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Melusine war aus der Kirche mit in das Herrenhaus zurückgekehrt und widmete sich hier auf eine kurze Weile zunächst ihren Freunden, den Berchtesgadens, dann Rex und Czako. Danach ging sie in die Pfarre hinüber, um Lorenzen zu danken und noch ein kurzes Gespräch mit ihm über Woldemar und Armgard zu haben, im wesentlichen eine Wiederholung alles dessen, was sie schon während ihres Weihnachtsbesuches mit ihm durchgesprochen hatte. Sie verplauderte sich dabei wider Wunsch und Willen, und als sie schließlich nach dem Herrenhause zurückkehrte, begegnete sie bereits jener Aufbruchsunruhe, die kein ernstes Eingehen auf irgendein Thema mehr zuläßt. Sie beschränkte sich deshalb auf ein paar Worte mit Tante Adelheid. Daß man sich gegenseitig nicht mochte, war der einen so gewiß wie der andern. Sie waren eben Antipoden: Stiftsdame und Weltdame, Wutz und Windsor, vor allem enge und weite Seele.
»Welch ein Mann, Ihr Pastor Lorenzen«, sagte Melusine. »Und zum Glück auch noch unverheiratet.«
»Ich möchte das nicht so betonen und noch weniger es beloben. Es widerspricht dem Beispiele, das unser Gottesmann gegeben, und widerspricht auch wohl der Natur.«
»Ja, der Durchschnittsnatur. Es gibt aber, Gott sei Dank, Ausnahmen. Und das sind die eigentlich Berufenen. Eine Frau nehmen ist alltäglich.«
»Und keine Frau nehmen ist ein Wagnis. Und die Nachrede der Leute hat man noch obenein.«
»Diese Nachrede hat man immer. Es ist das erste, wogegen man gleichgültig werden muß. Nicht in Stolz, aber in Liebe.«
»Das will ich gelten lassen. Aber die Liebe des natürlichen Menschen bezeigt sich am besten in der Familie.«
»Ja, die des natürlichen Menschen...«
»Was ja so klingt, Frau Gräfin, als ob Sie dem Unnatürlichen das Wort reden wollten.«
»In gewissem Sinne ›ja‹, Frau Domina. Was entscheidet, ist, ob man dabei nach oben oder nach unten rechnet.«
»Das Leben rechnet nach unten.«
»Oder nach oben; je nachdem.«
Es klang alles ziemlich gereizt. Denn so leichtlebig und heiter Melusine war, einen Ton konnte sie nicht ertragen, den sittlicher Überheblichkeit. Und so war eine Gefahr da, sich die Schraubereien fortsetzen zu sehen. Aber die Meldung, daß die Wagen vorgefahren seien, machte dieser Gefahr ein Ende. Melusine brach ab und teilte nur noch in Kürze mit, daß sie vorhabe, morgen mit dem frühesten von Berlin aus einen Brief zu schreiben, der mutmaßlich gleichzeitig mit dem jungen Paar in Capri eintreffen werde. Adelheid war damit einverstanden, und Melusine nahm Baron Berchtesgadens Arm, während der alte Graf die Baronin führte.
Das Verdeck des vor dem Portal haltenden Wagens war zurückgeschlagen, und alsbald hatten die Baronin und Melusine im Fond, die beiden Herren aber auf dem Rücksitz Platz genommen. So ging es eine schon in Kätzchen stehende Weidenallee hinunter, die beinahe geradlinig auf Gransee zuführte. Das Wetter war wunderschön; von der Kälte, die noch am Vormittag geherrscht hatte, zeigte sich nichts mehr; der Himmel war gleichmäßig grau, nur hier und da eine blaue Stelle. Der Rauch stand in der stillen Luft, die Spatzen quirilierten auf den Telegraphendrähten, und aus dem Saatengrün stiegen die Lerchen auf. »Wie schön«, sagte Baron Berchtesgaden, »und dabei spricht man immer von der Dürftigkeit und Prosa dieser Gegenden.« Alles stimmte zu, zumeist der alte Graf, der die Frühlingsluft einsog und immer wieder aussprach, wie glücklich ihn diese Stunde mache. Sein Bewegtsein fiel auf.
»Ich dachte, lieber Barby«, sagte der Baron, »in meinen Huldigungen gegen Ihre märkische Frühlingslandschaft ein Äußerstes getan zu haben. Aber ich sehe, ich bleibe doch weit zurück; Sie schlagen mich aus dem Felde.«
»Ja«, sagte der alte Graf, »und mir kommt es wohl auch zu. Denn ich bin der erste dran, davon Abschied nehmen zu müssen.«
Rex und Czako folgten in einem leichten Jagdwagen. Die beiden Schecken, kleine Shetländer, warfen ihre Mähnen. Daß man von einem Begräbnis kam, war dem Gefährt nicht recht anzusehen.
»Rex«, sagte Czako, »Sie könnten nun wieder ein ander Gesicht aufsetzen. Oder wollen Sie mich glauben machen, daß Sie wirklich betrübten Herzens sind?«
»Nein, Czako, so gröblich inszenier' ich mich nicht. Und käme mir so was in den Sinn, so jedenfalls nicht vor einem Publikum, das Czako heißt. Übrigens wollen Sie bloß etwas von sich auf mich abwälzen. Sie sind betrübt, und wenn ich mir alles überlege, so steht es so, daß Sie bei dem Chateau Lafitte nicht auf Ihre Rechnung gekommen sind. Er wirkte - denn des Alten ›Bocksbeutel‹ hab' ich von unserem Oktoberbesuch her noch in dankbarer Erinnerung -, wie wenn ihn Tante Adelheid aus ihrem Kloster mitgebracht hätte.«
»Rex, Sie sind ja wie vertauscht und reden beinah in meinem Stil. Es ist doch merkwürdig, sowie die Menschen dies Nest, dies Berlin, erst hinter sich haben, fängt Vernunft wieder an zu sprechen.«
»Sehr verbunden. Aber eskamotieren Sie nicht die Hauptsache. Meine Frage bleibt, ›warum so belegt, Czako?‹ Denn daß Sie das sind, ist außer Zweifel. Wenn's also nicht von dem Lafitte stammt, so kann es nur Melusine sein.«
Czako seufzte.
»Da haben wir's. Tatsache festgestellt, obwohl ich Ihren Seufzer nicht recht verstehe. Sie haben nämlich nicht den geringsten Grund dazu. Gesamtsituation umgekehrt überaus günstig.«
»Sie vergessen, Rex, die Gräfin ist sehr reich.«
»Das erschwert nicht, das erleichtert bloß.«
»Und außerdem ist sie grundgescheit.«
»Das sind Sie beinah auch, wenigstens mitunter.«
»Und dann ist die Gräfin eine Gräfin, ja, sogar eine Doppelgräfin, erst durch Geburt und dann durch Heirat noch mal. Und dazu diese verteufelt vornehmen Namen: Barby, Ghiberti. Was soll da Czako? Teuerster Rex, man muß den Mut haben, den Tatsachen ins Auge zu sehn. Ich mache mir kein Hehl draus, Czako hat was merkwürdig Kommißmäßiges, etwa wie Landwehrmann Schultze. Kennen Sie das reizende Ballett ›Uckermärker und Picarde‹? Da haben Sie die ganze Geschichte. Melusine ist die reine Picarde.«
»Zugegeben. Aber was schadet das? Italienisieren Sie sich und schreiben Sie sich von morgen ab Ciacco. Dann sind Sie dem Ghiberti trotz seiner Grafenschaft dicht auf den Hacken.«
»Sapristi, Rex, c'est une idée.«