Gorch Fock
Seefahrt ist not!
Gorch Fock

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Fünfter Stremel

Am anderen Morgen war das erste, was Störtebeker tat, daß er auf den Deich lief und nach dem Wetter guckte. Und er freute sich, als der Wind wehte, daß die Ewer im Fahrwasser schnell von der Stelle kamen, denn so kam auch sein Vater gut vorwärts und war um so eher wieder da. Denn sein Vater, sein Vater! Danach fragte er, das ging ihn an: Ohne den war es nichts, ohne den wußte er nicht, was er anfangen sollte, ohne den und ohne den Ewer machte es ihm keinen Spaß zu leben. Beim Kaffeetrinken ging es noch, als er in behaglicher Breite vom Segeln und Kreuzen sprach, wie weit sie wohl schon wären, ob das Boot schon wieder eingehievt wäre, ob sie den großen Klüver wieder gesetzt hätten und andere fahrensmännische Dinge. Aber als er dann im Türloch stand, da war er wieder ganz allein und wußte nicht, was für einen Weg er einschlagen solle. Schließlich dachte er an sein Viehzeug, ging hin und mistete den Kaninchenkoben aus. Auch die Nebelkrähe bekam eine Lage frisches Stroh, die sie sich selbst mit wichtigem Gehabe zurechtlegte. Danach ging er am Graben entlang und zog die alte Bunge, die sein Vater noch mit unter den Stubben gesetzt hatte. Es war aber weder ein Hecht noch ein Schlei darin, nur ein großer Wasserbulle krabbelte am mittleren Reifen und sprang eilig ins Wasser zurück. Der Junge stellte das Netz an einer anderen Stelle ins Wasser und ging zum Binnendeich, um sein Hütfaß zu überprüfen; er zog den durchlöcherten Kasten, eine englische Hummerkiste, die sein Vater auf See eingezogen hatte und die nun vor dem Deichsiel im fließenden Wasser lag, aufs Trockne und überzeugte sich, daß die beiden Karauschen, die er drin hatte, noch springlebendig waren.

Damit waren seine Vormittagsämter eigentlich schon verwaltet. Was sollte er nun noch machen? Wenn sein Vater da war, hatte er alle Hände voll zu tun, aber nun war er eigentlich arbeitslos.

Weiter unten auf dem Deich, wo die Häuser wieder anfingen, spielten die Kinder, Jungens und Dierns, Ringelreihe und Tickfast. »Speel doch en betjen mit de Kinner«, sagte die Mutter, die auf der Wurt stand und die Hühner fütterte. Da ging er hin, um sich nicht andere Landarbeit aufladen zu lassen und sah eine Weile zu. Sie fragten ihn, ob er mitspielen wolle, aber er sagte nein: Mit Mädchen spiele er überhaupt nicht, er wäre doch kein Mädchenkönig! Wenn sie Suhl oder Steckpfahl oder Hahnensehen mitspielen wollten, aber ohne die alten Mädchen, dann hätte er Lust! Sie wollten aber lieber bei der Ringelreihe bleiben – deshalb hatte er es bald über, da Gevatter zu stehen, und er kehrte ihnen den Rücken.

Der alte Jäger begegnete ihm. Er hatte das Gewehr auf dem Nacken und den Sack mit den Lockenten auf dem Rücken und wollte wilde Enten schießen. Juno, der große, braungefleckte Hund, lief neben ihm her.

Störtebeker tat, als sähe er ihn gar nicht, denn er dachte an die Schläge vom Abend vorher, doch der Alte hatte seine Wut verschnarcht und sagte vergnügt: »Meun, Klaus Störtebeker!« Störtebeker aber dachte: Snack, soveel du wullt, wat geiht mi dat an, obgleich die Enten durcheinanderschnatterten: Meunmeunmeunmeun und er gern einmal in den Sack geguckt hätte, auch von Herzen gern mit auf die Jagd gegangen wäre.

Als der Jäger vorbei war, setzte er sich auf das Rickels und wartete, daß einige von seinen Mackern kommen sollten, mit denen er in die Pütten oder nach der Wisch ziehen konnte. Niemand ließ sich blicken: Die Mütter hielten sie fest, denn die Schustergeschichte hatte mit den Stutenfrauen schon die Runde gemacht, und auch die Reise über das Eis war bereits bekannt geworden. Ihre Jungen sollten sich nicht mehr mit dem Buschräuber abgeben, riefen die Frauen einander zu.

»Hein, du bliffst hier un geihst mi ne no den Neß, no den Störtebeker, hest mi verstohn?«

»Jo, Mudder!«

In seiner Not nahm Störtebeker schließlich die Hechtschnarre zur Hand und lief mit dem Bambusstock grabenauf und grabenab, um einen Hecht zu erwischen; aber er hatte auch damit kein Glück. Es war nicht sonnig genug, die Hechte standen tief im Wasser und waren sehr scheu, sie schossen meistens schon in die Tiefe, wenn er näher kam. Einmal gewahrte er einen großen Hecht, der gut gegen die Sonne stand. Behutsam tauchte er die goldene Drahtschlinge ins Wasser, ohne Wellenringe zu machen, und schob sie vorsichtig an den Fisch heran. Es ging auch anfänglich gut, die Schnauze war schon in der Schnarre. Wenn sie hinter den Kiemen war, wollte er rasch zuziehen und den Hecht aufs Land schnellen. Aber da strich eine Krähe über die Erlen, und wo eben noch Muschi Pundsheek gestanden hatte, da lief nun ein Käfer im Wasser.

»Du verdreihte Jakob du!« rief Störtebeker ärgerlich und warf mit einem Kluten nach ihm, dann gab er die Hechtfischerei auf und zog mit seinem runden Netz nach der Sielkule, um Stichlinge zu fangen. Das war lohnender; er ketscherte einen halben Eimer voll, weiße dicke Weibchen und graue dünne Männchen. Den größten Teil bekam die Mutter, die sie für die Hühner kochen wollte, den Rest aber machte er, auf der Bank unter den Linden sitzend, mit seinem Knief, seinem Puggenslachter, für Kluß zurecht, indem er Köpfe und Stacheln abschnitt. Die alte Krähe lebte ordentlich auf, als er ihr den Schmaus durch die Maschen des Kastens stopfte.

Als er sich dann aber vor den Käfig auf den Haublock setzte und ihr ununterbrochen die drei Worte vorpredigte, die sie lernen sollte: »Höh, Klaus Mees!« da sprang sie auf ihre Stange, hielt den Kopf schief, als wenn sie schwerhörig wäre, und öffnete mitunter verlangend den Schnabel, als wäre sie um weiter nichts als um neue Stichlinge verlegen. Sie krächzte auch einmal, aber zum Nachsprechen kam sie nicht, so eifrig der Junge sich auch bemühte, denn er wollte seinen Vater nach der Reise damit überraschen. Der sollte sich fix erschrecken, wenn er in den Hof hineinging und es mit einem Male rief: Höh, Klaus Mees! Eigentlich sollte die Krähe lernen: De Jung mütt no See! Aber das sollte erst später eingeübt werden. Diesmal war die Geduld freilich noch nicht groß.

»Du büst dummerhaftig, Kluß!« sagte Störtebeker ärgerlich. »Wenn du ne bald snackst, bring ik di keen Steengrimpen mihr her.«

Nach dem Mittagessen – Plummensaus gab es, eine Götterspeise für ihn – machte er sich ans Knütten und dachte mehr zu schaffen als vor zwei Tagen, mit seinem Vater und Kap Horn bei dem vielen Erzählen. Er knüttete emsig, ohne sich zu verpusten, die Nadel flog nur so, aber nach anderthalb Stunden sah er ein, daß es ihn ohne seinen Vater doch nicht freute.

Da ging er mit dem Euschfatt nach der Neßkule und goß den Kahn leer, der immer noch Wasser machte. Kalfatert mußte der werden, und wenn sein Vater nicht so auf den Stutz gefahren wäre, hätten sie es auch zusammen getan. Nun mußte er wohl allein darangehen.

Er sah auf: Das Wetter war gut, der Wind mooi. Sie fischten wohl schon und hatten bald die Reise. Wenn sie doch schon morgen kämen oder übermorgen!

Der Jäger kehrte vom hohen Neß zurück. Drei Enten baumelten an der Tasche und machten ihm gute Laune.

»Dor achter kummt de Schoster, Klaus Störtebeker, du schallst Afbitt don«, stichelte er, aber der Junge ließ sich nicht täuschen.

»De ward fix nattgoten«, sagte er gleichmütig, dann aber besann er sich, schluckte den Rest seines Grolls hinunter und lief auf den Deich, um die geschossenen Enten zu besehen und zu befühlen, Juno zu streicheln, der gänzlich mit Schlick bespritzt war, und die Flinte zu tragen, denn er wollte gern einmal wieder mit auf die Jagd, bis sein Vater kam.

»Wenn dat Is man irst weg wür, Korl-Unkel, wat ik mit mien Kohn schippern kann.«

»Offermorgen kriegt wi en neen Moon, denn wardt woll anner Wetter«, sagte der Jäger und sah den Himmel an.

Zu Hause warteten drei Jungen vom östlichen Norderelbdeich, die dreierlei wissen wollten.

Erstens: Ob er noch kleine Kaninchen zu verkaufen hätte, denn dann wollten sie einen Bock und eine Eve bestellen.

Zweitens: Ob es wahr wäre, daß er dem Schuster alle Fenster eingeschlagen hatte, denn das war am Deich erzählt worden.

Drittens: Ob der Feek am Westerdeich schon trocken sei, denn dann wollten sie gleich Ostermoonen beuten. Streichhölzer hätten sie eine ganze Schachtel voll in der Tasche.

Störtebeker ging mit ihnen nach hinten und wies ihnen die Eve. »Ik weet ne, veel lütje Munkis dat ik krieg, Jannis: Fief sünd verseggt, wenn dor söben van ward, denn kriegst du noch twee.« Wegen des Schusters ließ er es ruhig bei der einen Scheibe, die seine Mutter bezahlt hatte, und sagte: »De Lüd snotert sich wat trecht, Hein!« Der Feek sei noch mistnaß und für Osterfeuer sei es überhaupt noch viel zu früh; was sie sich wohl eigentlich einbildeten, sie hätten wohl einen Splien? Wenn es soweit wäre, dann würden sie schon den weißen Rauch ziehen sehen. »De Rietsticken geef mi man, Ott, dor kannst du lütje Boitel doch noch ne mit ümgohn, de nimmt dien Mudder di doch noch wedder weg.« Damit entriß er dem Jungen die Schachtel und steckte sie in die Tasche. Er zeigte ihnen noch Kluß und die angefangene Bunge, ließ sie in das Hütfaß gucken und die Karauschen gebührend bewundern, dann aber schickte er sie weg, denn er sah die Gören vom anderen Ende doch nicht ganz für voll an, und wenn nicht die Bestellung gewesen wäre, hätte er sich gar nicht weiter mit ihnen abgegeben. Aber die Kundschaft mußte man sich ja gewogen halten.

Er lief nach der Neßkule, und obgleich es ihm vor drei Tagen so schlecht bekommen war, ging er doch wieder an das scharfe Dümpeln mit dem Kahn, um sich seefest zu machen. Diesmal wurde ihm nicht schlecht.

In der Dämmerung mußte er noch mal den Deich entlang und Graupen und Zucker vom Krämer holen. Damit war sein Tagewerk beendet.

»Noch süß Dog, Mudder, denn kummt Vadder all wedder«, sagte er zuversichtlich, als er die Stiefel auszog.

 

Ungefähr so wie diesen Tag füllte Störtebeker auch die anderen Tage aus, ohne rechte Lust und rechten Wind; er wartete auf den großen schönen Ewer mit den hohen braunen Segeln, dem grünen Bug und dem rot und weißen Flögel. Als es an der Zeit war, daß sein Vater aufkommen konnte, stand er stundenlang auf dem Deich oder am Bollwerk, wenn Flut war, oder er saß im Wipfel der Linden vor der Tür und spähte nach den vorbeisegelnden Fischerfahrzeugen aus. Er suchte einen grünen Ewer und einen blau-weißen Stander, der von Godefroo bis zur Nienstedter Kirche wehen mußte, nicht länger, wenn es der rechte sein sollte; das wußte er. Zwar wartete er auch noch auf das Trockenwerden des Feeks am Westerdeich, auf das Schmelzen des Eises, auf die Besserung der Grabenfischerei, auf das Jungen des Kaninchens und auf das Fertigwerden der neuen Seestiefel; aber das waren doch nur Kleinigkeiten gegen das große Warten auf seinen Vater.

Außer seinem Elternhaus und zwei älteren Häusern stand auf der Neßhuk nur noch eine alte Kate, in der Sill wohnte, eine alte, wackelige Frau, die im Winter Wurstprökel machte und Strümpfe anstrickte. Auch nahm sie die Schinken in Pflege, denn die Kate hatte keinen Schornstein, und aller Torfrauch sammelte sich auf der Diele, die die beste Rauchkammer weit und breit abgab. Im Sommer spielte sie Fischfrau in Hamburg, auch suchte sie Regenwürmer mit der Laterne für die Aalfischer. Sill war ein wenig wunderlich geworden in ihrem harten Leben und galt auf dem Eiland allgemein als Hexe, die einem etwas antun konnte. Sie trauten ihr nicht, aber sie hüteten sich, es sie merken zu lassen. Niemand verdarb es sich gern mit ihr, denn manchem Fischermann, der sie schief angeguckt hatte, war es schlecht ergangen. Er hatte den Mast abgebrochen oder andere große Haverei bekommen, die Kurre eingebüßt oder nichts gefangen. Manch einen gab es am Deich, der an Hexen und Blaufärben glaubte und nicht fuhr, ohne sein Fahrzeug vorher gehörig ausgeräuchert zu haben. Man mußte Thees to Baben zuhören, dem Hexenmeister, dann wußte man erst Genaueres über die mannigfaltige Tätigkeit dieses Weibes.

Einmal hatte Peter Külper seine Kurre geloht und sie zwischen den Bäumen zum Trocknen aufgehängt. Nachts wachte er mit einem Mal auf, und es trieb ihn, aus dem Fenster zu gucken. Da sah er die alte Sill im Mondlicht zwischen den Bäumen gehen und bemerkte, daß sie seine Kurre berührte. »Nu bün ik behext«, dachte er. Am Morgen besah er die Kurre genau und fand einen Pfennig in das Steerttau geklemmt. Er pulte ihn heraus und vergrub ihn, und das war sein Glück, denn sonst hätte er das Netz auf der ersten Reise gleich an den Steinen zerrissen. Also sprach Thees to Baben.

Einer der wenigen, die von solchem Hünenglauben nichts hielten, war Klaus Mewes, der Lachende, und als er einmal dazukam, als Gesa dem Jungen einschärfte, ja nichts von der Frau anzunehmen, keinen Apfel und keine Birne, da sagte er ernsthaft: »Mudder, gläuf doch ne an Hexen un sowat. De arme Froo kann ne mihr as du. Wat schull de den Jungen woll geben? De freit sik, wenn se sülben wat to bieten hett!« Und dann sagte er, um das Unrecht gutzumachen, das Gesa ihr nach seinem sicheren Gefühl zugefügt hatte: »Wi hebbt noch en poor Schullen ober; kumm, Störtebeker, un bring Sill de hin!« Der Junge tat es. Sill war vergnügt und wollte ihm einen Apfel schenken, aber sie konnte nicht gleich einen finden und sagte ihn für später zu.

Als Störtebeker eines Tages wieder von seinem Kahn kam, dachte sie daran, klinkte die Tür auf und sagte: »Mol rin, Jung, schallst wat Scheuns hebben.«

Er ließ sich nicht lange nötigen, aber er guckte sich erst um, ob ihn die Mutter auch nicht sah. Als die Luft rein war, trat er in die dunkle Diele, denn bange war er nicht. »U, Sill, wat bitt de Rook mi inne Ogen«, rief er.

»Jä, jä, de Rook! De is slecht für de Ogen, obersen god für de Schinken«, sagte die Alte und kroch in das Kellerloch hinein, das unter den Wandbetten war.

»Junge, wat en barg Schinken! Hürt di de all to, Sill?«

Sill saß ganz im Stroh und musselte darin umher wie ein Schwein im frischbestreuten Koben. Zu sehen war gar nichts mehr von ihr, nur noch zu hören. Ein anderes Kind wäre ängstlich geworden und hätte die Beine in die Hand genommen, aber Störtebeker wußte nichts davon.

»Wat seggst du, Junge?«

»Ich meen, wat dat al dien Schinken sünd?« wiederholte er lauter.

»Jo, all mien Schinken.«

»Diern, denn kannst du di woll frein!«

Die schwarze Katze erhob sich auf dem Herd und sah ihn mit glühenden Augen an. »Is dat de Katt oder de Koter, Sill?«

Die Alte tauchte gerade wieder wie der Geist von Hamlets Vater aus der Versenkung auf. Sie hatte Strohhalme in den Haaren und zwei Äpfel in der knochigen Hand.

»Dat is de Koter, Störtebeker, de Koter is dat. De Katt hett Junge. Wenn du Lust hest, kannst jüm offermorgen all versupen.«

»Jo, Sill, dat mokt jo Spoß«, sagte er gemütlich, sie aber gab ihm die Äpfel und bemerkte dazu, es seien die letzten, die wären für die Fische von damals, und er solle sie sich nur schmecken lassen. Er nahm sie ohne Dank an und machte, daß er hinaus kam, denn er konnte den beißenden Rauch nicht mehr aushalten.

Auf dem Deich überlegte er, was er nun tun sollte, und betrachtete die schönen, rotbackigen Äpfel. Wie fein die rochen! Ob sie wohl behext waren und ob er wohl krank davon wurde, wenn er sie aß? Die Mutter hatte es gesagt, aber sein Vater hatte darüber gelacht, und sein Vater war der Oberste für ihn; er wollte sie getrost essen.

»Klaus, kumm hier mol her! Wat hest du dor, wat sünd dat för Appeln?« rief die Mutter, die mit einem Mal neben ihm stand. O weh das hätte nicht kommen dürfen. »Kantappeln, Mudder!« – »Keen hett di de geben?« Daß sein Vater ihm das Lügen verboten hatte! Nun mußte er mit der Wahrheit an den Tag. »Sill, für de Schullen, de ik ehr to bröcht hebb.«

»Her de Appeln!«

»Och, Mudder!«

»Her de Appeln, de schallst du ne upeten!«

»Och, Mudder, lot mi de doch, ik hebb solangen keen Appeln mihr hatt!«

»Giffst du de her, Klaus?«

Er wollte flüchten, aber sie kriegte ihn am Hosenträger und nahm sie ihm weg. Hastig steckte sie sie in die große Tasche, die sie unter der Schürze trug, und ging ins Haus zurück. Störtebeker lief hinterher und versuchte, sie ihr wieder abzuschnacken, aber er erreichte es nicht, sie war unerbittlich. Da legte er sich auf die Lauer und beobachtete sie heimlich, ohne daß sie es gewahr wurde. Und als er sie später aus der Tür kommen hörte, versteckte er sich schnell im Binnendeich hinter der dicken Wichel. Gesa sah sich scheu um, ob auch keiner guckte, dann lief sie in den Garten, grub ein Loch und steckte die Äpfel hinein, um die Hexerei unwirksam zu machen.

Kaum war sie aber wieder oben, als Störtebeker geschlichen kam und die Äpfel ausgrub. Diesmal besah er sie nicht lange, sondern wischte sie schnell an der englischledernen Hose ab und steckte sie in die Tasche. Erst als er in sicherem Versteck am Westerdeich saß, in einem Storchnest, das er sich im Wipfel einer abseits stehenden Esche gebaut hatte, betrachtete er sie wieder und aß sie dann mit großem Behagen auf, ohne bange zu sein, daß er krank danach werden könne. Dazu schmeckten sie viel zu gut.

Als er wieder nach Hause kam, dick und satt, lag ein gelber Prinzapfel auf dem Tisch, und die Mutter sagte: »Kiek, Klaus, dor hebb ik noch een van uns egen Appeln int heid funnen, de smeckt beter, un dor warrst du ne krank van. Den et man up.«

Störtebeker verachtete natürlich auch diese Kost nicht, aber er sagte doch: »Van wegen beter, Mudder, dat will ik di man seggen: ik mag Kant leber as Prins!«

 

Einige Tage danach brachte starker Westwind eine hohe Tide und brach die Fleek, das Eis, in tausend Stücke, schob das meiste davon auf den Deich und ebbte den Rest nach der See hinab. Dann machten Regen und Sonnenschein reine Bahn bis auf die Sandhügel und Schlickhaufen im Gras. Nun hatte Störtebeker freies Wasser für seinen Seeräuberkahn, er konnte wriggen und rudern, soviel er wollte. Jede Tide stieß er eben vor der Flut vom Sielgraben ab, ließ sich stromab treiben und legte sich zwischen Blankenese und dem Schweinesand auf die Lauer, warf den Draggen aus und harrte der Schiffe, die mit der Flut heraufkommen sollten, denn jetzt mußte sein Vater bald dabei sein. Zehn Tage war er schon weg. Die Dünung der Dampfer tanzte mit seinem Fahrzeug auf und ab – das freute ihn, denn so mußte er doch zuletzt seefest werden.

Wie er spähte! Wenn große Drei- oder Viermaster vorbeigeschleppt wurden, warf er den Kopf in den Nacken und guckte nach den Rahen und Masten hinauf. Dampfer sah er feindselig an, denn er wußte, daß sein Vater nichts von den Stiemkästen hielt, und daß auch Kap Horn nicht gut auf sie zu sprechen war. Was da sonst noch segelte und kreuzte, Dreuchewer, Jalken, Kuffen, Schaluppen und Galjassen, das waren Dwarstreiber und Torfschipper bei ihm.

Aber die richtigen Ewer, die Fischerewer, das waren Schiffe für ihn, denen wriggte er entgegen, und die begrüßte er: »Hebbt ji Vadder ne sehn? Hett he ne bi jo fischt? Kummt he bald?« Wußten die Fahrensleute dann mitunter nicht, wer er war, die Auer oder die Lüneburger, dann drehte er einfach seinen Kahn so, daß sie seinen Namen »Klaus Störtebeker« lesen konnten – dann wußten sie gleich Bescheid. Dann hieß es ja oder nein, sie hätten bei ihm gefischt, er käme bald, oder sie hätten ihn nicht gesehen, er müsse wohl in der Süd zugange sein, oder er wäre nach der Weser gesegelt. Es waren auch Schelme da, die riefen, sein Vater sei nach Janmerika gefahren und käme erst Weihnachten wieder. Und Besorgte, die ihn ermahnten, nicht so weit hinaus zu schippern, sondern am Bollwerk zu bleiben. Nur was er am liebsten hören wollte, daß einer sagte: »Dor seilt dien Vadder, dor achter. Schipper em man inne Meut!«, das bekam er nicht zu hören, und den schönsten Ewer kriegte er nicht zu sehen, so weit er auch blickte.

Hinter ihm machten sie die Flagge klar, um dem Deich zu winken und die Frauen zu grüßen. Er sah es mit einem bitteren Geschmack im Mund.

Abends wriggte er niedergeschlagen zurück. Wenn er dann noch den Deich entlang mußte, benachrichtigte er wohl die Frauen, deren Männer aufgekommen waren: Geschen, ik hebb mit Hannis snakt: Du schullst man noch mit den Negendamper nokommen! Oder: Trino, Hein is upkommen, hett tweehunnert Stieg Schullen. Und wenn auch die Frauen meistens schon Bescheid wußten, wenn sie auch schon gewinkt hatten, so freuten sie sich doch über Bestätigung und sahen den kleinen Störtebeker freundlicher an, um so eher, als er nicht für Geld ansagte wie die andern Jungen, die sich gemeinsam ein Fernrohr gekauft hatten und einen förmlichen Fischerfrauenbenachrichtigungsdienst auf Teilung unterhielten. Störtebeker aber war zu stolz, Geld anzunehmen. »Behol man, ik verdeen Gild nog mit mien Fisch und mien Kninken«, sagte er, wenn ihm eine einen Groschen geben wollte.

Eines Tages, als er draußen war, lief ein großer grauer Manofwar, ein deutsches Kriegsschiff, dicht an ihm entlang. Schon von Schulau an hatte es sich durch langgezogenes Heulen bemerkbar gemacht – langsam glitt es nun vorüber. Er guckte es groß an, denn auf einem solchen Manofwar war auch sein Vater gewesen, als er gedient hatte. An der Reling standen viele Mariner und starrten ihn an, weil er so jung war und doch schon mitten auf der Elbe wriggte. Mit einem Mal aber winkte ein Matrose und rief: »Hallo, Störtebeker!« Das war Jan Greun, der auf der anderen Seite von der Stegel wohnte.

»Höh, Jan! Wat kummst du denn hier her, ik meen, du würst in Schino!«

»Lurst du up dien Vadder?«

»Jo, Jan! He kummt man bloß ne.«

Störtebeker rief noch, er solle man mal mit den Kanonen losballern, auch fragte er Jan, ob er seine Braut grüßen solle, dann war das Kriegsschiff vorüber, und er mußte machen, daß er den Steven seines Kahnes gegen die anlaufende große Dünung drehte.

Bald danach kam Hein Rolf mit seinem Kutter vorbei, und als der Junge in gewohnter Weise fragte, da bekam er die Antwort: »Jo, dien Vadder hett mit uns tohop fischt! He hett ok de Reis, he is ober no Bremerhoben gohn! Segg dien Mudder man Bescheed!«

»Is dat eulich wohr, Hein?«

»Jo, meenst, wat ik di wat vörleeg?«

Da schipperte Störtebeker traurig nach dem Deich zurück. Nach der Weser war sein Vater! Das konnte ja schön werden, denn das letzte Jahr war er auch immer dahin gefahren, so daß die Mutter manchmal geklagt hatte: Wenn du irst eenmol up de Wesser ween büst, denn fohrst dor woll gliek söben Mol no de Ratt hin! Nun konnte es wieder so kommen, daß er immer dahin segelte.

»Mudder, weest neem Vadder is?« fragte er, als sie beim Kaffee saßen. »In Bremerhoben! Ik hebb mit Hein Rolf snackt, de hett bi em fischt!«

»Gott Loff un Dank, dat Vadder de Reis hett und an Land ist«, sagte die Mutter erfreut.

»He harr ober man no Hus kommen müßt«, sagte er darauf. »Wat deit he no de Wesser hin?«

»Dat mütt Vadder sülben weten«, erklärte sie aber. »Dor is he dichter bi de See un hett dor ok woll noch en beter Markt as oben an Altno.«

 

Und richtig erzählte die Stutenfrau, die lebendige Zeitung des Deiches, am anderen Morgen, daß so viele Schollen oben an der Brücke wären, daß kein einziger Ewer leer geworden sei. Sie müßten alle überliegen und hätten morgen wohl nur noch tote Fische im Bünn, die sie den Hökerweibern nachwerfen könnten, ohne daß diese sich auch nur umguckten. Da sah Gesa ihren Jungen an: Doch man god, wat Vadder no de Wesser is! Aber Störtebeker steckte eine hochmütige Miene auf, die heißen sollte: Teuft man af, in Bremerhoben is dat Markt vullicht noch slechter!

Die Stutenfrau erzählte weiter, daß Metta Focken Zwillinge bekommen hätte – twee lütje Jungens, ober krekel und gesund! –, daß Hinnik Bott seinen Ewer kondemmen ließe und daß Jochen Fajhes Knecht auf See über Bord gegangen und ertrunken sei, nachts. Er hätte sich noch lange über Wasser gehalten, aber sie hätten ihn nicht wiederfinden können, weil es so dunkel gewesen wäre. »Jochen, rett mi, Jochen, rett mi!« hätte er immer gerufen, bis er weggesunken sei, die schweren Seestiefel hätten ihn schließlich hinuntergezogen. »Is man en Butenlanner, Gorch hett he heten, ober wat is dat bedreuft«, schloß die Frau.

Störtebeker lehnte am Deichpfahl, einem abgesägten Kurrbaum, der noch die Zeichen H. F. 125 trug, und hörte zu.


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