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Ehrwürdige Versammlung,
Nach dem, was wir bisher ersehen, besteht die Seligkeit in der Vereinigung mit Gott als dem Einen und Absoluten. Wir aber sind in unserm unaustilgbaren Wesen nur Wissen, Bild und Vorstellung; und selbst in jenem Zusammenfallen mit dem Einen kann jene unsere Grundform nicht verschwinden. Selbst in diesem unserm Zusammenfallen mit ihm wird er nicht unser eigenstes Sein selber, sondern er schwebt uns nur vor als ein Fremdes und außer uns Befindliches, an das wir lediglich uns hingeben und anschmiegen in inniger Liebe; er schwebt uns vor an sich als gestaltlos und gehaltlos, für sich keinen bestimmten Begriff oder Erkenntnis von seinem innern Wesen gebend, sondern nur als dasjenige, durch welches wir uns und unsre Welt denken und verstehen. Auch nach der Einkehrung in ihn geht die Welt uns nicht verloren; sie erhält nur eine andere Bedeutung und wird aus einem für sich selbständigen Sein, für welches wir vorher sie hielten, lediglich zur Erscheinung und Äußerung des in sich verborgenen göttlichen Wesens in dem Wissen. Fassen Sie dieses noch einmal im ganzen also zusammen. Das göttliche Dasein – sein Dasein, sage ich, der früher gemachten Unterscheidung zufolge, seine Äußerung und Offenbarung – ist schlechthin durch sich und schlechthin notwendig Licht: das inwendige nämlich und das geistige Licht. Dieses Licht, sich selbst überlassen bleibend, zerstreut und zerspaltet sich in mannigfaltige und in unendliche Strahlen und wird auf diese Weise in diesen einzelnen Strahlen sich selber und seinem Urquelle entfremdet. Aber dasselbe Licht vermag auch durch sich selbst aus dieser Zerstreuung sich wieder zusammenzufassen und sich als Eines zu begreifen und sich zu verstehen als das, was es an sich ist, als Dasein und Offenbarung Gottes; bleibend zwar auch in diesem Verstehen das, was es in seiner Form ist – Licht; doch aber in diesem Zustande und vermittelst dieses Zustandes selber sich deutend als nichts Reales für sich, sondern nur als Dasein und Sichdarstellung Gottes.
Insbesondere war in den beiden letzten Vorlesungen und ganz besonders in der allerletzten unser Bestreben dies: der Verwandlung des an sich einzig möglichen und unveränderlichen Seins in ein anderes und zwar in ein mannigfaltiges und veränderliches Sein zuzusehen; also daß wir in den Punkt dieser Verwandlung eingeführt würden, und dieselbe vor unsern eigenen Augen vor sich ginge. Wir fanden folgendes. Zuvörderst wurde durch den Charakter des Wissens überhaupt, als eines bloßen Bildes eines von demselben unabhängig vorhandenen und bestehenden Seins, das, was an sich und in Gott lauter Tat und Leben ist, in ein ruhendes Sein oder in eine Welt überhaupt verwandelt. Zweitens wurde noch überdies durch das von allem wirklichen Wissen unabtrennbare Grundgesetz der Reflexion jene für das bloße Wissen einfache Welt weiter charakterisiert, gestaltet und zu einer besondern Welt gemacht, und zwar zu einer ins Unendliche verschiedenen und in einem nie zu endenden Strome neuer Gestaltungen ablaufenden Welt. Die hiedurch zu erzeugende Einsicht war unsers Erachtens nicht bloß dem Philosophen, sondern auch der Gottseligkeit, falls nämlich die letzte nicht bloß instinktartig und als ein dunkler Glaube in dem Menschen wohnet, sondern über ihren eigenen Grund zugleich Rechenschaft sich abzulegen begehrt, auf die gleiche Weise unentbehrlich.
Soweit waren wir in der vorigen Vorlesung fortgerückt und äußerten zum Beschlusse, daß mit dieser auf das eine Grundgesetz aller Reflexion sich gründenden Spaltung der Welt ins Unendliche noch eine andere Spaltung unzertrennlich verknüpft wäre, die wir an diesem Orte, wenn auch nicht abzuleiten, denn doch historisch deutlich anzugeben und zu beschreiben hätten. Ich fasse diese neue und zweite Spaltung im allgemeinen hier nicht tiefer, denn so. Erstens ist sie in ihrem innern Wesen von der in der vorigen Stunde abgeleiteten, hier soeben wieder erwähnten Spaltung also verschieden, daß jene die durch die Form des Wissens überhaupt aus dem göttlichen Leben entstandene, stehende Welt unmittelbar spaltet und teilet; dagegen die jetzt zu betrachtende nicht unmittelbar das Objekt, sondern nur die Reflexion auf das Objekt spaltet und teilet. Jene ist eine Spaltung und Einteilung in dem Objekte selber; diese ist nur eine Spaltung und Einteilung in der – Ansicht des Objekts, nicht, wie jene, gebend an sich verschiedene Objekte, sondern nur verschiedene Weisen, die Eine bleibende Welt innerlich anzusehen, zu nehmen und zu verstehen. Zweitens ist nicht außer acht zu lassen, daß diese beiden Spaltungen – nicht etwa eine die Stelle der andern vertreten und so sich gegenseitig verdrängen können, sondern daß sie beide unabtrennlich und so in Einem Schlage sind, so wie nur die Reflexion, deren unveränderliche Formen sie sind, überhaupt ist; daß daher auch die Resultate der beiden unabtrennlich sich begleiten und nebeneinander fortgehen. – Das Resultat der ersten Spaltung ist, wie wir in der vorigen Rede zeigten, die Unendlichkeit; das Resultat der zweiten ist, wie wir damals erwähnten, eine Fünffachheit: somit ist die jetzt behauptete Unabtrennlichkeit beider Spaltungen also zu verstehen, daß die ganze bleibende und nie aufzuhebende Unendlichkeit in ihrer Unendlichkeit auf eine fünffache Weise angesehen werden könne; und wiederum, daß jede der fünf möglichen Ansichten der Welt denn doch wieder die eine Welt in ein Unendliches spalte. Und so fassen Sie denn alles bis jetzt Gesagte also in einen Überblick zusammen. Im geistigen Sehen wird das, was an sich göttliches Leben ist, zu einem Gesehenen, d. i. zu einem vollendet Vorhandenen oder zu einer Welt. Welches das erste wäre. Dieses Sehen ist nun immer ein Akt, genannt Reflexion, und durch diesen Akt, teils als gehend auf sein Objekt, die Welt, teils als gehend auf sich selber, wird jene Welt in ein unendliches Fünffache oder, was dasselbe sagt, in eine fünffache Unendlichkeit gespalten. Welches das zweite wäre. Um nun hier zunächst bei der zweiten Spaltung, als dem eigentlichen Gegenstande unserer heutigen Betrachtung, stehen zu bleiben, machen wir über dieselbe noch folgende allgemeine Bemerkungen.
Es gibt diese Spaltung, wie schon erwähnt, nicht eine Einteilung im Objekte, sondern nur eine Einteilung, Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit in der Ansicht des Objekts. Es scheint sich der Gedanke aufzudringen, daß diese Verschiedenheit, nicht des Objekts, sondern der Ansicht desselben, allenthalben bleibenden Objekts, nur in der Dunkelheit oder Klarheit, der Tiefe oder Flachheit, der Vollständigkeit oder Unvollständigkeit dieser Ansicht der einen bleibenden Welt, beruhen könne. Und so verhält es sich denn allerdings; oder, daß ich an etwas hier schon Vorgetragenes anknüpfe und das Vorliegende durch jenes, sowie gegenseitig jenes durch das Vorliegende verständlicher mache: die erwähnten fünf Weisen, die Welt zu nehmen, sind dasselbe, was ich in der dritten Vorlesung die verschiedenen möglichen Stufen und Entwicklungsgrade des innern geistigen Lebens nannte, als ich sagte, daß es sich in der Regel mit dem Fortschritte des im eigentlichen Sinne uns angehörigen, freien und bewußten geistigen Lebens so verhalte, wie mit dem Fortschritte des physischen Todes, und daß das erstere ebenso wie der letztere in den entferntesten Gliedmaßen beginne und von ihnen aus nur allmählich fortrücke zum Mittelpunkte. Was ich in dem damals gebrauchten Bilde die Außenwerke des geistigen Lebens nannte, sind in der gegenwärtigen Darstellung die niedrigsten, dunkelsten und oberflächlichsten unter den fünf möglichen Weisen, die Welt zu nehmen; was ich edlere Lebensteile und das Herz nannte, sind die höhern und klärern und die höchste und allerklärste von diesen Weisen Vgl. die dritte Vorlesung; S. 37 f..
Ohnerachtet aber, sowohl nach unserm damaligen Gleichnisse, als nach unserer gegenwärtigen Darstellung, in dem gewöhnlichen Gange des Lebens und nach der Regel der Mensch nur, nachdem er in einer niedrigen Weise, die Welt zu deuten, eine Zeitlang beruhet, zu einer höhern sich erhebt: so ist doch darum fürs erste ja nicht zu leugnen, sondern ausdrücklich zu bedenken und festzuhalten, daß jene vielfache Ansicht der Welt eine wahre und ursprüngliche Spaltung sei, wenigstens in dem Vermögen des Menschen, die Welt zu nehmen. Verstehen Sie mich also: jene höhern Weltansichten entstehen nicht etwa erst in der Zeit und so, daß die ihnen durchaus entgegengesetzten sie erst erzeugten und möglich machten; sondern sie sind von aller Ewigkeit in der Einheit des göttlichen Daseins da als notwendige Bestimmungen des Einen Bewußtseins, gesetzt auch, kein Mensch erfaßte sie; und keiner, der sie erfaßt, kann sie erdenken und durch Denken erzeugen, sondern er vermag nur sie zu finden und sich anzueignen. Zweitens aber ist jener allmähliche Fortschritt auch nur der gewöhnliche Gang und die Regel, welche durchaus nicht ohne Ausnahme gilt. Wie durch ein Wunder finden durch Geburt und Instinkt einige Begeisterte und Begünstigte ohne ihr eigenes Wissen sich in einem höhern Standpunkte der Weltansicht; welche nun von ihrer Umgebung ebensowenig begriffen werden, als von ihrer Seite sie dieselbe zu begreifen vermögen. In diesem Falle befanden von Anbeginn der Welt an sich alle Religiösen, Weisen, Heroen, Dichter, und durch diese ist alles Große und Gute in die Welt gekommen, was in ihr sich befindet. Wiederum sind andere Individuen und, wo die Ansteckung recht gefährlich wird, ganze Menschenalter mit wenig Ausnahmen durch denselben, nicht weiter zu erklärenden Instinkt also in die gemeine Ansicht hineingebannt und hineingewurzelt, daß selbst der allerklärste und einleuchtendste Unterricht sie nicht dahin bringt, ihr Auge auch nur einen Augenblick über den Boden zu erheben und irgend etwas anderes zu fassen, als was mit den Händen sich fassen läßt.
Soviel im allgemeinen über die angegebene neue Einteilung in der Weise, die Eine Welt anzusehen; und jetzt zur Aufstellung der einzelnen Glieder dieser Einteilung!
Die erste, niedrigste, oberflächlichste und verworrenste Weise, die Welt zu nehmen, ist die, wenn man dasjenige für die Welt und das wirklich Daseiende hält, was in die äußern Sinne fällt: dies für das Höchste, Wahrhafte und für sich Bestehende. Diese Ansicht ist auch in diesen unsern Vorlesungen, besonders in der dritten, sattsam geschildert, deutlich, wie es mir scheint, charakterisiert und schon damals durch einen selber nur auf der Oberfläche liegenden Wink in ihrer Verwerflichkeit und Seichtigkeit hinlänglich dargestellt worden? S. 40.. Daß es dem ohnerachtet die Ansicht unserer Weltweisen und des in ihrer Schule gebildeten Zeitalters sei, ist gleichfalls zugestanden, so wie zugleich gezeigt worden, daß diese Ansicht keinesweges in ihrer Logik liege, indem überhaupt aller Logik jene Ansicht ins Gesicht widerspricht, sondern in ihrer Liebe. Hiebei kann ich nun mich nicht länger aufhalten; denn auch in diesen Vorlesungen müssen wir weiterkommen und darum einiges als nun für immer abgetan hinter uns lassen. Ob nun jemand auf seinem Sinne bestehe und fortfahre zu sagen: aber diese Dinge sind ja offenbar, wirklich und wahrhaftig da; denn ich sehe sie ja, und höre sie usw.; so wisse dieser, daß wir uns durch seine dreiste Versicherung und seinen festen Glauben gar nicht irre machen lassen, sondern daß es bei unserm kategorischen, unumwundenen und ganz nach den Worten zu verstehenden: Nein, diese Dinge sind nicht, gerade darum, weil sie sichtbar und hörbar sind, auf einmal für immer verbleibt; und daß wir mit einem solchen, als der Verständigung und Belehrung durchaus unfähig, gar nicht weiter reden können.
Die zweite, aus der ursprünglichen Spaltung möglicher Ansichten der Welt hervorgehende Ansicht ist die, da man die Welt erfasset als ein Gesetz der Ordnung und des gleichen Rechts in einem Systeme vernünftiger Wesen. Verstehen Sie mich gerade also, wie die Worte lauten. Ein Gesetz, und zwar ein ordnendes und gleichendes Gesetz für die Freiheit mehrerer ist dieser Ansicht das eigentliche Reale und für sich selber Bestehende, dasjenige, mit welchem die Welt anhebt und worin sie ihre Wurzel hat. Falls hiebei jemand sich wundern sollte, wie denn ein Gesetz, daß da ja, wie ein solcher sich ausdrücken würde, ein bloßes Verhältnis und lediglich ein Abstraktionsbegriff sei, für ein selbständiges gehalten werden könne, so käme einem solchen die Verwunderung lediglich daher, daß er nichts als real fassen könnte, außer der sichtbaren und fühlbaren Materie; und er gehörte sonach unter diejenigen, mit denen wir gar nicht reden. Ein Gesetz, sage ich, ist für diese Weltansicht das erste, was da allein wahrhaftig ist, und durch welches alles andere, was da ist, erst da ist. Freiheit und ein Menschengeschlecht ist hier das zweite, vorhanden lediglich, weil ein Gesetz an die Freiheit notwendig Freiheit und freie Wesen setzt; und der einige Grund und Beweis der Selbständigkeit des Menschen ist in diesem Systeme das in seinem Innern sich offenbarende Sittengesetz. Eine Sinnenwelt endlich ist ihr das dritte; diese ist lediglich die Sphäre des freien Handelns der Menschen; vorhanden dadurch, daß ein freies Handeln Objekte dieses Handelns notwendig setzt. In Absicht der aus dieser Ansicht hervorgehenden Wissenschaften gehört hierher nicht bloß die Rechtslehre, als aufstellend die juridischen Verhältnisse der Menschen, sondern auch die gewöhnliche Sittenlehre, die nur darauf ausgeht, daß keiner dem andern unrecht tue und nur jeder das Pflichtwidrige, ob es nun durch ein ausdrückliches Gesetz des Staats verboten sei oder nicht, unterlasse. Beispiele zu dieser Ansicht der Welt lassen aus der gewöhnlichen Ansicht des Lebens sich nicht beibringen, indem diese, in die Materie gewurzelt, nicht einmal zu ihr sich erhebt; aber in der philosophischen Literatur ist Kant, wenn man seine philosophische Laufbahn nicht weiter, als bis zur Kritik der praktischen Vernunft verfolgt, das getroffenste und konsequenteste Beispiel dieser Ansicht; den eigentlichen Charakter dieser Denkart, den wir oben so ausdrückten, daß die Realität und Selbständigkeit des Menschen nur durch das in ihm waltende Sittengesetz bewiesen, und daß er lediglich dadurch etwas an sich werde, drückt Kant aus mit denselben Worten. – Auch wir für unsere Person haben diese Weltansicht, niemals zwar als die höchste, aber als den eine Rechtslehre und eine Sittenlehre begründenden Standpunkt in unserer Bearbeitung dieser beiden Disziplinen angegeben Fichte bezieht sich hier auf die Grundlage des Naturrechts 1796 und das System der Sittenlehre 1798., durchgeführt und, wie wir uns bewußt sind, nicht ohne Energie ausgesprochen; es kann daher in unserm Zeitalter denen, welche für das Gesagte sich näher interessieren, nicht an Exemplaren der beschriebenen zweiten Weltansicht fehlen. Übrigens gehört die reinmoralische innere Gesinnung, daß lediglich um des Gesetzes willen gehandelt werde, die auch in der Sphäre der niedern Moralität stattfindet und deren Einschärfung weder von Kant, noch von uns vergessen worden, nicht hierher, wo wir es allein mit den Objekten zu tun haben.
Eine allgemeine Bemerkung, welche für alle folgenden Gesichtspunkte mit gilt, will ich gleich bei diesem, wo sie sich am klärsten machen läßt, beibringen. Nämlich dazu, daß man überhaupt einen festen Standpunkt seiner Weltansicht habe, gehört, daß man das Reale, das Selbständige und die Wurzel der Welt in Einen, bestimmten und unveränderlichen Grundpunkt setze, aus welchem man das übrige, als nur teilhabend an der Realität des ersten und nur mittelbar gesetzt, durch jenes erste ableite: geradeso, wie wir oben, im Namen der zweiten Weltansicht, das Menschengeschlecht als das zweite und die Sinnenwelt als das dritte aus dem ordnenden Gesetze als dem ersten abgeleitet haben. Keinesweges aber gilt es, daß man die Realitäten mische und menge und etwa der Sinnenwelt die ihrige zumessen, aber doch auch nebenbei der moralischen Welt die ihrige nicht absprechen wolle, wie zuweilen die ganz Verworrenen diese Fragen abzutun suchen. Solche haben gar keinen festen Blick und gar keine gerade Richtung ihres geistigen Auges, sondern sie schielen immerfort auf das Mannigfaltige. Weit vorzüglicher, denn sie, ist der, der sich entschieden an die Sinnenwelt hält und alles übrige außer ihr ableugnet; denn ob er schon ebenso kurzsichtig ist als sie, so ist er doch nicht noch überdies ebenso feig und mutlos. – In Summa: eine höhere Weltansicht duldet nicht etwa neben sich auch die niedere, sondern jede höhere vernichtet ihre niedere – als absolute und als höchsten Standpunkt – und ordnet dieselbe sich unter Diese Bemerkung klingt wie ein Vorspiel auf Hegel und den evolutionistischen Idealismus, für den alles Frühere in dem Späteren »aufgehoben«, d. i. zugleich in seiner Absolutheit vernichtet und in der ihm zukommenden begrenzten Wahrheit dauernd festgehalten ist. Bei genauerer Betrachtung jedoch kann dieser Satz nur den Wert eines Zwischensatzes behaupten, der den antievolutionistischen Grundzug der Fichteschen Spekulation nicht abzuschwächen vermag. Wahrheit und Entwicklung schließen nach Fichte einander aus. – Vgl. S. XLII der Einleitung..
Die dritte Ansicht der Welt ist die aus dem Standpunkte der wahren und höhern Sittlichkeit. Es ist nötig, über diesen dem Zeitalter so gut als ganz verborgnen Standpunkt sehr bestimmte Rechenschaft abzulegen. – Auch ihm ist, ebenso wie dem jetzt beschriebenen zweiten Standpunkte, ein Gesetz für die Geisterwelt das Höchste, Erste und absolut Reale; und hierin kommen die beiden Ansichten überein. Aber das Gesetz des dritten Standpunktes ist nicht, so wie das des zweiten, lediglich ein das Vorhandene ordnendes, sondern vielmehr ein das Neue und schlechthin nicht Vorhandene innerhalb des Vorhandenen erschaffendes Gesetz. Jenes ist nur negativ, nur aufhebend den Widerstreit zwischen den verschiedenen freien Kräften und herstellend Gleichgewicht und Ruhe; dieses begehrt, die dadurch in Ruhe gebrachte Kraft wieder auszurüsten mit einem neuen Leben. Es strebt an, könnte man sagen, nicht bloß, wie jenes, die Form der Idee, sondern die qualitative und reale Idee selber. Sein Zweck läßt sich kurz also angeben: es will die Menschheit in dem von ihm Ergriffenen, und durch ihn in andern, in der Wirklichkeit zu dem machen, was sie ihrer Bestimmung nach ist, zum getroffenen Abbilde, Abdrucke und zur Offenbarung des innern göttlichen Wesens. – Die Ableitungsleiter dieser dritten Weltansicht, in Absicht der Realität, ist daher diese: das wahrhaft Reale und Selbständige ist ihr das Heilige, Gute, Schöne; das zweite ist ihr die Menschheit, als bestimmt, jenes in sich darzustellen; das ordnende Gesetz in derselben, als das dritte, ist ihr lediglich das Mittel, um für ihre wahre Bestimmung sie in innere und äußere Ruhe zu bringen; endlich die Sinnenwelt, als das vierte, ist ihr lediglich die Sphäre für die äußere und innere, niedere und höhere Freiheit und Moralität – lediglich die Sphäre für die Freiheit, sage ich: was sie auf allen höhern Standpunkten ist und bleibt und niemals eine andere Realität an sich zu bringen vermag.
Exemplare dieser Ansicht finden sich in der Menschengeschichte, freilich nur für den, der ein Auge hat, sie zu entdecken. Durch höhere Moralität allein und durch die von ihr Ergriffenen ist Religion und insbesondere die christliche Religion, ist Weisheit und Wissenschaft, ist Gesetzgebung und Kultur, ist die Kunst, ist alles Gute und Achtungswürdige, das wir besitzen, in die Welt gekommen. In der Literatur finden sich, außer in Dichtern zerstreut, nur wenig Spuren dieser Weltansicht; unter den alten Philosophen mag Plato eine Ahndung derselben haben, unter den neuern Jacobi zuweilen an diese Region streifen
Vgl.
Fichte an
Jacobi, den 8. Mai 1806: Die Stelle, wo im Vorbeigehen Ihrer gedacht wird, werden Sie nicht unrecht verstehen, sondern einsehen, daß ich Ihrer ehrenvolle Erwähnung tun wollte. Welche Stellen Ihrer Schriften mir dabei vorgeschwebt, wird Ihnen nicht entgehen. Daß Sie jedoch diesen Punkt nicht in vollendete Klarheit gesetzt, noch als hervorgehend aus dem ganzen Systeme des Denkens vorgetragen, werden Sie nicht in Abrede setzen wollen. Und so konnte ich nur von
daran streifen reden; keineswegs aber von – mit klarer Spekulation nämlich, denn von etwas anderm ist hier nicht die Rede –
darin wohnen und
zu Hause sein. (J. G. Fichtes Leben und literarischer Briefwechsel II2 1862, S. 178.)
Worin die Jacobische Erleuchtung besteht, ist im Text angedeutet. Es ist die Fichtes eigener Spekulation so nahe stehende und verwandte, aber im Gärungsprozeß der Ahnung stecken gebliebene Auffassung der Menschheit als der großen und einziglebendigen Manifestation des göttlichen Wesens – eine Ahnung, um derentwillen er schon 1799, in der Appellation an das Publikum, hoch gelobt und gepriesen wird (W W V 232). –
Jacobi war überhaupt der einzige mitlebende Denker von Ruf, mit welchem
Fichte sich dauernd verstand – oder doch zu verstehen meinte. Den tiefsten Denker unserer Zeit nennt er ihn 1800 in einem Briefe an
Reinhold, und Jacobi seinerseits feiert Fichte in dem offenen Sendschreiben von 1799 mit starken Worten als den wahren Messias der spekulativen Vernunft (W W III 9). – Zur Sache vgl. das vortreffliche Kapitel: Fichte und Jacobi, bei E.
Zirngiebl, Friedrich Heinrich Jacobis Leben, Dichten und Denken, 1867, S. 102 ff., wo die Berührungs- und Differenzpunkte der beiden Denker klar und lichtvoll dargestellt sind.
Jacobi hat ursprünglich die Absicht gehabt, sich mit Fichtes Beurteilung öffentlich, dann, als sich dies durch eine Krankheit verschleppte, wenigstens brieflich auseinanderzusetzen. Doch ist auch dieser Brief nicht abgegangen, sondern augenscheinlich Fragment geblieben (dies alles nach dem Brief an Friedrich
Koeppen, vom 16. Sept. 1806; Jacobis auserlesener Briefwechsel II 1827, S. 396); und es ist nur zu bedauern, daß sich nicht wenigstens dieses Fragment in seinem Nachlaß gefunden hat. Wenigstens nicht in druckfähigem Zustande; denn es findet sich weder in der Briefsammlung von Roth, noch in der Nachlaßsammlung von
Zoeppritz..
Die vierte Ansicht der Welt ist die aus dem Standpunkte der Religion; welche, falls sie hervorgehet aus der dritten soeben beschriebenen Ansicht und mit ihr vereinigt ist, beschrieben werden müßte als die klare Erkenntnis, daß jenes Heilige, Gute und Schöne keinesweges unsere Ausgeburt oder die Ausgeburt eines an sich nichtigen Geistes, Lichtes, Denkens, sondern daß es die Erscheinung des innern Wesens Gottes in uns, als dem Lichte, unmittelbar sei, sein Ausdruck und sein Bild, durchaus und schlechthin und ohne allen Abzug also, wie sein inneres Wesen herauszutreten vermag in einem Bilde. Diese, die religiöse Ansicht, ist eben diejenige Einsicht, auf deren Erzeugung wir in den bisherigen Vorlesungen hingearbeitet haben, und welche wir nun in dem Zusammenhange ihrer Grundsätze schärfer und bestimmter also ausdrücken können. 1. Gott allein ist, und außer ihm nichts – ein, wie mir es scheint, leicht einzusehender Satz und die ausschließende Bedingung aller religiösen Ansicht. 2. Indem wir nun auf diese Weise sagen: Gott ist, haben wir einen durchaus leeren, über Gottes inneres Wesen schlechthin keinen Aufschluß gebenden Begriff. Was wollten wir denn aus diesem Begriffe auf die Frage antworten, was denn nun Gott sei? – Der einzig mögliche Zusatz, daß er absolut sei, von sich, durch sich, in sich, ist selbst nur die an ihm dargestellte Grundform unsers Verstandes und sagt nichts weiter aus, als unsre Denkweise desselben, noch dazu nur negativ und wie wir ihn nicht denken sollen; d. h. wir sollen ihn nicht von einem andern ableiten, so wie wir, durch das Wesen unsers Verstandes genötiget, mit andern Gegenständen unsers Denkens verfahren. Dieser Begriff von Gott ist daher ein gehaltloser Schattenbegriff; und indem wir sagen: Gott ist, ist er eben für uns innerlich Nichts und wird gerade, durch dieses Sagen selber, zu Nichts. 3. Nun aber tritt Gott dennoch, wie wir dies oben fleißig auseinandergesetzt haben, außer diesem leeren Schattenbegriffe in seinem wirklichen, wahren und unmittelbaren Leben in uns ein; oder strenger ausgedrückt, wir selbst sind dieses sein unmittelbares Leben. – Wohl: von diesem unmittelbaren göttlichen Leben aber wissen wir nicht; und da, gleichfalls nach unsrer Äußerung, unser eigenes, uns angehöriges Dasein nur dasjenige ist, was wir im Bewußtsein erfassen können, so bleibt jenes unser Sein in Gott, ohnerachtet es in der Wurzel immer das unsrige sein mag, uns dennoch ewig fremd, und so in der Tat und Wahrheit für uns selbst nicht unser Sein; wir sind durch jene Einsicht um nichts gebessert und bleiben von Gott ebenso entfernt, als je. – Wir wissen von jenem unmittelbaren göttlichen Leben nichts, sagte ich; denn mit dem ersten Schlage des Bewußtseins schon verwandelt es sich in eine tote Welt, die sich noch überdies in fünf Standpunkte ihrer möglichen Ansicht teilt. Mag es doch immer Gott selber sein, der hinter allen diesen Gestalten lebet; wir sehen nicht ihn, sondern immer nur seine Hülle; wir sehen ihn als Stein, Kraut, Tier, sehen ihn, wenn wir höher uns schwingen, als Naturgesetz, als Sittengesetz, und alles dieses ist doch immer nicht Er. Immer verhüllet die Form uns das Wesen; immer verdeckt unser Sehen selbst uns den Gegenstand, und unser Auge selbst steht unserm Auge im Wege. – Ich sage dir, der du so klagest: erhebe dich nur in den Standpunkt der Religion und alle Hüllen schwinden; die Welt vergehet dir mit ihrem toten Prinzip, und die Gottheit selbst tritt wieder in dich ein, in ihrer ersten und ursprünglichen Form, als Leben, als dein eignes Leben, das du leben sollst und leben wirst. Nur noch die Eine, unaustilgbare Form der Reflexion bleibt, die Unendlichkeit dieses göttlichen Lebens in Dir, welches in Gott freilich nur Eins ist; aber diese Form drückt dich nicht; denn du begehrst sie und liebst sie: sie irret dich nicht; denn du vermagst sie zu erklären. In dem, was der heilige Mensch tut, lebet und liebet, erscheint Gott nicht mehr im Schatten oder bedeckt von einer Hülle, sondern in seinem eignen, unmittelbaren und kräftigen Leben; und die aus dem leeren Schattenbegriffe von Gott unbeantwortliche Frage: was ist Gott, wird hier so beantwortet: er ist dasjenige, was der ihm Ergebene und von ihm Begeisterte tut. Willst du Gott schauen, wie er in sich selber ist, von Angesicht zu Angesicht? Suche ihn nicht jenseit der Wolken; du kannst ihn allenthalben finden, wo du bist. Schaue an das Leben seiner Ergebenen, und du schaust Ihn an; ergib dich selber ihm, und du sinkest ihn in deiner Brust Vgl. die Erlanger Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten, Reclam, S. 141: Daß ein Gott sei, leuchtet dem nur ein wenig ernsthaften Nachdenken über die Sinnenwelt ohne Schwierigkeit ein. Man muß zuletzt doch damit enden, demjenigen Dasein, was insgesamt nur in einem andern Dasein gegründet ist, ein Dasein zugrunde zu legen, welches den Grund seines Daseins in sich selber habe, und dem in unaufhaltbarem Zeitflusse hinfließenden Veränderlichen ein Dauerndes und Unveränderliches zum Träger zu geben. Unmittelbar sichtbar aber, und wahrnehmbar durch alle auch äußere Sinne, erscheint die Gottheit und tritt ein in die Welt in dem Wandel göttlicher Menschen. In diesem Wandel stellt sich dar die Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens in der Festigkeit und Unerschütterlichkeit des menschlichen Wollens, das schlechthin durch keine Gewalt von der vorgezeichneten Bahn abzubringen ist. In ihm stellet sich dar Gottes innere Klarheit an der menschlichen Erfassung und Umfassung alles Irdischen in dem Einen, das da ewig dauert. In ihm stellet sich dar Gottes Wirken, nicht gerade in der Beglückung, worin auch das göttliche Wirken nicht besteht, sondern in dem Ordnen, Veredeln und Würdigmachen des menschlichen Geschlechtes. Ein göttlicher Wandel ist der entscheidendste Beweis, den Menschen für das Dasein Gottes führen können..
Dies, E. V., ist die Ansicht der Welt und des Seins vom Standpunkte der Religion.
Die fünfte und letzte Ansicht der Welt ist die aus dem Standpunkte der Wissenschaft.
Der Wissenschaft, sage ich, der Einen, absoluten und in sich selber vollendeten. Die Wissenschaft erfasset alle diese Punkte der Verwandlung des Einen in ein Mannigfaltiges, und des Absoluten in ein Relatives, vollständig, in ihrer Ordnung und in ihrem Verhältnisse
zueinander, allenthalben und von jedem einzelnen Standpunkte aus zurückzuführen vermögend nach dem Gesetze jedes Mannigfaltige auf die Einheit, oder aus der Einheit abzuleiten vermögend jedes Mannigfaltige: so wie wir die Grundzüge dieser Wissenschaft in dieser und in den letzten beiden Vorlesungen vor Ihren Augen entwickelt haben. Sie, die Wissenschaft, geht über die Einsicht,
daß schlechthin alles Mannigfaltige in dem Einen gegründet und auf dasselbe zurückzuführen sei, welche schon die Religion gewährt, hinaus zu der Einsicht des Wie dieses Zusammenhanges; und für sie wird genetisch, was für die Religion nur ein absolutes Faktum ist. Die Religion, ohne Wissenschaft, ist irgendwo ein bloßer, demohngeachtet jedoch unerschütterlicher Glaube; die Wissenschaft hebt allen Glauben auf und verwandelt ihn in Schauen
Dieser Satz ist aus einem doppelten Grunde anzustreichen. Erstens historisch: er ist, in dieser Formulierung, die Keimzelle der
Hegelschen Religionsphilosophie, nach der sich bekanntlich Religion und Philosophie wie halb und ganz verstandener Besitz des Absoluten unterscheiden. Daher das Dogma von der Selbstvollendung der Religion durch die Philosophie, dem Fichte hier, wenn auch mit der Einschränkung, daß das »gottselige Leben keineswegs durch sie bedingt ist«, zuzustimmen scheint.
Zweitens aber – und das ist das Wichtigere – ist dieser Satz zu bemerken wegen der erheblichen Schwierigkeiten, in die er den aufmerksamen Leser verwickelt. In den ersten vier Vorlesungen ist Religion Besitz des lebendigen Gottes im Clement des reinen Gedankens. In den folgenden Vorlesungen ist's ebenso; nur daß der Affekt der reinen Liebe, die aus dem reinen Gedanken hervorquillt, noch selbständiger zur Geltung kommt. Hier, in der fünften Vorlesung, fällt, in der Entwicklung des religiösen Standpunktes, das Clement des reinen Gedankens ganz aus. Religion ist Hingabe an das Leben des Einen und Ausdruck dieser Hingabe in Gesinnung und Tat, ohne Wissenshintergründe, die vielmehr erst auf dem fünften Standpunkte erscheinen und nun ihrerseits die anscheinend bereits vollendete Religion erst auf die letzte Höhe heben.
Wie löst sich dieser Widerspruch? Er löst sich wohl so, wie Rudolf
Seydel, der erste, verdienstvolle Entdecker der hier vorliegenden Verwirrung, scharfsinnig gezeigt hat. (Religionsphilosophie, herausgegeben von P. W.
Schmiedel 1893, S. 20 ff.) Die für den vierten Standpunkt bestellte Religion ist gar nicht eigentlich zu nehmen, sondern ist nur Durchgangsstufe. Es ist sozusagen die urwüchsige, naive Religion, die für
Hegel sehr selbständige Bedeutung hat, für
Fichte dagegen nur an dieser Stelle, sonst nirgend existiert. Er kennt sonst nur die kultivierte, d. i. die mit dem Quellwasser des »konsequenten« Idealismus getaufte Religion.
Seydel hat offenbar recht, wenn er sagt, daß es lediglich das konstruktive Bedürfnis mit seiner apriorischen Forderung der Fünfzahl gewesen ist, welches hier einen Religionsbegriff aufgepflanzt hat, der
Fichtes sonstigen Anschauungen widerspricht und weder nach rückwärts, noch nach vorwärts genügend verankert ist, um fest zu stehen (S. 22). Besonders bemerkenswert ist noch, daß in der ausführlichen Beschreibung des religiösen Menschen in der neunten und zehnten Vorlesung die Religion des vierten Standpunktes von der des fünften überhaupt nicht mehr unterschieden, sondern als eine unteilbare, identische Größe behandelt wird. (Vgl. Anm. 51.) – Man hüte sich also, die Fichtesche Religiosität von diesem Punkte aus zu konstruieren! Vgl. die folgende Anmerkung.. – Da wir hier diesen wissenschaftlichen Standpunkt keinesweges als zu unsrem eigentlichen Zwecke gehörig, sondern nur um der Vollständigkeit willen angeben, so sei es genug, über ihn nur folgendes hinzuzusetzen. Das gottselige und selige Leben ist durch ihn zwar keinesweges bedingt; dennoch aber gehört die Anforderung, diese Wissenschaft in uns und andern zu realisieren, in das Gebiet der höhern Moralität. Der wahrhaftige und vollendete Mensch soll durchaus in sich selber klar sein; denn die allseitige und durchgeführte Klarheit gehört zum Bilde und Abdrucke Gottes. Von der andern Seite aber kann freilich keiner diese Anforderung an sich selber tun, an den sie nicht schon ohne alles sein Zutun ergangen und dadurch selbst ihm erst klar und verständlich geworden ist.
Noch ist folgendes über die angezeigten fünf Standpunkte anzumerken und dadurch das Bild des Religiösen zu vollenden.
Die beiden zuletzt genannten Standpunkte, der wissenschaftliche sowohl, als der religiöse, sind lediglich betrachtend und beschauend, keinesweges an sich tätig und praktisch. Sie sind bloße stehende und ruhende Ansicht, die im Innern des Gemütes bleibt, keinesweges aber zu einem Handeln treibende und in demselben ausbrechende Ansicht. Dagegen ist der dritte Gesichtspunkt, der der höhern Moralität, praktisch und zu einem Handeln treibend. Und jetzt setze ich hinzu: die wahrhaftige Religion, ohnerachtet sie das Auge des von ihr Ergriffenen zu ihrer Sphäre erhebt, hält dennoch sein Leben in dem Gebiete des Handelns und des echt moralischen Handelns fest. Wirkliche und wahre Religiosität ist nicht lediglich betrachtend und beschauend, nicht bloß brütend über andächtigen Gedanken, sondern sie ist notwendig tätig. Sie besteht, wie wir gesehen, in dem innigen Bewußtsein, daß Gott in uns wirklich lebe und tätig sei und sein Werk vollziehe. Ist nun in uns überhaupt kein wirkliches Leben und geht keine Tätigkeit und kein erscheinendes Werk von uns aus, so ist auch Gott nicht in uns tätig. Unser Bewußtsein von der Vereinigung mit Gott ist sodann täuschend und nichtig, ein leeres Schattenbild eines Zustandes, welcher der unsrige nicht ist; vielleicht die allgemeine, aber tote Einsicht, daß ein solcher Zustand möglich und in andern vielleicht wirklich sei, an welchem wir jedoch nicht den geringsten Anteil haben. Wir sind aus dem Gebiete der Realität geschieden und wieder in das Original: den. des leeren Schattenbegriffs verbannt. Das letztere ist Schwärmerei und Träumerei, weil ihr keine Realität entspricht; und diese Schwärmerei ist eines der Gebrechen des Mystizismus, dessen wir früher erwähnten und ihn der wahren Religion entgegensetzten; durch lebendige Tätigkeit unterscheidet sich die wahre Religiosität von jener Schwärmerei. Die Religion ist nicht bloßes andächtiges Träumen, sagte ich; die Religion ist überhaupt nicht ein für sich bestehendes Geschäft, das man, abgesondert von andern Geschäften, etwa in gewissen Tagen und Stunden, treiben könnte; sondern sie ist der innere Geist, der alles unser, übrigens seinen Weg ununterbrochen fortsetzendes Denken und Handeln durchdringt, belebt und in sich eintaucht. – Daß das göttliche Leben und Walten wirklich in uns lebe, ist unabtrennlich von der Religion, sagte ich. Doch kommt es dabei, wie es nach dem unter dem dritten Standpunkte Gesagten scheinen möchte, keinesweges an auf die Sphäre, in welcher man handelt. Wen seine Erkenntnis zu den Objekten der höhern Moralität erhebt, dieser wird freilich, falls ihn die Religion ergreift, in dieser Sphäre leben und handeln, weil diese sein eigentümlicher Beruf ist. Wer einen niedern hat, dem wird selbst dieser niedere durch die Religion geheiliget, und erhält durch sie, wenn auch nicht das Materiale, dennoch die Form der höhern Moralität; zu welcher nichts mehr gehört, als daß man sein Geschäft als den Willen Gottes an uns und in uns erkenne und liebe. So jemand in diesem Glauben sein Feld bestellt oder das unscheinbarste Handgewerbe mit Treue treibt, so ist dieser höher und seliger, als ob jemand, falls dies möglich wäre, ohne diesen Glauben die Menschheit auf Jahrtausende hinaus beglückseligte Hier haben wir erst den Vollbegriff der Fichteschen Religion, und zwar in einer über alles bisher Gesagte hinausgreifenden Fülle, Spannung und Kraft. Diese Religion ist nichts Geringeres, als die die geteilten Kräfte der drei höheren Standpunkte zu einem Ganzen von beispielloser Stoßkraft sammelnde Einheit dieser drei höheren Standpunkte: Tatkraft, Hingebung und hellklarer Gedanke, gebunden im Element der Gesinnung, und so das Urphänomen alles menschlichen Seins, der »innere Geist, der alles unser ... Denken und Handeln durchdringt, belebt und in sich eintaucht«. – Seydel hat wieder ganz recht, wenn er bemerkt, daß diese Religion der vollendeten Auswirkung eigentlich einen neuen sechsten Standpunkt bildet, den aber Fichte, nicht zum Vorteil der Klarheit, als solchen zu bezeichnen unterlassen hat. (S. 23.).
Dies daher ist das Bild und der innere Geist des wahrhaft Religiösen: er erfasset seine Welt, den Gegenstand seiner Liebe und seines Strebens, nicht als irgendeinen Genuß; keinesweges, als ob Trübsinn oder abergläubische Scheu ihm den Genuß und die Freude als etwas Sündliches vorstellte, sondern weil er weiß, daß kein Genuß ihm wirkliche Freude gewähren kann. Er erfasset seine Welt als ein Tun, welches er eben darum, weil es seine Welt ist, allein lebt und nur in ihm leben mag, und nur in ihm allen Genuß seiner selbst findet. Dieses Tun will er nun wiederum nicht darum, damit sein Erfolg in der Sinnenwelt wirklich werde; wie ihn denn in der Tat der Erfolg oder Nichterfolg durchaus nicht kümmert, sondern er nur im Tun, rein als Tun, lebt; sondern er will es darum, weil es der Wille Gottes in ihm und sein eigener, eigentlicher Anteil am Sein ist. Und so fließet denn sein Leben ganz einfach und rein ab, nichts anderes kennend, wollend oder begehrend, über diesen Mittelpunkt nie herausschwebend, durch nichts außer ihm Liegendes gerührt oder getrübt.
So ist sein Leben. Ob dies nun nicht notwendig die reinste und vollkommenste Seligkeit sei, wollen wir zu einer andern Zeit untersuchen.