt hatte, übers Feld zu laufen, als wären dessen Hunde hinter ihm her. Denn wenn er schon sonst allen Grund hatte, vor Waleri zu fliehen, um so mehr an dieser einsamen Stelle, wo ihn niemand aus seiner Hand hätte erretten können, und in seinem gegenwärtigen Zustande; denn trotz aller Angst hatte der Knabe wohl bemerkt, wie unsicher der Schritt des Alten war. Er hatte offenbar den Sonntag über bei der Kirchweih in Solince gezecht und ging nun, nachdem der erste Rausch in der Schenke ausgeschlafen war, nach Ridowa heim. »Kröte!« rief er ihm nach, »ich fange dich doch!« und versuchte es, den Knaben einzuholen. Dieser aber lief noch stärker, und da änderte er den Ton. »O weh!« schrie er plötzlich auf, »ich habe mir den Fuß verstaucht! . . . Taras, hab Erbarmen, komm her, führ mich zum Stein dort!« Der Hirte blickte um, und als er den Greis wirklich unbeweglich, mit schmerzlich verzerrtem Gesicht stehen sah, regte sich sein Mitleid, er schlich zögernd heran und endlich bis dicht zu ihm hin. »Was ist Euch?« fragte er. »Soll ich Euch stützen?« Aber da machte Waleri einen Sprung auf ihn zu und umkrallte ihn mit seinen hageren Armen. »Hab' ich dich!« jauchzte er und begann ihn an den Haaren zu zerren und auf den Kopf zu schlagen. – »Jesus!« schrie Taras auf, »habt Erbarmen!« Aber der Wütende hielt ihn mit dem einen Arm an sich gepreßt und hieb mit dem andern auf ihn los, wohin die Faust eben traf. Vergeblich wendete sich der Knabe hin und her, da, endlich, gab ihm die Verzweiflung die Stärke, sich loszureißen; er war frei. Der Alte hinter ihm her, aber nur wenige Schritte. Eine der Gänse war ihm zwischen die Beine gelaufen; er stolperte über das Tier und schlug zur Erde hin, plump und schwer, so daß sein Haupt an den Stein neben der Quelle schlug. Der Knabe hörte den dumpfen Schall des fallenden Körpers, dann einen gellenden Aufschrei, aber er hielt nicht an und rannte, so weit ihn die Füße tragen wollten. Erst am Rande des Angers stand er still und blickte zurück. Da sah er den Körper, noch immer regungslos, am Steine hingestreckt. Die Gänse drängten sich um ihn her und gackerten laut mit vorgestreckten Hälsen. Nun hatte er nichts mehr von dem Manne zu befürchten, gleichwohl überfiel den Knaben, während er so stand und schaute, wieder eine wilde Angst, und sein Herz fuhr fort zu hämmern. »Er ist tot!« fuhr es ihm wie ein Blitz durchs Hirn, und wie mit unsichtbaren Ketten zog es ihn wieder gegen das Kreuz hin; er wollte nicht, er mußte. Auf dreißig Schritte Entfernung mochte er gekommen sein, da entfuhr ihm ein Schrei; er hatte das Blut gewahrt, das dem Reglosen über die Stirne zur Erde niederfloß. Dann preßte er wieder die Lippen aufeinander und ging langsam, wie sehr ihn das Grauen schüttelte, näher und näher. Endlich stand er dicht vor dem Alten. Waleri war offenbar bewußtlos, sein Antlitz fahl und verzerrt; aus einer breiten, tiefen Stirnwunde quoll das schwärzlich-rote Blut hervor und rann über das Antlitz und zur Erde nieder. Schwer atmend, wie von einem bösen Zauber gelähmt, stand der Knabe da, und Freude und Mitleid war in ihm, Hohn und Angstgefühl, Rachedurst und Erbarmen. Aber in diesem furchtbaren Kampfe der jungen Seele siegte doch endlich das Gute. Er dachte seiner Mutter und stürzte zur Quelle und begann den Ohnmächtigen zu begießen. Aber das Blut floß noch stärker. Da riß er einen Ärmel aus seinem Hemde, legte ihn zu einer Binde zusammen und drückte sie auf die Wunde. Waleri ächzte auf, aber die Augen blieben geschlossen. »Er stirbt!« dachte Taras wieder und fuhr fort, das Blut zu stillen, so weit er's vermochte, und schrie dabei aus Leibeskraft um Hilfe. Ein junger Bauer, des Richters Schwiegersohn, der eben fernab über Feld ritt, hörte den Ruf, weil ihm der Wind den Schall zutrieb, kam eilends herangesprengt und war starr vor Staunen, als er die beiden gewahrte. »Was ist geschehen?« rief er, und als es der Hirte fliegenden Atems berichtet hatte, blickte er ihn noch immer staunend an. »Und du, Taras, du rettest ihn!« rief er. Dann erst gewann er die Fassung, sich dem Verwundeten zuzuwenden und den Knaben um Hilfe ins Dorf zu entsenden. So sprengte denn Taras zum Richter und kehrte mit diesem, dem Sohne des Waleri und einigen Knechten wieder zurück.

Als sie nun den Verwundeten ins Dorf trugen, blickte der Richter den Knaben starr an und schüttelte den Kopf. »Höre, Taras«, sagte er endlich, »wenn der Herr Christus noch lebte, der hätte an dir eine Freude, auf Ehre, eine große Freude. Das heißt, der Herr Pfarrer sagt ja, daß er noch immer lebt, dann wird er es dir sicherlich lohnen!« Der Knabe wurde rot, denn er dachte daran, wie hart er erst mit sich hatte kämpfen müssen, und auch der anderen Lob machte ihn verlegen.

Von dieser Stunde ab schlug die Stimmung gegen ihn allmählich um, jeder gab ihm gute Reden, und jene, die schon früher nicht gar zu unfreundlich gegen ihn gewesen, waren nun stolz darauf, daß sie ihn besser beurteilt hatten. Der alte Waleri genas, er war ihm nicht dankbar, und sein Haß währte fort, aber gerade dies mehrte die gute Gesinnung der anderen. Besonders freundlich nahm sich der Richter seiner an, er gab ihm die Stelle als Jungknecht in seiner eigenen Wirtschaft, und das Beispiel des ersten Mannes im Dorfe wirkte natürlich auf die übrigen. Aber noch wichtiger war der Einfluß jenes Ereignisses auf die innere Entwicklung des Knaben. Bis dahin hatte er seiner Mutter geglaubt, daß man sich Güte durch Guttat verdienen könne, nun wußte er es aus eigener Erfahrung. »Ja!« sagte er sich, »auf Gerechtigkeit ist alles gebaut!« und mühte sich noch mehr, seine Pflichten treulich zu erfüllen. So ward ihm das allgemeine Lob doppelt zum Glücke, denn es gibt ja keine größere Bestärkung im Guten, als wenn man für gut gehalten wird, und dann festigte sich in ihm immer mehr jenes schöne Bild von Welt und Menschen, das ihm die Mutter eingeprägt hatte. Was früher vielleicht nur kindischer Eigennutz gewesen, ward nun ein Grundzug seines Wesens, er konnte nicht mehr anders als gut, gerecht und hilfreich sein. Bald durften ihm die Leute mit Grund nachsagen, daß selten ein Jungknecht so brav gewesen sei wie er, und als dem Fünfzehnjährigen die Mutter starb, da blieb er nicht verlassen, er hatte so viele Tröster und Helfer, als es Menschen im Dorfe gab. Der Makel seiner Geburt wurde ihm allmählich wie ein Vorzug angerechnet. »Da seht her«, pflegte der Richter zu sagen, »dieser Bursche ist ja, mit Respekt zu sagen, von der Bank gefallen, steht allein wie ein Daumen und könnte so faul und liederlich sein, wie er wollte; es würde ihn niemand darum züchtigen. Höchstens würde ich ihn zuweilen bei den Ohren nehmen, aber das täte ihm auch nicht weh . . . Und nun ist dieser Taras der bravste Junge im Dorfe! Ja, ihr Leute, aus dem wird noch einmal etwas Großes, denkt an mich! Wenn er zum Militär genommen wird, so bringt er es zum Gefreiten, und wenn sie ihn nicht assentieren, so wird er Großknecht. Gebt acht! Ich bin ein kluger Mann und rede nie in den Wind. Was für ein Kerl dieser Taras ist, das wird sich erst zeigen.«

Diese Prophezeiung sollte sich erfüllen, wenn auch vorerst nur in einer Art, die für den stillen, wackeren Jüngling tief schmerzlich war. Er war kaum achtzehn Jahre alt und Ackerknecht beim Richter, als die kaiserlichen Polizisten einen alten Soldaten ins Dorf brachten, Hritzko Stankiewicz, einen wüsten Menschen mit vermorschtem Leib und verfaulter Seele. Bettelnd und stehlend hatte er sich aus Italien nach Galizien geschleppt und ward nun zur Versorgung an sein Heimatdorf Ridowa abgeliefert. Es war der Vater des Taras. Der Richter wollte es mitleidig dem Jüngling verhehlen, aber dieser hatte den Namen oft genug von seiner Mutter gehört und ging sogleich in den Gemeindekotter, wohin sie den Vagabunden gesperrt hatten. Der verlotterte Mensch erzitterte, als der Sohn vor ihn trat, und fürchtend, daß dieser Rache für die Mutter nehmen würde, leugnete er alles frech ab und beschimpfte noch die Unglückliche im Grabe. Totenbleich, zitternd verließ ihn Taras und ging einige Tage im Dorfe umher wie ein geistig Verwirrter.

Am nächsten Sonntag nach dem Kirchgang versammelten sich die Männer der Gemeinde, wie es der uralte Brauch gebietet, unter der Linde, auf dem Platze vor der Schenke, um die Versorgung des Vagabunden zu beraten. »Ihr Leute«, meinte der Richter, »die Sache liegt einfach. Im Dorfe können wir den alten Dieb nicht lassen. Schicken wir ihn also auf unsere Kosten ins Arbeitshaus nach Lemberg. Er wird es dort schlimm haben, aber noch weit angenehmer, als er es verdient hat. Das ist das Beste, so wahr ich ein kluger Mann bin.« Die Männer waren einverstanden. »So soll es sein!« riefen sie und erhoben die Rechte zum Zeichen der Zustimmung. Da trat Taras hervor. Der Jüngling sah übel aus, wie von schwerer Krankheit erstanden. »Ihr Männer!« rief er mit zitternder Stimme und faltete die Hände, »habt Erbarmen mit mir, hört mich!« Aber Tränen erstickten seine Stimme, und er sank in die Knie. »Laß doch!« riefen ihm die Mitleidigen zu, »es ist nicht deine Sache. Wie brav du bist, wissen wir alle!« Aber Taras schüttelte den Kopf und nahm seine Kraft zusammen und richtete sich hoch auf. »Es ist doch meine Sache!« rief er, »für meine Mutter stehe ich hier und rede, weil sie nicht mehr reden kann! Es ist mein Vater, auch wenn er es leugnet. Nur ihm hat sie vertraut, weil er ihr Verlobter war, nur ihm und keinem andern. Schwiege ich in dieser Stunde, es könnte jemand denken: Sie war doch ein schlechtes Weib, ihr Sohn weiß nicht, wer sein Vater ist. So hört denn: Ich weiß es! Und als Sohnespflicht gegen meine Mutter nehme ich es auf mich, für meinen Vater zu sorgen. Stecket ihn nicht ins Arbeitshaus, er kann nicht mehr arbeiten. Wenn ich ihm gebe, was er braucht, so wird er euch hier nicht gefährlich sein. Im Namen des barmherzigen Gottes, habet Mitleid mit mir, lasset den Mann hier!« Als er geendet hatte, war ein langes Schweigen unter den Männern. Endlich sagte der Richter: »Leute, unser Herz wäre aus Stein, wenn wir ›Nein!‹ sagen wollten. Wir wollen aber kein Geld dabei ersparen und dem Hritzko auch hier geben, was wir in Lemberg für ihn hätten zahlen müssen. Dieser gute Sohn soll seinen Willen haben, Gottes Segen über ihn!«

Acht Jahre lebte der alte Vagabund im Dorfe; es war eine schreckliche Duldenszeit für den Taras. Alle Freuden der Jugend tat er ab und mühte sich übermenschlich, um dem Alten zu geben, was er forderte. Sein einziger Lohn für diese Opfer waren wüste Beschimpfungen, höhnische Reden; aber er ermüdete nicht in seinem Liebeswerke. »Meine Mutter hat mehr für mich getan«, pflegte er zu erwidern, wenn man ihn lobte. »Jetzt sieht man erst, wie gut ein Mensch sein kann«, sagten die Leute in Ridowa, und andere meinten in derbem Mitleid: »Wenn nur jemand den Hritzko totschlüge!« Doch diese Arbeit besorgte schon der Schnaps, langsam, aber gründlich. In seinem sechsundzwanzigsten Jahre war Taras frei.

Der Richter riet ihm, nun um irgendeine Erbtochter der Gegend zu werben. »Du verstehst die Wirtschaft ausgezeichnet, bist ein schöner Bursche, und was deinen Ruf betrifft, so könnte dir der gnädige Graf Golochowski seine Tochter geben und sagen: ›Es ist mir eine Ehre, Herr Taras!‹ Also, da wäre zum Beispiel die dicke Marinia, die Tochter des Küsters, oder die schwarze Kasia . . .« Aber Taras schüttelte den Kopf, und die blauen Augen blickten düster. »Hier ist mir das Leben zu schwer geworden«, sagte er, »als daß es mir je wieder leicht werden könnte! Habt tausend Dank für alle Güte, aber ich gehe!« Und dabei beharrte er trotz allen Zuredens und tat sich um einen andern Dienst um.

Es boten sich ihm zwei Plätze als Großknecht: bei dem Iwan Woronka in Zulawce, einem Bruder des Richters Stefan, und bei einem Pfarrer an der Grenze. Lohn und Arbeit waren dieselben, hier wie dort war er unabhängig, und zwar aus dem gleichen Grunde, weil sowohl Iwan als der hochwürdige Herr das Wasser nur gebrannt tranken. Es nützte auch nichts, daß er die Höfe selbst ansah, die Stellen waren wirklich gleich. Da es aber so wenig darauf anzukommen schien, wo er eintrat, so wendete er dasselbe Mittel an, durch das in seiner Heimat schon so mancher Entschluß zustande gekommen ist. Er beschloß, zum Pfarrer zu gehen, wenn es am nächsten Sonntagmorgen regnen würde, und zu Iwan, wenn es heiter wäre. Nun schien am Schicksalstage die Sonne so schön, wie man nur wünschen mochte, und er begab sich nach Zulawce.

Er hatte anfangs einen schweren Stand im fremden Dorfe. Die Leute bespöttelten seine Tracht und Art und hielten ihn für einen Duckmäuser, weil er keine Waffen trug und von der ›Herrschaft‹, dem Grafen Borecki, mit Ehrfurcht sprach. In beidem folgte er eben der Gewohnheit, aber diese Neckereien fochten ihn auch wenig an; ernstlichen Kummer machte ihm nur die anvertraute Wirtschaft. Iwan Woronka war alt und müde, und der einzige Spaziergang, den er täglich machte, der Gang zur Schenke, war auch nicht geeignet, größere Ordnung in seine Sachen zu bringen. Sein einziger Sohn war gestorben, und die Tochter, Anusia, hatte sich vergeblich gegen die Verwahrlosung und gegen die Trägheit der Knechte gestemmt. Sie allein segnete schon nach kurzer Zeit die Stunde, wo der neue Großknecht ins Haus gekommen war; überall sah man die Spuren seiner Tüchtigkeit, seines ehrlichen Fleißes. »Ein wackerer Bursche«, gab auch Iwan zu, klagte aber doch täglich in der Schenke, zuerst mit fester, dann mit lallender Stimme, daß ihm der feige Duckmäuser über den Kopf wachse. Wie wenig aber diese Bezeichnung auf ihn passe, bewies Taras bald darauf bei einer Bärenjagd, wo er mit eigener Gefahr durch einen Kernschuß in nächster Nähe der Bestie dem greisen Richter Stefan das Leben rettete. Dies und seine tüchtige Führung der anvertrauten Wirtschaft gewannen ihm allmählich auch hier die Herzen. »Du bist doch ein braver Junge, Podolier«, sagten ihm die Leute, und binnen Jahresfrist auch hinter seinem Rücken: »Er ist ein ganz trefflicher Mensch!«

Die Anusia sagte das niemals, aber um so öfter dachte sie es. Sie war ein hübsches Mädchen von echtem Huzulenschlag, schlank, üppig und geschmeidig, im braunen Antlitz loderten prächtige Schwarzaugen. In allen Dingen mutig, jäh und leidenschaftlich, wurde sie in ihrer aufkeimenden Neigung für den blonden Fremdling zaghaft und scheu. Sie wich ihm gerne aus und besprach nur das Notwendige. Er merkte dies, schüttelte den Kopf und war sehr betrübt. Durch diesen Kummer kam er auch erst zu seinem eigenen Erstaunen darüber ins klare, wie gut ihm eigentlich die Anusia gefalle. Nun klopfte ihm auch das Herz, wenn er mit ihr sprach, und dann ertappte er sich eines Tages, als er über Feld ritt, wie er laut vor sich hinsprach: »Anusia!« Aber da erschrak er auch vor dem Klange der eigenen Stimme und zog sich am Ohre, daß es schmerzte. »Esel!« sagte er laut. »Des Herrn Tochter, die dich obendrein haßt!« Und dann fügte er philosophisch hinzu: »Das mit der Liebe ist ohnehin nur ein Gerede müßiger Leute. Der eine trinkt zum Zeitvertreib Schnaps, und der andere verliebt sich!« Er meinte es wirklich so; seine eigene Jugend war bisher so hart und düster gewesen, daß keine Blume darin hatte aufkeimen können.

Nun, da fand er endlich die Blume. Als er an einem schönen Frühlingsmorgen einen engen Fußsteig durch das blühende Getreide ging, kam ihm die Anusia entgegen. ›Wie weiche ich nur aus?‹ dachten beide, und hatten doch nicht den Mut, sich einen Pfad durch die keimende Saat zu bahnen. »Man darf Gottessegen nicht zertreten«, murmelte er und schlich zögernd vorwärts. »Es ist meines Vaters Frucht«, flüsterte das Mädchen und schlich ihm entgegen. Endlich standen sie einander dicht gegenüber. »Warum grüßest du nicht?« fragte sie zornig. Er schwieg betreten. »Und dann«, fuhr sie in gleichem Tone fort, »unser Weizen am Pruth steht schlecht.« – »Nicht gut«, mußte er zugeben, »aber es ist nicht meine Schuld!« – »Vielleicht die meine?« – »Nein, des Regens!« – »So eine Ausrede!« sagte sie heftig. »Es liegt an den Saatkörnern! Du wirst saumselig!« – »Wenn die Herrschaft nicht mehr zufrieden ist, ich kann ja gehen!« Er zitterte. ›Oh, wie der Haß in mir kocht!‹ dachte er. »Geh! Geh!« rief sie heftig, die Tränen stürzten ihr über die Wangen, und – im nächsten Augenblick lagen sie einander am Herzen und preßten Mund auf Mund. Wie das so schnell geschehen konnte, wußten sie selbst nicht, es ist aber ähnliches schon einige Male auf Erden vorgekommen . . .

Das war eine schöne Stunde da draußen im blühenden Lenzgefild. Zuerst holten sie noch ein wenig nach, was sie bisher so arg versäumt hatten, sie gaben einander nun auch einige freundliche Worte. Dann sprachen sie über ihre Zukunft. »Wir tun, was die Vernunft gebietet«, sagte die kluge Anusia. »Du heiratest mich eben. Ich selbst will mit dem Vater reden.«

Das tat sie auch, aber Iwan Woronka war leider über das, was in diesem Falle die Vernunft gebot, verschiedener Ansicht. Er hatte Tochter und Erbe seinem Bruderssohne Harasim zugesagt, dem Sohne des Stefan, einem jungen, lustigen Menschen, gegen den sich nichts Triftiges einwenden ließ, außer etwa seine affenartige Häßlichkeit und daß er ein ganz verdammter Lump und Säufer war. Aber Iwan meinte: »Schönheit ist keine Tugend und Trinken keine Sünde!« Und dann setzte er den Taras vor die Tür.

Der arme Knecht ging, ohne Abschied von seinem Mädchen zu nehmen, ohne zu hinterlassen, wohin er sich wenden wolle. Das Entsagen kostete ihn einen harten Kampf, aber er kannte die leidenschaftliche Art der Anusia und wollte gegen seinen Herrn ehrlich bleiben für und für. Dies sollte ihm aber doch noch viel schwerer werden, als er es damals ohnehin schon empfand.

. . . Es war zwei Monate später, eine schöne klare Hochsommernacht; der Mond spann sein Lichtnetz über die Heide und ließ den armseligen, mit altem Blech beschlagenen Turm des Schlosses von Hankowce zauberhaft erglänzen wie eine Säule aus Silber. In diesem Schlosse hatte Taras bei dem Baron Alfred Zborowski als Kutscher und Pferdeknecht Dienste genommen. Aber er schlief nicht im Stalle, sondern draußen auf der Heide, dort, wo ein Häuflein Gold mitten im vielen Silber leuchtete; an einem Wachtfeuer lag er, und die Rosse grasten um ihn. Die Nacht war kühl, aber dem armen Burschen war es recht schwül ums Herz, während er so in das verknisternde Feuer starrte und dabei der fernen Geliebten gedachte. Da scholl Hufschlag durch die nächtige Stille; ein Reiter kam herangesprengt, näher und näher; ein fliegendes Gewand ward sichtbar und flatternde Zöpfe . . . »Jesus!« schrie der Bursche auf und sprang zitternd empor. »Du bist es, Anusia!« – »Taras!« – Sie sprang vom Pferde und in die Arme des Geliebten. »Hier bin ich, hier bleib' ich! Zehn Meilen bin ich geritten, gestern und heute! Vor drei Tagen hat mir Jacek, der Spielmann, verraten, wo du bist. Ich gehe ohne dich nicht wieder zum Vater! Und willst du nicht mit mir gehen, so bleibe ich hier. Ich kann nicht ohne dich leben, und ich will nicht. Hörst du? Ich will nicht! Ich will glücklich sein . . .

So stammelte, jauchzte, weinte sie an seinem Halse. Dann glitt sie an ihm nieder und umklammerte seine Knie. Bebend stand Taras da; ihm war's, als stände er mitten in einem Flusse und als müßten die Wogen im nächsten Augenblick zusammenschlagen über seinem Haupte. Er ballte die Fäuste, daß ihm die Nägel schmerzhaft ins Fleisch schnitten, er preßte die Zähne zusammen, daß sie knirschten, und drückte die Augen zu. So stand er einige Sekunden schwer atmend da, dann überlief ein Zittern seinen Körper, er schlug die Augen auf und hob die Kniende empor. »Anusia!« sagte er fest und mild. »Ich liebe dich mehr als mich! Und darum sage ich dir: Ich werde dich morgen zurückgeleiten, bis an den Pruth, bis wir das Haus deines Vaters sehen. Dann werde ich umkehren. Heute aber« – er atmete schwer und sprach mühsam weiter – »heute führe ich dich ins Dorf zu einer alten Witwe; sie wird dir ein Lager geben für diese Nacht.« Das Mädchen starrte ihn mit wirrem Blicke an. Sie strich sich über die Stirne, einmal, zweimal. »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie leise, »ich verstehe dich nicht! Du stößt mich von dir?« – »Nein!« rief er. »Aber ich will dich nicht hinabreißen in Schimpf und Schande! Wenn du hier bleibst, heute, morgen, Anusia, du wirst Magd werden im Dorfe, wo ich Knecht bin. Wir werden Not leiden; was läge daran! Aber das Heiraten wird unmöglich sein, so lange dein Vater lebt, der Pfarrer fordert seine Einwilligung. Du wirst meine – meine Geliebte sein!«

Sie richtete sich hoch auf und blickte ihn stolz an. »Ich bin eine Jungfrau, und kein sündiger Hauch hat mich angeweht. Wenn es mir genug ist, nur deine Geliebte . . .« – »Du!« schrie er gellend auf. »Was verstehst du davon! Du bist ein ehelich Kind! Ich aber – ach, meine Mutter! Geh! Geh!« Es klang wie ein Schrei der Verzweiflung. Dann faßte er sich mühsam. »Ich kann nicht anders, Mädchen! Gott erbarme sich meiner, ich kann nicht anders. Die Frau, zu der ich dich geleiten will, wohnt neben der Kirche, die Witwe des Küsters, Anna Paulicz. Komm!« Sie hatte wohl von diesen letzten Worten nichts verstanden. Langsam schlich sie auf ihr Pferd zu, faßte es am Zügel und schwankte mit demselben schleichenden Schritt zu Taras hin. Dicht vor ihm blieb sie stehen. Ihr Antlitz war fahl wie das einer Toten; die blutlosen Lippen öffneten sich einmal, zweimal; sie wollte reden und konnte nicht. Endlich brach es in heiserem Geflüster aus ihrer Brust: »Ich hasse dich!« – »Anusia!« schrie er auf und taumelte einen Schritt zurück. Aber ihm erwiderte nur der Hufschlag des Pferdes, der in der Nacht verklang.

. . . Die Ernte war gekommen, das Erntefest. Lustig spielten die jüdischen Musikanten auf im Schloßhofe zu Hankowce, und bis in den sinkenden Abend hinein währte das Tanzen, Stampfen und Jubilieren der Schnitter. Der Edelherr und sein Kutscher waren wohl die beiden einzigen Menschen im Dorf, die sich nicht daran freuten, der eine, weil er allen Met und Schnaps bezahlen mußte, und der andere, weil es ihm überhaupt nicht fröhlich ums Herz war. Lange Wochen waren seit jener bewegten Stunde auf der Heide vergangen, aber die Worte der Geliebten klangen dem armen Taras noch im Ohre; auf Schritt und Tritt hörte er den unheimlichen Flüsterton, mit dem die teure Stimme zuletzt zu ihm geredet hatte. »So ist denn alles zu Ende!« murmelte er immer wieder vor sich hin, »was nützt da noch das Nachdenken?« Gleichwohl mußte er stets von neuem über das eigene Herz grübeln und jenes böse Wort des Mädchens, und es war ihm ein geringer Trost, daß er sich sagen konnte: »Du hast recht getan, Taras! Lieber unglücklich als ein Schurke!« Ein geringer Trost; denn dieses Bewußtsein konnte ihm weder die wilde Sehnsucht noch das Leid aus dem Gemüte bannen. Er gönnte den anderen ihre Fröhlichkeit, aber ihm tat sie weh. Darum blieb er auch an jenem Tage draußen im Vorwerk bei seinen Pferden, durchflocht ihre Mähnen mit bunten Bändern und gab sich alle Mühe, von dem Feste so wenig als möglich zu hören. Aber sein Ohr vernahm doch all den Jubel, und durch das Ohr klang er ihm ins wunde Herz hinein. Da schloß der arme Bursche die Tür des Stalles, trat zu dem braunen Hengste hin, der sein Lieblingspferd war, und seufzte sich an seinem Halse recht aus.

Während er so dastand, vernahm er plötzlich eine wohlbekannte Mannesstimme, deren Klang ihm das helle Blut ins Antlitz trieb. Noch wollte er zweifeln, aber da hörte er seinen Namen rufen und gleichzeitig ein Klopfen an der verschlossenen Tür. Hastig richtete er sich empor und öffnete bebenden Herzens. Es war, wie er vermutet hatte: vor ihm stand Stefan, der Richter. Taras fand kein Wort des Grußes, auch der Greis nickte ihm nur schweigend zu. Er schien tief bekümmert. »Komm!« sagte er endlich nach einer kurzen, peinlichen Pause. »Wohin?« stammelte Taras verlegen. Dem Richter schien eine Antwort auf diese Frage überflüssig. »Ich bin schon bei deinem Herrn gewesen«, sagte er, »er gibt dich noch heute frei. Deinen Kleidersack kannst du dir nachkommen lassen. Mein Wägelchen steht vor dem Schlosse.« – »Ich kann nicht«, erwiderte Taras leise und wendete sich ab. Stefan nickte, als hätte er keine andere Antwort erwartet. »Du mußt aber doch!« sagte er laut und langsam. »Wir wollen das Mädchen nicht morden, Iwan und ich. Es fällt uns schwer, sie dir zum Weibe zu geben, denn du bist ein Habenichts, ein Fremdling, und«, fügte er seufzend hinzu, »mein Harasim wäre durch ein braves Weib vielleicht noch zu retten gewesen. Gleichviel, wir müssen, und darum mußt auch du!« – »Sie ist krank?« rief Taras und faßte die Hand des Greises. – »Sehr krank – komm!«

Sie gingen zum Schlosse; Stefan litt es kaum, daß sich Taras von dem Baron verabschiedete. Dann ergriff der Greis selbst die Zügel seines Gefährts und peitschte auf die Pferde los, daß das Wägelchen auf der mondbeschienenen Straße wie im Fluge dahinschoß. »Willst du mir nicht die Zügel lassen?« bat Taras nach einer Weile. »Nein!« erwiderte der Richter kurz und schroff. Dann fügte er milder wie zur Entschuldigung hinzu: »Mich würde die Unruhe töten, wenn ich so müßig dasäße.« – »Sie wird sterben!« rief der junge Mann verzweiflungsvoll. – »Das weiß Gott allein!« erwiderte der Greis dumpf und leise. »Wir tun eben unsere Pflicht, indem wir dich herbeiholen. Freilich will sie nichts von dir wissen und schwört: wenn du ihr nahekommst, so wird sie dich erschießen oder sich . . . Was ist zwischen euch vorgefallen?« rief er plötzlich laut und drohend. – »Das darf ich nicht sagen!« erwiderte Taras fest. Der Richter blickte ihn zornig an, dann aber nickte er wieder. »Ich war ein Tor, daß ich fragte«, murmelte er. »Entweder bist du sehr schurkisch gegen das arme Mädchen gewesen oder – sehr brav. Gleichviel, das geht nur euch beide an. Du mußt es mit ihr austragen.«

Das war das letzte Wort, das er in jener Nacht mit seinem Begleiter sprach. Erst in der roten Morgenfrühe, als sie den Pferden notgedrungen kurze Rast gönnen mußten, tauschten sie einige gleichgültige Worte. Dann fuhren sie wieder den blauen Bergen zu, so rasch die Pferde traben konnten. Aber ehe sie ihr Ziel erreicht hatten, färbte sich jener blaue Duft in tiefes Rot um und endlich in kaltes Grau. Es war schon tiefer Abend, als sie über die Pruthbrücke fuhren und die Dorfstraße empor. Die Luft war still und schwül; am Himmel schiffte langsam schweres Gewölk dahin und verbarg den Mond. Der Richter hielt an, noch ehe sie das Gehöft des Iwan erreicht hatten. Taras sprang ab. »Ich danke dir!« sagte er herzlich und suchte die Hand des Greises zu fassen. Aber dieser zog sie zurück und schüttelte das Haupt. »Ich zürne dir nicht«, sagte er, »aber verlange nichts von mir, was über Menschenkraft geht! Auch hast du mir nicht zu danken, heute habe ich dir die Schuld für jenen Schuß auf den Bären abgetragen, unsere Rechnung steht glatt!« – »Ich aber werde dir ewig dankbar sein!« rief Taras und schritt dann hastig, angehaltenen Atems, dem Gehöfte zu.

Als er die Hand auf die Klinke legen wollte, wurde die Tür eben rasch von innen geöffnet. Es war Iwan Woronka. »Sie lebt?« stammelte Taras. – »Ja! Aber die Weiber meinen, das Fieber werde sie bald aufzehren! Tritt ein, vorsichtig, sie ahnt dein Kommen nicht!«

Leise, klopfenden Herzens, trat Taras in die Stube. Sie war matt erhellt, nur mühsam konnte er die Umrisse der teuren Gestalt unterscheiden, die sich bei seinem Nahen langsam vom Lager aufrichtete. »Wer ist da?« rief die Kranke mit zitternder Stimme. »Wer ist da?« wiederholte sie gellend. Aber ehe er noch zu erwidern vermocht, hatte sie ihn erkannt. Ein entsetzlicher Schrei entfuhr ihrer Brust, jählings sprang sie empor und an ihm vorbei ins Freie.

Er stürzte ihr nach. Kaum vermochte er im Dunkel dem matten Schimmer der hellen Gestalt zu folgen, die wenige Schritte vor ihm dahineilte, die Dorfstraße hinab, dem Flusse zu. Sein Haar sträubte sich vor Entsetzen, als er diese Richtung erkannte; seine Glieder waren eine Sekunde lang wie gelähmt. Dadurch gewann sie wieder einen Vorsprung, so daß er sie nicht mehr zu erreichen vermochte, wie sehr er auch alle Kraft anspannte. Schon stand sie am Uferrand. »Tu's nicht!« schrie er auf. »Ich geh' und komm' nie wieder!« Es war zu spät; im nächsten Atemzuge sah er die helle Gestalt auf den Wogen treiben. Kopfüber sprang er ihr nach, tauchte empor, erreichte sie und erhaschte eine Strähne ihres langen braunen Haares. Sie aber versuchte sich loszureißen und wehrte sich heftig, mit einer Kraft, die nur die wilde Verzweiflung einflößen kann, gegen den Griff seiner Hand. So trieben sie nebeneinander in den raschen, kalten Wogen des Bergflusses dahin. Taras fühlte, wie seine Kraft erlahmte im doppelten Kampfe gegen den Fluß und das Mädchen. Ein fürchterliches Bild zuckte ihm durchs Hirn: er sah sich und die Geliebte als Leichen am Ufer liegen, den alten Stefan über sie beide gebeugt. Die Todesangst wollte ihn übermannen, aber er ließ die Strähne nicht los und suchte sich mit der Rechten über Wasser zu halten. Endlich sträubte sie sich nicht mehr; sie war bewußtlos geworden. Da raffte er seine letzte Kraft zusammen und brachte sie ans Ufer.

Nun folgten schwere Tage. Ein hitziges Fieber rüttelte die Glieder der Kranken, und schlimmere Schauer schienen ihr die Seele zu durchwühlen. »Ich sterbe vor Scham«, rief sie immer wieder, »ich liebe ihn, ich hasse ihn!« Aber mit der Gewalt des Fiebers linderte sich auch der Krampf des Herzens. Und als sie endlich todesmatt, aber gerettet und bei klarem Bewußtsein dalag, da litt sie es unter seligen Tränen, daß der Geliebte sie umfasse und küsse. Sie litt es, aber noch erwiderte sie keine seiner Liebkosungen. »Taras!« schluchzte sie. »Du verachtest mich wohl?« – »Ich? O mein Gott!« rief er und bedeckte ihre Hand mit Küssen. – »Du tätest aber recht daran!« klagte sie. »Nicht bloß, weil . . .« ein flammendes Erröten überflog ihre bleichen Züge. »Aber weißt du, warum ich mich so gegen deine Hand gesträubt habe? Ich wußte, daß du mich nicht lassen würdest, und wollte dich mit hinabreißen in den Tod. Kannst du mir auch dies vergeben?« – »Ja!« rief er. – »So wahr deine Mutter Frieden habe im Grabe?« – »Ja!« – »Dann darf ich dich wieder küssen!« jauchzte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals. Das war ihre Verlobung, und kurz darauf erfolgte die Hochzeit.

So hatte sich der Fremdling den zweitgrößten Hof des Dorfes erheiratet. Aber niemand feindete ihn um seines Glückes willen an; auch Harasim schien sich in sein Los gefügt zu haben. Nur zuweilen hörte man noch ein Neckwort über die Tracht des neuen Großbauern; an das Duzen der Bergbewohner hatte er sich gewöhnt, aber er war nicht zu bewegen, sich huzulisch zu kleiden. Die Leute nahmen es ihm nicht übel, er hatte durch ernstere Proben bewiesen, wie treu er zu seiner neuen Heimat stehe, und sie ahnten, wie heilsam sein Einfluß auf die Zustände des Dorfes war. Ohne sich vorzudrängen, ohne seine Ansichten voll Eifers zu predigen, war dieser stille, sanfte Fremdling im Laufe der Jahre der einflußreichste Mann, ja geradezu der Reformator der Gemeinde geworden, nicht allein durch seine werktätige Menschenliebe, sondern auch durch die milde Klugheit seines Wesens.

Schwer genug hatte er sich in die fremde Art gefunden. In den ersten Monaten seines Aufenthaltes hatte ihn alles unerhört gedünkt; Tracht und Sprechweise, Sitte und Nahrung, die Art der Viehzucht, des Ackerbaus und jeglicher häuslichen Verrichtung. Ein Bauer muß sich bei der Arbeit möglichst frei bewegen können, und diese Männer gingen in straff anliegenden Hosen, in eng anschließenden Leibröcken zum Pflügen oder Dreschen! Wozu? Um recht behindert zu sein und vom Sonnenbrande zu leiden? Obendrein waren die Hosen gar noch rot, etwa, damit die Stiere eine besondere Freude daran hätten? Dann das lange Bart- und Haupthaar, und erst die Waffen! Es ängstigte ihn um ihretwillen, als er zusah, wie sie mit der Flinte über der Schulter auf die Viehweide gingen und zum Nachbar ins nächste Haus mit dem blitzenden Handbeil am Arme! Wozu, mußte er sich fragen, dieser gefährliche Brauch unter leidenschaftlichen, leicht erregbaren Menschen? Und daß sie wirklich von diesem Schlage waren, bewies ihm ja schon ihre Redeweise! In der Ebene spricht man langsam und in wohlgesetzten Worten, diese Männer aber warfen einander ihre Urteile und Meinungen nur so an den Kopf, ob es nun eine Beule absetzen mochte oder nicht. Da konnte es freilich kaum weiter verwundern, daß sie jeden duzten und auch selbst von niemand eine andere Anrede erwarteten. Aber damit nicht genug, von Tag zu Tag entdeckte er neue, seltsame Dinge.

So als Wichtigstes die Art der Viehzucht. Er begriff sie nicht, sie kamen ihm wie Kinder vor, die ihren Besitz leichtsinnig verschleudern. Sorglos ließen sie ihre Herden ins Gebirge treiben, drei, oft fünf Meilen weit, und mondenlang droben bleiben unter der Obhut einiger halbwüchsiger Burschen. Wozu? Damit auch Bär und Wolf ihre Nahrung fänden? Nun, die holten sich denn auch, was ihnen beliebte, und andere Stücke stürzten in den Felsklüften zu Tode oder verliefen sich im Bergwalde. Minder verschieden war die Art des Ackerbaus, aber die Bespannung, das Pfluggerät, die Zeit für das Säen, Ernten und Dreschen, nichts war genau so, wie er es gewöhnt war.

Eine geringere Natur hätte sich durch Spott über das Fremdartige hinweggeholfen oder leicht daran gewöhnt. Taras aber begann ernstlich zu grübeln und hatte die Freude, vieles allmählich als durchaus vernünftig zu erkennen. Er begriff, daß die Leute von Zulawce den Beginn der verschiedenen Feldarbeiten anders festsetzen mußten als in der Ebene, weil hier die Witterung eine andere war. Er begriff, daß der podolische Schaufelpflug, der breit und dünn ist, nur eben für die schwarze, weiche Erde der Ebene paßte, nicht aber für die vielen steinigen Felder, aus denen fast die Hälfte des Ackergrundes in Zulawce bestand. Die Leute taten ganz recht, wenn sie für diese Felder ihren starken, schmalen, keilförmigen Pflug benützten; unvernünftig war es nur, daß sie auch ihre fetten Äcker, die sich gegen den Pruth hin zur Ebene senkten, gleichfalls mit demselben schwerfälligen Gerät bearbeiteten. Ähnlich hielten sie es mit ihrer Nahrung. Die Podolier können sich von Kornbrot und Rindfleisch nähren, die Huzulen müssen sich auf Haferbrot und Schaffleisch beschränken, und die Leute von Zulawce taten es ihnen nach, obwohl ihnen die Abwechslung möglich gewesen wäre; denn auf ihren Triften gedieh auch Rinderzucht, auf ihren Äckern Kornfrucht. Ebenso erklärte sich bezüglich ihrer Kleidung und Bewaffnung das Unvernünftige daraus, weil sie ganz die Art der Bergbewohner beibehielten. Der Huzule darf die Flinte nicht aus der Hand legen, weil er stets der Begegnung mit dem Bären oder dem Räuber gewärtig sein muß; hier war die Ursache verschwunden, aber die Sitte geblieben. Am deutlichsten jedoch zeigte sich diese Mischung von Vernunft und Unsinn in der Art der Viehzucht. Vernünftig war, daß sie, die herrlichen Triften zu nützen, ihre Herden ins Gebirge trieben und da monatelang frei weiden ließen, aber unsinnig war's, daß sie weder für gedeckte Hürden noch für gehörige Bewachung vorsorgten. Die Huzulen können dies nicht, weil es ihnen an Arbeitskräften fehlt, aber in Zulawce war wahrlich kein Mangel an Knechten und Tagelöhnern.

So klar es ihm auch war, wie sehr diese Einrichtungen einer Verbesserung bedurften, so hütete er sich sorglich vor jedem lauten Tadel und begnügte sich, durch das Beispiel der eigenen Wirtschaft zu wirken und durch vorsichtige Ratschläge, die er bei guter Gelegenheit dem oder jenem erteilte. Sein wichtigster Bundesgenosse in diesem stillen Werke war der Eigennutz des einzelnen; wer sich in dem einen Frühling mit Mühe hatte überreden lassen, auf seinen ebenen Feldern die Probe mit dem Schaufelpflug zu machen, kam im Herbste freiwillig, das Gerät nochmals zu borgen, und im nächsten Frühling kaufte er sich selbst einen solchen Pflug. Ähnlich ging es in allen anderen Dingen; die Leute gaben nun jeder Herde die nötige Bewachung mit, ohne darüber zu grübeln, warum ihnen dies plötzlich notwendig erscheine. Taras aber war wahrlich der letzte, der sie daran erinnerte, wem der Dank hierfür gebühre. Daß sein Bemühen von Jahr zu Jahr reichere Früchte trage, schien diesem Manne der schönste Lohn.

In einem anderen, schwierigeren Werke ward ihm dieser Lohn nur kümmerlich zuteil, aber eben darum setzte er all die Jahre unermüdet sein Bestes daran. Das war sein Kampf gegen den kriegerischen Trotz, den Hang zur Selbsthilfe, der die Männer von Zulawce erfüllte. Gerieten zwei Hausväter in Streit, so zeugte es schon von besonderer Mäßigung, wenn sie dem Richter Stefan eine Einmischung gestatteten. Um was immer der Streit gehen mochte, um einen Grenzrain oder eine Henne, er fing damit an, daß sich der Stärkere mit Gewalt in den Besitz des bestrittenen Gutes setzte. Gelang es dem Gegner, ihn daraus zu vertreiben, oder brachte der Richter einen Vergleich zustande, so war es gut; gelang dies nicht, so behielt der Stärkere, was er geraubt hatte, und es war auch gut. Denn einen Prozeß zu führen, klang ihnen unerhört, und daß der Kaiser einen Beamten nach Kolomea gesetzt habe, das Recht zu schützen, schien ihnen ganz unbekannt; sie dünkte es von vornherein ein Unglück, mit den ›Schreiben des Kaisers‹ in Berührung zu kommen. Selbst die Diebe ihres Dorfes bewahrten sie zärtlich vor diesem Schicksal: Der Mensch wurde halbtot geprügelt und durfte dann laufen, so weit er wollte. Und nun erst die Beziehung zum Gutsherrn. Zwischen den Bauern und ihrem Grafen oder vielmehr seinem Mandatar, dem alten Gonta, war offener Krieg; Siegesgeschrei durchhallte das Dorf, wenn es ihnen gelungen war, ihm etwas von ihrer Schuldigkeit abzutrotzen; und daß er seinerseits den Spieß einmal umdrehen könnte, machte ihnen wenig Sorge, davor schützten sie ja ihre Beile und Flinten. Das mußte den Podolier, dem durch seine Schicksale die Gerechtigkeit zur Sonne des Lebens geworden war, mit Entsetzen erfüllen. Er begriff diese Menschen nicht, bis ihm klar wurde, daß sie auch darin völlig die Art der Bergbewohner bewahrt hatten, ihre Tugenden wie ihre Laster.

Je häufiger er in den Bergwald kam, je vertrauter ihm die Huzulen wurden, desto verständlicher wurden ihm auch die Leute seines Dorfes. Was Armut, was Reichtum ist, weiß man in dieser tannengrünen Wüstenei nicht. So kann die Menschen kein Neid trennen; auf jedem lastet das Leben gleich schwer; der Mangel, die Kälte, das wilde Getier sind gemeinsame Feinde aller. Jeder hat nur insofern Wert und Geltung, als er diese Feinde aus eigener Kraft zu besiegen vermag; daher das Bewußtsein der Gemeinsamkeit und Gleichheit aller. Darum setzen sie ihre Worte nicht anders für den und für jenen, weil sie ja alle Menschen, sich selber und untereinander, gleich erachten, darum duzen sie jedermann.

Die Männer von Zulawce lebten unter anderen Verhältnissen; sie waren Herren oder Knechte, sie kannten Armut und Reichtum; gleichwohl hatten sie die alte Art beinahe ungetrübt erhalten. Ein wenig Neid, ein wenig Achtung vor dem Besitz hatten auch bei ihnen Einzug gehalten, aber noch immer fühlten sie sich als Gleiche unter Gleichen und duzten ihren Herrn wie ihren Hirten. Die Außenseite war roh, aber der Trieb an sich gut und löblich. Darum war dies das einzige, wo Taras seine Art aufgab, die ihre annahm, so weit es ihm möglich war; auch er duzte jedermann und beanspruchte von niemand eine andere Anrede.

Aber nicht bloß der freie Mannesstolz, auch der Hang zur Selbsthilfe wurzelte in den Gewohnheiten der Väter. Der Huzule ist auf die eigene Kraft angewiesen, und nicht bloß gegen die Räuber im Bergwald. Wenn zwei Hausväter am Kamme des Gebirgs, fünfundzwanzig Meilen vom Gerichtsort entfernt, über eine Weidetrift in Streit geraten, was soll der Bedrohte beginnen? Soll er sich an das Kreisamt wenden? Angenommen, der arme Mann lädt die Kosten der Reise willig auf sich, so dauert es doch vielleicht ein Jahr, bis das Gericht einen Beamten durch volle zwei Wochen entbehren kann, denn so lange währt ja zum mindesten die Hin- und Rückreise. Und wenn nun ein gerechter Spruch erfolgt ist, welche Gewalt kann den Verlierenden zwingen zu gehorchen? Der bloße Name des Kaisers? Er kennt ihn kaum und kümmert sich nicht viel um ihn. Oder die Soldaten? Soll man eine Truppe auf unwegsamen Pfaden samt dem nötigen Proviant bloß deshalb in dieses öde Gebirge führen, damit eine Trift, auf der vielleicht dreißig Schafe weiden können, dem Stasko zugehöre und nicht dem Wasko? Und selbst wenn wirklich diese Exekution durchgeführt wird, was ist damit erreicht? Solange die Soldaten oben sind, kann sich der Stasko freuen, denn der Wasko muß sie füttern und die Trift abtreten. Aber wenn sie abgezogen sind, dann dreht sich der Spieß fein um, und der Wasko freut sich, während der Stasko trauert. Ewig kann ja die Truppe doch nicht oben bleiben! So ist es denn wahrlich kein Frevel, wenn im Bergwald jeder Hausvater in jeglicher Sache selbst der Schirmer seines Rechts ist. Aber als ein Frevel mußte es Taras erscheinen, daß die seßhaften Ackerbauern von Zulawce es gleichfalls so hielten. Darum ging er tapfer ans Werk, aber was er anfangs für diesen Zweck tun konnte, war wenig genug. Zweimal brachte er es zustande, teils durch eifriges Zureden, teils weil die Betreffenden Wohltaten von ihm erhofften, daß die Streitenden vor den Richter Stefan gingen und seinen Spruch pünktlich erfüllten. Unzähligemal jedoch mißlang es ganz und gar. Die Leute lachten ihm ins Gesicht: »Du, Lamm der Ebene, bist die Schere gewöhnt, wir aber sind Bären und gebrauchen unsere Tatzen!«

Gleichwohl fühlten sie es, daß dieses Lamm ein ganzer Mann sei, und wählten ihn nach einigen Jahren zum ›Ältesten‹. Von da ab vermochte er auch immer mehr für den Frieden in der Gemeinde zu tun. Die Leute sahen allmählich ein, daß sie sich besser dabei standen, wenn sie die Sache dem Richter vortrugen oder, was beinahe zur Regel wurde, dem Taras, denn Stefan war zornmütigen, ungeduldigen Wesens und wies sie daher, um sich den Ärger zu ersparen, meist an ihn. »Podolier«, pflegte er zu sagen, »plage du dich nun auch selbst mit den Kerlen ab, denn du hast diesen Unsinn im Dorfe eingeführt. Hätten sie sich vorher die Köpfe blutig geschlagen, so wäre ein Vergleich viel leichter zustande gekommen.« Nun, diesem Manne war solche Mühe wahrlich die liebste Arbeit, er sparte weder Zeit noch Kraft, noch endlich, was am nötigsten war, Geduld und hatte auch immer häufiger die Freude, die beiden Streitenden zu überzeugen, daß sein Spruch gerecht sei. Allerdings galt dies nur in kleinen Dingen; in der größten Streitsache, die in jene Zeit fiel, in dem Hader des ›roten Schymko‹ mit seinem älteren Bruder Waleri um das Weiderecht einer kleinen Trift, gelang es ihm trotz aller Mühe nicht, Blutvergießen zu verhindern. Zuerst mußte Waleri dem Schymko mit dem Handbeil einen Finger weghauen und Schymko den Waleri durch einen Streifschuß in die Hüfte verwunden, ehe sie es zähneknirschend erlaubten, daß der Richter und die beiden ›Ältesten‹ sich in die Sache mischten. Das Dorfgericht gab sich die ehrlichste Mühe zu erkennen, wer im Rechte sei, aber weil es eben darum nur zu dem Schlusse kommen konnte, daß das Weiderecht dem Waleri zustehe, so griff der ›rote Schymko‹ sofort wieder zur Flinte und lagerte sich samt seinen Knechten auf der strittigen Trift. Und schließlich löste sich die Sache so, daß Waleri nachgab und die Trift dem Schymko blieb!

Damals aber hätte dem Taras ein gerechtes Wort beinahe seine Würde als ›Ältester‹ gekostet. Es war nämlich knapp vor der jährlichen Neuwahl, als sich Schymko mit seinen Knechten wieder auf der Trift gelagert hatte, und da rief ihm Taras zu: »Wenn du mit der Entscheidung des Dorfgerichts nicht zufrieden bist, so mußt du eben an das Kreisamt gehen!« – »Ein Prozeß!« lachte der ›rote Schymko‹. »Ein Prozeß!« wiederholten die andern in einem Tone, als hätte Taras die größte Narrheit vorgebracht, und so nachhaltig wirkte die Heiterkeit nach, daß einige Tage später bei der Neuwahl gesagt wurde: »Taras ist zwar sehr gutmütig, aber ein ›Ältester‹ muß doch eigentlich ein vernünftiger Mensch sein – und er hat dem Schymko zu einem Prozeß geraten!« Daß er trotzdem gewählt wurde, dankte er nur der Fürsprache seines Freundes Simeon, der aber auch nur zu seiner Entschuldigung vorzubringen wußte: »Er ist eben aus der Ebene und weiß es noch nicht besser!«

Solche Erfahrungen machten Taras vorsichtig, aber nicht mutlos. Er sah wohl ein, daß es im besten Falle dennoch der Arbeit eines ganzen Lebens bedürfe, um hier geordnete Zustände zu begründen. Vor allem mußten die Leute daran gewöhnt werden, die Macht des Dorfgerichts anzuerkennen. Darum sprach er vorläufig nicht wieder von ›Prozessen‹, sondern begnügte sich mit diesem nächsten Ziele. Es gelang ihm fast ebenso oft, als es mißglückte; er verlor die Geduld nicht. Er war ja in allem übrigen ein so glücklicher, gesegneter Mann; sein Hauswesen gedieh, und sein Weib schenkte ihm prächtige Kinder; am Himmel war kein Wölkchen und rings um ihn in schweren, goldenen Ähren jede gute Tat, die er ausgesäet; wie hätte er in diesem einen zaghaft werden mögen?

Wenn er des Abends heimkam, das müde Haupt an seines lieben Weibes Schulter lehnte und sein Bübchen Wassilj auf seinem Knie reiten ließ, dann wußte er sich nichts Schöneres, als den Blick in seine Kinderzeit zurückzulenken und wieder einmal mit den Augen der Seele zu verfolgen, wie das Glück seines Lebens emporgekeimt und erstarkt war zu dem stolzen Baume, in dessen Schatten er nun ruhte. Das war kein schwächlicher, schwankender Strauch, sondern ein Tannenbaum, der ja auch um so kräftiger wurzelt, je mühsamer sich einst sein Stämmchen aus steinigem Geklüft emporgedrängt hat, und keines Menschen Gnade hatte ihn getränkt oder am Stäbchen gerade gezogen; nur die Sonne Gottes, die Gerechtigkeit, hatte darüber geschienen! Kein anderes Gebet wußte er sich in jenen Tagen als dieses: »Du da droben, lasse mir alles, wie es ist, ich will nicht mehr und besseres, aber gönne mir die Kraft, diese Menschen, mit denen ich nun verbrüdert bin, zu lehren, Deinen erhabenen Willen zu erkennen. Sieh, da plaudert ihnen der alte, verkommene Martin so viel von Deiner Gnade vor, und nichts von Deiner Gerechtigkeit, wie sollten sie Dich und ihre Pflichten erfassen und begreifen?« Für sich selbst hatte er in jenen Tagen nichts zu erflehen.

So war Taras Barabola zur Zeit, da Herr Hajek nach Zulawce kam, einer der wackersten und glücklichsten Menschen, die je gelebt haben.

 


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