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Jahre sind vergangen, seitdem Klaus Mewes mit seinem grünen Ewer geblieben ist.
Wir kurren in der Gegenwart.
Herbst ist es, windstarker, wolkengewaltiger Herbst, der die Blätter von den Bäumen gerissen und die kleinen Segelschiffe von der See gefegt hat.
Hinter der Alten Liebe zu Cuxhaven (die nichts mit Liebe zu tun hat, sondern ihren Namen von der »Olive« bekommen hat, einem havarierten und abgeschlachteten Schiff, das zuerst den Anleger bildete) liegt die Austernflotte und macht sich zum Auslaufen klar. Da liegen die neun Kutter, die Dohrmann, der große Austernhändler, für den Winterfang angenommen hat.
Auf der Besan haben sie seine Charterflagge wehen, die hansischen Farben mit den hamburgischen Türmen, die am Finkenwärder Deich die Todesflagge genannt wird. Denn der Austernfang auf hoher See ist die allergefährlichste Fischerei, weil sie in die stürmischen Monate fällt und weil die Austernbänke so weit draußen liegen, inmitten der Nordsee, meilenweit hinter Helgoland. Da ist keine Reede und kein Hafen zu erreichen, wenn das Wetterglas fällt. Alle Stürme müssen draußen abgeritten werden.
Nur die neuesten, größten und seetüchtigsten Kutter können sich des Austernkurrens unterfangen. Nur die verwegensten und mutigsten Seefischer, die jungen und starken, können diese Fischerei betreiben. Aber auch sie würden sich nicht dazu hergeben, wenn sie nicht verdienen müßten und wenn sich die Austern nicht so gut lohnten. Die Zeiten sind schwer geworden, seitdem die Fischdampfer groß geworden sind. Winter und Sommer muß der Fischermann kurren, wenn er noch bestehen will. Die Notwendigkeit, die eiserne Not steht hinter ihm und jagt ihn in die Stürme hinein.
Ein furchtbarer Ernst webt um die Masten der Fahrzeuge. Der Tod steht aufgerichtet an den Wanten und ist der heimliche Schiffer.
Der erste der neun Kutter trägt den Steven am höchsten und ist der stärkste von ihnen. Noch flattern Reste des Taufkranzes am Großtopp, bunte Bänder und grüne Blätter, so neu ist er.
Und heißen seine Kameraden Präsident Herwig, Landrat Teßmar, Farewell, Senator von Melle, Süllberg, Fairplay und Providentia, so heißt er Klaus Störtebeker.
In Goldbuchstaben leuchtet es am Heck:
KLAUS STÖRTEBEKER
FINKENWÄRDER
Und lassen die anderen Dohrmanns Flagge im Wind flattern, so weht ihm eine deutsche Flagge von der Besan, denn der junge Fischer ist wie sein Vater und zieht keine fremde Fahne auf. Dohrmann muß ihn so fahren lassen.
Der schöne, schmucke Kutter gehört dem jungen Klaus Mewes. Dem jungen Klaus Mewes!
Ja, dem jungen Klaus Mewes gehört er, dem kleinen Klaus Störtebeker, aus dem sie einen Geestbauern, einen Schuster, einen Zimmermann und was nicht alles machen wollten, und aus dem doch nur eins werden konnte, in dem doch nur eins steckte: ein Seefischer! Allen zum Trotz hat er den Weg zum Wasser gefunden und ist ein Fahrensmann geworden wie sein Vater.
Der Störtebeker ist schon sein zweites Schiff. Mit dem ersten Kutter ist er bei Texel auf ein treibendes Wrack gestoßen und hat ihn dabei eingebüßt. Nun liegt er mit seinem neuen Fahrzeug zu Cuxhaven und will Austern fischen.
Bewundernd bleiben sogar die Seelotsen, die doch manches Schiff unter den Füßen gehabt haben, vor dem großen, herrlichen Fischkutter stehen, betrachten die glänzenden Masten, das blinkende Deck, den ragenden Bug, und loben den Baumeister, der ihn zusammengeklopft hat, und den Schiffer, dem er gehört und der mit ihm nach See gehen kann.
Die Kajüte ist groß und hoch, denn der junge Klaus Mewes fährt zu vieren und ist hochgewachsen.
Drei Sprüche zieren sie.
Unter der Schifferkoje leuchtet der schöne goldene Spruch aus dem Ewer:
Hilpt mi, Sünn un Wind, hilpt mi bit Fischen! Ik heet Klaus Mees un bün van Finkwarder. |
Unter der Knechtkoje aber steht einfach und bedeutungsvoll: Kap Horn. Und die letzte Koje schmückt das trotzige Wort:
Finkwarder blifft Finkenwarder un geiht ne van de See! |
Da kommt der junge Klaus Mewes.
Er kommt vom Kriegshafen herüber, von den Torpedobooten. Er hat seinen Leutnant besucht. Sie waren zusammen in Ostafrika und halten noch jetzt viel voneinander.
»Klaus Mewes, wenn ich Sie ansehe, ist mir um die Wacht an der See nicht bange«, hat der Seeoffizier zum Abschied gesagt und ernst hinzugefügt: »Mehr als auf die Wacht am Rhein kommt es jetzt auf die Wacht an der See an. England ist Rom, und wir sind Karthago – goden Wind, Klaus Mewes!«
Der junge Klaus Mewes geht, wie sein Vater ging. Er sieht aus, wie der ausgesehen hat: Es ist, als wäre der andere Klaus Mewes wiedergekommen.
Anders als dieser hat auch jener nicht gelacht, und höher hat auch er den Kopf nicht getragen. Wie ein Herzog geht der junge Klaus Mewes in seinem Isländer und seinen Seestiefeln.
Und er ist doch ein rechter, wohlgemuter, unerschrockener Fischermann. Nicht als finsterer Fliegender Holländer geht er einher. Viel ähnlicher ist er dem blonden Konradin, der tapfer lachend über die Alpen zog, nur von seinem Schwert begleitet, und sich sein Königreich erobern wollte.
Daß er so lachen kann, der junge Klaus Mewes! Urgroßvater, Großvater und Vater sind geblieben, seine Mutter ist vor Gram gestorben, er hat die schweren Winterstürme vor sich – und dennoch lacht er wie die Sonne, wenn sie scheint.
An Land ist er ein Kind, das gern mit Kindern spielt, auf See aber ein verwegener Draufgänger, der sich vor keinem Wind verkriecht und lieber ein Segel in die See gehen läßt, als daß er ein Reff einzieht. Die Furcht, die schon der Junge nicht kannte, hat auch in der Seele des Mannes keinen Raum.
Ein harter Fischer ist der junge Klaus Mewes, er macht die schnellsten und besten Reisen. Das weiß der ganze Deich. Und wenn ein Junggast bei ihm als Koch gefahren ist, so nimmt ihn jeder Schiffer gern als Knecht, denn die Fahrzeit bei dem jungen Klaus Mewes ist wie Kriegszeit und wird doppelt gezählt.
Und doch ist er ein Fischermann aus Lust, wie sein lachender, glücklicher Vater, den er in Gedanken immer bei sich stehen hat, wenn er steuert. Bei ihm an Bord ist nichts von der Not der Zeit zu spüren, die die stolzen Flotten von Finkenwärder und Blankenese bis auf neunzig Schiffe zerschlagen hat. Er hat Leute genug: Wie der Magnet das Eisen, so zieht er das tüchtige Jungvolk, den Nachwuchs von Finkenwärder, der noch Lust zur Seefischerei hat, an sich.
Er brauchte nicht während des Winters zu fischen, denn er hat im Sommer Geld genug verdient, daß er ruhig auflegen könnte. Aber er geht dennoch auf die Austern los. Was ihn treibt, ist das, was Hagen trieb, den Zug ins Hunnenland mitzumachen: Es ist ihm um die Ehre zu tun, er muß überall der erste sein! Er kann und will sich nicht sagen lassen, daß er hinter dem Ofen gesessen hätte, während andere in den Austern gewesen seien.
Er weiß, daß sie auf ihn sehen wie auf ihren Führer, und er ist stolz darauf und freut sich dessen.
Als der Kutter auf der Helling saß, machte der junge Klaus Mewes einige Reisen als Fischdampferkapitän, um sein großes Steuermannspatent auch einmal auszunutzen. Er fischte im Angesicht von Island im Schein der Mitternachtssonne und an der Küste von Marokko in der Glut des Samums, er sah sich Aberdeen und Lissabon an. Als aber sein Kutter zu Wasser gelassen war, da bedankte er sich lachend bei seinem Reeder und zog es vor, sein eigenes Schiff zu steuern und nichts über sich zu haben als seine Segel und seinen Herrgott.
Er hat sein schönes Schiff erreicht, der junge Klaus Mewes. Er springt an Bord und ruft die Leute auf.
Sie wollen fahren!
Klappernd steigen die weißen, leuchtenden Segel, die noch keine Lohe geschmeckt haben, an den Masten auf. Die Gaffeln knarren, und die Schoten schlagen wie wilde Geister, denn es ist noch stur.
Der junge Klaus Mewes zieht sein Ölzeug an und setzt den Südwester auf, dann faßt er das Ruder an und läßt die Stroppen losmachen. Langsam schwoit der Kutter – die Segel fallen voll, und das Fahrzeug setzt sich allmählich in Bewegung.
Hinter der Alten Liebe erst besinnt es sich auf seine Kraft und schießt davon, um Austern zu kurren. Mächtig taucht es in die schwere Dünung hinein.
Am Ruder aber steht der junge Klaus Mewes und freut sich seines Schiffes und seiner Fahrt.
Seefahrt ist not!
Auch deine Seefahrt, Klaus Mewes!