Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Sechstes Kapitel.

Die Geschichte schreitet ferner weiter fort.

»Sie sind, lieber Freund,« sagte der gute Mann, »der seltsamste Mensch. Sie haben Unglück gehabt, weil Sie hartnäckig bei einer Unwahrheit verharrten, bleiben noch immer bei derselben und geben sich sogar für den Diener Ihres eigenen Sohnes aus! Welches Interesse können Sie dabei haben? Was kann Sie dazu bewegen?«

»Ich sehe,« sagte Partridge, der auf seine Knie sank, »daß Sie gegen mich eingenommen sind und sich vorgenommen haben, durchaus nichts von dem zu glauben, was ich sage; was helfen mir also alle meine Betheuerungen? Doch der im Himmel weiß, daß ich der Vater des jungen Mannes nicht bin.«

»Wie!« fiel Allworthy ein, »Sie läugnen noch immer, ob Sie gleich früher durch ein unwiderlegliches Zeugniß überführt wurden? Und ist nicht der Umstand, daß Sie noch immer bei dem Manne sich befinden, eine Bestätigung dessen, was vor zwanzig Jahren gegen Sie vorgebracht wurde? Ich glaubte, Sie hätten das Land verlassen oder wären längst schon gestorben. Auf welche Weise erfuhren Sie etwas von dem jungen Manne? Wo trafen Sie ihn, wenn Sie nicht immer in Verbindung mit ihm standen? Läugnen Sie nicht; es wird Ihren Sohn in meiner Meinung um Vieles höher stellen, wenn ich finde, daß er seiner 80 Sohnespflicht immer so eingedenk war, daß er seinen Vater viele Jahre im Stillen unterstützte.«

»Wenn Sie die Geduld haben wollen mich anzuhören,« sagte Partridge, »so will ich Ihnen Alles sagen.« Allworthy forderte ihn auf zu reden und er fuhr demnach fort: »als ich mir Ihre Ungnade zugezogen hatte, war die Folge davon meine gänzliche Verarmung, denn ich büßte meine kleine Schule ein und der Pfarrer nahm mir auch mein anderes Amt, wahrscheinlich um sich Ihnen angenehm zu machen, so daß ich blos auf mein Barbierbecken gewiesen war, was auf dem Lande sehr wenig einbringt, und als meine Frau starb (denn bis zu dieser Zeit erhielt ich eine jährliche Pension von 12 Pf. St. von unbekannter Hand, die, wie ich glaube, die Ihrige war, denn kein anderer Mensch thut so etwas), hörte auch diese Unterstützung auf, so daß ich, da ich überdies einige kleine Schulden hatte, die lästig für mich wurden, eine zumal, die ein Advokat durch Prozeßkosten von 15 Pf. St. auf fast 30 Pf. St. gesteigert hatte, und ich nicht mehr wußte, wie ich mich ernähren sollte, meine kleine Habe zusammen packte und davon ging.

»Zuerst kam ich nach Salisbury, wo ich in den Dienst eines Advokaten trat, der Einer der besten Menschen war, die ich kennen gelernt habe, denn er war nicht nur gütig gegen mich, sondern ich erfuhr auch tausend wohlthätige Handlungen von ihm während ich in seinem Hause war, und er wies oftmals Geschäfte von sich, wenn sie seinem Gefühle widersprachen.«

»Ich kenne diesen Mann,« unterbrach ihn Allworthy, »er ist ein sehr würdiger Mann und macht seinem Stande große Ehre.«

»Von da,« fuhr Partridge fort, »begab ich mich nach Lymington, wo ich über drei Jahre in dem Dienste eines 81 andern Advokaten fand, der ebenfalls ein recht guter Mann und dabei gewiß einer der lustigsten in ganz England war. Nach diesen drei Jahren eröffnete ich eine kleine Schule und es würde mir wieder recht wohl ergangen sein, wäre nicht ein Unfall eingetreten. Ich hielt mir ein Schwein. Eines Tages nun wollte es das Unglück, daß dieses Schwein ausbrach und Schaden in dem Garten eines meiner Nachbarn anrichtete, der ein stolzer rachsüchtiger Mann war, die Sache einem Advokaten übergab und dieselbe so schlimm darstellen ließ, als wäre ich der größte Schweinehändler in England und triebe meine Thiere absichtlich auf anderer Leute Grund und Boden.«

»Fassen Sie sich kurz,« fiel Allworthy ein, »noch habe ich nichts von Ihrem Sohne gehört.«

»O, es vergingen viele Jahre,« antwortete Partridge, »ehe ich meinen Sohn sah, wie Sie ihn zu nennen belieben. Ich ging später nach Irland und hielt eine Schule in Cork, denn jener Prozeß ruinirte mich von neuem und ich lag sieben Jahre im Gefängnisse.«

»Gehen Sie darüber hin und kehren Sie nach England zurück.«

»Ich kam also wieder nach Bristol. Dort blieb ich einige Zeit, weil ich aber nichts zu thun fand und hörte, daß der Barbier in einem Orte zwischen dem und Gloucester gestorben sei, begab ich mich dahin und ich war dort etwa zwei Monate gewesen, als Herr Jones dahin kam.« Dann schilderte er ausführlich sein erstes Zusammentreffen mit diesem, erzählte alles, was bis diesen Tag geschehen war, schmückte seine Geschichte häufig mit Lobeserhebungen des Herrn Jones aus und vergaß nicht hervor zu heben, wie sehr er denselben liebe und achte. Er schloß mit den Worten: »nun habe ich Ihnen die ganze Wahrheit gesagt,« wiederholte mit der feierlichsten Betheuerung, daß er eben 82 so wenig der Vater des Herrn Jones sei als des Papstes von Rom und beschwur die ärgsten Strafen auf sich herab, wenn er eine Unwahrheit sage.

»Was soll ich davon denken?« entgegnete Allworthy. »Warum sollten Sie eine Sache so hartnäckig läugnen, da es doch mehr in Ihrem Interesse liegen müßte, sie zu gestehen?«

»Nun, Herr,« antwortete Partridge (denn er konnte nicht länger an sich halten), »wenn Sie mir nicht glauben wollen, werden Sie bald überzeugt werden. Ich wollte, Sie hätten sich in der Mutter des jungen Herrn eben so sehr geirrt als in seinem Vater.« Als ihn Allworthy darauf fragte, was er damit meine, erzählte er mit allen Symptomen des Schauders in der Stimme und im Gesichte die ganze Geschichte, ob er gleich kurz vorher Mad. Miller gebeten hatte, sie zu verheimlichen.

Allworthy schauderte über diese Entdeckung fast eben so sehr als Partridge während der Erzählung derselben. »Guter Gott!« rief er aus, »in welche Noth bringen doch Laster und Unvorsichtigkeit die Menschen! Wie weit über unsere Absichten hinaus gehen die bösen Folgen der Schlechtigkeit!«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Mad. Waters unangemeldet in das Zimmer trat. Partridge hatte sie kaum erblickt, als er ausrief: »da, Herr, kommt die Frau selbst. Das ist die unglückliche Mutter des Herrn Jones; sie wird es gewiß in Ihrer Gegenwart gestehen. Ich bitte, Madame . . .«

Mad. Waters trat, ohne irgend wie auf das zu achten was Partridge sagte, ja ohne Notiz von ihm zu nehmen, auf Allworthy zu und sagte: »es ist so lange her, seit ich Sie gesehen, Herr, daß Sie mich schwerlich wieder erkennen werden.«

83 »Sie haben sich allerdings in vieler Hinsicht so sehr verändert,« entgegnete Allworthy, »daß ich mich Ihrer wahrscheinlich nicht sogleich erinnert haben würde, wenn mir der Mann da nicht eben gesagt hätte, wer Sie sind. Führt Sie irgend ein besonderer Umstand zu mir?« Allworthy sagte dies mit vielem Ernst, denn der Leser wird es wohl glauben, daß ihm die Lebensweise dieser Frau durchaus nicht gefiel, weder die frühere noch das, was ihm Partridge erzählt hatte.

Mad. Waters antwortete: »es führt mich allerdings ein ganz besonderer Umstand zu Ihnen, welcher von der Art ist, daß ich Ihnen denselben nur unter vier Augen mittheilen kann. Ich bitte Sie deshalb, mir eine geheime Unterredung zu gönnen, denn was ich Ihnen zu sagen habe, ist von der äußersten Wichtigkeit.«

Partridge erhielt die Weisung hinaus zu gehen, ersuchte aber, ehe er ging, die Frau, Herrn Allworthy von seiner völligen Unschuld zu überzeugen. Sie antwortete darauf: »Sie brauchen nichts zu fürchten; ich werde Herrn Allworthy über diesen Punkt völlig aufklären.«

Partridge schritt darauf hinaus und was zwischen Herrn Allworthy und Mad. Waters vorging, wird in dem nächsten Kapitel zu lesen sein.


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