Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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37 Achtes Kapitel.

Enthält Verschiedenes.

Bevor wir zu Jones zurückkehren, wollen wir Sophien noch einen Besuch machen.

Obgleich sie ihre Tante durch die besänftigenden Mittel, welche wir früher angegeben haben, in recht gute Laune versetzt hatte, so hatte sie dieselbe doch nicht vermögen können, in ihrem Eifer für die Heirath mit Lord Fellamor nachzulassen. Dieser Eifer wurde noch mehr durch Lady Bellaston angefacht, die ihr am vorigen Abende gesagt hatte, nach dem Benehmen Sophiens und ihrem Verhalten gegen den Lord halte sie jeden Verzug für gefährlich; man könne auf keinem andern Wege zum Ziele kommen, als wenn man die Sache so schnell betriebe, daß das Mädchen keine Zeit zum Nachdenken habe und ihre Einwilligung geben müsse, während sie kaum wisse, was sie thue. Auf diese Weise würden, sagte sie, die Hälfte der Ehen unter Personen von Rang geschlossen, was ich allerdings auch für wahr halte und welchem Umstande wahrscheinlich auch die Zärtlichkeit zuzuschreiben ist, welche später unter so vielen glücklichen Ehepaaren herrscht.

Ein ähnlicher Wink wurde von der Dame dem Lord Fellamor gegeben und beide benutzten den Rath so bereitwillig, daß auf den Antrag des Lords von Fräulein Western d. ält. schon der nächste Tag zu einer Zusammenkunft des jungen Paares festgesetzt wurde. Dies theilte die Tante ihrer Nichte mit und sie bestand so fest darauf, daß Sophie, nachdem sie vergebens alles vorgebracht hatte, was möglicherweise dagegen gesagt werden konnte, endlich einwilligte, den höchsten Beweis von Gefälligkeit zu geben, den ein junges Mädchen geben kann und den Lord zu sehen versprach.

38 Da Gespräche dieser Art nicht sehr unterhaltend zu sein pflegen, so wird man uns entschuldigen, wenn wir nicht alles mittheilen, was bei dieser Zusammenkunft vorkam, bei welcher Sophie, nachdem der Lord vielfach seine reinste und feurigste Liebe betheuert hatte, endlich allen Muth zusammen nahm und mit leiser bebender Stimme sprach: »Mylord, Sie müssen selbst wissen, ob Ihr früheres Benehmen gegen mich Ihren jetzigen Betheuerungen entsprochen hat.«

»Kann ich,« entgegnete er, »meinen Wahnsinn auf keine Weise abbüßen? Das, was ich gethan habe, muß Sie leider nur zu sehr überzeugt haben, daß mir die Heftigkeit der Liebe den Verstand genommen hatte.«

»Es steht allerdings in Ihrer Macht,« fuhr sie fort, »mir einen Beweis von einer Zuneigung zu geben, die ich gern ermuthige.«

»Nennen Sie ihn,« fiel der Lord eifrig ein.

»Mylord,« entgegnete sie, während sie auf ihren Fächer blickte, »Sie müssen fühlen, wie unruhig mich diese Ihre angebliche Leidenschaft gemacht hat.«

»Können Sie so grausam sein und sie »angeblich« nennen?«

»Allerdings,« sprach Sophie, »alle Betheuerungen von Liebe gegen die, welche wir verfolgen, sind beleidigende Vorgaben. Diese Ihre hartnäckige Verfolgung bereitet mir große Noth und Sie benutzen dabei auf sehr unedele Art meine jetzige unglückliche Lage.«

»Liebenswürdigste, anbetungswerthe Zauberin,« fiel er ein, »beschuldigen Sie mich nicht, daß ich unedel einen Vortheil benutze, da ich nur an Ihre Ehre und Ihr Interesse denke und keine Absicht, keine Hoffnung, keinen Ehrgeiz habe, als mich, Ehre, Vermögen und Alles Ihnen zu Füßen zu legen.«

39 »Gerade dieses Vermögen, diese Ehre geben Ihnen den Vortheil, über den ich klage. Das sind die Reize, welche meine Verwandten verlockt haben, während sie mir ganz gleichgültig sind. Wenn Sie sich meine Dankbarkeit erwerben wollen, so ist dies nur auf einem Wege möglich.«

»Verzeihen Sie mir, Angebetete, es giebt gar keinen. Alles, was ich für Sie thun kann, gebührt Ihnen in dem Maße und wird mir selbst soviel Vergnügen gewähren, daß von Dank bei Ihnen gar keine Rede sein kann.«

»Allerdings können Sie sich meinen Dank erwerben und meine besten Wünsche für Sie; es wird Ihnen sehr leicht werden, denn einem edeln Herzen muß es leicht sein, meine Bitte zu erfüllen. Stellen Sie eine Verfolgung ein, durch die Sie niemals etwas erreichen werden. Um Ihret-, wie um meinetwillen bitte ich Sie um diese Gunst, denn sicher denken Sie zu edel, als daß Sie Vergnügen daran finden könnten, ein unglückliches Mädchen zu quälen. Und was können Sie sich selbst anders als Unruhe erwerben durch eine Ausdauer, die, bei meiner Ehre schwöre ich es Ihnen, mich niemals vermögen kann und vermögen wird, in welche Noth sie mich auch versetzen mag.«

Der Lord seufzte tief und sprach sodann: »bin ich so unglücklich, der Gegenstand Ihres Widerwillens und Ihrer Verachtung zu sein oder verzeihen Sie mir, wenn ich annehme, daß ein Anderer –?«

Er unterbrach sich und Sophie antwortete: »Wegen der Gründe meines Benehmens bin ich Ihnen sicherlich keine Rechenschaft schuldig. Ich danke Ihnen für den edelsinnigen Antrag, den Sie mir gemacht haben und ich gestehe, daß er meine Wünsche und Erwartungen übertroffen hat, aber ich hoffe, daß Sie nicht darauf dringen werden, meine Gründe zu erfahren, wenn ich Ihnen sage, daß ich ihn nicht anzunehmen vermag.«

40 Der Lord kam nochmals auf seine früheren Worte zurück, sagte aber zuletzt, wenn sie früher einem achtbaren Manne ihr Wort gegeben habe, so würde er sich, wie unglücklich es ihn auch mache, für verpflichtet halten, zurückzutreten. Vielleicht legte der Lord eine zu auffallende Betonung auf die Worte »einem achtbaren Manne«, denn außerdem würden wir uns den Zorn nicht erklären können, der sich auf Sophiens Gesicht aussprach, die in ihrer Antwort sehr deutlich merken ließ, daß sie beleidiget worden sei.

Während sie noch sprach und zwar lauter und stärker als gewöhnlich, trat ihre Tante mit glühenden Wangen und funkelnden Augen in das Zimmer. »Ich schäme mich, Mylord,« sagte sie, »des Empfanges, den Sie gefunden haben. Ich versichere Sie, daß wir alle die Ehre zu schätzen wissen, die Sie uns erzeigt haben und ich muß Dir sagen, Sophie, daß die Familie ein ganz anderes Verhalten von Dir erwartet.« Der Lord verwendete sich für Sophien, aber vergebens; die Tante ließ nicht nach, bis Sophie ihr Taschentuch nahm, auf einen Stuhl sank und heftig zu weinen begann.

Das weitere Gespräch zwischen Fräulein Western und dem Lord, bis derselbe sich entfernte, bestand in bittern Klagen von seiner Seite und in den stärksten Versicherungen von der ihrigen, daß ihre Nichte in Alles, was er wünsche, willigen würde und müßte. »Freilich,« setzte sie hinzu, »hat das Mädchen eine verkehrte Erziehung genossen, die sich weder für ihr Vermögen noch für ihre Familie ziemte. Ihr Vater trägt an Allem die Schuld, es thut mir leid, daß ich es sagen muß. Das Mädchen hat alberne Dorfbegriffe von Züchtigkeit. Weiter ist es, bei meiner Ehre, nichts und ich bin überzeugt, daß wir sie endlich noch dahin bringen, wohin wir sie haben wollen.«

41 Diese letztern Worte wurden in der Abwesenheit Sophiens gesprochen, welche kurz vorher das Zimmer verlassen hatte und zwar aufgeregter, als man sie je vorher gesehen. Der Lord seiner Seits verabschiedete sich darauf nach vielen Dankesäußerungen gegen Fräulein Western, den wärmsten Betheuerungen der Liebe, die durch nichts zu unterdrücken sei und vielen Versicherungen unveränderlicher Ausdauer, welche Fräulein Western vollkommen billigte und ermuthigte.

Ehe wir erzählen, was nun zwischen Fräulein Western d.. ält. und Sophien vorging, müssen wir den unglücklichen Vorfall erwähnen, welcher die Rückkehr der Tante in dem erwähnten aufgeregten Zustande veranlaßte.

Der Leser muß also wissen, daß das Mädchen, welches jetzt Sophien bediente, von der Lady Bellaston empfohlen worden war, bei der sie eine Zeit lang gewesen war. Sie hatte die gemessensten Befehle erhalten, Sophien sorgfältig zu beobachten. Diese Befehle wurden ihr durch Mamsell Honour mitgetheilt, in deren Gunst Lady Bellaston dermaßen gestiegen war, daß die große Zuneigung, welche das Mädchen früher für Sophien gehegt, durch die Anhänglichkeit an die neue Gebieterin völlig verdrängt und verwischt worden war.

Nachdem Mad. Miller sich entfernt, war Betty (so hieß das Mädchen) zu ihrer jungen Gebieterin zurückgekehrt und hatte gesehen, daß dieselbe aufmerksam einen langen Brief las. Die sichtbare Bewegung, welche sie bei dieser Gelegenheit verrieth, rechtfertigte allerdings gewissermaßen die Vermuthung, welche das Mädchen hegte und welche allerdings einen guten Grund hatte, da sie das Gespräch zwischen Sophie und Mad. Miller vollständig mit angehört hatte.

Fräulein Western erfuhr alles dies durch Betty, welche nach einiger Belobung und Belohnung für ihre Treue den 42 Befehl erhielt, jene Frau, sobald sie wieder komme, zu Fräulein Western selbst zu führen.

Unglücklicher Weise kam Mad. Miller eben als der Lord sich bei Sophien befand. Betty schickte sie der erhaltenen Anweisung gemäß sogleich zu der Tante, welche bei ihrer Kenntniß von so vielen Umständen, welche am Tage vorher geschehen waren, die arme Frau leicht beredete, Sophie habe ihr alles mitgetheilt und so von ihr alles erfuhr, was sie von dem Briefe und von Jones wußte.

Die arme Frau konnte die Einfalt selbst genannt werden. Sie gehörte zu jener Art der Sterblichen, die gern alles glauben, was man ihnen sagt, denen die Natur weder die Schutz- noch die Angriffswaffen der List und des Betrugs gegeben hat und die deshalb von jedem hintergangen werden können, der zu diesem Zwecke einige Falschheit aufbieten will. Nachdem Fräulein Western von Mad. Miller alles erfahren hatte, was dieselbe wußte und was allerdings nur wenig war, aber doch hinreichte, um auf noch mehr schließen zu lassen, entließ sie die Frau mit der Versicherung, Sophie möge sie nicht sehen, auch weder eine Antwort auf den Brief geben noch einen andern annehmen; auch ließ sie dieselbe nicht gehen ohne eine tüchtige Lection über die Verdienste eines Amtes, das sie nicht anders als Kupplerei nennen könnte. Diese Entdeckung hatte sie bereits sehr aufgebracht und als sie in dem Zimmer neben jenem, in welchem der Lord sich bei Sophien befand, Sophien warm gegen die Bewerbungen des Lords protestiren hörte, brach ihr Zorn in helle Flammen aus und sie stürzte hinein zu ihrer Nichte, wie wir bereits erzählt haben.

Sobald Lord Fellamor sich entfernt hatte, kehrte Fräulein Western zu Sophien zurück, die sie in den härtesten Ausdrücken wegen des Mißbrauches schalt, den sie von dem Vertrauen gemacht, welches man in sie gesetzt habe, so wie wegen der Hinterlist, mit einem Manne zu correspondiren, ob sie gleich den Tag vorher sich erboten, den feierlichsten Schwur abzulegen, nie wieder in irgend einen Verkehr mit ihm zu treten. Sophie äußerte ihre Verwunderung und die Tante fuhr fort: »hast Du nicht gestern einen Brief erhalten?«

»Einen Brief, Tante?« antwortete Sophie noch verlegener.

»Es schickt sich nicht, meine Worte zu wiederholen,« fiel die Tante ein. »Ich sage, Du hast einen Brief erhalten, und ich verlange, daß Du mir ihn sogleich zeigst.«

»Ich verschmähe zu lügen,« entgegnete Sophie, »ich erhielt einen Brief, aber ohne und gegen meinen Wunsch, ja ich darf wohl sagen gegen meinen Willen.«

»Du solltest Dich schon des bloßen Geständnisses schämen, ihn überhaupt erhalten zu haben; aber wo ist der Brief; ich will ihn sehen.«

Sophie schwieg nach diesem peremptorischen Verlangen einige Zeit bevor sie eine Antwort gab und endlich entschuldigte sie sich blos mit der Erklärung, sie habe den Brief nicht bei sich, was allerdings die Wahrheit war, worauf die Tante die Geduld völlig verlor und ihrer Nichte die unumwundene Frage vorlegte, ob sie sich entschließen wolle, Lord Fellamor zu heirathen oder nicht. Sophie verneinte die Frage eben so unumwunden. Die Tante betheuerte darauf mit einem Eide oder etwas dergleichen, sie würde sie am nächsten Morgen ihrem Vater wieder übergeben.

Sophie sagte nach dieser Erklärung zu ihrer Tante: »warum soll ich denn überhaupt gezwungen werden zu heirathen? Bedenken Sie, für wie grausam Sie einen solchen Zwang gehalten haben würden und um wie viel gütiger Ihre Eltern waren, da sie Ihnen völlige Freiheit ließen. Wodurch habe ich den Anspruch auf dieselbe Freiheit 44 verloren? Ich werde mich nie gegen den Willen meines Vaters und ohne Ihre Einwilligung verheirathen; ersuche ich Sie um diese Einwilligung in einem unpassenden Falle, dann dürfte es Zeit genug sein, mir eine andere Heirath aufzuzwingen.«

»Soll ich dies von einem Mädchen geduldig anhören, die einen Brief von einem Mörder in der Tasche hat?« fiel Fräulein Western ein.

»Ich habe keinen solchen Brief,« entgegnete Sophie, »und wenn er ein Mörder ist, wird er bald außer Stand gesetzt sein, Ihnen Sorge und Noth zu machen.«

»Treibst Du die Keckheit so weit, in solcher Art von ihm zu sprechen und Deine Liebe zu einem solchen Menschen mir in das Gesicht zu gestehen?«

»Sie geben meinen Worten einen seltsamen Sinn,« sprach Sophie.

»Ich kann diese Behandlung nicht länger ertragen; Du hast diese Art, Dich gegen mich zu benehmen, von Deinem Vater gelernt; er hat es Dich gelehrt, mich der Lüge zu beschuldigen. Durch sein falsches Erziehungssystem hat er Dich völlig ruinirt, und will's Gott, er soll die Früchte davon genießen, denn ich erkläre noch einmal, daß ich Dich morgen früh wieder zu ihm bringe. Ich ziehe alle meine Hilfstruppen aus dem Felde zurück und verhalte mich von nun an wie der weise König von Preußen vollkommen neutral. Ihr seid beide zu klug, als daß Ihr durch meine Maßregeln geleitet werden könntet; mache Dich also bereit, morgen früh mein Haus zu verlassen.«

Sophie sagte dagegen, was sie sagen konnte, aber ihre Tante blieb gegen Alles taub. Bei diesem Entschlusse müssen wir sie vor der Hand lassen, da keine Hoffnung da zu sein scheint, sie von demselben abzubringen.


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