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Die Fugger. – Der neue Kupfer- und Zinnputzer. – Jörg wird Wächter der Silberkammer. – Wer Hans Schlaffer war. – Der Brautschatz und seine Überbringer. – Ein Hochzeitsfest im Fuggerhaus. – Der Festzug. – Die verhängnisvolle Botschaft. – Auf der Flucht vor den Häschern.
War das ein Riesenhaus und eine Pracht am Weinmarkt, wie er solche in seinem Leben nie gesehen! In dem fränkischen Dörfchen, wo seine Jugend verfloß, bis der Würgengel Pest einbrach, ihm die Eltern raubte und ihn in die Welt stieß, da war der größte Prunk im Schlosse nur ein einfach getäfelt Zimmer. Hier aber gab es deren hundert und aberhundert im Hause des Anton Fugger, des großmächtigen Freundes des Kaisers Karl des Fünften, bei dem der Kaiser abstieg und aus und ein ging, so oft er in Augsburg weilte.
War schon ganz Augsburg ein aufgeschlagen Bilderbuch voll Farbenpracht, in dem man tagelang umherwandern konnte mit Schauen und wieder Schauen und Deuten der zahllosen Gemälde auf allen Häusern die lange Zeile vom Pfaffenberg bis Sankt Afra hinunter, so waren die Häuser der Fugger
Die zu Augsburg residierende Familie Fugger hatte sich aus ganz kleinen Anfängen schon zu Beginn des XV. Jahrhunderts zum reichsten Handelshause Augsburgs aufgeschwungen. Namentlich unter Ulrich Fugger († 1510), Georg F. († 1506) und Jakob F. dem Reichen († 1525) hatte sich ihr Vermögen, besonders durch Bergwerkbetriebe in Tirol, Ungarn und Spanien, durch Geldhandel und Warenspekulation so vermehrt, daß man Jakob Fugger bereits den reichsten Kaufmann von Europa nennen konnte. Die Bilanz des Hauses »Jakob Fugger und Gebrüder Söhne«, wie sich das Handelshaus nannte, ergab für 1527 ein Anlagekapital von 2 Millionen Florin, das im Jahre durchschnittlich 54½ % rein trug. Die Schwazer Silberminen wurden von dem Erzherzog Sigismund von Tirol als Pfand gegen ein Bardarlehen von 150 000 fl erworben und trugen bald jährlich 200 000 fl. Dadurch wurden von 1536-42 von dem Hause 13 Millionen Gulden verdient, und im Jahre 1546 wird das Gesamtvermögen aller Fugger laut dem Zeugnis ihrer Sekretäre auf 63 Millionen Gulden geschätzt; sie waren also entsprechend dem damaligen zwanzigfachen Geldwert Milliardäre.
Der Sitz der Familie waren die heute noch bestehenden Fuggerhäuser am Weinmarkt (jetzt Maximilianstraße) zu Augsburg, von deren fürstlicher Pracht zeitgenössische Chroniken Erstaunliches berichten.
Der Höhepunkt des Geschäftes wurde unter Raymund und Anton Fugger (1525-1560) erreicht, die von den Habsburgern, denen sie seit Maximilian ununterbrochen (insgesamt viele Millionen) Geld liehen, im Jahre 1526 in den Grafenstand (später auch in den Fürstenstand) erhoben wurden. Kaiser Maximilian wollte 1511 mit Fuggerschem Gelde sogar Papst werden und suchte hierzu bei dem Augsburger Handelshaus 500 000 Dukaten zu leihen, für die er 100 000 Dukaten Interessen versprach. Die Kaiserwahl Karls V. im Jahre 1519 wurde nur durch Fuggersches Geld (die Kurfürsten forderten 700 000 fl von Karl, der hierzu 543 000 fl von den Fuggers lieh) ermöglicht.
Der Niedergang des Hauses wurde durch diese steten Darlehen, von denen ein großer Teil nicht zurückgezahlt wurde, hervorgerufen. 1546 war der Höhepunkt. Das Unheil begann damit, daß Philipp II. von Spanien den Fuggern im Jahre 1559 zwei spanische Silbersendungen im Werte von 570 000 Dukaten wegnehmen ließ, dazu kam das plötzliche Erlöschen der Schwazer Silberausbeute. Im XVII. Jahrhundert wurde das Handelshaus aufgelöst.
Ihrem Zusammenbruch wußten die Fuggers klugerweise durch die Erwerbung eines großen Fideikommißbesitzes zu begegnen; auch muß man zugestehen, daß viele ihres Geschlechtes den Beinamen eines »Hortes der Gelehrten und Künstler« verdienen. Die hier und in der Erzählung bei der Schilderung Fuggerscher Pracht verwendeten Angaben stammen aus dem Werke von
A. Stauber, Das Haus Fugger. Augsburg 1900. aber ganz besondere Edelsteine in diesem Schmuckkästlein, fürnehmlich das des Anton, der jetzt der Herr des ganzen Hauses war, seitdem Graf Raymund anno 1535 so plötzlich verstorben. Wie es so dastand, herrlich schimmernd in der Sonne mit seinem kupfernen Dach, den weitläufigen und wieder zierlichen Stuben und Sälen, in denen er schon von der Türe her das vergoldete Gebälk und die vortrefflichen Gemälde und Teppiche und das Gerät sah, aus dem kostbarsten Holze so künstlich geschnitzt, da wollte es dem armen Bauernsohn fast bedünken, daß er sich auch die Wohnung Gottes nicht so schön gedacht habe, und als er zum erstenmal im Dienste durch eines dieser von Gold und Zieraten glänzenden Zimmer gehen sollte, wich er dem bunten Labyrinth von eingelegter Arbeit auf dem Fußboden scheu aus und wagte nicht darauf zu treten, weil er es auch für ein Bild hielt, das man aus Mangel an Platz auf den Boden gelegt.
Und in diesem Zauberschloß, darin so viele Mächtige und Große dieser Erde hin und wieder gingen und sogar mit seinesgleichen leutselig taten, da saß er als wohlbestellter Kupfer- und Zinnputzer dem Koche zugeteilt, da hatte er seine eigene Stube, die sogar auf einen dieser Prachthöfe ging, an denen herrliche Säulen aus Marmor in kühlen Gängen standen und allerlei seltsames und nie gesehenes Baumwerk und Blumen, und darin Vexierwasser sprangen zur Erlustigung der Gäste, und Erzbilder aufgestellt waren von italienischer Arbeit und eigen Gebaren.
Nein, sein Glück war nicht zu glauben. Er dünkte sich wie ein Auserwählter des Schicksals, und oft war ihm ungeheuer wichtig und feierlich zumute in seinem Amt, wenn er die mächtigen Kannen scheuerte, daß ein rotglühend Gleißen und Blitzen seine Funken durchs Stübchen warf, oder wenn die zahllosen Zinnbecher und Teller, oft mit ergötzlichen Figuren oder lustigen Sprüchen geschmückt, silberglänzend in langer Reihe vor ihm standen und er an den schönen Dingen seine helle Freude hatte. Man war auch wacker zufrieden mit ihm, das merkte er wohl, und der Kammerschaffner hatte schon einmal etwas gesagt, daß es der Jörg wohl noch bis zur Silberkammer bringen könne, wo die wahrhaften Reichtümer und Meisterwerke der Augsburger Goldschmiedzunft prangten, als Tafelgeschirr und getriebene Aufsätze für die Schaugerichte, als schwergoldene Humpen, die dem Kaiser vorgesetzt wurden, und gelbgleißende Prunkteller von eitel Gold mit grünen und blauen und blutroten Edelsteinen reich besetzt. Schon jetzt, da er doch kaum einige Monate in Diensten stand, hatte man ihm als Wächter dieser Schatzkammer vertraut; seine Kammer war der Zugang zu jenen Gewölben, und er wachte eifriger über sie als die Erzengel an des Paradieses Pforte, die er zu Sankt Ulrich so kunstvoll konterfeit gesehen, als hätt' ihr Meister schon selbst des Paradieses Herrlichkeit erschaut.
Da saß er denn am Fenster seines Verschlages und konnte müßig seinen Gedanken nachhängen in der lauen Luft des späten Sommernachmittages und der großen Stille, die der frühe Feierabend des Samstags über das Haus breitete.
Der dunkelblaue Himmel blickte wolkenlos und weich zu ihm herein, nichts regte sich, als nur ein paar zwitschernde Schwalben, die geschäftig aus und ein flogen. Das schläfrige Spinnen und Summen, das so gern über alten Höfen webt, hatte Besitz ergriffen vom ganzen Haus, und nur der gelbe Sonnenschein ging sacht an den Mauern hin, und es war, als könnte man nun hören, wie die Minuten in die Ewigkeit tropften.
Jörg saß am Fenster und sann und sann. Wie war doch das alles gekommen? Immer wieder kehrte er zu den Ereignissen jener Nacht zurück, in der sich sein Schicksal wendete. Wie merkwürdig hatte sich doch das alles gefügt! Und wie sonderbar, daß er noch keinen von jener Bettlerschar jemals wieder gesehen, so scharf er auch stets die Armen musterte an der Kirchentür, oder wenn sie fast täglich in langem Zuge am Fuggerschen Siechenhaus vorsprachen. Mehr als einmal war er an der Vogelmauer gewesen und hatte versucht, in jenem Haus Zutritt zu finden, durch dessen Garten er damals von Möfli geführt worden, denn zu gerne hätte er sich erkenntlich gezeigt für die Gastfreundschaft und das Geschenk der Kleider und sich nochmals bedankt bei seinen Wohltätern, da er nun »Hans im Glücke« war. Aber das Haus war verschlossen und unbewohnt; in den Schweineställen hatten nun Nachbarn ihre Tiere, und auf seine Fragen sagten sie ihm, in jenem Häuschen seien die Leut' an der Seuch gestorben seit Menschengedenken.
Nur einer aus jener Nacht stand ihm noch nahe und war fast täglich um ihn, und das schien ihm das merkwürdigste von allem. Niemand anders war es als Hans Schlaffer, der ihn ins Fuggerhaus gebracht auf Zureden des Juden. Der war gar kein Bettler, sondern Lakai im nun aufgelassenen Hofhalt des Raymund Fugger, und hatte sich ihm zutraulich angeschlossen und ihm in manchem geholfen auch seitdem. Fast jeden Tag kam er herüber auf den Weinmarkt und war eitel Freundschaft zu ihm.
Aber so ärgerlich er auch auf sich selbst darüber war, er konnte diese Freundschaft nicht so recht erwidern. Gewiß war es nur Einbildung, daß ihm jener bei allem gutmütigen Reden etwas Übertriebenes und Gemachtes zu haben schien. Er zwang sich zur Herzlichkeit aus dem Gefühl seines großen und überströmenden Dankes: hatte er doch nebst Möfli diesem Manne alles zu verdanken. Und es war auch ein Gefühl von Angst dabei. Würde man ihn denn behalten in diesem großen und angesehenen Hause, wenn man erführe, daß er schon betteln mußte? Aber dann fiel ihm wieder ein, daß auch Schlaffer Ursache hatte, darüber zu schweigen, wo er ihn kennen gelernt. Denn was hatte ein gräflich Fuggerscher Lakai bei den Bettlern zu tun, mit denen er so in Freundschaft war, daß sie ihm sogar einen Spitznamen gaben? Ihn darob zu fragen, scheute er sich.
Da wurden die Stille und seine Gedanken durch Getrappel und Lärm auf der Treppe unterbrochen. Man rief ihn. Er mußte bedienen helfen, da die Mehrzahl der Diener Ausgang hatte und ein ganzer Zug Knappschaft gekommen war von den Tiroler Bergwerken mit zwanzig Fuhren. Sie mochten kostbare Ladung enthalten, denn ein ganzes Fähnlein Reisige war aufgeboten zu ihrem Schutze. Das war wohl einer der berühmten Silbertransporte der Fugger, von denen man sich in der Stadt so manches Märchen erzählte, z. B. daß aus ihnen das Türmlein gefüllt würde, das bis zum Rande voll war von allerhand Kostbarkeiten, und das der Kaiser und sein Gesinde voller Staunen bewundert, und wovon sie gesagt, damit könne man ein ganzes Kaisertum bezahlen.
Gar durstige und wüste Gesellen waren es, denen er nun mit Speise und Trank aufwartete, und arg verwildert vom langen Zug durch Tirol und Bayern. Sie mochten schon kein feines Völklein gewesen sein zu Hause, als sie noch am Erzberg schufen. Es waren nämlich zum guten Teil Erzknappen, die sich zur Begleitung des Silbertransportes meldeten als Erholung von ihrem nächtlichen Gewerbe, um auch wieder für ein paar Monate der Sonne goldenes Licht zu sehen und die langentbehrte Freiheit in vollen Zügen zu genießen.
»Na, Milchbart,« rief ihn der eine lustig an, »kommst nit auch mit in die silbernen Berge, wo mehr Taler wachsen, als ihr je Raitpfennige seht? Ist das ein Bettelvolk in Augsburg! Kein Kerl kann einem ordentlich Bescheid geben, nicht im Trinken noch im Würfeln.« Und wohlgemut floß Rede und Gegenspruch, und die Tiroler machten sich ein Vergnügen daraus, zu prahlen mit ihrem Reichtum und dem unerschöpflichen Silberfluß, von dem das, was sie heimgebracht in die Keller des gräflichen Hauses, nur ein ganz dünnes Bächlein sei, nicht der Rede wert trotz der dreißigtausend Goldgulden, auf die es der Bergpfleger verzeichnet im Begleitbrief.
Jeder Bergknappe habe da einen Gulden gesandt als seinen Gruß, denn ihrer seien wohl dreißigtausend in Schwaz, und trotzdem sei noch mehr Erz im Falkenstein, als zehnmal so viel Hände zu schaffen vermöchten. Jeder, der da komme, wenn er nur gerade Glieder habe, werde angenommen und nicht viel befragt, woher des Weges, und keiner ziehe von dannen, dem nicht auch ein Töpflein voll Silber zugetröpfelt aus der großen Ader im Berg …
»Gott verdamm mich!« schrie der Anführer der Rotte, der dem staunenden Jörg so gewaltig aufschnitt, und schlug auf den Tisch. »Gott strafe mich, wenn ich's dem breitmäuligen Fugger nicht selbst sage, so ich ihn nur erwische am Ärmel, daß es ein unrecht Tun ist, wenn er da sein' Turm vollfüllt mit dem Silber, und uns, die's ihm schaffen, tröpfelt's nur!« Und mit unzufriedenen und lästerlichen Reden polterten die Übermütigen und vom zu reichlichen Labetrunk Erheiterten, duckten sich aber doch gleich, als nun der Hofmeister eintrat, um denen, auf die das Haus Fugger vertrauen mußte als Hüter seiner kostbaren Ware, einen Willkomm zu bieten und sie auszuzeichnen vor dem andern Gesinde.
Brautschatz hatten sie gebracht, das erfuhren sie nun, und nur auf ihn hatte man gewartet, um Verlobung zu feiern mit dem Herrn Hans, dem Baumgartner zu Hohenschwangau, der für des alten Herrn Georg Töchterlein aus aller Herren Ländern kunstfertige Hände herbeigeholt, um sein Schloß einer Fuggerin würdig zu schmücken. Mit vielen Reitern habe er sie eingeholt, und schon seit Wochen schmauste ein unzähliger Gäste- und Dienertroß im Haus und freute sich auf den Verspruch, der nun morgen mit einem großen Mummenschanz beginne, zu dem sie alle mit geladen seien.
Das gab neues Hallo und Gelegenheit zum Zechen, und es war fast Mitternacht, als die Lichter erloschen und Jörg die letzte Runde machte in seiner Schatzkammer, vor deren Tür er als treuer Wächter gelegt war.
Auf seinem Tisch lag ein gar possierlich Gewand, denn der Kammerschaffner hatte ihn ob seiner frischen und schönen Gestaltung und seines kindlichen Gesichtes ausersehen als Amor, der mit Pfeil und Bogen auf dem Schiff von Frau Venus mitfahren sollte, um gerade vor der Loge der Herrschaft auf das Herz der Jungfer Braut zu zielen und sie mit Rosen zu beschießen. Es war ihm nicht ganz wohl dabei, da er des Umganges mit feinen Kavalieren so ganz entbehrte; viel lieber hätte er all die tausend Teller und Becher blank gescheuert, die in wahren Bergen schon heute abend hinausgeschleppt wurden für die Galatafel, die am zweitnächsten Tage das Fest noch steigern sollte. Sein stilles und blitzblankes Reich war überhaupt in einen ihm recht mißliebigen Aufruhr gekommen. Statt wohlversperrt in ihren Truhen mit weichen Tüchern zugedeckt zu ruhen, waren viele der Prachtstücke schon jetzt herausgerissen und auf die Tische oder auch nur achtlos auf den Boden gestellt, da sie morgen noch einmal durchgeputzt werden sollten, bevor sie auf der Tafel das Erstaunen der Gäste ob der unerhörten Schwere und Kunst dieser Gold- und Silberschätze wachriefen.
Er hatte es nicht gewagt, seinen Oberen zu bitten, doch einen andern für die ihm zuwideren Narrenpossen aufzustellen und ihn lieber in seiner Verborgenheit und stillzufriedenen Tätigkeit zu belassen, er hatte es um so weniger getan, als der Schaffner, der seine Freude an dem verläßlichen, intelligenten und dabei hübschen Jungen hatte, ihm vertraulich und wohlwollend auf die Schulter klopfte und meinte, man werde in der gräflichen Loge sicher fragen, wer denn der hübsche Amor sei, der sie mit Blumen überschütte, und da sei dann gute Gelegenheit, ihn vorzuschlagen als gräflich Fuggerschen Silberbewahrer, was er ihm jetzt doch nur aus eigenem Vertrauen zugebilligt. Einmal so weit, könne er auch noch Leibdiener werden und dann – – Die verheißungsvoll wichtige Miene, mit der er das sagte, zeigte deutlich, daß es nach der Meinung des guten Mannes zu den höchsten und glücklichsten irdischen Positionen gehöre, gräflich Fuggerscher Leibdiener zu sein.
An das alles dachte Jörg halb freudig erregt, halb bange, als er sein Maskenkleid musterte, ein fleischfarben Trikot mit goldigen Stiefelchen und zwei Engelsflügeln, dazu eine blonde Perücke und Köcher und Bogen. Er stand da wie ein Elefant, der tanzen soll, als er die Stellungen des neckischen Liebesgottes probierte und sich dabei in dem Grund eines blanken Zinntellers in Ermangelung eines Spiegels besah. Aber er war in seiner treuherzigen Anspruchslosigkeit nicht unzufrieden mit sich und schlief ein mit den süßesten Träumen eines jungen Mannes, der eine schöne Zukunft vor sich hat.
Der Sonntagmorgen brachte für ganz Augsburg helle Aufregung. Wohl hatten Reichstage, die Feste der Fugger und Welser die Bürgerschaft an manch glanzvolles Fest gewöhnt, aber nach den Gerüchten sollte das bevorstehende alles bisherige übertreffen, und dazu war wegen des Trauerjahrs um den verstorbenen Grafen Raymund auch lange Pause gewesen.
Gleich nach der Kirchenstunde eilte jung und alt auf den Weinmarkt, der nach der Arbeit während der Nacht kaum wiederzuerkennen war. Zu dem grünen Edelrost des Daches auf dem Fuggerhaus gesellte sich jetzt ein grüner Wald von Girlanden, auf das freundlichste durchwirkt von zahllosen bunten Blumen, wie sie nur die Fuggerschen Gärten in solcher Pracht und Zahl liefern konnten. Kostbare Teppiche hingen vor den Fenstern und waren aufgebaut zu Zelten für die höchsten Herrschaften, die auf hoher Estrade den Schauspielen zusehen sollten, die zu ihrer Ergötzung vorbereitet waren. Mit scharlachfarbenem Tuch war der weite Platz ausgeschlagen und mit Brettern überdeckt der sonst so unsaubere Boden, daß man auf ihm wie in einem Fürstensaal lustwandeln konnte.
Hier war Raum geschaffen für das Ritterspiel, das den Beginn des Festes einweihen sollte. In bunte Seide gekleidet ritten drei Haufen, jeder zu zwölf Kavalieren, aus den mächtigen Torwölbungen des Fuggerhauses, formierten sich zuerst zu einer Quadrille und rannten dann einer nach dem andern nach einem in der Mitte des Marktes aufgestellten hölzernen Mann, der, am rechten Fleck getroffen, sich umdrehte, aber auch dem Reiter einen Schlag ins Gesicht versetzte, wenn der nicht schnell genug entrann. Das gab jedesmal ein endlos Gelächter bei den Tausenden der Zuschauer, die vor Vergnügen strampelten und johlten, auch wenn einer der Reiter zu Fall kam oder gar, wenn zwei, wie das wohl vorkam, in der Last aneinander gerieten und sich gegenseitig umwarfen.
In den Gezelten saß der Gastgeber, Anton Fugger, ein gar stattlicher Mann mit langem Bart und kühner Nase, dessen ruhig vornehmes Wesen gar wohl zu passen schien zu dem Histörchen, das von ihm umging, daß er auf dem letzten Reichstage in einem mit Zimtrinde genährten Feuer beim Besuche Karls des Fünften alle Schuldverschreibungen des Kaisers einfach verbrannt habe, um ihm gefällig zu sein. Neben ihm saßen seine Gäste, vor allem die Eltern des Edlen von Baumgarten, der als Bräutigam in einem lilaseidenen Prunkgewand neben der ganz in zartes Weiß gekleideten Braut auf den Thronsesseln im Mittelpunkt des Festes saß. Da waren die näheren Verwandten, die Neffen des Hausesältesten, der bayerische Hofkammerpräsident Johann Jakob Fugger, der Herr von Weißenhorn, Graf Georg der Zweite, die leiblichen Söhne des Gastgebers, zwei frische kleine Jungen, neben ihnen ein Mann in schwarzem Talar mit weißer Krause, auf den sich viel böse Blicke richteten, als den Dr. Joannes Eck, den argen Feind aller Protestanten, der die Bannbulle gegen den in der Stadt hochverehrten Dr. Luther erwirkt. Und dann erst die Gäste, eine ungezählte Schar von Grafen und Baronen, von kaiserlichen Räten und Pflegern der benachbarten Städte, von wehrsamen Rittern und ehrsamen Patriziern mit ihren Frauen und Töchtern, alle in Samt und Seide, in Damast und, trotz der Sommerglut, in schwere Pelze gekleidet, geschmückt mit Agraffen und Goldketten, Geschmeide und Edelgestein, daß ein Prunken und Leuchten ausging von ihnen, als ob sie der Sonne Glanz und des Regenbogens Farben erkauft hätten.
Man hatte nicht genug Augen zu schauen, zu staunen, man konnte sich nicht genug verwundern und freuen ob des Aufgebotes an Pracht und Lustbarkeiten, mit denen die Fuggers den Ehrentag feierten.
Jetzt verkündeten Posaunisten ein neues Schauspiel, und schon entstand ein Gezeter und Schreien ob des Gedränges in der Menge, in der jeder den besten Platz zum Schauen wollte. Ein bretternes Schloß wurde auf den Markt geführt, von acht herrlich geschirrten Pferden gezogen, und kleine Stücke der neuen Feuerbüchsen waren darauf angebracht und gaben Freudenschüsse ab, und dazwischen vollführten Zinkenisten und Stadtpfeifer eine gar artige Musik zu jedermanns Ergötzen. Zuletzt wurde unter allgemeinem Freudengeschrei die Burg an allen vier Enden angezündet und brannte lichterloh, sogar in verschiedenfarbigem Feuer, was auch die ältesten Leute noch nie gesehen, noch zu erklären wußten und wohl den italienischen Magistri zuschrieben, die Graf Anton so viel beherbergte.
Dann kam nach den gröberen Ergötzungen das Schaustück des Tages für die Kavaliere. Ein »Musenberg« von weißer Leinwand ward auf den Markt geführt, und darin saßen verborgen Musikanten, die eine himmlische Musik vollführten. Auf dem Wagen aber thronte Frau Venus, umgeben von Grazien und pausbäckigen Englein. Jetzt hielt das Gefährt vor der Brautloge. Da entstand Bewegung im Liebesberg. Die Göttin sandte Amor aus, der trat an die Spitze des Wagens, zielte mit dem Bogen, und so geschickt hatte er geschossen, daß ein Strauß schönster Rosen der Braut gerade in den Schoß fiel. Stürmisches Beifallsklatschen belohnte den Geschickten, der, sogar unter der Schminke errötend, nun eine wahre Blumenschlacht begann, die in ein allgemeines Blumenwerfen ausartete …
Überglücklich und todmüde saß Jörg-Amor am Abend in der Dienerhalle, wo nicht weniger der Wein in Strömen floß als oben in den Herrschaftssälen und den Gärten und am Weinmarkt selbst, allwo die wüstesten Balgereien vorfielen um den Freiwein, den der Herr der silbernen Berge aus einem der Brunnen fließen ließ. Jörg war mit sich zufrieden, er hatte seine Sache gut gemacht, und bedeutungsvoll hatte ihm der Schaffner nach Tische zugenickt, als er im Trubel des Tages an ihm vorbeikam. Er war aber auch wieder beunruhigt, denn es hatte sich etwas ereignet, was ihn zwar auch zum Teil freudig aufregte, ihm doch auch wieder zu denken gab. Hans Schlaffer, der mit diesem Tage seines Dienstes ledig sein sollte, da die Dienerschaft des verstorbenen Grafen nun nach der Erbteilung in die einzelnen Hofhaltungen verteilt wurde, Schlaffer hatte ihn im Gewühl zur Seite genommen und ihm zugeraunt: »Denk, Jörg, wer da ist! Möfli ist wiedergekommen, und es geht ihm schlecht, dem alten Schelm. Sei, wenn das Gartenfest beginnt, im Dunklen in deiner Kammer, mach' aber kein Licht, er will zu dir kommen. Er braucht was von dir, was, will er mich nicht merken lassen. Aber mach's heimlich, der Alte hat viel hier zu fürchten, du weißt schon …« Und damit eilte er weg und stand nicht Rede und Antwort, war auch nicht mehr zu finden …
Was sollte er da tun? Er mußte wohl Möfli den Dienst erweisen, es freute ihn auch, endlich seinen Dank zeigen zu können. Aber warum diese Geheimnistuerei? Schließlich, es war einzusehen, der Jude konnte sich nicht gut sehen lassen, namentlich nicht des Abends und auch nicht des Tages, wenn er ohne den nach des Rates Verordnung vorgeschriebenen Begleiter kam.
Und so beschloß er zu tun, wie ihm geheißen, und wußte nach Einbruch der Dunkelheit unauffällig zu verschwinden. Auf leisen Socken eilte er treppauf, um sein Kämmerchen zu gewinnen. Es war ein unglücklicher Zufall, daß vor seiner Stube der lange Linhart saß, über den er im Dunklen beinahe gestolpert wäre. Der war vom Schaffner herbeordert worden als Wache, da doch heute alles schlecht verschlossen im Durcheinander, und dem vielen fremden Troßvolk doch nicht recht zu trauen sei. Aber der lebenslustige Bursch war leicht abzuschütteln und kehrte vergnügt zum Fest zurück, als Jörg ihm sagte, er werde selbst in seiner Kammer bleiben, da ihm nicht mehr trinken tauge.
Gedämpft drang nur noch das Lachen und Gläserklingen herauf in diesen entlegenen Gang. Eine wolkige, dunkle Sommernacht war heraufgezogen, und schwül und still war es am Himmel, der rötlichen Schein widerstrahlte von den Pechkörben, mit denen die Fuggers die Gärten erleuchten ließen, in denen ihr Fest nach italienischer Art den Abschluß fand. Jörg wartete am Fenster mit wachsender Ungeduld; nichts ließ sich vernehmen. Doch da schlich jemand die Treppe herauf, hurtiger, als es dem alten Manne, den er erwartete, zuzutrauen war. Er eilte dem Ankömmling entgegen – es war Schlaffer. »Ich wollt' den alten Möfli doch auch wiedersehen,« meinte er gutmütig und erzählte auf Befragen, daß ihm die Nachricht von dem Stelldichein auch nur durch einen Boten überbracht worden sei. Sie hatten aber gar nicht viel Zeit zum Warten, denn gleich kam wie eine Katze ein kleiner Kerl heraufgeschlichen, wie Jörg gleich erkannte, der Kretin, den er an seinem Schicksalsabend bei den Bettlern gesehen, und er brachte die Botschaft, daß Möfli zu elend sei, um kommen zu können; er liege in den letzten Zügen in der Bettlerherberge an der Vogelmauer und wolle vor seinem Tode Jörg noch einmal sehen, dem er etwas Wichtiges zu verraten habe.
Jörg war tief betroffen. Den ganzen Abend hatte er eine düstere Ahnung gehabt, und nun endete dieses Fest wirklich mit einer schrillen Dissonanz für ihn. Aber was sollte er tun? Seinen Wachdienst verlassen, ging nicht gut an. Da beruhigte ihn Schlaffer. Er möge eben in Gottes Namen dem Sterbenden den letzten Liebesdienst erweisen, er werde für ihn hier wachen. Und der treuherzige Junge ließ sich bewegen und schlüpfte mit seinem Führer aus dem Hause seines Glückes, das er nie wiedersehen sollte. Auf großen Umwegen, um den Menschenmassen auszuweichen, eilten sie zur Vogelmauer, und er konnte seinen Begleiter um nichts fragen, was ihm auf der Seele brannte, denn er konnte dessen Idiotengestammel nicht verstehen.
Nun war das kleine Haus erreicht. Selbst diese einsame Gegend war heute belebt. Gerade als sie die Gartentüre aufklinken wollten, trat ein wie ein Soldat gekleideter Mann auf sie zu und sagte aufgeregt: »Wenn Ihr der Jörg Paumann seid, so macht hurtige Beine. Die Häscher suchen Euch als Dieb – man hat sein schweres Goldgeschirr weggeschleppt, und der Schaffner hat es auf dem Markt gerufen: der Dieb könntet nur Ihr sein, denn Ihr waret neben der Silberkammer und seid heimlich verschwunden.«
Mit Jörg drehte sich der Boden. Was war das? Das war ja nicht möglich! Sein erster Gedanke war, sofort zurückzukehren und den Sachverhalt aufzuklären. Sollte Schlaffer seinen Posten verlassen haben? Blitzschnell jagten sich die Gedanken in seinem Kopf. Welch unglückseliges Zusammentreffen der Umstände! Freilich, wenn gestohlen wurde, mußte man ihn für den Dieb halten. Hatte er sich denn nicht heimlich fortgeschlichen? Hatte er denn nicht den langen Linhart so auffällig weggeschickt und sich selbst dann aus dem Staube gemacht? Wenn man ihn hier bei den Bettlern fände, – welch neuer Verdacht! Aber als er kopflos forteilen wollte, vertrat ihm die dicke Wirtin den Weg. »Armer Junge,« sagte sie bedauernd, »man schreit nach Euch. Kommt, für den Augenblick kann ich Euch verbergen!« Und wieder eilte er von Angst gejagt durch die heimlichen Gänge, wieder fand er sich in dem unterirdischen Gemach, das aber diesmal leer war und, von einem Talglicht erleuchtet, gar trübselig und gruselig aussah. Schon wie eine Kerkerzelle. Und noch während er seiner Beschützerin den Sachverhalt aufklären wollte, noch bevor er in der überstürzenden Eile einen Gedanken faßte, erscholl oben Pochen und ein Rumor wie von Hellebarden und Häschern …
»Maria und alle Heiligen,« kreischte die dicke Wirtin entsetzt, »in was bringt Ihr mich! Man hat Euch schon gefunden, der Soldat hat Euch verraten! Ihr müßt weg! Es bringt mich in den Turm, wenn man einen Dieb hier findet! Da nehmt« – und sie warf ihm ein Bündel zu – »kleidet Euch um, ich will Euch hinauslassen vor die Mauer, dann sucht Euer Glück in Gottes Namen.«
Mechanisch gehorchte er. Ja wirklich, Flucht war bei so vielem, was gegen ihn zeugte, das beste. Er hatte ja wirklich seine Pflicht in hohem Maße verletzt.
Inzwischen hatte die Frau die Herdplatte gehoben, und man sah in ein Loch, in das Stufen führten. »Kommt,« herrschte sie ihn an und stieg mit einem Lichte voraus. Durch einen ganz schmalen Gang gelangten sie zu einem nassen Graben. »Hier müßt Ihr über den Stadtgraben setzen, dann seid Ihr draußen. Gott mit Euch!« flüsterte sie.
Und eine Minute später stand Jörg in tiefer Nacht, in der inzwischen Tropfen fielen, naß, in dieselben Lumpen gekleidet, in denen er in das Bettlerhaus einst eingezogen war, vor den schwarzdrohenden Mauern der Reichsstadt.
Und er war ärmer als je, denn er hatte sogar den ehrlichen Namen verloren.