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1. Ausstellung der königlichen Akademie.
Die Ueberschrift des Verzeichnisses scheint anzudeuten, daß die Akademisten selbst wohl gefühlt haben, wie gering die Anzahl großer Stücke in der diesjährigen Ausstellung ist. Das In tenui labor ist insofern richtig, wie hier eine große Menge kleiner unbedeutender Sachen hangen, die freilich auch ihren Antheil von Arbeit kosteten. Aber ist auch mehr als Arbeit darin? Vor dieser Frage fürchteten sich die britischen Künstler wol selbst, als sie ihr zweideutiges Motto aufdruckten. Es ist wahr, die Zimmer sind voll; aber so schönes Licht sie auch, insbesondere das Hauptzimmer, von oben erhalten, sehr klein und der Indolenz der Herren Akademiker angemessen. Eine sehr kleine Anzahl von großen Gemälden würde sie ausfüllen: daher exhibiren die großen Meister nichts und lassen dem kleinen Troß mit seinen Staffelei- und Cabinetstückchen den Platz.
Reynolds' Fleiß ist vor den übrigen doch bemerkenswerth. Wenigstens hangen verschiedene Porträts von seiner Meisterhand da, die seine reiche, mannichfaltige Phantasie, seinen gebildeten Geist, seinen Sinn für das Idealischschöne und seine Grazie verrathen. Mistreß Billington's Elisabeth Billington, berühmte englische Sängerin (1770-1818). Anmerkung d. Hg. Apotheose hat großes Verdienst. Die ganze schöne Figur steht da in zauberischer Einfalt; und was hat er nicht alles aus dem Leben gehascht, was nicht alles in dieses Gesicht gelegt, das sie selbst ist, und doch auch sie in jenen Augenblicken, wo sie mehr als sie selbst ist! Ihr Gewand ist so ganz ohne alle Koketterie des Pinsels einfach schön, daß es nicht das Auge wegzieht von dem schönen seelenvollen Kopfe; und selbst die Hände können, meint man, das Notenbuch nicht anders halten. Es ist so recht; und man denkt nicht weiter daran, sondern hängt mit Ruhe und Genuß an diesem Auge, diesen Lippen, diesen Harmonien himmlischer Gestalten, welche sich auf ihrem Antlitz zu einem hohen Einklange verschmelzen. Die kleinen Genien, die ihr Haupt umschweben, mögen nur plärren und gesticuliren; ich sehe sie nicht und höre sie nicht; und wer könnte das vor einem solchen Wesen!
Die sechs andern Porträts haben eigene Kraft im Ausdruck, Mannichfaltigkeit in der Darstellung und Kennzeichen der festen, geübten Hand des erfahrenen Meisters.
Rigaud's John Francis Rigaud, gebürtig aus der französischen Schweiz, lebte zu London, gest. 1810, Historienmaler. Anmerkung d. Hg. Werke verdienen hier die nächste Stelle. Simson, der seine Bande zerreißt, ist eine vortreffliche Akademie; es ist mehr: ein sehr edles Gemälde. Simson's Kopf ist schön gedacht, der Kopf eines schönen Mannes, der hohe Indignation haucht, indem er sich von den Folgen einer niedrigen Ueberlistung befreit. Die Nebenfigur ist nicht so interessant und wol nicht erschrocken genug, wenn es die Verrätherin sein soll. Doch in diesen Fällen verzeiht man dem Künstler immer lieber zu wenig als zu viel Ausdruck, wenn er nur Schönheitssinn blicken läßt.
Ein schöner Kopf nach der Natur, von ebendemselben, ist mit Guido's Engeln verwandt; aber er hat mehr rosige Wärme als sie. Des Künstlers eigene Familie ist sehr brav gemalt.
Hodges William Hodges, geb. zu London 1744, gest. 1797, Landschaftsmaler. Anmerkung d. Hg.. Auch der Landschaftsmaler kann phantasiren, dichten und aus den schönen Zügen der Natur das Vollkommenste erlesen und vereinigen, das Erhabene fassen und den Zuschauer mit sich fortreißen in idealische Welten. Wer wird diesem Künstler Genie absprechen können? Seine Figuren sind indeß nicht mit seinen Landschaftsmalereien zu vergleichen.
Marlow William Marlow, englischer Landschaftsmaler, lebte etwa 1740-1800. Anmerkung d. Hg.. Außerordentlich schön und treu nach der Natur copirt. Aussichten! Man möchte bei diesen Bildern oft fragen: ist dies von diesem Meister, jenes von jenem? So unähnlich sehen sie sich und so wahr ist jedes in seiner Art.
Hamilton. Salomon's Bewirthung der Königin von Saba! Dieses Stück gehört zu denen, von welchen der Künstler zu urtheilen pflegt: sie haben Verdienst. Allein dieses Verdienst ist Machwerk und sonst nichts. Was läßt sich auch von einem Gastmahl Interessantes erwarten? Man sitzt bei Tisch und ißt, oder sieht einander an. Warum wählen aber die Maler solche Sujets? Je nun! Sie müssen wol, wenn sie historische Stücke malen wollen. Der Lord, der dieses bestellte, that es aus Eitelkeit. Es ist gleichsam nur Carton zu einem Gemälde auf Glas, welches Se. Lordship in dem Fenster der Kirche auf seinem Landsitze anbringen läßt. – Mylord hat das Vergnügen, seiner Eitelkeit zu fröhnen, indem er die Kirche beschenkt; und er selbst sitzt da porträtirt als der weiseste König. Die Königin von Saba ist seine Nichte, Mistreß Howard; und eine dritte Figur ist ebenfalls aus seiner weiblichen Verwandtschaft. Das gibt denn freilich einen Salomon und eine Königin, die der Kunstliebhaber nicht bewundern kann!
2. Westminsterabtei.
Ein Bild von der Beschäftigung der Seligen im Himmel. Das Chor der Sängerinnen sitzt sehr gedrängt; es ist wenig Platz im Himmel: daher muß man sich in Zeiten um Tickets bei den Geistlichen bemühen.
Ueber der Orgel im Fenster stehen die Patriarchen in Glasmalerei, welches die Aehnlichkeit mit dem Himmel noch vollständiger macht! Die hellen durchsichtigen Farben – so werden sie dort leuchten und zuhören; und da sie sonst nichts zu thun haben, so können sie ebenso wol auch nur in Glas gemalt dastehen.
Das Orchester ist an dem Amphitheater über dem westlichen Eingange. Zu oberst im Hintergrunde steht die Orgel; noch höher, auf einem schmalen Gange, mit dem Gipfel der Orgel gleich, die Heerpauken. Dann folgen die Instrumente und vorn die Stimmen. Die Bänke sehr hoch übereinander; die höchste Bank eine Reihe Knaben.
Um 11 Uhr war das Haus schon voll und alle Bänke besetzt. Ich wurde in einen Gang gepreßt, wo ich anfangs verzweifelte, irgendetwas aufzeichnen zu können; und nur die leidige Wahrnehmung, daß immer mehr Zuhörer zuströmten, konnte mich überzeugen, es sei eine stärkere Compression möglich. In einem Avertissement wird versprochen, daß man Sorge tragen will, nicht mehr Tickets auszutheilen, als es die Convenience der Gesellschaft erlaube. Mich schauderte, wenn ich bedachte, was Mr. John Ashley, der assistent conductor, einen ungemächlichen Zustand nennt, da er diesen noch gemächlich findet. Für den hohen Preis einer Guinee könnte man allerdings Bequemlichkeit verlangen; aber die menschenfreundliche Absicht, den Fonds für arme Tonkünstler, Söhne von Geistlichen und das Middlesex-Hospital soviel als möglich zu vermehren, ist schon einer kleinen Aufopferung werth.
Ueber die Hüte ist hier ein Anathema gesprochen. » No Ladies«, heißt es in dem Reglement, » will be admitted with hats Damen werden nicht mit Hüten zugelassen. Anmerkung d. Hg..« Aber die Damen wissen sich durch sehr hohen Kopfputz zu rächen, und das Uebel ist ebenso groß. Auch Federn sind verboten; doch, da man die Grausamkeit gegen die hoops Reifröcke, hier scherzhaft für Damen gebraucht. Anmerkung d. Hg. nicht hat allzu weit treiben wollen, so erlaubt man wenigstens kleine Federn. Eine Dame, die zur Royal Society of Musicians geht, ist also in allen Dimensionen, in der Länge und Breite, bestimmt. Man sollte sie durch ein ausgeschnittenes Loch durchschicken und die, welche nicht das Maß hätten, zurückweisen. Dieses Verbot von Federn ist in einem Concert, wo man Genuß für das Ohr sucht, sonderbar, da in allen andern Schauspielen so wenig für eine ungehinderte Aussicht gesorgt wird. Der Anblick so vieler tausend Menschen in full dress volle Kleidung, Ballanzug. Anmerkung d. Hg. ist sehr angenehm. Die Damen sind fast alle weiß gekleidet.
Einviertel vor zwölf ward das Thor der Abtei geschlossen und keiner mehr eingelassen. Zwei Yeomen Yeoman, ein Hofbedienter, Leibwächter. Anmerkung d. Hg. mit großen Hellebarten wurden unter die königliche Loge und zwei unter das Amphitheater gestellt. Die letztern mußten, um sich stattlicher auszunehmen, auf eine Bank steigen, wo sie so sehr gedrängt wurden, daß sie mit dem einen Fuß gewöhnlich in der Luft schwebten. Sie sind, wie wol aller Hofstaat der Könige, geschmacklos gekleidet: in rothen Mänteln mit blauen Sammtstreifen besetzt, den Namen des Königs auf der Brust und den Namen Gottes an einem Orte, wo er nicht schicklich verherrlicht werden kann. Da diese Yeomen of the guard ihre beschwerliche Stellung nicht lange aushalten können, so lösen sich mehrere ab.
Nur ein Theil der Abtei ist zur Musik bestimmt, der andere ist abgeschlagen, theils um die Monumente nicht beschädigen zu lassen, theils um mehr Eingänge zu gewinnen. Die Gänge sind mit argandischen Lampen erleuchtet; für gewisse Bedürfnisse der Herren und Damen ist, da die Thüren verschlossen sind, sehr schicklich gesorgt.
Die königliche Loge ist mit rothem Taffet bekleidet, auf den das königliche Wappen und andere Verzierungen in Gold gestickt sind. Gerade um 12 Uhr erschien der König von den Prinzessinnen begleitet, und der Herzog von Gloucester mit dem Prinzen William und seinem jüngern Sohne. Der König war sehr steif geputzt in französischer Kleidung, nicht in der Windsor-Uniform. Er scheint für die Musik wenig Ohr zu haben; denn er war immer beschäftigt, mit dem Fernglase seine königliche Neugierde zu befriedigen.
Die Musik war in der Ausführung weit vorzüglicher als die vorige Forster spricht hier von einer Aufführung des Oratoriums »Messias« von Händel. Anmerkung d. Hg., die wir hörten; auch in den Texten und in der Composition mehr Einheit. Bald nach der Ankunft des Königs fing die Musik mit einer prächtigen Ouverture an, gegen die das stille tröstende Recitativ der Mara Gertrude Elisabeth Mara, geb. Schmehling aus Kassel (1749-1833), berühmte Sängerin. Anmerkung d. Hg.: » Comfort Ye, my people, saith your God«, einen schönen Contrast machte. Die Sängerin ging mit vieler Kunst von jenen milden wohlthätigen Tönen über zu den befehlenden » Prepare ye the way of the Lord«. Schade, daß in der darauf folgenden Arie der Dichter bei dem Bilde des Wegbaues bleibt, Thäler ausfüllen und Berge abtragen läßt, um dem Gotte einen high way zu bahnen! Wie viel erhabener ist das Recitativ, das Herr Salle so meisterhaft ausführte: » This saith the Lord of host.« In den Worten » I will shake the heavens and the earth, the sea and the dry land« sind alle Künste der musikalischen Malerei erschöpft; der Componist bleibt bei der Handlung stehen. In der Handlung » A virgin shall conceive« war dies unmöglich. Die Musik drückt die Freude über die Empfängniß aus; da aber gleich darauf die Jungfrau wieder selbst den Namen Emanuel ruft, so ist der Effect zerrissen. Der Componist durfte, wenn er der obigen Schwierigkeit so auswich, nicht auf dem shall call his name ruhen. Eben dieser Fehler ist auch in der Declamation, der artikulirten Musik, nur allzu häufig. Die Schauspieler drücken im Erzählen erst ihre eigene Empfindung aus und dann ahmen sie doch wieder die Stimme des Erschlagenen, des Fürchtenden, des Fröhlichen nach.
Die schönste Stelle in dem ersten Theil ist von dem Chor » For unto us a child is born« bis zu der Arie » Rejoice o daughter of Zion«. Hier ist am meisten Gedachtes in der Composition. Die Worte: »Wundervoll, Richter, Allmächtiger«, sind von ungemeiner Kraft; sie kündigen ein furchtbares Wesen an, bis die sanften Töne: » Everlasting Father«, daran erinnern, daß der Allmächtige auch ein gütiger Friedensfürst ist. Zwischen dem Recitativ und dem Chor ist eine lange Zwischenmusik, deren Wirkung auf den edlern Theil des Publikums sichtbar war. Alles Liebliche und Harmonische der Tonkunst ist aufgeboten, um die unschuldigen Farben des Landlebens zu schildern. Endlich beginnen die Worte » There were shepherds abiding in the field« ... Die Stimme einer Storace mit jenen Flötentönen verschmolzen, dieser Zauber läßt sich nur fühlen. Der Engel erscheint; die Musik hebt sich nach und nach, und der Lobgesang » Glory to God in the highest, and peace on earth« correspondirt gleichsam mit dem obigen » For unto us a Child is born«.
In dem zweiten Theil hat der Text wenig Zusammenhang. Dennoch ist die Musik im einzelnen nicht minder schön. Miß Cautels erregte in der unpoetischen Arie » But thou didst not leave his soul in hell« allgemeine Bewunderung. Sie zeigte einen Umfang der Stimme, den ich ihr nicht zugetraut hätte. Die darauf folgenden Doppelchöre verfehlen ihre Wirkung nie, besonders die Worte » Who is this King of Glory? The Lord strong and mighty, the Lord mighty in battle«. Sie erinnerten mich an die Manier der Alten, die ebenso ihre Strophen und Antistrophen sangen. Auch ist die Sprache des Dichters hier kräftig und edel. Mr. Griffiths konnte mit aller seiner Kunst dennoch nicht den Misklang des » Thou hast led captivity captive« vermeiden. Wie leicht könnte der Text geändert werden! Und die Ketzerei wäre nicht groß, da die Bibel doch nicht zum Gesange bestimmt ist.
In den zwei letzten Chören zeigen sich alle Vorzüge eines solchen vollstimmigen Concerts. Das Chor » Let us break their bands asunder« stürmte mit einer Gewalt ein, daß mehrere Damen vor Schrecken zusammenfuhren. Aber die Musik der Worte » Hallelujah, the Lord God omnipotent reigneth« sind viel erhabener und tiefer empfunden. Die feierliche Pause bei der zweiten Wiederholung macht, nach dem Donner der Pauken und dem Schmettern der Trompeten, einen wunderbaren Effect.
Der dritte Theil drückt die Wirkung der Erlösung aus, Madame Mara wetteiferte in der Arie » I know that my redeemer lives«. Sie schien einer so glänzenden Versammlung sich doch auch in ihrem Glanze zeigen zu wollen. Sie machte Läufe und Cadenzen, die nur sie unternehmen und ausführen konnte; und wenn alle glaubten, ihre Stimme sei erschöpft, so überraschte sie doch noch mit einem neuen Triller; alles mit einer Leichtigkeit, einem scheinbaren Mangel an Anstrengung, als wenn nur diese Töne ihre Sprache wären.
Der Text zu diesem dritten Theil ist auffallend schlecht und zerrissen. Wenn es bei einer geistlichen Cantate einmal des Dichters Wille ist, sie aus biblischen Stellen zusammenzuflicken, so sollte er doch vorsichtiger in seiner Wahl sein. Die orientalischen Bilder: wie ein Topf zerschlagen, in den twinkling of a use verwandelt zu werden, die wiederholten Vergleichungen zwischen Gott und einem Schafe und so fort, sind uns jetzt ebenso widrig als das italienische Concetto:
The sting of death is sin
and the strength of sin is the law.
Das letzte Chor: » Worthy is the lamb«, hält man für den schönsten Theil der Musik. Kunstreicher und kräftiger ist er freilich als das » Hallelujah for the Lord«; ob es aber so tief und dauernd auf die Empfindung wirkt?
3. Erziehung und Theater der Engländer. Literatur. Beaux Stratagem.
Die Engländer haben Gutherzigkeit, Empfindsamkeit, Roheit und Sinnlichkeit beisammen. Daher ist in ihren Schauspielen auch so viel Vortrefflichkeit, Naivetät, neben so vieler Indecenz. Die Franzosen nehmen Rücksicht auf die bienséances und sagen öffentlich nichts, was eine honnete Frau nicht wiederholen dürfte. Daher sind ihre Weiber wirklich frei im Ausdruck; denn sie sagen alles, was im Publikum gesagt wird.
Die Engländer nehmen auf dem Theater, wie in ihren Gesellschaften, keine Rücksicht auf die Weiblichkeit. Sie sind indecent; und die Weiber, die Dinge hören müssen, welche zu wiederholen nicht ziemt, werden ängstlich, steif, pretiös und prüde.
Die Erziehung raubt den Engländern die Gelegenheit, ihr Herz und ihren Geist auszubilden und reinen Geschmack zu erlangen. Sie sind daher alle geniemäßiger und haben keine allgemeine Regel des Betragens: immer plump, unfein, unachtsam auf sich und andere, und oft embarrassirt in honneter Gesellschaft; ja fast durchgehends bei honneten Frauenzimmern. Denn ihr vieles Absondern, ihre vielen blos männlichen Gesellschaften, in denen sie sich gar nicht geniren, gewöhnen sie an keine Egards. Hingegen, sobald das Herz spricht, sobald es auf das Empfinden von sinnlichen Eindrücken oder zarten Verhältnissen ankommt, sind sie oft auch wahr, naiv, empfindsam.
Die Siddons Sarah Kemble Siddons (1755-1831), große englische Schauspielerin. Anmerkung d. Hg. hatte London längst verlassen, ehe wir ankamen, weil ihr Engagement schon aus war; und mit ihr sind die schönsten Trauerspiele für dieses Jahr vorüber. Von neuen Stücken ist dies Jahr nichts von einiger Bedeutung erschienen. » The crusade« ist eine Art Oper, die man doch selbst nur dramatische Romanze nennt. » The haunted Tower«, von Cobb, soll ebendasselbe sein: artige Musik, aber kein Menschenverstand im Stücke. » No song no Supper«, eine musikalische Farce, ist von eben der Art und wird nur durch die Stimme und das Spiel der Storace, einer italienischen Sängerin, die vortrefflich englisch gelernt hat, interessant. Die Musik ist von ihrem Mann componirt: aus Pleyel Ignaz Pleyel, geb. 1757 bei Wien, gest. 1831, bekannter Tonsetzer lebte in London, später in Strasburg und Paris. – André Ernest Modeste Grétry, geb. zu Lüttich 1741, lebte zu Paris, starb 1813, Componist anmuthiger komischer und ernster Opern. – Joseph Giordani, geb. zu Neapel 1753, ging später mit der Familie nach London, kehrte 1782 nach Italien zurück und starb 1794 als Director der italienischen Oper zu Lissabon; äußerst fruchtbarer, jetzt vergessener Operncomponist. Anmerkung d. Hg., Grétry, Giordani zusammengestohlen, aber sehr hübsch. » The Dramatist«, von einem jungen Mann, Namens Reynolds, der sich selbst darin geschildert hat, ist voll Witz und Anspielungen auf hiesige Sitten, aber ohne Dialog. Auf guten Dialog wird gar nicht mehr gesehen; Effect ist alles, was man verlangt. Man geht in die Komödie, um zu sehen, kaum mehr zu hören; und die Kotzebue August von Kotzebue, geb. 1761 zu Weimar, russischer Staatsrath, 1819 zu Manheim erdolcht; ein begabter und fruchtbarer, aber oberflächlicher Theaterdichter. Anmerkung d. Hg., wenn sie sich eine Dosis Salz könnten eintrichtern lassen, würden auch hier Glück machen. » The Rivals«, von Sheridan Richard Brinsley Butler Sheridan, geb. 1751 zu Dublin, gest. 1816 zu London, berühmt als Lustspieldichter (»Die Nebenbuhler«, »Die Lästerschule« u. s. w.); Theaterdirector u. s. w., seit 1780 als Mitglied des Parlaments bedeutender Redner gegen Gordon und Warren Hastings. Anmerkung d. Hg., das ich vor der Farce » No song no Supper«, spielen sah, gehört unter die ältern Stücke und ist schon ins Deutsche übersetzt. Miß Farren Elisabeth Farren (1759-1829), bedeutende englische Schauspielerin, ebenso wie Franziska Abington (1731-1815). – John Philipp Kemble (1757-1823), Bruder der Miß Siddons, großer englischer Schauspieler. – Joseph Georg Holman (1764-1817), bedeutender englischer Schauspieler, auch Schauspieldichter. Anmerkung d. Hg. spielte die Julie ganz gut; nur bewundert man sie zu viel; ein Fehler, den jetzt alle Zuschauer von allen Nationen gemein haben. In den mehr hochkomischen Rollen reicht sie nicht an die Abington, die aber jetzt nicht mehr spielt. Die Declamation im Tragischen ist sehr vervollkommnet, sehr präcis, rein und deutlich; aber bei Kemble, dem ersten hiesigen Schauspieler, zu monotonisch, und bei Holman (wie man versichert, denn ich habe ihn noch nicht gesehen) zu wild und ranting lärmend, großmäulig, schwülstig. Anmerkung d. Hg.. Garrick und seine Schule hatten mehr wahres Feuer der Empfindung, oder wußten es besser zu spielen; hier ist zu viel Kälte und zu viel gesuchter Nachdruck im Hersagen. Dennoch spielt Kemble verhältnismäßig sehr gut, und was ihm, besonders wo es auf Würde ankommt, sehr nützt: er spricht langsam, wenn der Affect keine schnelle Sprache fordert. Seine Declamation ist nicht Gesang, aber mehr als gemeines Reden. Diese Würde, diesen Anstand in Königs- und Heldenrollen sah ich auf den deutschen Theatern nie, weil man dort bei diesen Gelegenheiten nicht natürlich genug, oder auch wol zu natürlich ist; mit Einem Wort: weil man den Sinn eines großen Menschen nicht hat. Ich möchte fast glauben, daß die Familiarität des Umgangs zwischen Menschen aus allen Ständen in England und das Edle, welches bis in die letzte Klasse hinab hier in Bildung und Charakter so unverkennbar ist – mag es mit Einseitigkeit und Unwissenheit über gewisse Gegenstände auch noch so sehr versetzt sein –, den Schauspieler hier natürlich veredeln. Allein die allgemeine Klage, die wir über unsere Literatur führen, höre ich auch hier im Munde der besten Köpfe: es fehlt im Publikum an Geschmack und in den schönen Wissenschaften an einem competenten Tribunal. Mit Johnson's Samuel Johnson, geb. 1709 zu Lichfield, gest. 1784 zu London, bedeutender englischer Schriftsteller und Kritiker. Anmerkung d. Hg. Tod, so einseitig und schneidend er auch war, hat man nichts mehr, und es geht drunter und drüber in den Gefilden der Literatur. Wennschon ein solches Tribunal zuweilen ein ungerechtes Urtheil fällt, so ist es doch sehr nützlich, daß etwas in terrorem dastehe, um die elenden Scribenten in Zügel zu halten. Anekdotenjägerei ist jetzt so allgemein, daß man den berühmten Männern jedes Visitenkärtchen drucken läßt, wie bei uns; und wenn man einem Gelehrten etwas Schlimmes nachsagen kann, so glaubt man, wie bei uns, daß er nun kein großer Mann mehr sein könne. So einen elenden Begriff macht man sich von menschlicher Größe, daß man sie verkennt, wo sie wirklich vorhanden ist, und Friedrich für einen gewöhnlichen Menschen hält, sobald man weiß, daß er physische Bedürfnisse hatte wie jeder Sterbliche. Muß man denn die großen Gegenstände so mit dem Mikroskop betrachten? Oder muß man von einem berühmten Mann sich nicht mit einem Conterfei seines Kopfs begnügen, sondern ein Conterfei von der ganzen nackten Figur verlangen und alles, was an ihm misgestaltet und ekelhaft ist, hervorsuchen?
An dem herrlichen Lustspiel » Beaux Stratagem« konnte ich recht augenscheinlich den Unterschied zwischen dem Stil der theatralischen Darstellung vor zwölf Jahren und dem jetzigen wahrnehmen. Mr. Lewis als Archer, Mr. Quick als Scrub und Mrs. Pope, die ehemalige Miß Younge, als Mrs. Sallen, gaben mir in der That einen sehr schwachen Begriff von Garrick, Weston und Mrs. Barry in eben diesen Rollen. Mr. Lewis war nicht was er sein sollte: ein als Bedienter verkleideter Gentleman, sondern ein Bedienter, der Gentlemans-Manieren affectirte. Scrub sollte ein dummer, unwissender Bauerlümmel sein, dem zuweilen eine Idee bis in das Gehirn trifft; Quick hingegen spielte ihn so, daß er immer zu viel zu ahnen und zu errathen schien. Weston wußte gar wohl, daß man dieser Rolle nicht alle Anlage nehmen müßte; allein er ließ sie leer an wirklich erworbenen Begriffen, an Uebung der Geisteskräfte: und dies war die echte Art, sie zu spielen. Mrs. Pope endlich, eine für mich sehr angenehme Schauspielerin, hat für die Rolle von Mrs. Sallen weder Lebhaftigkeit noch Laune genug. Sie spielt sie mit Anstand, aber nicht mit komischem Nachdruck.
Die Farce » Love in a camp« war aus Plattheit und Jämmerlichkeit unausstehlich.
4. Westminsterhall. Warren Hastings' Proceß.
Die ganze Halle ist bekanntlich mit Sitzen eingerichtet: rothen für die Peers und ihre Tickets Ticket, Billet, Einlaßkarte. Manager, Verwalter, Vorsteher, Aufseher. Blakrod, Schwarzstab, Thürhüter mit dem schwarzen Stab. Anmerkung d. Hg., grünen für das Unterhaus. Die Verschläge für die Managers heißen Zimmer, sind aber ganz finster und werden durch Lampen und Lichter erleuchtet. Das Zimmer für den Gefangenen ( Prisoner's-room) wo Hastings Warren Hastings (1732-1818) ging unbemittelt nach Indien, zeichnete sich durch Kraft und Klugheit aus, ward 1773 Generalgouverneur von Bengalen und dehnte mit rücksichtsloser Gewaltthat die englische Herrschaft aus. Er ward 1785 abberufen und durch Burke vor dem Parlament angeklagt; nach zehnjährigem Proceß 1795 freigesprochen, lebte er fortan still, mit wissenschaftlichen Studien beschäftigt, auf seinem Landgut Daylesford, wo er 1818 starb. Anmerkung d. Hg. sitzt, bis er gerufen und vom Blackrod vorgeführt wird, ist wirklich ein finsteres, trauriges Loch und nach vorn zu hat es zwei kleine Fensterchen mit eisernen Stangen davor. Im Manager's-room sahen wir mehr als zwanzig große Folianten von Acten. Ueberall brannten große Feuerbecken. Jedesmal, bei jeder Sitzung, muß Hastings auf die Knie fallen, wenn er hineinkommt. Dann heißt ihn der Kanzler aufstehen und erlaubt ihm zu sitzen. Die Größe eines indischen Despoten so erniedrigt, das mag wol schmerzen; aber jetzt ist er daran gewöhnt. So stumpft sich jedes Gefühl endlich ab! – Wohlthätige Natur, die für unsere Erhaltung sorgt auf Kosten unserer Reizbarkeit! Aber noch unendlich wohlthätiger in jenen großen Seelen, die eine einzige Verletzung ihres Selbstgefühls nicht wieder ruhig werden läßt.
Den 5. Juni. Ich möchte wol zugegen gewesen sein, wenn das heilige Volk von Athen so einen Actus vorhatte, um einen Vergleich mit dem anstellen zu können, der hier vorgeht. So glänzend wie Westminsterhall war freilich wol die Versammlung dort nicht; es fehlten die Damen, die hier ungleich zahlreicher als die Mannspersonen sind. Welch ein Anblick! Die Hyacinthenflor in Harlem war nicht prachtvoller und duftete nicht stärker! Fast alles ist weiß; wenigstens lauter weiße Enveloppen und Kopfzeuge, und beinahe kein anderes als rosenfarbenes und himmelblaues Band. Nirgends ist ein Hut zu sehen, denn hier ist alles full dress'd, was den Kopf betrifft. Der Platz, den das Oberhaus selbst einnimmt, ist verhältnißmäßig klein. Die Zuschauer, auf vielen Reihen von Bänken umher und übereinander, können vielleicht 2000 ausmachen. Und wie oft haben nicht schon 2000 Menschen die Stelle von andern 2000 hier eingenommen! Es können wenigstens 500000 Briten Zeugen von dem Gericht gewesen sein, welches hier über ihren Mitbürger gehalten wird. Göttliche Publicität! Erhabene Würde der Gerechtigkeit, die nicht das Licht scheut! Daß kein Volk, kein Land, keine Stadt es wage, sich frei zu nennen, solange ihre Richter bei verschlossenen Thüren über das Schicksal ihrer Mitmenschen entscheiden! Ich hasse das ewige Kreischen von Freiheit, das Gekrächz derer, die nicht wissen, was frei sein heißt und des goldenen Vorrechts nicht werth sind; ich hasse die Sklaven, die nur sprechen und nicht handeln. Aber kein Ausdruck ist zu hart, um Abscheu gegen den Tyrannen zu erwecken, der seines Volkes Vater zu sein vorgibt und es im Verborgenen richtet. Im Verborgenen richten, ist Meuchelmord; und kein Zusatz von Umständen, keine Modification kann dieses Verfahren je soweit entschuldigen, daß sie ihm diesen Namen wieder nehmen könnte. Jeder, den ein Rechtsurtheil traf, das im Verborgenen gefällt und motivirt wurde, ist ein Tyrannenopfer, gegen das man alle Gerechtigkeit aus den Augen setzte; mithin ist er zurückgestoßen aus dem Bunde der bürgerlichen Gesellschaft, in die Sphäre des natürlichen Lebens, wo jeder sein eigener Vertheidiger und Rächer ist.
Um 9 Uhr wurden die Thüren geöffnet, und um halb 12 Uhr fanden wir das Haus schon über die Hälfte voll. Und was machen denn die Damen in einem Hause, wo sie nicht recht hören können, was gesprochen wird; wo sie nicht verstehen, was sie hören und bis 2 Uhr, also gegen vier Stunden, warten müssen, ehe es angeht? Kommen sie hin, um sich sehen zu lassen? Schwerlich; denn man erkennt und trifft einander nicht in diesem großen Saal, wo die Sitze nach verschiedenen Richtungen laufen und nicht alle einander ins Gesicht sehen können. Kommen sie, um zu plaudern? Eine so große Versammlung so still zu finden, war vielleicht das Erstaunlichste am Ganzen. Man scheint einen Sinn für das Schickliche mitzubringen, der an dem Ort, wo wir uns befanden, kein Gespräch duldet. Wie soll man sich also das Räthsel dieser Erscheinung erklären? Durch Langeweile, Neugier und guten Ton. In Hastings Verhör geht man, weil es Sitte ist und weil man wenigstens auf eine entfernte Art zeigen kann, daß man mit eines Lords Familie bekannt ist und Billets bekommen kann; wiewol wir die unserigen für eine halbe Guinee erkauften, weil wir keinen Lord darum ansprechen mochten. Neugier – um doch davon sprechen zu können; um zu sehen, wie man sich heute kleidete; um das Schauspiel einmal genossen zu haben; um zu wissen, wie ein Kanzler auf einem Wollsack, die Lords in ihren Mänteln, die Herolde in ihren buntgestickten Kleidern, die zwölf Richter und der Sprecher des Unterhauses in ihren Perrüken sich ausnehmen; um den Mann, von dem alle Welt spricht, W. Hastings, oder die berühmten Volksredner Burke Edmund Burke, geb. 1730 zu Dublin, gest. 1797, bedeutender englischer Staatsmann und Parlamentsredner. – Charles James Fox (1749-1806), in den parlamentarischen Kämpfen von England Burke's großer Schüler und Parteigenosse, Gegner William Pitt's. Anmerkung d. Hg., Fox und Sheridan einmal von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Langeweile – doch bedarf es hier noch einer Erklärung?
»Das wäre denn alles,« wird mir mancher Geck zurufen, der hier mit leichter Mühe zu der Ehre zu kommen hofft, auch einmal den Verdacht eines eigenen Gedankens auf sich zu ziehen »alles, was die gepriesene Publicität wirkt? Ob Weiber hören oder gaffen, die Juristen machen, was sie wollen.« – Nicht also, mein feiner Herr! Es gibt unter diesen Damen auch verschiedene, die lebhaften Antheil an dem Processe nehmen. Man sieht sie allemal, so oft er fortgesetzt wird, mit Papier und Bleistift Bemerkungen aufzeichnen und den Gang der Sache, die Beschuldigungen, Vertheidigungen, Gegenaussagen nie aus dem Gesicht verlieren. In England, in einer Republik, zumal in einer so blühenden, so thätigen, die alle individuellen Kräfte hervorruft und entwickelt, ist der Zusammenhang des Interesse tausendfältig, und wo man es nicht erwarten sollte, zeigt sich Theilnahme aus eigenem Bedürfnisse. Doch wozu dieser Beweis? Hat man denn vergessen, daß auch Mannspersonen Zuschauer und Zuhörer sind? daß die Freunde des Angeklagten und der Kläger sich anwesend befinden und jedes Wort niederschreiben? daß das ganze Unterhaus mit anhört, wie seine Mitglieder den Proceß führen? daß endlich das ganze Oberhaus, der Adel des ersten Landes in der Welt – ein Adel, zu welchem Verdienst unfehlbar den Weg bahnt – hier sitzt, um zu hören, zu entscheiden und zu richten?
Um 2 Uhr endlich erschien ein Theil der Mitglieder des Unterhauses auf ihren Sitzen; und bald kam auch das ganze Oberhaus in Procession: voran die zwölf Richter in ihren Perrüken und Mänteln, dann die Lords, endlich die Herolde, der Siegel- und der Insignienträger und der Kanzler. Jeder ohne Ausnahme, wie er dem Thron gegenüber kam, neigte sich gegen denselben, obgleich niemand dasaß. Hierauf rief der Insignienträger ( Mace-bearer) dreimal: » Oyés hört! Altfranzösisch, von dem noch vorhandenen Worte »ouïr« abzuleiten. Ein Ausruf, welcher bei feierlichen öffentlichen Verkündigungen vorangeht. Die englische Gerichts- und Parlamentssprache hat viele solcher altfranzösischen Ausdrücke bewahrt. » Usher« ( huissier), Thürhüter, Ceremonienmeister, Einführer. » Usher of the blackrod«, der Thürsteher von dem schwarzen Stabe vor dem Oberparlament, Ceremonienmeister vom Orden des Hosenbandes. Anmerkung d. Hg.«, und befahl den Anwesenden bei Gefängnißstrafe, im Namen des Königs, Stillschweigen an. Hierauf citirte er Hastings, zu erscheinen; und nachdem der Usher of the blackrod gegangen war, ihn abzuholen, erschien Hastings an seiner Stelle, machte drei Verbeugungen, kniete nieder, stand aber sogleich wieder auf und setzte sich in den für ihn bestimmten Lehnstuhl.
Der Kanzler eröffnete hieran die Sitzung, indem er den Managers sagte, daß sie fortfahren möchten. Nun folgten Verhöre von Zeugen; ein Clerk mußte viel vorlesen, welches endlich manchen Zuhörern so viel Langeweile verursachte, daß sie sich entfernten. Die Lords sitzen nicht sehr still, verlassen ihre Plätze, sprechen miteinander und mit den Mitgliedern des Unterhauses, und scheinen unter der Last ihrer Hermelinmäntel bei diesem Wetter nicht sehr beneidenswürdig zu sein. Einer von den Managers (Mr. Anstruther) sprach sehr widrig; er stieß immer einige Worte aus und hielt wieder inne, alles sehr monotonisch. Des Kanzlers deutliche, volle Baßstimme ist überall vernehmlich.
5. Zünfte.
In deutschen Büchern steht bald, England habe Zünfte, bald, England habe keine Zünfte. Beides ist wahr, beides falsch. Man verstehe sich nur! Deutsches Zunftwesen herrscht in England freilich nicht. Warum? Weil das Municipalwesen in England anders als auf dem festen Lande ist; weil England weniger als Deutschland und Frankreich das Unglück hatte, italienisch-ägyptische Laster anzunehmen. Die englischen Zünfte zielen wenig auf die vermeintliche Vervollkommnung der Künste ab, wie in Deutschland; sie haben blos politische Zwecke; denn keiner braucht sich da einzunften zu lassen, wohin er seines Handwerks wegen gehört. Ein Buchdrucker kann sich zu den Malern, Bäckern u. s. w. halten. In der City of London und in jeder Stadt, wo Incorporationen sind, darf keiner ein Gewerbe für sich treiben, der nicht zu einer Zunft gehört. In eine Zunft gelangt man, wenn man die Freiheit der Stadt erwirbt, oder Freeman of the city wird. Diese Erwerbung der Freiheit geschieht entweder durch sieben Lehrjahre bei einem incorporirten Meister oder durch Kauf. Die Freiheit der Stadt kostet im Durchschnitt 30 Pfd. St. Bei einigen Incorporationen ist sie wohlfeiler und kostet nur 24 Pfd. St.; deshalb hält man sich gewöhnlich zu einer wohlfeilern Zunft, z. B. zu den Musicians, da es einem Schustergesellen freisteht, sich zu der Zunft zu halten, zu welcher er will. Dieses Einzunften als Freeman of the city geschieht durch Einschreiben in der Guildhall (dem Rathhause) und der Zunfthalle. Wer Freeman durch die sieben verflossenen Lehrjahre oder durch Erkaufung der Stadtfreiheit ist, kann für eigene Rechnung, wie wir sagen, als Meister sein Handwerk treiben. Ein Freeman, ob er gleich zu einer Zunft gehört (was Volckmann Johann Jakob Volckmann, geb. zu Hamburg 1732, gest. 1803, schrieb unter vielem andern: »Neueste Reise durch England« (4 Bde., Leipzig 1781 fg.) Die Einleitung enthält unter anderm eine Darstellung der englischen Verfassung. Anmerkung d. Hg. in seinem ersten Theil, S. 225, fälschlich leugnet), nimmt noch keinen Theil an Parlamentswahlen; dazu gehört das Pelzkleid. Ein Freeman, der also auch diesen Vorzug genießen will, muß Liveryman werden, welches abermals einige Pfund kostet. Besondere Geschicklichkeit aber, wie Volckmann wähnt, gehört gar nicht dazu; die englischen Zünfte haben Vervollkommnung der Künste kaum zum Nebenzweck. Keine Zunft ist geschlossen; jeder Meister, er sei Freeman oder Liveryman, kann so viele Gesellen halten als er will. Meisterstücke kennt man in England auch nicht. Zwischen Lehrjungen und Gesellen ist ebenfalls keine Scheidewand. Gesellen – ich nenne die Leute so, die nicht auf eigene Rechnung arbeiten – lassen sich, wenn sie außer Arbeit sind, in der Halle einschreiben. Ein Meister, der Gesellen nimmt, muß gerade die nehmen, die zuerst eingeschrieben sind, er mag sie für geschickt halten oder nicht. Will er sich welche auswählen, so muß er ein gewisses Geld dafür erlegen. Der Gesellenlohn ist nur bei einigen Zünften, z. B. bei den Schneidern, durch eine Parlamentsacte bestimmt; ein Meister, der mehr Lohn gibt als vorgeschrieben ist, kann gerichtlich belangt werden. Fast jede Innung hat ihre Armenhäuser. Das Geld dazu fließt aus der Zunftkasse, in welche jeder Geselle, Freeman und Liveryman jährlich einige Schillinge zahlen muß. Ein Geselle, der diese Schillinge nicht bezahlt hat, muß sie alle nachzahlen, wenn er Meister werden will, sei es nach Ablauf der sieben Dienstjahre oder durch Erkauf der Freiheit.
Die Royal society eine Zunft zu nennen, wie einige deutsche Schriften thaten, ist sehr lächerlich. Sie ist indeß allerdings eine durch Charter incorporated Society, das heißt, sie gehört zu der allgemeinen Klasse von dem Staat untergeordneten Gesellschaften.
In allen Städten, wo keine Incorporationen sind, kann jeder nach Belieben jegliches Gewerbe treiben; z. B. in ganz Westminster und in den Liberties der corporirten Städte. Dieser Umstand macht allen auch in ungeschlossenen Zünften noch möglichen Schaden nichtig; denn die Waare des unzünftigen Meisters concurrirt immer mit der Waare des zünftigen. In Westminster z. B. kann jedermann Schneider oder Schuster sein, oder aus einem Schneider morgen ein Schuster werden u. s. w. Hier ist auch keine politische Verbindung unter den Handwerkern; die Parlamentsmitglieder werden in Westminster blos von den Hausbesitzern gewählt. Ein Jude kann in England alle Handwerke treiben, nämlich die, welche von keiner Corporation sind. Daß das mosaische Gesetz sich auch wohl damit verträgt, zeigen die vielen jüdischen Handwerker in Westminster, besonders die vielen jüdischen Schlächter in Goodmansfield. Man findet einen beschnittenen Schlächter nicht unreinlicher als einen unbeschnittenen.
Auf dem platten Lande kann jegliches Gewerbe getrieben werden, und nur in der Gerichtsbarkeit corporirter Städte muß ein Handwerker sich zu einer Incorporation dieser Stadt halten.
Das Unwesen eines Blauen Montags ist in England so arg als in Deutschland.
Warum ist genaue Kenntniß des englischen Zunftwesens in Deutschland so nöthig?
6. The Monster.
Wie sich die Neuigkeiten hier jagen! Wie immer frische Nahrung für das gefräßige Thier mit achtmalhunderttausend Schlünden herbeigeschafft werden muß! Gestern ist der König von Schweden an einem Gallenfieber gestorben; heute ersticht man die Kaiserin von Rußland; die Spanier haben Jamaica weggenommen; Frankreich rüstet zwanzig Linienschiffe aus. Bald erschallen wieder durch die ganze Stadt lauter Friedensgerüchte! Diese widersprechenden Erdichtungen sind auf den nächsten Kreis um die londoner Börse berechnet; die öffentlichen Fonds steigen und fallen, je nachdem man dieses oder jenes Gerücht wahrscheinlich zu machen weiß; authentische Briefe, gerichtliche Aussagen von Schiffskapitänen, Ministerconfidenzen, nichts wird dabei gespart, um Wirkung hervorzubringen; und wenn es endlich nun einmal gelingt, diejenigen, die sich die Weisesten und Vorsichtigsten dünken, zu übertölpeln, so ist der Gewinn schon entschieden. Man fragt sich also schon immer bei jeder neuen Märe, wohin sie zielt und welchen Effect sie auf die Barometer des öffentlichen Credits haben könne; und wahrlich! künstlich muß der Mäkler sein, der jetzt noch seinen Zweck erreichen will. Allein der größere Kreis des Publikums, der zur bestimmten Stunde seines Frühstücks die Zeitung liest und die Zeit theils mit dieser Lektüre, theils mit der Conversation, wozu sie den Stoff gibt, zu tödten sucht, hat noch einen ganz andern Heißhunger nach Neuigkeiten und eine gesegnete Gabe der Verdauung, die mit dem Wunderglauben in eine Klasse gesetzt zu werden verdient. Seit vier Wochen spricht ganz London von dem Ungeheuer, die Zeitungen sind voll davon, die Theaterdichter unterhalten das Volk davon auf der Bühne, die Damen fürchten sich davor; der Pöbel sieht jeden Vorübergehenden schärfer darauf an, ob er nicht in ihm das Ungeheuer entdecken könne; alle Wände sind mit Ankündigungen und Darbietungen einer Belohnung für denjenigen, der das Ungeheuer greifen wird, beklebt; freiwillige Subscriptionen sind eröffnet worden, um es fangen zu lassen; Mrs. Smith, eine Dame du bon ton, hat es mit einem Pistol hinters Ohr geschossen; es hat sich verkleidet, geht in vielerlei Gestalten umher, verwundet schöne Frauenzimmer mit einem eigens erfundenen Instrument, mit Haken in Blumensträußen verborgen, mit Packnadeln u. s. w.; und dieses Ungeheuer ist nichts mehr und nichts weniger als – ein Unding, womit man die müßigen Einwohner von London amusirt. Ein Taschendieb, der vermittels eines Instruments die Taschen umzukehren und auszuleeren gelernt hatte, konnte vielleicht eine Dame verwundet haben, indem er dieses Kunststück an ihren Taschen probirte; dieser unbedeutende Zufall war hinreichend, um eine ganze Geschichte von einem Ungeheuer darauf zu gründen, welches gegen weibliche Schönheit wüthete, und eine Verschwörung zwischen mehrern Geschöpfen dieser Art wahrscheinlich zu machen, die aus Bosheit oder Rache, oder verkehrtem Geschmack das ganze Geschlecht, oder doch den schönern Theil desselben, vernichten sollten.
7. Naturgeschichte. Banks.
Außer der Botanik ist alles kläglich bestellt; die Mineralogie am schlechtesten. Es gibt fast gar keine Liebhaberei und schlechthin keine Kenntniß. Hawkins ist der einzige Mineralog. Mr. Greville zeigt acht oder vierzehn Tage lang an seinem Cabinet. Mr. Macie und die übrigen studiren Mineralogie nur um der Luftchemie willen und wissen von den neuen Entdeckungen nichts. Greville ist in der Opposition und hat nichts zu leben. Raspe Rudolf Erich Raspe, geb. 1737 zu Hannover, Professor zu Kassel; wegen Betrugs nach England geflüchtet, Schriftsteller über Mineralogie u. s. w., gest. 1794. – Thomas Pennant (1726-98), bedeutender Zoolog. – John Latham (1740-1837), als Ornitholog von großer Bedeutung. Anmerkung d. Hg. arbeitet in Schottland, ist aber auch nicht mit den neuen Entdeckungen und überhaupt mit der heutigen Form der Wissenschaft bekannt. Zoologen gibt es sehr wenige. Pennant war nicht tief; Latham hat seine Vögel vollendet; Yeats hat ein Insektencabinet.
Botanik hingegen ist en vogue. Martyn Thomas Martyn (1735-1825), von 1761 ab Professor der Botanik zu Cambridge, fruchtbarer Schriftsteller über Botanik, Entomologie u. s. w. – William Curtis (1746-99), Botaniker und botanischer Schriftsteller; ebenso James Edward Smith (1759-1828). – James Dickson (1738-1822), botanischer Schriftsteller. – Nikolaus Joseph Baron von Jacquin (1727-1817) lebte zu Wien, sehr bedeutender Botaniker. Sein hier erwähnter Sohn Joseph Franz von Jacquin war Professor der Chemie zu Wien. Anmerkung d. Hg. übersetzte Rousseau's Briefe und that 24 neue hinzu, zierte sein Werkchen mit Kupfern und die Damen kauften es, so dürr auch der Inhalt ist. Curtis las den Damen Botanik, schrieb für sie ein »Botanisches Magazin« und gab seine » Flora Londinensis« heraus. Smith liest auch Botanik und fährt fort, Linnés Kräuterbuch, welches er an sich gekauft hat, zu publiciren. Dickson gibt Moose, Farrn und Schwämme heraus. Bauer, der vortreffliche Zeichner, den der junge Jacquin nach England brachte, wird die seltenen Pflanzen des Hortus Kewensis herausgeben; sie sind herrlich gezeichnet: klar, richtig, deutlich und schön. Eine Mrs. Margaret Menn ist ihm indeß zuvorgeeilt und hat auf dem allergrößten Atlasformat eine Nummer von vier Blättern herausgegeben, welche seltene und gemeine Pflanzen zugleich enthält, z. B. Strelitzia Regina und die Solandra speciosa, dann aber auch Plumbago rosea und Cypripedium album. Die Ausführung ist nicht zu rühmen. Nichts ist botanisch richtig gezeichnet und die vier Pflanzen kosten 16 Shilling.
Das große Werk von Banks Sir Joseph Banks, geb. 1740 zu London, gest. daselbst 1820, Theilnehmer an Cook's erster Entdeckungsreise (1768-71), berühmter Botaniker. – Jonas Dryander geb. 1748 in Schweden, gest. 1811 in London, botanischer Schriftsteller und Vorsteher von Banks' reichen Sammlungen. Anmerkung d. Hg. ist noch immer ein Gegenstand, der die Conversation lebendig erhält. Er wird (sagt und schreibt er seinen Freunden, es nie verkaufen) sondern nur wenige Exemplare abziehen lassen und sie verschenken. Es sollen schon beinahe alle 17-1800 Platten fertig sein. Woran der fernere Aufschub liegt, weiß kein Mensch zu sagen; Dryander selbst scheint es nicht sagen zu können oder zu wollen.
8. Kapitän Bligh. Reisen nach Nordwestamerika.
Cook gebrauchte den Kapitän Bligh William Bligh (1753-1817), englischer Seefahrer, machte mehrere Reisen in die Südsee, zuletzt Gouverneur von Neusüdwales. Anmerkung d. Hg. bei seiner letzten Reise, um Landkarten zu machen und Aussichten aufzunehmen, und er hat fast alles, was während dieser langen Reise in diesem Fache gearbeitet worden ist, allein gethan. Nach seiner Rückkehr kamen seine Zeichnungen in die Hände der Admiralität. Roberts erhielt von dieser den Auftrag, die Karten für den gedruckten Bericht der Reise danach auszusuchen und zusammenzutragen. Aber er hatte zu eben der Zeit das Commando über einen Zollhaus-Kutter bekommen und fand das Handwerk, Schleichhändler zu verfolgen, einträglicher als das Kartenmachen. Durch seine Nachlässigkeit ward die Herausgabe des Werks verzögert, und die Admiralität mußte ihm einen gemessenen Befehl zuschicken, heraufzukommen und seine Arbeit zu vollenden. Die elende Generalkarte ist die Frucht dieses übereilten Geschäfts, außer einer Menge Fehler in andern Karten. Kapitän Bligh hat versichert, daß zwischen den Originalzeichnungen und den herausgegebenen Karten ein sehr großer Unterschied sei.
Die canadischen Kaufleute und die Hudsonsbai-Compagnie sind einander entgegen. Ein gewisser Turner ward von der letztern ausgeschickt, um geographische Entdeckungen zu machen. Er war ein guter Astronom, nahm viele Längen und Breiten und bestimmte unter andern die Lage von Hudsonshouse. Hernach brauchte ihn die Compagnie in Handelsgeschäften; da hatte er über die Branntweinfässer zu befehlen, fing an zu trinken und gerieth darüber mit seinen Rechnungen in Unordnung. Die Compagnie hat ihn dessenungeachtet nochmals ausgeschickt; und wenn er nur seinen Branntwein bald austrinkt, so kann er noch etwas leisten.
Die Canadier stahlen ihm das erste mal seine Journale; wenigstens will man wissen, daß ein ungetreuer Beamter diese Journale an die Canadier verkauft hat. Diese haben drei Leute nach Westen geschickt, wovon einer über den Slavelake (Sklavensee) bis nach Cooks River und von da nach Kamschatka gekommen ist.
9. Dr. Johnson. Warton.
Als man Johnson fragte, was der König mit ihm gesprochen hätte, sagte er: » The questions of His Majesty were multifarious« (so sehr war er gewohnt, lateinische Wörter in der englischen Sprache zu adoptiren und sogar im gemeinen Leben einzuflicken); » but, thank God! he answered them all himself.« Se. Majestät fragten mancherlei; aber, gottlob! sie beantworteten alles selbst.
Warton Thomas Warton (1728-90), Professor der Poesie zu Oxford, Verfasser der » History of english poetry« (1774). Anmerkung d. Hg. spricht in seinem Buche über englische Dichter lang und breit über ein Miniaturporträt von Milton John Milton, geb. 1608 London, bedeutender republikanischer Staatsmann und Staatschriftsteller, Geheimschreiber des Staatsraths unter Cromwell, noch bedeutender durch sein großartiges religiöses Heldengedicht »Das verlorene Paradies« (1667), welches ihn zu einem der ersten englischen Dichter erhebt. Er starb, seit langen Jahren erblindet, 1674. Anmerkung d. Hg., welches Sir Joshua Reynolds für 100 Guineen gekauft haben soll. T. Brand Hollis Thomas Hollis (1720-74), Schriftsteller, besonders über Milton (» Memoirs«, 1780). Sein Freund und republikanischer Gesinnungsgenosse Thomas Brand, welchem er sein Vermögen vermachte, nahm nach ihm den Namen Hollis an. Anmerkung d. Hg. behauptet: es sei das Porträt von John Selden (1584-1654), berühmter englischer Alterthumsforscher und Staatsmann, bedeutend in den parlamentarischen Kämpfen seiner Zeit. Anmerkung d. Hg. und ärgert sich, daß Warton mit keinem Worte der vier Köpfe von Milton in den » Memoirs of Mr. Hollis« erwähnt, die doch echt sind.
10. Etwas von den Sitten. Veränderung der Sitten. Nägel. Ranelagh. Boxing. Dr. Mayersbach.
Die Verschiedenheit des Essens am östlichen und westlichen Ende der Stadt ist bemerkenswerth. Der ganz Fremde würde indeß wenig Unterschied finden, denn überall geht es gleich steif und unbeholfen zu. Man sitzt vor Tische unbeweglich im Stuhl, spricht wenig, schlägt die Arme übereinander und hat Langeweile, bis zur Tafel gerufen wird. Dann ziehen die Weiber wie die Kraniche ins Speisezimmer; niemand führt sie. Man fordert zu trinken, wie in einem Wirthshause, oder macht Partie mit jemand, um ein Glas zu trinken; und nach Tisch werden Gesundheiten getrunken. Auch erscheint, sobald die Damen sich entfernt haben, überall der Nachttopf. Suppe ist nirgends zu sehen. Man setzt noch immer Gläser mit Wasser auf den Tisch und jedermann spült sich, angesichts der ganzen Gesellschaft, den Mund und wäscht sich die Hände. Bis Thee und Kaffee im Nebenzimmer servirt werden, sitzt man am Tisch und trinkt Wein. – Nur im Westen gibt es Servietten, die in der City durchgehends wegbleiben. Kleine Schüsseln findet man auch nur an dem vornehmen Ende der Stadt; am östlichen ißt man mancherlei durcheinander und miteinander.
Die Engländer pflegen ihre Hospitalität zu rühmen und nennen ihr Land das gastfreieste in der Welt. Ausländer hingegen beklagen sich, daß, wenn sie zu Hause den durchreisenden Engländern alle erdenkliche Höflichkeit erwiesen haben, diese, wenn man sie in England besucht, den Fremden zu einem Mittagessen im Wirthshause bitten, und ihn alsdann seine Zeche mit einer halben oder gar mit einer ganzen Guinee bezahlen lassen. Anfänglich lachte ich selbst über diesen, wie es mir vorkam, ganz verkehrten Begriff von Hospitalität. Allein ich habe der Sache nachgedacht und finde manches zu erinnern, was sie in ein ganz anderes Licht stellen kann. Erstlich also ist es wenigstens von den Einwohnern auf dem Lande sehr buchstäblich wahr, daß sie gegen Fremde, die ihnen empfohlen werden, die Gastfreiheit in einem hohen Grade ausüben. Zweitens sind die Veranlassungen zu einem Mittagsmahl in dem Wirthshause in London häufiger als anderwärts, indem so mancher daselbst kein Haus hält, sondern jahraus jahrein täglich in ein öffentliches Wirthshaus geht, um dort zu essen. Drittens glaubt mancher seinem Gaste mehr Freiheit zu lassen, wenn er ihn an eine Tafel führt, wo er seinen freien Willen behält und fordern kann, was ihm beliebt, als wenn er ihn nöthigte, sich nach seinem Geschmack zu richten. Endlich auch in London selbst sind die Fälle gar nicht selten, daß Fremde in den Häusern ihrer Bekannten bewirthet werden, wie es mir selbst vielfältig widerfahren ist. Mehr aber als dies alles ließe sich noch zur Entschuldigung oder Rechtfertigung des englischen, mir sonst so paradox scheinenden Begriffs von Hospitalität sagen, der zuletzt auf die Definition hinausläuft, daß man in England für Geld haben kann, was man will. »Schöne Gastfreundschaft!« sagte ich, als ich diesen Ausdruck zum ersten mal hörte, und tausend Ausländer für einen werden in Versuchung sein, denselben Ausruf zu thun. Ich gestehe gern, daß ich nicht mehr so verächtlich von dieser Gastfreiheit urtheile, welche jedem für Geld verschafft, was er nur an Bequemlichkeit und Genuß verlangen kann. Es ist nichts Geringes, den Fremdling, den Reisenden, den Käufer, der im Laden etwas kaufen will, mit Freundlichkeit und Dienstfertigkeit aufzunehmen. Diese Attention ist aber in England recht eigentlich zu Hause. Kauft man für eine blose Kleinigkeit, für zwei Schillinge z. B., in einem Laden, so ist der Kaufmann erbötig, das Gekaufte selbst nach Hause zu schicken; gleichviel ob in die nächste Straße oder durch den ganzen Diameter der unermeßlichen Hauptstadt zu gehen ist. Kauft man für mehrere Pfund Sterling, so wird man fast unfehlbar von dem Kaufmann zu Tisch gebeten. Im Laden präsentirt man dem Käufer einen Stuhl, ein Glas Wein, eine Tasse Chocolade oder andere Erfrischungen. Um eine Kleinigkeit abzusetzen, läßt sich der reichste Kaufmann keine Mühe verdrießen; man mag hundert Stück Zeug um- und durchwühlen: er wird nicht müde, immer wieder andere herbeizuschaffen. – In den Wirthshäusern ist alles Aufmerksamkeit, und der gewöhnlichste Passagier wird wie der erste Lord bewirthet. Die Aufwärter laufen an den Wagen, sobald sie jemand ankommen sehen; der Wirth selbst erscheint und bewillkommnet seine Gäste. Er bedient sie bei Tisch, und das Kammermädchen sorgt bestens dafür, daß die Betten frisch und rein sind. Fährt man fort, so ist man wieder ebenso mit dem Wirth, der Wirthin und den Aufwärtern umgeben. Jedes hat im Hause sein bestimmtes Amt. Boots Plural von boot, Stiefel, volksthümlicher Ausdruck für Hausknecht, Stiefelputzer. Anmerkung d. Hg. ist bei der Hand, Schuh und Stiefeln abzuziehen, zu putzen und den Fremden Pantoffeln zu präsentiren. Kommt man zu Pferde an, so hat der Horseler Das Wort heißt hostler, vom altfranzösischen hostelier; hostler ist der Hausknecht, der für die Pferde sorgt, und darum hat es Forster irrthümlich von horse (Pferd) abgeleitet. Anmerkung d. Hg. oder, wie das Wort gewöhnlich ausgesprochen wird, Ostler, die Sorge für die Pferde. Will man ausfahren, so hat jeder Gastwirth mehrere nette Postchaisen und etliche Züge Pferde im Stall, deren sich ein deutscher Edelmann nicht schämen dürfte. Fast jahraus jahrein brennt ein Feuer in dem Kamin, und die Wirthshäuser sind schon darauf eingerichtet, daß man außer dem Schlafzimmer für jede Gesellschaft ein besonderes Wohnzimmer hat, ohne daß die Kosten darum besonders erhöht würden. Tische und Stühle sind durchgehends vom schönsten Mahagoniholz, mit roßhaarnen Kissen, und der Teppich von der vortrefflichen Wollenmanufactur in Wiltshire, oder wenigstens ein schottischer, liegt den Winter hindurch in jedem Zimmer; sowie vor jedem Bett jahraus jahrein, und in den zierlichern Gasthöfen auf allen Treppen ein schmaler Streif von eben diesem Tuch liegt. Des Silberzeugs, des Tafelgeschirrs ist kein Ende; nur Servietten muß man nicht erwarten. Wahrlich das Land ist gastfrei zu nennen, wo es Menschen sich so angelegen sein lassen, andern das Leben bequem und angenehm zu machen, Reisende nach einem beschwerlichen Cahotage Le cahotage, das Rasseln und Schaukeln eines Fuhrwerks. Anmerkung d. Hg. zu erquicken und ihnen einigen Ersatz zu verschaffen für die liebe Heimat, von der sie sich entfernen müssen. Wer empfunden hat, wie der Reisende in andern Ländern in sich selbst zurückgetrieben wird, wie er so gar keine Theilnahme erweckt, so gar kein freundliches Gesicht ihn bewillkommnen sieht, für sein Herz so gar keine Nahrung findet, wenn er sich einmal von den Seinigen entfernt; wie es den Gastwirthen gar nicht um seine Bequemlichkeit, sondern lediglich um ihren Gewinn zu thun ist, der muß den Vorzug des Reisens in England empfinden, wo ihn so manches freundliche Wort, so viel echte Urbanität in den Sitten der Menschen, mit denen er auf der Reise umzugehen genöthigt ist, unaufhörlich mit dem ganzen Geschlecht versöhnt und in eine zufriedene Stimmung versetzt. Ein gutes Gesicht und Bereitwilligkeit, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, lassen sich wahrlich nicht mit dem Gelde erkaufen, das er für seine Zehrung zahlt. Allein die Begriffe, daß man als Gastwirth verbunden sei, für die Bequemlichkeit und das Wohl der Gäste zu sorgen; daß man wirklich die Rechte der Hospitalität an ihnen ausüben müsse und ein schönes Gefühl von Unabhängigkeit und Gleichheit, womit man sich bewußt ist, daß man nicht blos vom Fremden lebt, sondern ihm auch wirklich das geben kann, was seine Börse nicht bezahlt: dies wird schon mit der Muttermilch eingesogen und mit den Anfangsgründen der Erziehung in den Gemüthern entwickelt. Dazu kommt noch, daß hier nicht leicht ein hungeriger Abenteurer einen Gasthof anlegt, sondern daß dieses Geschäft insgemein den Besitz eines ansehnlichen Vermögens voraussetzt; daß folglich die Gastwirthe selten so gröblich unwissend wie in andern Ländern sind und im Gegentheil die Erziehung, die ihrem Vermögen angemessen war, genossen haben; mithin, daß die Ueberzeugung, Zufriedenheit und Glück müsse nur in einer bestimmten Geschäftigkeit gesucht werden, den Entschluß leitet, auf irgendeine Art das Vermögen anzulegen und zu einem gemeinnützigen Endzweck damit zu wirthschaften. Dieser Geist der Thätigkeit unterscheidet den Engländer, wie mich dünkt, am meisten von allen andern Nationen. Ein Deutscher, ein Franzose, ein Italiener von gewöhnlichem Schlage, der dreißig- oder vierzigtausend Thaler hätte, würde sich erniedrigt glauben, wenn er ein Gewerbe oder eine Hantierung triebe; der Engländer fängt damit erst recht an und hält das Geld nur für eine Federkraft in seinen Händen, wodurch er für seine Thätigkeit Platz gewinnen und in eigenem Wirken und Schaffen sich selbst gefallen kann. Ich weiß, es gibt auch auf dem festen Lande einige Ausnahmen; allein zu geschweigen, daß diese eigentlich, wie immer, die Regel bestätigen, so ist doch in den Gelenken unserer Gastwirthe eine natürliche Steifigkeit, die sich nur durch die Zauberkraft einer Equipage mit Sechsen, oder eines adelichen Wappenschildes vertreiben läßt. Die Huldigung, die sie dem Reichthum leisten, möchte man ihnen noch verzeihen, sie hat wenigstens einen Gegenstand; allein die Furcht vor der privilegirten Klasse der Nation ist ein Schandfleck von angestammter Niederträchtigkeit, der die menschliche Natur entehrt, am meisten da, wo der Adel durch keinen Zügel weder durch Eigennutz, noch durch Begriffe von Ehre und Schande sich gehalten fühlt, mithin, weil er die oberste Stelle ohne sein Verdienst besitzt, dem eigenthümlichen Werth nach auf die allerunterste Stufe hinabgesunken ist, und die Verachtung aller übrigen, die alle besser und edler sind als er, in vollem Maße verdient.
Es sind nun zwölf Jahre verflossen, seitdem ich in England war. In diesem Zwischenraume kann eine wesentliche Veränderung der Sitten in einem Volke stattfinden, dessen Wirksamkeit einen so raschen Umschwung hat. A priori läßt sie sich sogar erwarten, und a posteriori möchte man aus allerlei Auftritten in der neuesten Geschichte sich davon versichert halten. Bei einer sehr genauen Untersuchung ließen sich unstreitig auch einige Abweichungsgrade bestimmen, die vielleicht in der Folge mit wachsender Geschwindigkeit zunehmen und wesentlichere Umwandlungen auf die Bahn bringen können; allein für den allgemeinen Eindruck ist gleichwol der Zwischenraum, den ich hier angegeben habe, noch zu unbedeutend, und England ist noch das alte, wie seine Einwohner es emphatisch zu nennen pflegen. Ich darf dieses mit desto größerer Zuversicht sagen, da ich wirklich eine merkliche Veränderung erwartet hatte und mich in dieser Erwartung sehr getäuscht finde. Ich bin so wenig fremd in London, weder in Absicht auf die Phraseologie, noch im Punkte der Lebensart und Sittenstimmung, daß diese Identität der erneuerten Eindrücke mit den alten Vorstellungen mich gewissermaßen in der Eigenschaft des Beobachters stört, indem mir das gewohnt und alltäglich in der Erinnerung scheint, was ich mit Rücksicht auf Dich, da Du nie in England warst, als merkwürdig und von unserer Art zu leben verschieden anzeichnen sollte. Um mit der Sprache anzufangen, so ist es zwar gewiß, daß die Büchersprache epigrammatischer geworden ist, und daß auch im gemeinen Leben manche neue Wörter, zumal in Beziehung auf Indien, in Curs gekommen sind; allein die Aussprache ist völlig unverändert, und die große Masse der Redensarten, die Sprichwörter, die Benennungen der Dinge, bleiben dieselben. Fast ein wenig höflicher als sonst scheint mir der gemeine Mann zu sprechen, wie er auch in Absicht auf fremde Kleidertracht, ausländische Sitten und Sprachen, die sich seinen Sinnen auf den öffentlichen Straßen darstellen, toleranter geworden ist. Diese Ausbildung ist unstreitig eine Folge der in England so allgemeinen Zeitungslektüre und ein Beweis für die Milde des echt englischen. Charakters, der am Ende der Vernunft doch immer Gehör gibt, so laut auch seine Vorurtheile, seine übeln Gewohnheiten und seine Leidenschaften zuweilen dagegen reden.
Die Toleranz gegen die Ausländer, und zumal die Franzosen, scheint auch mit einem größern Umfange in Befolgung und Nichtbefolgung der Moden als ehedem in Verbindung zu stehen. So stark auch die Nachahmung wirkt, so sieht man doch unzählige Menschen in den Straßen, die sich in ihrer Kleidung nicht irremachen lassen, sondern ihren Rock noch so tragen, wie sie ihn vor zwanzig Jahren zu tragen gewohnt waren. Vielleicht ist auch die schnelle Succession der Moden schuld, daß sie nicht allgemein werden können, sondern sich blos auf die höhern Kreise der verfeinerten Gesellschaft einschränken. Eine bekannte allgemeine Revolution in der Kleidung der Mannspersonen, ist die Abschaffung des Degens, den man sonst überall zu sehen gewohnt war, und jetzt nur noch bei Hofe sieht; die allgemeine Einführung der kurzen Westen, und jetzt die fast gänzliche Vertauschung der dreieckigen gegen runde Hüte. Das Militär und die Offiziere von der Flotte tragen fast ganz allein ihre dreieckigen Uniformhüte. Kinder kleidet man noch wie ehedem. Ihr rundgeschnittenes, ins Gesicht gekämmtes Haar wird in der Welt Mode bleiben, wo nur immer der Menschenverstand genug aufdämmert, um die Absurdität einer coiffirten Diminutivfigur zu empfinden. Ganz junge Kinder, bis ins vierte Jahr, erhalten aber hier noch immer keine Strümpfe, obgleich das Klima augenscheinlich diesen plötzlichen Uebergang von Wärme zur Kälte verbietet. Es ist aller Erfahrung zuwider, daß der menschliche Körper diese Extreme zu gleicher Zeit ausstehen kann, ohne eine größere oder geringere Zerrüttung seiner Organisation zu erleiden. Von der Blutwärme, die das Kind vor der Geburt überall umschloß, ist der Uebergang zur Temperatur der atmosphärischen Luft in England, zumal im Winter, so groß, daß ich mich nicht wundern würde, wofern künftige Physiologen in der plötzlichen Kälte, der man die zarte Organisation des Kindes aussetzt, die erste Veranlassung zu der in England so häufigen Gicht entdecken sollten. Allein in diesen Theil der Erziehung mischen sich die Aerzte; mithin die Theorie, die Systemsucht und die gelehrte Rechthaberei. Gesunder Menschensinn läßt sich in dieser Gesellschaft nicht antreffen.
Die gewöhnlichste Haube der Frauenzimmer hat einen ungeheuer breiten Strich, und ist überhaupt so weitläufig, daß ich eher alles von ihr sagen und glauben möchte, als daß sie schön sei und ziere. Die vornehmste Frau und das gemeinste Mädchen tragen diese Haube; mit dem Unterschied, daß diese nie ohne dieselbe gesehen wird, da sie hingegen bei jener nur das tiefste Négligé andeutet. Hohe Hüte von Filz, von allen Farben: weiß, rosenroth, braun, himmelblau und col de canard, am meisten aber schwarz, mit einem runden, schmalen Rand und hohem, spitzer zulaufenden Kopf, einer Bandcocarde oder einem Federbusch zu oberst und einem goldenen, oder seidenen, farbigen und mit Gold gewirkten Bande unten, sind jetzt die allgemeine Tracht des Frauenzimmers fast von allen Ständen. Zum vollen Anzuge gehört es aber noch jetzt, wie immer, daß man ohne Hut erscheint; und in diesem Falle ist eine sehr vollständige Frisur mit vielen Locken im Toupet und einem Bande und einer Agraffe von Juwelen im Haar oder eine hohe, sich vornüber thürmende, turbanähnliche Haube, der Putz, womit Junge und Alte prangen. Die Hüte sind an Gestalt völlig denen ähnlich, die man auf Rubens' und van Dyck's Porträts bemerkt. Die Hauben sind äußerst verunstaltend, und es fehlt nicht viel, so werden sie den Fontangen ähnlich sein, die man zu Ludwig's XIV. Zeiten trug. Viele, zumal junge Frauenzimmer, gehen ungepudert; es ist indeß keine allgemeine Mode, und am wenigsten zur vollen Kleidung anwendbar. Eine Art Négligé ist es auch, wenn man vollständig frisirt ist, statt der Haube aber nur ein kleines Kissen oben auf dem Kopfe trägt, welches der Haube eigentlich zum point d'appui dient, und wie Vesta's oder Cybele's Thurm aussieht. Dabei trägt man immer noch die ekelhaft großen Halstücher, so zusammengeschlagen, daß die obersten Falten mit dem Munde in gleicher Höhe stehen, und es beinahe so viel Kunst erfordert, einen Bissen, ohne das Halsbollwerk zu beschmuzen, in den Mund zu steuern, als mit chinesischen Stäbchen zu essen. Ein anderer Greuel des hiesigen Anzugs sind die Schnürbrüste, die so allgemein wie jemals getragen werden, und jetzt nur wegen der fürchterlich hohen Florbusen eine Excrescenz vor der Brust bilden, welche wenigstens diesen zarten Theil vor Beschädigung sichert, aber zur Schönheit der weiblichen Figur nichts beiträgt. Poschen gehören nur zum vollen Anzuge. Sonst hängt das Kleid so lang und schlank an den Schenkeln herunter, wie nur etwas hängen kann. Große baumwollene Tücher tragen die mittlern Stände, und Shawls, in Nottingham nach den indischen verfertigt, die vornehmern, gegen die kalte Luft. Diese Shawls werden jetzt weit länger gemacht als ehemals, weil man sie, nachdem sie über die Brust zusammengeschlagen worden sind, hinten in einen Knoten schlägt und die Zipfel wie eine Schärpe herabhängen läßt. Große Flortücher mit Blenden oder gehackten Spitzen gehören zum vollen Anzuge, der sehr oft aus Kreppflor oder überhaupt ganz weißen Zeugen besteht. Um die Taille schließt sich ein elastischer Gürtel, den die Erfindsamkeit der englischen Putzhändler einen Cestus nennt, mit einem Schlosse, oder nach der neuesten Mode, drei Schleifen und brillantirten Knöpfen von Stahl. Anstatt dieses Putzes tragen viele Frauenzimmer eine zur Taille passende ausgeschweifte Binde von seidenem Stoff und ein breit seidenes Band als Schärpe. Unmöglich kann ich alle die eleganten oder doch prätensionsvollen Négligés und Karakos beschreiben, in denen die Petitesmaitressen aus der Schaubühne, in den Logen und in Ranelagh ein früher sehr beliebter und vornehmer Vergnügungsort in London. Anmerkung d. Hg. und Vauxhall erscheinen. Genug, die unermüdete Anstrengung der Fabrikanten in Nottingham und Manchester erfindet immer neue Stoffe, und die Modehändlerinnen geben sich die Tortur, um nicht minder erfinderisch zu sein als ihre französischen Nachbarinnen.
Die Schuhe der Engländerinnen haben das Besondere, daß die Absätze weiter nach hinten stehen als an unsern französisch-deutschen Damenschuhen. Man trägt jetzt zierliche Rosetten von Stahl darauf, die sehr gut kleiden. Die Herren haben ihre Schnallen meistens mit Springfedern, sodaß das Herz von dem Theile der Schnalle, der blos für das Auge dient, gänzlich getrennt ist, und nur an einem Charnier und dann dur eine Feder damit zusammenhängt.
Durchgehends bemerke ich, daß die Engländer jetzt die Nägel ungeheuer lang wachsen lassen; am längsten und spitzigsten die, welche in Ostindien gewesen sind, woher auch die Mode augenscheinlich nach Europa herübergekommen ist. Man hat wenigstens ebenso so vornehm scheinen wollen als ein vornehmer Indier, dessen Nägel die Stelle eines Stammbaums vertreten. Es ist aber eine häßliche Mode und ein wahres Emblem der Faulheit, da man mit solchen Krallen unmöglich irgendein Geschäft verrichten kann, das nur einige Anstrengung erfordert. Aber auf dem Sofa zu sitzen und dem lieben Himmel den Tag zu stehlen, dazu sind sie ersonnen.
Erst um 10 Uhr fängt jetzt die Gesellschaft an, sich in Ranelagh einzufinden. Das Coup d'oeil ist immer zauberisch. Die Vertheilung der Lichter gießt so etwas Festliches, Heiteres umher, daß die trübste Seele dadurch erhellt werden muß. Im Garten war mir so wohl zu Muthe, es war so dunkelblau der Himmel, so niedlich das Blinkern der Lampen, so balsamisch erquickend der Duft von unzähligen Eglantin-Rosenhecken, herbeigeweht von einem mildsäuselnden West; die Töne des Orchesters in der Rotonde verhallten dort so gedämpft: es war der erste ungetrübte Genuß, seitdem ich in England bin.
Mendoza zwei damals sehr gefeierte, von Forster auch sonst erwähnte Boxer. Anmerkung d. Hg. – der nur durch Verabredung den Kampf mit Humphries als Sieger bestehen konnte, da ihn sonst Humphries in fünf Minuten zu Grunde richten würde – begegnete neulich einem Bauerkerl und schlug ihn. Der Bauer nahm es übel und widerstand. Er schlug ihn nochmals nieder, weil er agiler als der Bauer war. Hierauf entschloß sich der Bauer zu einem ordentlichen Kampf, zog seine Kleider aus und drang auf seinen Gegner dergestalt ein, daß diesem seine Geschwindigkeit nichts half, sondern er eine gewaltige Tracht Schläge bekam.
Dr. Mayersbach, dieser Quacksalber, ist wieder hier, wohnt in Red lion square und hat noch immer Zulauf wie ehedem. Er war Postschreiber in ... und wußte nichts von der Medicin; allein er associirte sich mit einem gewissen Apothekergesellen, Namens Koch, der die hallischen Medicamente zu bereiten gelernt hatte, und ward in England durch Lord Baltimore's Empfehlung als Arzt bekannt. Durch die elendesten Künste erwarb er sich die Reputation, aus dem Urin alle Krankheiten wissen zu können. Ein londoner Arzt, Dr. Lettsom, schickte ihm etwas Urin von einer Kuh zu, worauf er sogleich die Patientin für eine schwangere Frau erklärte – wie er es von dem Bedienten des Doctors erfahren hatte. Sein Zulauf war unglaublich. Nachdem er sich ein schönes Vermögen erworben hatte, ging er nach Deutschland zurück. Jetzt ist er wieder da, und das liebe London läßt sich aufs neue von ihm betrügen.