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Die Anweisung zum seligen Leben ist, nächst Schleiermachers Reden über die Religion, das schönste religiöse Bekenntnisbuch des ganzen deutschen Idealismus. An historischer Wirkung hinter Schleiermachers glückbegünstigtem Wurf und Wagnis bedeutend zurückstehend, kann sie sich doch an Kraft und Wärme und eigenster Art religiöser Empfindung durchaus mit dem großen Vorläufer vergleichen. Wenn sie sich gleichwohl nicht durchgesetzt hat, wenn erst lange nach Fichtes Tode, 1828, eine zweite Auflage nötig wurde, so erklärt sich das vielleicht auch daraus, daß Fichte nicht Theologe war, daß er auf die zünftige Theologie sogar mit starker Verachtung herabsah, und daß, als die Theologen anfingen, sich philosophisch zu fundieren, trotz aller Warnungen Schleiermachers, die Sonne der Hegelschen Systematik mit ihrem mehr blendenden, als leuchtenden Licht die Geister in ihre Sphäre bannte.
Mit dem allgemeinen Bankerott des Idealismus im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts ging auch das religiöse Vermächtnis des Redners an die deutsche Nation vollends verloren. Unbeachtet ruhte es lange im dumpfen Gewölbe der Vergessenheit, bis es endlich, in jüngster Zeit, von zwei Seiten zugleich ans Licht gezogen wurde. Im Diederichsschen Verlag ist 1910 eine Neu-Ausgabe von Erich Frank erschienen; gleichzeitig kam im Verlag der philosophischen Bibliothek von Meiners die ungleich sorgfältiger gearbeitete Ausgabe von Fritz Medicus heraus. Von beiden Ausgaben unterscheidet sich die vorliegende äußerlich durch ihren erheblich billigeren Preis, innerlich durch die erläuternden Anmerkungen und eine vorausgeschickte Einleitung, die, dankbar an Medicus' Forschungen anknüpfend, doch über diese hinausführen möchte.
Daß eine Wiedererweckung des Fichteschen Geistes in seinem Bekenntnis zur Religion heute kein totes Unternehmen ist, liegt auf der Hand. »Wir sehnen uns nach Offenbarung« – so geht es als Seufzer durch die besseren Naturen unsers Geschlechtes. Nun wohl, hier ist sie, im freiesten Stil, lebendig ausgeströmte Kraft, ohne die Schranke dogmatischer Bindung, die, wie die Dinge heute liegen, von vielen, den meisten dürfen wir sagen, in ihrer protestantischen Form doch nicht mehr gefühlt und verstanden wird.
Und neben den Suchenden stehen noch heute, gerade wie zu Fichtes Zeit, die hoffnungslos Gleichgültigen auf der einen, die rettungslos Zweifelnden auf der andern Seite. Ihnen hat Fichte, in der elften Vorlesung, seine Meinung so deutlich gesagt, wie wir es heute kaum wagen würden. Gleichwohl: auch aus diesem Zuviel blitzt uns der Ernst einer Denkart entgegen, die noch nicht widerlegt ist und voraussichtlich nie widerlegt werden wird, solange es Idealisten gibt, die ihres Namens würdig sind. Entweder die Wahrheit ist, weil wir sind; oder wir sind, weil die Wahrheit ist. Fichte steht auf dem letzten Punkt; denn er ist das Objektive und rettet allein uns vor uns selbst.
Die Anweisung zum seligen Leben ist ein religiöses Erweckungsbuch, ein Itinerarium mentis ad Deum. Als solches wendet sie sich ans Gemüt. Sie spricht von den ersten und letzten Dingen, namentlich aber von den letzten. Von dem, wovon, wie schon Fichte am Schluß mit unnachahmlicher Gebärde bemerkt, ein wohlgezogenes Glied der sogenannten guten Gesellschaft in ebendieser Gesellschaft nicht redet. Heute vielleicht noch weniger, als damals. Hier wagt es einer, dem Kodex der guten Gesellschaft zum Trotz, – weil er sie besser machen will. Und wer den Ernst hat, ihn zu hören, wird finden, daß er hier nicht nur in guter, daß er in bester Gesellschaft ist.
Freilich, den Ernst muß er haben, und die Sammlung dazu; denn hier wird an ein Gemüt appelliert, das gewohnt ist, durchs Auge der Spekulation – einer oft mühsamen Spekulation – das Göttliche und sich selbst zu schauen, und, was es so gesehen hat, in reinen Begriffen auszusprechen. Hier will die Einleitung vorbereiten; schwierige und bedeutsame Einzelpunkte sollen durch die beigegebenen Anmerkungen aufgeklärt und erläutert werden. Anstrengung fordert das Werk auch dann noch. Es ist die heilsame Anstrengung, die alles Beste für sich erheischt, und die uns daran erinnern mag, daß die Welt des Geistes, so wenig wie die Welt der Materie, und noch viel weniger als diese, an einem Tage, in einem Zuge, mit einem Schwertgriff erobert wird.
Zum vollen Verständnis der folgenden Schrift gehört eine spekulative Begabung. » Auch verstanden, und nicht unrecht verstanden« aber hat sie, wie Fichte ausdrücklich bemerkt, »jeder, der, durch dieselbe ergriffen, über die gemeine Ansicht der Welt hinweggehoben und zu erhabenen Gesinnungen und Entschlüssen begeistert worden ist.« Dieser Wirkung, dieses Verständnisses ist die folgende Anweisung gewiß; denn sie spricht von dem Geist, der das Leben ist, und von dem Leben, das Geist geworden.
Geist und Leben, gekrönt durch die Liebe, die hohe Liebe der Religion! Das ist die große Linienführung, die unmittelbar durch sich selber wirkt. Die wiedergewonnene Erkenntnis der Religion bildet den leuchtenden Hintergrund. Wir können sie in drei Sätze zerlegen:
1. Religion ist Kraft; nicht Krücke der Schwachen, sondern Freude der Starken und Geisternahrung der Geistbegabten. Alle moralischen Surrogate verschwinden vor der Gabe der Religion, wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne verschwinden.
2. Religion ist nicht Selbstschöpfung, sondern Schöpfung durch Gott, nicht Ergreifen, sondern Ergriffensein.
3. Die Güter und Kräfte der Religion sind die Güter und Kräfte des Christentums.
In diesen drei klaren und körnigen Sätzen liegt die dauernde Größe und Klassizität der Fichteschen Reden über die Religion.
Berlin, im April 1912.
Heinrich Scholz