Johann Gottlieb Fichte
Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution.
Johann Gottlieb Fichte

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Fünftes Capitel.

Vom Adel insbesondere, in Beziehung auf das Recht einer Staatsveränderung.

»Alle alten Völker haben ihren Adel gehabt,« sagen Staatsmänner, die man zugleich für grosse Geschichtskundige hält; und lassen uns daraus in aller Stille folgern, dass der Adel so alt sey, als die bürgerliche Gesellschaft, und dass in jedem wohlgeordneten Staate einer seyn müsse. Es ist sonderbar, dass eben diese Männer, bei denen die Nothwendigkeit des Adels in jedem Staate sich von selbst versteht, – wenn sie sich etwa zum Ueberflusse noch darauf einlassen, den Ursprung des heutigen Adels zu erklären, sich in Muthmaassungen verlieren, die sie auf nichts, als auf andere Muthmaassungen, stützen können.

Ich rede nicht vom persönlichen Adel – von der Berühmtheit oder den Vortheilen, die der grosse Mann durch eigene Thaten sich erwirbt; ich rede, wie man es will, vom Erbadel , von der Berühmtheit oder den etwanigen Vortheilen, die er durch das Andenken dieser seiner Thaten auf seine Nachkommen überliefert .

Ich unterscheide an diesem Erbadel zwischen dem Adel der Meinung und dem Adel des Rechtes . Diese Unterscheidung scheint mir der Leitfaden, welcher uns aus den Irrgängen der Muthmaassung auf eine ebene gerade Bahn führen müsse; ihre Vernachlässigung war ohne Zweifel der Grund aller Irrthümer, welche über diesen Gegenstand unter uns herrschen.

An jener Behauptung von einem Adel der alten Völker ist etwas wahres, aber auch etwas falsches. Sie hatten meist alle einen Adel der Meinung; sie hatten – einige kurz vorübergehende Fälle abgerechnet, welche durch gewaltsame Unterdrückung, und nicht durch die Staatsverfassung herbeigeführt wurden – keinen Adel des Rechtes.

Der Meinungsadel entsteht nothwendig, wo Menschenstämme in fortdauernder Verbindung und Bekanntschaft leben. Es ist fast kein Gegenstand, worauf er nicht haften könne. Es giebt einen Gelehrten-Adel. Zwar hinterlassen grosse Gelehrte selten Kinder; wir dürfen in keinem Leibnitz, keinem Newton werden in keinem Kant Nachkommen jener grossen Männer zu erblicken glauben: aber wer kann einen ihm unbekannten Luther sehen, ohne in ihm einen Nachkommen jenes grossen deutschen Mannes zu vermuthen, und seine nähere Aufmerksamkeit auf ihn zu richten. Es giebt einen Kaufmanns-Adel – und wir würden bei Nennung gewisser Namen, die in der Geschichte der Handlung verewigt sind, öfter die Nachkommen der Männer zu erblicken glauben, welche sie verewigten, wenn nicht das vorgesetzte »Graf,« oder »Freiherr,« oder »von« uns diesen Gedanken verböte,Dass doch noch immer der berühmte Kaufmann nach der Ehre geizt, ein unberühmter Edelmann zu seyn! Fern sey und Weibe doch von würdigen deutschen Gelehrten diese Entadelung ihrer erlauchten Namen! oder wenn nicht etwa gar der würdige Name sich höchst unähnlich erschiene – wenn nicht etwa der Mann sich in einen Berg oder in ein Thal, oder in eine Ecke umgewandelt hätte. – Es giebt einen Adel tugendhafter Grossthaten. – Jeder, der seinem Namen eine gewisse Berühmtheit giebt, pflanzt mit diesem Namen zugleich die Berühmtheit desselben« auf sein Geschlecht fort.

Wo Menschen in einem Staate leben, muss sehr bald, um wenig dass der Staat fortgedauert habe, ein ähnlicher Bürger-Adel entstehen. Ein Name –« der in der Geschichte unseres Staates öfters vorkömmt, der in den Erzählungen derselben unsere Aufmerksamkeit öfters auf sich gezogen hat, mit dessen merkwürdigen Besitzern wir hier Mitleid, dort Angst oder Furcht, dort die Ehre durchgeführter Grossthaten innig empfunden haben, – ist uns ein alter Bekannter. Wir erblicken einen, der ihn trägt; und mit diesem Namen knüpfen sich an unsere Einbildungskraft alle die ehemaligen Bilder. Wir übersehen sogleich die Abstammung des Unbekannten, noch ehe er sie uns erzählt; wissen, wer sein Vater, sein Grossvater, seine Seitenverwandten waren; was sie thaten; – alles geht vor unserer Seele vorüber. Unsere Aufmerksamkeit wird dadurch auf den Besitzer dieses merkwürdigen Namens gezogen, und unsere Theilnehmung erregt; wir beobachten ihn von nun an genauer, um unsere Vergleichung zwischen ihm und seinen grossen Ahnen fortzusetzen. – Dies drückt das Wort »Nobilis,« womit die Römer einen, ihrer Denkungsart nach, Adligen bezeichneten, treffend aus; einen sehr Erkennbaren nannten sie ihn, von welchem man mancherlei weiss, den man genauer beobachten und bald noch näher kennen wird. – Nichts ist ferner natürlicher, als dass diese Aufmerksamkeit bald in Achtung und Zutrauen zu dem Manne mit dem berühmten Namen sich verwandle; dass man, wenn er uns nur nicht förmlich unseres Irrthumes überführt, die Talente seiner grossen Vorfahren oder Verwandten in ihm voraussetze. Kommt eine Unternehmung vor, die das besondere, ganz eigene Geschäft irgend eines grossen Mannes in unserer Geschichte wäre, und dem wir sie auftragen würden, wenn wir ihn jetzt nicht unter uns vermissten; – wohin wird von ihm das Andenken sich eher wenden, als auf einen seiner Nachkommen; und da wir es ihm selbst nicht übertragen können, – wem werden wir es lieber übertragen, als seinem Namen? Ein Scipio war es, der Carthago seinem Untergange nahe brachte; von keinem sicherer, als von einem Scipio erwartete man die völlige Vertilgung dieses Staates.

Ein solcher Adel der Meinung war bei den alten Völkern. – Er war bei den Griechen ; aber weniger bemerkbar, – weil der bei ihnen herrschende Gebrauch, dass der Sohn nicht den Namen des Vaters, sondern einen eigenen führte, und dass die Geschlechtsnamen nicht üblich waren, jene Täuschung der Einbildungskraft, die sich an ein blosses Wort hängt, nicht unterstützte. Man musste erst nach der Abstammung des jungen Griechen sich erkundigen, oder er musste sie selbst anzeigen; und durch dieses Verweilen, bei Einziehung der Nachrichten, oder durch diese abgenöthigte Selbstanzeige, verlor um ein grosses der Eindruck, auf den der junge Grieche bei seiner Erscheinung in der grossen Welt rechnete. Dennoch erneuerte gewiss das Auftreten eines Miltiades das Andenken der Marathonischen Schlacht. – Einen Adel des Rechtes , d. i. abschliessende Vorrechte gewisser Familien finde ich wenigstens in dem freien Griechenlande nirgends, als etwa zu Sparta an dem Königsgeschlechte daselbst, den Herakliden. Aber abgerechnet, dass dieses, seit Lykurgs Gesetzgebung, höchst eingeschränkte, unter der strengen Oberaufsicht der unerbittlichen Ephoren stehende Regiment mehr eine erbliche Verbindlichkeit, als ein erblicher Vorzug war, – lässt die Auszeichnung dieser Familie sich auf ganz andere Grundsätze zurückführen, als auf die Vererbung persönlicher Vorzüge durch Geburt. Sie gründete sich auf das Erbeigenthum von Lakonien; und ihr Adel war daher eher mit unserem Lehns-Adel, – von welchem weiter unten, – als mit unserem Geschlechts-Adel zu vergleichen. Hercules hatte, – nach dem zu seiner Zeit in Griechenland herrschenden Systeme, dass Königreiche sich auf Kinder und Kindeskinder forterben, und unter sie vertheilen liessen, – Ansprüche auf einige Länder des Peloponnes. Seinen späteren Nachkommen gelang es endlich nach mancherlei Versuchen dieses Erbrecht durch die Gewalt ihrer Waffen geltend zu machen. Zwei Brüder setzten sich in Sparta, und betrachteten Lakonien als ihr Erbe. Daher ihr Familien-Vorzug.

In Rom hatte dieser Adel der Meinung, diese Nobilität, – auch mit wegen der bei ihnen eingeführten Geschlechtsnamen, – einen weiteren Spielraum, und wurde in eine Art von System gebracht. Die Eintheilung ihrer Bürger in Patricier, Ritter und Plebejer scheint zwar auf einen anderen, als einen blossen Meinungsadel hinzudeuten, aber wir werden davon weiter unten reden. Jene Nobilität gründete sich auf die Verwaltung der drei ersten Staatsämter, des Consulats, der Prätur und einer Art der Aedilität; welche curulische Würden genannt wurden. Jemehr eine Familie Männer unter ihren Vorfahren aufzählen konnte, die diese Würden verwaltet hatten, desto edler war sie; die Bilder jener betitelten Vorfahren wurden in dem Innersten ihrer Häuser aufgestellt und bei ihren Leichenbegängnissen der Leiche vorgetragen. – Es ist sehr natürlich, dass das Volk bei seinen Wahlen eben um jener Meinung willen die alten Geschlechter vorzüglich begünstigte; aber diese hatten auf jene Würden so wenig ein ausschliessendes Vorrecht , dass vielmehr eben dieses Volk von Zeit zu Zeit sich das Vergnügen machte, ein noch unbekanntes neues Geschlecht zu erheben. Diese Stammväter neuer Geschlechter schämten sich der Dunkelheit ihres Ursprunges nicht im geringsten; sondern setzten sogar ihren Stolz darein, öffentlich zu erinnern, dass sie sich selbst, durch eigene Kraft, von keinem Ruhme der Vorfahren unterstützt, emporgeschwungen hätten. – Es zeigt eine lächerliche Unwissenheit, wenn man diese Nobilität unserem Adel, und diese Stammväter neuer Häuser (novi homines) unseren Neugeadelten gleichsetzt. Wenn bei uns die Bekleidung gewisser Staatsbedienungen in den Adelstand erhöbe; wenn z. B. die Nachkommen eines Staatsministers, eines Generals, eines Prälaten nothwendig, schon vermöge ihrer Geburt, und ohne alle weitere Förmlichkeiten, adelig wären, dann fände eine Vergleichung statt.

Zwar könnte man aus der Eintheilung der römischen Bürger in Patricier, Ritter und Plebejer auf einen anderen Adel, als den der blossen Meinung schliessen; aber bei einer solchen Folgerung würde man das Wesentliche und das Zufällige, das Recht und die gewaltthätige Anmaassung, Zeiten und Orte vermischen. – Romulus war es, der den Grund zu dieser Eintheilung legte, und der dadurch vorübergehende persönliche Würden und Verhältnisse im Staate, keinesweges aber erbliche Vorrechte gewisser Familien, – als von welchen er keinen Begriff haben konnte, – bezeichnen wollte. Die Väter , und die nachmalige Vermehrung derselben, die Conscripten, wählte er nach dem Alter, das sie im Kriege entbehrlich, zum Rathgeben und zur inneren Regierung des Staates desto tauglicher machte. Sie waren bestimmt, bei den ununterbrochenen Kriegen, die er führte, in der Stadt zu bleiben und der Staatsverwaltung vorzustehen. Glauben wir, dass dieser unersättliche Krieger und eigenwillige Regent gemeint gewesen sey, die jungen und starken Söhne derselben das väterliche Vorrecht, nicht mit zu Felde zu ziehen, erben zu lassen; oder dass er sich in der Wahl der künftigen Senatoren, so wie diese durch den Tod abgehen würden, auf diese Söhne habe einschränken wollen, und sich nicht die Freiheit vorbehalten habe, inskünftige, so wie bisher, aus der ganzen Bürgerschaft die Betagtesten und Weisesten zu wählen, ob sie auch vorher Ritter oder Plebejer gewesen wären? Höchst wahrscheinlich wurden die Söhne seiner ersten Senatoren – dieser Ritter, jener Plebejer, so wie es dem Könige am bequemsten dünkte. – Die Ritter , bestimmt zu Pferde zu dienen, wählte er nach dem Reichthume. Sie mussten vermögend seyn, ein Pferd zu unterhalten. – Wer nichts hatte als körperliche Stärke, – welches unter diesem erst jetzt entstehenden Volke gewiss keine Unehre war, – wurde bestimmt zu Fusse zu dienen, und hiess Plebejer . Ich wünschte, dass man dem Ursprünge dieses Wortes auf die Spur kommen könnte. Täuscht mich nicht alles, so bedeutete es ursprünglich einen Soldaten zu Fusse, ohne die geringste verächtliche Nebenbedeutung. – Es lässt sich nicht darthun, nach welchen Grundsätzen man unter den folgenden Regierungen diese Verhältnisse der Bürger geordnet habe. Es ist wahrscheinlich, dass der Sohn des Ritters meistens wieder ein Ritter wurde, weil bei ihm das dazu gehörige Vermögen aus der Erbschaft seines Vaters am sichersten vorauszusetzen war; aber – ohnerachtet die Senatoren sich schon durch Romulus gewaltsamen Tod eine gewisse Uebermacht verschafft hatten, wenn dies nicht etwa eine spätere Erfindung der plebejischen Eifersucht war – es ist nicht wahrscheinlich, dass jeder Sohn eines Senators wieder ein Senator wurde, und dass kein Sohn eines Ritters oder eines Plebejers es habe werden können. Man bedurfte weiser Räthe, und die Weisheit wird nicht stets durch die Geburt fortgeerbt. Einem Numa lässt diese Bemerkung sich schon zutrauen.

Diese einfache Verfassung wurde unter Servius Tullius durch die Einführung des Census um ein grosses verwickelter. Es entstand ein Adel des Reichthums, der während der Dauer der Republik wichtig genug war, und an äusserlicher Auszeichnung endlich das Roscische Gesetz hervorbrachte; der aber gar nicht unmittelbar auf die Geburt, sondern auf die vermittelst ihrer ererbten Reichthümer sich gründete. Die Nachkommen eines Bürgers der ersten Klasse sanken unter die Aerarier herab, wenn sie ihr Erbgut verloren oder verschwendet hatten, und wurden mit ihrem Vermögen ihres Platzes im Schauspielhause verlustig.

Unter der despotischen Regierung des jungen Tarquinius, und noch mehr unter den durch die Revolution herbeigeführten und durch die hinterlistigen Bemühungen der vertriebenen Tarquinier unterhaltenen Verwirrungen bemächtigten sich die Patricier , die Nachkommen der alten Senatoren, grosser Vorrechte; und das Volk – durch Bedrückung der Tyrannen, durch den Aufwand unaufhörlicher Feldzüge, durch seine eigene Unwirthschaftlichkeit, und durch die Härte seiner Schuldherren ausgesogen, – musste es geschehen lassen. Nicht als Bürger, sondern als Schuldner abhängig, erhoben sie jene Familien ausschliessend zu allen Staatswürden, die sie begehrten, und deren Aufwände sie allein durch ihre Reichthümer gewachsen waren. In diesem Zeitpuncte war in Rom ein wahrer Geburtsadel des Rechtes; aber die Vorrechte desselben gründeten sich nicht auf die Staatsverfassung, sondern auf Zufall und gewaltsame Unterdrückung; – es waren ungerechte Rechte. – Verzweiflung gab den zurückgesetzten Volksklassen die Kräfte wieder, die ein erträgliches Elend ihnen entrissen hatte. Sie errangen im langen Kriege mit den Patriciern alle ihre ihnen mit jenen gemeinschaftlichen Bürgerrechte wieder, und von nun an war der Unterschied zwischen Patriciern, Rittern und Plebejern ein blosser Name. Jeder konnte ohne Einschränkung alles im Staate werden: der ausschliessende Adel des Patriciats verschwand, und jene Nobilität trat an seine Stelle. – Die Ritter scheinen von der Zeit an, da Handlung und Reichthum in die Republik kam, sich vorzüglich auf die Vermehrung ihrer Schätze gelegt, sich mit dem Adel des Reichthums begnügt, und die Verwaltung der aufwandsvollen Staatsämter anderen überlassen zu haben. Wir finden wenigere ihrer Geschlechter unter den grossen Familien der Republik. Die Plebejer aber liessen den Patriciern keinen Vorzug: wir finden eben so viele und in dem gleichen Grade noble Häuser unter den ersteren als unter den letzteren.

Die barbarischen Nationen, die den Römern bekannt wurden, hatten keinen anderen Adel, als den der Meinung, und konnten keinen anderen haben; und wenn römische Schriftsteller eine Nobilität unter ihnen finden, so haben sie dieses Wort sicher nicht anders, als im Sinne ihrer Sprache gebraucht. – Doch das wird sich sogleich bei Untersuchung der Frage ergeben: was für ein Adel ist denn unser europäischer Adel, und – um dies beurtheilen zu können – woher ist er doch entstanden? Denn es ist nicht ohne Nutzen, mit unserem Adel und seinen Vertheidigern ein wenig in die Geschichte zu gehen, um ihnen zu zeigen, dass auch sogar da nicht zu finden ist, was sie suchen.

Die meisten und mächtigsten Völker des heutigen Europas entspringen von den germanischen Völkerschaften, die frei und gesetzlos, wie die nordamerikanischen Wilden, in ihren Wäldern herumstreiften. Im fränkischen Reiche war es zuerst, wo sie sich zu festen Staaten bildeten. Von diesem stammen die ansehnlichsten Reiche Europens, das deutsche Reich, Frankreich, die italiänischen Staaten ab. Von diesem, oder von den aus ihm entsprungenen Zweigen, besonders dem wichtigsten, dem deutschen Reiche, sind die übrigen Reiche, die nicht unmittelbar germanischen Ursprungs sind, wechselsweise beherrscht, belehrt, gebildet, fast erschaffen worden. In den Wäldern Germaniens ist der Geist der fränkischen Anordnungen; in diesem Reiche ist der Grund der neueren europäischen Einrichtungen aufzusuchen. – Es gab zwei Stände unter den Germanen: Freie und Knechte. Unter den ersteren gab es einen Adel der Meinung; es gab keinen des Rechts; es konnte keinen geben. Worauf hätten unter diesen Völkern die Vorrechte des Adels sich beziehen sollen? Auf ihre Mitbürger? bei ihnen, die in der höchsten Unabhängigkeit lebten, die gar keine festen dauerhaften Gesellschaften, ausser den Familienverbindungen, kannten, und die fast keine Befehle befolgten, als für die Dauer einer kurz vorübergehenden einzelnen Unternehmung? Oder auf Länderbesitz? bei ihnen, die den Feldbau nicht liebten, und die jedes Jahr an einem anderen Platze waren? Wer durch kühne Unternehmungen, durch Stärke und Tapferkeit, durch Raub und Sieg sich auszeichnete, auf Den richteten sich aller Augen; er wurde ein Gegenstand des Gesprächs, er wurde berühmt, nobel – nach dem Ausdrucke der Römer. Bei Erblickung seiner Söhne oder seiner Enkel erinnerte sich seine Völkerschaft seiner Grossthaten, ehrte in ihnen sein Andenken, und hatte das gute Vorurtheil für sie, dass sie ihrem Ahn ähnlich seyn würden. Diese, durch dieses gute Vorurtheil und durch die Erinnerung jener Thaten getrieben, wurden es mehrentheils. – »Sie wählen ihre Könige nach dem Adel; ihre Anführer nach Maassgabe ihrer persönlichen Tapferkeit,« sagt Tacitus.De moribus Germanorum, Cap. 7. Wer waren jene Könige, und wer waren diese Anführer; und worin waren sie von einander verschieden? – Ohne Zweifel führten die ersteren die ganze herumstreifende Horde, leiteten ihre Richtung, bestimmten ihre Standplätze, und wiesen ihnen Felder und Triften an. Wer gehorchen wollte, gehorchte; wer nicht wollte, riss mit seiner Familie sich von der Horde los, und streifte einsam herum, oder suchte sich mit einer anderen Horde zu vereinigen. Ein solcher Hordenführer musste einiges Ansehen haben; und worauf hätte unter einem Volke, welches auf nichts Werth setzte, als auf kriegerische Tapferkeit, dieses sich gründen können, als auf das Andenken grosser Thaten seiner Vorfahren, die er durch eigene, – welche dem ganzen Volke bekannt waren, das an der Wahl Antheil hatte, – in ihre Erinnerung zurückgebracht? Zog die ganze Horde in den Krieg, so führte eben dieser König sie an. Aber gewöhnlich war dies nicht der Fall. Einzelne Parteien machten abgesonderte Streifereien, so wie Kühnheit und plötzliche Einfälle es ihnen riethen.Tacit. de moribus Germanorum, Cap, 14. Der Zweck derselben war die Beute. Hier gerieth einer, dort einer auf eine kühne Unternehmung; jeder theilte seinen Entwurf mit und warb sich Gefährten, so viele und so gute er konnte; jede Partei wählte einen der ihr bekanntesten muthigsten Männer zum Anführer; jede zog ihres Weges. Hätte der König alle diese einzelnen Parteien, deren oft mehrere zugleich nach verschiedenen Richtungen hin auf Raub und Plünderung ausgingen, anführen können? Sie kamen zurück; gingen in anderer Gesellschaft auf andere Unternehmungen, und wählten vielleicht einen anderen zum Anführer derselben; aber immer tapfere, kühne Männer. – Dies sind jene Anführer, von welchen Tacitus redet. Wer auf diese Art oft Anführer war, und mit Glück und Muth seine Unternehmungen ausführte, dessen Name wurde in der ganzen Völkerschaft, so wie er nach und nach alle einzelnen Mitglieder derselben angeführt hatte, berühmt; es wurde kein kühnes Wagestück beschlossen, dazu man nicht eben ihn zum Anführer gewünscht hätte; er wurde nun selbst auch nobel, so wie es einst der König geworden war, und starb dieser, so konnte er, oder ein unter seinen Augen gebildeter, in seinen Fusstapfen einhergehender Sohn, sehr leicht zum Könige gewählt werden. Hier ist also noch nicht die geringste Spur von einem Erbadel des Rechtes.

So war es zur Zeit des Tacitus, als die einzelnen Völkerschaften Germaniens noch enger zusammenhingen, jede noch mehr einen Volkskörper bildete, und jedes einzelne Glied desselben noch Gelegenheit hatte, mit den Thaten der Tapfersten unter ihnen, und mit den Thaten ihrer Vorväter bekannt zu werden. Späterhin, als durch die allgemeine Gährung dieser Völker, durch den Druck von Osten her, und durch die Ausleerung ihrer Wohnsitze nach Süden und Westen hin, die bisherigen Völkerschaften sich trennten; und durch ihre Vermischung unter einander neue entstanden, die ohne Aufhören sich wieder vermischten, um wieder neue zu bilden, deren Namen man in keinem der älteren Geschichtschreiber findet, – musste auch dieser Adel der Meinung ziemlich verschwinden. Wer heute noch unter seinem Volke war, das seine Thaten, und seiner Väter Thaten kannte, und dessen grösste und berühmteste Männer er gleichfalls kannte, wurde vielleicht morgen unter einer Nation gedrückt, von deren Helden er ebensowenig wusste, als sie von seinem Heldenthume. So verhielt es sich mit denjenigen Völkern, welche, weniger gedrückt, in Germanien zurückblieben, als etwa mit den Sachsen, mit den Friesen u. s. w. Aber so verhielt es sich ganz gewiss mit den Völkerschaften, die in das römische Reich einrückten: mit den Burgundern, Vandalen, Franken, Allemannen; bei welchen letzteren beiden man es schon aus ihrem Namen sieht, dass die ersten aus allerlei freien Männern, die zweiten aus allen möglichen germanischen Völkerschaften zusammengeflossen waren.

Noch blieb eine Art des Zusammenhanges unter gewissen Mitgliedern dieser in einer allgemeinen Auflösung und Vermischung begriffenen Völkerschaften, welche der Grund alles Zusammenhanges wurde, der einst wieder unter sie kommen sollte, und deren Untersuchung daher äusserst wichtig ist.

»Jünglinge, erzählt Tacitus,De mor. Germ. Cap. 13 u. 14 . von den Germanen, um welche nicht schon ihr Ahnenruhm andere Jünglinge versammelt, schliessen sich an einen bejahrten, schon längst durch eigene Thaten ausgezeichneten Krieger, und keiner schämt sich dieser Waffenbrüderschaft. Kommt es zum Treffen, – so würde es einem solchen Führer Schande seyn, durch seine Waffenbrüder an Tapferkeit übertroffen zu werden; seinen Waffenbrüdern Schande, ihres Führers Tapferkeit nicht zu erreichen; ein für ihr ganzes Leben dauerndes Brandmal aber, aus einer Schlacht, in welcher er getödtet worden, lebendig davon gekommen zu seyn. Ihn zu decken, zu vertheidigen, ihre eigenen Heldenthaten ihm in Rechnung zu bringen, ist ihr erster und heiligster Eid.« – Ein solcher Held war der Vereinigungspunct seiner Waffenbrüder, auf ihn bezogen sie alles; wo er hinging, begleiteten sie ihn; wo er stand, blieben sie. Dies waren die einzig übriggebliebenen festen Puncte unter den in einem steten Flusse sich befindenden Völkerschaften; und sie mussten die übrigen aufgelösten Elemente an sich ziehen. Die ungewissen, ohne Hirten zerstreuten Völker schlossen sich an, wo sie eine solche Verbindung sahen; und je grösser der Haufe war, und je tapferere Männer sich unter ihnen befanden, desto zahlreicher schlossen sie sich an. In ihren Wirbel wurde alles mit fortgerissen, und so fielen diese, wie Schneeballen mit jedem Schritte sich vergrössernden Menschenhaufen in die Provinzen des abendländischen Reiches ein und eroberten sie.

Der Eroberer theilte, wie er schuldig war, die Beute unter seine getreuen Waffenbrüder. – »Eine grosse Waffenbrüderschaft lässt sich nur durch Krieg behaupten,« sagt Tacitus.Am angeführten Orte. »Von ihres Führers Freigebigkeit erwarten sie ihr Streitross, und ihren blutigen und siegreichen Speer; und Schmäuse, wo zwar nicht Feinheit, aber Ueberfluss herrscht, sind ihnen statt des Soldes. Von der Ausbeute des Krieges wird dieser Aufwand bestritten.« – Das angenehmere Klima, die angebauteren Ländereien, die mannigfaltigen Genüsse, die ihnen der Luxus der Ueberwundenen bereitet hatte, luden sie ein, im Frieden zu geniessen, was da war, und der herumschweifenden Lebensart ihrer unfreundlichen Wälder zu entsagen. Sie bekamen Geschmack für den Ackerbau, und für die damit verbundene bleibende Wohnung. Aecker wurden nun auch Beute für sie; und der Ueberwinder befriedigte sie mit Aeckern. Er ahmte dabei die Politik der Wälder nach, und gab sie ihnen nicht zum dauernden Eigenthum, um sie nicht durch die Gewohnheit des Besitzes Geschmack am Stillesitzen finden zu lassen, sondern bloss auf willkürliche Zeit zum Genüsse.

Sehet da den Ursprung des Feudalsystems . Man hat geahndet, dass dieses mit dem Ursprünge unseres heutigen Adels zusammenhänge; die Frage: ob der Adel die Ursache des Feudalsystems, oder: ob das Feudalsystem die Ursache des Adels sey , hat man aufzuwerfen vergessen; da doch ihre Beantwortung allein uns in den richtigen Gesichtspunct stellen konnte.

Der Waffenbruder des Eroberers erhielt von ihm Ländereien zum Lohne. Wurde er etwa durch den Genuss derselben verbunden, ihn im Kriege zu begleiten? Keinesweges; dazu war er längst vorher durch seinen Eid verbunden, er hing durch seine Person von ihm ab, und nicht durch seinen Acker . Wenn er ihm nie einen gegeben hätte, nie einen hätte geben können, so wäre er dennoch verbunden geblieben, ihn bei allen seinen Unternehmungen zu begleiten, laut und in Kraft seines ersten Eides. – Es mag wohl seyn, dass durch den Genuss der ruhigen Lebensart, und durch die Annehmlichkeiten des verliehenen Besitzes das Geschenk für den Urheber desselben nachtheilig wurde, und dass der Lehnsmann jetzt, da er von seinem Herrn etwas besass, sich weigerte, ihn in das Feld zu begleiten; welches er vorher, da er nichts besass, ohne Bedenken gethan haben würde. Das nächste, was der Lehnsherr thun konnte, war freilich das, dass er ihm sein Lehn nahm; aber das war keine angemessene Strafe; es war überhaupt keine Strafe; auch ohne jene Pflichtverletzung hatte er das vollkommene Recht, seine Ländereien zurückzunehmen.

Diese Vasallen des Eroberers waren allerdings im Besitze der Nobilität der Meinung; es war natürlich, dass die Augen der übrigen freien Männer sich auf Leute richteten, die zunächst an der Seite des mit Sieg gekrönten Eroberers gefochten, die sich vor ihren Augen durch diese oder jene kühne That ausgezeichnet hatten, die täglich in der Gesellschaft ihres Fürsten waren, die an seiner Tafel speisten; es war eben so natürlich, dass das Volk auch ihren Söhnen einen Theil der den Vätern schuldigen Hochachtung zollte, wenn sie sich derselben nicht durch ihre eigene Feigheit unwerth machten. Noch aber sehe ich hier keinen Adel des Rechtes ; – oder bestand dieser etwa in ihren ausschliessenden Ansprüchen auf die Lehnsgüter ihres Herrn?

Natürlich konnten nur die Begleiter und Waffenbrüder des Eroberers einen Anspruch auf Antheil an der Ausbeute, und insbesondere auf Ländereien, als einen Theil der Beute, machen; die übrigen hatten nichts verlangt, als Wohnsitze in den eroberten Ländern. Aber was war es denn eigentlich, das jenen dieses Vorrecht gewährte? War es etwa ihre Geburt, oder war es etwas anderes als die Waffenbrüderschaft des Königs? Jeder andere freie Mann war wirklich von dem Besitze der Lehne ausgeschlossen; aber nicht darum, weil er weiter nichts als ein freier Mann , sondern darum, weil er kein Waffenbruder des Königs war. Diese Waffenbrüderschaft war die Quelle des Rechtes. Sollte etwas für die damalige Existenz eines ausschliessenden Vorrechtes gewisser Familien erwiesen werden, so müsste gezeigt werden, dass nicht jeder freie Mann, sondern nur einige unter ihnen das Recht gehabt hätten, sich in die Begleitung eines Helden zu begeben . Wo hätte doch ein solches abschliessendes Recht entstanden seyn sollen? In ihren Wäldern , wo, nach den ausdrücklichen Worten des Tacitus, gerade diejenigen sich in die Begleitung eines stärkeren Kriegers begaben, die nicht Ahnenruhm genug hatten, um dadurch selbst einen Cirkel von Jünglingen um sich her zu versammeln? oder nach der Entstehung der Monarchie? Und im letzteren Falle, wer hatte denn das ausschliessende Vorrecht? etwa diejenigen, die schon zur Begleitung des Monarchen gehörten? oder etwa ihre Kinder?

Montesquieu, der das Daseyn eines ausschliessenden Geburtsadels noch vor der Eroberung annimmt, ohne sich jedoch auf obige Unterscheidung zwischen Nobilität der Meinung und Adel des Rechts einzulassen, liefert für dieses Daseyn zwei Beweise; er muss also, nach obiger Folgerung, annehmen: dass nur sein vorausgesetzter Adel berechtigt gewesen, sich in die Begleitung eines auf Eroberung ausgehenden Helden zu begeben , da er selbst über den Ursprung des Feudalsystems der gleichen Meinung mit uns ist; – und dies ist es eigentlich, was seine Beweise beweisen müssen.

Ludwig der Fromme hatte einen gewissen Hebon, der als Sklav geboren war, frei gemacht, und ihn zum Erzbisthume von Rheims erhoben. Der Lebensbeschreiber dieses Königs, Tegan, verweist diesem Hebon seine Undankbarkeit, und redet ihn also an: »Was für einen Dank hast du ihm gegeben? Er hat dich frei gemacht; nicht edel, was nach einer Freilassung unmöglich ist.«De l'esprit des lois. L. 30. Cap. 25. – Fecit te liberum, non nobilem, quod impossibile est post libertatem. Hieraus will Montesquieu erweisen, dass es schon damals einen bürgerlichen Unterschied zwischen einem bloss freien Manne und einem Edelmanne gegeben habe. Aber was sagt doch diese Stelle? – Wir wollen nicht erklären wie der Abt Du Bos, dessen Erklärung Montesquieu mit Recht tadelt. – Es ist unmöglich einem Freigelassenen den Adel zu geben, sagt der Lebensbeschreiber. In welcher Rücksicht ist es unmöglich; in physischer und moralischer? oder in politischer? – aus natürlichen Gründen, oder wegen der Reichsverfassung? Entweder Tegan sagt etwas widersinniges, oder er wollte das letztere nicht sagen. War nur der Besitz des Lehns das Zeichen des Adels; war nur die Waffenbrüderschaft des Königs der Weg zu einem Lehne zu gelangen, – wie Montesquieu zugiebt, wofern er consequent ist: – so war jeder Bischof schon von selbst von diesem Lehnsadel ausgeschlossen. Ohnerachtet die Bischöfe, wenigstens die von germanischer Abkunft, in diesen Zeiten persönlich mit zu Felde zogen, so konnte doch kein der Kirche geweihter Mann einem Könige so innigst, und so auf Tod und Leben geweiht seyn, wie die Waffenbrüder es waren. Eins schliesst offenbar das andere aus. Tegan hätte demnach sagen müssen: es ist unmöglich einem Bischofe den Adel zu geben; aber nicht: es ist unmöglich einem Freigelassenen den Adel zu geben. Tegan redet demnach von keiner politischen, sondern von einer physischen und moralischen Unmöglichkeit, und meint die Nobilität der Meinung. Dass Hebon als Sklav geboren war, war einmal bekannt; es war durch die Verhandlung seiner Freisprechung und durch die hohe Würde, zu der ihn der König erhoben hatte, nur um so bekannter geworden; nach einer solchen lauten Ankündigung konnte der König doch nicht der öffentlichen Meinung gebieten und verlangen, dass man glauben solle, Hebon sey aus altem freien Stamme geboren. – Vielleicht war Hebon um seiner niedrigen Geburt willen verachtet worden, und dies hatte seine Laune verbittert, und seinen Hass gegen den König gereizt, der ihn seiner Meinung nach durch die Erhebung zu jenem hohen Posten derselben bloss gestellt. Tegan sucht den König gegen Hebon gleichsam zu entschuldigen. Alles also, was diese Stelle beweisen könnte, wäre das, dass man in diesem Zeitalter einen in der Sklaverei Geborenen nicht so hoch geachtet, als einen Freigeborenen; eine Bemerkung, die wohl auf jedes Zeitalter ohne Unterschied passen möchte. – Man mache dieser Erklärung nicht etwa den Vorwurf, dass sie eine philosophische Unterscheidung bei dem Tegan voraussetze, die sich von ihm nicht erwarten lasse! Gab es zu Tegans Zeiten keinen anderen Adel, als den der Meinung, wie als erwiesen angenommen wird, so hatte Tegan nichts zu unterscheiden, und seine Worte konnten für seine Zeitgenossen keinen anderen Sinn haben, als den angezeigten. Hingegen muss Montesquieu, um den Worten des Schriftstellers den Sinn unterzulegen, den er damit verbindet, voraussetzen, dass Tegan schon einen Begriff von einem Geburtsadel des Rechts gehabt, dass mithin zu seiner Zeit schon ein solcher vorhanden gewesen; kurz, er muss zum Behuf seiner Erklärung schon als erwiesen voraussetzen, was er durch sie erweisen will.

Karl der Grosse machte in seiner Theilungsacte die Anordnung, dass kein Vasall eines seiner Söhne wo anders, als im Reiche seines Lehnsherrn ein Lehn besitzen,Montesquieu, im angeführten Werke. B. 31. Cap. 25. – Aus dieser Anordnung folgt unter anderen auch das, dass noch zu Karls des Grossen Zeiten die Lehnsverfassung in ihrer alten Gestalt fortdauerte. Seine Söhne hatten, noch ehe sie zur Regierung kamen, ihre Lehnsleute, aber sie hatten noch keine Lehne zu vergeben. Mithin waren ihre Vasallen nicht durch den Besitz irgend eines Lehns, sondern durch ihren blossen Eid an ihre Person gebunden. seine AllodiengüterDie Ländereien, die ein freier Mann nicht als Lehn, sondern als Eigenthum besass, hiessen Allodium. Alle Ländereien waren damals eins von beiden: Lehn, oder Allodium aber, in wessen Theile sie auch lägen, behalten solle; jedem freien Manne aber, dessen Lehnsherr gestorben, oder der bisher keinen gehabt, erlaubte er, sich – in wessen Theile er wolle, dazu zu erwählen, wen er wolle. In einem ähnlichen Theilungstractate, der im Jahre 587 zwischen Gontran, Childebert und Brunehild zu Andely geschlossen worden, und der der Verordnung Karls des Grossen fast in allen Stücken ähnlich ist, kommt die gleiche Verfügung über die Vasallen, aber keine über die freien Männer vor; und daraus schliesst Montesquieu, dass erst zwischen den Regierungen Gontrans und Karls des Grossen die freien Männer sich das Recht erworben, ein Lehn zu besitzen, oder – was meiner Meinung nach das gleiche bedeutet – sich zur Begleitung eines Königs, oder eines anderen Grossen anzutragen. Aber ich sehe nicht, wie das folgt; wenn man es nicht etwa schon im voraus annimmt. Ich will einmal das Gegentheil voraussetzen, und wir wollen sehen, ob jene Verschiedenheit der beiden Theilungsacte sich nicht eben so natürlich erklären lässt. –

Wenn vom Anfange der Monarchie an, also vor und zu Gontrans Zeiten, der freie Mann das Recht hatte, sich einem Lehnsherrn zu geben, welchem er wollte, so war es völlig überflüssig, im Theilungstractate von Andely eine Verfügung darüber zu machen. Es sollte und konnte kein neues Recht eingeführt werden: ob ein freier Mann sich dem Gontran, oder dem Childebert gab – er wurde sein Lehnsmann, und stand unter seinen Befehlen; und er konnte, da das Lehn nur unter der Bedingung der Waffenbegleitung gegeben wurde, diese aber den Lehnsmann an die Person seines Lehnsherrn band, nicht der Lehnsmann des anderen seyn, noch ein Lehn von ihm besitzen. So viel folgte, ohne alle weitere Anordnung, aus der Natur der Sache. – Aber eben diese freien Männer, die jetzt Vasallen wurden, besassen Allodien. Da diese unter keiner Bedingung verliehen waren, so konnten sie auch unter keiner eingezogen werden; sie verblieben unangetastet dem Eigenthümer. Wenn ein Freier, der in Gontrans Gebiete ein Allodium besass, sich dem Childebert zu einem Lehne darbot, so konnte er, der Natur der Sache nach, von nun an kein Lehn mehr in Gontrans Gebiete besitzen: aber sein Allodium musste ihm bleiben. – Jetzt bekamen beide Krieg. Er war, vermöge seines Allodiums, verbunden, unter einem Grafen des Gontran – er war, vermöge seines Vasalleneides, verbunden, unmittelbar unter Childebert Kriegsdienste zu thun. Er konnte sich nicht theilen; das Lehn hatte den Vorzug, weil es unmittelbar seine Person an die Person seines Lehnsherrn band: aber wie sollte Gontran befriedigt werden? In das Eigenthumsrecht des Allodiums einen Eingriff thun, und es etwa einem anderen, der ihm die darauf ruhenden Kriegsdienste geleistet hätte, übertragen, – das durfte er einmal nicht. Hieraus mussten mannigfaltige Streitigkeiten zwischen den Königen entstehen. Höchstwahrscheinlich hatten die Vorfahren Karls des Grossen die Veranlassung dieser Streitigkeiten entweder durch den unrechtmässigen Eingriff in das Eigenthumsrecht des Allodiums; oder durch den eben so unrechtmässigen, in das Recht der freien Männer – sich zum Lehnsherrn zu wählen, wen sie wollten – zu heben gesucht: sie hatten entweder die in ihrem Gebiete liegenden Allodien eines Mannes, der sich einen anderen Regenten zum Lehnsherrn gegeben hatte, gleich den Lehnen, eingezogen; oder sie hatten allen Allodienbesitzern in ihrem Antheile verboten, sich einen anderen zum Lehnsherrn zu wählen, als sie selbst: und Karl fand, durch die Erfahrung der Vorzeit gewarnt, nöthig, ausdrücklich und mit klaren Worten zu untersagen, was schon durch die Natur der Sachen untersagt war, und was, ohne diese vorhergegangene Erfahrung, seine Vorfahren unmöglich untersagen konnten. – Ueberdies war jetzt ein anderer Ausweg ergriffen worden, jenen Collisionen der Lehns- und der Allodien-Pflicht auszuweichen; es war durch ausdrückliche Verfügungen, die man bei Montesquieu angeführt findet, erlaubt worden, die auf den Allodien ruhenden Dienste durch einen anderen verrichten zu lassen.

So beweist dieser Umstand nicht für – aber die Worte der Verordnung beweisen alles wider Montesquieu, und stürzen sein System ohne Rettung zu Boden. – Wer seinen Lehnsherrn durch den Tod verloren, wird hier, eben so wie derjenige, der nie einen gehabt, frei genannt. Was war doch der Lehnsmann vorher, ehe sein Lehnsherr starb; war er da auch frei? Das Gesetz nennt ihn in diesem Verhältnisse Vasall. Der freie Mann wird demnach nicht bloss im Gegensatze gegen den Sklaven , sondern auch im Gegensatze gegen den Vasallen frei genannt; und wirklich war, der ursprünglichen Verfassung nach, niemand weniger frei, als der Lehnsmann, wie wir oben aus dem Tacitus gesehen haben. Wie will man also doch einen forterbenden Adel suchen, wo der Lehnsmann sogar für seine eigene Person durch den Tod seines Lehnsherrn seine Eigenschaft, als Vasall, verlor, und in die gemeinsame Klasse der freien Männer zurücktrat? Wie könnte man glauben, dass es da etwas höheres gegeben habe, als einen freien Mann, wo der Edelste stets erwarten musste, es zu werden? Wurde er etwa durch den Tod seines Lehnsherrn seines Adels entsetzt? Nach einem so entscheidenden Beweise sollte man, meine ich , kein Wort weiter verlieren, um jenes System zu vertheidigen.

Ich verläugne nicht meine Verehrung gegen den grossen Mann, auf dessen Schultern ich mich stellte, wenn ich, durch ihn selbst unterstützt, weiter zu sehen glaube, als Er sah. Es ist ein mehr warnender als kitzelnder Anblick, einen der grössten Männer im Reiche der Literatur eben durch seine unermesslichen Kenntnisse und durch seinen bewundernswürdigen Scharfsinn zur Vertheidigung vorgefasster Meinungen fortgerissen zu sehen, vor denen jene Eigenschaften ihn verwahren sollten. Noch finden wir keinen Erbadel des Rechtes; noch finden wir nicht einmal persönliche Vorrechte des unmittelbaren Waffenbruders eines Königs, als dasjenige, welches aus der Waffenbrüderschaft nothwendig folgte, den Antheil an der Beute. – Die Eroberer machten Gesetze, und es war zu erwarten, dass ihre Waffen- und Tischgenossen vorzüglich würden begünstigt werden. Wer einen Freien oder Freigelassenen tödtete, zahlte 200, wer einen Getreuen des Königs tödtete, zahlte 600 Schilling für den Vertrag mit den Hinterlassenen des Getödteten.Solidus. Es wird hierbei niemand an unsere Schillinge denken. Es war eine Münze, deren Werth zu bestimmen, nicht Noth thut. – Ganz im Geiste ihrer ehemaligen Verfassung (S. Tacitus, Cap. 21.) wurde ein Mord nicht als Verletzung des Staates, sondern bloss der Familie – in Ermangelung dieser – des Lehnsherrn, oder – wenn es ein Sklave war – des Eigentümers, betrachtet. Die letzteren hatten das Recht der Wiedervergeltung, Dieses wurde durch jene im Gesetze bestimmte Summe abgekauft. Noch zahlte späterhin der Mörder den dritten Theil dieser Busse, unter der Benennung Fredum (Frieden) an den Gerichtshof, der die Sache schlichtete. Das war allerdings ein Vorrecht; soll es aber für einen Erbadel des Rechtes beweisen, so müsste abermals gezeigt werden, dass gewisse freie Familien von der Eigenschaft, womit es verknüpft war, von der Begleitung des Königs , ausgeschlossen gewesen; davon aber ist das gerade Gegentheil erwiesen worden. Es war demnach ein bloss persönlicher Vorzug, der mit dem Tode des Lehnsmannes von der Familie wegfiel; den er selbst sogar für seine Person verlor, wenn sein Lehnsherr eher starb, als er; und er kein Mittel fand, unter die Begleitung seines Nachfolgers aufgenommen zu werden. – Es war einer Lehnsmann Karls des Grossen, und wer ihn getödtet hätte, hätte 600 Schilling bezahlt. Karl stirbt, und er will nicht oder er kann nicht Lehnsmann Ludwigs des Frommen werden, und heisst jetzt, laut obiger Verfügung Karls, ein Freier . Er wird getödtet. Wie viel hat, nach obigem Gesetze, sein Mörder zu bezahlen? – Ausser diesem hatten sie so wenig Vorzüge vor Gericht, dass jeder Edle, der einen Sklaven angeklagt und ihn zum gerichtlichen Zweikampfe gefordert hatte, verbunden war, sich zu Fusse und im Hemde auf seine Waffen, auf den Stock, mit ihm zu schlagen.S. Montesquieu. B. 28. Cap. 24, wo er seine Autorität anführt. – Villain steht im Texte des Beaumanoir, und das kann nichts anderes heissen als Sklave . Jeder Freie war gehalten, Kriegsdienste zu thun, wenn er auch nicht Lehnsmann war, mithin war er im Handwerke der Waffen geübt; nur der Sklave war von den ersteren, so wie von dem letzteren ausgeschlossen. Es ist hier nicht der Ort, diese Bedeutung des Wortes aus der Sprache zu erweisen. Es ist zu erwarten, dass der Sohn eines solchen Streiters des Königs, vielleicht unter den Augen desselben in den Waffenübungen erzogen, die Verbindlichkeit seines Vaters gern übernahm, und dass der König nicht leicht jemandem sie williger übertrug als ihm. Er trat dadurch in die Rechte ein, die sein Vater besessen hatte; aber nicht vermöge seiner Geburt von ihm, sondern vermöge seiner eigenen Weihung an den König. Dankbares Andenken an die Verdienste der Vorfahren musste allerdings die Könige bewegen, bei gegebener freier Wahl, die Nachkommen bekannter und berühmter Männer unbekannten und fremden Familien vorzuziehen: aber ein Gesetz verband sie dazu nicht. Jene Klagen über die Zurücksetzung alter Häuser, und die Hervorziehung unbekannter oder ausländischer Familien, die schon unter einigen Merowingern , und die lauter und bitterer unter Ludwig dem Frommen und Karl dem Kahlen geführt wurden, gründeten sich demnach gar nicht auf eine Verletzung der Reichsverfassung – welche ohnedem die schon mächtig und unabhängig gewordenen Vasallen sicher nicht geduldet hätten; – sie gründeten sich auf eine Vernachlässigung des dankbaren Andenkens, wo sie sich nicht bloss auf den Neid und den Uebermuth der Edlen gründeten.

Indess hatte immer mehr der Geist des Volkes von der kriegerischen Raubsucht zum friedlichen Genüsse dessen, was sie hatten, sich gebildet; – die Lehne wurden auf Lebenslang – sie wurden endlich erblich verliehen, und das ganze System wurde gerade umgekehrt. Vorher war die Waffenbrüderschaft des Königs der Grund des Lehnsbesitzes und der persönlichen Vorrechte: – bei dem ersten, der seines Vaters Lehn erbte , wurde der Lehnsbesitz Grund der Waffenbrüderschaft des Königs, und der damit verbundenen persönlichen Vorrechte: vorher gab der Kriegsdienst dem Krieger ein Recht, das Lehn zu fordern; jetzt gab das Lehn dem Könige ein Recht, Kriegsdienste zu fordern. – Der Erbe des Lehns erbte zugleich die Verbindlichkeiten, die darauf ruhten, und nur kraft dieser Verbindlichkeiten , die damit verknüpften persönlichen Vorrechte. Jetzt erst gab es eine Art von Adel, welcher Rechte – erbte : die beiden abschliessenden Kennzeichen unseres neueren Adels. Auch nur auf diese Art, und nur unter diesen Bedingungen konnte irgend ein Volk, so barbarisch es auch seyn mochte, auf den Gedanken gerathen, etwas, das seiner Natur nach nur freiwillig übernommen , keinesweges aber übertragen werden kann – Verbindlichkeiten und Rechte – zu vererben. Sie banden sie an etwas, das sich allerdings vererben lässt, an den Boden ; wer diesen nicht wollte, war frei von der Verbindlichkeit, und that Verzicht auf das Vorrecht: – das war jedem unbenommen, das Vertragsrecht blieb ungekränkt: wer ihn übernahm, übernahm auch die darauf ruhenden Verbindlichkeiten, und das nicht durch einen stillschweigenden, sondern durch einen förmlichen Vertrag, – durch den Lehnseid , welcher an die Stelle jenes in den Wäldern üblichen Weihungseides getreten war. Mit diesen Verbindlichkeiten waren persönliche Vorrechte verknüpft, die er nicht etwa mit dem Boden des Lehns ererbt hatte, sondern die er erst durch Uebernehmung der darauf ruhenden Verbindlichkeiten – die er demnach nicht durch Erbe , sondern durch Vertrag erhielt.

Dies ist die erste Veranlassung zur Entstehung unseres Erbadels des Rechts; aber er ist es bei weitem noch nicht selbst . Noch immer gab nicht die Geburt den Adel; sie gab das Lehn, und das Lehn erst gab den Adel. Wenn ein unmittelbarer Reichsvasall mehrere Söhne hatte, und nur Einer von ihnen erbte das Lehn, so erbte auch nur dieser Eine den Adel. Meist gab ein solcher Theile seines Lehns an seine Brüder, als Afterlehne, und diese wurden nun Seine Edlen, so wie Er ein Edler des Königs war. – Doch darauf werden wir bald zu reden kommen.

Um der Entstehung unseres heutigen Erbadels auf die Spur zu kommen, der nicht mittelbar durch etwas, das sich vererben lässt, – durch Ländereien, sondern unmittelbar durch die Geburt; – und nicht vermöge übernommener besonderer Verbindlichkeiten, sondern frei von allen Verbindlichkeiten, Vorrechte zu ererben vermeint, muss man in ein eben so finsteres, als verdorbenes Zeitalter herabsteigen, wo die alle Barbarei ohne ihre alte Consequenz fortherrschte, und wo man auf die Folgen eines Systemes fortbaute, das man in seinen ersten Grundsteinen längst zerstört hatte.

Jene ursprünglichen Lehne theilten sich in allen Ländern der ehemaligen fränkischen Monarchie ins unbegrenzte hinaus in andere, ihnen untergeordnete Lehne; jedes ward ein Baum, welcher Aeste trieb, und die Aeste trieben wieder ihre Zweige, und die Zweige ihre Blätter. Jeder Vasall verschaffte sich seine Aftervasallen, und jeder Aftervasall wieder die seinigen; alle in der Absicht, um durch die Macht derselben jeder seinem unmittelbaren Lehnsherrn widerstehen, und sich von ihm unabhängig machen zu können; keiner ahndete vorher, was er nach kurzer Zeit erfuhr, dass seine Vasallen bald diejenige Macht, die er sie gegen seinen Lehnsherr zu wenden gelehrt hatte, gegen den ihrigen kehren würden. Der grösste Lehnsherr, das Reich, verlor zuerst seine Kräfte; ihm folgten die unmittelbaren Lehne nach Verhältniss ihrer grösseren Ausdehnung allmählig nach, und so ging die Entkräftung fort zu den mittelbaren, und zu den noch mittelbareren. Das Reich theilte sich in so viele Staaten, als es grosse Lehne hatte; dann diese in so viele Staaten, als sie untergeordnete Lehne hatten, und so weiter hin. Der freie Besitzer seiner Allodien, der niemandes Herr und niemandes Knecht war, und der bisher unter dem Schutze des Reiches gestanden hatte, verlor seine Stütze, so wie dieses seine Kraft verlor. War er nicht mächtig genug, sich selbst zu schützen; war sein Allodium nicht ausgedehnt genug, um durch Vertheilung desselben sich selbst Vasallen zu verschaffen, so musste er sich an eine mächtige Partei anschliessen, und sein Allodium zum Afterlehne von einem mächtigen Reichslehne annehmen, und es demselben einverleiben. So wurden allmählig alle Allodien zu Lehnen, und das Reich verlor seinen letzten Besitz; nachdem es seinen ersten, die Lehne, durch die Vererbung derselben schon längst verloren hatte. – In den Unruhen und Kriegen der vorigen Zeiten hatten eine Menge freier Leute ihre Freiheit verloren; wer sie noch erhalten und kein Gut hatte, um die halbe Freiheit, die jetzt noch erlaubt war, damit zu erkaufen, verlor jetzt sie sicher: es gab von nun an nichts mehr als Sklaven oder Lehnsmänner; freie Männer gab es nicht mehr.

Seitdem Gesetze und Gerichte eingeführt waren, hatten die Lehnsmänner in ihren Lehnsherrschaften die Gerichtsbarkeit. Aehnliche Vorrechte, als sie selbst vor den Reichsgerichten hatten, gaben sie vor den ihrigen – man nannte es ihren HofLa cour palatium ; daher comes palatinus – ein Beisitzer des unmittelbaren Reichsgerichts, wo die Reichsvasallen gerichtet wurden, im Gegensatze eines Grafen, der im Namen des Reichs die freien Männer auf ihren Allodien richtete. – ihren Vasallen; und diese wieder den ihrigen, wenn sie welche hatten. Das Reich hatte seine Edlen, und jede kleinere Lehnsherrschaft die ihrigen.Daher die Pairs, pares , für unmittelbare Reichsvasallen und Reichsedle. Diese waren sich untereinander gleich, sie standen auf der gleichen Stufe, Der mittelbare und noch mittelbarere Adel in den Lehnsherrschaften und Afterlehnen war ihnen nicht gleich. Die Grafen, Richter der freien Männer auf den Allodien, hatten die Gerichtsbarkeit, die sie als solche ausgeübt hatten, längst verloren. Es gab keine Allodien mehr. Sie selbst hatten die Grafschaften sich erblich zugeeignet, und besassen vielleicht den grössten Theil derselben als Lehn. Alle Gerichte waren Lehnsgerichte, und vor diesen waren alle Lehnsleute, die dahin gehörten, edel. Es gab demnach nur Edle und Sklaven; keinen dritten Stand gab es damals.

Noch immer beruhte dieser so sehr mittelbare Adel auf dem Besitze eines Lehns. Die Lehnsleute wurden nach ihren Lehnen genannt; es gab keine Familiennamen.Das wird hoffentlich niemand läugnen, der die Geschichte der germanischen Nationen nur ein wenig kennt. Die Benennungen der Merowinger, der Karolinger, der Kapetinger sind erst später von den Geschichtsschreibern zur leichteren Uebersicht erfunden. Merowäus (vermuthlich wusste Chlodwig höher hinauf seine Ahnen nicht), Karl, Kapet waren persönliche Namen, und Ludwig XVI. hatte Recht, nicht Kapet heissen zu wollen. Wenn er nicht mehr König von Frankreich heissen sollte, so hatte er gar keinen Namen mehr, als seine Taufnamen. Kein König oder regierender Fürst hat einen anderen: König, Herzog, Fürst sind Benennungen der Würde, aber nicht Namen. Solche Abkömmlinge von Vasallen, die kein Lehn bekommen konnten, fielen in ihre Dunkelheit zurück; nichts war, woran man sie erkennen konnte; es ist unmöglich zu sagen, was aus ihnen geworden ist – ignotis perierunt mortibus . – Noch immer gab es keinen Adel durch die blosse Geburt; als eine Kleinigkeit, ein bemaltes Brett, ihn herbeiführte.

Die grösseren Vasallen erzogen an ihren Höfen die Kinder ihrer Lehnsleute in den Waffenübungen. Diese Höfe wurden allmählig glänzender und galant; der Geist der Ritterschaft entstand, und mit ihm die Turniere. Von der Scheitel bis an die Füsse mit Eisen bedeckt, wollte der kämpfende Ritter sich durch irgend etwas kenntlich machen, und that es, nach mancherlei anderen Versuchen, durch ein Bild auf seinem Schilde. Durch Thaten der Kühnheit und der Stärke berühmt, bekam dieses Bild etwas feierliches für seine Nachkommen. Der Vereinigungspunct der Familien war gefunden, und wer nichts von seinem Vater erbte, erbte wenigstens das Bild, das auf seinen Schild gemalt war, und wurde oft auch nach ihm genannt. – Die Namen unserer alten deutschen Familien kommen entweder von ihren ehemaligen Lehnen her – und dann wird man meist Dörfer oder Burgen des gleichen Namens aufzeigen können; – oder sie kommen von ihrem Wappen her, und dann ist die Aehnlichkeit sichtbar, und die wichtige Wissenschaft, welche von den Wappen handelt, nennt ein solches Wappen ein redendes Wappen. – Der Name wurde damals vom Wappen entlehnt. Bei den neugeadelten Familien ist es umgekehrt; oft wird da das Wappen vom Namen hergenommen.

Indessen hatte sich auch im Kriege ein Hauptumstand verändert. Ehemals zogen nur die Freien zu Felde. Jetzt hatte die Anzahl dieser – die nun Edle geworden waren – durch Unterjochung aller, die Das nicht werden konnten, sich ansehnlich verringert; die Zahl der Fehden aber, dadurch, dass jeder Lehnsmann, so klein er auch war, Kriege führte, sehr vermehrt. Der mächtigste Vasall hätte seinen Feinden nicht Widerstand thun können, wenn er bloss seine edlen Lehnsmänner in das Feld geführt hätte; wie viel weniger denn der Besitzer eines geringen Dorfes, der doch auch seine Kriege hatte. Leibeigene Bauern thaten jetzt Kriegsdienste. Die mächtigeren Vasallen rechneten, die in den Waffen geübteren Nachkommen ihrer Lehnsmänner, denen sie kein Lehn ertheilen konnten, als Anführer jener Leibeigenen in ihren Fehden gebrauchen zu können, und ertheilten ihnen wahrscheinlich um dieser Nutzbarkeit willen an ihren Höfen und vor ihren Gerichten die Vorrechte ihrer wahren Lehnsmänner. Dies ward zur Gewohnheit; und jetzt maassten auch diejenigen, denen niemand sie ausdrücklich ertheilt hatte, diese Vorrechte, als etwas, das sich von selbst verstünde, sich selbst an: niemand konnte oder wollte es untersuchen, und so entstand die abenteuerliche Meinung, dass man unmittelbar durch die Geburt Vorrechte vor anderen Menschen und auf andere Menschen erhalten könne.

Dass dies an sich unmöglich sey, weil es wider natürliche unveräusserliche Menschenrechte streitet, habe ich im vorigen Capitel gezeigt; dass es in keinem der alten Staaten, und eine geraume Zeit auch in keinem der neueren so gehalten worden, und dass dieses Vorurtheil nicht durch die Staatsverfassung begründet, sondern durch Unwissenheit, Misbrauch und Anmaassung allmählig herbeigeführt worden – in dem gegenwärtigen. – Doch lasst uns jetzt alle Ansprüche des Adels einzeln, einen nach dem anderen, durchgehen!

Zuerst machen sie einen Anspruch auf unsere Meinung: sie wollen für vornehmer gehalten seyn. Der Adel der alten Völker imponirte gleichfalls der Meinung; darin kommt der neuere mit ihm im Ganzen überein, unterscheidet sich aber auch hierüber, der Art nach, sehr merklich von ihm. – »Ich bin von Adel,« sagt uns der moderne Edelmann. – Welch etwas ganz anderes war es, wenn ein Römer sich einen Brutus, einen Scipio, einen Appius, oder Cimon sich eines Miltiades Sohn nannte! Bestimmte Thaten bestimmter Männer gingen dann vor der Seele des Volkes vorüber, dem er sich nannte, und knüpften sich an den Mann, der durch seinen Namen oder durch den Namen seines Vaters das Andenken derselben bei ihnen erneuerte. – Aber was denken wir uns bei dem unbestimmten weitschichtigen Begriffe: Adel? Etwas klares wenigstens nicht. – Oder, sagt uns auch der moderne Edelmann seinen Namen: ich bin ein Herr von X***, oder ein Herr von Y***, oder ein Herr von Z***; so ist er und wir dadurch meistentheils sehr wenig gebessert. Wir sind im Allgemeinen in unserer vaterländischen Geschichte weit weniger einheimisch, als die alten Völker, weil man uns so viel als möglich abhält, Antheil an öffentlichen Geschäften zu nehmen: – und was wir allenfalls wissen, erregt unsere Theilnehmung in weit geringerem Grade, weil es derselben meist so wenig würdig ist. – Wenn wir denn nun von den Thaten der Ahnherren des X*** oder des Y*** Hauses sehr genau unterrichtet wären, – was würden wir denn nun wissen? Vielleicht, dass der Eine bei einem Turniere des Kaisers Friedrich des Zweiten mitgefochten; ein Anderer einen Kreuzzug mitgemacht; in den neueren Zeiten ein Dritter Minister war, wie alle Minister zu seyn pflegen; ein Vierter General, wie alle Generale zu seyn pflegen; dass ein Fünfter als Gesandter einen Tauschvertrag über einige Dörfer abgeschlossen, oder eine versetzte Landschaft eingelöst, dass ein Sechster in dem oder jenem Treffen brav gethan habe. – Recht wohl; aber wie hat er denn brav gethan? kann man nicht einzelne Züge seines Heldenmuthes, nichts besonderes über die Umstände erfahren? – Was man nicht alles fragt! Genug er hat brav gethan; in dieser oder jener Chronik stehts. – Ich wüsste gegenwärtig kein Land, wo durch die Nennung gewisser Namen kräftige Neben-Ideen erweckt würden, als etwa die preussischen Staaten. Ich höre einen Keith, einen Schwerin, einen Winterfeld nennen. Hier fallen mir wohl die Thaten der Helden Friedrichs von dem gleichen Namen bei; und ich werde begierig zu wissen, ob der Unbekannte etwa von ihnen abstamme, und ob er in ihre Fusstapfen trete. – Aber bald hängt in der Seele des Menschenfreundes sich auch an diese Erinnerung eine wehmüthige Empfindung, wenn man sich erinnert, für was – jene Grossthaten gethan wurden. – Sonst haben die Helden unserer Geschichte fast keine Physiognomie; diese Geschichte hat für den Braven, und für den Treuen, und für den Geschickten nur Eine Form, worein sie sie alle giesst. Haben wir Einen gesehen, so haben wir sie Alle gesehen. Liegt die Schuld davon an unseren Helden, oder liegt sie an unseren Geschichtsschreibern?

Ein wenig immer an den Helden, und in den neuesten Zeiten fast ganz. – Alles hat bei uns seine bestimmte Regel, und unsere Staaten sind Uhrwerke, wo alles geht, wie es einmal gestellt worden. Die Willkür, der individuelle Charakter hat fast ganz keinen Spielraum, er soll keinen haben; er ist überflüssig, er ist schädlich, und ein guter Vater oder Erzieher sucht sorgfältig seinen Zögling, den er zu den Geschäften bestimmt, vor diesem nachtheiligen Hausrathe zu verwahren. Jeder Kopf wird mühsam in die Conventionelle Form seines Zeitalters gegossen. – »Warum ist doch dies oder jenes so? es könnte auch anders seyn; warum ist es nicht anders?« fragt der Zögling. – Schweig, antwortet ihm ein weltkluger Lehrer; das ist so, und es muss so seyn, darum, weil es so ist – und um wenig dass er diese Lehre wiederholt, wird er seinen Zögling überreden, und dieser wird sich seiner unbequemen Fragen hinführo enthalten. – Bei den Alten hatten nicht nur bestimmte Personen ihre Charaktere; es gab sogar recht stark gezeichnete Familiencharaktere. Man wusste meist ziemlich bestimmt, was man von einem Manne mit einem gewissen Namen zu erwarten hätte. Wollten die Patricier einen festen unbeweglichen Damm gegen Volksunruhen; – sie bedienten sich eines Appiers: dieses waren geborene Feinde der Volksgewalt. Wollten die Römer einen Unterdrücker der Freiheit aus dem Wege geräumt wissen; – sie schrieben ihrem Manne: kannst du noch schlafen, Brutus? und dieser bedeutungsvolle Name Brutus sagte mehr, als die längste Rede. Es war das Erbamt der Brutusse, die Usurpatoren zu vertilgen. Als Augustus regierte, gab es keine mehr, sonst hätte er nicht lange regiert. – Wolltet ihr mir nicht sagen, welchen bestimmten Familiencharakter die Herren von X *** oder Y *** oder Z *** haben, und was ich ganz besonderes erwarten darf, wenn man mir einen nennt?

Endlich – der Hauptunterschied zwischen dem Meinungsadel der Alten und dem unsrigen, der die Sache des letzteren völlig verdirbt – der alte wurde gegeben, der unsrige wird genommen; dort bestimmte die Meinung sich freiwillig, hier wird ihr geboten. Der alte Adel zeichnete sich durch nichts sichtbar aus; der römische Noble führte seine drei Namen gerade so, wie sie der geringste Bürger führte; die Bildnisse der Ahnen waren eine Privatsache; sie blieben in dem Innersten ihrer Häuser verschlossen, und verliessen sie nur einmal nach dem Tode des Besitzers, wo sie dem Volke nach vollendeter Laufbahn nicht ähnliche Thaten versprechen, sondern dasselbe bloss zur Vergleichung des jüngst Verstorbenen mit seinen Ahnen einladen wollten; sie machten keinen Anspruch auf grössere Ehrenbezeugungen oder auf besondere Titel in der Gesellschaft, und waren um so herablassender, je edler sie waren, und je mehr sie wünschten, den Adel ihres Geschlechtes durch neue Würden zu erhöhen. Wie viel anders benehmen sich unsere Edelleute. Bis auf ihren Namen zeichnen sie sich vor uns anderen aus, und um dieses blossen Namens willen fordern sie – vor wahren Würden – den Vortritt und ausgezeichnete Ehrenbezeugungen; und dies thun sie bei so unendlich geringeren Ansprüchen auf die öffentliche Meinung, als jene hatten, und glauben durch ihre dreisten Forderungen die mangelnden Bewegungsgründe, sie vorzüglich zu achten, zu ersetzen. Aber die Meinung lässt sich nie gebieten, und rächt sich an jedem, der sie gegen ihre Natur behandelt. Die Patricier, zur Zeit, als sie unserem Adel glichen, wurden vom bittersten Hasse und Spotte der übrigen Volksklassen verfolgt; aber sobald sie in ihre Grenzen zurückgewiesen waren, und ein anderer Adel, der Adel der blossen Meinung, sich an ihre Stelle setzte, finden wir nicht weiter, dass bei den Römern der Adel verspottet oder gehasst worden. Aber welches ist das Schicksal des unsrigen? Seitdem Er – und Denkmäler von der Denkungsart der Zeiten vorhanden sind, ist er immer ein Gegenstand der Furcht, des Hasses und der bitteren Anmerkungen der übrigen Stände gewesen; selbst die Monarchen haben dasjenige, was doch ihre einzige Stütze war, und was unseren Augen eine natürliche Stufenleiter bis zu ihrer unnatürlichen Erhöhung hinauf darbot, von jeher herabzusetzen und zu entkräften gesucht, und in unserem Zeitalter ist es so weit gekommen, dass der Edelmann, der weiter nichts als das ist, nur durch übertriebene Demuth es dahin bringen kann, in den Cirkeln des angesehenem Bürgerstandes, der Gelehrten, der Kaufleute, der Künstler geduldet zu werden.

Herr Rehberg, ein einer solchen Sache würdiger Vertheidiger, ist zwar auch der Meinung, dass die Nachkommen angesehener Männer von Rechtswegen geehrt werden müssen. »Es klebt« – der Adel seines Gegenstandes scheint seine Sprache eben nicht veredelt zu haben – »es klebt dem Hochgeborenen an, sagt er,S. 64. dass seine Vorfahren von jeher zu den Angesehenen des Landes gehört haben. Er kann diese Würde vielleicht durch seine Laster schänden, so wie er sie durch seine Tugend ehrt. Aber vertilgen kann er sie nicht, wenn er es nicht dahin bringt, dass der Verwalter der Gesetze von Rechtswegen sein Wappen zerbricht, und seinen Titel vernichtet.« Ich bitte, ist denn nun jene Würde , wenn es eine war, vertilgt? Ist, nachdem der Verwalter der Gesetze sein Wappen zerbrochen hat,Ein sauberer Verwalter der Gesetze, der eigenhändig Wappen zerbricht. der Mann nicht mehr sein Vater, der es vorher war, und dieses Mannes Vater nicht mehr der nemliche; – haben nun seine Vorfahren aufgehört, zu den Angesehenen des Landes gehört zu haben, und sind geschehene Dinge ungeschehen geworden? Richtiger als Herr R. raisonnirte jene Hofdame: Meine Geburt kann mir Gott Vater nicht nehmen. Oder will vielleicht der Mann etwas anderes sagen, als er wirklich sagt, und ist ihm bloss eine kleine Unbestimmtheit entgangen? So viel aus seinen übrigen Unbestimmtheiten hervorgeht, mag er das wohl wollen. »Ein Altadeliger, dessen Vorfahren seit vielen hundert Jahren zu den Ersten des Landes gehört haben, bekleidet eine sehr respectable Würde, auch sogar, wenn seine Person nicht respectabel sein sollte,« sagt er vorher. – »Kein Monarch der Welt« (der Erde?) sagt er tiefer unten, »kann denjenigen, den er adelt, dem Altadeligen gleich machen; – – er kann den Menschen nicht gebieten, dass sie diesen, der selbst eben emporstieg, jenem anderen gleich achten, in dem sie den ganzen alten Stamm ehren.« Er scheint demnach von derjenigen Würde zu reden, welche die Volksmeinung giebt. Diese kann, seiner eigenen Aussage nach, durch kein Gebot ertheilt, aber sie kann durch einen Rechtsspruch genommen werden; es kann uns nicht geboten werden, jemanden zu verehren; aber es kann uns befohlen werden, aufzuhören, jemanden zu verehren. Gewiss, eine gründliche Philosophie! – Doch wir wollen ihn ganz übersetzen, so gut wir es vermögen. Jene Wurde, so scheint es, soll allerdings nicht von der freien Meinung abhängen, sie soll rechtsgültig seyn: nur soll das Gesetz, das sie dazu macht, nicht ein Machtspruch des Monarchen seyn, sondern es soll auf die nothwendige Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt sich gründen. – »Diese bestehe nicht aus einzelnen Menschen, die einander gleich geboren würden, so wie das junge Vieh« – drückt er sich mit seiner gewöhnlichen Anständigkeit aus – »in einer Heerde den Alten vollkommen ähnlich sey, wenn es auf die Welt kommt, und ihm von selbst gleich werde, wenn es heraufwächst; sie bestehe aus Stämmen.« – Wenn das ist, so müssen wir jenen Altadeligen, dem der Rehbergische Verwalter der Gesetze sein Wappen zerbricht, nach wie vor ehren; denn er bleibt von dem gleichen Stamme. – Aber das ist alles Erdichtung und ungeschickte Sophisterei. Wir ehren nie jemanden von Rechtswegen. Hochachtung lässt sich nie, weder durch die Staatsverfassung überhaupt, noch durch einen einzelnen Machtspruch des Monarchen gebieten; sie giebt sich freiwillig: und allerdings fällt sie leicht auf den Nachkommen eines verdienten Mannes, wenn er sich derselben durch sein eigenes verächtliches Betragen nicht unwürdig macht. Thut er dies, so wird er verachtet, auch ohne dass sein Adel durch einen Rechtsspruch aufgehoben werde. Ein solcher förmlicher Rechtsspruch könnte höchstens die Wirkung haben, dass das Vergehen des Bestraften, als rechtskräftig erwiesen, allgemein bekannt würde; aber die einfache Darlegung der Thatsachen mit ihren Beweisen würde das gleiche auf die Volksmeinung wirken. Wenn ein Despot einen Altadeligen, der einem ungerechten Begehren desselben kühn und männlich widerstanden hätte, darum seines Adels entsetzte – so würden wir ihn darüber nicht weniger , wir würden ihn mehr ehren. So wenig hängt der Adel in der Volksmeinung von Rechtsaussprüchen und von Rechtsherkommen ab.

Es ist weder Vergnügen noch Ehre gegen einen Schriftsteller zu Felde zu ziehen, dem die Natur die Talente versagt hat, zu seyn, was er gern wäre, ein blendender Sophist; und der in Gedanken und Ausdruck zur letzten Klasse der Autoren gehört, welche gerade vor den Scriblern hergeht: und gewiss hätte ich mich dieser undankbaren Arbeit überhoben, wenn nicht ebenderselbe durch seinen schneidenden Ton von einigen gutmüthigen Lesern ertrotzt zu haben schiene, ihn in die erste Klasse der Schriftsteller Deutschlands zu setzen. Unseren Lesern zum Troste versprechen wir hiermit, uns im Verfolge dieser Schrift sorgfältig zu hüten, dass wir auf unserem Wege ihm nicht wieder begegnen. Aber, dürfte man noch einwenden – wenn wir auch nicht rechtskräftig verbunden seyn können, die Nachkommen grosser Männer im Herzen zu ehren, weil dies eine innere Gesinnung ist, die nicht in unserer Macht steht; so lässt sich doch vielleicht eine Verbindlichkeit denken, ihnen gewisse äussere Zeichen der Ehrerbietung zu geben, die allerdings in unserer Macht stehen: – eine Verbindlichkeit, über deren Beobachtung der Andere Richter seyn kann. – Wenn wir fragten, wozu solche äussere Ehrenbezeugungen, von denen man nie wissen könne, ob sie innere Ehrerbietung zur Quelle haben, oder nicht, dienen sollten; so lässt sich kaum erwarten, dass unsere Adeligen antworten würden: »damit wir wenigstens in der süssen Täuschung erhalten werden, dass ihr uns ehret, ob ihr auch vielleicht im Herzen uns verachtet.« – Es lässt sich demnach kein anderer Zweck dieser äusseren Ehrenbezeugungen denken, als dieser: dass andere, die vielleicht Willens sind, den Adeligen bloss um seines Adels willen zu ehren, nicht durch uns in diesem guten Willen gestört werden. Wollen auch wir sie nicht ehren, so wollen wir doch durch unser Betragen nicht auch noch diejenigen aufreizen, die sie sonst vielleicht ehren möchten; wir sollen vielmehr durch unser ehrerbietiges Betragen anderen diejenige Ehrfurcht gegen sie einflössen, die wir selbst einmal ihnen nicht geben können. – Dies hängt entweder von der Beantwortung jener Frage der Klugheit ab: ist es nützlich, dass gewisse Stände im Staate vorzüglich geehrt werden, und insbesondere, dass die Geburt diese Stände bestimme? – deren Beantwortung nicht in das gegenwärtige Buch gehört, als welches bloss vom Rechte, nicht aber von der Nützlichkeit handelt; – oder es ist eine Frage von der Billigkeit: da die Verdienste grosser Vorfahren ihren Nachkommen keinen gegründeten Rechtsanspruch auf unsere Achtung geben, ist es nicht wenigstens der Billigkeit gemäss, dass wir ihnen die Möglichkeit, geachtet zu werden, so viel an uns ist, erleichtern? und diese Frage steht mit unserem Vorhaben allerdings in Verbindung, und eröffnet uns überhaupt den Uebergang zu der Untersuchung: was folgt denn aus dem Adel der Meinung auf unser Verhalten gegen den Adeligen?

Ich bin von Adel, heisst fürs erste oft so viel: meine Vorfahren haben eine grosse Anzahl von Generationen hindurch in einer gewissen Wohlhabenheit gelebt; ich selbst bin von Jugend auf an dieselbe gewöhnt worden, und ich habe dadurch eine Art von Anspruch erlangt, bequemer zu leben als ihr anderen, die ihr dessen nicht gewohnt seyd. – Nur oft heisse es das, sagte ich: denn es giebt Provinzen, welche ich hier nicht nennen mag, in denen der adelige Ursprung eher auf das Gegentheil, auf eine unter niedrigen Beschäftigungen, unter Schmutz und Mangel zugebrachte Jugend schliessen lässt. – Oder – ich bin von Adel, heisst soviel: meine Vorfahren lebten in einem gewissen Ansehen unter ihren Mitbürgern; ich ward in meiner Kindheit und Jugend um ihrer willen geehrt; ich bin gewohnt, geehrt zu seyn, und ich will mich jetzt durch mich selbst ehrwürdig machen: aber auch das heisst es in jenen Provinzen nicht, wo die Väter in der Dunkelheit ein kleines Gütchen mit eigenen Händen bauten. – Wo es aber beides heisst, was könnte daraus folgen? Dass wir den Mann um des Ansehens und der Wohlhabenheit seiner Väter willen verehren, und ihn auf unsere Kosten in Wohlhabenheit versetzen müssten, nun einmal nicht, Also nur das: dass er eine höhere Aufforderung habe, als wir anderen, die Wohlhabenheit und die Berühmtheit, an deren Genuss er gewöhnt ist, zu erringen, dass er alle seine Kräfte aufbieten möge, um sich über seine Mitbürger emporzuschwingen. Seine Geburt könnte also höchstens ein Freibrief für seinen durch eigene Talente und Kraft unterstützten Ehrgeiz seyn. Aber, ich bitte, wem gäben denn diese eigenen Talente und dieses eigenthümliche Uebergewicht der Kraft nicht auch ohne die Geburt diesen Freibrief? Bediene er sich, so gut er kann, der Volksmeinung, um durch sie ein Uebergewicht zu erhalten, das seine persönliche Kraft ihm nicht giebt; wir werden mit unserem Rechte dieses Uebergewicht zu schwächen suchen: wir sind in einer offenen Fehde begriffen, und jeder bedient sich seiner Waffen; der Ueberwundene muss sein Misgeschick tragen. – Wenn mit gleichen Talenten und gleicher Kraft zwei Männer, der eine aus berühmtem Geschlechte, und der andere von unbekannter Herkunft, um die gleiche Würde im Staate ringen; kann der erstere verlangen, dass der letztere ihm weiche? Darf er ihm sagen: du hast einen erhabenen Platz weniger nöthig, als ich, der ich mit dem Ruhme grosser Vorfahren zu kämpfen habe; für dich ist ein niedrigerer hoch genug? Wie, wenn ihm der letztere antwortet: ruhe du auf den Lorbeeren deiner Ahnen; dir wird die Hochachtung des Volkes nicht entgehen; mich ehrt man nur um meiner selbst willen; ich habe die Unberühmtheit meines ganzen Geschlechtes zu rächen, ich muss für alle meine thatenlosen Vorfahren mit arbeiten – wollen wir diesem weniger Recht geben? Aber, ich glaube, keiner von beiden hat Recht. Jeder thue, so viel er kann; Zufall oder Kraftüberlegenheit mag über den Sieg entscheiden.

Ich bin von Adel, kann auch heissen: meine Vorfahren haben mit einer Publicität gelebt, die sie nöthigte, über die Grundsätze der Rechtschaffenheit und der Ehre streng zu halten. Sie konnten an ihrem erhabeneren Platze keine schlechte Handlung begehen, ohne die Augen der Welt auf sich zu ziehen, entdeckt und bestraft zu werden. – Da sie dies nicht geworden sind, so ist vorauszusetzen, dass sie nichts entehrendes begangen haben. Diese in einer langen Reihe von Vater auf Sohn überlieferten, der Familie gleichsam zu einem Erbgute gewordenen Grundsätze sind endlich auf mich herabgekommen. Von mir lässt sich sicherer ein ehrenfestes, untadelhaftes Betragen erwarten, als von Leuten, von denen man nicht weiss, nach welchen Grundsätzen sie gebildet worden sind: – und so stünden wir denn bei der berufenen Ehrliebhaberei (point d'honneur) des Adels.

Diejenige Art des Ehrgefühls, die der Adel für sein ausschliessendes Erbtheil hält, ist eine Reliquie aus Zeiten und von Sitten, die nicht die unserigen sind; so viel es ehemals gewirkt, und von so gutem Nutzen es gewesen seyn mag, so ist es doch jetzt ganz von keinem; es ist ein Fremdling in unserer Welt, der sich in seine Stelle nicht zu finden und seinen Platz nicht zu behaupten weiss. – Alle neugeborenen Völker, die die Stimmung für den Naturzustand in die ersten Versuche ihrer Staatsverfassungen mit hinüberbrachten, setzten die ganze Tugend in Muth und Stärke. So war es bei den ältesten Griechen, so war es bei den germanischen Völkerschaften, und so wird es wieder seyn, wenn einst die Wilden von Nordamerika Staaten errichten werden. Die Gesinnungen, welche durch jene Stimmung bewirkt wurden, waren auch wirklich in diesen einfachen Staatsgebäuden hinlänglich. Verachtung der Lüge, der List und des Kriechens; Schonung des Wehrlosen, Grossmuth gegen den Schwächern. Erzogen, zum Manne aufgewachsen und grau geworden unter Gefahren, die er doch immer besiegt hatte, war des rauhen Kriegers Muth unerschütterlich, und er verachtete es, irgendwo den krummen Weg zu gehen, da er sicher war, auf dem kürzeren geraden durch alle Gefahren hindurch zu seinem Ziele zu kommen. – Sowie ein Volk aus diesem Zustande sich zum Genusse des Friedens und der Künste desselben erhebt, werden seine Bedürfnisse, und mit ihnen die Versuchungen, denen es ausgesetzt ist, mannigfaltiger. Es öffnen sich mehrere Wege, anderen zuvorzukommen. Der blosse Muth reicht nicht überall mehr zu: hier erfordert es auch der Klugheit, der Biegsamkeit, des Nachgebens, der ausharrenden stillen Geduld. Der rauhe Krieger wird freilich anfangs in diese neue Ordnung der Dinge sich schwerlich fügen: Klugheit wird ihm List, Biegsamkeit Niederträchtigkeit, Nachgiebigkeit Kriecherei scheinen; aber allmählig wird er zu besserer Erkenntniss kommen, und wer verbürgt ihm, dass sein weniger vorbereiteter Sohn oder Enkel nicht über die schmale Grenzlinie hinübergerissen werde und in die Laster versinke, die sein rauherer Ahnherr schon in den verwandten Tugenden scheute und floh? Der Grund, worauf jenes Ehrgefühl aufgebaut war, ist nun weggerissen: – es steht als Luftschloss da, was vorher ein ehrwürdiges festes Gebäude war. – – Wer da sagt: ich habe es nicht gethan, giebt dem sich beleidigt glaubenden völlige Genugthuung; war der erhabene Grundsatz eurer Väter. – Ja wohl gab er, der Denkungsart der Zeiten nach, ihm eine schreckliche Genugthuung, wenn ers doch gethan hatte; er erniedrigte sich so tief unter ihn, dass er aus Furcht vor ihm log. Er war vor seinem eigenen Gefühle, das lebenslängliche Uebung geschärft hatte, entehrt; er war vor Welt und Nachwelt tiefer gebrandmarkt, als eure Brandmale alle gehen, wenn die Lüge entdeckt wurde. Und ein solcher Grundsatz könnte heut zu Tage noch eine Anwendung haben, wo man es sich gegenseitig gar leicht verzeiht, die Wahrheit verschönert, und ihre Härte gemildert zu haben; wo man es sich nicht bloss verzeiht, sondern sogar sich damit rühmt? Das ist der wahre Unterschied zwischen dem Ehrgefühle des ehemaligen Adels und dem des grössten Theiles unseres heutigen: jener wollte nichts unedles thun , dieser will nicht sagen lassen, dass er es that; jener war stolz, dieser ist zu eitel, als dass er stolz seyn könnte. – Seitdem es Höfe und Höflinge, und Hofintriguen und Hofadel giebt, wie viele Familien sind wohl noch übrig, die uns beweisen können, dass keiner ihrer Ahnherren durch niedrige Künste, durch Schmeicheln und Kriechen und Lügen, und Beraubung des Wehrlosen ihrem Hause einen Theil desjenigen Glanzes verschafft habe, den sie so gern zur Schau ausstellen? Wir wissen zwar wohl, dass ihr noch immer fertig seyd, auf jedes unedle Wort den, der es sagt, zu durchbohren; aber haltet euch an euer Zeitalter, wenn wir von dieser Zartheit eures Ohres nicht mehr so sicher auf die Zartheit eures sittlichen Gefühles schliessen, als wir zu eurer Urahnen Zeiten es vielleicht gethan hätten. – Es ist wahr, Zweig eines edeln Stammes, es können sehr wohl die ehrenfesten Grundsätze der alten biedern Ritterschaft auf dich herabgeflossen seyn; aber es ist ebenso möglich, dass die Grundsätze der Hofkünste dir überliefert seyen: wir können beides nicht wissen. Siehe, wir wollen das letztere nicht voraussetzen; muthe uns nur nicht zu, das erstere anzunehmen. Gehe hin und handle, und wir wollen dich dann nach dir selbst beurtheilen.

Doch, es gab vor noch nicht langer Zeit in einigen Provinzen Stämme, von denen das erstere mit grosser Wahrscheinlichkeit vorauszusetzen war, und es giebt sie vielleicht noch – jener Kriegsadel, den Friedrich der Zweite, welcher keinen Hof hielt, und in dessen Staaten auch vor ihm kein eigentlicher, d. h. kein verdorbener Hof gewesen war, aus seinen entferntesten Provinzen zog, und durch welchen er seine merkwürdigen Schlachten schlug. Mit der ganzen Erbschaft von seinem Vater, dem Degen und einem unbescholtenen Namen, ging der Jüngling in das Feld, und sog bald den Nationalstolz ein, der diese Heere begeisterte. Im Schlachtgewühle wuchs er herauf; täglich war er gewohnt, mit seinen Waffengenossen zu theilen, was der Tag brachte: auf den Besitz von Reichthümern konnte seine Leidenschaft nicht fallen. Täglich mit Gefahren kämpfend lernte er, dass keine sey, durch die der Degen nicht einen Weg bahne. Muth verschaffte ihm alles; leicht entbehrte er anderer Künste, deren er entbehren konnte; und die Blüthe der alten Zeiten war, wie ein Wunder, in unserem Zeitalter wiederholt. – Ein solcher Adel ist allerdings da zu brauchen, wo der Muth und das Ehrgefühl, zu dessen Erzeugung dieser hinlänglich ist, alles gilt – im Kriege; hier, und so lange die Kriege noch nothwendig sind, fordere jeder, der zu jenem Adel gehört, kühn den Vortritt; aber er schreite nicht über seine Grenzen in ein fremdes Gebiet hinüber.

Um endlich diese Untersuchung über den Meinungsadel zu schliessen – das Vorurtheil für den Enkel grosser Ahnen ist ein Glücksgut. Benutze jeder, so viel dieses Glück ihm bietet, so gut er kann, wie er jedes andere Glücksgut, z. B. Witz, eine gefallende Gestalt, körperliche Stärke, so gut benutzt, als es ihm möglich ist. Es ist ein freiwilliges Geschenk der Völker, so wie das letztere ein freiwilliges Geschenk der Natur. Es giebt ihm keine Rechtsansprüche; auch nicht einmal auf die Fortdauer dieses Vorurtheils, die er nicht erzwingen kann.

Da dieser Adel kein Eigenthum ist, noch seiner Natur nach es je werden kann, so hat jeder Staat, den anderweitige Gründe der Klugheit bewegen, das Verschwinden desselben zu wünschen, das vollkommene Recht – nicht etwa diese Art des Adels selbst aufzuheben, das ist physisch unmöglich, der Meinung lässt sich nie gebieten – sondern die etwanigen äusseren Auszeichnungen aufzuheben, an die sich bisher die Meinung gehalten hat. Wo die Volksmeinung noch für den Adel entschieden ist, wird eine solche Aufhebung nur langsam wirken; wo sie schnell wirkt, musste schon vorher die Meinung zu verschwinden angefangen haben. Dergleichen Befehle wirken am stärksten, wo sie nicht nöthig sind, und am wenigsten, wo sie höchst nöthig sind. Es giebt zweckmässigere Mittel, die Meinung zu bestimmen, als Befehle; und in unserem Falle kann man dem Adel selbst diese Sorge fast ganz allein überlassen. – – Ich begreife nicht, wie der Staat irgend einem seiner Bürger verbieten könne, sich fernerhin mit einem gewissen Namen zu benennen, oder wie er den Mitbürgern desselben verbieten könne, ihn fernerhin mit diesem Namen zu benennen, wenn sie daran gewöhnt sind, und es freiwillig thun wollen; ich sehe nicht ein, wie das mit der natürlichen Freiheit bestehen könne. Aber das glaube ich wohl einzusehen, wie er entweder den bisherigen geringeren Ständen erlauben könne, sich gegen die bisherigen höheren gewisser Benennungen nicht mehr zu bedienen, oder auch, wie er allen, die Lust dazu haben, erlauben könne, hinführo die gleichen Benennungen anzunehmen. Ob der Herr von X... oder der Ritter, oder der Baron, oder Graf von Y... sich fortschreibe, wie er sich bisher geschrieben hat, oder ob er auch seinem bisherigen Namen noch eine Menge Namen hinzufüge, das scheint mir sehr unwichtig. Aber wer darf dem Staate Einrede thun, wenn er allen seinen Bürgern erlaubt und anräth, den Herrn von X... und den Grafen von Y... hinführo geradezu Herr X... oder Herr Y... zu nennen, und wenn er ihnen verspricht, sie beim Gebrauche dieser Erlaubniss gegen den vorgeblichen Edelmann zu schützen? Oder auch, wer will ihm verwehren, alle seine Bürger, von dem höchsten bis zum niedrigsten, in den Adelstand zu erheben, und etwa dem armen Hirtenknaben zu erlauben, sich Baron oder Graf, von so viel Grafschaften es ihm gut dünkt, zu nennen? Die Auszeichnung wird sich von selbst verlieren, wenn sie keine mehr ist, und jeder wird sich so kurz benennen, als er kann, wenn die Länge seines Titels ihm nichts mehr hilft. – Ein bekannter aristokratischer Freistaat, dessen regierungsfähige Häuser theils adelig, theils nicht adelig waren erhob auf einmal alle diese Häuser in den Adelstand. Das war nur eine andere Art von Aufhebung des Adels; eine Auszeichnung, die nicht mehr auszeichnete, war so gut als aufgehoben.

Die Abstammung von grossen verdienten Männern erregt im Volke ein vortheilhaftes Vorurtheil für den Abkömmling derselben: dies nannten wir den Adel der Meinung. Dieser Adel selbst kann nicht, als von Rechtswegen, gefordert werden, weil die Meinung ihrer Natur nach sich nicht gebieten lässt; und ebensowenig erfolgen aus ihm rechtskräftige Ansprüche auf wirkliche Vorrechte, weil in der Wirkung nicht liegen kann, was in der Ursache selbst nicht liegt. Ein Adel, der dergleichen Ansprüche macht, ist folglich mit denselben geradezu abzuweisen. – Um dies für alle besonderen Fälle deutlicher einzusehen, lasst uns jetzt die Vorrechte, die der unserige fordert, einzeln durchgehen! Zwar hat er in neueren Zeiten, aus Gründen, deren Entwickelung hier nicht nöthig ist, in mehreren Staaten verschiedene von den Vorrechten, die er vorher ausschliessend besass, mit dem Bürgerstande theilen müssen, dennoch fährt er fort, auch in diesen Staaten einen solchen Fall, wenn er eintritt, bloss für eine Ausnahme von der Regel, keinesweges aber für die Regel selbst zu halten, und es als eine Art von gewaltsamem Eingriffe des Bürgers in seine Vorrechte zu betrachten. Wir thun daher im Ganzen dem Adel gar nicht unrecht, wenn wir auch diese Rechte unter diejenigen zählen, auf deren ausschliessenden Besitz er Anspruch macht. Wenn seine Ansprüche nicht immer befriedigt werden, so liegt wahrlich an ihm selbst die Schuld nicht. Dahin gehört vor allen anderen sein angebliches Vorrecht, Rittergüter zu besitzen. Der Ursprung eines solchen Vorrechtes zwar lässt sich leicht zeigen. Die Rittergüter sind ursprünglich Lehne; da der Besitz derselben zur Waffenbegleitung des Lehnsherrn verband, mit welcher der Adel verknüpft war, so ist es natürlich, dass jeder, der eins besass – nicht vorher von Adel war – sondern durch den Besitz desselben in den Adelstand erhoben wurde; wie aus unseren obigen Betrachtungen erhellet. Dass aber dieses Vorrecht jetzt, da die Rittergüter vererbt, und selbst an Fremde aus anderen Familien verkauft werden, und da unmittelbar keine Kriegsdienste mehr darauf ruhen, noch fortdauere – besonders in Staaten fortdauere, wo Rittergüter das einzige reine Landeigentum sind, ist widersinnig, wenn je etwas widersinnig war. – Der Adel versichert, dieser Besitz der Rittergüter sey ein Vorrecht, dessen Behauptung zur Aufrechthaltung des Adelstandes nöthig sey, und nach dessen Verlust dieser Stand verarmen und untergehen müsse: er muss demnach durch dieses Vorrecht doch etwas beträchtliches gewinnen, wie sich auch ausserdem einleuchtend darthun lässt. – Wir übergehen hier, wie billig, wenn ein Sohn sein väterliches Erbrittergut nicht veräussern will; – er will es dann vielleicht als Sohn, als gewohnter Besitzer, nicht aber als Edelmann, erhalten: jeder hat das Recht, sein Eigenthum zu behaupten, auf welche Art er will. – Aber es wird ein Rittergut zum Verkauf ausgeboten; die Nutzung desselben ist ohne Zweifel genau in Anschlag gebracht; wer es bezahlen kann, wird es besitzen. Warum soll nur der Edelmann, der es bezahlen kann, und nicht ebensowohl der Bürger, der das gleiche bezahlen will, das Recht haben, es zu kaufen? – »Der Güterbesitz ist die sicherste und vortheilhafteste Art, sein Geld unterzubringen, und diese vortheilhafte Art soll dem Adel, zur Aufrechthaltung seines Glanzes, ausschliessend vergönnt seyn.« – So? demnach soll ein und ebenderselbe Thaler, wenn er in den Händen eines Edelmannes ist, mehr eintragen, als er in den Händen eines Bürgers eintrug? er soll also in den Händen des ersteren auch einen höheren Werth haben, als in den Händen des letzteren? Tausend Thaler, die ein Edelmann besitzt, sind der gleichgeltende Preis von einem gewissen Stücke Landes; eben diese tausend Thaler, wenn sie der Bürger besitzt, sind nicht der gleichgeltende Preis eben dieses Stückes. – Ich will hier nicht untersuchen, was daraus auf die Belebung des Erwerbungstriebes folge, wenn eben der erwerbendsten Volksklasse untersagt ist, ihr Geld mit Sicherheit anzubringen – und in Staaten, wo alle Freigüter Rittergüter sind, die nur der Adel besitzen kann, ist das offenbar der Fall; – nicht untersuchen, was auf die Vertheilung der Reichthümer und die Sicherheit des Eigenthums in den Familien daraus erfolge, wenn der Bürger genöthigt ist, sein Capital in dem stets unsicheren Handel umtreiben zu lassen, oder es fast ebenso unsicher, und gegen unverhältnissmässige Interessen auszuleihen: aber ich kann mich nicht enthalten, die tiefe Politik unserer neueren Zeiten zu bewundern, denen die Erfindung des Geheimnisses vorbehalten war, dem allgemeinen Zeichen des Werthes der Dinge noch einen besonderen, von der Person des Besitzers entlehnten Werth zu geben, und zu machen, dass eine Summe durch das blosse Uebergehen aus einer Hand in die andere sich vermehre, oder vermindere. – Diese Rüge leidet nur da eine Ausnahme, wo Landschaftscassen sind, aus denen der Adel allein und ausschliessend Anleihen auf angekaufte Rittergüter, meist zu sehr niedrigen Interessen, erhält. Der Ankauf von Ländereien wird ihm dadurch ansehnlich erleichtert, und er muss allerdings bald alleiniger Besitzer der Landschaft werden. Aber diese Leiheassen stiftete der Adel; die Gelder sind sein; es muss ihm, wie jedem Eigenthümer, frei stehen, sein Eigenthum zu verborgen, an wen er will, und auf welche Bedingungen er will, und kein anderer hat ihm darüber etwas einzureden. Zunftgeist und grober Egoismus herrscht allerdings in diesen Maassregeln; aber man kann nicht sagen, dass sie geradezu ungerecht sind. Dennoch muss es auch in diesen Staaten dem Bürger frei stehen, Rittergüter anzukaufen, wenn er durch die Menge seines baaren Geldes dem Credite des Adels die Wage halten kann. Ein unbedingtes Verbot dieses Ankaufs ist überall unrechtmässig.

Aber mit dem Rittergutsbesitze sind andere Vorrechte verknüpft, auf die der Adel eifersüchtig ist, und die er nicht gern in die Hände des Bürgers fallen lassen möchte. – Wohl, lasst uns doch geradezu diese Vorrechte selbst untersuchen, um zu finden, mit welchem Rechte der Gutsbesitzer, sey er nun von Adel oder nicht, Anspruch auf sie mache. – Wir finden zuvörderst Rechte auf die Güter des Landbauern: – gemessene oder ungemessene Frohndienste, Trift- und Hütungsrechte und dergleichen. Wir wollen den wirklichen Ursprung dieser Rechte nicht untersuchen; gesetzt auch, wir entdeckten die Unrechtmässigkeit desselben, so würde doch daraus nichts gefolgert werden können, weil es leicht unmöglich seyn könnte, die wahren Nachkommen der ersten Unterdrücker und der ersten Unterdrückten auszufinden, und den letzteren den Mann anzuweisen, an welchen sie sich zu halten hätten. – Der Rechtsursprung derselben ist leicht zu zeigen. Die Aecker sind entweder nur zum Theil, oder sie sind gar nicht ein Eigenthum des Landbauern; und dieser trägt entweder von dem Capitale des Gutsherrn, das auf seinem Acker als ein eiserner StammFür wenige, die das nicht wissen – ein Capital, das auf einem Grund und Boden ruht, und von dem Besitzer desselben zu gewissen Procenten verzinst werden muss, aber nie abgezahlt werden darf, heisst ein eiserner Stamm. ruht, oder von dem ganzen Gute die Zinsen nicht in baarem Gelde ab – sondern durch Dienste oder durch Vortheile , die er auf seinem eigentümlichen oder geliehenen Boden dem Gutsherrn verstattet. Sollten diese Vorrechte auch anfänglich nicht so entstanden seyn, so kommt doch durch Verkauf der Ritter- und der Bauerngüter bald alles ins Gleiche. Es ist natürlich, dass der Bauer für seine Hufe Bauerngut um so viel weniger zahlt, als die darauf ruhenden Lasten, als Interessen zu Gelde gerechnet, an Capital geben würden, und dass der Rittergutsbesitzer für seine Hufe Rittergut um so viel mehr bezahlt, als die dazu gehörigen Dienste jenes Bauern, als Capital berechnet, betragen; dass demnach dieser für jenen ein auf seinem Gute ruhendes Capital bezahlt hat, und die Entrichtung der Interessen mit Recht fordert. Gegen die Rechtmässigkeit dieser Forderung an sich ist demnach nichts zu erinnern; und es war allerdings ein grober Eingriff in das Eigentumsrecht, als vor einigen Jahren die Bauern eines gewissen Staates sich diesen Diensten gewaltsamerweise und ohne die geringste Entschädigung entziehen wollten; – ein Eingriff, der allein aus ihrer eigenen Unwissenheit, und aus der Unwissenheit eines Theiles ihres Adels, der über den Rechtsgrund seiner eigenen Ansprüche nicht unterrichtet war, entsprang; und dem durch gründliche und fassliche Belehrung zweckmässiger und menschenfreundlicher wäre abgeholfen worden, als durch lächerliche Dragonaden»Die Bauern mit Sensen und Heugabeln bewaffnet hätten fast den muthigen Angriff zurückgeschlagen; aber der Lieutenant N. rächte die Ehre der S.... Waffen « – erzählt ein pompöser Geschichtsschreiber dieses ruhmvollen Feldzuges und durch entehrende Festungsbaustrafen. – Gegen die Art aber, jene Interessen abzutragen, ist gar viel zu erinnern. Ich will nicht von der allgemeinen Schädlichkeit des Hütungsrechtes reden; nach allen Vorstellungen dagegen, die seit geraumer Zeit fruchtlos verschwendet worden, geräth man nicht leicht in die Versuchung, noch mehrere zu verschwenden. Auch will ich nicht von der Zeit- und Kraftverschwendung, noch von der moralischen Verunedlung reden, die aus der Frohnverfassung für den ganzen Staat entsteht. Ebendieselben Hände, die zur Frohne auf dem Acker des Gutsherrn, so wenig als möglich, arbeiten, weil sie ungern arbeiten, würden auf ihrem eigenen Acker arbeiten, so viel als möglich. Der dritte Theil der Fröhner, um einen billigen Lohn gedungen, würden mehr arbeiten, als jene unwilligen Arbeiter mit einander; der Staat hätte zwei Drittheile der Arbeiter gewonnen; die Ländereien würden besser bearbeitet und höher benutzt; das Gefühl der Knechtschaft, das den Bauer tief verderbt, die gegenseitigen Klagen zwischen ihm und seinem Gutsherrn, und das Misvergnügen mit seinem Stande fielen weg, und er wäre bald ein besserer Mensch, und sein Gutsherr zugleich. – Ich will geradezu den Grund angreifen, und fragen: woher entsteht denn das Recht eurer eisernen Stämme? Dass sie zu grossem Vortheile derer, die etwas besitzen, besonders zum Vortheile des Adels gereichen, der sie erfunden hat, – sehe ich wohl ein; aber ich frage hier nicht nach eurem Vortheile ; ich frage nach eurem Rechte . – Euer Capital muss euch nicht geraubt werden; das versteht sich von selbst. Auch können wir euch nicht füglich nöthigen, es in baarem Gelde von uns zurückgezahlt anzunehmen. Ihr seyd gleichsam Miteigenthümer unseres Gutes, und wir können euch nicht zwingen, euren Antheil daran uns zu verkaufen, wenn er euch nicht feil ist. Es sey! Aber, wer sagt uns denn, warum dies Eine Gut nothwendig untheilbar, und Ein Gut seyn müsse. Wenn uns euer Miteigenthum und die sonderbare Art, wie ihr es benutzt, nicht länger gefällt, warum sollten wir nicht das Recht haben, euch euren Antheil zurückzugeben? Wenn ich zwei Hufen Land besitze, und nur die Hälfte ihres Werthes bezahlt habe, weil die zweite Hälfte, als euer eisernes Capital stehen bleiben muss – ist nicht die Hälfte von zwei Hufen Eine? Ich habe eine bezahlt, und die zweite ist euer: ich behalte die meinige, nehmt ihr die euere zurück. Wer könnte gegen dieses Verfahren einen Einspruch thun? – Es ist euch höchst ungelegen, sie zurückzunehmen? Wohl! wenn es mir gelegen seyn kann, sie zu behalten, so wollen wir einen neuen Vertrag über die Entrichtung der Interessen machen, der nicht bloss für euch, der auch für mich vortheilhaft sey. Werden wir einig, so mag es seyn. – Dies sind die Rechtsgrundsätze, aus denen sich mannigfaltige Mittel ergeben, das drückende Frohnsystem, ohne Ungerechtigkeit und ohne Eingriff in das Eigentumsrecht, aufzuheben; wenn es dem Staate nur damit ein Ernst ist, – wenn seine Einwürfe nur nicht blosse Ausflüchte sind, – und wenn er nur nicht insgeheim den Vortheil des weniger Begünstigten dem Rechte und dem Vortheile Aller vorzieht.

Um eben diesen Grundsatz auf den Landbauer anzuwenden, der an seinem Gute kein Eigenthum hat, sondern es bloss zum Gebrauche vom Gutsherrn entlehnt hat, so ist sogleich einleuchtend, dass er das vollkommene Recht hat, das Gut zurückzugeben, wenn die darauf ruhenden Frohndienste ihm ungerecht oder drückend scheinen. Will der Gutseigenthümer dennoch, dass er es behalte, so mögen sie mit einander handeln, bis sie einig werden.

Aber nein, sagt das hergebrachte Recht, – der Landbauer, der gar kein Eigenthum am Boden hat, gehört selbst zum Boden; er selbst ist ein Eigenthum des Grundherrn; er darf sich nicht vom Gute entfernen, wie er will; des Gutsbesitzers Recht geht auf seine Person: – und dies ist ein harter Widerspruch gegen das Recht der Menschheit an sich: es ist die Sklaverei in der ganzen Bedeutung des Worts. – Jeder Mensch kann Rechte auf Sachen haben, aber keiner ein unabänderliches Recht auf die Person eines anderen Menschen; daran hat jeder selbst das unveräusserliche Eigenthum, wie in dieser Schrift zur Genüge erwiesen worden. So lange der Leibeigene bleiben will, mag er bleiben; sobald er gehen will, muss ihn der Gutsherr gehen lassen, und das kraft seines Rechtes. Er darf hier nicht sagen: ich habe das Recht auf die Person meiner Leibeigenen beim Ankaufe des Gutes mitbezahlt. – Ein solches Recht konnte ihm niemand verkaufen, denn niemand hatte es. Hat er etwas dafür bezahlt, so ist er betrogen, und mag sich an den Verkäufer halten. – Kein Staat also rühme sich der Cultur, wo dieses unmenschliche Recht noch gilt, und wo noch irgend jemand das Recht hat, einem anderen zu sagen: du bist mein!Zwei benachbarte Staaten trafen einen Vertrag über gegenseitige Auslieferung der Deserteure vom Soldatenstande. In den Grenzprovinzen beider Staaten war die Leibeigenschaft, das Eigenthumsrecht auf die Person des Landbauern, eingeführt. Seit langer Zeit hatte zuweilen ein Unglücklicher, um der Unmenschlichkeit seines Herrscherlings zu entgehen, sich über die Grenze geflüchtet, und war frei, wenn er sie erreicht hatte. Die Gutsbesitzer eilten gegenseitig, den Vertrag auf Auslieferung der Bauern auszudehnen, und unter andern starb ein Leibeigener, der um ein paar entwendeter Weintrauben willen ausgetreten war und wieder ausgeliefert wurde, kurz nach den ihm dafür eigenmächtig zugezählten Stockschlägen – – und das geschah in der letzteren Hälfte des vorigen Jahrzehends, in dem Staate, der sich für den aufgeklärtesten in Deutschland hält!

Unter die Vorrechte, die der Adel ausschliessend besitzen möchte, und die er zuweilen mit innigem Widerwillen in den Händen eines Bürgers erblicken muss, gehören alle hohen Stellen in der Staatsverwaltung und im Felde. Eine solche Forderung ist offenbar ungerecht. Kein Amt im Staate, wenn es nur ein wirkliches Amt, und nicht etwa zum leeren Putze, – wenn es nur für das Bedürfniss des Staates, und nicht etwa einzig für das Bedürfniss des Besitzers erfunden ist, ist eine blosse Begünstigung; es ist eine schwere Bürde, die der Staat auf die Schultern eines seiner Bürger legt. Je wichtiger dieses Amt ist, desto einleuchtender wird das Recht des Staates, über die Besetzung desselben zu wachen; und je seltener die Talente sich vereinigt finden, die zur Verwaltung desselben erfordert werden, desto ausgedehnter muss der Kreis seyn, aus welchem derselbe wählt; oder, wenn er auch das Wahlrecht nicht unmittelbar, sondern durch Stellvertreter ausübte, so hat er das volle Recht, zu fordern, dass diese durch nichts, als durch die Anzahl der Bürger eingeschränkt werden. – Aber, kann man sagen – darf nicht ein engerer Kreis ausgewählter Männer festgesetzt werden, aus welchem man die wichtigsten Staatsämter besetze? – und ich antworte: dies darf nicht nur geschehen, sondern es wird auch für die Erleichterung der Wahl, und für die schleunigere Besetzung der erledigten Stellen sehr vortheilhafte Folgen haben – aber wodurch soll denn die Wahl in diesem engeren Kreise selbst bestimmt werden? Doch wohl nicht durch die Geburt, wenn auf den wahren Vortheil des Staates abgesehen wird: denn aus welchem Grunde sollte doch folgen, dass – bei gleicher Geistesbildung, was doch in den neueren Zeiten mit dem Adel und dem besseren Bürgerstande in den mehrsten Staaten offenbar der Fall ist – die talentvollen und guten Menschen allein aus gewissen Häusern abstammen, und die Abkömmlinge aller übrigen Familien, gegen jene, Schwachköpfe und unedle Menschen seyn würden? So weit hat doch, so viel mir wenigstens bekannt ist, noch kein Vertheidiger des Adels die Unverschämtheit getrieben, um dies zu behaupten. Die Aufnahme in diesen Kreis auserlesener, und zu den wichtigsten Staatsämtern bestimmter Bürger könnte demnach auf nichts anderes sich gründen, als auf die durch vorhergegangene kleinere Verdienste dem Staate erprobte Geschicklichkeit und Treue; und wir ständen wieder bei unserer ersten Maxime in Besetzung der Aemter. Jede höhere Würde müsste durch treue und geschickte Verwaltung der niedrigeren verdient werden. Auf dieses Recht, zur Verwaltung seiner öffentlichen Aemter den Fähigsten zu wählen, und diesen, nach seiner besten Ueberzeugung, aus der ganzen Menge seiner Bürger auszulesen, hat kein Staat Verzicht gethan, und hat keiner Verzicht thun können, ohne seinem Zwecke zu widersprechen, und sich selbst aufzuheben. – – Was aber thut eine Kaste, die sich die ausschliessende Fähigkeit anmaasst, zu diesen Aemtern gewählt zu werden? – Wir wollen annehmen, diese Kaste wähle nach ihrer besten Ueberzeugung den Würdigsten, der unter ihr angetroffen wird; so folgt weder, dass dieser der Würdigste unter allen Staatsbürgern überhaupt sey, noch, dass er selbst in dieser Kaste den übrigen Bürgern der Würdigste scheine. Wenn diese Kaste allein die Summe der gesammten Staatsbürger ausmachte, dann wäre ihr Verfahren rechtmässig; durch dieses Verfahren betragen sie sich als die ganze Summe, mithin als der Staat. Was sind denn nun die übrigen Bürger? Offenbar ein abgesonderter, von jenem unterjochter und eigenwillig beherrschter Staat. Ein solches Vorrecht macht den Adel nicht bloss zu einem Staate im Staate, der ein von den übrigen Bürgern abgesondertes Interesse hat; es vernichtet sogar gänzlich die übrigen Volksklassen in der Reihe der Staatsbürger, hebt ihr Bürgerrecht auf, und verwandelt sie, insofern jene Staatsämter, die aus ihrer Mitte nicht besetzt werden können, Beziehung auf sie haben, in eigenwillig beherrschte Sklaven, – und was ist unrechtmässig, wenn dies es nicht ist?

Wir thun dem Adel nicht unrecht. Dass er bloss aus seiner Mitte gewählt wissen wolle – dass er die wahlfähigen Bürger hergeben wolle – ist unmittelbar der Inhalt seiner Forderung: dass er selbst wählen, – dass er auch die wählenden Mitglieder hergeben wolle, – folgt geradezu aus dieser Forderung, wenn sie nur einmal befriedigt worden ist. Wer wählt denn zu den obersten Staatsbedienungen? wer besetzt denn die erledigten Stellen? Die Fürsten, die ihre Leute selbst kennen, sind selten; ja es ist für sie unmöglich und zweckwidrig und sogar schädlich, in das Einzelne der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung einzugehen, und die untergeordneten Mitglieder der verwaltenden Staatskörper genau zu kennen und zu beobachten. Sie müssen die Wahl den höheren Mitgliedern dieser Körper Überlassen, welche fähiger sind, über die Tauglichkeit ihrer Untergeordneten zu urtheilen. Sind diese höheren Mitglieder einmal alle von Adel, und sind sie von dem Zunftgeiste ihres Standes beseelt; so werden – so müssen sie, zufolge ihrer Grundsätze, jeden, der Bürger ist, von jeder Stelle entfernen, so lange noch ein Adeliger vorhanden ist, der sie begehrt. Der Adel ist hierüber sein eigener Richter; und so wie sich die Anzahl der Adeligen mehrt, die der Einkünfte der Staatsämter bedürfen, so breitet sich der Kreis der adeligen Stellen aus, so weit der Adel es will; so wie etwa der Adel in einigen Staaten sich seit kurzer Zeit der Postmeisterstellen und der höheren protestantischen geistlichen Stellen bemächtigt hat, welche vorher dem Bürger überlassen wurden. Welches ist hierüber die Grenze des Adels? Keine andere, als die seiner Bedürfnisse. Welches ist sein Gesetz? Kein anderes, als sein guter Wille. Wo noch Stellen übrig sind, die dem Bürger gegeben werden, da hat derselbe es lediglich diesem guten Willen zu danken. Wenn sie einträglicher oder ehrenvoller wären, so würden sie nicht bis zu ihm herabgelangen. – Ich behaupte hier nichts neues, und nichts, was sich nicht durch tägliche Erfahrung beweisen liesse. Es wird im Regierungs- oder Justiz- oder Finanzdepartement die Stelle eines Rathes erledigt. Neunmal unter zehnen wenigstens wird sie durch einen Adeligen besetzt. Und wie sollte es denn zugehen, dass unter der drei- oder viermal grösseren Anzahl der bürgerlichen Secretaire, die ihr halbes Leben in diesem Fache gearbeitet haben, so sehr selten ein eben so tauglicher zur Rathsstelle sollte gefunden werden, als unter der weit kleineren Anzahl adeliger Secretaire, die erst kurze Zeit darin arbeiten? Da werden die Stellen doch wohl nicht nach Maassgabe der grösseren Fähigkeit besetzt? – Auch geben consequente Adelige dies gar nicht vor; sie behaupten, dass sie nach Geburt besetzt werden müssen , und hierüber eben bin ich mit ihnen nicht einig; ich behaupte, dass jedes Amt im Staate nach überwiegenden Verdiensten besetzt werden müsse. – – Man wende mir nicht ein, dass der Bürger, zu den höchsten Staatsbedienungen erhoben, sich von dem gleichen Zunftgeiste beherrschen lassen, und mit Ausschluss des würdigeren Adeligen, den Bürger, bloss weil er Bürger ist, zu erheben suchen werde. Ich weiss nicht, ob er das nicht thun werde; ich will dafür nicht einstehen. Aber wo entsteht denn diese Trennung zwischen den zwei Klassen, diese Parteilichkeit von beiden Seiten anders her, als von euren vorhergegangenen Ansprüchen, mit denen ich es hier zu thun habe? Wären nie Adelige und Bürger – wären nie etwas anderes, als Staatsbürger vorhanden gewesen, so würde weder der Adelige noch der Bürger seines gleichen vorziehen können, weil alle seines gleichen wären.

Dies ist eine unmittelbare Ungerechtigkeit gegen den Staat. Ich will eine andere mittelbare, die aus dieser Einrichtung entsteht, nicht weitläufig darthun.– Wer sich einem Zweige der öffentlichen Geschäfte widmet, wird durch die oft kärgliche Besoldung, die man dem Thätigen wie dem Unthätigen, im gleichen Maasse reicht, viel zu wenig angetrieben, alle seine Kräfte an seinem Platze anzustrengen. Es muss eine stärkere Triebfeder in Bewegung gesetzt werden; jeder muss auf dem Platze, den er errungen hat, einen höheren, als den Preis der würdigen Behauptung seines gegenwärtigen, vor sich erblicken. Was aber sieht der Bürger, der so hoch gestiegen ist, als er der Verfassung nach steigen kann, noch höheres vor sich? Wird er nicht durch die mächtigeren Triebfedern der uneigennützigen Tugend und der Vaterlandsliebe getrieben, für die ebensowenig jeder Bürger, als jeder Adelige Gefühl hat, so wird der Staat, neben der übrigen Kraft des Adels, der auf jeden Fall durch seine Geburt seines Vorrückens sicher ist, auch noch dasjenige von den Kräften dieses Bürgers verlieren, was derselbe nicht nothwendig zur Behauptung seines jetzigen Platzes aufwenden muss.

In keinem Fache ist dies so einleuchtend, als im Kriegsdienste. – Wo ein Adel vorhanden ist, der die etwas rauhe, aber kräftige Denkungsart der alten Ritterschaft in seiner Familie als ein Erbgut aufzeigen kann – sey dieser doch in kriegerischen Staaten sogar ausschliessend zum Besitz der Officierstellen berechtigt! Oder, wo auch selbst der Adel durch das Hofleben, durch eine flüchtige Bekanntschaft mit den Wissenschaften, und vielleicht selbst durch die Handlung, seinem Geiste die alte Stärke benommen, und ihm eine dem Bürgerstande ihn völlig gleichstellende Biegsamkeit gegeben hat – behaupte er doch sogar da das erhabene, aber wenig Nachdenken kostende Amt: rechts oder links sich schwenken, oder das Gewehr präsentiren zu lassen, oder, wenn es ja ernsthafter werden sollte, zu morden, oder sich morden zu lassen. Vielleicht wird der Bürger gegen wichtigere Geschäfte, zu denen er sich durch eine anstrengendere Bildung vorbereitet, ihm jenen Vorzug freiwillig und ohne Neid abtreten. Aber dass man den Bürger zu diesem Stande zulasse, ihm aber zur Ersteigung der höheren Stufen desselben die Hoffnung abschneide, wie es in mehreren Staaten geschieht, ist, der ganz eigenen Verfassung dieses Standes nach, höchst widersinnig. War es dem erfindungsvollsten Witze möglich, eine tiefere Herabsetzung des Bürgerstandes ausfindig zu machen, als die, ihn zu überreden, dass man ihn dem Adel, in dem Heiligsten, was dieser zu haben vermeint, gleich machte, während man ihn bloss zur beständigen Betrachtung seiner eigenen Niedrigkeit gerade neben ihn stellte? in einem Stande, wo Subordination über alles geht, den bürgerlichen Hauptmann zu verbinden, einem adeligen Fähnrich oder Lieutenant zu befehlen, und für sein Betragen einzustehen, – indess alle beide recht wohl wissen, dass der Adelige nach Verfluss einiger Jahre der Obrist oder der General des Bürgerhauptmanns seyn wird? Welche Aufforderungen soll in einem Stande, welcher Aufopferungen verlangt, die nur die Ehre bezahlen kann, der Bürger, der sein höchstes Ziel erreicht hat, noch fühlen, um diese Aufopferungen zu machen?

Aber dem Adel muss aufgeholfen werden, wiederholt man; und so treffen wir ihn denn gerade bei den Plätzen, die er völlig ausschliessend behauptet, und deren Besitz eine Ahnenprobe voraussetzt. Ob, warum, und inwiefern ihm aufgeholfen werden müsse – davon noch ein paar Worte zum Beschluss! – Nachdem wir gesehen haben, dass man durch ausschliessenden Besitz derjenigen Stellen, welche überwiegende Talente erfordern, ihm nicht aufhelfen dürfe, so lasst uns jetzt nur untersuchen, was denn noch übrig sey, um ihm aufzuhelfen. Wir treffen zuerst auf die Domherrnstellen , von denen eine bestimmte Anzahl immer nur vom Adel besessen werden kann. Ich rede nemlich hier bloss von protestantischen Stiftern. Ueber die katholischen, deren Glieder wahre Geistliche sind, wird das Nöthige im folgenden Capitel vorkommen. – Dass besondere Talente zur Verwaltung dieser Stellen erfordert werden, kann man eben nicht sagen; aus diesem Grunde demnach liesse der ausschliessende Besitz derselben sich dem Adel nicht streitig machen; etwa so, wie der ausschliessende Besitz der höheren Staatsbedienungen. Aber vielleicht aus anderen.

Wenn wir auf die Geschichte der Errichtung der mehresten Hochstifter – und im protestantischen Deutschlande aller, – zurückgehen, so finden wir, dass der Unterhalt derjenigen Männer, die für die Belehrung und Cultur des Volkes zu sorgen hatten, ihr einziger Endzweck war – ein Endzweck, der offenbar das Beste des Staats zur Absicht hat. – Wir haben hier nicht zu untersuchen, von Wem die Güter zu diesen Stiftungen herkamen. Meist waren sie entweder aus der Beute des Eroberers, der in das Eigenthumsrecht gewaltsame Eingriffe gethan hatte; oder sie hatten, wo noch kein fester Staat und kein bestimmtes Erbrecht vorhanden gewesen war, gar keinen Eigenthümer gehabt. Wenn sie nur nicht aus den Gütern des Adels sind, der damals noch überhaupt kein besonderer Volkskörper war – wofern nicht etwa aller Raub ihm von Rechtswegen zugehört; – wenn nur nicht zu befürchten ist, dass die vorhergehenden rechtmässigen Eigenthümer sich melden möchten – nicht etwa ihre Nachkommen, denn vor Einführung des Erbrechtes könnten diese nicht erben: – so sind sie durch die Schenkung zum Besten des Staates dem Staate selbst geschenkt, mithin sein , d. i. der gesammten Bürger rechtmässiges Eigenthum geworden. – Tiefe Finsterniss fiel herab auf die Völker; und die Kirche, welche etwas ganz anderes ist, als der Staat, und welche ihr verfinsterndes Daseyn mit dem aufklärenden Daseyn der Volkslehrer verwechselte, bemächtigte sich jenes Eigenthumes. Die Reformation, welche – in dem wahren Sinne des Wortes, dessen Bedeutung wir in der Folge erklären werden – die Kirche vernichtete, stellte dasselbe seinem ersten und rechtmässigen Besitzer, dem Staate zurück. Ohne Zweifel hatte der Staat das Recht, über sein Eigenthum eine Verfügung zu treffen. War es entweder zur Erreichung seines ursprünglichen Endzweckes überflüssig geworden, oder hätte der Staat näher gelegene Endzwecke, zu deren Beförderung er es anwenden wollte, so war er ohne Zweifel berechtigt, es zu thun. Aber, wie ist denn eine einzige Kaste zum ausschliessenden Besitze desjenigen gekommen, was rechtmässiges Eigenthum der gesammten Staatsbürger war? Sind die ausgeschlossenen Staatsbürger bei der Verfügung darüber zu Rathe gezogen worden? haben sie ihr Antheil freiwillig an jene Kaste abgetreten? hatten sie keine angelegenere Sorge, als die, jene Kaste zu bereichern? Keinesweges. Der Adel hat sich abermals betragen, als ob er allein der Staat, als ob ausser ihm niemand mehr vorhanden wäre. – Dass ein solches Verfahren rechtswidrig und ungültig sey, und dass die ausgeschlossenen Bürger das unverjährbare Recht haben, die Zurückstellung des Ganzen zur gemeinsamen Berathschlagung zu fordern – darüber ist wohl nach allem in dieser Schrift bisher Gesagten kein Zweifel möglich. Und – ich bitte – sind denn etwa jene Güter dem gesammten Staate so ganz entbehrlich – ist er denn in einer so grossen Verlegenheit über die Anwendung derselben, dass er sie, um ihrer nur entledigt zu werden, jener Kaste zu einem leeren Zierrathe leihen muss? Hat denn der Staat gar kein dringenderes Bedürfniss, als das, von sich sagen zu machen, dass er einen reichen Adel habe? Sind sie denn auch nur zur Beförderung der ursprünglichen Absicht so ganz entbehrlich geworden? So lange es in diesen Staaten entweder noch unmittelbare Volkslehrer giebt, die in dem drückendsten Mangel schmachten; oder, so lange es noch eigentliche Gelehrte giebt, die für die Verdienste, welche sie um die Wissenschaften, und dadurch mittelbar um die Volksaufklärung haben, kümmerlich oder gar nicht belohnt sind; oder, so lange noch wichtige Unternehmungen für die Erweiterung der menschlichen Kenntnisse, aus Mangel an Unterstützung, unterbleiben müssen – wie kann doch so lange der Adel unverschämt genug seyn, jene Güter zur Behauptung seines Standes anwenden zu wollen? Dies ist die wahre Bestimmung der Einkünfte der Hochstifter: zuerst verhältnissmässige Besoldung der Volkslehrer; wenn davon noch etwas übrig ist, Belohnung der Gelehrten, und Beförderung der Wissenschaften; und die Möglichkeit dieser Anwendung dauert, scheint es, noch immerfort. –

Die zweite Klasse der Vorrechte, welche der Adel ausschliessend besitzt, sind die Hofämter . Diese sind entweder bloss dazu gestiftet, um der Meinung genug zu thun, und werden insofern sehr passend mit Geschöpfen der Meinung besetzt; oder sie dienen dem wirklichen, und nicht bloss dem eingebildeten Bedürfnisse des Fürsten, sie sind sein Umgang und seine Freunde; oder endlich, sie glauben eben dadurch, dass sie das letztere sind, mittelbar sehr viel Einfluss auf die Staatsverwaltung zu haben. – In der ersten Rücksicht wird wohl kein einzelner Bürger, sey er nicht von Adel, oder sey er von Adel, der seinen Werth fühlt, den Mann beneiden, der sich zum blossen Zierrath eines glänzenden Hofes herabwürdigt, und sich erniedrigt, etwas zu seyn, das eine künstlich eingerichtete Sprechmaschine vielleicht noch besser wäre. Aber die gesammten Bürger, wenn sie sich soweit erheben sollten, um dieses Schauspiel entbehren, und die falsche Scham vor anderen Staaten, die es ihnen geben, überwinden zu können, sind ohne Zweifel befugt zu fragen: – warum sie durch beträchtliche Aufopferungen diese kostbare Pracht noch länger unterhalten sollen? sie sind ohne Zweifel befugt, nicht nur das ausschliessende Vorrecht des Adels, diese Stellen zu bekleiden, sondern sogar die Stellen selbst aufzuheben.

Was die zweite Absicht ihrer Stiftung anbelangt, so hat ganz sicher der Fürst, ebensowohl wie jeder andere, das Recht, sich aus der ganzen menschlichen Gesellschaft zu seinen Freunden und zu seinem Umgange auszusuchen, wen er will. Fällt eine Wahl auf Männer, die von ohngefähr von Adel sind, oder hat er auch einen so sonderbaren Geschmack, dass eine gewisse Reihe von Ahnen die ausschliessende Bedingung ist, um zu seinem Umgange zu gelangen; so hat darüber keiner ihm etwas einzureden, so wie er keinem einzureden hat, wen er sich zu Freunden wählen solle. Mag er sich Freunde erwerben, wie man sich Freunde erwirbt; oder mag er auch aus seinem Privatvermögen oder von der Besoldung, die ihm der Staat für seine persönlichen Bedürfnisse reicht, sich Gesellschafter oder Schmeichler erkaufen, so viele, und welche er will oder kann; das ist nicht die Sorge des Staats, noch irgend eines Staatsbürgers. – Aber ebensowenig als der Bürger das Recht hat, sich zu beklagen, wenn der Fürst lauter Adelige zu seiner Gesellschaft wählen will, ebensowenig hat der Adel ein Recht, ihm zu wehren, oder es zu einer Landesbeschwerde zu machen, wenn er auch Bürger oder sogar lauter Bürger zu seinem Umgange zulässt. Des Fürsten Wille ist hierüber frei; und das Verbot ihn einzuschränken, ist für beide Theile gleich gültig. – Es ist zu bewundern, dass der Adel nicht auch die Stelle eines Hofspassmachers, die in einem gewissen Zeitalter an den meisten Höfen wichtig genug war, zu einer ausschliessend adeligen Stelle gemacht hat;– oder fand er es vielleicht leichter, die Stelle eines Hofmarschalls oder eines Kammerherrn zu versehen, als jene, und bedürfte es, um die dazu erforderlichen Talente aufzufinden, eines weiteren Kreises, als des eingeschränkten adeligen? Auf alle Fälle gereicht es ihm nicht zur Ehre, dass er die Erholungsstunden des von Regierungssorgen abgematteten Landesvaters nicht so gut ausfüllen konnte, dass ihm eine solche Zuflucht entbehrlich wurde.

Endlich fordert der Adel ausschliessend den Umgang des Fürsten, weil es wichtig für das Land sey, dass denselben Leute von guten Grundsätzen umgeben. Wäre dies richtig, so müsste das gerade Gegentheil desjenigen, was der Adel daraus schliessen will, gefolgert werden. Dann gehörte der Umgang mit dem Fürsten unter die wichtigsten Staatsbedienungen, welche nach obigen Grundsätzen mit den grössten und besten Männern aus der gesammten Masse der Bürger, und nicht bloss aus dem Adel zu besetzen sind. Aber ich bekenne schon im voraus, was ohnedem bald an den Tag kommen muss, dass kein Fürst, auf dessen gute Grundsätze und guten Willen sehr viel ankommt, und den man, wie ein Kind, vor bösem Einreden hüten muss, mir sonderlich gefalle. Das Gesetz muss durch den Fürsten herrschen, und ihn selbst muss es am strengsten beherrschen. Er muss nichts thun können, was dieses nicht will; und muss alles thun müssen, was dieses will; er liebe nun, so Gott will, im Herzen das Gesetz, oder er beisse unwillig in den Zaum, der ihn hält und leitet. Der Fürst, als Fürst, ist eine vom Gesetz belebte Maschine, die ohne jenes kein Leben hat. Insofern er Privatmann ist, mag er, oder die Gesellschaft für seinen sittlichen Charakter sorgen; der Staat sorgt bloss für den Charakter des Gesetzes. Der Fürst hat keinen Umgang; nur der Privatmann hat einen.

Es bleibt uns also überhaupt kein gesetzmässiges Mittel übrig, um dem Adel aufzuhelfen. Aber warum soll ihm denn auch aufgeholfen werden? Rechtsansprüche hat der Adel, als Adel, d. i. als der gegenwärtige durch die Geburt bestimmte Volkskörper, gar nicht zu machen; denn sogar sein Daseyn hängt vom freien Willen des Staates ab. Was hat der Staat nöthig, sich auf seine Forderungen lange einzulassen? Fällt er ihm dadurch beschwerlich, so hebt er ihn selbst auf, und ist dadurch aller seiner Anforderungen entledigt; denn was nicht ist, kann auch keine Ansprüche machen. Ist der Adel aufgehoben, so kann kein anderer begünstigter Volkskörper an seiner Stelle Rechtsansprüche auf den Staat machen; denn ehe er Ansprüche macht, muss er seyn; und er kann nicht seyn, ohne durch die Vergünstigung des Staates. Die Frage ist also überhaupt nicht vom Rechte ; sie ist eine Frage der Klugheit , und ist so auszudrücken: Ist es dem Staate nützlich, dass es eine oder mehrere Volksklassen gebe, die, wegen ihres Ansehens und ihrer Reichthümer, zu wichtigen Geschäften und Unternehmungen für den Staat stets geschickt und bereit seyen; und auf welche Art, und durch welche Mittel werden solche Volksklassen am schicklichsten bestimmt, hervorgebracht und aufrecht erhalten? Die Beantwortung derselben gehört nicht in das gegenwärtige Buch.


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