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Nun wölbt euch, große braune Segel, nun knarrt, ihr Gaffeln, schlagt, ihr Schoten, tanzt, Flögel! Wind muß wehen, Sonne muß lachen, Wasser muß blinken, auf daß die Freude in Klaus Störtebekers Herz komme und er die Fahrt lieb gewinne, auf daß er ein Fahrensmann werde! Daß er sich dem Kampf mit der See verschwöre wie der Knabe Hannibal dem Kampf mit Rom, daß er auch dann zur See gehe, wenn sein Vater etwa vorzeitig bleiben sollte und seine Mutter einen Landmann aus ihm zu machen gedächte.
Denn navigare necesse est – Seefahrt ist notwendig, und bitter not ist es, daß das Lachen von Klaus Mewes nicht von der See weicht.
Sie hatten Nordwestwind und mußten kreuzen. Hinter dem Schweinesand, dwars von Wittenbergen, füllten sie das Wasserfaß mit frischem Elbwasser, wobei Störtebeker fleißig half, denn er konnte auch schon eine Pütze tragen. Bisher hatten sie nur die drei großen Segel stehen gehabt, nun setzten sie noch den Klüver, das Toppsegel und den Nackenhut, um bessere Fahrt zu machen. Dann nahmen sie das Boot aus dem Wasser und stellten es auf die Luken unter den Giekbaum. Auch Störtebekers Kahn wurde aufgehievt und bekam seinen Platz unter den Luken an Backbord. Hein Mück verstaute den Proviant in den verschiedenen Schappen. Es gab Enden aufzuschieben, sie hatten zu pumpen, das Deck zu schrubben und zu dweilen.
Schließlich aber war alles getan bis auf die Fahrt, bis auf das Segeln, bis auf das Kreuzen. Kap Horn legte sich zu Koje, weil er die Nachtwache bekommen sollte. Da stand denn Klaus Mewes am Ruder, und Hein Mück hockte vorn auf Deck, putzte den Kessel und die Gabeln und Messer und bediente die Fock, wenn der Ewer über Stag ging. Störtebeker saß auf den Luken. Seemann hatte den struppigen Kopf auf seinen Schoß gelegt und schlief.
Er guckte nach dem Großsegel hinauf, das ihm so hoch vorkam, daß er sich immer wieder wundern mußte. »Dat reckt bit inne Wulken, Vadder«, sagte er, »uns Karkturm is nix dorgegen.«
»Ree«, rief sein Vater, wenn sie die Grenze des Fahrwassers erreicht hatten, und warf das Ruder herum, daß der Ewer gewaltig anluvte und in den Wind schoß. Dann sprang Hein Mück auf und hielt die heftig schlagende, wildwerdende Fock am Want fest, Klaus Mewes aber drängte den Besangiekbaum kräftig nach Luv. Das Großsegel schüttelte sich unwillig und haute erregt mit den Schotblöcken, daß das Deck erzitterte, dann aber war der Ewer herum, die Segel fielen von der anderen Seite voll, und der neue Streek begann. »Gohn!« scholl es über Deck, Hein Mück löste das Tau und gab dem Block einen Fußtritt, daß die Fock nach Lee schlug, wo sie wieder festgebunden wurde.
So ging es die ganze Tide.
Hinter und vor ihnen waren viele Finkenwärder und Blankeneser unter Segel, aber der Laertes, der gut kreuzte, blieb doch vorn und ließ sich nicht überholen. So kreuzten sie gegen den allmählich stärker werdenden Nordwest, und Klaus Mewes zeigte seinem Jungen die Schiffe und Baken, die Tonnen und Feuertürme, die Deiche und Kirchtürme, er erklärte ihm Flaggen und Segel, er zeigte ihm die Windmühlen des Alten Landes, die Berghäuser von Blankenese (»dat de dor no dolpurzelt!« sagte der Junge, als er sie in der Nähe sah), den Hahnöfersand mit den Krähennestern, den Lühdeich mit den vielen Kirschbäumen, die roten Dächer von Wedel, das Schulauer Feuerschiff, das Wrack beim Hungrigen Wolf, von dem nur die Masten und ein Stück vom Steven aus dem Wasser ragten, Juels mit der weißen Bake, Brunshausen mit einem löschenden Neuyorker Dampfer und die Türme von Stade.
Störtebeker nahm alles auf und fragte nach allem, aber das Beste schien ihm doch der große Ewer in Fahrt. Wie er dahinsauste, wie er in die Seen schoß und wie dabei das Toppsegel unbeweglich in den Wolken stand, darüber mußte er sich immer wieder wundern. Auch seinen Vater sah er mitunter von der Seite an: Obgleich der noch lachte und sprach, schien es ihm doch ein anderes Lachen und Sprechen zu sein als am Deich und in der Dönß. Und auch die Augen sahen ganz anders aus.
Finkenwärder war außer Sicht gekommen und scheinbar auch schon aus dem Sinn, denn als Hein Mück einmal spöttisch fragte: »Hest ok all Heimweh?«, da guckte Störtebeker ihn verwundert an, als hätte er ihn gar nicht verstanden. Auch als sein Vater einmal meinte: »Muchst ok all wedder no Hus hin, no Mudder?«, da schüttelte er nur den Kopf wie im Traum und blickte nach den Segeln hinauf.
»Jä, ans müßt seggen, denn geeft wi di an en Jill af, den büst morgen wedder annen Diek!« setzte Klaus Mewes lauernd hinzu. Da fragte der Junge nach dem Feuerturm im Süden, um damit anzudeuten, daß er von solchem Schnack nichts wissen wollte.
Bis vor den Pagensand kamen sie mit dem Ebbstrom. Dort aber wogte und schäumte ihnen die Flut unwiderstehlich entgegen und zwang sie, zu Anker zu gehen. Das war in der Dämmerung. Sie ließen die Segel fallen, steckten das Staglicht an und aßen Abendbrot in der Kajüte. Als sie nachher noch mal nach draußen sahen, Störtebeker und sein Vater, merkten sie, daß sich viele Ewer zu ihnen gesellt hatten: Eine Schar wartender Fahrzeuge lag bei ihnen hinter den niedrigen Büschen des ungedeichten Eilandes, und die Lichter liefen auf dem Wasser spielend durcheinander. Der Himmel war von übereinandergetürmten Wolken umlagert wie von Alpen, und der kalte Nachtwind strich taubringend um die Wanten.
Dann kletterten die beiden Mewes in eine Koje und ließen sich von den glucksenden und klopfenden Seen so lange etwas erzählen, bis sie es nicht mehr hören konnten.
»Büst ok all bang, Störtebeker?« fragte Klaus Mewes, schon halb im Traum, aber der Junge antwortete nicht mehr: Er schlief schon.
Bald wachte nur noch die niedrig gedrehte Lampe in der Kajüte.
Mitternacht war vorüber, als der Wecker surrend ablief. Da rief Klaus Mewes: »Seilen!« und schwang sich aus der Koje, um die Seestiefel anzuziehen. Knecht und Junge entstiegen den seitlichen Kojen und suchten mit kleinen Augen nach ihren Sachen. Störtebeker sollte liegen bleiben wie Seemann, der sich auf der Bank nur umgedreht hatte, aber er stand doch mit auf und half beim Anstecken der Seitenlaternen, er zog die Fock mit hoch und drückte beim Hieven des Draggens mit auf die Spaken, denn es war kalt und ihn fror wie einen Schneiderlehrling. Das Großsegel stieg auf, die Besan folgte, dann der Klüver. Auch auf den anderen Fahrzeugen regte es sich, überall glommen die bunten Lichter, erscholl der Lärm der Winschen; das Rufen der Fahrensleute wehte mit dem Wind herüber, die Gaffeln knarrten, und die Schoten hauten.
Der Wind war südlich geworden, so daß sie fast ablaufen konnten und nicht mehr zu kreuzen brauchten. Die Segel fielen voll, und der Ewer, ein großer, schwarzer Walfisch in der Nacht, schwamm ins Fahrwasser zurück.
Kap Horn ging ans Ruder und übernahm die Wache. Er hatte sich ein dickes wollenes Tuch um den Hals gebunden und sah aus, als wenn er es im Halse hätte. Störtebeker guckte eine Zeitlang auf den hellbeleuchteten Kompaß und fragte, ob er auch in der Nacht richtig hielte, er ermahnte den alten Knecht, keine Havarei zu machen, und ging mit seinem Vater wieder zu Koje. Er zog aber die Decke bis an die Nase und schmiegte sich dicht an ihn, denn er zitterte vor Kälte.
Als er am Morgen mit seiner Kaffeemuck und seinem Roggenbrot aus der Kapp kam, um seinen Vater auszuschelten, daß er aufgestanden war, ohne ihn zu rufen, und um zu sehen, wie weit sie schon gekommen wären, da schäumte der Ewer mächtig durch bewegtes graugrünes, schmutziges Wasser und lief, was er konnte. »Vadder, neem sünd wi all?«
»To Freeborg, Störtebeker«, rief Klaus Mewes und zeigte ihm den Turm von Freiburg an der Elbe.
»Neem is de See denn?«
»Dor achter! Wi kommt dor rundog noch hin! Sultwoter hebbt wi all fot!«
»Ne, dat gläuf ik ne«, rief Störtebeker, aber Hein Mück sprang wie ein Luchs auf, schalt ihn einen Dummbart, holte eine Pütze voll Wasser herauf und hieß ihn kosten. Störtebeker steckte den Finger hinein: Das Wasser war wirklich salzig und bitter. Er schmeckte noch einmal, aber der Geschmack änderte sich nicht. Wie das angehen könne, rief er kopfschüttelnd, das könne er nicht begreifen! Daß Fische darin leben könnten, wollte ihm noch weniger in den Kopf. Nun wurde die Fahrt noch geheimnisvoller für ihn.
Der Wind wurde nach und nach so stark, daß Klüver und Toppsegel weggenommen werden mußten. Der Ewer lag sehr schief, die Segel standen voll Wind, und die groben Seen spritzten schon einmal über Deck, wenn der Ewer stauchte. Am Himmel standen »Ziegenhaare«, zerzauste Wolkenbüschel, die auf stürmisches Wetter deuteten.
Solche Fahrt war Klür für den Ewer und erst recht für Klaus Mewes, der vergnügt steuerte und sang. Ein Vers aus der Dänenzeit war es, den er beim Wickel hatte, vererbt vom Großvater her:
»Kridderwidderwitt, den dänschen Keunig, kridderwidderwitt, den deen ik ne! Den sien Lohn is mi to wenig, Pillkantüffeln mag ik ne!« |
Störtebeker, der das Lied kannte, stimmte mit ein und vertrieb die Bangigkeit, die ihn ankommen wollte. Sein Vater war ja bei ihm: Was sollte ihm da die See tun können?
Scheelenkuhlen und die Bösch passierten sie schon gegen Mittag, so rasch zog Laertes davon. Bei Brunsbüttel gab Hein Mück das Essen aus und übernahm das Ruder, während die anderen sich die Klütjen und Plummen schmecken ließen. Als sie wieder an Deck kamen, waren sie so weit, daß Klaus Mewes seinem Jungen die See zeigen konnte, denn im Norden trat das Ufer zurück, dort blinkte die See, nach der er sich am Deich gesehnt hatte, der kleine Störtebeker, als wenn sein Leben davon abhinge.
Nun stand er bei seinem Vater hinter dem Kompaß und sagte, ja, er könne sie sehen, aber weiter sagte er nichts, denn eigentlich war es eine große Enttäuschung für ihn, dieses erste Schauen; er hatte auf der Zunge zu sagen: »Dat is ok jo wieder nix as Woter!« Aber er verbiß es, denn er dachte: Erst ganz hin sein!
»Vadder, neem fischt wi nu?«
»Och, mien Jung, dat ist noch wiet weg! Ganz buten, kannst nu noch gorne sehn!«
Das war Störtebeker recht, denn es mußte auch noch anders kommen, wenn es mehr sein sollte als die Elbe.
Es gab noch die Schanze zu sehen mit den schwarzen Kanonenschlünden, die die Elbe bewachten, das Ostefeuerschiff , das an seinen Ketten riß, die Türme von Altenbruch; dann kam Cuxhaven in Sicht, der dicke Leuchtturm, die Kugelbake. Da sah Störtebeker zum erstenmal ein großes Schiff, eine Bark, unter Rahsegeln. Sein Vater wies ihm den alten und den neuen Hafen, die großen Seeschlepper, die mächtigen Anker, die am Deich standen, das Schloß Ritzebüttel, das klug und geborgen aus den Bäumen lugte, er zeigte ihm einen Seehund, der hinter dem Ewer auftauchte, und drei Masten, die im Norden kahl und verlassen aus der See ragten.
Störtebeker wurde doch stiller, als er das Land kleiner und die See größer werden sah, als er wahrnahm, daß der Ewer ungestümer auf und ab tauchte und sich schräger legte als vorher, aber er hielt tapfer aus und ließ sich nichts anmerken.
Es gab kein Halten mehr für den großen Ewer: Mit dem flagigen, starken Südwestwind in den Segeln brauste er mächtig einher und schnitt eine breite, schaumige Furche wie ein rechter Pflüger. Noch trug er die Segel ohne Reff, aber die Luft schmierte zu, dunkle Wolken beschatteten die See, und auf den Watten räucherte die Brandung. Mit breiten, langen Kämmen kam die Flut ihnen entgegen, aber diesmal wurde der Ewer Baas über sie, denn er hatte Wind und ließ sich von ihr nicht mehr aufhalten. Sie segelten an der Kugelbake vorbei, der großen Frau der Elbmündung, die immerfort nach ihrem Mann sucht, der doch längst geblieben ist, und nahmen Kurs nach dem vierten Feuerschiff, Nord zu West.
Bald verlangte den Südwest nach Südwestern; er brachte Regen und jagte die Seefischer ins Ölzeug. Auch Störtebeker mußte hinein. Als sein Vater ihm den Rock zuknöpfte, sah er ihn forschend an und bemerkte, daß das Gesicht schon etwas blasser geworden war; er tat aber, als hätte er nichts gesehen. Dem Knecht und dem Jungen hatte er untersagt, mit der Seekrankheit zu drohen und Störtebeker bange zu machen. So gedachte er, ihn am besten davor zu bewahren.
Heiter wies er ihm den dicken Turm von Neuwerk und erzählte, daß Störtebeker von dort einen Gang unterm Wasser bis nach Cuxhaven gehabt hätte.
Hinter Scharhörn sichteten sie die ersten fischenden Ewer. Da vergaß der Junge das fremde Gefühl und wurde lebhafter, er holte sich den Kieker aus dem Nachthaus und betrachtete Ewer für Ewer; er las die Nummern und ließ sich die Schiffer dazu sagen.
»94, Vadder?«
»Jakob Fock, dat weest du doch!« – »138?« – »Jakob Mees.« – »3?« – »Friedrichson van de Au, de Störnfischer.« – »107?« – »Ornd Fock!« Er lernte erkennen, wann einer einzog: Dann fiel die Fock nieder, und die Möwen flogen um die Masten. Wann er kurrte, wann er segelte, wann er aussetzte. Von da an kümmerte er sich nicht mehr viel um Galioten und Feuerschiffe, Lotsenschoner und Frachtdampfer, sondern nahm sich der Fischerei an. Er drängte, daß sie doch auch schon aussetzen sollten, und war gar nicht erbaut, als er hörte, daß sie noch einen ganzen Tag zu segeln hätten.
Wenn ein Ewer nahe kam, rief sein Vater den Schiffer an und fragte nach dem Fang. Der Schiffer aber fragte nach dem Markt. Das war immer ein nachbarliches Gespräch wie am Deich und schloß mit einem Gedankenaustausch über das Wetter.
Die See wurde rauher, und der Ewer tauchte tiefer. Bei der Lotsengaliot nahm eine hohe See den Ewer auf den Rücken und warf ihn dwars weg, daß Störtebeker das Gleichgewicht verlor und gegen das Boot flog. Er stand ruhig wieder auf und hielt sich am Dollbaum fest, aber die Düsigkeit im Kopf nahm immer mehr zu, und den schlechten Geschmack im Mund wurde er nicht wieder los. Er fühlte, daß seine Stunde kam, daß er seekrank wurde und brechen mußte. Er wollte es nicht, er wollte es nicht! Nur das nicht!
Wie sie wohl lauerten, Kap Horn und Hein Mück, daß sie ihn auslachen konnten! Nein, er wollte es nicht! Fest biß er die Zähne zusammen und hielt sich den Mund zu. Er beneidete Seemann, der ruhig und behaglich auf den Handschuhen im Nachthaus lag und sorglos seine Pfoten leckte, während er selbst es kaum noch aushalten konnte.
Wie eine Möwe schluckt und würgt, wenn sie einen großen Hering in der Kehle stecken hat, so schluckte und würgte Störtebeker auf dem heftig arbeitenden Fahrzeug und wehrte sich tapfer gegen die Seekrankheit.
Kap Horn sagte beiläufig zu Hein Mück, wer hier schon seekrank würde, sei ein Schietinnebüx, denn sie seien ja noch in der Elbe, die See finge erst beim ersten Feuerschiff an. Störtebeker hörte es und wehrte sich noch mehr, denn er wollte doch nicht auf der Elbe schon seekrank werden. Sie lachten ihn aus, das war gewiß. Wenn er doch mit seinem Vater allein auf Deck wäre!
Da hatte also all das Dümpeln in seinem Kahn nichts geholfen. Junge, Junge, was für ein Zustand! Er wollte aber vor dem äußersten Feuerschiff, vor der richtigen See nicht nachgeben!
Als sie daran vorbeigeschäumt waren, konnte Klaus Mewes seinen Jungen mit einem Mal nicht mehr sehen und dachte schon, er wäre über Bord gefallen. Aber da nahm Kap Horn das Ruder und wies zum Boot. Der Seefischer ging nach vorn – da lag Störtebeker im Boot zusammengekrümmt unter den Duchten und erbrach heftig. Hein Mück steckte ein Grienen auf und wollte etwas sagen, aber Klaus Mewes sah ihn an, daß er ihn schnell wieder sacken ließ. Seinen Jungen ließ er gewähren. Schließlich, als das Spucken nachließ, legte er ihm die Hand auf die Schulter. Der Junge fuhr zusammen und sah auf, kreidebleich im Gesicht. Dann lächelte er unter Tränen und sagte: »Nu lach mi man fix wat ut, Vadder, wat ik seekrank bün!« Urch – da ging es wieder los: Klaus Mewes, Dollbaum, Luken und der neugierig herbeigekommene Seemann bekamen etwas ab. Da lachte Klaus Mewes doch, und Kap Horn lachte am Ruder und sagte, das wäre gerade so wie bei einem Albatros, der auf Deck sei, und Hein Mück lachte, weil sie ihn die ersten Reisen auch ausgelacht hatten. Störtebeker lachte mit, wenn auch verzerrten Gesichts, dann aber mußte er kapitulieren. »Gliek ist all rut«, tröstete er, »denn wardt beter!« Aber das stimmte nicht, denn es wurde immer ärger, je leerer der Magen wurde, zuletzt spuckte er Galle aus und lag dann regungslos unter der Ducht.
»Bang bün ik ober ne, Vadder«, sagte er matt, »bloß seekrank!«
»Schall ik di wedder an Land setten?«
Störtebeker schüttelte den Kopf. Auch unter Deck wollte er nicht, denn er sagte, es ginge bald vorüber. Da deckte sein Vater ihn mit einem alten Segel zu und ließ ihn im Boot liegen, weil die Seeluft besser war als die Luft in der Koje.
Als Klaus Mewes wieder am Ruder stand, dachte er an seine erste Reise und an seine Seekrankheit. Auch er war nicht frei davon geblieben. Noch jetzt wurde er etwas seekrank, wenn er nach dem winterlichen Aufliegen wieder nach See kam – wie viele alte Fahrensleute.
Der Wind krempte nach Westen um und nahm an Stärke zu. Es wurde stur.
Einzelne Ewer und Kutter fischten noch mit einem Reff im Segel, die meisten aber hatten das Kurren aufgegeben und trieben. Die See hatte Mützen aufgesetzt. Klaus Mewes, der seine alte Stelle zwischen Norderney und Juist suchte, gab das Kreuzen auf, weil er die Segel nicht zerreißen wollte. Er hielt auf Helgoland zu, dessen Feuer hell im Norden blinkte.
Bidewind! Der Ewer schoß dahin und kletterte, stampfte und rollte, während die düstere Nacht hereinbrach. Viele Segel und Lichter waren bei ihnen, und der dunkle Felsen stieg immer höher aus der See.
Als sie um Mitternacht zwischen dem kleinen Land und dem großen Land, also zwischen der Düne und Helgoland zu Anker gingen, war der Wind nordwestlich geworden und zum Sturm angewachsen, so daß sie froh sein konnten, eine Reede zu haben. Sie setzten noch den zweiten Anker aus, dann nahm Klaus Mewes den kleinen Seekranken auf den Arm und trug ihn nach unten – und weil er nichts essen wollte, packte er ihn gleich in die Koje.
Hein Mück wagte, nochmals zu lachen; dafür bekam er eine nasse Hand in den Nacken. »Wi sünd ok mol seekrank worden«, sagte Klaus Mewes, »dorüm kann he doch en fixen Fischermann warrn! Lot em man tofreeden.«
Die ganze Nacht aber riß der Ewer gewaltig an seinen Ketten und klüste wie nichts Gutes hinter Helgoland.
In der Morgendämmerung legte der Wind sich etwas, aber die Luft sah noch nicht nach Aufklaren aus. Draußen stand eine hohe See, so daß an Fischen nicht zu denken war. Sie blieben deshalb noch liegen.
Als Störtebeker aufwachte und aus der Koje lugte, war die ganze Besatzung schon auf den Beinen: Hein Mück saß auf der Treppe und schälte Kartoffeln, Kap Horn war mit Segelhandschuh und Nadel am Toppsegel auf der Diele zugange, dem er einen Flicken aufsetzte, Klaus Mewes knüttete an einem Kurrensteert. Auf dem aufgeklappten Tisch stand noch der Morgenkaffee.
»Vadder, neem sünd wi?«
»Wi liegt achter Hilchland, Störtebeker; dat weiht so dull, dat wi ne fischen könnt.«
»To Anker, Vadder?«
»Jo, Störtebeker!«
Der Junge dachte einen Augenblick nach, warum ihm der Kopf so sauste und warum die ganze Kajüte sich um ihn drehte; da fiel ihm seine Seekrankheit ein, und er legte sich rasch wieder hin, damit sie nicht wiederkommen sollte.
»Blief man giern liggen«, sagte sein Vater mit verstelltem Ernst, während er ruhig knüttete. »Wenn dat noher stiller is, sett ik di an Land, denn fohrst du mitten Damper no Hus, hürst? Up See is dat noch nix för di, wenn du so licht seekrank warrst bi slecht Wedder. Eten magst du ok nix, dat kann jo ne god gohn.«
Dann ging er an Deck, um nach dem Wetter zu sehen, und sagte zu Seemann, der ihm nachgelaufen war und auch die Nase in den Wind steckte: »Nu weut wi mol sehn, wat de Mederzin ne hilpen deit!« Als er die Reihe der Fahrzeuge überblickt hatte, die in der Nähe lag, und mit Jannis Six gesprochen hatte, der am dichtesten bei ihm ankerte, ging er wieder unter Deck, nahm Scheger und Nadel auf und knüttete weiter, als wenn nichts geschehen wäre. Aber es war doch etwas geschehen, das ihm das Seefahrerherz mit Stolz und Freude erfüllte.
Denn Klaus Störtebeker war aufgestanden und hatte sich angezogen. Noch mehr: Er saß am Tisch und trank schwarzen Kaffee aus der Muck. Und er aß Schwarzbrot dazu, obgleich ihm schon zuwider war, es nur zu riechen. Er versuchte sogar zu lachen; und wenn es noch nicht gleich gelang, so war sein Wille doch nicht daran schuld. Tapfer aß und trank er, obgleich der Fußboden und die Kojen wieder zu kreisen und zu tanzen begannen.
»Smeckt all wedder, Störtebeker?« fragte Klaus Mewes nach einer Weile.
»Dat mütt, Vadder! Ik bün nu mit de Seekrankheit dör!«
»Dat segg man nich to hart«, rief der Knecht von der Diele.
»Doch, Kap Horn, schallst sehn: Ik warr ne mihr seekrank! Un no Hus will ike ne, Vadder. Ik will bi di blieben un mit fischen!«
»Non«, sagte sein Vater, »denn ist god!« Und ging mit ihm an Deck, damit der Junge in der frischen Seeluft ganz genese, denn die Teer- und Segelgerüche der Kajüte waren nicht gut für seinen Zustand.
Er zeigte ihm Helgoland und die Düne, das Unterland und das Oberland, die große Treppe, den Leuchtturm und die Kirche, die großen, rotgrauen Felsen, die starken Boote der Helgoländer und das Haus des Gouverneurs, auf dem die rote englische Flagge wehte. Störtebeker vergaß sein Leiden und behielt das Gegessene bei sich. Er tat schon wieder Schiffsarbeit mit, wenn er sich auch noch matt fühlte. Sein Vater ließ ihn pumpen und das Boot schrubben, damit er immer in Fahrt blieb und sich nicht wieder hinlegte, denn nun mußte die Seekrankheit endgültig verjagt werden.
Mittags ging Störtebeker mit zu Tisch und aß tapfer, wenn auch nicht so viel wie sonst. Seine Backen hatten schon einige Farbe zurückbekommen, und seine Augen glänzten wieder. Der Kummer war vergessen.
Klaus Mewes warf den Kahn über Bord und sagte, er wolle an Land. Wer mitginge? Störtebeker war dabei. Hein Mück, der auch mit sollte, lehnte ab. Er wolle ein bißchen verschlafen
»Up Hilchland ist fein, Hein Mück.«
»Scheun ist bloß in Fenkwarder up Musik«, sagte Hein Mück jedoch und zog die Stiefel aus, um einen Stremel zu verträumen. Kap Horn, der gern mitgegangen wäre, mußte zur Sicherung des Fahrzeugs zurückbleiben.
Der kleine grüne Kahn wurde heftig hin und her geworfen, denn es stand noch eine ziemliche See, wenn auch der Wind nachgelassen hatte und raumer geworden war. Aber Klaus Mewes wriggte zu geschickt, als daß sie Wasser über bekamen. Störtebeker guckte die Wogenköpfe scharf an, aber er fürchtete sich nicht und ließ auch die Seekrankheit nicht an sich heran.