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Wenn in einem staatlichen Gymnasium ein Lehrer in einem schwarzen Gehrock mit elegant gestreifter Hose, hohem Stehkragen und schöner Krawatte in die ersten Stunden kommt, so verleiht dieses seiner Person immerhin einiges Gewicht und Ansehen. In einem Landerziehungsheim, wo die Lehrer sich ähnlich praktisch und menschenwürdig kleiden wie die Schüler, ist ein einwandfreier Gesellschaftsanzug ein sicheres Mittel, um bei der Klasse die ernstesten Bedenken über den neuen Lehrer aufkommen zu lassen.
Emil Himmelheber befand sich gegen Ende seiner Umwege und Fahrten in der unangenehmen Lage, nur noch einen einzigen guten Anzug sein eigen nennen zu können. Felsen und Firne hatten im Verein mit zwar dauerhaft, aber nicht unsichtbar arbeitenden Dorfschneidern seinen Wanderkleidern dermaßen zugesetzt, daß schon Sabine, was Emil nicht entgangen war, am Tage seiner Ankunft zu mehreren Malen ihren Blick über das reichlich geflickte Gewand gleiten ließ, das seine sonst gewiß nicht unebene Gestalt einhüllte. So mußte sich Emil drein ergeben, in regelrechter Abendtoilette zwischen den in luftige, leichte, praktische Tracht gekleideten Kollegen fatal aufzufallen.
Es scheint eine der tiefsten Weisheiten der Natur zu sein, daß sie der Jugend das Gefühl der Ehrfurcht nur sehr spärlich zumißt, so daß diese Tugend nur da aus dem Innersten der Knabenherzen dringt, wo die unerschütterte Festigkeit und reife Güte eines ganzen Mannes den Funken gebieterisch herauslockt. So wirkt die zu allen Zeiten getadelte, aber angeborene Respektlosigkeit der Schüler wie eine erzieherische Auslese auf die höchsten aller Fähigkeiten des Lehrers, auf die Vollmacht, ohne jede Anstrengung Ehrfurcht zu erwecken.
Zu seiner freudigen Überraschung konstatierte Emil nach den ersten Stunden, daß sein Gehrock und seine gestreifte Hose ein erhebliches Hindernis nicht bildeten, um sich bei den Schülern des Landerziehungsheims achtungsvolles Gehör zu verschaffen und sie durch die Art und den Inhalt seines Unterrichtes, ohne daß sie es merkten, gefangenzunehmen.
Nur in der Tertia, der Klasse des unbotmäßigsten Alters, hatte er unter den Sechzehnjährigen eine dumpfe, aufrührerische Bewegung bemerkt, die aber nach einigen Tagen schon abebbte und dann verschwand. Diese Klasse hatte es für nötig gefunden, ohne Wissen der Lehrer in einem im vergangenen Jahre von ihnen aufgeworfenen Festungsbau im Wald einen außerordentlichen Konvent einzuberufen. In der Versammlung der elf Tertianer wurde die Frage erwogen, aus welchem Grunde der neue Lehrer es wohl für nötig gefunden habe, in einem in dieser Schule so ungewöhnlichen Kostüm aufzutreten. Als jedoch die übergroße Mehrheit sich zu der Ansicht bekannte, daß der Doktor Himmelheber ganz bestimmt nicht im schwarzen Gehrock und gestreifter Hose in die Klasse komme, um ihnen zu imponieren, und anderseits die ausgesprochene Vermutung, er habe zurzeit vielleicht keinen anderen Anzug, nicht für unbegründet gehalten wurde, so beschloß die Tertia, dem neuen Lehrer für Geschichte und Deutsch in Zukunft Schwierigkeiten nicht mehr zu bereiten.
Zäher als die ganze Tertia war ein einziger Primaner, Jürg Pestaluzz mit Namen. Das war ein großer Bündnerbursche, schon neunzehn Jahre alt und stark wie ein Senn. Unter den Schülern war er wegen seiner großen Kräfte und seiner erstaunlichen Leistungen auf dem Spielplatz und im Ruderboot als Herkules bekannt und nicht unbeliebt. Körperstärke erregt bei allen gesunden Jungen zum mindesten Achtung und verleiht den Gefeierten jene behagliche Zuversicht und humorvolle Sicherheit, die dem Gefühl entspringt, jeden Augenblick seinen Mann stellen zu können. So war Jürg Pestaluzz auch nicht ganz von dem gelinden Größenwahn aller Athleten freigeblieben und gebärdete sich, da er weder einen Schüler noch einen Lehrer über sich fühlte, nicht nur auf der Spielwiese und auf dem See, sondern auch in der Schule wie ein kleiner Halbgott. Besonders dem neuen Lehrer gegenüber trug er eine demonstrative Unaufmerksamkeit zur Schau, als wollte er durch solch stummes Spiel zu verstehen geben, daß er, Jürg Pestaluzz, ihn, den Herrn Doktor Himmelheber, nicht allzu wichtig nähme.
Emil tat zunächst, als ob er von alledem nichts merke, und wartete auf eine günstige Gelegenheit, um den Pestaluzz über ihr wirkliches Verhältnis zueinander aufzuklären.
Es war ein schöner, heißer Tag, und Emil trank nach dem Mittagessen, das er mit Schülern und Lehrern zusammen in einem kleinen, glasbedeckten Gartensaal einnahm, mit Doktor Imhoff und Sabine allein den Kaffee im Garten. Man beriet gerade, was sich an dem freien Nachmittag veranstalten ließe, und kam bald in die engere Wahl zwischen einer Ruderpartie und einem Ringkampf. Als Doktor Imhoff und Emil sich einander eins zu eins gegenüberstanden, überließ man Sabine die Entscheidung.
»Ringkampf!« sagte Sabine. »Ich sehe so furchtbar gern, wie die Jungen sich unterkriegen und doch keine Keilerei dabei ist. Weh tun sie sich doch nicht?« fragte sie nun doch ein wenig besorgt.
»Keine Spur von Wehtun!« beruhigte sie Emil, trank seine Kaffeetasse aus und ging gleich in den Hof, um für den Nachmittag ein Schwingen anzukündigen.
Auf einer Wiese stand ein alter Eichbaum. Um seinen riesigen, mächtigen Stamm gerade unter den tiefsten Ästen lief eine aus Brettern gezimmerte Laube. Darin saßen bald nach dem Kaffeestündchen als Zuschauer beim Spiel Doktor Imhoff, seine Base Sabine und Doktor von Steiger, der alte, etwas grimmig dreinschauende Lehrer für Griechisch und Latein.
Auf einer Bank, wo der Waldrand die Wiese begrenzte, saßen als Unparteiische und Schiedsrichter der Lehrer für Naturwissenschaften, ein noch junger Mann, mit einem fröhlichen, glattrasierten Gesicht und einem gewaltigen Schmiß über der linken Wange; daneben der Arbeitslehrer, ein früherer Feinmechaniker, dessen dunkel versonnener Kopf mit den langen schwarzen Haaren stark von seinem Kollegen von den Naturwissenschaften abstach, und als dritter Emil.
Bald begann das Schwingen und Ringen, immer zwischen je zwei Paaren zugleich. Die Kämpfer waren mit nichts als mit einer kurzen Schwinghose aus Leder oder aus fester Leinwand bekleidet, die mit einem starken Gurt um die Hüften festgehalten wurde. Die braunen Knabenkörper in ihrer engen Umschlingung leuchteten in der Sonne über der grünen Wiese. Von allen Seiten ertönten andauernde Zurufe, und dann und wann löste sich ein Paar, indem der Stärkere den Schwächeren mit zwei festen Griffen am Hosenband und Kniesaum nahm und ihn über die eigenen Schultern hinter sich warf. Beifallsalven aus dem Kreis der Schüler und von der Laube unter der Eiche herab feierten den Sieger, und der grüne Wiesenboden nahm die Gefallenen weich und nachsichtig auf.
Schon eine ganze Stunde war das Ringen gegangen, und jeder der Schüler hatte schon tätig oder leidend den Genuß des Hosenlupfs genossen. Nur einer war bis jetzt immer Sieger geblieben. Das war Jürg Pestaluzz.
Er stand mit seinem kurzen schwarzen Kraushaar und seinem muskulösen Nacken in der Mitte des Ringplatzes und streckte mit einer ihm nicht unangenehmen Verlegenheit die leeren Hände von sich, die nichts zu fassen bekamen und nur in die Luft griffen.
»Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp?« deklamierte er mit komischem Pathos. Niemand meldete sich. Alle Schüler hatten schon zu verschiedenen Malen und immer nach einem sehr kurzen Verfahren die kleine Luftreise über Jürgs linke Schulter gemacht. Nicht einmal Doktor Siebold, der Naturwissenschaftler, und Herr Siebenbein, der Arbeitslehrer, waren diesem Lose entgangen.
Da blickte der wie ein Senn dastehende starke Sohn Graubündens etwas ironisch zu den Lehrern hinüber und sagte, indem er Emil mit einem verführerischen Schmunzeln seines breiten Mundes beehrte:
»Vielleicht Doktor Himmelheber?«
Emil gab ihm zu bedenken, daß er keine Schwinghose habe.
»Das macht nüt,« antwortete breit und behaglich der Herkules. »Ich schwing den Herrn Doktor auch in Zivil.«
Das war eine so kecke Herausforderung, daß Emil nun nicht mehr einen Gang mit Jürg Pestaluzz ablehnen konnte, und die Schüler, die Lehrer und die drei in der Laube warteten gespannt der Dinge, die da kommen sollten.
Emil erhob sich gemächlich von seiner Bank und meinte, er wolle es einmal probieren, so gut es ginge. Er zog den Rock ab und stellte sich dann barfuß, nur in Hemd und Hosen, dem schmunzelnden Jürg Pestaluzz zur Verfügung.
Schüler und Lehrer, beide fast gleichgroß, schüttelten sich zuerst ritterlich die Hände, aber so spannend, wie man es erwartet hatte, schien der Gang der beiden nicht auszufallen. Alle zwei faßten nicht fest an, und besonders der Jürg versuchte zuerst mit allerhand Kniffen Emils Taktik kennen zu lernen. Emil wich jedem schweren Griff ruhig und vorsichtig aus. Das reizte den jungen Bündner, der schon zu Hause bei den Schwingeten berühmt war. Auf einmal ging er wie ein junger Löwe auf Emil los, und dieser hatte sich nun ernstlich zu wehren.
Die Schüler auf dem Rasen, die Lehrer auf der Bank und die Zuschauer in der Eichlaube rührten sich nicht. Kein Laut störte das Aufeinanderwuchten der beiden Körper.
Nach einigen Minuten schien Emil seine Taktik zu ändern. Er schlug seine Arme wie Klammern fest um den immer hitziger werdenden Jürg, als wollte er ihm das Rückgrat brechen. Dann lehnte er sich zurück und hob den Gegner ein wenig von der Erde weg. Aber im nächsten Augenblick hatte er den unter der Muskelkraft Emils Ächzenden von sich gestoßen, zugleich um die Hälfte der Körperachse gedreht, und dann am Hosenband und am Kniesaum gefaßt und ihn, mit dem Rücken gegen sich, frei in die Luft gehoben. In dieser Stellung ließ Emil den Jürg ein wenig sich winden, und als der schöne, muskulöse Körper Jürgs über Emils Schulter auf den Wiesenboden sauste, hörte man unter dem aufrauschenden Jubelgeschrei der Schüler den dumpfen Stoß gar nicht, mit dem die Mutter Erde ihren geschlagenen Sohn empfing.
»Hab' ich Ihnen weh getan?« fragte Emil besorgt den wie betäubt am Boden liegenden Jürg.
»Von Wehtun ist keine Rede, Herr Doktor!« antwortete der Jürg, besah einige Stellen an seinen nackten Armen, wo Emils Finger wie Schraubstöcke gesessen hatten, und erhob sich dann mit den schmerzhaft anerkennenden Worten: »Allerhand Achtung!«
Es war Brauch bei dem Wettspiel des Landerziehungsheims, daß der Hauptsieger jedesmal einen Preis bekam. Heute aber waren die Preisrichter und Unparteiischen in einer etwas schwierigen Lage; Emil den Preis zuzuerkennen, weil er den über zehn Jahre jüngeren Pestaluzz warf, schien nicht gut anzugehen.
Da aber Jürg schon alle anderen Lehrer, mit Ausnahme des Doktor Imhoff, der sich auf solche Dinge nicht einließ, besiegt hatte, konnte man es dem starken Primaner nicht antun, ihn als einen unebenbürtigen Gegner Emils zu betrachten. In ihrer Not wandten sich Preisrichter und Unparteiische an Sabinens vermittelnde Klugheit. Als sie aber mit dem Anliegen kamen, hatte Doktor Imhoffs Base schon zwei kleine Kränze aus dem Laub des Eichenbaums geflochten, einen, wie sie sagte, für Jürg Pestaluzz, weil es aller Ehren wert sei, einem solchen Gegner wie Doktor Himmelheber so lange standzuhalten, und den anderen für den neuen Lehrer, dessen glänzender Sieg über alle Zweifel erhaben war und die Lehrerschaft bei den Ringkämpfen wieder in das Ansehen setzte, das eigentlich und von Rechts wegen doch sehr wünschenswert sei.
Mit Ehrerbietung nahten sich Sieger und Besiegter einträchtiglich der Treppe, die zur Laube im Eichbaum führte und auf deren Stufe erwartend Sabine mit den beiden Eichkränzen stand.
Als erstem setzte Sabine Jürg Pestaluzz den kleineren der beiden Kränze auf sein kurzes schwarzes Kraushaar. Er ließ es mit einiger Verschämtheit geschehen. Als aber Sabine den größeren Kranz Emil aufs Haupt drückte, riefen die Schüler, die sich bis dahin mäuschenstill verhalten hatten, ein dreifaches »Heil!« über den gekrönten Lehrer in die helle Luft. Etwas verdutzt sah sich nun Jürg, der sich so etwas wie isoliert fühlte, nach seinen Kameraden um, deren Hochrufen dem Traum von seiner Unbesiegbarkeit ein Ende bereitet hatte, nahm dann seinen Kranz entschlossen vom Kopf und setzte ihn kurzerhand dem Lehrer zu dem andern aufs Haupt, was ein zweites brausendes Heil der ganzen Schule als den einzig richtigen Ausweg Jürgs aus seiner Niederlage anerkannte.
Und in den nun folgenden Wochen legte Jürg Pestaluzz dieselbe Teilnahme an Deutsch und Geschichte an den Tag wie die übrigen Primaner.
Die schöngestreifte Abendhose Emils hatte bei dem Kampf zwar einigen Schaden genommen, aber als ob ihm das Schicksal heute ganz ungemischte Freude zuteil werden lassen wollte, fand er bei der Rückkehr von der Spielwiese in seinem Zimmer einen Brief der Mutter und eine Drucksache liegen.
Als er das mit den schwungvollen Zügen seiner Mutter bedeckte Kuvert öffnete, fiel als erstes ein Hundertmarkschein heraus.
»Die gute Mutter!«
Dann las er das Schreiben, das folgenden Wortlaut hatte:
»Lieber Emil!
Das tät jetzt grad noch fehlen, daß Du mit gebrochenen Gliedern heimkämst, hab' ich gedacht, als ich Deinen Unglücksbrief aus Grindelwald bekam. Aber ich hab das kurze Schreiben nicht nur mit einem nassen, sondern auch mit einem heiteren Auge gelesen, wie es im Sägschbir steht, weil ich nämlich jetzt doch endlich einmal die ewige Fragerei der Leute nach Dir los bin. Nicht als ob ich mich scheniert hätte, ihnen zu sagen, wo der Bartel den Moscht holt, wenn sie die Nas zur Ladentür hereinstreckten um auszuloschoren, wo Du bist, und was Du treibst. Ich hab's gar nicht so genau genommen mit der Wahrheit und habe aufgetrumpft so gut es ging, wenn ich auch wochenlang keinen Brief von Dir hatte. Aber jetzt haben sie's schwarz auf weiß in der Zeitung gelesen und daß Du mit einer so berühmten Klavierkünstlerin verunglückt bist, und das, kannst Du mir glauben, hat hier bei vielen schwer ins Kontor geschlagen. Abbropoh, weißt Du auch, daß ich das Fräulein Kirsten, mit dem Du die Tour gemacht hast, kenne! Sie ist eine ganz scharmante Person, hat in diesem Frühjahr viel bei mir eingekauft. Mit gleicher Post schicke ich Dir eine Zeitung, wo etwas über sie drin steht.
Ich will eine neue Seite anfangen, obwohl es alle Augenblick im Laden schellt. Aber jetzt kommt doch erst die Hauptsache. Ich kann Dir nicht sagen, lieber Emil, was das für eine Freude war, als heut nachmittag der Briefträger kommt und mir Deinen langen Brief aus Deiner neuen Stellung bringt. Da hab ich gesagt: Gott sei Dank – hab' ich gesagt, lieber Emil. Tritt dem Teufel auf den Kopf und pack den Stier bei den Hörnern! Nur nit luck lassen! Arbeit macht das Leben süß! Aber nix für ungut! Ich will damit nichts gegen Deine hohen Ansichten gesagt haben. Ich weiß, daß Du auf dem rechten Weg bist und nur das Beste willst. Aber ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, ich hätte nicht viel Sorgen gehabt, in diesem vergangenen Sommer. Ein paar weiße Haare auf meinem alten Kopf mehr wirst Du schon finden, wenn Du wiederkommst, aber das macht nichts, wir sind ja alle nur Wanderer hienieden. Die warmen Unterhosen und Leible und Deinen kemisch gereinigten Winteranzug hab' ich mit den Büchern gestern an Dich geschickt. Den beiliegenden Schein wirst Du jetzt auch gut brauchen können. Schau nur, daß Du Dir bald mit einer braven Tochter aus einem guten Haus und ein wenig Bargeld auf der Hand einen Hausstand gründest, das hat schon manchem über die schweren Gedanken weggeholfen. Aber ich will nichts gesagt haben! Entschuldige die Dolgen, aber es schellt alle Augenblicke. Abbropoh, letzte Nacht hab ich einen merkwürdigen Traum gehabt. Ich weiß ja, Du gibst nichts auf Träume, aber Du wirst aus Deinem Schiller wissen, daß es Augenblicke im Menschenleben gibt, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt. Also: Ich hab' Dich wahrhaftig mit einem sehr feinen Fräulein zur Ladentür hereinkommen sehen, und Du hast gesagt: ›So, Mutter, da wären wir jetzt!‹ Ganz deutlich hast Du gesagt: ›wir‹! Ist das nicht ein eigentümlicher Traum?
Noch eins! Was hältst Du vom Krieg? Was hörst Du in der Schweiz davon? Hier sagen sie, es gäbe bestimmt Krieg. Es wird halt viel geredet, wenn der Tag lang ist.
Unterdessen in aller Eile mit vielen Grüßen
Deine getreue Mutter
Salomea Himmelheber
geborene Pfefferle.«
Die von der Mutter mitgeschickte Zeitung enthielt einen Bericht über ein Konzert, das Lotte in einer großen norddeutschen Stadt als erstes der Saison gegeben, und der Kritiker konstatierte als ein seltenes Phänomen die erneute Weiterentwicklung in der Technik der berühmten Pianistin, wie ihre immer größere Vertiefung in der Auffassung. Der Erfolg des Konzertes war ein so außerordentlicher, daß die begeisterte Jugend unter der Zuhörerschaft Lotte die Pferde vor dem Wagen ausspannte und sie im Triumph nach ihrem Hotel fuhr.
Mit einem Gefühl der Dankbarkeit legte Emil die Zeitung aus den Händen. Ihm schien, als sei seine Prüfungszeit nun überstanden. So vieles hatte sich am heutigen Tage zu seinem Besten gewandt, ohne daß er auch nur einen Finger gerührt hatte, was allerdings unmöglich auch die Meinung von Jürg Pestaluzz gewesen sein kann.