Georg Forster
Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772-1775
Georg Forster

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12. Kapitel

Seefahrt von den Freundschafts-Inseln nach Neuseeland – Trennung von der »Adventure« – Zweiter Aufenthalt in Charlotten-Sund

Kaum hatten wir den heißen Erdstrich zwischen den Wendekreisen verlassen, als sich schon wieder große Schwärme von Seevögeln einfanden und mit leichtem Fluge über den Wellen dahinschwebten, die der günstige Wind vor sich hertrieb. Am 12. sahen wir unter einer Menge von Vögeln einen Albatros; diese Vögel kommen nie über den Wendekreis hinaus, aber jenseits desselben findet man sie bis gegen den Pol hin. So sorgfältig hat die Natur jedem Tier seinen Wohnplatz angewiesen.

In der Nacht trieben verschiedene Blubbers (Medusen) an dem Schiffe vorbei. Sie wurden durch ihr phosphorisches Licht sichtbar und funkelten so hell, daß die See glänzendere Sterne zu enthalten schien als der Himmel. Meergras, Sturmvögel und Albatrosse sahen wir täglich mehr, je näher wir der Küste von Neuseeland kamen. Am 19. leuchtete die See, am 20. verkündigten uns ganze Schwärme von Sturmtauchern, daß wir nicht mehr weit vom Lande sein konnten, und am folgenden Morgen um fünf Uhr entdeckten wir die ersten Berggipfel. Den ganzen Tag steuerten wir gegen die Küste hin, und um vier Uhr nachmittags waren wir dem Table Cap und Portland-Eiland gegenüber. Die Küste bestand aus steilen, weißen Felsen, und wir konnten schon die Hütten und Festungen der Eingeborenen unterscheiden, die wie Adlernester oben auf den Klippen erbaut waren. Die Einwohner liefen in ziemlicher Anzahl längs dem Berge hin, um uns nachzuschauen. Sie setzten sich auf die Landspitze, aber keiner gab sich die Mühe, sein Kanu ins Meer zu bringen. Wir segelten zwischen den verborgenen Klippen und dem Lande durch, liefen bei Hawkes-Bai vorüber und steuerten die Nacht über längs der Küste hin.

Am Morgen waren wir jenseits von Kap Kidnapper und näherten uns dem schwarzen Kap. Nach dem Frühstück stießen drei Kanus vom Lande ab. Da wir nicht weit vom Strande waren, holten sie uns bald genug ein. In einem der Kanus befand sich ein vornehmer Mann, der ohne Bedenken sogleich aufs Schiff kam. Er war groß, von mittlerem Alter und hatte ein paar gute, aus hiesigem Flachs gemachte Kleidungsstücke an. Sein Haar war nach Landesart aufgesetzt, das heißt auf dem Scheitel aufgebunden, mit Öl eingeschmiert und mit Federn besteckt. In jedem Ohr hatte er ein Stück Albatrosfell, an dem noch die weißen Flaumfedern saßen, und das Gesicht war über und über in krummen und gewundenen Linien punktiert. Der Kapitän schenkte diesem Mann ein Stück roten Boy, etwas Gartensamen, ein paar Schweine und drei Paar Hühner. Maheine, unser junger Reisegefährte aus Borabora, hatte kaum gehört, daß es hier weder Kokospalmen noch Yams gebe, als er aus seinem eigenen Besitz einige Nüsse und Wurzeln hervorsuchte, um den Wilden ein Geschenk damit zu machen. Da man ihm aber sagte, daß in diesem Klima keine Kokosbäume wachsen würden, gab er ihm nur die Yams und überließ es uns, dem Neuseeländer die Nutzbarkeit dieses Gewächses zu erklären. Wir wandten auch alle Mühe an, ihm wenigstens soviel beizubringen, daß er die Schweine und Hühner zur Zucht behalten, die Wurzeln aber pflanzen müsse. Nach langen Erklärungen schien er endlich zu begreifen, und um seine Dankbarkeit zu zeigen, beraubte er sich einer Mahipeh oder Streitaxt, die künstlich geschnitzt und mit Papageienfedern und weißen Hundehaaren geziert war. Darauf empfahl er sich und stieg an Deck, wo der Kapitän ihm noch einige Nägel aushändigte. Zum Abschied gaben unsere Gäste uns einen Hiva- oder Kriegstanz zum besten, der aus Stampfen mit den Füßen, drohendem Schwenken der Keulen und Speere, schrecklichen Verzerrungen des Gesichts, Ausstrecken der Zunge und wildem Heulen bestand. Die Art, wie sie mit den Hühnern umgingen, ließ uns nicht viel Hoffnung, daß wir unsere Absicht erreichen und dies Land mit zahmen Haustieren versorgen könnten, denn es schien fast, daß sie kaum lebendig an Land kommen würden.

Gegen Abend stürmte es so heftig, daß wir uns scharf am Wind halten und oft lavieren mußten, um nicht zu weit von der Küste verschlagen zu werden. Dabei regnete es so stark, daß man in keiner Kajüte des Schiffes trocken blieb. Von Zeit zu Zeit kam ein jäher Windstoß und riß uns die morschen Segel in Stücke. Außerdem machte der Wind, der von den verschneiten Bergen herabwehte, die Luft so kalt, daß das Thermometer auf 5,5 Grad stand. So stürmisch und brausend jedoch dieser Anfang war, so ruhig wurde es bald wieder. Allein die Stille hatte kaum einige Stunden gewährt, als der Sturm von neuem losging. Am folgenden Morgen ließ er soweit nach, daß wir wieder gegen die Küste steuern konnten, mit Einbruch der Nacht aber wurde er fürchterlicher als je, und die Matrosen hatten nicht einen Augenblick Ruhe. Am 24. abends sahen wir endlich die Einfahrt der Cook-Straße, das Kap Palliser, vor uns, doch durften wir es nicht wagen, in der Dunkelheit hineinzusteuern, und ehe wir am nächsten Morgen Anstalten dazu treffen konnten, erhob sich der Sturm abermals und wurde um neun Uhr so rasend, daß wir beilegen und alle Segel bis auf eins einnehmen mußten. Die Wellen rollten so lang und stiegen so entsetzlich hoch, daß sie beim Brechen durch den Sturm völlig zu Dunst zerstäubt wurden. Dieser Wasserstaub breitete sich über die ganze Oberfläche der See aus, und da kein Wölkchen am Himmel zu sehen war, die Sonne vielmehr hell und klar schien, gab die schäumende See einen überaus blendenden Anblick. Endlich wurde der Wind so wütend, daß er uns das einzige Segel vollends zerriß, welches wir noch aufgespannt zu lassen gewagt hatten. Nun waren wir ein Spiel der Wellen, sie schleuderten uns bald hier-, bald dorthin, schlugen oft mit entsetzlicher Gewalt über dem Verdeck zusammen und zerschmetterten alles, was ihnen im Wege war. Von dem ständigen Werfen des Schiffes litt das Tau und Takelwerk ungemein; auch die Stricke, womit Kasten und Kisten festgebunden waren, gaben nach und rissen endlich los, so daß alles in der größten Verwirrung vor und um uns lag. Als das Schiff einmal besonders stark rollte, riß auch der Gewehrkasten los und stürzte gegen das Seitengeländer, an das sich unser Reisegefährte Hood eben gestellt hatte. Kaum blieb ihm soviel Zeit übrig, sich niederzubücken, doch hätte auch das ihn nicht gerettet, wenn nicht der Kasten schräg gegen das Geländer gefallen und darunter ein Hohlraum geblieben wäre, in dem Herr Hood glücklicherweise unbeschädigt blieb.

So wild es solchergestalt auch mit den Elementen zuging, so waren die Vögel doch nicht ganz weggescheucht. Noch immer schwebte über der brausenden, aufgewühlten Fläche der See hier und da ein schwarzer Sturmvogel, indem er sich hinter den hohen Wellen sehr geschickt gegen den Sturm zu schirmen suchte. Der Anblick des Ozeans war prächtig und fürchterlich zugleich. Bald überschauten wir von der Spitze einer breiten, schweren Welle die unermeßliche Fläche des Meeres, in unzählbare tiefe Furchen aufgerissen, bald zog uns eine brechende Welle mit sich in ein schroffes, fürchterliches Tal herab, während der Wind von jener Seite schon wieder einen neuen Wasserberg mit schäumender Spitze herbeiführte und das Schiff zu decken drohte. Die hereinbrechende Nacht vermehrte diese Schrecken, vornehmlich bei denjenigen, die nicht von Jugend auf an das Seeleben gewöhnt waren. In der Kapitänskajüte wurden die Fenster herausgenommen und Bretterschieber eingesetzt, damit die Wellen nicht eindringen konnten. Diese Veränderung brachte einen Skorpion, der sich zwischen dem Holzwerk eines Fensters verborgen gehalten hatte, aus seinem Lager hervor. Vermutlich war er auf einer der Inseln in einem Bündel Früchte oder Wurzeln mit an Bord gekommen. Unser Freund Maheine versicherte uns, es sei ein unschädliches Tier, allein der bloße Anblick war fürchterlich genug, uns bange zu machen. In den anderen Kajüten waren die Betten durchaus naß, doch wenn auch dies nicht gewesen wäre, so nahm uns das fürchterliche Brausen der Wellen, das Knacken des Holzwerks und das gewaltige Schwanken des Schiffes ohnehin alle Hoffnung, ein Auge zuzutun. Und um das Maß der Schrecken vollzumachen, mußten wir noch das entsetzliche Fluchen und Schwören der Matrosen mit anhören, die oftmals Wind und Wellen überschrieen. Von Jugend auf an jede Gefahr gewöhnt, ließen sie sich auch jetzt nicht davon abhalten, die frechsten, gotteslästerlichsten Flüche auszustoßen. Unterdessen tobte der Sturm nach wie vor, bis es um zwei Uhr morgens mit einem Male aufhörte zu wehen und gänzlich windstill wurde. Nun schleuderten die Wellen das Schiff erst recht herum. Es schwankte so gewaltig von einer Seite zur anderen, daß manchmal die mittleren Wanten und sogar das hintere Verdeck ins Wasser tauchten.

Nach Verlauf einer Stunde erhob sich endlich ein frischer, günstiger Wind, mit dem wir den ganzen Tag über wieder dem Lande zu segelten, denn der Sturm hatte uns weit in die See hinaus verschlagen. Pintaden und Sturmvögel schwärmten von neuem scharenweise um uns her, und ein Albatros, an dem wir vorbeifuhren, war auf offener See eingeschlafen, so sehr mußte der Sturm ihn ermüdet haben. Am folgenden Tage ging es uns an der Mündung der Cook-Straße nicht besser als zuvor. Wir bekamen abermals widrigen Wind, der in einen regelrechten Sturm ausartete. Am 29. frühmorgens erblickte der wachhabende Offizier verschiedene Tromben oder Wasserhosen, und kurz darauf hatten wir einen leichten Regen und guten Wind. Abends verloren wir die »Adventure« aus dem Gesicht und bekamen sie die ganze Reise über nicht mehr zu sehen. Der widrige Wind, der am folgenden Morgen einfiel, muß uns völlig auseinandergebracht haben, denn die »Adventure« war ungleich weiter vom Lande entfernt als wir, und folglich hat der Sturm seine Gewalt weit mehr an ihr als an uns auslassen können.

Wir wurden neun elende lange Nächte in der See herumgeworfen, ohne daß Schlaf in unsere Augen kam, und wir gaben beinahe alle Hoffnung auf, an dieser Küste je wieder vor Anker zu gelangen. Endlich erreichten wir am l. November die Cook-Straße. Das Wetter blieb zwar noch immer unbeständig und wurde uns von neuem zuwider, als wir an das auf der nördlichen Insel gelegene Kap Terra Witti herankamen, doch glückte es uns, am 2. in eine Bucht einzulaufen. Die Küste bestand aus schwarzen, unfruchtbaren Bergen, die sehr hoch, fast ohne Holz und Buschwerk waren und in langen, säulenförmigen Felsen in die See hinausragten. Die Bai selbst schien weit ins Land hineinzugehen und ließ uns vermuten, daß das Land, auf dem Kap Terra Witti liegt, vielleicht eine Insel sei. So kahl und öde aber diese Insel auch aussah, so war sie doch bewohnt, denn wir lagen noch keine halbe Stunde vor Anker, als schon verschiedene Kanus ans Schiff kamen. Die Leute gingen in alte lumpige Mäntel gekleidet. Der Rauch, dem sie in ihren niedrigen Hütten ständig ausgesetzt sind, und der Schmutz, der sich vermutlich von ihrer Jugend an auf der Haut festgesetzt hatte, bewirkte, daß sie häßlich gelbbraun aussahen und daß man ihre wahre Farbe nicht feststellen konnte. Den Winter hindurch hatten sie sich vielleicht oft mit halbfaulen Fischen begnügen müssen, diese ekelhafte Nahrung aber und das ranzige Öl, womit sie sich das Haar einschmierten, hatten ihren Ausdünstungen einen so unerträglichen Gestank mitgeteilt, daß man sie schon von weitem wittern konnte. Sie brachten einige Fischangeln und gedörrte Krebsschwänze mit und nahmen unsere Eisenwaren und tahitisches Tuch sehr gierig dagegen. Kapitän Cook schenkte ihnen ein paar Hühner, die sie zur Brut behalten sollten, allein es ist schwerlich anzunehmen, daß diese Wilden auf Viehzucht bedacht sein könnten.

Um drei Uhr nachmittags lichteten wir die Anker und verließen die Bai. Es war ein Glück, daß wir nicht länger gewartet hatten, denn in wenigen Minuten wurde es so stürmisch, daß das Schiff unglaublich schnell forttrieb, doch kamen wir an den gefährlichen Klippen, die Brüder genannt, ohne Schaden vorüber und gelangten endlich bei einbrechender Nacht in Charlotten-Sund vor Anker. Am folgenden Tage trafen wir gegen Mittag glücklich wieder in Ship-Cove ein, von wo wir ungefähr fünf Monate vorher ausgesegelt waren. Der frühen Jahreszeit wegen ließ sich zwar jetzt nicht erwarten, daß wir so viele frische Kräuter finden würden wie das erstemal, dagegen machten wir uns große Hoffnung, hier wieder mit der »Adventure« zusammenzutreffen, weshalb auch Kapitän Cook einige Zeit hierzubleiben gedachte.

Kaum hatten wir geankert, so besuchten uns verschiedene Eingeborene, die vom Fischen kamen und ihren Fang zum Tausch anboten. Es waren einige von unseren Bekannten unter ihnen, die sehr erfreut zu sein schienen, daß wir sie bei ihren Namen nannten. Sie erzählten uns, daß Gubaia, einer ihrer alten Befehlshaber, mit den beiden Ziegen, die wir bei Gras-Cove gelassen hatten, eine Jagd angestellt, sie geschlachtet und gegessen habe. Auf solche Art durften wir uns gar keine Hoffnung machen, dies Land je mit vierfüßigen Tieren zu versehen.

Nachmittags besuchten wir die Pflanzungen, die wir am Strand von Ship-Cove, auf dem Hippahfelsen und auf Motu-Aro angelegt hatten. Die Rüben und fast alle anderen Wurzeln waren in Samen geschossen, der Kohl und die gelben Mohren standen sehr schön, Petersilie und Zwiebeln nicht minder gut, die Erbsen und Bohnen hingegen mußten von den Ratten verheert worden sein, denn es war kaum noch eine Spur davon zu finden. Auch die Kartoffeln waren fast alle fort, doch schien es, daß sie von den Eingeborenen ausgegraben worden waren. Der gute Zustand der Gartengewächse bewies, daß der Winter in diesem Teile von Neuseeland sehr gelinde sein muß.

Am folgenden Morgen lief von unseren bereits dort kampierenden Leuten die Meldung ein, daß die Eingeborenen in der Nacht einen Wächtermantel und einen Beutel mit Leinen aus dem Wasserzelt gestohlen hätten. Der Kapitän begab sich unverzüglich zu den Eingeborenen und stellte ihren Anführer Teiratuh wegen des Diebstahls zur Rede. Dieser schickte alsbald nach den gestohlenen Sachen und lieferte sie ohne Widerrede zurück, wobei er beteuerte, daß er nicht das mindeste davon gewußt habe. Bei dieser Erklärung ließen wir es, weil wir es nicht mit den Eingeborenen verderben wollten. Sie versahen uns nämlich täglich mit frischen Fischen, die wir nicht so reichlich zu fangen wußten. Bei dieser Gelegenheit fand man auch eine von den Sauen, die Kapitän Furneaux in Cannibal-Cove zurückgelassen hatte. Als Teiratuh befragt wurde, wo die beiden anderen geblieben seien, wies er nach verschiedenen Gegenden, um anzudeuten, daß man sie hierhin und dorthin geschleppt habe. Durch solche Trennung der Tiere, die sie als Beute untereinander teilen, hindern diese Leute das Fortkommen derselben. Immer nur darauf bedacht, für den Augenblick zu sorgen, vernachlässigen sie die Mittel, durch die man ihnen einen beständigen Unterhalt zu verschaffen und sie glücklicher zu machen wünscht.

Am 6. nachmittags kamen aus verschiedenen Gegenden der Bai eine Menge anderer Indianer mit Fischen, Kleidern, Waffen und dergleichen zu uns und tauschten alle diese Waren gegen tahitisches Zeug. Abends begaben sie sich in eine Bucht, zogen ihre Kanus an Land, richteten Hütten auf, zündeten Feuer an und machten sich ein Abendessen von Fischen. Früh am folgenden Morgen waren sie alle fort. Wir konnten nicht begreifen, warum sie so plötzlich aufgebrochen waren, endlich aber zeigte es sich, daß sie sechs kleine Fässer, vermutlich der Eisenreifen wegen, vom Wasserplatz entwendet hatten. Im Grunde hätten sie es nicht nötig gehabt, ihre Zuflucht zum Stehlen zu nehmen, denn wenn sie uns nur einen Tag mit Fischen versorgten, bekamen sie dreimal soviel und dazu brauchbareres Eisengerät als jetzt. Nun mußten wir selber fischen, obgleich wir den Strich und Stand der Fische nicht so gut kannten wie die Eingeborenen und auch die Leute dazu nicht entbehren konnten. Die Matrosen hatten alle Hände voll zu tun, das Schiff abzuputzen und zu kalfatern, neues Tau zu bringen, was zu der beschwerlichen Fahrt gegen den Südpol erforderlich war. Einige Matrosen blieben an Land, um die Wasserfässer zu füllen, Holz zu schlagen und den Schiffszwieback durchzusehen, der in sehr üblem Zustand war. Unglücklicherweise hatte man ihn bei der Abreise aus England in neue Fässer gepackt, wodurch er feucht und schimmlig geworden, ja zum Teil ganz verfault war. Damit dieses Übel nicht noch weiter um sich greifen möchte, wurde alles Brot an Land geschafft, das Verdorbene von dem Eßbaren sorgfältig abgesondert und letzteres in einem Ofen getrocknet und aufgebacken.

Das Wetter blieb diese Zeit über meist ebenso stürmisch und unbeständig, wie es bei unserer Annäherung an diese Küste gewesen war. Selten verging ein Tag ohne heftige Regengüsse und Windstöße, die unsere Leute oft an der Arbeit hinderten. Dabei war die Luft kalt und rauh. Das Wachstum der Pflanzen ging langsamer vonstatten, und die Vögel hielten sich nur in solchen Tälern auf, wo sie gegen den kalten Südwind Schutz fanden.

So rauh indessen das Wetter auch war, so ließen die Eingeborenen sich dadurch doch nicht abhalten, in diesem weitläufigen Sund umherzustreifen. Nachdem wir drei Tage von ihnen verlassen gewesen waren, kamen wieder drei Kanus zu uns, wovon das eine am Hinterteil sehr kunstvoll mit erhabener und durchbrochener Arbeit verziert war. Am folgenden Tage stießen noch zwei Kanus zu ihnen, in denen sich unser Freund Towahangha mit seiner ganzen Familie befand. Er brachte seinen Sohn Koaah und seine Tochter Ko-parrih mit an Bord. Wir kauften ihm eine Menge grüner nephritischer Steine ab, die zu Meißeln und Äxten geschliffen waren, und führten ihn dann in die Kajüte, wo er von Kapitän Cook allerlei Sachen, der kleine Junge aber ein Hemd bekam. Kaum hatte man dem Knaben seinen neuen Staat angezogen, da wollte er vor seinen Landsleuten auf dem Deck paradieren. Diese Eitelkeit kam ihm aber teuer zu stehen. Ein alter Ziegenbock, der zum Mißvergnügen der Neuseeländer, die ihn fürchteten, auf dem Deck seinen Stand hatte, schien über die lächerliche Gestalt des kleinen Koaah in dem weiten Hemde böse zu werden und stieß mit ganzer Gewalt den armen Jungen zu Boden, so daß er alle viere von sich streckte und nicht wagte, aufzuspringen und davonzulaufen, sondern aus Leibeskräften schrie. Man half dem Knaben wieder auf die Beine, aber Hemd, Gesicht und Hände waren gleich schmutzig. In diesem Zustand kam er heulend in die Kajüte und klagte seinem Vater, was für ein Unglück ihm begegnet sei, allein dieser gab ihm zur Strafe für seine Torheit einige derbe Schläge, ehe wir uns ins Mittel legen konnten. Das Hemd wurde gereinigt, und er selber wurde über und über gewaschen, was ihm wohl sein lebelang noch nicht widerfahren sein mochte. Der Vater aber rollte das Hemd sorgfältig zusammen, nahm sein eigenes Kleid ab und rollte aus beidem ein Bündel, worin er alle Geschenke zusammenpackte, die wir ihm und seinem Sohn gegeben hatten.

Seit dem 13. war das Wetter gelinde und schön. Die Eingeborenen versorgten uns noch immer mit Fischen, so wie auch unsere Seeleute ihre Galanterien mit den Frauenspersonen fortsetzten, obschon nur eine einzige von ihnen erträgliche sanftere Gesichtszüge hatte. Dieses Mädchen war von den Eltern einem unserer jungen Reisegefährten als Frau überlassen worden. Toghiri, so hieß das Mädchen, war ihrem Mann ebenso treu und ergeben, als ob er ein Neuseeländer gewesen wäre. Sie verwarf die Anträge anderer Seeleute mit dem Hinweis, sie sei eine »tirra-táne«, eine verheiratete Person. So gern aber der Engländer sie auch leiden mochte, er brachte sie nie mit an Bord, und in der Tat wäre dort für die zahlreiche Gesellschaft, die auf ihren Kleidern und in ihren Haaren herumkroch, wohl kaum Platz gewesen. Er besuchte sie also nur den Tag über auf dem Lande und trug ihr gewöhnlich den ausrangierten Schiffszwieback zu, den sie und ihre Landsleute immer noch mit großer Begierde als einen Leckerbissen verzehrten.

Maheine von Borabora war so sehr gewohnt, jedem Rufe der Natur zu folgen, daß er keine Bedenken trug, ihrer Stimme auch in Neuseeland zu folgen. Er sah freilich wohl, daß die Frauen hier weder so schön, noch so artig waren wie in seiner Heimat, doch die Stärke des Instinkts brachte seine Delikatesse zum Schweigen, und das ist wohl um so weniger zu verwundern, da es die gesitteten Europäer nicht besser machten. In jeder anderen Beziehung waren seine Gesinnung und sein Betragen gegen die Neuseeländer untadelhaft. Er teilte den Leuten, die uns besuchten, aus seinem eigenen Vorrat an Yamswurzeln mit, und wenn der Kapitän ein Stück Land besäte oder bepflanzte, war er stets als treuer Gehilfe dabei zugegen. Wir brachten am 17. fast den ganzen Morgen damit zu, viele hohe Bäume zu fällen, von denen wir gern die Blüten gehabt hätten, aber alle Mühe war vergebens, denn die geschlagenen Bäume fielen nicht, sondern blieben in tausend Schlingpflanzen und in den Gipfeln anderer Bäume hängen. An den drei folgenden Tagen regnete es so heftig, daß wir an Bord bleiben mußten, diese ganze Zeit über ließ sich auch kein einziger Wilder sehen. Am 21. des Morgens kamen zwei Kanus mit Frauen an das Schiff. Sie gaben uns zu verstehen, daß ihre Männer gegen eine andere Partei zu Felde gezogen und sie deswegen sehr besorgt seien. Soviel sich aus ihren Zeichen ersehen ließ, mußten die Feinde irgendwo an der Admiralitäts-Bai wohnen. Da am 22. das Wetter schön war, begleiteten wir den Kapitän nach der West-Bai, um dort in einem entlegenen Winkel zwei Sauen, einen Eber, drei Hähne und zwei Hennen auszusetzen. Wir hofften, daß diese Tiere sich hier ungestört vermehren könnten, sollte also einmal die südliche Insel von Neuseeland mit Schweinen und Hühnern versehen sein, so wird dies der Vorsicht zuzuschreiben sein, mit der wir die Zuchttiere versteckten.

Der Kapitän, Herr Wales und mein Vater ließen sich am Nachmittag nach Motu-Aro übersetzen, um die Pflanzgärten zu besichtigen und Kräuter zu sammeln, während einige Leutnants nach Indian-Cove gingen, um dort Handel zu treiben. Das erste, was ihnen dort in die Augen fiel, waren die Eingeweide eines Menschen, die nahe am Wasser auf einen Haufen geschüttet lagen. Kaum hatten sie sich von der ersten Bestürzung über diesen Anblick erholt, als ihnen die Eingeborenen verschiedene Stücke vom Körper selbst vorzeigten und mit Worten und Gebärden zu verstehen gaben, daß sie das übrige gefressen hätten. Unter den vorhandenen Gliedmaßen befand sich auch noch der Kopf, und nach diesem zu urteilen, mußte der Erschlagene ein Jüngling von fünfzehn oder sechzehn Jahren gewesen sein. Die untere Kinnlade fehlte, und über dem einen Auge war der Hirnschädel eingeschlagen. Unsere Leute fragten die Neuseeländer, woher sie diesen Körper bekommen hätten, worauf jene antworteten, daß sie dem Feinde ein Treffen geliefert und verschiedene von ihnen getötet, aber nur den Leichnam dieses Jünglings hätten mitnehmen können. Sie setzten hinzu, daß auch von ihrer Partei verschiedene umgekommen seien, wobei sie auf einige abseits sitzende Weiber zeigten, die laut wehklagten und sich die Stirn mit scharfen Steinen verwundeten. Was wir also bisher nur vermutet hatten, das fanden wir jetzt durch den Augenschein bestätigt, und es blieb uns kein Zweifel mehr, daß wir die Neuseeländer für wirkliche Menschenfresser zu halten hätten.

Leutnant Pickersgill wünschte den Schädel zu kaufen und als Andenken mit nach England zu nehmen. Er bot einen Nagel dafür und erhielt ihn ohne das mindeste Bedenken für diesen Preis. Als er an Bord zurückkam, stellte er ihn oben auf das Decksgeländer. Während wir noch um ihn herumstanden, um ihn zu betrachten, kamen einige Neuseeländer vom Wasserplatz zu uns. Als sie den Kopf sahen, zeigten sie großes Verlangen nach ihm und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, daß das Fleisch von vortrefflichem Geschmack sei. Den ganzen Kopf wollte Herr Pickersgill nicht hergeben, doch erbot er sich, ihnen ein Stück von der Backe abzugeben. Er schnitt es ab und reichte es ihnen, sie.wollten es aber nicht roh essen. Man ließ es ein wenig über dem Feuer braten, und kaum war dies geschehen, so verschlangen sie es vor unseren Augen mit der größten Gier. Dieser Anblick brachte bei allen, die zugegen waren, sonderbare und recht verschiedene Wirkungen hervor. Einige schienen, dem Ekel zum Trotz, der uns gegen Menschenfleisch beigebracht worden ist, fast Lust zu haben, mit anzubeißen. Andere hingegen waren auf die Menschenfresser unvernünftigerweise so erbittert, daß sie die Neuseeländer alle totzuschießen wünschten, als ob sie das Recht hätten, über das Leben eines Volkes zu gebieten, dessen Handlungen nicht einmal vor ihren Richterstuhl gehörten. Einigen war der Anblick wie ein Brechpulver. Die übrigen begnügten sich damit, diese Barbarei eine Entehrung der menschlichen Natur zu nennen und zu beklagen, daß das edelste der Geschöpfe dem Tier so ähnlich werden könne. Allein Maheine, der junge Mensch von den Gesellschaftsinseln, zeigte bei diesem Vorfall mehr wahre Menschlichkeit als alle anderen. Geboren und erzogen in einem Land, dessen Einwohner sich bereits der Barbarei entrissen haben, erregte diese Szene den heftigsten Abscheu in ihm. Er wandte die Augen von dem gräßlichen Schauspiel und floh nach der Kajüte. Wir fanden ihn dort in Tränen, und auf unser Befragen erfuhren wir, daß er über die unglücklichen Eltern des Schlachtopfers weine. Er war so schmerzlich gerührt, daß einige Stunden vergingen, ehe er sich wieder beruhigen konnte.

Philosophen, die den Menschen nur von ihrer Studierstube her kennen, haben dreist behauptet, daß es nie Menschenfresser gegeben habe, selbst unter unseren Reisegefährten waren Zweifler. Kapitän Cook hatte aber schon auf seiner vorigen Reise aus guten Gründen gemutmaßt, daß die Neuseeländer Menschenfresser sein müßten, und jetzt, da wir es mit eigenen Augen gesehen haben, kann man nicht mehr daran zweifeln. Über den Ursprung dieser Gewohnheit sind die Gelehrten sehr verschiedener Meinung, wie unter anderem aus des Herrn Canonicus Pauw zu Xanten »Recherches philosophiques sur les Americains« ersehen werden kann. Er selbst scheint anzunehmen, daß die Menschen ursprünglich durch Mangel und äußerste Notdurft darauf verfallen sind, einander zu fressen. Dagegen aber lassen sich sehr wichtige Einwände erheben, und folgender ist einer der stärksten: Wenige Gegenden der Erde sind so unfruchtbar, daß sie ihren Bewohnern nicht soviel Nahrungsmittel liefern, als zu ihrer Erhaltung nötig sind, und die Länder, wo es jetzt noch Menschenfresser gibt, können am wenigsten für so elend ausgegeben werden. Die nördliche Insel von Neuseeland hat kaum hunderttausend Einwohner, und wenn ihrer auch weit mehr wären, so würden sie sich doch alle von dem Überfluß an Fischen und vermittels des Landbaues, der in der Bai of Plenty und andernorts angefangen worden ist, zur Genüge ernähren und sogar den Fremden davon abgeben können, was sie auch wirklich getan haben.

Bei alledem leugne ich keineswegs, daß es Fälle gegeben haben kann, wo ein Mensch wirklich den anderen aus Not aufgefressen hat, allein davon gibt es nur einzelne Beispiele, woraus aber nur zu ersehen ist, daß die Menschenfresserei damit im ganzen genommen nicht bewiesen ist. Im Jahre 1722, da Deutschland eine Mißernte hatte und viele Provinzen Hunger leiden mußten, wurde auf den Boinenburgischen Gütern an der Grenze von Thüringen ein Hirt eingezogen und, wenn ich nicht irre, am Leben bestraft, weil er, durch Hunger gezwungen, einen jungen Burschen erschlagen und gefressen, auch verschiedene Monate lang in gleicher Absicht bloß des Wohlgeschmacks wegen zu morden fortgefahren hatte. Er sagte im Verhör, daß ihm das Fleisch junger Leute vorzüglich geschmeckt habe, und ebendies ließ sich auch aus den Mienen und Zeichen der Neuseeländer schließen.

Ein altes Weib in der Provinz Matto Grosso in Brasilien gestand dem damaligen protugiesischen Gouverneur Pinto, daß sie mehrmals Menschenfleisch gegessen, daß es ihr ungemein gut geschmeckt habe und daß sie auch weiterhin welches essen möchte, besonders junges Knabenfleisch. Wäre es aber nicht abgeschmackt, wenn man aus diesen Beispielen folgern wollte, daß die Deutschen und Brasilianer, ja überhaupt irgendein anderes Volk Menschen umzubringen und sich mit dem Fleische des Erschlagenen zugute zu tun pflegen? Wir müssen also der Veranlagung dazu auf einem anderen Wege nachspüren. Man weiß, daß geringe Ursachen oft die wichtigsten Begebenheiten auf der Erde veranlaßt und unbedeutende Zänkereien die Menschen sehr oft bis zu einem unglaublichen Grad gegeneinander erbittert haben. Ebenso bekannt ist, daß die Rachsucht bei wilden Völkern durchweg eine heftige Leidenschaft ist und oft zu einer Raserei ausartet, in welcher sie zu den unerhörtesten Ausschweifungen fähig sind. Wer weiß also, ob die ersten Menschenfresser die Körper ihrer Feinde nicht aus bloßer Wut gefressen haben, damit nicht das geringste von ihnen übrigbleibe? Wenn sie nun außerdem fanden, daß das Fleisch gesund und wohlschmeckend sei, so dürfen wir uns wohl nicht wundern, daß sie schließlich eine Gewohnheit daraus gemacht und die Erschlagenen allemal aufgefressen haben. Wir selbst sind zwar nicht mehr Kannibalen, gleichwohl finden wir es weder grausam noch unnatürlich, zu Felde zu ziehen und uns zu Tausenden die Hälse zu brechen, bloß um den Ehrgeiz eines Fürsten oder die Grillen seiner Mätresse zu befriedigen.

Ist es aber nicht ein Vorurteil, daß wir vor dem Fleisch eines Erschlagenen Abscheu haben, da wir uns doch kein Gewissen daraus machen, ihm das Leben zu nehmen? Ohne Zweifel wird man sagen, daß ersteres den Menschen brutal und fühllos machen würde, allein es gibt leider Beispiele genug, daß Angehörige zivilisierter Nationen, die gleich verschiedenen unserer Matrosen den bloßen Gedanken an Menschenfleischessen nicht ertragen und gleichwohl Barbareien begehen können, die selbst unter Kannibalen unerhört sind. Was ist der Neuseeländer, der seinen Feind im Kriege umbringt und frißt, gegen den Europäer, der zum Zeitvertreib einer Mutter ihren Säugling von der Brust reißt und seinen Hunden vorwirft? (Der Bischof Las Casas sah diese Abscheulichkeit unter den ersten spanischen Eroberern von Amerika.)

Die Neuseeländer fressen ihre Feinde nur dann, wenn sie sie im Gefecht und in der größten Wut erlegt haben. Sie machen nicht Gefangene, um sie zu mästen und dann abzuschlachten, wie man wohl von einigen wilden Nationen in Amerika berichtet hat. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß im Laufe der Zeit dieser Brauch ganz abkommen wird. Die Einführung von zahmem Schlachtvieh kann diese glückliche Epoche vielleicht befördern, insofern größerer Überfluß, mehr Viehzucht und Ackerbau das Volk näher zusammenbringen und geselliger machen wird.

Da das Schiff nunmehr völlig instand gesetzt war, wir auch mit frischem Vorrat von Trinkwasser und mit genügend Brennholz versorgt waren, wurden die Zelte an Bord geschafft und am 24. morgens die letzten Anstalten zur Abreise getroffen. Kaum sahen die Eingeborenen, daß wir unseren Wohnplatz am Strand verlassen hatten, als sie sich unverzüglich einfanden und über den weggeworfenen Schiffszwieback herfielen, den doch sogar unsere Schweine nicht mehr hatten fressen wollen. Indessen war es ihnen nicht allein um den Zwieback, sondern auch um die Kleinigkeiten zu tun, die unsere Leute am Strand verloren oder weggeworfen hatten. Nachmittags wurde ein Boot abgeschickt, um eine Flasche mit einer Botschaft an Kapitän Furneaux unter einem Baum zu vergraben, falls er etwa nach unserer Abreise noch hierherkommen sollte.

Am folgenden Morgen wurde ein Boot nach Motu-Aro geschickt, um etwas Kohl aus unserem Garten zu holen, und mein Vater ging mit, um die Küste nochmals abzusuchen. Seine Mühe war auch nicht vergebens, denn er fand verschiedene neue Pflanzen. Unterdessen hatten wir die Anker schon gelichtet, waren unter Segel gegangen und nahmen erst unterwegs das Boot wieder ein. Da aber Wind und Strom uns entgegenkamen, mußten wir um sieben Uhr die Anker wieder fallen lassen. Nach ein paar Stunden wurde der Wind günstiger und führte uns in kurzer Zeit in die Cook-Straße. Wir hielten uns dort dicht am Lande und feuerten von Zeit zu Zeit Kanonen ab, um der »Adventure« von unserer Ankunft Nachricht zu geben, falls sie in einem der benachbarten Häfen gelegen hätte. Zwischen dem Kap Terra Witti und Palliser entdeckten wir eine Bai, die weit ins Land hineinzureichen schien. Auch jenseits dieser Bai fuhren wir noch fort, Kanonen abzuschießen, aber alle Versuche, unsere Begleiterin wiederzufinden, waren umsonst. Am folgenden Morgen erreichten wir die Ausfahrt aus der Straße, liefen um das Kap Palliser herum und nordwärts an der Küste hinauf, noch immer in der Hoffnung, die »Adventure« hier irgendwo anzutreffen. Endlich gaben wir alle Gedanken daran auf, nahmen um sechs Uhr abends Abschied von Neuseeland und steuerten nach Süd-Südost.

Seit unserer ersten Fahrt vom Kap der Guten Hoffnung gegen Süden hatte sich bei verschiedenen Leuten Skorbut gezeigt, aber während des Aufenthaltes in Dusky-Bai war diese Krankheit vermittels der gesunden Fischspeisen wie auch durch den Genuß des Sprossenbiers glücklich vertrieben worden. Zwar hatten sich dann auf der Winterreise von Neuseeland nach Tahiti bei manchem neue und zum Teil gefährliche Symptome dieses Übels gezeigt, allein der große Vorrat an frischen Pflanzen, die wir auf letztgenannter Insel erhielten, und das vortreffliche Schweinefleisch, das wir auf den Gesellschafts- und Freundschafts-Inseln so reichlich genossen, stellte die Patienten bald wieder her. Bei unserem diesmaligen zweiten Aufenthalt in Charlotten-Sund war es ohne Zweifel dem häufigen Genuß der Sellerie und des Löffelkrauts beizumessen, daß wir von den üblen Folgen der eingesalzenen Speisen verschont blieben und bei unserer nunmehrigen Abreise allerseits in guter Gesundheit zu sein schienen. Allein bei dem allen hatten wir vielleicht mehr Ursache denn je, uns vor dem Skorbut zu fürchten, denn die Mühseligkeiten des Seelebens, die wir nun schon geraume Zeit erlitten, mußten unsere Konstitution geschwächt und uns die Kraft genommen haben, den künftigen Beschwerlichkeiten so gut zu widerstehen wie bisher.

Vornehmlich sahen die Offiziere und Passagiere auf der nunmehrigen Reise gegen den Südpol mancherlei Unannehmlichkeiten vorsieh. Ihr jetziger Vorrat an lebendigem Vieh war gegen den, womit sie sich ehedem vom Kap der Guten Hoffnung aus versorgt hatten, für gar nichts zu rechnen. Folglich hörte der geringe Unterschied, der bisher zwischen ihrer Tafel und dem Essen der Matrosen bestanden hatte, gänzlich auf. Sie waren nun um nichts besser, ja fast noch schlimmer dran als die gemeinen Seeleute, die sich von Jugend auf an die Schiffskost gewöhnt, wogegen die Offiziere und Passagiere nichts dergleichen versucht hatten.

Auch die Hoffnung, neue Länder zu entdecken, war nun verschwunden. Die Fahrt gegen Süden konnte nichts Neues mehr bieten, sondern lag mit ihren mannigfachen Gefahren und Schrecken vor uns, die desto mehr Eindruck machten, als wir nun ohne Gesellschaft segeln mußten. Zwischen den Wendekreisen hatten wir wenigstens einige glückliche Tage genossen. Unsere Tafel war dort so gut besetzt gewesen, wie es die Produkte jener Inseln zuließen, und die Abwechslung so mancher neuer Gegenstände, die wir fanden, hatte uns auf das Angenehmste unterhalten. Nunmehr aber sahen wir auf eine ziemlich lange Periode nichts als Nebel, kaltes Wetter, Fasten und langweiligste Einförmigkeit vor uns. Der Abt Chappe oder vielmehr der Herausgeber seiner »Reise nach Californien«, Cassini, bemerkt, daß Abwechslung allein dem Reisenden angenehm ist und daß er darum von Land zu Land gehe. Seine Philosophie ist so erhabener Natur, daß er den Ausspruch tut, das Leben auf See sei nur denen langweilig und einförmig, die nicht gewohnt sind, um sich zu schauen, sondern die Natur mit Gleichgültigkeit ansehen. Wäre aber der gute Herr Abt so unglücklich gewesen, den antarktischen Zirkel zu besuchen, ohne ein paar hundert fette Kapaunen bei sich zu haben, womit er sich auf seiner Reise von Cadiz nach Veracruz wohlweislich zu versorgen wußte, so dürfte vielleicht seine Philosophie minder hochtrabend gewesen sein.

Wir unsererseits waren bei der Abreise von Neuseeland von der erhabenen Philosophie des französischen Abtes sehr weit entfernt. Wenn noch etwas die traurigen Zukunftsaussichten in unseren Augen mildern konnte, so war es die Hoffnung, daß die Reise um den Südpol in einer hohen, noch unbefahrenen Breite wenigstens nicht länger als den bevorstehenden Sommer über dauern und daß wir innerhalb acht Monaten nach England zurückkommen würden. Diese Hoffnung hielt das Schiffsvolk während des größten Teils der Reise bei gutem Mute. Am Ende zeigte sich freilich, daß dieser Gedanke nichts als ein süßer Traum gewesen war. Aber dann trösteten wir uns mit der gewissen Aussicht, daß wir statt dessen abermals einige Monate auf den glücklichen Inseln zubringen würden.


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