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Abfahrt von Antwerpen. Ankunft im holländischen Gebiete. Moerdyk. Hollands-Diep. Johann Wilhelm Friso. Das Dorf Stryen. Holländische Sauberkeit. Kattendrecht. Hospitalität und Sitteneinfalt. Ein Frühlingsmorgen an der Maas. Aussicht von Rotterdam. Verfall des holländischen Handels. Schiedam und sein Wachholderbranntwein. Fayencefabrik und Denkmäler in Delft. Ankunft im Haag. Spaziergang nach Scheveningen.
Wir verließen Antwerpen, wie wir hineingekommen waren, ohne daß man uns die gewöhnlichen Fragen im Thore vorgelegt hätte; auch hatte man uns auf der ganzen Reise durch Brabant, Hennegau und Flandern nur einmal nach unsern Pässen gefragt. Ich will glauben, daß diese Sorglosigkeit unserm unverdächtigen Aufzug Ehre macht; denn man hat Beispiele genug, daß die neuen Souveräne von Belgien gegen den Charakter der durchreisenden Fremden nicht gleichgültig geblieben sind.
Kaum waren wir eine Strecke gefahren, so befanden wir uns schon auf einer traurigen, weit ausgebreiteten Heide, wo das Auge nur am Horizont und nur in sehr großen Entfernungen voneinander etliche Kirchthürme entdeckte. Harte, dürre Gräser, Heidekraut, einzelne zerstreute Birken und kleine Gruppen von jungen Fichten waren die einzigen Pflanzenarten dieser öden, sumpfigen, versandeten Ebene, die uns lebhaft an gewisse Gegenden des nördlichen Deutschlands und Preußens erinnerte. In Zeit von sieben Stunden befanden wir uns auf holländischem Gebiet. Die Einwohner eines Dörfchens, wo man unsere Pferde füttern ließ, hatten häßliche, scharfgeschnittene Physiognomien, die aber viel Munterkeit und Thätigkeit verriethen; insbesondere bemerkten wir einige flinke, rasche Dirnen, die sich des Kutschers und der Pferde mit gleichem Eifer annahmen und mit der brabantischen Schlaffheit sehr zu ihrem Vortheil contrastirten.
Der sandige Weg ging auf dem Rücken eines hohen Dammes bis nach dem kleinen Städtchen Zevenbergen, welches unweit des Busens liegt, der hier den Namen Hollands-Diep erhält. Nach allen Seiten hin öffnete sich uns jetzt eine freundliche Aussicht; an einer Stelle war der Horizont seewärts unbegrenzt; die Menge der hin- und hersegelnden kleinern und größern Fahrzeuge, die Fischerleute in ihren Kähnen, die Seevögel, die in großen Zügen über die Fläche des Wassers kreuzten, die langen Weidenalleen, die darüber hinausragenden Kirchthurmspitzen und rothen Dächer in der Ferne machten zusammen einen angenehmen Effect. Zu Moerdyk, das nur aus wenigen Häusern besteht, fuhren wir über den Hollands-Diep und erinnerten uns an die furchtbare Ueberschwemmung im 15. Jahrhundert (1421), die hier einen Bezirk von 72 Dörfern verschlang, ein Meer an ihrer Stelle zurück ließ und Dordrecht vom festen Lande trennte. Auch an den jungen Prinzen von Oranien, Johann Wilhelm Friso, erinnerten wir uns, der (1711) im vierundzwanzigsten Lebensjahre auf eben der Fahrt, die wir jetzt glücklich zurücklegten, ertrunken ist.
Jenseit des Busens zerstreute der Anblick des ersten saubern holländischen Dorfs die trüben Erinnerungen. Reinliche, nette Häuserchen, Straßen mit Kanälen durchschnitten, an den Seiten mit Linden bepflanzt und überall mit Klinkern oder kleinen Backsteinen gleichförmig und niedlich, wie bei uns zuweilen der Boden des Vorsaals, gepflastert, und, was diesem Aeußern entsprach, gesunde, gutgekleidete, wohlhabende Einwohner gaben uns in Stryen das Zeugniß, daß wir auf dem Boden der wahren, nicht der eingebildeten Freiheit, und im Lande des Fleißes angekommen wären. Drei starke, wohlgenährte Pferde waren nöthig, uns auf dem schweren Wege fortzubringen, der an manchen Stellen so tiefe Geleise hatte, daß wir dem Umwerfen nahe waren. Als wir aber hernach durch das Dorf Haaringsdyk fuhren, das wenigstens eine halbe Stunde lang und wie eine Tenne mit Klinkern gepflastert ist, freuten wir uns wieder des reizenden Wohlstandes, der uns auf allen Seiten anlachte, und des Landes, wo der Mensch seine Bestimmung, des Lebens froh zu werden, erreicht, wo der gemeinste Bauer die Vortheile einer gesunden und bequemen Wohnung genießt, wo er auf dem beneidenswerthen Mittelpunkt zwischen Noth und Ueberfluß steht. Kann man diese Menschen sehen und fragen, ob es besser sei, daß mit dem Blut und Schweiß des Landmanns, der in elenden Hütten sein kümmerliches Leben hinbringt, die stolzen Paläste der Tyrannen zusammengekittet werden?
Nachdem wir über die sogenannte alte Maas, vermuthlich ihr ehemaliges einziges, jetzt aber zu einem schmalen Arm geschwundenes Bett, gekommen waren, befanden wir uns gegen 10 Uhr abends an den Ufern der eigentlichen Maas, zu Kattendrecht, wo wir die Stätte von Rotterdam durch eine unendliche Reihe von Laternen längs dem jenseitigen Ufer bezeichnet sahen. Die späte Stunde bewog uns indeß, diesseits in einem kleinen, ländlichen Gasthofe zu bleiben, wo die einfache, aber gesunde Bewirthung unserm müden, hungerigen und vom Nordostwinde beinahe vor Kälte starrenden Körper wohl zu statten kam. Hier setzten wir uns um den gemeinschaftlichen Feuerherd und freuten uns der altmodigen Simplicität des Hausherrn und seiner Tischgenossen. Man bewillkommnete uns mit Herzlichkeit, zog uns die Stiefeln ab und präsentirte jedem ein Paar Pantoffeln, die wenigstens dreimal schwerer als die Stiefeln waren. Die treuherzige Güte des Wirths bewog ihn, mir die besondere Gefälligkeit zu erweisen, seine Pantoffeln, weil sie schon ausgewärmt wären, von den Füßen zu ziehen, um sie meinem Gebrauch zu überlassen. Das geringste, was ich thun konnte, war wol, mich zu hüten, daß ich ihn nicht merken ließe, seine gutgemeinte Höflichkeit könne nach den Satzungen der feinen Welt ihm vielleicht gar zum Verstoß ausgelegt werden. Was hatte ich auch zu befürchten in diesem Wohnort der Gesundheit und Reinlichkeit? Unsere ekeln Sitten zeugen oft nur von ihrem grenzenlosen Verderben. Die für lecker gehaltenen Kibitzeier, nebst Seefischen und Kartoffeln, machten unsere Abendmahlzeit aus, wozu wir den Wirth seine Flasche Wein, die übrige Familie aber gutes Bier trinken sahen. Das Schlafzimmer, welches man uns einräumte, war zugleich das Prunkzimmer dieser Leute. Auf allen Seiten und insbesondere über dem Kamin waren eine Menge zierlich geschnitzter und bemalter Bretchen übereinander befestigt, worauf die irdene Waare von Delft, sauber und zierlich in Reihen geordnet, die Stelle der schlechten Kupferstiche vertrat, womit man bei uns die Wirthsstuben zu verzieren pflegt.
Daß ich den ersten schönen, warmen Frühlingsmorgen nicht vergesse, den wir auf unserer Reise noch genossen haben, bedarf keiner Entschuldigung bei den Vertrauten der heiligen Frühe. Könnte ich nur auch den Reichthum der Aussicht beschreiben, die wir, von der Morgensonne beleuchtet, aus unserm Fenster über das kleine Gärtchen des Wirths hinaus erblickten. Der lebendige Strom, fast eine englische Meile breit, floß sanft vorbei in leichten versilberten Wellen und trug auf seiner Azurfläche das hundertfältige Leben der Schiffe, der Brigantinen, der Schnauen, der kleinern Fahrzeuge aller Art, die hinauf- und hinabwärts, oder hinüber- und herübersegelten und ruderten, mit mannichfaltiger Richtung, Schnitt und Anzahl ihrer Segel, langsam gegen die Flut an, oder pfeilschnell mit Wind und Strom und Flut zugleich sich bewegten, oder auch mit eingezogenen Segeln und schwanken Masten, malerisch gebrochen durch die Horizontallinie der Raan und den Wald von Tauwerk, in des Flusses Mitte vor Anker lagen. Jenseits im Sonnenglanz hoben sich nah und deutlich die Gebäude von Rotterdam über dem Wasser, der große viereckige Pfarrthurm, die weitläufigen Admiralitätsgebäude, der herrliche mit hohen Linden auf eine Stunde Wegs besetzte Damm, der das Ufer begrenzt, die Menge zwischen den Häusern hervorragender Schiffsmasten, die unzähligen Windmühlen in und neben und jenseit der Stadt, zum Theil auf hohen, thurmähnlichen Untersätzen errichtet, um den Wind besser zu fangen; endlich die Vorstädte von Landhäusern und Gärten, die links und rechts in langer Reihe längs dem Strome sich erstrecken!
Wir eilten, uns über den Fluß setzen zu lassen, und brachten den Tag damit zu, die Stadt kennen zu lernen und sie ganz zu umgehen, welches einer der angenehmsten Spaziergänge ist, die man sich denken kann. Der Umfang von Rotterdam ist mittelmäßig, und seiner reinlichen Schönheit und Niedlichkeit haben die Reisenden nur Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn man sich seinen Wohnort wählen könnte, so käme die Straße am Hafen und längs der Maas, die so breit und mit majestätischen Ulmen und Linden so köstlich beschattet ist, gewiß unter die Zahl der Competenten, die mir die Wahl erschweren würden. Die Aussicht auf den Fluß ist wirklich so anlockend, daß man sich kaum daran satt sehen kann. Nach der Landseite hin bemerkten wir eine Menge Leinwandbleichen, eine größer und schöner als die andere, und in der Stadt selbst freute uns das Gewühl am Hafen, auf den Straßen und in den Kanälen; abgehende, ankommende Schiffe, Hunderte von befrachteten Kähnen, große, sogenannte Prahmen, reihenweis gestellt, um den Schlamm der Kanäle aufzunehmen und sie schiffbar zu erhalten; Karren, Schleifen, Schiebkarren, Träger, rollende Fässer, Ballen von Waaren, das Zeichen des Betriebs und der Handelsgeschäftigkeit; dann auf der kleinen, netten Börse und in den Kaffeehäusern umher die ein- und ausströmenden Scharen von Kaufleuten, Mäklern, Schiffskapitänen und Fremdlingen aus allen Welttheilen, ein Bild der friedlichen Vereinigung des Menschengeschlechts zu gemeinsamen Zwecken des frohen, thätigen Lebensgenusses!
Hier war es nicht leicht möglich, an äußern Merkmalen den tiefen, unheilbaren Verfall des holländischen Handels zu erkennen, der gleichwol seit dem Jahre 1779 durch eine in ihrer Art einzige Reihe von Unglücksfällen beschleunigt worden ist. In den hundert Jahren, die seit der Ermordung der beiden großen de Witt Johann de Witt, Großpensionär von Holland, geb. 1625, stand an der Spitze der republikanischen Partei, welche den allmählich zunehmenden Einfluß der Erbstatthalterfamilie Oranien zu schwächen strebte. In dem Kriege gegen Ludwig XIV. 1672 beschuldigt, den Oberfeldherrn Wilhelm von Oranien verrathen und ihm nach dem Leben getrachtet zu haben, wurden Johann de Witt und sein Bruder Cornelius im Haag von dem wüthenden Pöbel ermordet. Anmerkung d. Hg. (1672) verflossen sind, hatten die wiederholten Kriege mit Ludwig XIV. und die unter Wilhelm III. und seinen Nachfolgern so schnell emporwachsende Handelsgröße von England die Einschränkung des holländischen Handels allmählich bewirkt und seinen jetzigen Verfall unmerklich vorbereitet. Die Neutralität der Niederlande während des Siebenjährigen Kriegs eröffnete ihnen eine Zeit lang vortheilhaftere Aussichten, die sich mit noch größern Hoffnungen beim Ausbruch der Streitigkeiten zwischen England und seinen Colonien erneuerten. Als Frankreich und Spanien sich für die Unabhängigkeit von Nordamerika erklärten und Rußland seine bewaffnete Neutralität ersann, der die Mächte des europäischen Nordens so folgsam beitraten, stieg der Handelsflor der vereinigten Provinzen plötzlich auf eine Höhe, wo sie das Maß ihrer politischen Kräfte verkennen lernten. Die unvorsichtige Verbindung mit Frankreich reizte die englische Nation zu einem Kriege, wobei für sie augenscheinlich mehr zu gewinnen als zu verlieren war. Der Erfolg rechtfertigte die politische Nothwendigkeit dieser Maßregeln. Funfzig Millionen Gulden an Werth, das Eigenthum der Republik, waren in unbewaffneten Kauffahrern auf dem Meere, und die größere Hälfte dieser reichen Beute ward den englischen Kapern und Kriegsschiffen zutheil. St.-Eustathius, Essequebo und Demerary fielen in Amerika, sowie Negapatnam in Ostindien den Engländern in die Hände, und das britische Cabinet hatte noch überdies einen so entschiedenen Einfluß in die Administration der niederländischen Affairen, daß die nach Brest bestimmte holländische Hülfsflotte zum offenbaren Nachtheil des Staats nicht auslaufen durfte. Kaum war der demüthigende Friede mit England wiederhergestellt, so mußte man dem Kaiser noch größere Opfer bringen, um ihm das reclamirte Recht der freien Scheldefahrt abzukaufen. Die Millionen, womit man ihn für seine Forderung entschädigte, die Millionen, welche die Zurüstung zu einem Landkriege verschlungen hatte, die lange Gewohnheit der reichen Kapitalisten, ihr baares Geld außer Landes zu verleihen, anstatt es im vaterländischen Commerz in Umlauf zu bringen, und mehr als alles noch der verderbliche Nothbehelf während des Kriegs mit England, unter fremder Flagge zu fahren, wodurch ein großer Theil des Zwischenhandels in andere Kanäle kam und auf immer für Holland verloren ging: alles vereinigte sich, um nicht nur in den Schatzkammern des Staats eine gänzliche Erschöpfung zu verursachen, sondern auch den Stillstand der Geschäfte zu bewirken und in der allgemeinen Trauer, in der erzwungenen Ruhe, die Erbitterung der Parteien, die einander die Schuld beimaßen, aufs höchste zu spannen. Auf der einen Seite die hartnäckige Verblendung der Handelsstädte, womit sie auf ihrem Bündniß mit Frankreich bestanden, ohne dessen nahen Sturz durch die gänzliche Zerrüttung seiner Finanzen vorherzusehen; auf der andern die strafbare Anmaßung gewisser Staatsbeamten, die Allianz, die sie nicht mehr verhindern konnten, durch Ungehorsam gegen ihren Souverän, Verrath des nun einmal zum Staatsinteresse angenommenen Systems und widerrechtliche Versuche gegen die Freiheit der Verfassung selbst allmählich zu untergraben: dies waren die Extreme, deren Wiedervereinigung sich ohne Blutvergießen nicht länger vermitteln ließ. Der Ausbruch des Bürgerkriegs und die bewaffnete Dazwischenkunft des Königs von Preußen Die stets zunehmende Eifersucht zwischen der Oranischen Partei und derjenigen der Republikaner oder Patrioten führte im Jahre 1788 zu einem kurzen Bürgerkriege, welcher, da die Gemahlin des Erbstatthalters Wilhelm V., eine Schwester des damaligen Königs von Preußen Friedrich Wilhelm II., von den Patrioten aufgefangen und beleidigt worden war, durch ein einrückendes preußisches Heer rasch zu Gunsten der Oranischen Partei entschieden ward. Anmerkung d. Hg. füllten das Maß der Leiden, welche über die Republik verhängt zu sein schienen, und raubten ihr, was die Versehen einer kurzsichtigen Staatskunst noch verschont hatten, den häuslichen Wohlstand und den innern Frieden der Familien. Selbst nach dem Abzuge der Preußen verschlang die Ueberschwemmung vom Jahre 1788, welche von den im vorigen Jahre durchstochenen Dämmen nicht länger abgewehrt werden konnte, in vielen Gegenden von Holland die aus den Verwüstungen eines feindlichen Ueberzugs mit Noth gerettete Habe; zwei andere Ueberschwemmungen, die auf jene noch im Jahre 1789 folgten, verursachten bei Gorkum und an andern Orten einen Schaden von einer halben Million; und endlich forderte die Zerrüttung der öffentlichen Finanzen eine außerordentliche Hülfe, welche durch die auferlegte Schatzung des fünfundzwanzigsten Pfennigs erzwungen ward und wovon ein nicht geringer Theil in die Privatkassen der Partei geflossen ist, welche in diesem für Hollands Flor so unglücklichen Kampfe die Oberhand behalten hat. Die unweise Rache einer unvollkommenen Amnestie und die darauf erfolgten häufigen Auswanderungen vieler begüterten Familien vollenden dieses Gemälde der Zerstörung, dessen Folgen schon im nahen Untergang der westindischen und dem fast ebenso hülflosen Zustande der ostindischen Compagnie am Tage liegen. Hierzu kam noch seit 1790 die Ueberschwemmung bei Rotterdam und der Brand der Admiralitätsmagazin zu Amsterdam, ingleichen die Gefahr der Ostindischen Compagnie und die Ernennung zweier fürstlichen Commissarien nach Batavia. Aber dem geduldigen beharrlichen Fleiße voriger Generationen, ihrer Mäßigkeit und Sparsamkeit, ihrem freien Sinne, ihrem tapfern Muthe, ihren kühnen Unternehmungen und ihrer rastlosen Thätigkeit ist es gelungen, eine solche Masse von Reichthümern in ihrem selbstgeschaffenen Vaterlande zu häufen und unsern Welttheil so sehr an ihren Waarentausch zu gewöhnen, daß noch jetzt, nachdem man überall mit dem in Holland erborgten Gelde einen eigenen Activhandel zu begründen versucht hat, jenes bewundernswürdige Phänomen der Handelsindustrie nicht aus den größern Städten gewichen ist. Noch sind die Holländer, wenngleich in geringerm Maße als sonst, die Mäkler von ganz Europa und bestimmen die Gesetze des Geldhandels; noch schreibt Amsterdam den handeltreibenden Nationen den Wechselcurs vor!
Wir verließen Rotterdam den folgenden Morgen, nachdem wir der Bildsäule des vortrefflichen Erasmus Desiderius Erasmus von Rotterdam, geb. daselbst 1467, gest. zu Basel 1536, berühmter humanistischer Schriftsteller. Anmerkung d. Hg. unsere Andacht gezollt hatten. Wenn sie gleich auf künstlerisches Verdienst keinen Anspruch machen kann, so freute sie uns doch als ein Beweis der Dankbarkeit, womit Rotterdam die Größe seines gelehrten Mitbürgers erkannte und ehrte. Wir fuhren auf dem Kanal nach Delft und sahen an demselben eine Boulton'sche Feuermaschine erbaut, um das Wasser aus den niedrigen Wiesen in den Kanal zu heben. Es sollten zwei solche Maschinen hier errichtet werden; aber nur eine ist zu Stande gekommen und hat ungefähr hunderttausend Gulden gekostet. Linker Hand ließen wir das Städtchen Schiedam mit seinen zahlreichen Genever- oder Wachholderbranntweinbrennereien liegen. Man wollte uns versichern, daß gegen zweihundert Brennereien dort eingerichtet wären, welche täglich fünfhundert Oxhoft dieses Getränks versendeten. So übertrieben diese Angabe scheint, so gewiß ist es doch, daß die Fabrikation und Consumtion dieses Artikels sehr beträchtlich bleibt und den Reichthum von Schiedam, als des einzigen echten Brauorts, ausmacht. Das Verhältniß der Wachholderbeeren zur übrigen Gare ist nicht bekannt; sie geben aber unstreitig dem Fruchtbranntwein beides, Geschmack und Geist. Der Genuß dieses Branntweins, wovon der gemeine Mann in Holland so große Quantitäten verbraucht, muß auf die Leibesconstitution zurückwirken; wie er aber wirke, können nur einheimische Aerzte nach einer durch viele Jahre fortgesetzten Beobachtung entscheiden.
In dem netten, freilich aber etwas stillen und erstorbenen Delft besuchten wir eine Fayencefabrik, deren die Stadt gegenwärtig nur acht besitzt, indem das englische gelbe Steingut dem schon längst verminderten Absatz dieser Waare den letzten Stoß gegeben hat. Der Thon, sagt man uns, käme aus Brabant über Brüssel, ob man gleich den Ort nicht bestimmt anzugeben wußte. Der Ofen, als das Wichtigste, weil er dem Porzellanofen vollkommen ähnlich sein soll, besteht aus drei Kammern übereinander. In die mittlere wird das Geschirr in Muffeln eingesetzt und in der untersten das Feuer angemacht. Die Flamme schlägt durch Löcher zwischen den Muffeln durch und die oberste Kammer bleibt für den Rauch. So geschmacklos die Malerei und selbst die Form an dieser Fayence ist, verdient sie doch manchen sogenannten Porzellanfabriken in Deutschland vorgezogen zu werden, die oft die elendeste Waare um theuern Preis verkaufen und gewöhnlich zum Nachtheil der herrschaftlichen Kammern bestehen.
Es blieb uns noch soviel Zeit übrig, daß wir die beiden Kirchen besehen konnten. In der einen dienen die Grabmäler der Admirale Tromp Martin Harpertzoon Tromp, geb.1579 zu Briel, berühmter holländischer Seeheld. 1639 Admiral von Holland, schlug er wiederholt die Spanier und Engländer in großen Seeschlachten; er fiel 1653 in einer Seeschlacht an der holländischen Küste gegen die Engländer. Anmerkung d. Hg. und Pieter Hein Peter Hein (1570-1629), erst Schiffsjunge und Matrose, zuletzt niederländischer Großadmiral, gefallen in einer Seeschlacht an der flandrischen Küste, gefürchteter Gegner der Spanier; er griff sie in ihren amerikanischen Colonien an und plünderte ihre Silberflotten. Anmerkung d. Hg. zur Erinnerung dieser wackern Republikaner. Des Naturforschers Leeuwenhoek Anton van Leeuwenhoek aus Delft (1632-1723), bedeutender holländischer Mikroskopist, großer Forscher über Thier- und Pflanzenphysiologie. Anmerkung d. Hg. Porträt in einem schönen einfachen Basrelief von Marmor, ihm zum Andenken von seiner Tochter gesetzt, gefiel mir in Absicht auf die Kunst ungleich besser. In der andern Kirche prunkt das kostbare, aber geschmacklose Monument des Prinzen Wilhelm I. von Nassau Wilhelm I. von Nassau-Oranien, geb. 1533 zu Dillenburg, ermordet 1584 zu Delft, der große Gründer der Freiheit der Niederländer in dem langen Kampfe gegen Philipp II. von Spanien. Anmerkung d. Hg., unter welchem zugleich die Gruft der Erbstatthalter befindlich ist. Schön ist jedoch eine Victorie von Erz, die auf einer Fußspitze schwebt. Vor wenigen Jahren hat man auch dem edeln Hugo de Groot gemeiniglich genannt Hugo Grotius, geb. 1683 zu Delft, gest. 1645 auf einer Reise zu Rostock, bedeutender Staatsmann und Schriftsteller über Geschichte, Theologie, Staats- und Völkerrecht. » De jure belli et pacis« (1625) ist sein berühmtestes Werk. Anmerkung d. Hg. (oder Grotius) hier ein Denkmal errichtet.
Wir kamen zur Mittagszeit im Haag an und benutzten das Incognito, wozu das Ausbleiben unsers Gepäcks uns nöthigte, um das am Meer gelegene Dorf Scheveningen nach Tische zu besuchen. Sobald man zum Thor hinaus ist – denn der Haag ist eine Stadt und hat seine Barrieren, sowie seine Municipalität, wenngleich die Reisenden einander beständig nachbeten, es sei das schönste Dorf in Europa –, also, wenn man zum Thor hinaus ist, befindet man sich in einer schönen, schnurgeraden Allee von großen schattigen Linden und Eichen, die durch ein Wäldchen bis nach Scheveningen geht und wo die Kühlung im Sommer köstlich sein muß. Der Anblick des Meeres war diesmal sehr schön; so still und unermeßlich zugleich! Am Strande suchten wir jedoch vergebens nach naturhistorischen Seltenheiten; die Sandhügel waren leer und öde. Wir konnten uns nicht einmal von der Behauptung einiger Geologen vergewissern, der zufolge ein Thonlager unter dem Sande liegen soll. Das Meer, welches in Holland überhaupt nichts mehr ansetzt, hat im Gegentheil hier einen Theil vom Strande weggenommen, und die Kirche, die sonst mitten im Dorfe lag, liegt jetzt außerhalb desselben unweit des Meeres. Die vier Reihen von Dünen, etwa eine halbe Viertelmeile weit hintereinander, die man hier deutlich bemerkt, unterscheiden sich durch verschiedene Grade der Vegetation, welche sich in dem Maße ihrer Entfernung vom Meere und des verringerten Einflusses der Seeluft vermehrt. Auf den vordersten Dünen wächst fast nichts als Schilf und Rietgras, nebst einigen Moosen und der gemeinen Stechpalme; da hingegen die entferntern schon Birken, Pfriemen, den Sanddorn (Hippophaë) und mehrere andere, freilich aus Mangel der Nahrung immer noch zwergartige Pflanzen hervorbringen. Der Nähe der Seeluft glaube ich es auch zuschreiben zu müssen, daß hier (im Haag) noch alle Bäume mit völlig verschlossenen Knospen nackt dastanden, indeß wir sie in Flandern und selbst in Rotterdam schon im Ausschlagen begriffen gefunden hatten. Die Argumente also, welche man von den verschiedenen Stufen des Pflanzenwachsthums zu entlehnen pflegt, um die Entstehung der Dünen aus dem Meere selbst, das ihnen jetzt zu drohen scheint, darzuthun, fanden diesmal bei uns wenig Eingang, und wir fühlten uns geneigt, die Bildung dieser Sandhaufen so unentschieden zu lassen, wie die Frage, ob ihr Sand bei Kattwyk, wo sich der Rhein verliert, soviel Gold enthalte, um die Kosten einer Wäsche für Rechnung des Staats, wie man behauptet hat, mit einigem Gewinn zu vergüten. Unter diesen und ähnlichen Betrachtungen wanderten wir zur Stadt zurück, ohne ein anderes Abenteuer als den Anblick der heimkehrenden Fischweiber, die uns begegneten und die unmöglich irgendwo verwünschter oder hexenmäßig häßlicher und unflätiger aussehen können.