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Dreizehntes Kapitel.
Daheim

Das Glück im Winkel. – Erklärungen. – Ein Herzensbund. – Der Alte vom Berge. – Ein Idyll im Laboratorium. – Eine Überraschung. – Ein Blick in die Zukunft.

 

Eintönig prasselte der Herbstregen nieder auf das Dach des Waldhauses und klopfte an die Fensterscheiben, und weiße Schwaden zogen durch die Wipfel der alten Tannen, als sei die Welt ertrunken in Nebelgrau und Wasserfluten. Drinnen aber war es sonnig; glückliche Menschen saßen da beisammen, und aus ihren Augen glänzte mehr Frohsinn, als der heiterste Sommertag in die Herzen senken kann.

Der alte Herr ruhte im Lehnstuhl. Wohl war er wieder auf, doch die erhaltene Wunde, ein Schuß, der zwar nichts Edles verletzt hatte, zehrte sichtlich an seinen Kräften. Nur mit Anstrengung folgte er den Gesprächen der zwei Jungen, die mit ihm am Kamin saßen, in dem, zum erstenmal in diesem Jahre, des naßkalten Tages halber die Buchenscheite flammten.

Schaudernd hörte Sibylle ihren Jörg von seinen Erlebnissen in Schwaz erzählen: von dem verruchten Werk der Späher und Häscher, das dort langsam die ganze Blüte der Silberstadt verzehre, von dem menschenunwürdigen Dasein in den Gruben und der Pracht der Fuggers, wenn sie auf samtgeschmücktem Schimmel einreiten in ihr Reich. Nur mit Frösteln konnte sie zuhören, wenn er von dem schrecklichen Barthele, dem unglücklichen Kofler und dem so schaudervoll zugrunde gegangenen Schlaffer sprach. Er hatte alles gebeichtet, seinen falschen Namen, den ungerechten Verdacht, in den er in Augsburg geraten war, das Silberfieber und die Habgier, die ihn so lange genarrt und in so viel Ungemach gebracht. Sie hatte ihm alles verziehen, und auch der Vater hatte Ja und Amen gesagt zu ihrem Bunde, zu dessen feierlicher Begehung sie nun rüsteten. Lampadius hatte das Edelmetall, das die Leiden und Prüfungen aus dem Roherz dieses Herzens voll Treue und Redlichkeit herausgeschmolzen hatten, endlich auch erkannt und war glücklich, seine Sibylle in so wackeren Händen zurückzulassen. Denn seine Zeit war um, das fühlte er immer deutlicher, wenn er auch seinen wahren Zustand vor den jungen Leuten verheimlichte. Sein Lebenswerk war ihm unter den Händen zerronnen, es war vergeblich geblieben, und dieser heimliche Schmerz nagte am tiefsten in ihm. Die Esse rauchte nicht mehr, sein Vorrat an Galmei war ihm ausgegangen, und neuen konnte er sich nicht allein beschaffen. Er wollte es auch nicht. Mutlos hatte er das Experimentieren aufgegeben, es war doch zu nichts nütze. Was ihm einigemal gelungen war, sein Gelbguß mit der Blende, er konnte es nicht verstehen und meistern. Und so hatte er traurig das Lebensbuch abgeschlossen.

»Sieh, Vater schläft,« raunte Sibylle ihrem Jörg ins Ohr, »er ist doch schwächer, als er es zugeben will. O dieser Mordbube!« sagte sie unwillkürlich in der Erinnerung an jenen Schreckensabend, der sie vereint hatte, und als dessen Zeichen auch Jörg noch eine Binde um das Haupt trug.

»Ich habe in seinen Schriften, die er bei sich trug, einen ganzen Zettel mit Namen und einen vom Bergschreiber gefunden,« nahm Jörg ernst den Faden auf. »Ein Angeber war er auch noch, und wie ein Wolf hat er die Schafe geführt, die ihm trauten … Und hat Wölfe aus ihnen gemacht,« setzte er leise hinzu in der Erinnerung an den Schwabenhans. Wo mochte der sein? Er war und blieb verschwunden.

Den Schlaf des Vaters mochte er aber jetzt benützen. Schon lange wollte er in der Esse sich umtun. Er hatte dort seine Heimlichkeit. Von seinen ganzen silbernen Bergen war ihm nur ein Stück des erzhaltigen Galmei geblieben; aus dem wollte er das Silber ausschmelzen, und wäre es nur ein Lot. Er wollte es prägen lassen an der Münzstätte des Herzogs als Erinnerungsgulden für den Schmuck seiner Frau. Es war ohnedies das einzige Heiratsgut, das er ihr zubringen konnte.

Schon früher hatte er die Probieröfen in Betrieb gesetzt. Nun stahl er sich unter einem Vorwand hinab. Wie staubig und verschmaucht war jetzt diese Welt! Wo hatte er nur einen Tiegel für den Galmei? Kein reiner war zu finden, in allen waren noch angeröstete Kupfererze, denn mitten in der Arbeit war seinen Meister die große Müdigkeit überkommen.

So nahm er eben einen Tiegel mit dem Kupfer. Es würde sich ohnedies nicht vermischen. Gerade daß es sich nicht mit dem Galmei mengte, darüber brach ja dem alten Gelehrten das Herz.

Nun besetzte er den Tiegel mit einem Stückchen Galmei und etwas Quecksilber, rückte ihn an das Glühfeuer und blies es mächtig an: man mußte fest vorrösten. In Gedanken versunken, starrte er in die flackernde Flamme. Horch, da huschte es durchs Zimmer wie ein heller Schein, und lachend umfingen ihn zwei weiche Arme. »Hab' ich dich jetzt? Willst wieder sieden und rösten, bis du blaß wirst wie der Galmei, so wie im Winter?« lachte das junge Mädchen. Und mit tausend neckischen Tändeleien drängte Sibylle ihn vom Ofen weg. Sie fragte nach dem und jenem Gerät, und mit leisem Gruseln sah sie nach dem Platz, wo er früher immer hockte, der schwarze Unhold, für den Jörg das Grab gegraben tief drin im Wald. Sie ahnte es besser als die Männer – nicht des Goldes halber wollte der das Haus überfallen.

»Hilf, Himmel, mein Galmei!« Mit Lachen eilte der junge Silberschmied zu seinem Tiegel, unter dem das Feuer fast ausgegangen war. Doch das Lachen erstarb ihm in der Kehle. War das der Tiegel noch? Eine geronnene goldgelbe Masse steckte darin, der schönste Messingguß. Der Ursache des Mißlingens der von Lampadius versuchten Messinggüsse lag in dem Überhitzen des Galmei, wodurch sich das Zink verflüchtigte. Der Guß mußte dagegen gelingen, als er durch Unachtsamkeit bei mattem Feuer versucht wurde. Blitzschnell durchzuckte es sein Hirn: das war des Rätsels Lösung! Sie hatten früher stets die Erze überhitzt; bei gelindestem Feuer nur lieh der Galmei seine »Kadmiumerde« dem Kupfer und vermählte sich mit ihm zum Messing.

Das war es, worum Lampadius seine Gesundheit und sein Leben verzehrte, worüber er alle gelahrten Bücher und alle Weisheit, Denken, Beten und Kabbala vergeblich aufbot, – das süße Getändel eines jungen Mädchens, der leise Zufall hatte den Riegel gesprengt, der allem Wissen nicht weichen wollte.

Der Messingguß

Ein Wort genügte, und Sibylle verstand den Ernst des Augenblicks. Ein zweiter Versuch mit einem andern Bruchstück der Blende gelang ebenso gut. Eine neue und leichte Art des Gelbgusses, vor allem eine sichere statt der bisherigen unsicheren und umständlichen hatte er in der Hand. Obwohl die Messingbereitung zu den ältesten Kulturschätzen der Menschheit gehört und auch z. B. seit Urzeiten von afrikanischen Negern in Benin ausgeübt wird, war dennoch die Zusammensetzung des Messings als einer Legierung von Kupfer und Zink bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts unbekannt, da man Zink als Metall nicht kannte. Nach einigen Nachrichten soll es zwar bereits von Basilius Valentinus hergestellt worden sein. Es finden sich jedoch erst in des Paracelsus Schriften gutverbürgte Anzeichen dafür, daß ihm die Natur des Zinkes bekannt war, und historisch bezeugt ist es, daß um 1550 in Nürnberg ein Messinggießer große Erfolge erzielte, der Messing aus Kupfer und Galmei darzustellen wußte. Fabrikmäßig wurde Messing übrigens erst von 1600 ab hergestellt.
Vor der Entdeckung, daß sich die Galmeie zur Messingherstellung benützen lassen, erzeugte man Messing durch Zusammenschmelzen von Kupfer mit einer Erde, die man Cadmia nannte, und über deren Natur vielfach abergläubische Vorstellungen herrschten. Nach der in der Erzählung geschilderten Entdeckung war es bis in das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts üblich, gerösteten Galmei oder Ofenbruch, also zinkoxydhaltiges Rohmaterial, mit Holzkohlenstaub und Schwarzkupfer zusammen zu schmelzen und dadurch eine sogen. » Arkoschmelze« darzustellen, die als Rohmessing nur wenig verwendbar war. Dieses wurde neuerdings mit Zink umgeschmolzen und dadurch Tafelmessing erzeugt, das dann erst vielfache kunstgewerbliche Anwendung, besonders in Nürnberg und Norddeutschland fand.
Gegenwärtig stellt man Messing dadurch her, daß man Kupfer mit Zink und Messingabfällen unter einer starken Schicht Kohlenstaub in Tiegeln zusammenschmilzt. Um gleichmäßiges Messing zu erhalten, wird der Inhalt mehrerer Tiegel in einen großen, den »Königstiegel«, und aus ihm dann zwischen Eisenplatten gegossen, worauf es als Tafelmessing in den Handel kommt.

Als der Vater erwachte, stürmten die jungen Chemiker auf ihn ein. Ein beseligtes Lächeln verklärte seine blassen, abgezehrten Züge: der Traum seines Lebens war durch seine Kinder verwirklicht! Ein neuer Versuch brachte auch ihm die Überzeugung, daß es sich so verhielt. – – – – – – – –

An diesem Abend wollte es gar nicht mehr dunkel werden im stillen Waldhaus. Alle, auch die treue Urschel, saßen in der Herrenstube und schmiedeten Glückspläne. Eine Messingschmiede würden sie errichten in Nürnberg, denn dort schätzte man das gleißende, goldgelbe Metall am meisten, und im neuen Haus wird es sicher nicht fehlen an Arbeit, an Glück und dem frohen Sinn arbeitsamer Menschen.

Als endlich Jörg spät in der Nacht in sein Kämmerlein ging, mußte er noch einen Augenblick frische Luft schöpfen. Es litt ihn nicht mit seinem Glück in der dumpfen Stube. Er trat auf den Altan. Der Regen war vorbei, schon blickte dunkler Himmel durch hellere Wolken. Und rein und klar strahlte seines Glückes Stern. Wie ein leises Atmen ging der Würzduft durch den Wald. Drüben aber schimmerten, hoch und kühn emporsteigend, in ewiger Majestät gelassen thronend über allem Menschenleid und aller Menschenfreude, zart wie Hauch und doch so mächtig, die silbernen Berge.

Schlußvignette

Historische und naturwissenschaftliche Anmerkungen. Eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg.
Bildverzeichnis als "alt"-Text eingearbeitet. Re. für Gutenberg

Fuggerhaus in Schwaz

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