Karl Emil Franzos
Aus der großen Ebene
Karl Emil Franzos

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der deutsche Teufel.

(1888.)

Wie kein Staubkorn, wenn es der Wind noch so wild und weit umherwirbelt, aus dem Erdkreis fällt, so kann kein Mensch abfallen von seinem Volke. Mag ihn fremde Hand oder das eigene Herz von der heimischen Scholle reißen – und wenn auch auf immer! –; mag ihn sein Wahn oder äußerer Zwang bewegen, sein Volksthum abzuthun und ein anderes einzutauschen; mag er selbst felsenfest glauben, daß er dies vollbracht – gelungen ist es doch nicht, ihm und keinem, nirgendwo und nimmer. Denn dagegen wirkt ein Gesetz in unserer Brust, welches uns bindet, ebensosehr wie das Gesetz der Schwere jenes Staubkorn. Die sichtbaren Bande kann man abthun, Sprache, Tracht und Brauch, aber tausend unsichtbare Fäden lassen sich nicht zerschneiden und es kommt die Stunde, wo sie fühlbar werden, wo des Abtrünnigen Herz, welches sie fesseln, in Scham und Reue zuckt. Und wie Niemand sein Volksgefühl ganz abtödten kann, so kann auch Niemand dem äußeren Einfluß entrinnen, welchen diese Zusammengehörigkeit auf sein Geschick übt. Freilich wirkt dieser Einfluß oft so unscheinbar, auf so tief verborgenen Wegen, daß er kaum der eigenen Erkenntniß klar wird, geschweige denn fremdem Blick. Aber auch er wirkt immer und überall, selbst auf den Armen, Beladenen, in dessen dunkles Leben der lichte Gedanke einer Volksgemeinschaft nie gedrungen, selbst auf den Stolzen, Mächtigen, den Glück und Geburt auf freie Höhe gestellt, fast schicksalslos, hoch über alle Bande, welche andere umschlingen. Und hat sich ein einsamer Sonderling von seinen Volksgenossen geschieden und in einem abgelegenen Winkel fremder Erde sein Geschick gestaltet, seltsam und eigenartig, wie er selbst, es kommt doch die Stunde, wo jener Einfluß wirkt und sein Geschick wendet, leise oder gewaltig, zum Guten oder zum Bösen.

Es hat im Laufe allen Lebens wohl nur Wenige gegeben, an welchen sich diese Wahrheiten so sichtlich, so stark und so seltsam erfüllt haben, wie an jenem Manne, von dem hier berichtet werden soll. Vielleicht wäre es auch ohne diese Beziehung lohnend, von ihm zu erzählen. Denn er hat in unsere Tage nüchterner Flachheit hineingeragt wie einer jener Felsen räthselhafter Herkunft, die man in manchen Gegenden mitten in der Ebene findet, und wie diese fremden, einsamen Riesen die verschiedensten Gesteinsarten vereinen, so war sein Charakter aus Güte und Rohheit, aus Grausamkeit und Milde, aus Adel und Gemeinheit wirr zusammengefügt. Wie er so eigen geworden, so hatte werden können, darüber haben die Unzähligen, die ihn kannten – drüben in der armseligen Landschaft des Ostens, in der er sich austobte – selten oder nie gegrübelt. Sie nahmen ihn hin wie einen rätselhaften, unheimlichen Dämon, an den kein irdisches Maaß paßt, und nannten ihn darum kurzweg den »deutschen Teufel«. Denn er war ein Sohn unseres Volkes, ein deutscher Fürstensohn. Wenn der riesige wetterharte Greis von diesem Beinamen sprach, strich er sich zornig den borstigen Schnauzbart: »Teufel! – meinetwegen! aber »deutsch«?! – ich will den Rackers austreiben, mich noch immer zu beschimpfen!« . . . Aber er trieb's den fremden »Rackers«, unter denen er seine reiche Kraft vergeudete, den polnischen Edelleuten, ruthenischen Bauern, jüdischen Händlern, dann den österreichischen und russischen Offizieren sein Leben lang nicht aus, daß er ein Deutscher sei – und sich selber auch nicht: das hat sein Tod bewiesen!

Es war ein merkwürdiges Sterben – sein letzter Narrenstreich, meinten die Leute in Podolien; uns Deutschen muß es in hellerem Lichte erscheinen: als die selbstbewußte Sühne für die halb unbewußten Irrthümer eines ganzen langen Lebens. Und wie dieser jähe Tod, so rückt uns auch sein wirres Leben in klarere Beleuchtung, wenn wir jene Beziehung festhalten, deren oben gedacht ist: das Verhältniß dieses Mannes zu unserem Volksthum. Wohl bleibt auch dann noch manches in seinem Wesen räthselhaft, Kleinliches und Aeußerliches, aber die Hauptzüge werden verständlich. Wie eine liebvertraute Landschaft im Gewittersturm dem flüchtigen Blick fremd erscheinen mag, bis wir bei längerem Anschauen gewahren, daß nur die Beleuchtung ungewohnt, Berg und Baum jedoch die alten guten Bekannten, so blickt uns auch, je tiefer wir dieses Mannes Wesen zu ergründen suchen, durch alle Schleier entstellender Leidenschaften immer klarer das deutsche Gemüth entgegen, das gute, echte tiefe Gemüth! Ja! an diesem wüsten, scheinbar so fremd gearteten Manne, an diesem »deutschen Teufel« waren die Teufeleien doch eigentlich nur Staubflecken, die ihm der scharfe Wind einer barbarischen Fremde angeweht, der Hauptzug war seine Deutschtheit, auch in jenen Tagen, da er sich von seinem Volke gewendet. Vielleicht in jenen Tagen am meisten. Das klingt sonderbar, aber es ist doch so. Und wer sein Ohr darauf geschärft hat, mitten durch den wirren Lärm dieses scheinbar regellosen Erdentreibens das Klirren jener Kette herauszuhören, welche sich unerbittlich und unzerreißbar aus Ursachen und Wirkungen zusammengefügt und allem Menschenstreben, ihm selber unbewußt, die Wege weist, welche es gehen muß; wer sich die schmerzliche und doch tröstliche Erkenntniß erkämpft, daß weder blinder Zufall noch bewußter Wille unser Leben formt, sondern einzig die eherne Nothwendigkeit: dem wird auch das Geschick dieses Mannes, obwohl scheinbar ein unerhörter Ausnahmefall, mehr sein als das eines einzelnen Menschen. Das Leben dieses fürstlichen Abenteurers, dem flüchtigen Blick nur eine Folge toller Willkührthaten des Helden und nicht minder toller Schicksalslaunen, ist doch eigentlich im tiefsten Kern nichts anderes als ein Stück Geschichte des deutschen Volkes, und wer es recht erfaßt, der hört daraus trotz aller fremdartigen Zuthat den Ton eines bekannten Liedes herausklingen, eines alten, traurigen Liedes, das nun freilich gottlob für immer verstummt ist, des Liedes von der deutschen Schmach, die uns schwach, uneinig, hilflos gemacht und unsere besten, thatkräftigsten Söhne hinausgestoßen in die Fremde, daß sie da versumpften und verdarben. Dem einsamen Grabhügel in der podolischen Haide, unter dem dies heiße Herz ausruht, gebührt kein Denkstein der Verehrung, aber immerhin ein Kranz theilnahmsvoller Erinnerung.

Verlassen und einsam liegt dieser Hügel, ganz einsam, mitten in der unendlichen Oede der braunen Haide. Keine Straße, kein Pfad lenkt den Wanderer daran vorbei, nur die Schmuggler bergen sich hier von der Dämmerung bis zur Mitternacht, wenn sie über die nahe Grenze wollen, und an Sommertagen kommt vielleicht ein Hirtenknabe langsam mit seiner Heerde gezogen, setzt sich auf den Hügel, bläst auf der Schalmei seine eintönigen, melancholischen Weisen und nickt endlich ein, eingeschläfert von der Hitze und der Stille, die über der Ebene brüten. Er ahnt nicht, daß es ein Grab ist, darauf er ruht – wie sollte er es auch erkennen? Hier blinkt kein Denkmal, hier hebt sich kein Kreuz, nicht einmal eine Holztafel, wie sie sonst auch dem Aermsten in dieser Landschaft gegönnt ist. So hat nur die Haide selbst das Grab in ihre Hut genommen und es geschmückt, so gut sie gekonnt: auf dem Hügel blühen ihre armen duftlosen Blumen und ringsumher wächst dicht der Wachholder und der wilde Flieder. Heute findet wohl selbst das schärfste Aug' nicht mehr die Spur, daß hier einst Menschenhände den Boden aufgewühlt und einen Todten darin gebettet. Und doch sind es kaum achtzehn Jahre her! Am 5. September 1870, drei Tage nach Sedan, haben sie hier, ein Häuflein Offiziere, Russen und Oesterreicher, den »deutschen Teufel« heimlich bestattet.

Heimlich – im Morgengrauen – ohne Priester und Gebet, ganz wie er es selbst gewünscht. Das Gericht wurde dann hinterdrein verständigt, zunächst brauchte es nicht bemüht zu werden – war doch alles in Ehren abgelaufen! »In Ehren! in Ehren!« – so wiederholte wenigstens der dicke Rittmeister Stroganow von den Smolensk-Dragonern wohl ein Dutzendmale, weil ihm die sonstige Rede, die er hatte halten wollen, entfallen war. »In Ehren!« rief auch der junge Graf Wolkenstein von den österreichischen Trani-Ulanen und heftete dabei seine blitzenden Augen fest auf den blassen, eleganten Offizier, der am Fußende des Grabes stand. Das waren Seine Durchlaucht der Fürst Sergei Wassilewitsch Palusew, Oberst in der Petersburger Garde, Liebling des Zaren, Besitzer von Millionen. Ein reicher, kostbarer Pelz hing ihm um die Schultern, aber es fror ihn doch in der kalten Morgenluft, denn er war bleich, sehr bleich, und zuweilen überflog seinen Körper ein leises Zittern. Er schaute nicht auf, er sah den feindseligen Blick des Grafen nicht, er starrte unverwandt auf den Holzsarg in der Grube. Und dabei hörte er unablässig, so sehr er sich dagegen sträubte, eine leise Stimme in seinen Ohren: »Du hast dich vor ihm gefürchtet, wie ein Bube vor einem Manne. Deine Kugel hat ihm das Herz durchbohrt, aber wäre es umgekehrt gekommen, dann wäre der schlechtere Mann gefallen!«

Es war ein Duell gewesen; ein regelrechtes Duell mit ernster Veranlassung und geordnetem Verlaufe. Aber nur die aufgeklärten Leute in Ostgalizien und den angrenzenden russischen Gouvernements glaubten daran, daß ein irdischer Gegner den »deutschen Teufel« in's Herz getroffen. Und es gibt dort nicht viele aufgeklärte Leute. Die Bauern und die Bürger schüttelten den Kopf und bekreuzten sich, die Juden bekreuzten sich nicht, aber sie murmelten scheu jenen Spruch, der die »Unheimlichen« abwehrt, die Kräfte, die nicht von Gott sind und doch auf Erden wirken. Welches Ende der Greis genommen, darüber dachten sie freilich verschieden, wenigstens in den ersten Monaten, da sie ihn nicht mehr sahen. Nur so viel wußten sie: eine Kugel konnte es nicht gewesen sein – lächerlich das! der Mann war ja hieb-, stich- und kugelfest gewesen, gefeit gegen alle Kräfte der Natur und der Menschen, keinem Ermüden, keinem Siechthum, keinem Altern unterworfen. Nun also meinten die einen: er war ein Teufel, sein Herr, der Oberteufel, hat ihn geholt – das ist alles. Anderen, der Mehrzahl, lag der Fall nicht so einfach: wer immer er war, er hatte ja auch Gutes gethan, Werke der Menschenliebe und des Erbarmens – das hätte er ja als Teufel schlechtweg nicht thun können und wollen! Wenn er aber kein Teufel gewesen und auch sicherlich kein Engel, weil er lästerlich fluchte, geschmuggelten Tabak rauchte und überaus viel trank, was sonst? Die Leute grübelten lange nach und stritten viel darüber, die Bauern am Sonntag in den Schnapsstuben, die Juden am Sonnabend in den Vorhallen der Synagogen. Wenn sich die öffentliche Meinung eines Landes so viel mit einer Angelegenheit beschäftigt, dann muß allmählig eine Klärung der Meinungen Platz greifen und die richtige Ueberzeugung zum Durchbruch kommen. Seit vielen Jahren wissen die Leute in Podolien, dies- und jenseits des Grenzflüßchens Podhorze, welches auf der Karte so grell durch die bunten Linien der beiden Kaiserreiche hervorgehoben erscheint, als schiede es zwei Welten, in der That aber ein unansehnliches Haidesflüßchen ist, rechts und links dieselbe armselige Ebene und dasselbe Düster über den Seelen der Menschen – jetzt, sag' ich, wissen die Leute, wie es mit dem »deutschen Teufel« stand – ganz genau wissen sie es. Er war auch nur ein Mensch, sogar ein guter wackerer Mensch, aber er hat leider in seiner Jugend einen Pakt mit dem Teufel gemacht: »Du gibst mir Riesenstärke, Allgegenwart und Geld – ich dir meine Seele. Ich darf auf Erden thun, was ich will, auch Gutes – und wenn meine Zeit um ist, so darfst du mich zur Hölle holen!« Das sind aber nur die Grundzüge dieses Vertrages; manche Bauern setzen ihn so genau auseinander, wie wenn sie als erbetene Gerichtszeugen ihre Kreuzlein als Namensunterschrift darunter gemalt hätten. »Nun, da hat ihn eben der Teufel geholt!« schließen sie. »Es ist ewig schade, aber der alte Herr hätte es sich früher überlegen sollen!« Daneben gibt es aber auch Leute, die ihn wieder gesehen haben: in dunkler Nacht am Kreuzweg, das greise, düstere Haupt stolz erhoben, die kurze Pfeife im Munde, dasselbe Reitergewand und derselbe Schimmel, ganz wie im Leben, aber aus den Nüstern des Schimmels brach schwefliges Feuer – es war ein Höllenroß . . .

In einem Menschenalter wird er nur noch in dieser Gestalt fortleben und man wird vergessen, daß er einst wirklich auf Erden gewesen. Und dann, nach hundert Jahren, kommt irgend ein Forscher, der die Sage aufzeichnet, und irgend ein Gelehrter, der sie deutet: »Die merkwürdige Sage vom »deutschen Teufel«, die sich im podolischen Landvolke findet, läßt sich schwer erklären. Es ist dies ein Gespenst in Menschengestalt, welches in Sturmnächten auf feurigem Roß über die Erde dahinbraust. Das Einfachste wäre wohl, darin eine Personifikation des Blitzes zu erblicken, worauf auch der Glaube hindeutet, daß der »deutsche Teufel« oft jählings den Bösen und Ungerechten vernichtet, weil ebendasselbe in jenem Gau auch vom Blitze erzählt wird. Aber woher der Name? Ich für mein Theil bin überzeugt, daß die Gothen bei ihrem Durchzug durch die Karpathenländer den Eingeborenen auch Einiges von ihrem Götterglauben mitgetheilt. So ist denn wohl der »deutsche Teufel« der Podolier kein Geringerer als der altgermanische »Thor«, und der Name deutet auf die längst verschüttete nationale Quelle dieses Volksglaubens. Ich unterbreite die Hypothese dem Urtheile meiner Herrn Fachkollegen« . . . Und sie werden des Weiten und Breiten darüber sprechen, die Herren Fachkollegen; sie haben sich in solchen Dingen selten vergeblich bitten lassen . . .

Du armer Fürstensohn vom Rhein! – ich fürchte, du wirst in gar sonderbarer Weise unsterblich werden: durch die vergleichende Mythologie . . . Ob dir dies nicht in anderer Art möglich gewesen wäre, vielleicht sogar in der Geschichte deines eigenen Volkes? – Wer wüßte das zu entscheiden! Aber wenn man erwägt, wie du einst gewesen, gut und stolz, stark und thatkräftig; wenn man erwägt, wie du als Jüngling gewesen . . .

Doch davon später! Hier muß ja zunächst berichtet werden, wie der Mann zu solcher Rolle im Volksglauben gekommen. Denn wohl liegen die Nebel des Aberglaubens über jenen Menschen so dicht und düster, wie der graue Haiderauch im Herbste über ihrer Ebene liegt, aber selbst auf diese rohen Gemüther mußten besondere Gründe eingewirkt haben, ehe sie dazu kamen, in diesem alten kaiserlich-königlichen Reiterobersten des Ruhestandes einen Dämon zu erblicken.

In der That, es waren besondere Gründe. Nur das Augenfällige sei zunächst hervorgehoben: die Gestalt, die Lebensweise und die Art, wie er mit den anderen um ihn her Verkehr gepflogen.

Abenteuerlich, phantastisch war schon seine äußere Erscheinung, sein An- und Aufzug. Die Natur hatte ihm Riesenkraft und Riesengröße gegeben, weithin überragte er die Eingeborenen, welche kaum mittleren Schlages sind, gleich allen Slaven der Ebene. Wie ein Hecht unter Häringen bewegte er sich in ihrem Kreise; nicht bloß hoch, sondern auch von stattlicher Breite; die Glieder gigantisch, die Hände hart und rauh, wenn auch auffallend klein und wohlgebildet. Das war das Einzige, was auf seine vornehme Abkunft deutete, die Züge waren nicht »aristokratisch«, mindestens nicht im üblichen Sinne des Worts, sofern man eben dadurch nur Feinheit, Glätte oder Hochmuth zu bezeichnen beliebt. Aber in seiner ursprünglichen Bedeutung genommen, könnte kein anderes Wort dies Haupt und Antlitz schärfer charakterisiren; das waren wirklich die Züge eines Herrschenden, der kraft seiner Eigenart gebot, nur eben deßhalb, weil er stärker an Leib und Willen war als die Uebrigen. Gleichgültig und unbewegt mag wohl kein Mensch geblieben sein, wenn er in dieses Mannes Antlitz geschaut, besonders in den späteren Jahren, als Zeit, Klima und Leidenschaft es immer herber geprägt. So herb und scharf, daß fast alle Leute denselben Eindruck davon empfingen; nur daß sie dann freilich, jeder in seiner Art, verschiedene Worte und Bilder brauchten, um ihn zu schildern. »Wie ein Löwe,« hörte man häufig in den Synagogen; nicht etwa deßhalb, weil sich unter den polnischen Juden zahlreiche Löwenjäger oder auch nur Menagerie-Besucher finden, sondern weil der Talmud dies Thier so oft als Sinnbild der Wildheit und Stärke nennt. »Wie Gott Vater«, sagten die Bauern und dachten dabei an die Bilder in ihren Dorfkirchen, wo Jehova als ein alter, hoher, wohlbeleibter Herr mit langem weißem Bart und Haar abgebildet ist, rothbackig, aber mit finsterem Blick und gewöhnlich einen russischen Kantschu in der Faust, mit dem er einen nackten Jüngling bearbeitet. Denn die Kunst soll moralisch wirken und darum findet sich in jeder Kirche die Austreibung Adams aus dem Paradiese. »Wie Gott Vater« – dieser Vergleich paßt schon besser, aber das bezeichnendste Wort hat mir einmal mein Freund Iwon Megega, der Dorfrichter von Biala, gesagt: »Er hat ausgesehen, wie Gott Vater, wenn sich dieser als Hajdamak sein Brod auf Erden hätte verdienen müssen.« Nun bezeichnet »Hajdamak« einen Auswürfling der Ebene, der sich rastlos in den Bergen herumtreibt und sein Brot erwirbt, wie er kann, kurz nicht viel Besseres als einen wilden Strolch. So unerhört nach dieser Erläuterung der Ausspruch des guten Iwon klingen mag – er gibt den Eindruck dieser Züge annähernd wieder, denn in ihnen waren zwei ungeheure Gegensätze vereint: Ehrwürdigkeit und unheimliche Wildheit. Ganz verwischten sie sich nie; im Lächeln blieb die Wildheit im Zorn die Ehrwürdigkeit auf diesem stolzen Antlitz. Ich sage dies aus eigener Kenntniß, obwohl ich den »deutschen Teufel« nur zweimal gesehen, und zuerst in einer Lage, welche schlecht zu ruhiger Betrachtung taugte.

Das war in meiner Knabenzeit, an einem glühheißen Augusttag, unweit des Städtchens Barnow und am Ufer des Sered. Es ist dies ein stilles, träges Flüßchen, welches seine Wogen langsam von Nord gegen Süd wälzt, aus dem Brodyer Haidelande dem Dniester zu; ein melancholisches Gewässer, welches trefflich zu dieser Landschaft paßt und zu ihren Bewohnern. Rasch und lustig ist es nicht einmal in seiner Kindheit: langsam rinnen die Wasser aus einem tiefen Weiher hervor und wallen in breitem Bette so langsam, daß das Auge die Strömung kaum gewahren kann; in dieser Landschaft scheint Alles stille zu stehn, sogar der Fluß. Ganz ohne Reiz ist übrigens der Sered nicht; wer seinen Lauf von einem der niedrigen Hügel überschaut, wird die weit ausgegossenen Wogen, an beiden Ufern von breiten Bändern gelber und weißer Sumpfblumen umsäumt, vielleicht sogar schön finden, aber diese Schönheit ist manchem gefährlich geworden – ich sollt' es an jenem Tage mit ansehen. Da gingen wir, einige sieben- bis achtjährige Knaben, mit unserem Lehrer den Fluß entlang und prügelten uns unaufhörlich; der Mann, ein Handschuhmachergeselle aus Sachsen, der auf seiner Wanderschaft nach Barnow gekommen und dort in Ermangelung stärkerer Träger deutscher Kultur ein Jugendbildner geworden, nannte dies »Anschauungsunterricht im Freien« und pflegte sich zu solchen Gängen so ausgiebig zu stärken, daß er alle Schönheit doppelt sah. Der besondere Schutzengel, der über Kindern und Betrunkenen wacht, hatte bisher uns alle während dieser kuriosen Lehrstunden vor dem gefährlichen Ufer bewahrt, diesmal aber gerieth ein schöner blondlockiger Junge plötzlich in den Sumpf hinein, aus Uebermuth oder um eine der großen dunkelgelben Blüten zu brechen; als wir ihn gewahrten, war er schon mitten darin und schnellte, da ihn der Boden nicht trug, das leichte geschmeidige Körperchen an den Weiden immer weiter dem Wasserspiegel zu. Da aber, etwa fünfzig Schritte vom Festland, zehn von dem Flusse, blieb er stecken und begann vor unseren Augen langsam zu sinken. Wir erhoben allesammt ein furchtbares Jammergeschrei, am lautesten schrie unser plötzlich nüchtern gewordener Mentor; wie aber zu helfen sei, wußten wir allesammt nicht. Die Sache lag verzweifelt; schon war das arme Kind so tief gesunken, daß wir kaum noch das Blondhaar zwischen den Gräsern hervorschimmern sahen, da erhob sich plötzlich auf der lichten röthlichen Haide am gegenüberliegenden Ufer ein dunkler Schatten und kam näher und näher; unser Lehrer gewahrte ihn zuerst und schrie durchdringend auf; es war ein Reiter auf weißem Roß . . . Was nun folgte, währte vielleicht nicht dreimal so lang, als ich brauche, es zu erzählen. Der Reiter hält am Ufer drüben, hält die Hand vor die Augen, wie um besser zu sehen; dann winkt er uns zu, wendet sein Pferd und fliegt wie der Wind den Fluß empor, das Ufer entlang, bis zu einer Stelle, wo das Sumpfland schmal ist. Dort nimmt er einen Anlauf und sprengt in einem ungeheuren Satz in's Flußbett hinein; das Pferd überschlägt sich und wirft ihn ab, er taucht empor, faßt die Zügel und schwimmt neben ihm her, immer näher an uns heran. Endlich ist er an der Stelle, wo der arme Knabe sich im Schlamme abmüht, kriecht glatt auf dem Bauche dicht an ihn heran, umspannt ihn, reißt ihn empor, legt sich das Kind flach auf den Rücken und kriecht wieder, wie ein Krebs, rücklings bis ans Wasser heran. Hier nimmt er den Knaben auf den Arm, schwingt sich aufs Pferd und läßt sich von dem halb schwimmenden, halb schreitenden Thier den Fluß hinabtragen. Wir laufen ihm nach, in derselben Richtung, dem Städtchen zu. Am Schwimmbade, wo der Schlamm ausgehoben ist, gewinnt er das Ufer wieder und kommt uns entgegen. Ein furchtbarer Anblick – Roß und Reiter von Schmutz starrend, der mächtige Weißbart an's Gewand geklebt, aber ich sehe alles wie durch einen Schleier, nur eines glaube ich noch heute zu fühlen – den Zornblick der blauen Augen, wie er sich auf uns und namentlich auf unseren käsebleichen Mentor richtet. Er reicht ihm den Knaben herunter, der nun erst laut zu heulen anfängt. »Wir sprechen uns morgen,« sagt er dem Lehrer, wirft das Pferd herum und verschwindet in der Haide.

Am nächsten Morgen fehlte nicht bloß der blonde Wladyk, den zum Glück nur ein gewaltiger Schnupfen abhielt, sondern auch unser Lehrer im Schulzimmer. Der Fürst hatte sein Versprechen wahr gemacht und mit ihm gesprochen. Von seinem Rettungswerke hinweg war er, schlammbedeckt und bis auf die Haut durchnäßt, nach Tluste geritten, hatte sich dort in seinem Absteigquartier umgekleidet, war zum Abendessen an der Offizierstafel in Jagielnica erschienen, hatte die Nacht über mit den Herren »Färbel« – ein aufregendes Hazardspiel – gespielt, war aber, ganz gegen seine Gewohnheit, schon um vier Uhr Morgens vom grünen Tisch aufgestanden: er habe in Barnow ein Geschäft. Dort kam er nach fünf Uhr an, weckte unseren Sachsen aus dem Morgenschlummer und lud ihn zu einem Spaziergang am Sered ein. Als sich der erschreckte Mann weigerte, zwang er ihn mit vorgehaltener Pistole, sich sogleich anzukleiden und mit ihm zu gehen. So passirte das seltsame Paar die noch unbelebten Straßen der Stadt, voran der an allen Gliedern zitternde Schulmeister, hinter ihm der »deutsche Teufel«, den Finger am Drücker der Pistole. Als sie an jene Stelle kamen, wo sich tags zuvor die schreckensvolle Scene abgespielt, sagte der Fürst mit sehr ruhiger, aber auch sehr entschiedener Stimme: »Herr Schullehrer, holen Sie mir die gelbe Blume da!« Er deutete auf eine Blüthe, die etwa zehn Schritte vom festen Boden ab wuchs. »Erbarmen!« flehte der Sachse, »dort versinke ich ja!« – Der Fürst hob zur Antwort nur die Pistole, bis der geängstigte Mann in den Sumpf hineinwatete und die Blume brach. Zurück konnte er nicht, das Moor hielt ihn fest. In dieser Lage beließ ihn der Fürst einige Minuten, bis er an die Kniee eingesunken war, dann half er ihm selbst wieder heraus. »So –,« sagte er zu dem halb ohnmächtigen Menschen, der an allen Gliedern zitterte, »das war mein ›Anschauungsunterricht im Freien‹.«

Zum zweiten und letzten Male habe ich den »deutschen Teufel« neun Jahre später wieder gesehen, im Juli 1865. Ich fuhr zum Besuche eines Kollegen mit einigen Freunden in einem Lohnwägelchen die staubige Heerstraße dahin, welche aus dem podolischen Tiefland gegen Tarnopol führt. In einem Dörfchen am Wege – Bossowka, wenn mich mein Gedächtniß nicht täuscht – herrschte sichtlich große Bewegung; um die Dorflinde vor der Schenke standen heftig gestikulirende Gruppen; aus den Hütten, bei denen wir vorbeifuhren, traten Männer und Weiber den Weg zum gleichen Ziele an. »Was gibt's im Dorfe?« fragten wir. Ein eisgraues Männchen trat an den Schlag heran und winkte uns vergnüglich zu. »Unsern Pfarrer wird heute der Teufel holen!« sagte er behaglich. »Das gibt's!« Mit der Blumensprache des Ostens vertraut, deuteten wir dies dahin, daß der Pfarrer von Bossowka unbeliebt sei und auf dem Sterbebett liege. Im Marktflecken Trembowla aber, wo wir eine Stunde später zur Mittagsrast eintrafen, erfuhren wir den Sachverhalt. Im Hofe des Wirthshauses führte ein Reitknecht einen prächtigen Schimmelhengst auf und nieder. »Das ist das Pferd des »deutschen Teufels«,« flüsterte uns der Wirth zu, »er hat es sich telegraphisch aus Skalat herbestellt, damit er schneller nach Bossowka kommt, wohin ihn die Bauern gegen ihren Pfarrer berufen haben. Seit fünf Tagen liegt dort ein Todter auf der Bahre und der Pfarrer will ihn nicht begraben, weil er mit der Gemeinde über seine Gebühren im Prozeß liegt.« – »Warum wenden sich die Leute nicht an den Bezirkshauptmann?« – »Wer wird,« erwiderte der Jude überlegen, »den Bezirkshauptmann rufen, wenn er ihn rufen kann?« Wenige Minuten später kam der Gewaltige herangebraust wie ein Sturmwind, er hielt vor dem Hause, das Pferd, von dem er abstieg, war schaumbedeckt. Ich könnte sein Antlitz zeichnen, so klar steht es vor mir: das kahle Haupt, die mächtige tiefgefurchte Stirne, Backenknochen und Kinn wuchtig vorspringend, die Nase kühn und frei geschwungen, der weiße Bart in zwei Wellen bis an den Gürtel herabfluthend. Wahrlich, »wie Gott Vater« – und doch mußte ich an Iwons Wort vom Hajdamaken denken. Das bewirkten diese stahlblauen, durchdringend blickenden und doch unstäten Augen und das fortwährende Zucken in den Zügen; auch die Kleidung wirkte befremdend: Stulpenstiefel, Lederhose, ein braunes, abgetragenes Tuchwams mit breitem Ledergurt, an dem eine Pistolentasche hing, auf dem Haupte eine Tuchmütze. »Wein!« rief er dem Wirt zu, reckte die Glieder und bestieg das bereitgehaltene Pferd. Regungslos stand es unter der gewohnten Last; unheimlich aber war die Unruhe des Reiters; die Stirn furchte und entfurchte sich, die Lippen preßten sich aufeinander und öffneten sich wieder, die Augen aber blickten wild und groß umher und starrten dann wieder fast gläsern, wie gebrochen unter den matt herabhängenden Lidern. Hier glimmt ein Feuer, empfand jeder, Gnade dem, gegen den es aufloht. Der Wirth brachte die entkorkte Flasche und ein Glas; der Fürst griff nur nach der Flasche, leerte sie in einigen mächtigen Zügen fast bis zum Grund und schmetterte sie auf die Steinfließen des Hofes, daß sie zerschellte. Dann warf er dem Wirth die Bezahlung zu und stürmte davon. Wir sahen ihm bange nach – wie einem Blitzstrahl, der treffen muß . . .

In der That hat er an jenem Tage furchtbares Gericht gehalten; es wird in Podolien noch lange unvergessen bleiben. Er reitet in Bossowka ein, von den Bauern mit betäubendem Urrahah empfangen. »Ist das Grab bereit?« fragt er. – »Längst!« – »Dann grabet sofort ein zweites, dicht daneben!« – »Herr, wir haben nur einen Todten.« – »Thut, wie ich befehle!« – Dann reitet er zum Pfarrer, der erschreckte Mann weigert sich nicht, legt sein Ornat an, segnet die Leiche im Hause ein und begleitet sie zum Friedhof; es ist ein seltsamer Leichenzug; hinter dem Sarge reitet der Fürst, die Pistole in der Hand, ihm nach drängen die wild erregten Bauern. Nachdem die Ceremonie auf dem Friedhof beendet, der Grabhügel geschichtet ist, wendet sich der Fürst zum Pfarrer. »Hochwürdiger Herr, Sie sind, Ihre Weihen in Ehren, ein Lumpenhund. Sie haben Ihren Prozeß mit der Gemeinde durch eine Erpressung gewinnen wollen. Sie haben sich geweigert, den Todten zu begraben, ich will es mit dem Lebenden thun. Sie werden jetzt in das andere Grab hier gelegt werden, ob es zugeschaufelt wird oder nicht, hat die Gemeinde zu entscheiden.« Der Pfarrer wirft sich ihm zu Füßen; sein Flehen ist vergeblich; die Bauern werfen ihn auf des Fürsten Befehl in die Grube. Nun eröffnet der Fürst die Verhandlung – es wird dafür und dagegen gesprochen; nach einer halben Stunde entscheidet der Fürst: »Wir schenken ihm das Leben«, und läßt den Unglückseligen, der vor Todesangst fast wahnsinnig geworden, wieder hervorholen.

Als dies im Lande ruchbar wurde, meinten viele, daß nun die Gerichte doch gegen den »deutschen Teufel« einschreiten würden. Sie thaten es auch diesmal nicht, ebensowenig wie in anderen, sehr grellen Fällen. Wo kein Kläger, dachten sie wohl, ist kein Richter, und eine Klage ist meines Wissens gegen den gewaltthätigen Mann niemals eingelaufen, sicherlich nur deßhalb, weil er nicht bloß Furcht, sondern auch Ehrfurcht einflößte, Ehrfurcht vor dem gesunden, nie trügenden Gerechtigkeitsgefühl, mit dem er seines freigewählten Amtes als Volksrichter waltete. Seine Handlungen waren immer eigenmächtig, fast immer brutal, nicht selten grotesk, ja ungeheuerlich, aber niemals ungerecht, obwohl Verschulden und Strafe zuweilen in argem Mißverhältniß standen. »Womit du gesündiget, damit sollst du gestraft werden« – dies war, wie wir an unserem durstigen Kulturträger und dem habgierigen Pfarrer gesehen, sein leitender Gedanke, und ähnliche Rechtssprüche hat er zu Dutzenden gefällt und selbst vollstreckt.

Da lebte im Kolomeaer Kreise ein knickeriger und hartherziger Gutsbesitzer, der seinen Bauern, obwohl ihm nach Aufhebung der Dominial-Gerichtsbarkeit jedes Recht dazu fehlte, dennoch, seinen vormärzlichen Gepflogenheiten gemäß, bei dem geringsten Verschulden eine bestimmte Anzahl Stockstreiche versetzen ließ. Eines Tages läßt sich der »deutsche Teufel« bei ihm für den nächsten Sonntag zum Mittagessen anmelden; das wundert den Mann, da er den Fürsten nur flüchtig kennt, wurmt ihn auch, weil er seinen Ungarwein kaum sich selbst gönnt, geschweige denn anderen; doch zwingt er sich zu einer guten Miene und lädt obendrein noch einige Nachbarn ein, um des Alleinseins mit dem nicht immer behaglichen Gaste überhoben zu sein. Die Herren erscheinen; zuletzt reitet auch der Fürst ein, diesmal in seiner Galauniform als Dragoneroberst und von zwei Reitknechten begleitet. Das Mahl verläuft sehr heiter, nur der Hausherr fühlt sich bei den vielen Toasten des Fürsten etwas unbehaglich, da dieser ihn rastlos, in immer neuen Wendungen, als »Vater seiner Unterthanen« feiert, wobei die anderen Herren ironisch zustimmen. Nach dem schwarzen Kaffee wünscht der Fürst die »berühmte Bank« zu sehen, wo die Bauern gehauen würden. Der Hausherr weigert sich, muß aber, da die andern Gäste beistimmen und der Fürst immer dringlicher wird, die Gesellschaft in die Scheune führen, wo auf sein Geheiß schon so viele Hiebe verabreicht worden, gewöhnlich in der altehrwürdigen k. k. Militärzahl – fünfundzwanzig. Da steht die Bank mit den Ledergurten zur Festhaltung des Körpers, auch die Haselstöcke liegen bereit. »Das müssen wir probiren,« sagt der Fürst, winkt seinen Reitknechten, läßt den Gutsbesitzer festschnallen und ihm auf seiner eigenen Bank ›fünfundzwanzig‹ aufmessen, während die anderen Gäste sich entfernen oder doch nichts zur Rettung des Hausherrn zu thun wagen. Der Mann hat von jenem Tage ab die »berühmte Bank« nie wieder benutzt. Nicht ebenso drastisch, aber gleich empfindlich strafte der Fürst eine Dame des Zloczower Kreises für ihren Adelshochmut. Baronin Sz. hatte einem trefflichen und begüterten Manne die Hand ihrer Tochter trotz der innigen Herzensneigung des jungen Paars blos deshalb verweigert, weil er bürgerlich war, obwohl ihr eigener Vater nur eben ein reich gewordener armenischer Schweinehändler gewesen. Der »deutsche Teufel«, der den jungen Mann kannte und schätzte, beschloß, sich ins Mittel zu legen. Von da ab konnte die Baronin keine Gesellschaft besuchen, ohne durch eine überlaut vorgetragene Lobrede auf ihren verstorbenen Vater erfreut zu werden – »diesen großartigsten Schweinehändler der Erde.« Daneben erfreute er sie durch kleine, sinnige Geschenke: einen Fächer aus Borstenhaar, eine Bonbonière, auf deren Seidendeckel zwei fröhliche Mastschweine das freiherrliche Wappen hielten, endlich durch eine Schminkquaste in Form eines Ferkelschwänzchens. Der Baronin blieb nur übrig, fortab wie eine Einsiedlerin zu leben oder nachzugeben; sie wählte das letztere. Bei der Hochzeit aber erschien der Fürst nicht, obwohl er geladen war und den Bräutigam wie einen Sohn liebte, wie denn überhaupt Feingefühl und Brutalität in ihm ganz seltsam vereinigt erschienen. Als zum Beispiel zwei seiner Reitknechte einen alten jüdischen Hausirer, den sie auf der Heerstraße trafen, durch Drohungen zwangen, eine Wurst zu verschlingen, bestrafte sie der Fürst, als er dies erfuhr, nicht allein durch ganz furchtbare Prügel, sondern machte auch dem alten Manne in voller Uniform und mit all seinen Orden geschmückt einen Entschuldigungsbesuch. »Vielleicht,« sagte er ihm, »fühlen Sie sich in Ihrem Gewissen bedrückt, weil Ihre Furcht vor den beiden Halunken größer war als jene vor den Vorschriften Ihrer Weisen; kann ich nach dieser Richtung etwas für Sie thun?« Der Greis, der der Schwärmersecte der Chassidim angehörte, erwiederte, er wünsche zu seiner Entsühnung zum Wunderrabi von Belz zu wallfahrten, worauf der Fürst zwar bemerkte: »Gestatten Sie mir den Ausdruck des Bedauerns, daß Sie ein so abergläubischer alter Esel sind und das Geld nicht lieber einem wahrhaft frommen Zwecke zuwenden,« aber dafür Sorge traf, daß die Wallfahrt auf seine Kosten erfolgte; sogar das Geschenk für den Rabbi bezahlte er selbst. Er kannte kein Vorurtheil des Glaubens und Standes; niemand war ihm zu gering, um sich mit ihm, wenn es die Gelegenheit fügte, stundenlang zu unterhalten, freilich auch niemand, um sich an ihm, wie er es ausdrückte, »nützlich zu machen.« Er konnte einen mehrstündigen Ritt machen, nur um einen Bauer, welcher sein Weib in einer Art mißhandelt, welche selbst das im Osten übliche Maß von ehelicher Zärtlichkeit überstieg, eigenhändig zu züchtigen, und als einst eine Zigeunerbande in einem Grenzdorfe bei Hussiatyn arge Diebstähle und schließlich sogar eine Brandlegung verübt und dann nach Rußland geflüchtet war, da bot er, obwohl an der Sache gänzlich unbetheiligt, seine Knechte auf, brach über die Grenze, nahm die Bande tief in Wolhynien gefangen und lieferte sie an das nächste österreichische Bezirksgericht ab. Allerdings stand ihm auch niemand für diese Thätigkeit zu hoch, und ein solcher Fall war's auch, der seiner militärischen Laufbahn in verhältnißmäßig jungen Jahren ein Ende machte. In dem Regimente, welches er kommandirte, diente als Lieutenant der Sprößling eines der ältesten und reichsten Adelsgeschlechter der Monarchie, dessen Oheim zudem damals einer der mächtigsten Männer in Oesterreich war. Der junge Mensch vergaß sich aus gekränkter Eitelkeit so weit, ein braves Mädchen des Bürgerstandes, welches seine galanten Anträge zurückgewiesen hatte, zu verleumden. Der Fürst zwang ihn nicht bloß zur Abbitte, sondern berichtete auch nach Wien, man möge den jungen Mann entfernen; »solche Kerls kann ich in meinem Regiment nicht brauchen.« Der Oheim des jungen Mannes ließ sich herbei, dem Fürsten einen begütigenden Brief zu schreiben, den dieser sehr höflich, aber mit der kategorischen Wiederholung seines Ersuchens beantwortete. Der Lieutenant wurde versetzt, aber der Fürst kurz darauf pensionirt.

Das war im Jahr 1853 – von da ab bis zu seinem Tode, also durch siebzehn Jahre hat der Mann jenes Leben geführt, welches auf civilisirtem Boden ganz undenkbar wäre, aber selbst in jener Landschaft mit ihren wenig geordneten Zuständen, ihrem Ueberfluß an abenteuerlichen und sonderbaren Menschen als ein unerhörter Ausnahmefall dasteht. Daß er überhaupt irgendwo ein bleibendes Heim hatte, wußten die wenigsten, in der That machte er von demselben sehr geringen Gebrauch. Unmittelbar nach seiner Pensionirung hatte er ein kleines Anwesen bei Buczacz gekauft und dort ein kleines Häuschen mit einem großen Stall erbaut, den letzteren als Pflegestätte für seine Pferde, deren er etwa ein halbes Hundert besaß, sämmtlich edelstes Vollblut. Hierher wurden die Rosse geschafft, die er halb zu Schanden geritten, um wieder herausgefüttert zu werden, hier genoß sein »pensionirtes Viehzeug«, wie er es nannte, sein Gnadenbrod, und zwar ein wahrhaft fürstlich bemessenes – weiß Gott, es haben's die meisten Menschen in Podolien am Festtag nicht so gut, wie es die Pferde des »deutschen Teufels« alle Tage hatten. Aber in dies Heim kam er nur, um das »Viehzeug« zu besuchen oder sich aus der großen Truhe österreichische Gulden oder russische Rubel zu holen, dann zog er wieder kreuz und quer, zweck- und ziellos durch das weite Gebiet, welches er sich als Wohnstätte erkoren und in dem er buchstäblich von jedermann gekannt war, während er Tausende und aber Tausende kannte: das östliche Galizien südwärts von Lemberg, die nördliche Bukowina und einen breiten Saum der russischen Grenzgouvernements. Nach Lemberg kam er nicht, weil ihm die große Stadt unangenehm war, in die Berge nicht, well er stets nur seine eigenen Pferde ritt, die auf den Saumpfaden schlecht vorwärts gekonnt hätten, und die südliche Bukowina vermied er, weil er das Rumänische nicht verstand und sich nur da wohlfühlte, wo er mit Jedermann sprechen konnte – aber sein Wohnraum war deßhalb wahrlich noch weit genug. Auf dieses Gebiet hatte er seine Absteigequartiere verteilt, deren er zeitweilig bis zu zwanzig hatte, alle ganz gleich eingerichtet. Ein Stall, in dem zwei Pferde standen, eine Kammer für den dort stationirenden Reitknecht, die er stets aus alten österreichischen Kavalleristen rekrutirte, endlich ein Zimmerchen für ihn selbst, in welchem neben Feldbett und Waschtisch nur ein Schrank und eine Truhe stand – das war alles. In dem Schrank hing neben der Oberstenuniform jener sonderbare Anzug, in dem wir ihn gesehen; in der Truhe lag eine Summe in Banknoten. Seine Geldwirthschaft war überaus einfach; was ihm als Apanage von seinem Geschlechte ausbezahlt wurde oder als Ertrag seiner Güter am Rhein einfloß, wurde dort in österreichisches und russisches Geld umgewechselt und ihm zugesendet; die eine Hälfte kam in die große Truhe bei Buczacz, die andere wurde in die zwanzig kleinen Truhen vertheilt, eine größere Summe trug er zudem immer bei sich. Das Geld in eine Bank zu legen, eine geordnete Verrechnung zu führen, fiel ihm nicht bei. – »Hoho!« pflegte er auf solche Vorschläge zu erwidern, »das mögen die Junker, die Hungerleider thun – mir stünde es nicht gut an. Die Kerls bauen ja sogar Zuckerfabriken, da mögen sie auch mit ihrem Gelde wuchern.« Die »Junker« – er meinte darunter den norddeutschen, insbesondere den altpreußischen Landadel. Daß er trotz solcher Gebahrung nie in ernste Verlegenheit geriet, lag natürlich nur an seinem Reichthum, nicht an seiner Sparsamkeit. Schon seine unstäte Lebensführung, der Troß von Reitern und Rossen verschlang gewaltige Summen; hiezu kam, daß er nie Gastfreundschaft in Anspruch nahm, ohne sie reichlichst zu vergelten; die Diners, die er in den Hotels der Kreisstädte dem Adel, der Beamtenschaft und den Offizieren gab, waren in ihrer Art berühmt; eine Einladung zu erhalten, galt als eine Ehre, sowie auch niemand seinen Besuch anders als eine Auszeichnung auffaßte – der Mann war wild, unberechenbar, eben ein »Teufel«, aber ein Gentleman durch und durch, dazu der Sprößling eines erlauchten, erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts mediatisirten Geschlechts. Er konnte seinen Ahnenstolz schroff herauskehren, wenn er dazu irgendwie gereizt wurde, aber derselbe Mann, der einst einem Erzherzog seine eigene erlauchte Abkunft in geradezu grotesker Weise in Erinnerung gebracht, pflegte in der Gesellschaft demonstrativ jede bürgerliche Dame auszuzeichnen, wenn sie seines Erachtens von seinen Standesgenossen hochmüthig behandelt wurde. Der Verkehr mit Menschen jeglicher Art war ihm Bedürfniß; er hatte einen Heißhunger nach ihnen, und seine verblüffende Vertrautheit mit dem Wesen und den Lebensverhältnissen so unendlich vieler erklärte sich gewiß auch durch sein natürliches Interesse an jedem einzelnen; ein erstaunliches Gedächtniß war ihm dabei hilfreich.

Aber er gebrauchte es nicht bloß zu seinem Vergnügen und um sich an dem und jenem »nützlich zu machen«, ihn zu strafen, wo kein Gericht strafte, zu züchtigen, wo sich kein Kläger fand, sondern auch zu Werken des Wohlthuns: erkannte jeden wahrhaft Bedürftigen und erinnerte sich seiner immer wieder, genau zur rechten Zeit. Derselbe Mensch, welcher einem Schuldigen gegenüber zuweilen eine unheimliche Wildheit und Rohheit bethätigte, konnte dem Unglück so zartfühlend und erbarmungsvoll beistehen, wie dies sonst nur ein edles Frauenherz vermag. Die Familie eines sehr geachteten Anwalts in Tarnopol war nach dem Tode ihres Ernährers in bedrängter Lage zurückgeblieben und konnte von den Zinsen des winzigen Vermögens ihren Hunger nur nothdürftig stillen; gleichwohl wies die Wittwe eine Rente, welche ihr der Fürst anbot, zurück. Einen Tag lang trieb er sich fluchend und wetternd in der Stadt herum, dann kam ihm ein Einfall, der ihm die gute Laune wiedergab. Er bewog einen Kaufmann, der mit dem Verstorbenen befreundet gewesen, sich von der Wittwe ihr kleines Kapital zur Verwaltung übergeben zu lassen, statt der fünf Prozent erhielt sie nun zwanzig, die Differenz zahlte der Fürst. Erst nach dem Tode der würdigen Frau erfuhr man, wie sie von dem »deutschen Teufel« überlistet worden. Er aber, der sich gerade seiner schrecklichen Richterthaten, so jenes Begräbnisses in Bossowka, am lautesten zu rühmen pflegte, sprach davon oder von einer anderen edlen That nie ein Wort und konnte entsetzlich grob werden, wenn ihn jemand pries. Landbekannt war seine Liebe für Kinder; fast in jedem Dorfe hatte er einen Pflegling, der auf seine Kosten herangezogen wurde; Eltern, die ihre Kinder mißhandelten, züchtigte er oft genug zur Vergeltung mit eigener Hand, und ebenso war er der Schrecken aller pflichtvergessenen Lehrer im Lande – unser Sachse war nicht der einzige, der schaudernd des »deutschen Teufels« gedachte . . .

Heute ein brutaler Rächer, morgen ein zartfühlender Wohlthäter, heute einsam durchs Land jagend und in einer elenden Schenke übernachtend, morgen im Treiben der reichsten Gastlichkeit – so ist er volle siebzehn Jahre durchs Land gebraust, recht einer Naturkraft vergleichbar, die ja auch Segen und Zerstörung zugleich bringt, und dem Auge der staunenden Menschen beinahe eben so unverwüstlich erscheinend wie eine solche Kraft. Sein hellblondes Haar färbte sich immer lichter und wurde schließlich weiß, das war aber auch die einzige Veränderung, die man an ihm wahrnahm; sein Auge bewahrte den Glanz, sein Körper die Kraft und Geschmeidigkeit der Jugend; auch sein Herz wollte nicht kälter, sein Sinn nicht zahmer werden; der Siebzigjährige trieb's, wie er es seit Jahrzehnten gethan – jene Kugel des Russen hat einen Mann von unerhörter Lebensfülle gefällt. Auch nach dieser Richtung schien sein Reichthum unerschöpflich; er mochte vergeuden, wieviel er wollte, eine Minderung gewahrte Niemand, wie er selbst sie nicht empfand. Nur in einer Beziehung enthaltsam – er war ein keuscher Mensch und soll seit einem Erlebniß, welches in seine Manneszeit fällt und von dem später berichtet werden soll, nie wieder eines Weibes Lippen berührt haben – war er sonst in allem unmäßig: in den körperlichen Anstrengungen, die er sich auferlegte, im Reiten und Jagen, Fechten und Schwimmen, wie in Speise und Trank. Was er auf einem Sitz vertilgen konnte, ohne auch nur rascher zu athmen als vorher, grenzt ans Unglaubliche; er soll – erzählt man – einmal ein Dutzend Flaschen Champagner geleert haben und dann in dunkler Nacht den schwierigen Weg zu seinem nächsten Absteigequartier allein zurückgeritten sein. Daß er – wie gleichfalls, und zwar von gebildeten Leuten, die ihn genau gekannt, berichtet wird – eine Woche lang des Schlafs habe entbehren können, ist sicherlich Uebertreibung, aber auch darin war er gewiß nicht denselben körperlichen Gesetzen unterworfen wie wir anderen. Einen tagelangen Ritt zu machen, die Nacht zechend zu verbringen und am nächsten Tage irgend einem Zwecke nachzuziehen, welcher die volle Kraft erforderte, war ihm in jenen Zeiten, wo er, wie er sich ausdrückte, viel »Arbeit« hatte, sogar die Regel – die Tage gehörten nun einmal der »Arbeit«, dem Richten und Wohlthun, zur Erholung blieb ihm nur die Nacht. Ein leidenschaftlicher Spieler war er gerade nicht, weil ihm Gewinn und Verlust grenzenlos gleichgültig waren und seine Nerven nicht dieser Aufstachelung bedurften, doch schloß er sich nie aus, wie er sich denn überhaupt gern in der Anderen Art schickte, soweit es sein Wesen zuließ. Nur wo es sich um eine »Arbeit« handelte, durfte man ihm nicht hindernd oder auch nur mahnend in den Weg treten, aber da dies ohnehin Niemand wagte, so ging er in jenem Abschnitt seines Lebens, von dem ich hier erzähle, fast ohne Händel mit Gleichgestellten durchs Leben. Die wenigen Duelle aber, die er hatte und die sämmtlich auf dieselbe Veranlassung zurückzuführen waren, deren später gedacht werden soll, endeten für ihn glücklich, wie er aus jeder anderen Lebensgefahr, in die er sich stürzte, heil hervorging.

Wer all dies zusammenfaßt, wird begreiflich finden, daß dieser Mensch allmählig dem abergläubigen Blick als Dämon erscheinen konnte, ja mußte. Was aber die geklärteren, die gebildeten Menschen betrifft, mit denen er verkehrte, so war ihre Ansicht über ihn eine sehr verschiedene. Die Einen staunten ihn nur gedankenlos an, Andere fürchteten ihn und suchten sich diesen Druck von der Seele hinter seinem Rücken durch Spott hinwegzulächeln, was ihnen freilich schlecht gelang; wieder Andere, die Besten, wandelte oft ein Gefühl des Mitleids an oder doch ein aufrichtiges Bedauern über die Verzettelung so reicher Gaben. Diese Wenigen mochten vielleicht auch zuweilen darüber grübeln, wie er so geworden, hatte werden können – im allgemeinen aber ist die Lösung seelischer Räthsel gerade keine Lieblingsaufgabe polnischer Edelleute und österreichischer Kavallerie-Offiziere. Bezeichnend jedoch ist, daß nur eben Neulinge den Fürsten kurzweg für »verrückt« erklärten; wer ihn sprechen, sein Wesen beobachten, seine Thaten prüfen konnte, mochte ihn immerhin für unerhört excentrisch halten, aber an seinem gesunden Verstande zweifelte er sicherlich nicht. Im Gegentheil! dieser Scharfblick in der Erkenntniß der Menschen, diese Geistesgegenwart in den schwierigsten Lagen, diese fast untrügliche Folgerichtigkeit des Denkens mußten unwillkürlich auch Respekt vor seiner geistigen Kraft einflößen. Nur eines schien krankhaft und war auf den ersten Blick glattweg unerklärlich: das war sein Haß gegen seine Heimath und seine Volksgenossen. Es war ein wilder, ja geradezu wahnwitziger Haß, der alle Grenzen überstieg.

Den »Rackers« auszutreiben, ihn einen Deutschen zu nennen, das war, sagt' ich schon, sein ernstes Mühen; ja sogar der einzige Lebenszweck, den er gleich ernsthaft nahm wie seine Arbeit. Er suchte dies vor allem dadurch zu erreichen, daß er jeden neuen Bekannten, wer immer es sein mochte, sehr höflich bat, gütigst zur Kenntniß nehmen zu wollen, daß er »die Ehre habe, kein Deutscher zu sein« – bei jeder ferneren Anspielung aber wurde er mehr oder minder grob, je nach ihrem Inhalt. Nannte man ihn bloß einen Deutschen schlechtweg, oder zählte man ihn den Deutsch-Oesterreichern bei, so wehrte er dies nur eben scharf ab: »Das ist nicht wahr! Oesterreicher – ja, aber ein Deutscher – nein, dreimal nein!« und ließ erst dann ein Donnerwetter folgen, wenn man etwas dagegen einwenden wollte: »Zum Henker, Herr, haben Sie nicht genug Grütze im Kopf, um es zu verstehen, daß sich jemand bloß als Mensch und treuer Diener seines Kaisers fühlen will?!« Wer ihn aber vollends als Preußen ansprach und an seine Verwandten erinnerte, von denen einige in preußischen Staatsdiensten standen, dem schrie er entgegen: »Vorsicht, Herr! Wer mich zu jenen knechtischen Junkern zählt, beleidigt mich! Noch ein Wort davon und Sie sollen mich kennen lernen!« Seine Ansicht über das Volk, dem er entstammte, pflegte er, wie folgt, zusammenzufassen: »Vollmenschen sind die Deutschen allesammt nicht. Warum? Weil sie Kerls ohne Saft und Kraft sind, zahmes Lastvolk, das nur den Weg zur Krippe kennt; ein thatkräftiger Mensch, der unter sie geräth, muß sich wie ein Roß im Eselstall vorkommen. Wollten sie sich als Menschen fühlen, was könnten sie unter den Völkern bedeuten, während sie jetzt die Bedientennation Europas sind, die Narren und Schleppträger des Auslands, – in seiner vollen Liebe hat sie Gott der Herr geschaffen; zum Bubenspott haben sie sich selbst gemacht.« Uebrigens ließ auch er Unterschiede gelten und hatte sich eine Art Stufenleiter ausgedacht, die er seinen Freunden so oft und stets mit denselben Worten erklärte, daß ich nach ihren Mittheilungen auch diese Aeußerung ziemlich getreu wiedergeben kann: »Gar keine Menschen sind die protestantischen Junker in Preußen und jene katholischen, die ihnen nachäffen – Pflichtmaschinen, ohne eine Flamme im Herzen und einen eigenen Gedanken im Hirn. Alles platt wie ihr Land – so ein Wesen geht durch's Leben wie ein Automat, immer hinter dem Vater her, wie dieser hinter dem Großvater: zuerst Soldat, dann Landwirth, Familienvater – mehr als seine Pflicht zu thun, fällt ihm gar nicht bei! Sagen Sie so einem Wesen, daß der Bürger und Bauer Menschen sind, wie er, und Sie werden eine kuriose Antwort bekommen; fragen Sie es, ob es ein Deutscher ist, und Sie werden hören: ›Nein, ein Preuße!‹ Alles eng, nüchtern, sogar das Verhältniß zum lieben Gott! Dreiviertel Menschen sind die Bürgerlichen im Norden – die denken doch zuweilen ein wenig nach, auch thut hier und da einer, wie ihm sein Herz gebietet; noch häufiger findet man dies im Süden und in Oesterreich; auch im Glauben ist da mehr Schwung und Feuer – das sind doch so wenigstens halbe Menschen. Ich aber mag und will nichts mehr mit ihnen zu thun haben – von diesem Volk von Duckmäusern und Leisetretern, das eigentlich gar kein Volk ist, hab' ich mich für immer geschieden – es ist ja eine Schande, dazu zu gehören.« Es war ein ehrliches, wenn auch unvollständiges Bekenntniß; den letzten und tiefsten Grund seines Hasses deckte er nur Wenigen gegenüber auf.

Aber bei bloßen Worten ließ er es nicht bewenden, auch in Thaten kam dieser Haß zum Ausdruck. Mit jenen Verwandten, die in preußische Dienste getreten, hielt er keinerlei Gemeinschaft; seine Güter in Preußen, die ihm später zufielen, hat er nie gesehen; begegnete er in der Gesellschaft einem Norddeutschen, so wich er ihm aus; ergab der Zufall dennoch eine Berührung, so führte dies leicht zu einer peinlichen Scene, was vollends unausbleiblich war, wenn es sich um einen preußischen Adeligen handelte. Er konnte in solchen Fällen ohne jede Veranlassung eine geradezu wüste Rohheit herauskehren, so daß selbst jener Kreis, in dem er lebte, ihm dies ernstlich verargte und des Fremden Partei nahm. Man weiß, daß noch heute im polnischen Adel ein wahrhaft giftiger Preußenhaß wuchert und auch die österreichischen Offiziere waren damals von dieser Empfindung nicht frei; gerade jene katholischen Adeligen aus Süd- und Westdeutschland, welche, der alten Ueberlieferung folgend, habsburgische Kriegsdienste genommen, waren diesbezüglich die schlimmsten, aber selbst die Herren, die nach Lebenslage und Gesinnung dem Fürsten am nächsten standen, wußten für sein Gebahren kaum noch ein Wort der Entschuldigung. Die wenigen Duelle, die er nach seinem Austritt aus der Armee hatte, entstammten sämmtlich nur dieser Veranlassung.

Wie sein Haß vor keiner Rohheit zurückscheute, so vor keiner Kleinlichkeit; er mochte z. B. kein preußisches Geld berühren, und die Rechnungs-Abschlüsse, die ihm von seiner Gutsverwaltung am Rhein zugeschickt wurden, mußten auf österreichische Konventionswährung umgerechnet werden. Von diesem Vorurtheil ließ er sich in allem leiten, sogar in seiner »Arbeit«. Der Mann, der sonst mit fürstlicher Freigebigkeit jeden Bedürftigen beschenkte, ohne nach Glauben oder Volksthum zu fragen, hat einem Armen aus Norddeutschland niemals auch nur die geringste Gabe gereicht; allerdings wäre ihm auch bei gutem Willen selten dazu Gelegenheit geworden, da in Galizien nur slavische Vaganten aus Oberschlesien häufiger anzutreffen sind. Selbst sein Gerechtigkeitsgefühl trübte dieser Haß; auch dafür sind nur zwei Proben bekannt geworden, aber sie sind beweiskräftig genug. Ein polnischer Adeliger im Wolhynischen Gouvernement hatte aus Thüringen einen Hauslehrer für seine Kinder bezogen, die Gattin desselben wurde gleichzeitig engagirt, weil der Gutsbesitzer in seinem Dorfe irgend einen Zweig weiblicher Hausindustrie einbürgern wollte. Nach wenigen Wochen gerieth das deutsche Ehepaar mit dem Polen in Streit und dieser war brutal genug, die beiden nicht mehr jungen und obendrein kränklichen Leute mitten im härtesten Winter ohne jede Entschädigung vor die Thür zu setzen. Mit Mühe erreichten sie den österreichischen Boden. Einen rechtskräftigen Vertrag besaßen sie wohl, aber eine Klage – die Klage eines armen deutschen Lehrers gegen einen begüterten Adeligen vor einem russischen Gerichtshofe! – verhieß keinen Erfolg. Da wurde den Hilflosen gerathen, sich an den »deutschen Teufel« zu wenden, der zufällig in demselben Grenzstädtchen verweilte. Der Lehrer begab sich zu ihm: »Da Eure Durchlaucht unser Landsmann sind« – begann er demüthig, weiter kam er nicht. »Der Teufel mag Ihr Landsmann sein!« brach der Fürst los und wies ihm in rohen Worten die Thüre. Tief betrübt kehrte der arme Mann in die Herberge zurück; seine Frau aber beschloß trotzdem ihrerseits den Versuch zu wiederholen. »Eine kranke, alte Frau,« sagte sie, »wird kein deutscher Edelmann hinauswerfen.« Das that denn auch der Fürst nicht; nur bat er sie – und zwar in einer Tonart, wie man sie selten so weich von ihm gehört – nicht weiter in ihn zu dringen. »Ich kann Ihnen nicht helfen,« versicherte er, »ich müßte einen Eid brechen, den ich mir selbst geschworen habe.« Leider verbot ihm dieser Eid nur, einem Deutschen gegen Unrecht beizustehen, nicht aber, den Richter über Deutsche zu spielen. Ein armenischer Gutsbesitzer hatte mit einer Dorfgemeinde einen langwierigen Prozeß um einen Wald geführt und gewonnen; die Bauern, die schon früher das strittige Gut als ihr Eigenthum betrachtet, hielten den Spruch für ungerecht und kehrten sich nicht an denselben. Da ließ der Armenier einen Förster aus Pommern kommen, gab ihm einige verläßliche Heger bei und machte ihn für jeden Wild- und Baumfrevel verantwortlich. Der Mann, an preußische Zucht gewöhnt, that strengstens seine Pflicht und machte sich daher bei den Bauern bald ebenso gefürchtet als verhaßt. Da er weder durch Drohungen, noch durch Bitten abzuhalten war, die Schuldigen dingfest zu machen und dem Bezirksgericht einzuliefern, so beschlossen die biederen Landleute, einen Teufel durch den andern auszutreiben. Der Fürst hätte sich sonst sicherlich sehr genau erkundigt, ob der Mann härter gewesen, als ihm seine Pflicht geboten; bei einem Preußen hielt er dies von vornherein für ausgemacht. »Binnen drei Tagen habt ihr Ruhe,« versprach er, vielleicht das einzige Mal, wo er zu viel versprochen. Bereits am nächsten Tage ritt er, diesmal zufällig von zwei Offizieren begleitet, die er auf dem Wege getroffen, die Straße durch den Wald und begegnete dem Förster, der eben, das Gewehr auf dem Rücken, seinen Rundgang machte. Er bat die Offiziere voranzureiten und stellte den Mann. »Sie Hundekerl,« begann er, »ich möchte zunächst in Güte mit Ihnen reden.« Diesmal war er an den Unrechten gekommen. »Wer einen ehrlichen Mann,« erwiderte der Pommer, »ohne Grund so beschimpft, ist selber ein Hundekerl. Uebrigens bin ich einem gütlichen Wort nicht abgeneigt.« Der Fürst schäumte wild auf. »Du bist kein ehrlicher Mann, sondern ein Leuteschinder, wie es die Preußen alle sind. Die neidigen Hungerleider-Moden von dort her wirst Du mir aber hier nicht einführen! Hier richtet man einen Menschen eines Astes oder eines Hasen wegen nicht zu Grunde.« – »Was steckst Du Deine Nase,« war die Antwort, »in Sachen, die Dich nichts bekümmern? Ich thue, wie mir mein Herr und das Gesetz gebieten, und bin nur diesen beiden verantwortlich, nicht Dir. Und nun – aus dem Weg!« – »Kanaille!« stieß der Fürst zornbebend hervor und riß die Pistole aus dem Gürtel; flugs hatte auch der Förster den Flintenlauf an der Wange; der Fürst drückte los, der Förster that das gleiche; wie durch ein Wunder fehlten beide. Im nächsten Augenblick waren die Offiziere zur Stelle und trennten sie . . . Von da ab ließ der Fürst den Mann ungeschoren, sicherlich nur deßhalb, weil ihm dessen Benehmen hinterdrein bei ruhiger Ueberlegung achtungswerth erschien, wie denn auch der Förster zu sagen pflegte: »Verrückt, aber doch eigentlich ein ganzer Kerl.« Und ganz ähnlich urtheilte jene deutsche Lehrerin, welche ich später in Czernowitz kennen lernte: »Er machte mir den Eindruck eines warmherzigen Menschen, der eben nur in diesem einen Punkte nicht zurechnungsfähig war.«

Aber an einen solchen krankhaften Wahn zu glauben, fällt schwer, wenn man an sein Ende denkt; derlei pflegt sich im Gehirn eines Greises nie wieder zu lichten. Vielleicht wird uns seine Handlungsweise verständlicher, wenn wir sein Leben betrachten – verständlicher und darum verzeihlicher . . .

Er ist nicht ganz siebzig Jahre alt geworden, war also zu Beginn dieses Jahrhunderts geboren und zwar, wie bereits erwähnt, als der Sprößling eines ehemals reichsunmittelbaren Fürstengeschlechts, dessen Macht und Einfluß freilich weniger in jenem winzigen Territorium, wo es »von Gottes Gnaden« regierte, als in seinem reichen Landbesitz in Preußen und Oesterreich und seinen mächtigen Familienbeziehungen wurzelte. Immerhin gab diese Souveränetät dem Geschlechte erst den rechten Glanz, und man wird es begreiflich finden, wie tief es den Verlust derselben durch die Eroberung des Ländchens seitens der Franzosen empfand. Zur Rheinbundzeit wurde es dann ein Bestandteil des Königreichs Westphalen; des Fürsten Vater wählte sein Exil in Preußisch-Schlesien und ließ lieber die Konfiskation eines großen Theils seiner Privatgüter über sich ergehen, als daß er dem Usurpator gehuldigt hatte. Im Haß gegen Napoleon, im Vertrauen auf Preußen erzog er seine Söhne, von denen unser Held der drittgeborene war. Daß der alte Herr, obwohl Katholik, sich nach Preußen und nicht nach Oesterreich gewendet, hatte in der festen und innigen Jugendfreundschaft seinen Grund, die ihn mit einem der preußischen Prinzen verband, dann aber in einer Art deutschen Nationalgefühls, welches er, im Gegensatz zu seinen meisten Standesgenossen, lebhaft und ehrlich empfand . . . »Siegt Preußen, dann erhalten auch wir unser Land wieder« – das heranwachsende Kind bekam diesen Satz im Vaterhause täglich zu hören und lernte daran glauben, wie an's Evangelium. Als der Befreiungskrieg losbrach, zog sein Vater mit den beiden älteren Brüdern – er selbst war kaum zehnjährig – mit in's Feld; auch soll das Geschlecht schwere Geldopfer für die Ausrüstung des preußischen Heeres gebracht haben. Ein noch schwereres Opfer legte ihm das Schicksal auf; der älteste Sohn, der Erbprinz, starb am Lazarettfieber. Als ein Mann, der das Seine gethan und das Seine erwartete, begab sich der Fürst nach errungenem Sieg zum Wiener Kongreß; sein Land, seine Souveränetät mußten ihm nun werden; was ihm daneben vorschwebte, war die Wiederherstellung des römisch-deutschen Reichs mit einem Wahlkaiser aus dem Hause Habsburg-Lothringen. Man weiß, daß es anders kam; vom deutschen Kaiserthum wollten wenige etwas wissen, von der Herstellung der Duodez-Staaten vollends nur die mediatisirten Herren selbst, und zwar jeder auch nur für sein eigen Theil. Vergeblich verwies der Fürst auf sein Recht, seine Verdienste, seine Opfer, vergeblich suchte er die preußischen Diplomaten für seine Sache zu bestimmen; er mußte erfahren, daß gerade sie es waren, die seine Bemühungen vereitelten, weil das Ländchen nach seiner geographischen Lage an Preußen fallen mußte. Das Geschlecht gehörte zu jenen, denen die Ebenbürtigkeit mit den regierenden Geschlechtern zuerkannt wurde, das war alles. Wildester Schmerz und Grimm erfüllte die Brust des greisen Mannes; er hielt sich für verrathen und überlistet, nach seiner Auffassung hatte ihm Preußen mit schnödem Undank gelohnt. Darnach handelte er nun; er lehnte die Würden und Auszeichnungen, die ihm von diesem Staate angeboten wurden, schroff ab, verkaufte seine Güter in den altpreußischen Provinzen und siedelte sich in Österreich an; nur die ehemals souveränen Domänen behielt er zur Wahrung seines Rechtsanspruchs und »in der Hoffnung auf bessere Tage.« In dieser Anschauung erzog er seine Söhne; der Mann, der später der »deutsche Teufel« wurde, hat es als Knabe einst täglich aus dem Munde seines Vaters vernommen: »Wir haben für unser Recht und ein deutsches Kaiserthum gekämpft; der König von Preußen, der nur eben ein Reichsfürst war, wie wir, hat, nachdem wir ihm sein Land zurückerobern geholfen, das unsere an sich gerissen, mit genau demselben Recht wie einst der Korse.« Daß hier die Sache denn doch anders lag, daß man mit dem Wahlkaiserthum und den kleinen Herrschaften nur eben Gespenster eingesargt und keine lebenden oder lebenswerthen Einrichtungen, – dies konnte dieser Mann unmöglich fassen, und auch seinen Söhnen dämmerte zunächst die Erkenntniß nicht auf. Beide Jünglinge traten in österreichische Kriegsdienste; der ältere, eine sanftmüthige, beschauliche Natur, wäre viel lieber Landwirth geworden, der jüngere, hochbegabt, thatkräftig, von loderndem Feuer erfüllt, war gleichsam zum Soldaten geboren, oder zum regierenden Herrn, wie sein Vater seufzend meinte. Ihm wandte sich die Liebe des Greises voll und ganz zu, weil er bei ihm nach seinem Temperament ein weit besseres Verständniß für seinen Haß, seine Rachepläne und Hoffnungen fand, als bei dem zahmen Erbprinzen. »Mit Gewalt ist uns unser Recht genommen worden, – es kann ein Tag kommen, da wir es mit Gewalt zurückerobern können!« – von diesem Gedanken erfüllt, suchte der Jüngling sich zu einem ernsthaften Militär heranzubilden, und man muß es ihm lassen, daß er das Seine dazu gethan. Damals war er ein Musterbild treuer Pflichterfüllung, nützte seine reichen Gaben zu vernünftigen Zwecken und wußte sein ungestümes Wesen selbst trefflich im Zaume zu halten.

»Du wirst uns rächen,« das war das letzte Wort, das er von den Lippen seines sterbenden Vaters vernahm. »Auf deinen Bruder ist nicht zu hoffen.« In der That legte der Erbprinz wenige Monate nach des Vaters Tode die österreichische Uniform ab, kehrte an den Rhein zurück und übernahm die Verwaltung seiner Güter. Schon dies bewirkte eine Entfremdung zwischen den Brüdern, sie wurde zum völligen Bruch, als der Aeltere sich mit einer Dame aus dem märkischen Adel vermählte und einen hohen preußischen Orden annahm. »Nun habe ich auch keinen Bruder mehr« – mit diesen Worten berichtete der Jüngere seinen Kameraden die Nachricht von dieser Ordensverleihung. Doch sollte es allmählig doch wieder zu einer Annäherung zwischen beiden kommen; der Aeltere war's, der sie zuerst anbahnte, ja zu diesem Zweck selbst nach Österreich gereist kam; es war um 1835. Er fand den Bruder als Rittmeister in einem entlegenen ungarischen Dorfe, auf den Verkehr mit wenigen Kameraden, den Dienst und seine strategischen Bücher angewiesen – eine Existenz, wie sie kaum öder, an geistiger Anregung und echten Lebensfreuden ärmer gedacht werden konnte. »Wie kannst Du das Leben ertragen,« mahnte er, »Du, den das Schicksal doch wahrhaftig zu Besserem geschaffen hat, als ungarischen Bauernknechten das Reiten beizubringen und zur Erholung Hazard zu spielen?« – »Ich bin mit Leib und Seele Soldat,« war die Antwort, »ich muß es sein – der Zukunft wegen!« – »Diese Zukunft wird nie kommen!« mahnte der Aeltere. »Es ist ein Wahn, ein Nichts, dem Du Deine besten Jahre opferst! Unsere einstigen Unterthanen sind gute Preußen, die wenigen, die es etwa nicht sind, träumen von einer deutschen Republik, aber doch wahrlich nicht von der Wiederherstellung unserer Souveränetät! Und wer in Deutschland denkt heute anders!« – »Ich müßte mir,« erwiderte der Rittmeister, »eine Kugel vor den Kopf schießen, wenn ich Dir glauben sollte. Denn dann hätte mein Leben keinen Zweck mehr!« – »So gib ihm einen anderen Zweck! Das kann Dir nicht schwer werden – wen hatte die Vorsehung günstiger gestellt und reicher ausgestattet als Dich!« – »Die Vorsehung hat mir meine Aufgabe angewiesen; ich warte und bereite mich vor, bis ich sie erfüllen kann.« – »Aber so warte doch wenigstens anderswo, warte in Wien! Man wird Dich ja versetzen, wenn Du es nur verlangst!« – »Darunter könnte meine Karriere leiden. Und es ist meines Erachtens nicht gleichgültig, ob ich Rittmeister oder General bin, wenn es einmal zu einem Krieg zwischen Oesterreich und Preußen kommt.« – »Mensch!« rief der andere, »wer denkt heute an einen solchen Krieg! Und wenn er käme, was hätten wir davon! So sieh Dir doch nur einmal die Verhältnisse bei uns an!« Davon wollte der Rittmeister nichts wissen, aber die Unterredung wirkte doch mächtig in ihm nach. Er hatte die Zweifel und Gedanken, die ihn im Stillen gefoltert, nun laut aussprechen hören; auch das armselige Leben, zu dem er sich verdammt, erschien ihm nun im richtigen Lichte. Gleichwohl währte es noch lange fünf Jahre, bis er sich – er war inzwischen Major geworden – einen Urlaub erbat und zum Besuche des Bruders an den Rhein kam. Er that es nicht eher, als bis er die Oede des Looses, ein österreichischer Friedenssoldat in ungarischen oder galizischen Garnisonen zu sein, bis auf's Letzte durchgekostet.

Dieser Besuch in Deutschland hat nahezu ein Jahr gewährt; es war die Zeit, wo der tiefste Schmerz und das größte Weh in dies Leben kamen. Der Mann erkannte, daß er sein bisheriges Dasein thatsächlich einem Wahn geopfert, und fühlte sich unter der Wucht dieser Erkenntniß fast zernichtet. Was sollte er nun aus sich machen? In die erbärmliche Garnison zurückkehren, wieder Rekruten drillen und zur Abwechslung irgend eine Beziehung zu einer leichtfertigen ungarischen oder polnischen Dame unterhalten?! Sollte er in Preußen bleiben, das er ja wahrlich nicht plötzlich lieben lernen konnte, und seine Güter selbst verwalten? Das besorgte der Bruder weit besser für ihn; auch taugte er so ganz und gar nicht zum Landwirth. Preußische Kriegsdienste zu nehmen, lag ihm vollends himmelweit, und fast ebenso fern mußte diesem Mann, welcher bisher nur Soldat gewesen, der Gedanke bleiben, sich irgend einer Kunst oder Wissenschaft zuzuwenden. Da kam die Liebe über ihn und enthob ihn zunächst dieser qualvollen Fragen; er lernte eine Verwandte seiner Schwägerin, gleichfalls eine märkische Dame, die zu Besuch am Rhein war, kennen und lieben; sie erwiderte seine Neigung; als sie heimkehrte, folgte er ihr, um sich die Einwilligung ihrer Eltern zu erbitten. Die Werbung endete schlimm; beide Theile, das protestantische urpreußische Edelhaus und der katholische Preußenhasser, hatten von vornherein ein starkes Vorurtheil gegeneinander, und die persönliche Berührung verstärkte es nur. In diesen Tagen wuchs in dem Fürsten jene Anschauung, auf Grund deren er später den preußischen Adel als »Leuteschinder« und »Pflichtmaschinen« bezeichnete, und ihnen mißfiel der »Ketzer«, der »Feind des Königs«, der Mann von heißem ungestümem Wesen, der nicht straflos jahrzehntelang in halbasiatischer Umgebung gelebt, gleichfalls auf das gründlichste. Vergeblich suchte das Fräulein, welches ihren Erkorenen wahrhaft und von ganzem Herzen liebte, zu vermitteln; der Gegensatz wurde immer schärfer, und als sich der Fürst trotzdem zur Werbung entschloß, wurde dieselbe abgelehnt, obendrein auch noch in schroffer, ja unverzeihlich grober Art. Noch einen letzten Schritt that der Fürst, sich die Geliebte zu gewinnen; daß er dies vermocht, beweist, wie sehr er sie geliebt, mehr als sich selbst. Er bat sie, in das Haus seines Bruders zu kommen und sich dort mit ihm trauen zu lassen. Aber auch sie war, wie er's nannte, eine »Pflichtmaschine«, eine brave, gehorsame Tochter, welche lieber ihre Herzensneigung opferte, als gegen den Willen der Ihrigen zu handeln.

Als ein wenig beneidenswerther Mann war der Fürst aus Oesterreich gegangen, – tief unglücklich, haltlos und gebrochen kehrte er nach zehn Monaten zurück. Von nun ab gewann sein Preußenhaß jene wahnwitzige Färbung: es war die Rache für den »Raub«, der an ihm begangen worden, den Raub seines Fürstenrechts, seiner Liebe, seines Lebens. Auch seines Lebens, wie er es auffaßte – an die große Stunde, wo es von Wichtigkeit sein konnte, daß er österreichischer General war, konnte er ja nun gleichfalls nimmermehr glauben. Aber der ungeheure Thatendrang, der in ihm lebte, schmachtete nach irgend einer Möglichkeit sich zu offenbaren, und da ihm eine ernste und würdige versagt war oder sich doch nicht finden ließ, so entlud sich dieser Drang in thörichten oder doch unnützen Handlungen. Zunächst mochte er nicht weiter Friedensfront sein, nahm daher seinen zeitweiligen Abschied aus österreichischen Diensten und ging nach Aegypten, nach Syrien, von da nach Spanien, endlich in den Kaukasus, wo es eben blutige Arbeit gab – für wen er sie verrichtete, mochte ihm zu jener Zeit ziemlich gleichgültig sein. Am liebsten hätte er natürlich gegen Preußen gekämpft, aber dazu bot sich ihm damals, in der ersten Hälfte der vierziger Jahre, keine Gelegenheit. Nachdem er noch eine Reise nach Amerika gemacht, kehrte er 1847 nach Österreich zurück; kurz darauf fiel ihm durch den Tod eines Oheims jenes reiche Erbe am Rhein zu, welches ihn zum vielfachen Millionär machte. Der Bruder bat ihn, nach der Heimat zurückzukehren, er beantwortete den Brief mit den Worten: »Ich überschreite die preußische Grenze nur noch, wenn ich viele tausend Gefährten habe, jeder, gleich mir, gut bewaffnet.« Da sich jedoch dazu auch im Frühling 1848 keine Gelegenheit bot, so trat er, vielleicht aus Anhänglichkeit an den Staat, der seinem Vater und ihm ein Asyl geboten, vielleicht auch, weil er nichts Besseres mit sich anzufangen wußte, wieder als Major in die österreichische Armee und that sich auf der lombardischen Ebene unter Radetzky durch wilde Tapferkeit und Energie so sehr hervor, daß er noch im Spätherbst desselben Jahres Oberst wurde und sein eigenes Regiment erhielt, ein böhmisches, weil kein ungarisches frei war und er ein deutsches nicht mochte. Aber die Nachrichten, die aus Deutschland herüberklangen, machten ihm doch einen tiefen Eindruck; den Traum seiner Souveränetät hatte er für immer verwunden, aber jenes, wenn auch sehr unklare, deutsche Nationalgefühl, welches ihm gleichfalls vom Vater überkommen, und das sich bis dahin nur in bitteren Hohnworten über die Schlafmützigkeit und Uneinigkeit der Deutschen geäußert, wollte sich wieder in seinem Herzen regen, als er von den Berliner Tumulten, der Bewegung am Ober-Rhein, den Verhandlungen in der Paulskirche las. Als er im Spätherbst 1848 nach Ungarn versetzt wurde, schwankte er, ob er nicht lieber seinen Abschied nehmen und sich in Deutschland irgendwie nützlich machen sollte, und noch stärker war der Kampf in seiner Brust, als im Frühling des nächsten Jahres die badische Revolution losbrach. »Endlich,« rief er, »endlich steht Deutschland gegen Preußen in Waffen! – freilich,« fügte er etwas kleinlaut hinzu, »sind die Kerls in Rastatt Gesindel, die ihrem eigenen Landesherrn die Treue gebrochen.« Nur aus diesem letzteren Grunde mag er damals in Ungarn geblieben sein; was ihn aber dann, nachdem der Aufstand der Magyaren niedergeschlagen war, bewog, im Dienste zu verharren, war sicherlich nur die Zuspitzung der Beziehung zwischen Oesterreich und Preußen, die ihm Hoffnung auf Verwirklichung seiner Lieblingsidee gaben. Aber es blieb bei dem »Schimmel von Bronzell« – der Fürst war tief betrübt – »thut nichts,« sagte er dann, »was kommen muß, wird kommen;« und darin sollte er ja recht behalten, wenn es dann auch ganz anders kam, als er und mit ihm alle jene, denen der Blick für die ehernen Gesetze der nationalen Entwicklung nicht erschlossen war, dachten. Als dieser große Moment der Entscheidung über Deutschlands Zukunft kam, war der Fürst, wie man weiß, bereits seit dreizehn Jahren nicht mehr Soldat, sondern nur noch der »deutsche Teufel«. Obwohl er den Abschied unfreiwillig erhalten und der österreichischen Heeresleitung darum eben nicht sonderlich grün war, begab er sich doch sofort nach Lemberg und stellte sich dem dort kommandirenden General zur Verfügung – »als Oberst oder als Gemeiner, wie Sie wollen.« Nun war aber dem Manne die Ursache, um derentwillen der Fürst in Ungnaden gefallen, sehr wohl bekannt, er dachte nicht an die Noth des Vaterlandes, welches wahrlich keiner tüchtigen Kraft entrathen konnte, sondern an die Gefahr, bei jenem hochgestellten Herrn, welcher den Fürsten haßte, mißliebig zu werden, und erklärte daher, er müsse vorher in Wien anfragen. Dies that er denn auch nach zwei Wochen, in Wien aber hatte man damals wahrlich nicht die Zeit, sich über derlei Kleinigkeiten schlüssig zu machen, und der Feldzug war zu Ende, ehe der Fürst auch nur eine Antwort erhalten.

Diese Wochen des Harrens und noch mehr die Monate, die ihnen folgten, waren wohl mit die schlimmsten Zeiten dieses freudlosen Lebens. Der Fürst schien gebrochen, selbst die »Arbeit« freute ihn nicht mehr – in düsteres Grübeln verloren ritt er im Lande umher, wich den Menschen aus, oder vermied doch, wenn er mit jemand sprechen mußte, jede Anspielung auf den unglückseligen Krieg und seine Folgen. Ein alter Kamerad, der nun gleichfalls seinen Aufenthalt in Galizien genommen und ahnen mochte, was in dem Unglücklichen vorging, suchte ihn auf. »Nun sprich Dir einmal den Zorn von der Seele herunter,« ermunterte er. Der »deutsche Teufel« schüttelte düster das Haupt. »Da könnt' ich reden, solang die Welt steht, und würde nicht fertig. Uebrigens bin ich schon so heruntergekommen, daß ich nicht einmal mehr zornig sein kann. Sentimental bin ich geworden, wie ein Weib, und möchte darüber weinen, daß der Alte gestorben ist.« – »Wen meinst Du?« fragte der andere befremdet. – »Nun, den Herrgott dort oben; wenn er leben würde, so hätte er das Unrecht nicht siegen lassen.« – »Ach was! sei kein Narr, nimm's Dir nicht so zu Herzen!« – »Warum sollt' ich nun plötzlich kein Narr mehr sein?« fuhr der »deutsche Teufel« auf, »ich war's ja mein Leben lang! Jawohl – eins von beiden, entweder ist der Herrgott todt, oder ich war immer ein Narr!«

Damals ist der Greis vielleicht dem Selbstmord nicht fern gewesen. Doch überwand er allmählig auch diesen schwersten Schlag und begann wieder zu »arbeiten« und sich zu Vergnügen, wie sonst, kurz, seinem Thatendrang nach Kräften wieder Genüge zu thun. Sein Deutschenhaß schien derselbe, nur daß er es nun fast ängstlich vermied, politische Gespräche zu führen. Höchstens sagte er zuweilen: »Brutal waren ja die Kerls immer, nun sind sie auch noch Heuchler geworden. ›Norddeutscher Bund‹ nennen sie's – Großpreußen ist's! Aber die Süddeutschen werden sich nicht foppen lassen! Und wer weiß, wie es dem zusammengestickten norddeutschen Karren geht, wenn er einmal auf einen großen Stein am Wege stößt.«

Der Juli 1870 war gekommen, die Kriegserklärung Frankreichs erfolgt, ganz Deutschland erhob sich glorreich zur Abwehr; so weit Deutsche wohnten, fühlten sie, wenn sie ihres Namens würdig waren, die Wucht dieser Tage mit; die Anderen jedoch, Magyaren und Slaven, wünschten Frankreich unverhohlen den Sieg. Darin waren sogar Polen und Russen einig; es war eine häßliche Stimmung im Osten, ein wahres Bacchanal des widrigsten Neides und Hasses. Der »deutsche Teufel« aber that wieder, wie er nach Sadowa gethan: er ging jedermann aus dem Wege. Nur eine Aeußerung wurde in jener Zeit von ihm bekannt; sie wurde lachend weiter erzählt, als ein neuer Beweis, welche sonderbaren Einfälle der Greis zuweilen habe. Bei einem Offiziersmahle, dem er sich nicht entziehen konnte, kam die Rede auf Bismarck. »Schweigt mir von dem,« brauste er auf, »ich kann nicht von ihm reden hören!« – »Nun,« meinte Jemand, »wir alle lieben ihn ja nicht, aber reden kann man ja auch über Einen, den man haßt.« – »Aber nicht über Einen, den man beneidet!« sagte der Fürst dumpf. – »Sie beneiden ihn?!« riefen die Herren belustigt und erstaunt. – »Ja! ja!« erwiederte er, »und wie ich ihn beneide! Was hat der Mensch für Glück gehabt.« – »Nun ja, seine Erfolge –« – »Ach was! Schon bei der Geburt hat er Glück gehabt. Laßt mich an seiner Stelle dort zur Welt kommen – –« Er brach ab, die Herren sahen ihn befremdet an, so schmerzlich war sein Antlitz. »Und an meiner Stelle,« schrie er auf, »wär' auch er nicht mehr geworden als ich!« Er sprang auf, verließ das Zimmer und ritt in die Nacht hinaus.

Wie er sein Ende gefunden, weiß man; hier der Verlauf der Scene, die zum Duell geführt. Es war am Abend des 4. Septembers 1870, als einige Offiziere des österreichischen Ulanenregiments Graf Trani in einem Gasthause dicht an der russischen Grenze mit einigen Herren von den russischen Smolenskdragonern ein kameradschaftliches Mahl abhielten, wie dies damals nicht selten geschah; den Beschluß sollte das Hazardspiel machen. Es kam diesmal nicht dazu. Die Herren saßen eben beim Dessert, als der »deutsche Teufel« in die Stube trat. Die Kunde von Sedan war am Nachmittage in der Gegend eingetroffen, man hatte während des ganzen Mahles von nichts anderem gesprochen und so rief denn auch ihm der junge Graf Wolkenstein sofort entgegen: »Nun, Fürst, was sagen Sie dazu?«

Der alte Mann sah sehr bleich und verstört aus. Er schenkte ein Wasserglas mit Champagner voll, trank es aus und sagte dann nur: »Eine große Sache! Man erlebt was, wenn man alt wird.«

»Ich habe mich grün und blau geärgert,« rief der russische Rittmeister Stroganow, und der junge Graf Palusew, der irgend eines leichtsinnigen Streichs wegen für einige Monate an die Grenze versetzt worden, rief: »Hoch der ›deutsche Teufel‹, aber ein Pereat den Deutschen!«

Er hielt dem Fürsten sein Glas zum Anklingen hin. Dieser füllte das seine und stellte es dann vor sich hin.

»Warum stoßen Sie nicht mit mir an? Sie hassen doch das Gesindel auch?«

»Welches Gesindel?« fragte der Fürst.

»Die Deutschen! Nieder mit ihnen!«

Nur einige stimmten ein, aber auch diese brachen kurz ab, als sich der Fürst erhob.

»Und ich rufe: Hoch mein tapferes, herrliches deutsches Volk, das sich endlich ermannt hat! Daß ich diesen Tag erlebt habe, werd' ich Dem da droben immer danken. Er lebt – ich aber war ein Narr!«

Darauf folgte wildes Schreien und Rufen. Nur der Fürst stand stumm, regungslos da. Er war bis an die Lippen erbleicht.

»Und wem sein Leben lieb ist,« fuhr er mit dröhnender Stimme fort, »wird nun in meiner Gegenwart kein Wort mehr gegen die Deutschen sagen.«

Wieder verworrenes Rufen, Graf Palusew aber schrie: »Sollen wir alle plötzlich verrückt werden, weil Sie es geworden sind! Nieder mit dieser Nation von Schuften und Feig –«

Weiter kam er nicht, der Fürst hatte ihm in's Gesicht geschlagen.

Ein wilder Tumult brach los, der Graf stürzte nach seinem Degen in der Ecke des Gemachs.

Ruhig schritt der Fürst auf den Grafen Wolkenstein zu, die Andern gaben unwillkürlich Raum. »Ordnen Sie die Sache für morgen in aller Frühe. Den Bescheid bringen Sie mir in das Zimmer des Gasthofes, das ich mir öffnen lasse. Die Waffenwahl hat jener Herr dort, aber ich halte Pistolen und eine kurze Distanz für selbstverständlich.«

Dies fanden auch die Herren von der Gegenpartei. Schon nach einer Viertelstunde konnten Graf Wolkenstein und ein anderer Offizier von demselben Regiment dem Fürsten in sein Zimmer die Nachricht bringen, daß alles für den nächsten Morgen geordnet sei – zehn Schritte Distanz, dreimaliger Kugelwechsel.

Der Fürst dankte ihnen. »Und nun laßt mich allein, Ihr Herren, ich habe noch viel zu thun.«

Er schrieb zuerst sein Testament nieder – zu Universal-Erben setzte er seine Neffen ein, mit denen er bis dahin jede Beziehung vermieden. Ihnen überließ er auch die Versorgung seiner Dienerschaft – eine sehr bedeutende Summe setzte er zu »irgend einem patriotischen Zweck« aus; das Nähere sollten die Erben nach eigenem Gutdünken verfügen. Dann schrieb er einen sehr langen Brief an seine Neffen – er hatte ihnen wohl viel zu sagen; als die Sekundanten mit grauendem Morgen in die Stube traten, trafen sie ihn noch am Schreibtisch.

Er war sofort bereit. »Graf Wolkenstein,« sagte er, »nehmen Sie diese beiden Schriftstücke hier in Empfang und befördern Sie sie dann an ihre Adressen. Sobald der Arzt meinen Tod konstatirt hat, mögen Sie mich sofort in der Haide begraben, wo es eben ist. Die Federfuchser mögen ihre Protocolle nachträglich schmieren. Ein Denkstein soll mir nicht gesetzt, meine Leiche nicht nach Deutschland überführt werden.«

»Sie befürchten doch keinen ernsten Ausgang für sich? Sie, der beste Schütze im Land! Da hat Graf Palusew mehr zu fürchten!«

»Er kann ruhig sein. Meinen Tod aber befürchte ich nicht, ich erhoffe ihn. Und da ich nun weiß, daß der Alte oben lebt, so hoff' ich gewiß nicht vergeblich. Kommen Sie, meine Herren!«

Seine Hoffnung hat ihn nicht getrogen. Beim ersten Kugelwechsel schoß der Fürst in die Luft, der Graf fehlte. Beim zweiten schoß der Fürst abermals in die Luft; Palusew traf ihn in die Nähe des Herzens.

Der »deutsche Teufel« war nicht sogleich todt, doch währte der Todeskampf nur wenige Minuten. Er ist in den Armen eines Landsmanns, des Grafen Wolkenstein, gestorben. »Mein armer Vater . . .« murmelte er, und dann: »Es ist gut so, ganz gut . . .« Und endlich: »Gott – Gott segne . . .« Das letzte Wort war nicht mehr verständlich . . .

Gott segne Deutschland!



 << zurück weiter >>