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Es kann einigermaßen fraglich erscheinen, ob man den Luchs in einem Verzeichnis deutscher Tiere überhaupt noch mit aufführen darf. Standwild ist diese menschenscheue und listige Großkatze bei uns ja schon seit Menschengedenken nicht mehr, aber immerhin wechselt doch noch ab und zu ein Stück über die Grenzen und wird dann auf deutschem Boden erlegt, namentlich in Ostpreußen, so daß wir den Luchs auch für Deutschland noch nicht gänzlich und endgültig aus dem Buche der Lebenden zu streichen brauchen. Vor dem Dreißigjährigen Kriege war das prachtvolle Tier in unserem Vaterlande durchaus keine seltene Erscheinung, wie schon daraus hervorgeht, daß allein im Albertinischen Sachsen von 1611 bis 1665 305 Luchse erlegt werden konnten. In der Götterlehre der alten Germanen spielte der Luchs eine beträchtliche Rolle, und wahrscheinlich ist er es und nicht die Katze, der als Tier der Freia aufgefaßt werden muß und ihren Wagen zieht. Bei den großartigen Zirkusspielen der Römer wurden allerdings Luchse ungleich seltener vorgeführt als Löwen oder Leoparden, aber dies ist wohl dadurch zu erklären, daß der Luchs nicht leicht zu fangen ist und sich in der Gefangenschaft schlecht hält. Die Verdrängung des Tieres aus Mitteleuropa muß hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgt sein und ist in der Hauptsache wohl auf die gleichzeitige große Vervollkommnung der Schußwaffen zurückzuführen. Das Vernichtungswerk ging deshalb mit überraschender Schnelligkeit vor sich, und schon etwa 1710 war das Verbreitungsgebiet des Luchses derart durchlöchert, daß überall nur noch von vereinzeltem Vorkommen die Rede sein kann. In den flachen Teilen Mitteldeutschlands fehlt der Luchs bereits von 1820 an völlig. Am 17. März 1818 wurde noch einer bei Seesen erlegt, der jetzt ausgestopft im Braunschweiger Museum steht. Spätere Nachrichten sind irrtümlich, so über ein angebliches Vorkommen im März 1898 in Anhalt, wo es sich in Wirklichkeit um verwilderte Hunde handelte. In Pommern wurde der Luchs schon 1738 ausgerottet, und im allgemeinen war er wohl schon beim Tode Friedrichs des Großen nicht mehr Standwild in den preußischen Staaten, während für diese in den Jahren 1723 bis 1737 immerhin noch 229 erlegte Luchse verzeichnet wurden. König Friedrich Wilhelm I. legte großen Wert auf die pünktliche Einlieferung aller Luchs- und Biberfelle. »Die Lux Heutte will vor mir haben,« verordnete er. Nur einmal (1720) wollte ein Hauptmann von Driessen einen von ihm geschossenen Luchs durchaus nicht herausrücken und erhielt ihn schließlich auch wirklich zum Geschenk, denn für seine »blauen Kinder« hatte der »Soldatenkönig« ja immer etwas übrig. Bei Potsdam war der Luchs 1680 noch häufig, 1696 gab es noch welche bei Ruppin, 1702 bei Luckenwalde, 1734 bei Liebenwalde, und zwischen 1750 und 1760 wurden noch einige bei Gardelegen zur Strecke gebracht. Sehr auffällig ist es, daß sogar 1875 ein Luchs auf der Insel Wollin erschossen wurde, der aber vielleicht einer Menagerie entsprungen war. In Westfalen fiel der letzte Luchs 1745.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Sachsen, wo in den Schußlisten des prunkliebenden Kurfürsten Johann Georg II. (1656 bis 1680) auch noch 191 Luchse aufgeführt werden. Damals hatte ja das Raubzeug noch gute Tage, denn der gewaltige Wildstand deckte ihm reichlich den Tisch, und auch Haustiere waren leicht zu ergattern, da sich das Vieh den größten Teil des Jahres über auf freier Weide erging und die Stallfütterung noch wenig üblich war. Zwar reizte gerade der Luchs die Jagdlust des Menschen von jeher in besonderem Maße, teils seiner großen Schädlichkeit, teils seines hochgeschätzten Pelzes halber, aber seine Schlauheit und Gewandtheit sowie die Unvollkommenheit der damaligen Jagdwaffen brachten es doch mit sich, daß er sich der Vernichtung lange zu entziehen vermochte und noch um 1700 herum in allen Teilen des Landes regelmäßig anzutreffen war. Erst als im 18. Jahrhundert die steigende Volksvermehrung eine stärkere Ausnutzung von Grund und Boden bedingte, als Axt und Säge auch in die tiefsten Wälder und in die verstecktesten Schluchten eindrangen und zugleich die verbesserten Feuerwaffen zur vollen Auswirkung gelangten, schlug auch dem Luchs gleich Wolf und Bär die Todesstunde. Zwar wird der Luchs noch 1717 unter den jagdbaren Tieren Sachsens angeführt, aber er muß damals doch schon recht selten gewesen sein, da man es nach Robert Berger der Mühe für wert hielt, einen bei Zittau geschossenen Luchs abmalen zu lassen und das Bild der dortigen Ratsbücherei einzuverleiben. Im Elbsandsteingebirge erlegte Förster Puttrich unweit der böhmischen Grenze 1743 einen Luchs, und man verewigte dieses Ereignis dadurch, daß an der betreffenden Stelle ein Luchsbild nebst erklärender Unterschrift in die Felswand eingehauen wurde. Einzelne Überläufer mögen auch noch später die sächsische Grenze überschritten haben, da der Luchs im benachbarten Böhmen sowie im Thüringer Wald und im Harz erst im 19. Jahrhundert ausgerottet wurde. Im Fichtelgebirge wird der letzte Luchs dagegen schon 1774 verzeichnet, im Frankenwald 1730. Im Thüringer Wald und im Harz erfolgte die Ausrottung dieser dem Wildstand so gefährlichen Katzenart fast gleichzeitig. Für den Harz werden 1814, 1816, 1817 und 1818 als letzte Erlegungsdaten angegeben, für den Thüringer Wald 1819 und 1820; dann folgt aber nach langer Pause noch ein Nachzügler, der 1842 im Gothaischen zur Strecke gelangte. Der letzte Harzluchs, den man schon seit 1814 gespürt, aber irrtümlicherweise für einen Wolf gehalten hatte, befindet sich heute ausgestopft in der gräflich Stolbergschen Bücherei in Wernigerode. Allerdings soll nach Forstmeister von Seelen noch 1911 und nach anderen Quellen sogar noch 1917 ein Luchs im Harz geschossen bezüglich gesehen worden sein, indessen vermochte ich diese sehr unwahrscheinlich klingenden Angaben nicht näher nachzuprüfen.
In der Oberpfalz wurde noch 1814 ein Luchs von 65 Pfund geschossen, während im Elsaß der letzte schon im Dezember 1640 erlegt worden sein soll. In Baden kam der letzte Luchs 1834 bei Wertheim auf der Halde eines alten Steinbruchs durch einen Förster zur Strecke. Noch länger hielt sich der Luchs in Württemberg, denn nach einem ausführlichen Bericht des Herrn Dr. Metzger traf der Förster Martz am 15. Februar 1846 von der Ruine Reußenstein bei Wiesensteig unweit Geislingen aus mit sicherer Kugel ein schwaches Männchen. Das Raubtier hatte schon seit längerer Zeit den Schafherden und dem Rehbestand der dortigen Gegend übel mitgespielt, war aber auf allen Treibjagden immer glücklich durchgekommen. Ein die Erlegung darstellendes Ölbild befindet sich noch im Besitz der Familie Metzger in Stuttgart, und eine Kopie davon wurde neuerdings auch im Rathause zu Wiesensteig aufgehängt. Der tote Luchs wurde auf einem Wagen nach Stuttgart gefahren und unterwegs überall von der Schuljugend bestaunt; er steht jetzt ausgestopft in der Stuttgarter Naturaliensammlung als der Letzte seines Geschlechts. Allerdings meldeten im Dezember 1922 die Stuttgarter Tageszeitungen, daß auf einer Treibjagd im Schwarzwald (Oberamt Villingen) wieder ein Luchs von 1,3 m Länge geschossen worden sei. Meine sofortige briefliche Anfrage beim Jagdpächter blieb aber bezeichnenderweise unbeantwortet; auch über den Verbleib des wertvollen Stückes habe ich niemals das Geringste gehört, und so wird dieser allerletzte Schwarzwald-Luchs wohl eine Ente gewesen sein. Was Bayern anbelangt, so konnten nach Brehm zwei Jäger, Vater und Sohn, in den Jahren 1790 bis 1838 immerhin noch 30 Stück der gehaßten Raubtiere im Eisen fangen. Dann aber ging es schnell bergab mit dem Luchsbestand. 1832 wurden im Revier Immenstadt noch drei Luchse geschossen, aber schon anderthalb Jahre später der letzte dort gefangen. Ähnlich war es im Revier Marquartstein, wo 1830 noch vier Luchse zur Strecke kamen, darunter ein sehr altes Männchen von 67 Pfund, das keinen ganzen Zahn mehr besaß. Bei Berchtesgaden war der Luchs im Beginn des 19. Jahrhunderts noch Standwild, und 1826 werden sieben erlegte Stücke gemeldet, seitdem aber keiner mehr. Etwas länger hielt sich der Luchs im Retterschwanger Tal, wo 1838 der letzte gestreckt wurde. Langkovel erzählt, daß über der niedrigen Tür des Forsthauses im Hindelanger Tal zwölf Luchsköpfe hingen als Jagdtrophäen der dort seit langem ansässigen Försterfamilie. Einer dieser Luchse war 1830 auf der Zipfelalp geschossen worden, zwei andere 1850 und der letzte am 25. Mai 1872 bei Partenkirchen. Auch im bayrischen Allgäu sollen noch 1850 Luchse gespürt worden sein, kamen aber nicht zum Schuß. Als der letzte bayrische Luchs darf wohl der 1888 bei Rot am See erlegte gelten, der wahrscheinlich aus dem Österreichischen eingewechselt war. Im Bregenzer Wald ging es mit dem Luchs 1855 zu Ende, in Tirol 1872, wo am 3. Mai ein Stück bei Standers angeschossen, aber erst eine Woche später verludert aufgefunden und für die Gymnasialsammlung in Thur ausgestopft wurde; trotz seiner tödlichen Verwundung hatte dieser Luchs noch einen Hasen gerissen. Im gleichen Jahre wurde auf dem Friedhof in Schlanders ein angeblicher Wolf erschlagen, dessen zur Einlösung des Schutzgeldes eingeschickte Vorderpfoten sich aber als solche vom Luchs erwiesen. Früher war gerade in Tirol und Vorarlberg der Luchs das verhältnismäßig häufigste Raubtier, und die Bauern im Bregenzerwald erzählen sich noch heute mit Schaudern davon, daß durch ihn einmal eine ganze Schafherde von 600 Stück in einen Abgrund gejagt wurde, wodurch der Besitzer völlig verarmte. Im Stubachtal, wo heute der Naturschutzpark sich befindet, taten die Luchse noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts großen Schaden am Wild. In Steiermark war der Luchs von jeher häufiger als Bär oder Wolf, und die Nachrichten über ihn reichen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. In Sulzbach wurden in einem Jahre 90 Schafe von ihm zerrissen, in Weißwasser an einem Tage 9. Bei Völkermarkt und bei Windischgrätz wurden 1887 noch Luchse gespürt und 1892 sogar einer geschossen. In Krain tritt der Luchs heute noch regelmäßig, wenn auch selten, auf, und in Kärnten wenigstens ab und zu, soweit dort noch schwer zugängliche, aber wildreiche Waldungen mit ausgedehnten Dichtungen vorhanden sind. In der Schweiz waren noch um 1838 herum Luchse keine besondere Seltenheit, so daß allein in Graubünden jährlich 7-8 zur Ablieferung gelangten, aber schon 1850 beschränkte sich die Gesamtstrecke der ganzen Schweiz auf die gleiche Zahl. Möglich, daß auch heute noch dieser oder jener Luchs versteckt in den Einöden des Berner Oberlandes oder im Gebiete der alten Rätier lebt, aber erlegt worden ist seit 1878 keiner mehr. Zwar werden diesbezügliche Fälle noch 1887 aus Wallis und Graubünden gemeldet, aber sie erscheinen nicht genügend beglaubigt und sonderbarerweise ist das hohe Schußgeld von 100 Franken nicht für sie in Anspruch genommen worden. Glaubwürdigere Nachrichten liegen aus Oberösterreich vor, wo im November 1902 eine vierköpfige Luchsfamilie sich in den schluchtenreichem düstern und wenig betretenen Waldungen an der Ybbs zeigte und in erschreckender Weise unter dem Wildstand wütete. Die Jägerei fand über 30 zerrissene Rehe, denen ausnahmslos in der für den Luchs so bezeichnenden Weise der Kopf vom Rumpfe getrennt war. Trotz eifriger Nachstellungen konnte man der Räuber nicht habhaft werden, die nach einiger Zeit spurlos wieder verschwanden, also offenbar nur eine Gastrolle gegeben haben.
Aus Italien habe ich sichere Daten über das Vorkommen des Luchses überhaupt nicht erhalten können. In Frankreich kam er früher namentlich am nördlichen Hange des Zentralplateaus vor, wo noch 1865 ein stattliches Exemplar im Departement Puy de Dôme erlegt wurde. Merkwürdig ist das rasche Verschwinden des Luchses aus Bosnien. Daß er früher dort keine Seltenheit war, beweisen eine Reihe von Ortsnamen, aber seine Ausrottung liegt doch schon lange zurück. Wie mir Othmar Reiser freundlichst mitteilte, wechselte anfangs der 90er Jahre ein Luchs aus Montenegro in den Bezirk Gacko ein, hielt sich dort aber nur kurze Zeit auf. Andere Stücke wurden in Montenegro selbst 1890 und 1894 bei Jagden des Fürsten Nikita erlegt. In Mazedonien und Arkadien gibt's noch jetzt Luchse. Dasselbe gilt für die Karpathen, wo unserem Räuber namentlich die Vermehrung des Rehstandes zustatten gekommen ist. In den oberungarischen Revieren des Zaren Ferdinand von Bulgarien bei Lentschau und Igelo wurden 1905 innerhalb eines Vierteljahres fünf Luchse abgeschossen, da sie großen Schaden am Edelwild taten. Aus ganz Ungarn wurden 1873 bis 1887 über 100 erlegte Luchse gemeldet, doch waren es in Wirklichkeit wohl erheblich mehr, da viele Fälle den Behörden überhaupt nicht angezeigt werden. Wurden doch nach sorgfältigerer Buchführung nur in den ungarischen Kronforsten von 1884 bis 1893 333 Luchse geschossen oder gefangen. Die meisten Vorkommnisse beziehen sich auf die nördlichen und nordöstlichen Teile des alten Ungarn. In den Beskiden ist unsere räuberische Großkatze auch heute noch ein regelmäßiges Standwild, ebenso in den wildesten Teilen der siebenbürgischen Randgebirge. Hier gelangen jährlich noch 6-8 Stück zum Abschuß, der aber gänzlich dem Zufall anheimgegeben ist. Selbst in der Umgebung von Hermannstadt und Kronstadt wurden in den 90er Jahren noch prachtvolle Luchse erlegt. Während des Krieges wurde ein Luchs im Rotenturmpaß von Pionieren aufgestöbert und erbeutet. Die Bukowina verzeichnet 1892 vier erlegte Luchse; also auch hier ist das Tier noch seltenes Standwild. Oberjäger Moser hat in seinem früheren Revier im Bezirk Watra und in seinem jetzigen im Bezirk Gurahumora im Laufe der Jahre je fünf Luchse im Eisen gefangen. Das ebene Ostgalizien hatte auffallenderweise im März 1895 fünf erlegte Luchse zu verzeichnen, und sogar auf der westgalizischen Herrschaft Saybusch wurde im Oktober des gleichen Jahres ein Exemplar mit wundervoller Zeichnung geschossen. Alle diese Luchse waren Männchen, und man darf sie wohl für Flüchtlinge aus den Mittelkarpathen halten, aus denen sie durch ungewöhnlich starke Abholzungen vertrieben worden waren. Nach einer Mitteilung von Rittmeister Schlickriede wurde während des Krieges auf einer kleinen Treibjagd in Wolhynien am 2. März 1916 ein Luchs von 1,4 m Länge auf 27 Schritt durch einen Schrotschuß zur Strecke gebracht. In Österr.-Schlesien hatte man schon lange nichts mehr von Luchsen gehört, bis sie sich in den 80er Jahren wieder spürten und dann auch 1889, 1891, 1893 und 1894 einzelne, aus dem Trentschiner Komitat eingewechselte Stücke in der Nähe der ungarischen Grenze unschädlich gemacht wurden, das letzte, ein Weibchen, 1914 bei Althammer. Auch in Böhmen und Mähren hielt sich der Luchs verhältnismäßig lange, denn noch 1890 wurde er im Böhmer Wald erlegt und im November 1894 ein Weibchen in Mähren, während das zugehörige Männchen entkam. In der Dukla-Senke wurden am 25. November 1893 zwei Luchse geschossen, während vier weitere entwischten, und einen Monat später fiel in derselben Gegend noch einer. In Slawonien soll es noch überall Luchse geben, aber nirgends häufig.
Innerhalb Deutschlands läßt sich der Luchs heutzutage am ehesten noch einmal in Ostpreußen blicken, freilich auch nur auf recht seltenen Gastspielreisen. Nachstehend das Verzeichnis der im letzten Jahrhundert in Ostpreußen geschossenen Luchse, so weit es sich heute noch mit Sicherheit feststellen läßt:
1. 1820 bei Gumbinnen.
2. 1832 in der Romintener Heide.
3. 1846 bei Gilgindischken (Museum Eberswalde).
4. 10. Februar 1861 ein Weibchen im Nassowener Forst, Kreis Goldap (Museum Eberswalde).
5. 1868 in der Puppener Forst (Museum Minden).
6. 1. September 1870 im Forst Heidwalde, Kreis Angerburg.
7. 20. Januar 1872 im Laukenwald, Kreis Mohrungen.
8. 1873 bei Rastenburg. Nicht ganz sicher verbürgter Fall.
9. 25. Januar 1879 in der Puppener Forst.
10. März 1898 bei Seetz (?).
11. 25. November 1901 bei Schorellen (Museum Berlin).
12. 21. September 1915 ein Männchen bei Ortelsburg (Museum Oldenburg).
13. 10. März 1924 im gräflich Eulenburgschen Forst Bettnarken ein schwaches Stück von 1,19 m Länge und 43 Pfund Gewicht. Hilfsförster Kaluza war der glückliche Schütze. Es dürfte dies der bisher letzte sichere Luchs sein, der auf deutschem Boden geschossen wurde.
In Westpreußen wurden die letzten beiden Luchse 1870 erlegt. In Kurland war der Luchs um 1830 herum derart verbreitet, daß er stellenweise den ganzen Rehstand vernichtete. Wie rasch dann aber seine Ausrottung vor sich ging, zeigen die Abschußlisten der großen Herrschaft Dodangen: im Winter 1844/45 17 Stück, 1845/46 12, 1846/47 7, 1847/48 5, 1848/49 4, 1849/50 2 und 1850/51 nur noch ein einziger. Nach Grevé wurde noch im Januar 1907 ein Luchs im Revier Schlüterhof geschossen und ein anderer in Poppen, nachdem beide schon den ganzen Sommer über gespürt worden waren. Auf der Insel Ösel soll der letzte Luchs 1877 erbeutet worden sein. Auch in Livland ist nach den Berichten des Herrn von Middendorf der Luchs jetzt schon sehr selten geworden. Im Kreise Dorpat wurde der letzte 1867 erlegt, und im September 1904 wurde wieder einer beobachtet. Im Rigaer Kreis zeigte sich der letzte 1900, und im Kreis Wenden wurde noch im Jahre 1911 einer erlegt. Eine selten erfolgreiche Luchsjagd fand Anfang November 1910 im Walkschen Kreise statt, wo an zwei Jagdtagen neun Luchse zur Strecke kamen. In Estland wurden noch im Winter 1908/09 mehrere Luchse erbeutet und andere gespürt. Einer sprang in der Nähe von Mecks über einen hohen Drahtzaun in den Damhirschpark und richtete dort greuliche Verwüstungen an, ohne daß er erwischt werden konnte. Zusammenfassend kann man über das Vorkommen des Luchses im Baltikum sagen, daß er für Kurland noch an den äußersten Punkten im Westen und Osten zu verzeichnen ist, in Livland in den Kreisen Walk, Wera und Dorpat, in den großen Forsten von Pernau und in den Strandwäldern des Rigaischen Meerbusens und endlich für die ganze östliche Hälfte Estlands. Nach dem Innern Rußlands zu wird er dann zahlreicher, und in Sibirien, von wo alljährlich etwa 9000 Luchsfelle in den Pelzhandel kommen, ist er noch häufig.
In Norwegen ist der Luchs noch spärliches Standwild, wird aber seltener geschossen als der Bär, und die Abschußziffern halten sich seit 1889 auf etwa gleicher Höhe, nämlich 50-70 Stück jährlich. In Schweden war der pinselohrige Geselle früher eines der bekanntesten, aber seiner unersättlichen Raubgier halber auch verhaßtesten Raubtiere, dessen Verbreitungsbezirk bis nach Wermeland und Dalekarnien herunterreichte. Bei seinem rastlosen Herumschweifen in den ungeheuren Wäldern fiel er nur dem erfahrenen Berufsjäger zum Opfer, während er dem gewöhnlichen Bauernjäger höchstens zufallsweise zum Schuß kam. Es soll aber einzelne Jäger gegeben haben, die in ihrem Leben 137, ja sogar 183 Luchse erlegt hatten, und daß ein einzelner Schütze jeden Winter zehn bis zwölf streckte, kam noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts vor. Von 1835 bis 1839 wurden in ganz Schweden 1324 erlegte Luchse angemeldet, also rund 265 Stück jährlich. Dagegen betrug die Gesamtstrecke des Jahres 1894 nur 35, 1905 nur noch zwei Stück. Das seitherige Schußgeld von 25 Kronen für jeden erlegten Luchs wurde daher 1913 aufgehoben, wogegen aber zwei Jahre später die lappländische Nomadenbevölkerung Verwahrung einlegte, weil innerhalb zwei Monaten 15 Renntiere von Luchsen zerrissen worden waren. Besser vermochte sich der Luchs im benachbarten Finnland zu halten, wo aber sein Verbreitungsgebiet nach Norden kaum bis zum Polarkreis reichte. Südlich davon war er noch in den 70er und 80er Jahren so häufig, daß man fast in jedem Kirchspiel Luchse erlegte, in manchen sogar in beträchtlicher Anzahl. Um die Jahrhundertwende herum schmolz dann der Bestand stark zusammen, und heute kommen im westlichen Finnland südlich Uleaburg Luchse nur noch ausnahmsweise vor, während sie in den östlichen Landesteilen häufiger sind. Die meisten Luchse, die wir in den Tiergärten zu sehen bekommen, stammen aus Finnland. Es heißt dort, daß Wolf und Luchs Todfeinde sind und sich in ihrer Verbreitung gegenseitig fast ausschließen. In der Tat trifft man da kaum Luchse an, wo es viele Wölfe gibt, und umgekehrt.
Der gedrungene Körperbau, die hohen Läufe, der kurze, wie abgehackt aussehende Schwanz, die abenteuerlichen Pinselohren und die gemessenen, fast ein wenig plump und eckig anmutenden Bewegungen machen den Luchs zu einer höchst eigentümlichen Erscheinung, aber er ist trotzdem in jeder Beziehung vom Scheitel bis zur Sohle eine echte Katze. Er steht höher auf den Beinen als ein Panther, ist aber trotzdem viel kürzer gebaut, zumal ihm ja der lange Schwanz anderer Großkatzen abgeht. Die kraftstrotzende Muskulatur, das scharfe Gebiß und die gewaltigen Pranken machen ihn zu einem in seiner Art furchtbaren Räuber, obschon er an Größe einen starken Hühnerhund kaum übertrifft. Das Gewicht eines ausgewachsenen Männchens beträgt 30-35 kg. Döbner erhielt aus Norwegen einen Luchskopf von einem offenbar sehr alten Tier, da der erste Backenzahn im Oberkiefer jederseits bereits ausgefallen war. Bei Herrichtung des Schädels ergab sich die auffallende Tatsache, daß auch auf jeder Seite des Unterkiefers hinter dem Reißzahn ein kleiner Höckerzahn sich befand und daher sowohl unten wie oben jederseits vier Backenzähne vorhanden waren, während sonst die katzenartigen Tiere im Unterkiefer jederseits nur drei haben. Größe und Färbung schwanken beim Luchs sehr, und man hat deshalb eine ganze Reihe von Abarten aufgestellt, die sich aber nicht aufrecht erhalten lassen, da die angeblichen Unterschiede sich im allgemeinen als solche lediglich individueller Art erwiesen haben. Höchstens kann man zugeben, daß die nordischen Luchse durchschnittlich etwas stärker sind als die aus dem Alpengebiet oder dem südöstlichen Europa. Nach Färbung und Zeichnung unterscheiden die Jäger Hirsch-, Wolf-, Kalb-, Pardel- und Katzenluchse, und auch der schwedische Tierforscher Nilsson hat früher ähnliche Ansichten vertreten, mußte sich dann aber selbst berichtigen, als er aus dem gleichen Gewölf ganz verschieden gezeichnete Tiere erhielt. Die Fährte des Luchses, den die Russen Rys, die Letten Luhsis oder Luhsa und die Esten Ilvis nennen, ist reichlich doppelt so groß wie die einer starken Katze, ja noch etwas größer als die des Wolfes, unterscheidet sich aber von dieser sofort dadurch, daß sie keine Kralleneindrücke hinterläßt. Da der Luchs beim ruhigen Gehen schnürt, gleicht die ganze Fährte einer aufgereihten Perlenkette. Die Losung wird stets an ganz bestimmten Steinen oder Baumstümpfen hinterlassen, und wenn der Luchs wieder des Weges kommt, versäumt er es nie, seine Visitenkarte behaglich zu beschnüffeln, ein Umstand, den erfahrene Fallensteller sehr wohl auszunützen wissen.
Ich selbst habe nur einmal im Leben einen Luchs in freier Natur zu sehen bekommen. Es war in einem entlegenen Balkanwinkel, als ich abends auf den Rehbock ansaß. Plötzlich rührte sich auf dem mir gegenüberliegenden Hange in etwa 160-170 m Luftlinie etwas Rotgelbes, das ich zunächst für einen guten Bock ansprach. Aber genaueres Hinsehen durch das Jagdglas zeigte mir einen starken Luchs, der in vorsichtig geduckter Haltung ganz langsam bergauf schlich, den Kopf immer nach einer ganz bestimmten Stelle gerichtet. Dort bemerkte ich denn schließlich auch ein Schmalreh, das etwa 70-80 m über dem Luchs stand – ein unvergeßlich schöner Anblick. Bald verschwand der Luchs ganz hinter Felsblöcken, bald zeigte er sich mir, der ich leider nur die Schrotflinte führte, völlig frei. Für diesmal erreichte der Räuber seinen Zweck jedoch nicht, denn das Reh bekam offenbar Witterung von ihm und ging schon auf große Entfernung flüchtig ab. Die Großkatze verfolgte nicht, sondern drückte sich im Gefels und wurde bald unsichtbar. – Der sehr ungesellig lebende Luchs ist ein ausgesprochenes Waldtier, fühlt sich aber nur in sehr ausgedehnten, urigen, dicht verwachsenen und schluchtenreichen Waldungen auf die Dauer wohl, die er nachts unermüdlich durchstreift und dabei oft weite Entfernungen zurücklegt, gern die Holzabfuhrwege benutzend. Doch weiß er sich immer überaus heimlich zu halten, und nur zur Ranzzeit verrät ihn sein durchdringendes Geschrei dem nächtlichen Wanderer. Selbst in noch dicht von Luchsen besiedelten Gegenden beansprucht jeder einzelne ein Jagdgebiet von mindestens 6-8 km2. Bei ausgedehnten Waldbränden flüchten die entsetzten Luchse unter Umständen bis in die Obstgärten der Dörfer, wie dies z. B. 1868 im Petersburger Gouvernement der Fall war. Auch starker Hunger treibt ihn im Winter bisweilen in die unmittelbare Nähe der menschlichen Gehöfte. In mehrfacher Beziehung interessant ist diesbezüglich der folgende Fall, den Hochgreve erzählt: »Ich fand frische Spuren unmittelbar am Gutshof, wohin die Luchse wohl durch den Geruch einer Schafherde angelockt wurden, die tagsüber in einem Gatter untergebracht war und abends in eine geräumige Scheune getrieben wurde … In der nächsten Nacht beobachtete ich den Luchs, wie er das Gehöfte umkreiste, um einen Eingang zu suchen. Bis er einen solchen gefunden hatte, sprang er plötzlich mit mächtigem Satz auf das Dach der Scheune, rollte aber mit einer sich loslösenden Schneelawine wieder herab. Er sprang wütend zum zweiten Male hinauf, krallte sich an den Holzschindeln fest und begann das Dach grimmig zu bearbeiten, während die Schafe sowie die Hühner im Stall durch Blöken und Gackern die Nähe der Gefahr verrieten … Auf dem Dach bot der Luchs ein besseres Ziel, aber im trügerischen Mondschein fuhr die Kugel an seinem starken Kopf vorbei, und ehe ich imstande war, neu zu laden, hatte sich der Luchs mit einem gewaltigen Sprung in Sicherheit gebracht. Km nächsten Morgen entdeckte ich zu meiner Überraschung noch die Fährte eines zweiten Luchses, wahrscheinlich des Weibchens, das sich scheu im tiefen Schatten gehalten haben mußte. Im nahen Walde fand ich die Federn einer Birkhenne als Beweis, daß das Raubtier doch etwas zur Stillung seines Heißhungers gefunden hatte … Einige Tage später erhielten wir die Nachricht, daß der Hühnerstall eines in der Nähe wohnenden Arbeiters vollständig ausgeräubert worden sei und daß die Fährten auf Luchse als auf die Übeltäter hinwiesen … Ich legte ein Eisen, und in diesem fing sich auch in der nächsten Nacht ein männlicher Luchs mit der Vorderpranke. Zu meinem Erstaunen war er tot und der Balg wies starke Bißwunden auf, während im Schnee deutlich die Spuren eines heftigen Kampfes zu sehen waren. Da keine anderen Fährten festzustellen waren als diejenige eines zweiten Luchses, hatte offenbar dieser in seinem Heißhunger dem Gefangenen die tödlichen Verletzungen beigebracht.«
Seine Wechsel hält der Luchs genau ein, ja er tritt sogar beim Rückweg wieder in die eigenen Spuren, und wenn die Familie gemeinsam jagt, setzt jeder die Läufe in die Fährte seines Vordermannes, wie die Indianer auf dem Kriegspfade. Läßt er sich mit schlaffen Gliedmaßen an einem Baum mit grobem, flechtenbehangenem Gezweig nieder, so verschwimmt er für das menschliche Auge so vollkommen mit seinem Hintergrunde, daß selbst im beschränkten Raum des Tiergartenkäfigs es dem ungeschulten Beschauer schwer fällt, das große Tier sofort zu entdecken. Die Klause des blutdürstigen Einsiedlers ist in den Urwäldern sehr oft eine alte, hohle Weißtanne, die nur durch ein Astloch zugänglich ist. Das sind natürlich Riesenbäume von mindestens 1½ m Durchmesser, durch deren ausgefaulte Astlöcher auch ein Mensch sich würde hindurchzwängen können, falls er nicht mit einem Schmerbauch gesegnet ist. Für den pinselohrigen Raubritter aber ist ein solcher Einschlupf mehr als bequem. Derartige Schlupfwinkel bevorzugt er bei nassem und unfreundlichem Wetter, bei warmem und freundlichem aber liegt er lieber zwischen Felsklippen oder in jungen Dickichten, um sich die liebe Sonne auf den Balg scheinen zu lassen (Abb. 13), denn das liebt er sehr, wie ja alle Katzenarten. Obschon durchaus Nachttier, streift er doch gelegentlich auch am Tage herum, wenn es hübsch ruhig und still im Revier ist. Seine Bewegungen vereinigen Geschmeidigkeit mit Kraft, Anmut mit Wildheit, unheimliche Schnelligkeit mit eiserner Ruhe, würdevollen Ernst mit rastloser Gier. Faul liegt die große Katze halbe Tage lang wie ein aus Erz gegossenes Standbild ohne Bewegung auf dem gleichen Ast oder auf demselben Felsblock. Nur leises Zucken der langen Lauscher, Blinzeln der grünlichen Lichter, Rümpfen der schnurrbärtigen Lefzen und gelegentliches Stelzen oder Wedeln der kurzen Lunte verraten, daß Leben in ihm ist. Der Schlaf ist außerordentlich leise; beim geringsten Geräusch spitzen sich die gepinselten Ohren, und die funkelnden Raubtieraugen richten sich aufmerksam nach der verdächtigen Gegend (Abb. 14). Erst wenn das letzte Vogelgezwitscher verstummte und die Schatten der Nacht tiefer herabsanken auf den schweigenden Wald, erhebt sich der Luchs und begibt sich mit weit ausgreifenden, federnden Schritten geräuschlos auf seinen Jagdzug. Im Vergleich zu ihm sind Bär und Wolf Stümper im Pirschen und Schafe an Mordlust. In allen älteren Naturgeschichtsbüchern wird übereinstimmend die hervorragende Kletterkunst des Luchses gerühmt. Seine für eine Katzenart sehr hohen Läufe lassen aber eigentlich nicht auf einen vorzüglichen Kletterer schließen. In neueren Lehrbüchern heißt es auch nur, daß der Luchs ziemlich gut klettere, wenn auch andrerseits Schäff sicherlich zu weit geht mit der Behauptung, daß der Luchs freiwillig überhaupt nicht klettere und seine Beute niemals von Baumästen aus anspringe. Erwähnt doch von Hippel bei einem in Ostpreußen geschossenen Luchs ausdrücklich, daß er gerade in dem Augenblick getroffen wurde, als er vom Baume aus auf ein Reh herabsprang. Immerhin ist dies nicht seine gewöhnliche Jagdmethode. Wird der Luchs von scharfen Hunden gehetzt, so baumt er fast regelmäßig auf. Zweifellos ist dagegen der Luchs ein Meister im Springen, der mit einem einzigen Satz eine 15 Fuß breite Schneise überfällt oder einen 10 Fuß hohen Felsblock besteigt. Da hilft dem armen Lampe kein noch so fixes Hakenschlagen, der ungeheure Sprung des furchtbaren Räubers trifft ihn mit tödlicher Sicherheit. Gewässer werden ohne Bedenken kräftig und geschickt durchschwommen. Während der Luchs wie alle Katzenarten schlecht wittert und deshalb niemals der Fährte eines Beutetieres mit der Nase folgt, ist sein Auge scharf und sein Tastsinn hoch entwickelt. Alles, mit dem er sich näher befassen will, wird erst mit den Schnurrhaaren betastet. Sein schärfster Sinn ist aber zweifellos das Gehör, und die langen Pinselohren sind nicht etwa nur eine bloße Zierde des ausdrucksvollen Kopfes. Der Luchs hört das leise Nagen des Hasen an der Espenrinde und geht dann diesem Geräusch vorsichtig nach, bis er seiner Beute ansichtig wird. Obwohl Oberförster Dohrandt auf Grund seiner in Rußland gemachten Erfahrungen den Luchs als dumm bezeichnet, möchte ich es doch mit Brehm halten, der in ihm ein geistig hochstehendes Geschöpf und jedenfalls eines der klügsten Raubtiere erblickt. Schon die Naturforscher des Mittelalters nennen den Luchs mit Recht ein überlegendes und listiges Tier.
Schon aus dem Gesagten geht zur Genüge hervor, daß der Luchs seiner Beutetiere in der Regel durch katzenartiges Beschleichen Herr wird. Grevé sagt sogar: »Daß er vom Baume herab auf seine Beute springt oder in dieser Art gar Elche überfällt, ist eine noch immer gern geglaubte Fabel, die durch Bilder von Jagdmalern, die nie einen Luchs in freier Wildbahn beobachtet haben und sich auf das Latein lustiger Hubertusjünger verlassen, unterstützt wird, ebenso wie der stereotype, den Schützen auf den Hinterpranken annehmende Bär nicht von der Bildfläche verschwinden will, trotz des beständigen Protestes erfahrener Bärenjäger.« Völlig kann ich nun zwar Grevé weder hinsichtlich des Luchses noch des Bären beipflichten, aber für die große Mehrzahl der Fälle hat er sicherlich recht. Auf flacher Erde erreicht der Luchs das geduldig beschlichene Opfer mit zwei bis drei Riesensprüngen von je 4 m Weite und wirft es nieder, um ihm die Pulsader aufzureißen oder das Genick zu durchbeißen und es so augenblicklich zu töten. Durch Spuren im frisch gefallenen Schnee konnte nach Brehm festgestellt werden, wie ein Luchs einen Hasen durch neun ungeheure Sprünge von durchschnittlich 13 Fuß Weite ereilt hatte. Geht der entscheidende Sprung fehl, so wendet sich der Luchs in der Regel mürrisch ab und sucht verdrießlich nach einem neuen Wild. Ist er aber sehr hungrig, so verfolgt er seine Beute auch wohl kilometerweit laufend wie ein Wolf, und man hat dies sogar schon am hellen Tage beobachtet. Hasen bzw. Schneehasen und Rehe bilden wohl sein Hauptwild, aber vom Hirsch bis zur Maus, vom Auerhahn bis zum Zaunkönig ist überhaupt nichts vor ihm sicher. Solange er Wild haben kann, zieht er dieses den Haustieren entschieden vor, und da er äußerst lecker ist und nur die besten Stücke verzehrt, kann er als furchtbarer Jagdschädling in gepflegter Wildbahn unmöglich geduldet werden. Hat er Überfluß, so schwelgt er im Blutrausch und wird zum Massenmörder. So erzählt Vater Bechstein, daß ein Luchs, der sich 1772 im Thüringer Wald aufhielt, in einer einzigen Nacht über 30 Schafe erwürgte. Trotzdem frißt der Luchs mäßig und gelassen und kehrt nach Stillung seines Hungers den Überbleibseln verächtlich den Rücken. Größere Tiere bedeckt er allerdings mit Laub oder Erde und kommt dann in der nächsten Nacht nochmals zu dem Braten zurück, während er nicht von ihm selbst gerissenes Aas niemals berührt. Tiere von Hasengröße an aufwärts sind ihm immer lieber, und mit Eichhörnchen oder gar Mäusen befaßt er sich nur im Notfall, wenn Schmalhans für längere Zeit Küchenmeister geworden ist. Doch erregt jedes vorüberhuschende Mäuschen schon seine Mordlust, und den vorüberflatternden Singvogel schlägt er mit sicherem Prankenhiebe aus der Luft herunter. Die brütende Auerhenne oder die dösende Lagerschnepfe sind für ihn in des Wortes wahrster Bedeutung ein gefundenes Fressen. Die häßliche Katzengewohnheit, mit gefangenen Kleintieren noch zu spielen und sie angesichts des Todes zu quälen und zu ängstigen, besitzt auch er, bleibt aber dabei immer ruhig und gelassen. Was er einmal gepackt hat, läßt er nicht so leicht wieder los und zerreißt den Beutetieren die Decke mit seinen nadelscharfen Krallen ganz erbärmlich. In Norwegen wurde ein junger Luchs, dessen Raubgier stärker gewesen war als seine Klugheit, von einer angesprungenen Ziege bis in den Hof des Besitzers geschleppt und dort erschlagen. Einem alten Luchs wäre das sicherlich nicht passiert. Tschudi erzählt, daß der Luchs in der Schweiz sich bisweilen unter der Erde nach den Schaf- und Ziegenställen durchzugraben versuche, wobei einmal ein mutiger Ziegenbock den unterirdischen Feind bemerkte, als er eben den Kopf aus der Erde hob, und ihn mit seinen Hörnern so derb bearbeitete, daß der Räuber tot in seinem Tunnel liegen blieb. Mit Vorliebe stellt der Luchs den Gemsen nach, die ihm aber infolge ihres scharfen Witterungsvermögens oft entgehen; häufiger fallen ihm Murmeltiere zum Opfer. An Hirsche, Sauen oder gar Elche dürften sich nur ausnahmsweise ganz starke Luchse wagen. Die stärkste Kraft dieser Großkatze, die sich ihre Jagden gern möglichst bequem gestaltet, liegt in den Füßen, in der Kinnlade und im Nacken. Der Luchs ist nicht so schlau wie der Fuchs, aber geduldiger, nicht so frech wie der Wolf, aber ausdauernder, nicht so stark wie der Bär, aber scharfsinniger. Erbeuteten Rehen oder ähnlichen Tieren wird regelmäßig der Kopf vom Rumpfe getrennt, und wo man öfters im finsteren Gebirgstann derartig geköpfte Rehe findet, kann man mit einiger Sicherheit darauf schließen, daß hier der »Blutschreck«, wie der Luchs früher bei den Tiroler Bauern hieß, sein unheimliches Wesen treibt. Im übrigen tafelt der Luchs wie ein richtiger Feinschmecker, saugt sein Opfer fast blutleer und wählt nur die zartesten Stücke zum Fraße, während alles übrige neidlos dem Waldpöbel überlassen wird. Gerade durch diese wenig haushälterischen Eigenschaften wird er ja zu einem so argen Wildverwüster.
Die Ranzzeit europäischer Luchse fällt in den Januar und Februar, und die Kater kämpfen dann nachts um der Minne Lohn mit so greulichem Geschrei, daß dem unerfahrenen Wanderer die Haare zu Berge stehen. Keine Zigeunergeige und kein Zimbal kann so herzzerbrechend schluchzen wie diese Teufelsbiester. »Erst klingt es,« schreibt Fritz Bley, »wie süße Sehnsucht von Verliebten, dann wie das Angstgeschrei eines Gefolterten und schließlich wie das letzte Röcheln eines Gehenkten. Dann wieder plärrt und keift eine scheußliche Hexe dazwischen oder ein alter Urteufel grunzt vor Lüsternheit im tiefsten Basse.« Werden die Kämpfer handgreiflich, so knurren und fauchen sie ingrimmig und lassen dann ein plärrendes Gebrüll hören, hoch und fein anfangend und mit tiefen, dumpfen Tönen endigend. Die Luchsin miaut dazu wie eine Hauskatze, aber mit tiefer Baßstimme. In merkwürdigem Gegensatz zu alledem heißt es bei Brehm, daß die Begattung ohne das übliche abscheuliche Katzengeschrei erfolge. Außerhalb der Ranzzeit sind die Luchse allerdings sehr schweigsam und schreien nur bei Hunger oder Langeweile in dumpf plärrenden oder bärenartig brüllenden Tönen. Im Laufe des März trennt das Weibchen sich dann wieder vom Männchen und bezieht an einer recht einsamen und schwer zugänglichen Stelle, etwa in einer durch Windbrüche und Baumwurzeln gebildeten Höhlung oder auch in einem alten Dachsbau ihr Wochenbett, wo sie nach zehnwöchiger Tragzeit, also etwa Anfang Mai, zwei bis drei, selten vier Junge wirft, die anfangs von ganz heller Farbe sind, neun Tage lang blind bleiben, und die sie als fürsorgliche Mutter mit zartestem Geflügel füttert. Glückselig schnurrend ruht sie dann auf weichem Pfühle und bietet den leise maunzenden Sprößlingen geduldig die Zitzen, nimmt es auch mit stillem Behagen hin, daß die kleinen Rüpel das Gesäuge mit ihren derben Pfoten recht unsanft kneten. Im Juni nimmt sie ihre Kinder schon auf kürzere Streifzüge mit und bummelt nun bis zum Eintritt der nächsten Ranzzeit mit ihnen gemeinsam herum. Merkt sie Gefahr für die Jungen, so stößt sie in oftmaliger Wiederholung einen groben Nasenlaut aus, der wohl ein Warnungssignal sein soll. Im übrigen wissen wir über das Familienleben dieser einsiedlerischen und menschenscheuen Tiere herzlich wenig, doch behaupten manche Beobachter, daß die geile Luchsin sich nicht mit einem Gatten begnüge, sondern alljährlich ihre Gunst an mehrere Liebhaber verschenke.
Es gibt in europäischen Jagdgründen kein Wild, das so schwierig zu bejagen und zu erlegen ist wie der Luchs. Seine argwöhnische Schlauheit vereitelt die besten Anschläge, und gewöhnlich ist es nur ein seltener Zufall, der ihn einmal vors Rohr bringt. Auf Treibjagden bleibt er seelenruhig in seiner Baum- oder Felsenhöhle liegen und läßt Treiber und Hunde vorbeiziehen, oder er baumt beim ersten Lärm auf, rührt sich nicht mehr und wird dann gewöhnlich übersehen. Nur wenn er im niedrigen Dickicht ruhte, vermögen ihn sehr schnelle und scharfe Hunde herauszutreiben, zum Aufbaumen zu zwingen und zu verbellen, wo ihn dann die herbeieilenden Jäger leicht herunterschießen können. So sehr der Luchs den Menschen fürchtet und meidet, so wenig macht er sich doch aus bloßem Lärm und liegt deshalb gar nicht selten in unmittelbarer Nähe viel benutzter Waldwege. In Rußland bildet man bei Luchsjagden mit wenigen, aber sicheren Schützen und ortskundigen Treibern einen möglichst engen Kreis und läßt dann die Bracken in den Trieb, die das Raubtier rasch aufstöbern und im Falle eines Durchbruchs unter Lautgeben verfolgen. Der Luchs zeigt auch vor großen Hunden keine sonderliche Furcht, denn er ist sich seiner Überlegenheit über sie wohl bewußt. Im Nahkampf wirft er sich gern auf den Rücken und gebraucht seine furchtbaren Tatzen in der nachdrücklichsten Weise. Dann muß der Hund unterliegen, und der Jäger tut deshalb gut daran, schleunigst herbeizueilen, wenn er nicht seinen vierbeinigen Jagdgehilfen verlieren will. Die Hunde zeigen deshalb auch wenig Neigung, mit einem so gefährlichen Gegner ernstlich anzubinden. Recht wenig aussichtsreich ist das Ausgehen der Fährte bei Neuschnee, da der Luchs in einer Nacht ganz gewaltige Wegstrecken zurückzulegen pflegt. Stößt er dabei auf eine frische Menschenspur, so trollt er sich sofort mißtrauisch in eine andere Gegend. Die Luchsjagd ist aber nicht nur unergiebig und beschwerlich, sondern sie kann unter Umständen sogar gelegentlich einmal gefährlich werden. Dies gilt besonders für den Fall, daß der aufgebaumte und vom Hunde verbellte Luchs zunächst nur angeschossen wird. Dann kann es vorkommen, daß das schwer gereizte und vor Schmerz halb wahnsinnige Tier mit einem gewaltigen Satze auf seinen Peiniger herunterstürzt und ihm die scharfen Krallen tief in die Brust schlägt. Allerdings springt er gewöhnlich zuerst den Hund an, so daß der Jäger Zeit gewinnt, neu zu laden und den Kampf durch eine besser gezielte Kugel aus nächster Nähe zu entscheiden. Gut beglaubigt ist der Fall eines schwedischen Jägers, der mitsamt seinem Hunde von einem angeschossenen Luchs derart zugerichtet wurde, daß beiden die Lust zur Luchsjagd für immer verging. Überhaupt erzählt man sich in Skandinavien manche Geschichten von Luchsjagden, bei denen der, der auf der Strecke blieb, nicht immer Meister Pinselohr war. Es braucht das meines Erachtens nicht immer Jägerlatein zu sein, obschon zahlreiche und grobe Übertreibungen dabei mit unterlaufen sein mögen. Die baltischen Herrenjäger bekunden übereinstimmend, daß ihnen niemals etwas von Angriffen des Luchses auf den Menschen bekannt geworden sei, daß vielmehr jener seiner völligen Ohnmacht gegenüber dem Herrn der Schöpfung sich stets bewußt bleibe. Gewöhnlich bleibt der aufgebäumte Luchs ruhig auf seinem Aste liegen und starrt den sich nahenden Menschen unverwandt an, ja es gibt sogar erfahrene Jäger, die behaupten, daß man die Aufmerksamkeit des Räubers durch aufgepflanzte Kleidungsstücke stundenlang fesseln und derweil seine Flinte holen könne, falls man ihm zufällig und waffenlos begegnet sei. Daß dem Luchs bei aller Menschenscheu doch auch ein gut Teil Frechheit innewohnt, geht daraus hervor, daß einmal ein Luchs während einer Treibjagd sich einen der aufgescheuchten Hasen fing, welche Keckheit er allerdings mit dem Leben bezahlen mußte.
Aussichtsvoller als die Jagd auf den Luchs ist der Fang mit dem Tellereisen, allerdings immer noch viel schwieriger, umständlicher und mühseliger als etwa beim Fuchs. Um Fangbrocken und Luder, selbst um frische Pferdekadaver kümmert sich der Luchs nicht; ihm schmeckt nur selbst erlegte Beute, und auch die nur, solange sie frisch ist. Man kann also nur dann auf Erfolg rechnen, wenn man Gelegenheit hatte, das Eisen bei einem vom Luchs selbst gerissenen Reh oder dergleichen auszulegen. Der in Eisen sitzende Luchs gebärdet sich namentlich beim Erscheinen des Jägers wie rasend. Seine Wut kennt keine Grenzen, und er macht mit bewundernswerter Kraft die verzweifeltsten Anstrengungen, um freizukommen, wobei er sich nicht selten die Krallen ausreißt oder die Fangzähne abbricht. Ein gefangener Luchs war mit dem schweren Eisen an einer Tatze auf einen hohen Baum geklettert und blinzelte von da tückisch auf seinen Verfolger herab. Es erschien rätselhaft, wie er mit dem stark verletzten Fuß und dem gewichtigen Eisen an dem steilen und glatten Stamm hatte hochkommen können. Nur einer fabelhaften Gewandtheit in Verbindung mit unglaublicher Muskelkraft und Willensstärke konnte ein solches Unternehmen gelingen. Ein anderer Luchs hatte das Eisen eine tiefe Schlucht hinunter und auf der anderen Seite wieder in die Höhe geschleppt. An den Spuren im Schnee ließ sich feststellen, daß das Raubtier die ganze Zeit über, während das Eisen an einer gerissenen Ricke gestellt worden war, kaum 30 Schritte davon auf einer dicht beasteten Fichte gelegen und ruhig zugesehen hatte. Ratz hatte einmal einen hohen Felsen erklettert und wollte sich gerade zum Ausruhen niedersetzen, als plötzlich zehn Schritte vor ihm ein Luchs absprang. Er beschoß ihn auf sechzig Schritte mit Hasenschrot, fand auch Schweißspuren und ein gerissenes Reh, aber der Luchs selbst blieb verschwunden. Um nächsten Morgen fing er sich in dem bei seinem Opfer gestellten Eisen, mit dem er sich dann zwischen zwei dicht beieinanderstehenden Baumstämmen derartig einklemmte, daß er leicht den Gnadenschuß erhalten konnte, vorher war er noch mitsamt dem Eisen einen hohen Felsen herabgesprungen, und es war nur zu verwundern, daß er sich dabei nicht den Schädel zerschmettert hatte. – Der Balg des Luchses gibt ein geschätztes Pelzwerk ab, das namentlich in China sehr beliebt ist, weshalb die große Mehrzahl der sibirischen Luchsfelle nach dort ausgeführt wird. In Europa gelten die nordischen Luchsfelle für besser als solche aus südlichen Ländern. Luchsbraten galt früher als ein Leckerbissen oder doch wenigstens als ein begehrtes Schaugericht für die Tafel der Vornehmsten. Noch auf dem Wiener Kongreß soll mehrfach Luchsbraten aufgetischt worden sein. Je seltener dieses Gericht wurde, um so mehr kam es in den Geruch der Heilkräftigkeit und Wundertätigkeit. 1819 erhielt die bayrische Jägerei den Auftrag, unter allen Umständen einen Luchs zur Strecke zu bringen, da dessen Wildbret dem bayrischen König als Mittel gegen Schwindelanfälle dienen sollte. Neuerdings hat Baron von Loewis einer Gesellschaft baltischer Feinschmecker Luchsbraten vorgesetzt, der allgemein für Truthahn gehalten und mit Vergnügen verspeist wurde. Dagegen fand Baron von Krüdener, daß geräuchertes Luchsfleisch unangenehm süßlich schmecke. In Estland wird heute noch Luchsfleisch von hoch und niedrig gern gegessen; es sei zart und hellfarbig, ohne jeden unangenehmen Wildgeschmack und dem besten Kalbfleische gleich. Die Krallen des erlegten Luchses, die sog. »Luchskräneln«, läßt sich der glückliche Schütze in der Regel in Silber fassen und trägt sie mit berechtigtem Stolze an der Uhrkette.
Gefangene Luchse, die in den Tiergärten nicht eben häufig zu sehen sind, verlangen sorgfältigste Pflege, wenn sie sich auch aus Witterungsunbilden nicht viel machen, so beanspruchen sie doch große Abwechslung in der Nahrung und nur frisches Fleisch bester Sorte. Alte Luchse bleiben immer mürrisch und eigensinnig und lehnen jeden näheren Anschluß an den Menschen fauchend und übellaunig ab. Dagegen werden Junge, die aber schwer aufzutreiben sind, überraschend zahm und zeigen sich dem Pfleger gegenüber von ihrer liebenswürdigsten Seite. Grill war so glücklich, einen etwa zweitägigen Jungluchs zu erwerben. Seine Hauskatze mußte das kleine Waisenkind großsäugen und tat dies mit all der unerschöpflichen Zärtlichkeit, die Katzenmütter hilflosen Jungtieren gegenüber an den Tag legen. Dieser Jungluchs bekam auch später nur Milch, Brei, Kartoffeln u. dgl. und blieb wohl deshalb so zahm wie eine Hauskatze. Auch in einem andern Falle diente eine Katze als Amme. Der Pflegling gedieh dabei prächtig und wurde bald zum Liebling der ganzen Familie, obgleich er gelegentlich durch seine übergroße Neugier lästig fiel. Als er schon doppelt so groß war wie seine Pflegemutter, leckte diese den Rüpel immer noch zärtlich. Wenn er aber dann in seiner groben Art mit ihr spielen wollte, wurde Mieze ungemütlich, sprang ihm auf den Rücken und backpfeifte ihn, daß es nur so rauchte. Zu einer gewissen Berühmtheit hat es der zahme Luchs des Barons von Loewis gebracht. Dieses Tier war so gehorsam, daß ein drohender Zuruf genügte, um es augenblicklich von Hasen, Hühnern oder Schafen abzuhalten. Es hörte genau auf seinen Namen und durfte deshalb sogar seinen Herrn zu den Treibjagden begleiten, auf denen es sich damit vergnügte, Hasen abzufangen. Nachdem Sprünge auf am Boden sitzende Tauben mehrmals mißglückt waren, lernte »Luzy« sehr geschickt, sie mit einem Prankenhiebe beim Auffliegen aus der Luft herunterzuschlagen. Fuhren Herr von Loewis und sein Bruder auf einen Tag in die Nachbarschaft, so konnte niemand »Luzy« bändigen, und dann wehe jedem unbedachten Huhn, jeder sorglosen Ente oder Gans! Rollte dann spät in der Nacht der Wagen wieder vor das Wohnhaus, so war Luzy im Nu vom Dach, wo sie sich neben dem Schornstein zur Ruhe niedergetan hatte, herunter und flog mit weiten Sätzen ihrem Herrn an die Brust, seinen Hals mit ihren starken Vorderpranken umschlingend, laut schnurrend und mit dem Kopf nach Katzenart stoßend und reibend. So folgte sie in die Stube, um auf dem Sofa oder neben dem Ofen ihr Nachtlager aufzuschlagen. Einige Male durfte sie auch das Bett mit ihrem Herrn teilen, legte sich dann aber gern quer über dessen Hals und verursachte dadurch Alpdrücken und beunruhigende Träume. Als einmal die Gebrüder Loewis für eine ganze Woche verreisten, geriet der Luchs in große Unruhe, suchte schreiend nach seinem Herrn, verweigerte die Annahme von Nahrung und übersiedelte schon am zweiten Tage in ein nahes Birkenwäldchen, von wo er nur zum Übernachten auf sein gewohntes Plätzchen neben dem Schornstein zurückkehrte. Seine Freude bei der endlichen Wiederkehr der beiden Barone kannte keine Grenzen. Scham- und Ehrgefühl waren stark entwickelt, wie es sich z. B. zeigte, als die Luchsin einmal beim Beschleichen von Gänsen ins Wasser geplumpst war. Durchaus Feinschmecker, nahm auch dieser Luchs nur ganz frisches Fleisch, am liebsten Wild und Geflügel. Eigentümlich war sein glühender Haß gegen Hauskatzen, die er mit gräßlicher Wut zerfleischte. In kurzer Zeit hatte er sämtliche Katzen aus dem Gute ausgerottet, obwohl man sie sorgsam vor ihm verborgen hielt. Nur einmal wagte es Herr von Loewis, Luzy zu einem Besuch auf ein Nachbargut mitzunehmen. Kaum aber war man eine Stunde dort, so meldete auch schon der Diener, daß die Lieblingskatze der Hausfrau von dem Luchs zerrissen worden sei.
Zuchterfolge mit gefangenen Luchsen sind namentlich im Stockholmer Tiergarten erzielt worden. Anfang März 1905 bemerkte der Direktor Alarik Behm, daß ein Pärchen Luchse sich für einander interessierte. Oft saßen die Tiere dicht aneinandergeschmiegt auf den großen Felsblöcken ihres Käfigs, und der Kater leckte nicht selten Wangen, Ohren und Schnauze der Luchskatze. Am 22. Mai wurden zwei Junge geboren, starben aber nach fünf Monaten an Rachitis, und auch der Vater ging bald darauf an Spulwürmern zugrunde. Dem Weibchen wurde nun ein anderes Männchen beigesellt und auch am 14. März 1906 eine Paarung beobachtet, die aber keine Folgen hatte. Im nächsten Jahre erfolgte die Paarung am 9. März, und am 17. Mai wurden drei Junge geboren. Leider blieben auch diese nicht lange am Leben; zwei gingen im Oktober ein, und das dritte im Dezember, alle mit Spulwürmern behaftet. Der 15. Mai 1908 brachte wieder zwei Junge, die erst am 16. Lebenstage die Augen öffneten, den Winter gut überstanden und gesund und munter blieben. Während ihrer ersten Lebensmonate ließen die jungen Luchse oft ein leises Piepen hören. Im gleichen Wurf fanden sich verschiedene Spielarten, und sowohl Wolf- wie Fuchs- wie Katzenluchse sind von dem gleichen Elternpaar gezogen worden. Das Wachstum der Jungen vollzieht sich sehr langsam; im Dezember waren sie erst halbwüchsig. Die Luchsmutter pflegt ihre Kleinen mit unübertrefflicher Zärtlichkeit und trägt sie bei der geringsten Beunruhigung in die Höhle zurück; später verwendete sie viel Zeit auf das Spielen mit ihren niedlichen Kindern. Der Luchskater war während der Geburt 1905 auch im Käfig anwesend und schlief in der ersten Zeit mit seiner Familie zusammen. Als die Jungen größer wurden, beschäftigte er sich fast ebensoviel mit ihnen wie die Luchsmutter und ließ die übermütigen Kleinen geduldig über sich hinweg klettern und tollen oder sich von ihnen am Schwanz und an den Ohren reißen. Bei den späteren Würfen wurde der Kater aber doch vorher entfernt, weil er nach Aussage der Wärter dem Weibchen und den Zungen zu viel von dem guten Wochenstubenfutter (Kaninchen, Tauben, Sperber) wegfraß.