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Ehrwürdige Versammlung,
Im ersten dieser Vorträge behaupteten wir, daß bei weitem nicht alles, was als lebendig erscheine, wirklich und in der Tat lebe; im zweiten haben wir gesagt, daß ein großer Teil der Menschen sein ganzes Leben hindurch gar nicht zum wahren und eigentlichen Denken komme, sondern beim Meinen stehen bleibe. Es könnte wohl sein, und ist auch aus andern Behauptungen, die wir bei dieser Gelegenheit gemacht haben, schon klar hervorgegangen, daß die beiden Benennungen: Denken und Leben – Nichtdenken und Totsein, wohl ganz dasselbe bedeuten dürften, indem schon früher das Element des Lebens in den Gedanken gesetzt worden, somit wohl das Nichtdenken die Quelle des Todes sein dürfte.
Es steht nur dieser Behauptung eine bedeutende Schwierigkeit entgegen, auf welche ich Sie aufmerksam machen muß, die folgende. Ist das Leben ein organisches, durch ein ohne Ausnahme gültiges Gesetz bestimmtes Ganzes Original: Ganze., so erscheint auf den ersten Blick es als unmöglich, daß irgendein zum Leben gehöriger Teil abwesend sein könne, wenn andere da sind, oder daß irgendein einzelner da sein könne, wenn nicht alle zum Leben gehörige Teile, und so das ganze Leben in seiner vollendeten organischen Einheit stattfinde. Indem wir diese Schwierigkeit lösen, werden wir Ihnen zugleich den Unterschied zwischen dem eigentlichen Denken und dem bloßen Meinen klar darlegen können, das schon in der vorigen Stunde angekündigte erste Geschäft, ehe wir, wie das gleichfalls unser Vorsatz auf die heutige Stunde ist, das eigentliche Denken selber an den Elementen aller Erkenntnis miteinander beginnen.
Die dargelegte Schwierigkeit wird also gelöset. Allerdings erfolgt allenthalben, wo geistiges Leben ist, alles ohne Ausnahme, was zu diesem Leben gehört, ganz und ohne Abbruch nach dem Gesetze; aber alles dieses, mit absoluter, der mechanischen gleichender Notwendigkeit Erfolgende tritt gar nicht notwendig ein im Bewußtsein, und es ist zwar Leben des Gesetzes, keinesweges aber unser, das uns eigentümliche und angehörige Leben. Unser Leben ist nur dasjenige, was, aus jenem nach dem Gesetze zustande Gekommenen, von uns mit klarem Bewußtsein erfaßt und in diesem klaren Bewußtsein geliebt und genossen wird. Wo die Liebe ist, da ist das individuelle Leben, sagten wir einmal; die Liebe aber ist nur da, wo da ist das klare Bewußtsein.
Mit der Entwickelung dieses unseres, in diesen Vorträgen allein Leben zu benennenden Lebens, innerhalb des ganzen, nach dem Gesetze zustande gekommenen Lebens, geht es gerade also zu, wie mit dem physischen Tode. So wie dieser in seinem natürlichen Gange zuerst in den äußersten und vom Mittelsitze des Lebens entferntesten Gliedmaßen beginnt und von ihnen sich weiter nach dem Mittelpunkt verbreitet, bis er endlich das Herz trifft: ebenso beginnt das geistige, seiner sich bewußte, sich liebende und sich genießende Leben zuerst in den Extremitäten und entferntesten Außenwerken des Lebens, bis es, so Gott will, auch aufgeht in dem wahren Grundpunkte und Mittelsitze desselben. – Ein alter Philosoph behauptete, daß die Tiere aus der Erde gewachsen seien, so wie es im kleinen, setzte er hinzu, noch bis diesen Tag geschehe, indem man in jedem Frühlinge, besonders nach einem warmen Regen, z. B. Frösche beobachten könne, an denen einige Teile, etwa die Vorderfüße, schon recht gut sich entwickelt hätten, indes die übrigen Gliedmaßen noch ein roher und unentwickelter Erdklumpen seien Welcher Philosoph hier gemeint ist, ist schwer zu bestimmen. Von einer Urzeugung im Fichteschen Sinne sprechen Empedokles, Anaxagoras, Demokrit ( Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker I 2 1906 S. 165, 294, 302, 379). Doch fehlt bei ihnen die Exemplifikation auf die Frösche, die auch Aristoteles, an den man zuerst denken möchte, einer gütigen Mitteilung von Herrn Geheimrat Diels zufolge, nicht zu kennen scheint.– Von einer Erzeugung der Frösche aus dem Erdschlamme spricht Augustinus ( de civ. Dei XVI 7).. Die Halbtiere dieses Philosophen, ohnerachtet sie übrigens kaum beweisen dürften, was sie beweisen sollen, liefern denn doch ein sehr treffendes Bild des geistigen Lebens der gewöhnlichen Menschen. Die äußern Gliedmaßen dieses Lebens sind an ihnen schon vollkommen ausgebildet, und es fließet schon warmes Blut in den Extremitäten; an der Stelle des Herzens aber und der übrigen edlen Lebensteile, – welche Stellen an sich und zufolge des Gesetzes freilich da sind und notwendig da sein müssen, indem außerdem auch die äußern Gliedmaßen nicht da sein könnten, – an diesen Stellen, sage ich, sind sie noch ein gefühlloser Erdklumpen und ein eisiger Fels.
Zuvörderst will ich Sie dessen an einem schlagenden Beispiele überführen, worüber ich mich zwar mit der höchsten Klarheit aussprechen werde, jedoch um der Neuheit der Bemerkung willen Ihre Aufmerksamkeit ganz besonders auffordere. – Wir sehen, hören, fühlen – äußere Gegenstände; zugleich mit diesem Sehen usw. denken wir auch diese Gegenstände und sind uns ihrer durch den innern Sinn bewußt, so wie wir, durch denselben innern Sinn, uns auch unsers Sehens, Hörens und Fühlens derselben bewußt werden. Hoffentlich wird auch keiner, der nur der allergewöhnlichsten Besinnung mächtig ist, behaupten wollen: er könne einen Gegenstand sehen, hören, fühlen, ohne zugleich auch desselben Gegenstandes und seines Sehens, Hörens oder Fühlens desselben Gegenstandes innerlich sich bewußt zu werden; er könne bewußtlos etwas Bestimmtes sehen usf. Dieses Zugleichsein – Zugleichsein sage ich, und diese Unabtrennlichkeit der äußern Sinneswahrnehmung und des innern Denkens voneinander, dieses, und nicht mehr, liegt in der faktischen Selbstbeobachtung, der Tatsache des Bewußtseins; keinesweges aber – ich bitte dies wohl zu fassen – keinesweges liegt in dieser Tatsache ein Verhältnis der beiden genannten Ingredienzien – des äußern Sinnes und des innern Denkens – ein Verhältnis der zweie zueinander, etwa wie Ursache und Bewirktes, oder wie Wesentliches und Zufälliges. Würde nun etwa doch ein solches Verhältnis der zweie angenommen, so geschähe dieses nicht zufolge der faktischen Selbstbeobachtung, und es läge nicht in der Tatsache; welches das erste ist, das ich Sie zu begreifen und zu behalten bitte.
Sollte nun zweitens, aus irgendeinem andern Grunde, als dem der faktischen Selbstbeobachtung, welchen möglichen Grund wir an seinen Ort gestellt sein lassen, – sollte, sage ich, aus einem solchen Grunde denn doch ein solches Verhältnis zwischen den beiden Ingredienzien gesetzt und angenommen werden, so scheint es auf den ersten Anblick, daß beide, als immer zugleich und unabtrennlich voneinander vorhanden, in den gleichen Rang gestellt werden müßten, und so das innere Denken ebensowohl der Grund und das Wesentliche zu der äußern Sinneswahrnehmung, als dem Begründeten und Zufälligen, sein könnte, als umgekehrt; auf welche Weise ein unauflöslicher Zweifel zwischen den beiden Annahmen entstehen müßte, der es nie zu einem Endurteile über jenes Verhältnis kommen ließe. So, sage ich, auf den ersten Anblick; falls aber etwa jemand tiefer blickte, so würde dieser – da ja das innere Bewußtsein den äußern Sinn zugleich mit umfaßt, indem wir ja auch des Sehens, Hörens, Fühlens selber uns bewußt werden, wir aber keinesweges auch umgekehrt das Bewußtsein sehen, hören oder fühlen, und so, schon in der unmittelbaren Tatsache, das Bewußtsein einen höhern Platz einnimmt: es würde dieser, sage ich, weit natürlicher finden, das innere Bewußtsein zur Hauptsache, den äußern Sinn aber zur Nebensache zu machen und den letztern aus dem erstern zu erklären, durch das erstere zu kontrollieren und zu bewähren, nicht aber umgekehrt. –
Wie nun verfährt hiebei die gemeine Denkart? Ihr ist ohne weiteres der äußere Sinn überall das erste und der unmittelbare Probierstein der Wahrheit; was gesehen, gehört, gefühlt wird, das – ist: darum, weil es gesehen, gehört, gefühlt wird usw. Das Denken und das innere Bewußtsein der Gegenstände kommt hinten nach, als eine leere Zugabe, die man kaum bemerkt und die man ebenso gern entbehrte, wenn sie sich nicht aufdränge; und überall wird nicht – gesehen oder gehört, weil gedacht wird, sondern – es wird gedacht, weil gesehen oder gehört wird, und unter der Regentschaft dieses Sehens und dieses Hörens. Die letzthin erwähnte, verkehrte und abgeschmackte moderne Philosophie, als der eigentliche Mund und die Stimme der Gemeinheit, tritt hinzu, öffnet ihren Mund und spricht, ohne zu erröten: der äußere Sinn allein ist die Quelle der Realität, und alle unsere Erkenntnis gründet sich allein auf die Erfahrung, als ob dies ein Axiom wäre, gegen welches etwas vorzubringen wohl keiner sich unterstehen werde. Wie ist es denn nun dieser gemeinen Denkart und ihrem Vormunde so leicht geworden, über die oben erwähnten Zweifelgründe und positiven Anleitungen zur Annahme des entgegengesetzten Verhältnisses sich hinwegzusetzen, als ob sie gar nicht vorhanden wären? Warum blieb ihr denn die, schon auf den ersten Anblick und noch ohne alle tiefere Forschung als weit natürlicher und wahrscheinlicher sich empfehlende entgegengesetzte Ansicht, daß die gesamten äußern Sinne mit allen ihren Objekten nur – im allgemeinen Denken begründet seien; und daß eine sinnliche Wahrnehmung überhaupt nur im Denken und als ein Gedachtes, als eine Bestimmung des allgemeinen Bewußtseins, keinesweges aber von dem Bewußtsein getrennt und an sich möglich sei – ich meine die Ansicht, daß es überhaupt nicht wahr sei, daß wir sehen, hören, fühlen schlechtweg, sondern daß wir uns nur – bewußt sind unseres Sehens, Hörens, Fühlens, – warum blieb diese Ansicht, welcher z. B. wir zugetan sind und sie als die einzig richtige mit absoluter Evidenz begreifen und das Gegenteil als eine offenbare Ungereimtheit einsehen, warum blieb diese der gemeinen Denkart, sogar ihrer Möglichkeit nach, verborgen? Es läßt sich leicht erklären: das Urteil dieser Denkart ist der notwendige Ausdruck ihres wirklichen Lebensgrades. Im äußern Sinne, als der letzten Extremität des beginnenden geistigen Lebens, sitzt ihnen vor der Hand noch das Leben; im äußern Sinne sind sie mit ihrer lebendigsten Existenz zugegen, fühlen sich in ihm, lieben und genießen sich in ihm; und so fällt denn notwendig auch ihr Glaube dahin, wo ihr Herz ist; im Denken dagegen schießet bei ihnen das Leben erst an, nicht als lebendiges Fleisch und Blut, sondern als eine breiartige Masse; und darum erscheint ihnen das Denken als ein fremdartiger, weder zu ihnen noch zur Sache gehöriger Dunst. Wird es einmal mit ihnen dahin kommen, daß sie im Denken bei weitem kräftiger zugegen sein und weit lebendiger sich fühlen und genießen werden, als im Sehen und Hören, so wird auch ihr Urteil anders ausfallen.
So herabgewürdigt und unwert ist der gemeinen Ansicht das Denken, sogar in seiner niedrigsten Äußerung, weil diese gemeine Ansicht in das Denken noch nicht den Sitz seines ihres? Lebens verlegt, noch seine ihre? geistigen Fühlhörner bis dahin ausgestreckt hat. Das Denken in seiner niedrigsten Äußerung, sagte ich; denn das, und nichts weiter, ist dieses Denken der äußern Gegenstände, welches ein – Gegenbild und einen Mitbewerber um Wahrheit an einer äußern Sinneswahrnehmung hat. Das eigentliche, höhere Denken ist dasjenige, welches, ohne alle Beihilfe des äußern Sinnes und ohne alle Beziehung auf diesen Sinn, sein – rein geistiges Objekt schlechthin aus sich selber sich erschafft. Im gewöhnlichen Leben kommt diese Art des Denkens vor, wenn z. B. gefragt wird nach der Weise der Entstehung der Welt oder des Menschengeschlechts, oder nach den innern Gesetzen der Natur; wo im ersten Falle klar ist, daß bei Schöpfung der Welt und vor dem Beginnen des Menschengeschlechts kein Beobachter zugegen gewesen, dessen Erfahrung ausgesprochen werden solle, im zweiten Falle durchaus nach keiner Erscheinung, sondern nach demjenigen, worin alle einzelne Erscheinungen übereinkommen, gefragt wird, und keine in die Augen gefallene Begebenheit, sondern eine Denknotwendigkeit herbeigeliefert werden soll, welche denn doch sei, und also sei, und nicht anders sein könne: was ein lediglich aus dem Denken selber hervorgehendes Objekt gibt, welchen ersten Punkt ich wohl zu fassen und einzusehen bitte.
In Sachen dieses höhern Denkens verfährt nun die gemeine Denkart also: sie läßt sich aussinnen durch andere, oder sinnet auch wohl, wo sie mehr Kraft hat, sich selber aus durch das freie und gesetzlose Denken, welches man Phantasie nennt, eine von mehreren Möglichkeiten, wie es zu dem in Frage gestellten Wirklichen gekommen sein könne (eine Hypothese machen nennt es die Schule), fragt darauf an bei ihrer Neigung, Furcht, Hoffnung, oder von welcher Leidenschaft sie eben regiert wird, und falls diese zustimmt, wird jene Erdichtung festgesetzt als bleibende und unveränderliche Wahrheit. Eine von den mehreren Möglichkeiten ersinnt sie sich, sagte ich; dies ist der Hauptcharakter des beschriebenen Verfahrens; aber dieser Ausdruck muß richtig verstanden werden. An sich nämlich ist es gar nicht wahr, daß irgend etwas auf mehrere Weisen möglich sei, sondern alles, was da ist, ist nur auf eine einzige, in sich selbst vollkommen bestimmte Weise möglich, wirklich und notwendig zugleich; und schon darin liegt der Grundfehler dieses Verfahrens, daß es mehrere Möglichkeiten annimmt, von denen es nun noch dazu, einseitig und parteiisch, nur eine faßt, und diese durch nichts zu bewahrheiten vermag, als durch seine Neigung. Dieses Verfahren ist es, was wir Meinen nennen, im Gegensatze mit dem wirklichen Denken. Dies eigentliche und von uns also genannte Meinen hat, ebenso wie das Denken, die Region jenseit aller sinnlichen Erfahrung zum Gebiete; diese Region besetzt es nun mit den Ausgeburten fremder oder auch der eignen Phantasie, denen allein die Neigung Dauer und Selbständigkeit gibt; und dieses alles begegnet ihm also bloß und lediglich deswegen, weil der Sitz seines geistigen Lebens noch nicht höher als in die Extremität der blinden Zuneigung oder Abneigung fällt.
Anders verfährt das wirkliche Denken in der Ausfüllung jener übersinnlichen Region. Dieses – sinnt sich nicht aus, sondern ihm kommt von selber, nicht das Neben und Unter andern, sondern das Allein-Mögliche, -Wirkliche und -Notwendige; und dieses bestätigt sich nicht etwa durch einen außer ihm liegenden Beweis, sondern es führt seine Bestätigung unmittelbar in sich selber und leuchtet, sowie es nur gedacht wird, diesem Denken selber ein als das Einzig-Mögliche, schlechthin und absolut Wahre, mit unerschütterlicher, schlechthin alle Möglichkeit des Zweifels vernichtender Gewißheit und Evidenz die Seele ergreifend. Da, wie gesagt, diese Gewißheit den lebendigen Akt des Denkens unmittelbar in seiner Lebendigkeit und auf der Tat ergreift und allein an diesen sich hält, so folgt, daß jeder, der der Gewißheit teilhaftig werden wolle, eben selber und in eigner Person das Gewisse denken müsse und keinen andern das Geschäft für sich könne verrichten lassen. Nur diese Vorerinnerung wollte ich noch machen, indem ich nun zu der gemeinschaftlichen Vollziehung des eigentlichen Denkens an den höchsten Elementen der Erkenntnis fortschreite.
Die allererste Aufgabe dieses Denkens ist die: das Sein scharf zu denken; und ich leite zu diesem Denken Sie also. – Ich sage: das eigentliche und wahre Sein wird nicht, entsteht nicht, geht nicht hervor aus dem Nichtsein. Denn allem, was da wird, sind Sie genötigt, ein Seiendes vorauszusetzen, durch dessen Kraft jenes erste werde. Wollten Sie nun etwa dieses zweite Seiende wiederum in einer frühern Zeit geworden sein lassen, so müssen Sie auch ihm ein drittes Seiendes voraussetzen, durch dessen Kraft es geworden, und falls Sie auch dieses dritte entstehen lassen wollten, diesem ein viertes voraussetzen, und so in das Unendliche fort. Immer müssen Sie zuletzt auf ein Sein kommen, das da nicht geworden ist und das eben darum keines andern für sein Sein bedarf, sondern das da schlechthin durch sich selbst, von sich und aus sich selbst ist. In diesem Sein, zu welchem Sie doch einmal von allem Werdenden sich erheben müssen, sollen Sie nun meiner Anforderung zufolge gleich von vornherein sich festsetzen; und so wird Ihnen denn, falls Sie nur die aufgegebenen Gedanken mit mir vollzogen haben, einleuchten, daß Sie das wahrhaftige Sein denken können nur als ein Sein von sich selbst, aus sich selbst, durch sich selbst.
Zweitens setze ich hinzu: auch innerhalb dieses Seins kann nichts Neues werden, nichts anders sich gestalten, noch wandeln und wechseln; sondern wie es ist, ist es von aller Ewigkeit her und bleibt es unveränderlich in alle Ewigkeit. Denn, da es durch sich selbst ist, so ist es ganz, ungeteilt und ohne Abbruch alles, was es durch sich sein kann und sein muß. Sollte es in der Zeit etwas Neues werden, so müßte es entweder vorher durch ein Sein außer ihm verhindert worden sein, dies zu werden; oder auch, es müßte durch die Kraft dieses Seins außer ihm, welche erst jetzt anfinge, auf dasselbe einzuwirken, dieses Neue werden: welche beiden Annahmen der absoluten Unabhängigkeit und Selbständigkeit desselben geradezu widersprechen. Und so wird Ihnen denn, falls Sie nur die aufgegebenen Gedanken selbst vollzogen haben, einleuchten, daß das Sein schlechthin nur als eins, nicht als mehrere, und daß es nur als eine in sich selbst geschlossene und vollendete und absolut unveränderliche Einerleiheit zu denken sei.
Durch ein solches Denken – welches unser drittes wäre – kommen Sie bloß zu einem in sich selber verschlossenen, verborgenen und aufgegangenen Sein; Sie kommen aber noch keinesweges zu einem Dasein, ich sage Dasein, zu einer Äußerung und Offenbarung dieses Seins. Ich wünschte sehr, daß Sie das Gesagte gleich auf der Stelle faßten; und Sie werden es ohne Zweifel, wenn Sie nur den zuerst konstruierten Gedanken des Seins recht scharf gedacht haben, und jetzo sich bewußt werden, was in diesem Gedanken liegt und was nicht in ihm liegt. Die natürliche Täuschung, welche Ihnen die begehrte Einsicht verdunkeln könnte, werde ich sehr bald tiefer unten aufdecken.
Um dies weiter auseinanderzusetzen: Sie vernehmen, daß ich Sein, inneres und in sich verborgenes, vom Dasein unterscheide und diese zwei als völlig entgegengesetzte und gar nicht unmittelbar verknüpfte Gedanken aufstelle. Diese Unterscheidung ist von der höchsten Wichtigkeit; und nur durch sie kommt Klarheit und Sicherheit in die höchsten Elemente der Erkenntnis Diese Unterscheidung ist für Hegels Metaphysik grundlegend und entscheidend geworden.. Was nun insbesondere das Dasein sei, wird am besten durch die wirkliche Anschauung dieses Daseins sich deutlich machen lassen. Ich nämlich sage: unmittelbar und in der Wurzel ist – Dasein des Seins das – Bewußtsein oder die Vorstellung des Seins, wie Sie an dem Worte: Ist, dasselbe von irgendeinem Objekte, z. B. dieser Wand, gebraucht, sich auf der Stelle klar machen können. Denn was ist denn nun dieses Ist selber in dem Satze: die Wand ist? Offenbar ist es nicht die Wand selber und einerlei mit ihr; auch gibt es sich dafür gar nicht aus, sondern es scheidet durch die dritte Person diese Wand als ein unabhängig von ihm Seiendes aus von sich; es gibt sich also nur für ein äußeres Merkzeichen des selbständigen Seins, für ein Bild davon, oder, wie wir das oben aussprachen, und wie es am bestimmtesten auszusprechen ist, als das unmittelbare, äußere Dasein der Wand und als ihr Sein außerhalb ihres Seins. (Daß das ganze Experiment der schärfsten Abstraktion und der lebendigsten innern Anschauung bedürfe, wird zugestanden; sowie, als die Probe, hinzugefügt wird, daß keiner die Aufgabe vollzogen hat, dem nicht besonders der letzte Ausdruck als vollkommen exakt einleuchtet.)
Zwar pflegt sogar dies von der gemeinen Denkart nicht bemerkt zu werden; und es kann wohl sein, daß ich an dem Gesagten vielen etwas ganz Neues und Unerhörtes gesagt habe. Der Grund davon ist der, daß ihre Liebe und ihr Herz ohne Verzug nur sogleich zum Objekte eilt und nur für dieses sich interessiert, in dasselbe sich wirft und nicht Zeit hat, bei dem Ist betrachtend zu verweilen, und so dasselbe gänzlich verliert. Daher kommt es, daß wir gewöhnlich, das Dasein überspringend, in das Sein selber gekommen zu sein glauben, indes wir doch immer und ewig nur in dem Vorhofe, in dem Dasein verharren; und gerade diese gewöhnliche Täuschung konnte den Ihnen oben angemuteten Satz fürs erste verdunkeln. Hier liegt nun alles daran, daß wir dieses einmal einsehen und es uns von nun an merken für das Leben.
Das Bewußtsein des Seins, das Ist zu dem Sein, ist unmittelbar das Dasein, sagten wir, vorläufig den Anschein übriglassend, als ob das Bewußtsein etwa nur eine – neben und unter andern mögliche Form und Art und Weise des Daseins wäre und als ob es auch noch mehrere, vielleicht unendliche Formen und Weisen des Daseins geben könne. Dieser Anschein darf nicht übrigbleiben; zuvörderst, so gewiß wir hier nicht – meinen, sondern wahrhaft denken wollen; sodann aber würde, auch in Absicht der Folgen, neben dieser übriggelassenen Möglichkeit nimmermehr unsere Vereinigung mit dem Absoluten, als die einzige Quelle der Seligkeit, bestehen können; sondern es würde vielmehr daraus eine unermeßliche Kluft zwischen ihm und uns, als die wahre Quelle aller Unseligkeit, fließen und hervorgehen.
Wir haben sonach, welches unser viertes wäre, im Denken darzutun, daß das Bewußtsein des Seins die einzig mögliche Form und Weise des Daseins des Seins, somit selber ganz unmittelbar, schlechthin und absolut dieses Dasein des Seins sei. Wir leiten Sie zu dieser Einsicht auf folgende Weise. Das Sein – als Sein, und bleibend Sein, keinesweges aber etwa aufgebend seinen absoluten Charakter und mit dem Dasein sich vermengend und vermischend, soll da sein. Es muß darum von dem Dasein unterschieden und demselben entgegengesetzt werden; und zwar, da außer dem absoluten Sein schlechthin nichts anderes ist, als sein Dasein, diese Unterscheidung und diese Entgegensetzung muß in dem Dasein selber vorkommen; welches, deutlicher ausgesprochen, folgendes heißen wird: das Dasein muß sich selber als bloßes Dasein fassen, erkennen und bilden und muß sich selber gegenüber ein absolutes Sein setzen und bilden, dessen bloßes Dasein eben es selbst sei; es muß durch sein Sein, einem andern absoluten Dasein gegenüber, sich vernichten, was eben den Charakter des bloßen Bildes, der Vorstellung oder des Bewußtseins des Seins gibt: wie Sie dieses alles gerade also schon in der obigen Erörterung des Ist gefunden haben. Und so leuchtet es denn, falls wir nun die aufgegebenen Gedanken vollzogen haben, ein, daß das Dasein des Seins notwendig ein – Selbstbewußtsein seiner (des Daseins) selbst als bloßen Bildes von dem absolut in sich selber seienden Sein sein müsse und gar nichts anderes sein könne Mit dieser Behauptung, daß Gott nur Ein Attribut, nur Eine Form des Daseins habe, nämlich das »geistige Sinnorgan« oder das Bewußtsein, trennt Fichte sich von Spinoza, der Gott unendlich viele Attribute zuschreibt, von denen wir freilich nur zwei, nämlich Denken und Ausdehnung, adäquat erkennen. Auf die Bedeutung dieses Punktes, in dem sich der idealistische, auf reine Geistesoffenbarung gestellte Pantheismus Fichtes von dem identitätsphilosophischen, auf Geist-Natur-Offenbarung gestützten Pantheismus Spinozas (und Schellings) wesenhaft unterscheidet, hat Th. Wotschke, Fichte und Erigena 1896, S. 10, mit dankenswertem Nachdruck aufmerksam gemacht..
–
Daß es nun also sei und das Wissen und Bewußtsein das absolute Dasein, oder wenn Sie jetzt lieber wollen, die Äußerung und Offenbarung des Seins sei in seiner einzig möglichen Form, kann das Wissen sehr wohl begreifen und einsehen, sowie der Voraussetzung nach wir alle es soeben eingesehen haben. Keinesweges aber – welches unser fünftes wäre – kann dieses Wissen in ihm selber begreifen und einsehen, wie es selber – entstehe und wie aus dem innern und in sich selber verborgnen Sein ein Dasein, eine Äußerung und Offenbarung desselben folgen möge, wie wir denn auch oben beim Anknüpfen unsers dritten Punktes ausdrücklich eingesehen, daß eine solche notwendige Folge für uns nicht vorhanden sei. Dies kommt daher, weil, wie schon oben gezeigt, das Dasein gar nicht sein kann, ohne sich zu finden, zu fassen und vorauszusetzen, da ja das Sichfassen unabtrennlich ist von seinem Wesen; und so ist ihm denn durch die Absolutheit seines Daseins und durch die Gebundenheit an dieses sein Dasein alle Möglichkeit, über dasselbe hinauszugehen und jenseit desselben sich noch zu begreifen und abzuleiten, abgeschnitten. Es ist, für sich und in sich, und damit gut; allenthalben, wo es ist, findet es sich schon vor und findet sich vor auf eine gewisse Weise bestimmt, die es nehmen muß, so wie sie sich ihm gibt, keinesweges aber erklären kann, wie und wodurch sie also geworden. Diese unabänderlich bestimmte und lediglich durch unmittelbare Auffassung und Wahrnehmung zu ergreifende Weise dazusein des Wissens ist das innere und wahrhaft reale Leben an ihm.
Ohnerachtet nun dieses wahrhaft reale Leben des Wissens sich, in Absicht seiner besondern Bestimmtheit, im Wissen nicht erklären läßt, so läßt es sich denn doch in diesem Wissen im allgemeinen deuten; und es läßt sich verstehen und mit absoluter Evidenz einsehen, was es seinem innern und wahren Wesen nach sei; welches unser sechstes wäre. Ich leite Sie zu dieser Einsicht also: was wir oben als unsern vierten Punkt folgerten, daß das Dasein notwendig ein Bewußtsein sei, und alles andere, was damit zusammenhing, folgte aus dem bloßen Dasein als solchem und seinem Begriffe. Nun
ist dieses Dasein selber auf sich ruhend und stehend, vor allem seinem Begriffe von sich selbst, und unauflöslich diesem seinem Begriffe von sich selbst; wie wir soeben bewiesen und dieses sein Sein sein reales, lediglich unmittelbar wahrzunehmendes
Leben genannt haben. Woher hat es nun dieses, von allem seinem, aus seinem Begriffe von sich selbst folgenden Sein völlig unabhängiges, demselben vielmehr vorhergehendes und es selbst erst möglich machendes Sein? Wir haben es gesagt: es ist dieses das lebendige und kräftige Dasein des Absoluten selber, welches ja allein zu sein und da zu sein vermag und außer welchem nichts
ist, noch wahrhaftig
da ist. Nun kann das Absolute, so wie es nur durch sich selbst sein kann, auch nur durch sich selber da sein; und da es selbst, und kein Fremdes an seiner Stelle, da sein soll, indem ja auch kein Fremdes außer ihm zu sein und da zu sein vermag, – es ist da, schlechthin so, wie es in ihm selber ist, und ganz, ungeteilt und ohne Rückhalt und ohne Veränderlichkeit und Wandel, als absolute Einerleiheit, so wie es also auch innerlich ist. Das reale Leben des Wissens ist daher
in seiner Wurzel das innere Sein und Wesen des Absoluten selber und nichts anderes; und es ist zwischen dem Absoluten oder Gott und dem Wissen in seiner tiefsten Lebenswurzel gar keine Trennung, sondern beide gehen völlig ineinander auf
Vgl. die Apotheose des Wissens in der vierten Vorlesung, S. 55. Dazu aus den »Grundzügen«, 9. Vorlesung (W W VII 129 f.): Gottes Dasein ... ist das Wissen selber; sein Dasein oder das Wissen ist durchaus eins und ebendasselbe; im Wissen ist er da,
schlechthin wie er in sich selber ist, als absolut auf sich ruhende Kraft. – Hiernach muß man annehmen (vgl. auch die folgende Anmerkung), daß
Fichte dem (absoluten) Wissen die Kraft zur restlosen und adäquaten Erfassung des Göttlichen zuspricht. Er wäre demnach, im Licht der Erkenntnisfrage gesehen, realistischer Pantheist, wie
Spinoza und
Hegel, das heißt: er würde gelehrt haben, daß das Göttliche im religiösen Erlebnisakt sich
auch in formaler Beziehung absolut auswirkt, im Gegensatze zu den modalistischen Pantheisten, wie
Schleiermacher und
Goethe, die die formale Beschränkung des Göttlichen auch für den religiösen Erlebnisakt – aus intellektuellem Reinlichkeitsbedürfnis, nicht etwa aus Mangel an religiöser Energie – betonen.
Fichtes Standpunkt ist in der Tat auf der Seite der realistischen Pantheisten. Doch fehlt es nicht an gelegentlichen, bedeutsamen und folgereichen Schwankungen. Fast grundstürzend wirkt in diesem Zusammenhange das Bekenntnis am Anfang der fünften Vorlesung, wo es heißt, daß selbst im Akt des Zusammenfallens Gott nicht unser eigenstes Sein selber wird, sondern ein Fremdes und außer uns Befindliches bleibt, an das wir uns lediglich in inniger Liebe hingeben und anschmiegen (70). Also doch wohl das Gegenteil von Koinzidenz! Es ist auch nur eine halbe Vermittelung, wenn
Fichte am Anfang der vierten Vorlesung (S. 55) erklärt, daß wir zwar an sich keineswegs das absolute Sein selber sind, aber denn doch in der innersten Wurzel unsers Daseins mit ihm zusammenhangen.
Diese auffallende Unsicherheit scheint mir einer der stärksten – nicht religiösen, wohl aber methodischen Mängel der Fichteschen Spekulation zu sein. Einem Mystiker von der gewöhnlichen Art würde man's kaum anstreichen; von einem
Fichte erwartet man mehr. Die Religion hat den Religionsphilosophen überwältigt – zu bleibendem Gewinn für uns, aber zu unverkennbarem Nachteil für die Klarheit der Sache..
Und so wären wir denn schon heute bei einem Punkte angekommen, der unsere bisherigen Behauptungen deutlicher macht und Licht verbreitet über unsern künftigen Weg. – Daß irgendein lebendig Daseiendes – aber alles Daseiende ist, wie wir gesehen haben, notwendig Leben und Bewußtsein, und das Tote und Bewußtlose ist nicht einmal da – daß ein lebendig Daseiendes gänzlich von Gott sich trenne, dagegen ist gesorgt, und es ist dieses schlechthin unmöglich; denn nur durch das Dasein Gottes in ihm wird es im Dasein gehalten, und so Gott aus ihm zu verschwinden vermöchte, würde es selbst aus dem Dasein schwinden. Nur wird dieses göttliche Dasein auf den niedern Stufen des geistigen Lebens bloß hinter trüben Hüllen und in verworrenen Schattenbildern gesehen, welche aus dem geistigen Sinnenorgan, mit dem man sich und das Sein anblickt, abstammen; klar aber und unverhüllt, ausdrücklich als göttliches Leben und Dasein es erblicken und mit Liebe und Genuß in dieses also begriffene Leben sich eintauchen, ist das wahrhaftige und das unaussprechlich selige Leben.
Immer ist es, sagten wir, das Dasein des absoluten und göttlichen Seins, das da
ist in allem Leben; unter welchem allem Leben wir hier das, zu Anfange dieser Stunden genannte, allgemeine Leben nach dem Gesetze verstehen, welches insofern gar nicht anders sein kann, als so, wie es eben ist. Nur geht auf den niedern Stufen des geistigen Lebens der Menschen jenes göttliche Sein nicht als solches dem Bewußtsein auf; in dem eigentlichen Grundpunkte aber des geistigen
Lebens geht jenes göttliche Sein ausdrücklich als solches dem Bewußtsein auf, so wie es, der Voraussetzung nach, soeben uns aufgegangen ist. Aber, es geht als solches dem Bewußtsein auf, kann nichts anderes heißen, als: es tritt ein in die eben als notwendig abgeleitete Form des Daseins und Bewußtseins, in einem
Bilde und einer
Abschilderung oder einem
Begriffe, der sich ausdrücklich nur als Begriff, keinesweges aber als die Sache selbst gibt
Den erleuchtenden Kommentar zu diesen unsicheren und dunklen Worten liefert ein späteres Bekenntnis aus der zehnten Vorlesung (S. 161 ff.). Hier unterscheidet
Fichte scharf zwischen dem unmittelbaren Gottesbesitz in der Liebe und der Deutung dieses Besitzes durch den nachkommenden Begriff. Der Besitz ist leuchtend, hell und klar, seine begriffliche Deutung dagegen in Ewigkeit schattenhaft, stammelnd, unvollkommen. Warum verzichten wir da nicht lieber auf begriffliche Deutung überhaupt? Weil die Liebe zum Absoluten die Reflexion nicht ruhen läßt, sondern sie ins Unendliche zu immer neuen Aussprache- und Darstellungsversuchen forttreibt. Aber das Ungenügende bleibt. Oder, positiv gesprochen:
die Liebe ist höher, denn alle Vernunft. Fichte selbst bezeichnet diese Einsicht als den höchsten realen Gesichtspunkt seiner Seins- und Lebens- und Seligkeitslehre.
Was
Fichte hier Liebe nennt, heißt in unserer Vorlesung Wissen oder reines Denken; der Vernunft entspricht dann das »Bewußtsein«. »Das Bewußtsein ... ist es, in welchem das ursprüngliche Wesen des göttlichen Seins und Daseins – eine Verwandlung erfährt.« (S. 61.)
Fichte will sagen, daß das Göttliche zwar in tiefster Seele, in dem »eigentlichen Grundpunkte des geistigen Lebens«, wie es an sich ist, erlebt wird, daß aber jeder Versuch der Vergegenständlichung – und die Nötigung zu diesem Versuch liegt in der Stoßkraft des Erlebnisses selbst – zu unvermeidlichen Trübungen führt. Er stimmt damit das ursprüngliche Fortissimo seines volltönenden religiösen Realismus in bemerkenswertester Weise auf ein gedämpftes Mezzoforte zurück. – Vgl. auch das wichtige und lehrreiche Bekenntnis in dem Brief an
Jacobi vom 8. Mai 1806: Wir, eben als wir, sind in der Form gefesselt; wo ein Ich ist, ist sie schon und braucht sich und kann in diesem Gebrauche nicht auch nicht sein und so, über sich selbst hinaus, sich erklären. Der Begriff begreift schlechthin alles, nur nicht sich selbst; denn sonst
wäre er eben nicht, und nicht
absoluter. (J. H.
Fichte, Achtes Leben und literarischer Briefwechsel II
2 1862 S. 179.). Unmittelbar mit seinem realen Sein und bildlos ist es von jeher eingetreten im wirklichen Leben des Menschen, nur unerkannt, und fährt auch nach erlangter Erkenntnis ebenso fort in ihm einzutreten, nur daß es noch überdies auch im Bilde anerkannt wird. Jene bildliche Form aber ist das innere Wesen des Denkens; und insbesondere trägt das hier betrachtete Denken an seinem Beruhen auf sich selber und seinem sich selber Bewähren (was wir die innere Evidenz desselben nannten) den Charakter der Absolutheit, und erprobt sich dadurch als reines, eigentliches und absolutes Denken. Und so ist denn von allen Seiten erwiesen, daß nur im reinen Denken unsere Vereinigung mit Gott erkannt werden könne.
Schon ist erinnert, aber es muß noch ausdrücklich eingeschärft und Ihrer Beachtung empfohlen werden, daß, ebenso wie das Sein nur ein einiges ist und nicht mehrere, und wie es, unwandelbar und unveränderlich, mit einem Male ganz ist und so ein inneres absolutes Einerlei, daß ebenso auch das Dasein oder das Bewußtsein, da es ja ist nur durch das Sein und nur dessen Dasein ist, ein absolut ewiges, unwandelbares und unveränderliches Eins und Einerlei sei. So ist es mit absoluter Notwendigkeit an sich; und so bleibt es – im reinen Denken. Es ist durchaus nichts im Dasein, außer dem unmittelbaren und lebendigen Denken – Denken sage ich, keinesweges aber etwa Denkendes, als ein toter Stoff, welchem das Denken inhäriere, mit welchem Nichtgedanken freilich der Nichtdenker sogleich bei der Hand ist; ferner, das reale Leben dieses Denkens, das im Grunde das göttliche Leben ist: welche beide, jenes Denken und dieses reale Leben, zu einer innern organischen Einheit zusammenschmelzen, so wie sie auch äußerlich eine Einheit, eine ewige Einfachheit und unveränderliche Einerleiheit sind. Nun entsteht jedoch, der letztern äußern Einheit zuwider, der Anschein einer Mannigfaltigkeit im Denken, teils vermöge verschiedener denkender Subjekte, die es geben soll, teils wegen der so gar unendlichen Reihe von Objekten, über welche das Denken jener Subjekte in alle Ewigkeit fortlaufen soll. Dieser Schein entsteht eben also auch dem reinen Denken und dem in ihm seligen Leben, und es vermag dieses das Vorhandensein dieses Scheins nicht aufzuheben; keinesweges aber glaubt dieses Denken dem Scheine, noch liebt es ihn, noch versucht es, sich selbst in ihm zu genießen. Dagegen das niedere Leben auf allen niedern Stufen irgendeinem Scheine aus dem Mannigfaltigen und in dem Mannigfaltigen glaubt, über diesem Mannigfaltigen sich zerstreut und versplittert und in ihm Ruhe und Selbstgenuß sucht, welchen es doch auf diesem Wege nie finden wird. – Diese Bemerkung möge fürs erste die Schilderung, die ich in der ersten Vorlesung vom wahrhaftigen Leben und von dem nur scheinbaren Leben machte, erläutern. Im Äußerlichen sind diese beiden entgegengesetzten Weisen des Lebens einander so ziemlich gleich; beide laufen ab über dieselben gemeinschaftlichen Gegenstände, die von beiden auf die gleiche Weise wahrgenommen werden; innerlich aber sind beide gar sehr verschieden. Das wahre Leben nämlich glaubt gar nicht an die Realität dieses Mannigfaltigen und Wandelbaren, sondern es glaubt ganz allein an ihre unwandelbare und ewige Grundlage im göttlichen Wesen, mit allem seinem Denken, seiner Liebe, seinem Gehorsame, seinem Selbstgenusse unveränderlich verschmolzen und aufgegangen in dieser Grundlage; dagegen das scheinbare Leben gar keine Einheit kennt oder fasset, sondern das Mannigfaltige und Vergängliche selbst für das wahre Sein hält und es als solches sich gefallen läßt. Fürs zweite stellt dieselbe Bemerkung die Aufgabe an uns, den eigentlichen Grund, warum das, was nach uns an sich schlechthin Eins ist und in dem wahrhaften Leben und Denken Eins bleibt, in der Erscheinung, deren faktische Unaustilgbarkeit wir doch gleichfalls zugestehen, in ein Mannigfaltiges und Veränderliches sich verwandle; den eigentlichen Grund dieser Verwandlung, sage ich, wenigstens genau anzugeben und deutlich zu vermelden, falls etwa die klare Demonstration dieses Grundes der populären Darstellung unzugänglich sein sollte. Die Aufstellung dieses Grundes nun der Mannigfaltigkeit und Veränderlichkeit soll nebst der weitern Anwendung des heute Gesagten den Inhalt unsers künftigen Vortrages ausmachen, zu welchem ich Sie hierdurch ehrerbietigst einlade.