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Ob ich die Spada gekannt? Ja, mein lieber junger Freund, ich habe die große Zeit der Stadt gekannt und die Spada! Ich bin nur ein einfacher Schreiber und Notar; und was ich außerdem vorhabe, das weiß die Welt nicht. Gott schütze uns vor Einbildung! Aber die Sonne scheint für jeden, der sehen kann, und sie wärmt auch den Blinden. Ja, ich habe sie gekannt, die Zeit des Glanzes und der Freude!
Wie ich heute darauf komme? Es sind etwa acht Tage her, da gehe ich unter den Ulmen den Fluß entlang, und geht ein Mann vor mir, der mir bekannt vorkommt, nur daß er ein wenig hinkte. Doch ich mußte in ein Haus, in dem ich Geschäfte hatte, ehe ich ihn erreichte. Aber eine Weile später sehe ich den gleichen Mann am Tisch vor einer Schenke sitzen, einen Krug Wein und ein Brot vor sich, und jetzt erkenn' ich ihn auch: »Capitan Ferella!« ruf' ich. Ferella de' Mori nennt er sich, dubiae nobilitatis: sein Vater war Stallmeister in Ferrara. Er ist recht alt geworden und erkannte mich nicht gleich. Aber dann begrüßten wir uns herzlich, und ich setzte mich zu ihm. Er war über See gewesen und hatte in Frankreich gedient, und schien nicht eben reich geworden; und als wir plauderten, erwähnte ich der Spada. Da ging ein Leuchten über sein Gesicht, das sich sogleich wieder verdüsterte.
»Ich hab' ihnen nichts zu danken,« sagte er, »sie sind an all meinem Unglück schuld. Und doch, es war eine große Zeit! Und es waren große Leute! Auf die Erinnerung und auf die Spada!«
Nun ging mir's nach, daß er gesagt hatte, sie seien an seinem Unglück schuld. Denn er war in ihren Diensten gestanden. Und so fragte ich ihn, wie Ihr mich fragt.
Wieder war das Leuchten in seinem Gesicht; er saß zurückgelehnt da und sah auf den Fluß und die getürmte Stadt vor uns und strich sich den braunen Bart und Schnurrbart, in dem schon graue Haare sichtbar waren. »Erinnert Ihr Euch des Himmelfahrtstags, Ser Agnolo, und des Aufstandes, da sie die Münze plündern wollten?« fragte er.
Nun sagt mir, wie einer sich dieses Tags der Schrecken nicht erinnern sollte? Der ganze Platz war von einer tobenden Menge besetzt; bisweilen wurde es still, wenn einer sprach, und wütendes Geschrei antwortete. Der Kämmerer Gragnani sprach vom Balkon des Palastes der Signoren zum Volk und drohte, und als er geendet hatte, ward eine Stille, die schlimmer war als der Lärm, und dann wieder ein Geschrei, daß einem das Blut erstarren konnte. Ich wohnte in einer Seitengasse um die Ecke, und wir konnten den Lärm hören, aber nur wenig sehen. Aber unten in der Gasse, wo sie breiter wird, sammelten sich die schweren Reiter des Marchese und warteten auf den Befehl. Und der Marchese stand auf den Stufen des Palazzo Carossa und sah nach der Sonnenuhr über ihm; ganz deutlich konnte ich's sehen. Und wenn er den Befehl gab, dann überschwemmte Blut und Feuer die Stadt. Und das Gericht, das nachher kam! Wehe uns! Jeder hatte Verwandte und Freunde unter den Aufständischen, und das Haus meiner Schwieger lag hinter der Münze. Ich bin nicht mutig. Eben war wieder ein großes Geschrei und Bewegung, Leute liefen in die Gasse herein und schrien: »Jetzt legen sie Feuer an!« »Gott helfe uns!« sagte ich oft, und meine Frau sprach es mir nach. Da, auf einmal wird es wieder still, und eine Stimme spricht, ein Frauenstimme ...! Ich traute meinen Ohren nicht. Es kam wie Gesang, wie Musik. Sie sprach nicht einmal lange, und »Es lebe die Spada!« tönte es über den Platz. Ich bin nicht mutig, aber da lief ich aus dem Hause, und mein Weib, wir waren noch jung, mit mir, wie sie Herrn Michele Alani, der damals Podestà war, auf den Balkon führte, und er redete zu den Leuten, und auch ihm jubelten sie zu.
Es wurde eine Deputation gewählt, und sie selbst führte die Bürger vor den Podestà und die Signoren. An die Wand des Saales gelehnt, hinter den Herren, stand ihr Gatte, der Altieri, schön wie ein Gott, und lächelte. Mitten in das Gerede über das schlechte Geld und die Brotpreise warf er eines seiner Scherzworte, und ein Gelächter entstand im Saal, und selbst der weißbärtige Alani, der immer ernst und gerührt redete, mußte lächeln. Und da und dort wurde der Friede geschlossen und Amnestie gewährt und Gerechtigkeit zugesagt – wieviel davon gehalten wurde, weiß nur Gott, – aber damals war Jubel, und die Menge gab ihr das Geleite bis hinauf zu ihrem Palast, der dort über die Stadt herunter sah, unter endlosen Rufen »Es lebe die Spada!«, und der Altieri ließ Wein ausschenken für die Bürger, und der Tag des Schreckens nahm ein freudiges Ende.
Der Marchese, ihr Oheim, soll nachher gemurrt haben und gesagt, der Gehorsam werde zerstört und die Ordnung; er hätte seine Reiter lieber einhauen lassen in die Menge – Gott verzeihe ihm! Den Sampieri aber und den Mezzabarba und ihre Freunde sah man mit gelben Gesichtern aus dem Signorenpalast gehen.
Das war der Tag, an den er mich erinnerte, und er, der Ferella, war damals noch ein bartloser Bursche gewesen mit dichtem braunen Haar und war eben erst aus Ferrara gekommen, und »Diesem diene ich,« hatte er sich sogleich gesagt, »und keinem andern!« Bis zum Abend mußte er drängen und warten, dann sprach er mit dem Majordomo, dem Conza; der führte ihn zum Talbon, der des Altieri Leutnant war, und wie's nun sein mochte, vielleicht weil Messer Ferrante gut gelaunt war, daß der Tag so ausging, jedenfalls ward er zu ihm hinaufgeführt. Schon auf der Treppe hörte er ihre Stimme, ihr Helles Lachen; dann trat der Talbon mit ihm ein. Auf der Loggia saßen sie im Licht, die weiten Vorhänge geöffnet, dahinter der Nachthimmel; an dem schweren Tisch mit Wein und Früchten saß groß, üppig, Madonna Atalanta, in einem roten Brokatkleid, die dunkelblonden Haare mit Perlen durchzogen, eine glückliche Frau, ein stolze Mutter, und zu beiden Seiten ihre Söhne, schön wie die Engel, – weiß Gott, daß sie keine Engel waren ... »Teufel waren sie eher!« schrie der Ferella. Was wollt Ihr? Aus Staub ist der Mensch gemacht. Ihr gegenüber aber Messer Ferrante Altieri, ihr Gatte, der wenig sprach, und vor dem jeder das Gefühl hatte, daß er ihn lächelnd durchschaute und mehr wußte von Menschen und Dingen, als ein andrer, und sie so tief verachtete, daß er sich um nichts Mühe gab; nur daß, wenn er irgendetwas tat oder sprach, alles ihm zuflog, weil er die Herzen gewann und beherrschte, ob er redete oder schwieg.
»Und wenn ich alt und siech werde und elend zugrunde gehe an meinen Wunden,« sagte der Ferella, »und mich an alles erinnere, was sie mir angetan, das vergesse ich nicht, wie ich sie damals gesehen, an dem Tag, an dem sie die Stadt vor Brand und Blut errettet!«
Und Ihr könnt sie selber mit Augen sehen, auf dem Altarbild des Godora in Santa Maria del Monte: der vorne kniet in der Rüstung mit abgenommenem Helm, ist Messer Ferrante; neben ihm seine Gattin, weiter rechts hinter ihnen die beiden Knaben. Und doch ist es nur lebloser Schatten! Mann, Mann, was soll ich erzählen? Wir haben uns abwechselnd daran erinnert, der Capitan und ich, wie der Altieri beim Ringreiten einen Ring nach dem andern stach, wenn er einmal mittat, denn es lag ihm nicht daran, nicht an den Preisen und nicht an dem Beifall der Menge; gerade wie seine Söhne bald jeden Ring stachen und jedes Pferd bändigte«, und ihnen lag an den Preisen und am Beifall. Und der Umzüge im Carneval und der Blumenfeste im Frühling und jenes Festes im Herbst vorher am Tage der Geburt Mariens, da die Spada mit rotem Laube geschmückt als die heidnische Göttin Pomona auf dem mit allen Früchten beladenen goldenen Wagen fuhr, vom Gott Plutus geführt, von Frauen gefolgt, ein Bild der Fülle dieser Erde, froh lachend unter ihrem Kranze, allen gut und niemandem böse, obwohl sie böse genug werden konnte, wenn man sie erzürnte.
Ja, das war die Zeit unsrer Jugend, die Zeit der Freude, und selbst als der Krieg gekommen war und das schlechte Geld und die Teuerung und die Unruhen, auch da hatten sie an jenem Himmelfahrtstage ihren Triumph.
In jenem Jahr kam der Charidis, der Grieche, der behauptete, daß er Gold machen könne und in den Sternen lesen, und sie glaubte ihm, sagte der Ferella, wie so viele andere ihm geglaubt haben. Wenn aber die Spada sich für jemanden einsetzte, wer dann gegen ihn war, für den gabs keine Gnade; sie stürmte die Menschen nieder mit ihren flammenden Worten. So wars, als der Jacopo Nessi den neuen Palast der Signoren bauen sollte und kein anderer, und so war es auch mit dem Charidis. »›Madonna Atalanta‹, sagte ich einmal zu ihr,« so erzählte der Ferella, ›mit Erlaubnis, Ihr seid nicht gerecht!‹ ›Mag sein‹, erwiderte sie, ›aber dann ist es meine Natur!‹ So war sie. Sie war keine Christin, obwohl sie zur Messe und zur Beichte ging. Sie folgte ihrer Natur.«
Durch mehr denn hundert Jahre hatten die Spada die Stadt beherrscht. Ich will Euch verraten, daß ich an einer Chronik schreibe, in der alles verzeichnet sein wird, wie es kam. Noch Messer Prospero, Madonna Atalantas Vater, hatte die Dinge nach seinem Willen gelenkt. Herrn Amador Sampieri hatte er aufs Schaffot gebracht, und die anderen des Hauses hatte er verbannen lassen. Aber er war uneins geworden mit seinem Bruder Messer Niccolo, und der war außer Landes gegangen und hatte fremde Kriegsdienste genommen, und der König von Neapel hatte ihn zum Marchese von Sassonero gemacht. Und jetzt lebten von dem Geschlecht nur mehr der Marchese, der keine Erben hatte, und Madonna Atalanta. Zweimal war Messer Ferrante, ihr Gatte, in der Regierung gewesen. Was half es? Er war klug, sehr klug, aber ohne Ehrgeiz; die andern fragten ihn um Rat, aber sie entschieden. Und weil er sie für Toren hielt, ließ er sich nicht mehr in die Signoria wählen. Und so verschob sich die Macht im Staat zu seines Hauses Schaden.
Eines Tages ließ Herr Orlando Sampieri, für den ich schon Verträge geschrieben hatte, mich rufen. Als ich eintrat, saß er an einem dunkeln Tisch aus schwerem Holz, auf dem seine Pergamente lagen. An der Wand saß so, daß er zugleich durchs Zimmer und zum Fenster hinaussehen konnte, Herr Ugo Mezzabarba. Herr Orlando hob seinen scharfen schmalen Kopf und sagte mir, daß er mich wegen eines Grundstücks habe kommen lassen, daß er bei Monteferra hatte. Während er in seinen Akten blätterte, sah Messer Ugo auf den Platz hinaus, auf dem die Leute in Gruppen heftig redend standen. Er hatte ein Bein übers andre geschlagen und strich den blonden Spitzbart unter den dicken Lippen; mit den großen runden Augen sah er mich lachend an und fragte beiläufig, wie ich über das Stadtregiment dächte. Ihr wißt, man muß den Herren nach dem Munde reden; töricht wärs gewesen, hätte ich anders gesprochen; denn er gab mir zu tun. »Heu müßten wir fressen, Ser Agnolo,« sagte er zu mir, »wenn wir jene Leute wieder mächtig werden ließen.« Und er wies durchs Fenster nach der Seite, wo es zum Palazzo Spada hinaufging. »Ser Agnolo Benintendi weiß Bescheid,« sagte Herr Orlando. »Ist doch alles so viel besser geworden seit dem Himmelfahrtstag – die Spada und die Signoren habens doch versprochen!« Und er redete von dem Pachtvertrag, den ich für ihn aufsetzen sollte.
Als ich aus der Casa Sampieri herauskam, sahen die Leute auf dem Platze mir nach. Ich wußte wohl, nach welcher Seite die Kerzen troffen.
»Wir wußten es auch,« sagte der Ferella, »aber wenn wir Messer Ferrante warnten, dann zuckte er die Achseln und fragte: ›Was soll ich tun? soll ich auch zum Volke redend Madonna Atalanta aber baute auf die Prophezeiungen des Griechen und erwartete Herrlichkeiten ohne Maß für ihren Mann und ihre Söhne.«
Messer Fabrizio, ihr ältester Sohn, der indessen herangewachsen war, verhöhnte den Mezzabarba, wo er ihn traf; beide Parteien ritten durch die Stadt mit großem Gefolge, ihre Macht zu zeigen. Und die Leute des Altieri hatten zwei Puppen gemacht, die eine mit einem schmalen Kopf wie der Herrn Orlando Sampieris, der andern hatten sie einen Ziegenbart angeklebt und sie sehr dick gemacht, um den Mezzabarba darzustellen. Und als sie über die Piazza d'Erbe kamen, wo die Buden standen, und sie die andern kommen sahen, nahmen sie den Marktleuten einen Esel weg und setzten die beiden Puppen darauf. Da gabs Geschrei und Gelächter, und es kam zu Steinwürfen und Schlägen. Die Marktleute schrieen, und viele flüchteten mit ihren Karren; Ochsen und Maultiere wurden scheu, die gelben und braunen Tücher, die zum Schutz gegen die Sonne dienten, wurden weggerissen, Körbe und Tische umgeworfen; über Granatäpfel, Zwiebel und Melonen stampften die Pferde, und es war lächerlich und schlimm zu sehen, wie das Roß eines Geharnischten mit dem Fuß in einen Eierkorb trat und sich verfing und stürzte, oder die Hufe auf zerquetschten Feigen ausglitten, und zwischen zertretenen Trauben Menschenblut floß. Über dem Getümmel schien die Sonne, und aus den Fenstern lachten oder schrien die Leute, und ich sah – denn ich war dort, – wie Herr Rosso Sampieri mit der Faust nach einem Hause hinauf drohte, aus dem sie ihm höhnende Worte zuriefen. Als die Häscher kamen, verschwanden die Bewaffneten alle, der Markt war leer, und die Verkäufer kamen zurück und fluchten über den Schaden.
Von beiden Seiten wurde Klage erhoben; die Marktaufseher bezeugten, daß die Altieri begonnen, weil sie die Puppen aus den Esel gesetzt und als erste zu den Waffen gegriffen hatten. Und sie fanden es am besten, daß Messer Fabrizio sich eine Zeit verborgen halten sollte, und schickten ihn nach Belcolle aufs Land hinaus.
»Ich war,« sagte der Ferella, »im Saal, als Madonna Atalanta laut über das Unrecht klagte, das ihrem Hause geschehe.« Der Marchese saß ihr gegenüber. ›Nichte,‹ sagte er, ›Ihr werdet noch die Stadt und Euch zugrunde richten, wenn Ihr Euch nicht mäßigt und die Euren!‹ Sie aber, mit einem Blick auf Messer Guido, den Sechzehnjährigen, der mit mir gekommen war und an der Wand stand neben seinem Hunde, ›Oheim, es ist Euer Blut, scheltet es nicht!‹ Und Messer Guido sagte: ›Oheim, sollen wir immer schweigen und nie erwidern, da wir doch wissen, daß der Sampieri und der Mezzabarba das Volk aufhetzen gegen uns? Sie tun es listig und heimlich, und nie haben sie etwas getan; und wenn wir dann offen losgehen, sind wir die Schuldigen!‹
›Ja, so ist es!‹ sagte seine Mutter.
Der Marchese stand auf. ›Wenn ich an der Regierung wäre,‹ sagte er, ›dann müßtet ihr wie die andern auf ein Jahr oder zwei die Stadt verlassen, damit Ruhe wird.‹
›Oheim, Ihr redet wider Euer eignes Blut!‹ rief mit flammendem Gesicht Madonna Atalanta.
›Ruhe wird nie,‹ sagte Messer Ferrante, ›sind sie's nicht, sind's andre!‹
›So mögen es andere sein!‹ erwiderte der Marchese, und sein lederfarbenes, weiß umrahmtes Gesicht blickte finster. ›Mit anderen fertig zu werden wird es mir leichter‹, murmelte er. ›Ich rede für Euer Blut!‹ sagte er noch, während er sich, auf die Hände gestützt, über den schweren Tisch beugte, und seine Augen unter den dichten weißen Brauen besorgt und drohend zugleich von einem zum andern glitten.
›Mir ist nicht bange um mein Blut!‹ rief Madonna Atalanta, die gleichfalls aufgestanden war, vom Fenster her. Sie sah über den Hof nach dem Turm, aus dem ein Fenster wie ein glühendes Auge durch das Dunkel leuchtete. Dort arbeitete der Charidis. Und in diesem Augenblick flammte in dem Fenster ein helles weißes Licht auf und erlosch wieder. Ein Schweigen war im Zimmer. Da begann Messer Guido, der, den Arm um den Hals seines Hundes gelegt, auf der Erde kauerte, leise, aber herausfordernd das alte Kampflied der Spada vor sich hin zu singen. Düster sah der Marchese auf den Knaben.
Ich stand in dem dunkeln Vorraum und konnte alles sehen und hören. Sie schienen meiner völlig vergessen zu haben, bis eine Bewegung, die ich absichtlich machte, Messer Ferrante an mich erinnerte, und er mir irgend einen Auftrag gab.
Messer Fabrizio wurde auf ein Jahr aus der Stadt verwiesen, und alles sagte, es sei ein milder Spruch, nachdem Blut vergossen worden. Nur Madonna Atalanta weinte und drohte. Einer Furie glich sie in ihrem Zorn, und sie stieß Flüche aus gegen die Sampieri und die anderen und gegen die Richter, die den Spruch gefällt hatten, da sie ihr Kind für ein Jahr missen sollte. Am andern Tage begleitete ich sie nach Belcolle; Tränen standen in ihren Augen, und sie hatte die Lippen aufeinander gepreßt, aber sie sprach kein Wort auf dem Wege. Was sie im Schlosse miteinander redeten, weiß ich nicht; sie hielt den Arm um den Sohn, als sie zur Tafel gingen. Messer Fabrizio war sehr weiß im Gesicht, und er biß die Lippen zusammen wie seine Mutter. Am andern Morgen kam Messer Odoardo Pelleoni, der sein Freund war, und gab ihm das Geleit bis zur Grenze. Er war der Einzige, der es gewagt hatte, so schlimm schien es um das Ansehen des Hauses zu stehen.
Dem Scheine nach war nichts geändert. Oben im Palast brannten die Lampen und Fackeln wie sonst; Gäste kamen, und Feste wurden gefeiert; wie sonst wurde zur Jagd geritten. Nur wir sahen immer wieder die Tränen in den Augen der Frau, und wie sie sich in die Lippen biß.
Ich werde Euch erzählen,« fuhr der Ferella fort, »was niemand außer mir weiß. Es war Winter und oben auf den Bergen Schnee, ich war in Belcolle draußen, die Waffenkammer nachzusehen und die Stallungen. Da ich allein um das Kastell ging, rief jemand meinen Namen. Ich sah einen Mann in einer Lederhaube, der auf mich zukam; erst als er ganz nahe war, erkannte ich Messer Fabrizio. Er hatte sich das Gesicht mit Ziegelstaub und Fett eingerieben und die Brauen gefärbt und das lange blonde Haar in der Lederhaube geborgen. ›Herrlichkeit‹ rief ich, ›wie könnt Ihr den Bann brechen?!^‹ Er gab mir einen Blick und sagte: ›Ich muß heute abend nach der Stadt; bring mich hinein.‹ Wenn einer aus diesem Hause etwas wollte, gab es kein Abreden und kein Dawiderreden. Er hatte seinen Gaul in der Nähe, und des Nachmittags nahm ich ihn mit als einen meiner Knechte; wir trabten nebeneinander hin in der Dämmerung ohne viel zu sprechen; nur einmal sagte er: ›Kein Wort davon zu Madonna Atalanta!‹ Da begriff ich erst, daß er nicht nach seinem Hause wollte. In der Dämmerung kam er mit mir durchs Tor, das sie hinter uns schlossen. Wir ritten durch die Straßen. Im Schatten des Turms der Neroni stieg er ab, hieß mich zurückbleiben und verschwand im Dunkeln. Ich wußte nicht, wohin mit dem ledigen Pferd: im Palazzo Spada hätten sie sich gewundert über mein Kommen und Fragen gestellt; so übernachtete ich bei einem Freund in der Vorstadt, dem ich sagte, ich wäre selbst um einer Liebschaft willen heimlich zur Stadt gekommen. Wenn er entdeckt wurde, galt es Kerker und Tod. Eine halbe Stunde vor Tag erwartete ich ihn am Turm der Neroni; er stand bereits da und pfiff vor sich hin. Und so brachte ich ihn wieder hinaus und über die Grenze. Bei wem er gewesen, wußte ich nicht; aber ich wußte, daß er die Tochter des Alani heiraten sollte, und so schien mir nichts gutes. Noch zweimal in diesem Winter wurden mir im Dämmern von Unbekannten Briefe gegeben, die ich an Messer Fabrizio nach dem Mailändischen besorgte.«
So erzählte der Ferella. Dann nahm ich wieder das Wort. Wie das Jahr um war, war auch die Meinung der Leute eine andre geworden, da Messer Ferrante's Spott die Sampieri traf, die nichts für das Volk zu tun vermochten, als daß sie seine Freunde in die Verbannung trieben. Bis an die Grenze ritten Verwandte und Freunde ihm entgegen, als Messer Fabrizio aus dem Bann heimkehrte. Häuser waren mit Fahnen und Blumen geschmückt, und die Menge drängte sich, ihn zu grüßen. »Er ist da! Er ist mir wiedergegeben!« rief die Spada vom Altan der Menge zu, »und nie wieder soll er uns entrissen werden!« »Nie wieder!« schrie das Volk, und wenn einer von der Partei der Sampieri sich da gezeigt oder etwas gesagt hätte, es wäre ihm übel ergangen. Denn das Volk ist eine Herd«, die heute hierhin läuft und morgen dahin.
Drei Monate später wurde seine Hochzeit mit Beatrice Alani gefeiert. Am Abend vorher war ein Fest im Hause der Alani gewesen; Maskenzüge, Nymphen und Helden waren über den Platz gezogen, und in den Wasserbecken und Springbrunnen war Wein geflossen, aus Füllhörnern ward süßes Backwerk in die Menge geworfen, und das Volk hatte gejubelt. Ich war in der Kirche, als der Erzbischof sie traute. Die Kinder der Verwandten streuten Blumen. Schön und ernst sah Messer Fabrizio aus, als er ganz in weiße Seide gekleidet, mit seiner Braut unter dem violetten goldbefransten Baldachin stand, und sehr anmutig Beatrice Alani mit ihrem zarten Antlitz und dem dunkeln Haar.
»Aber niemals,« unterbrach mich der Ferella, »erreichte sie Madonna Atalanta an Schönheit, noch er Messer Ferrante. Wunderbar war es, wie da die Herrlichkeit der Eltern weit größer schien als die des Brautpaars.«
Ich glaubte das nicht und fand die Jugend schöner, aber mit dem Ferella war darüber nicht zu streiten. »Entsinnt Ihr Euch,« sagte ich, »wie schwül der Tag war? Schlaff hingen die Kränze und Fahnen, und die Pferde gingen unmutig; stumm gedrängt stand das Volk in der Mittagshitze. Als sie vorüberfuhren, ertönte der Ruf ›Es lebe die Spada!‹ Über der getürmten Stadt lag ihr Palast, weiß unter schweren Wolken, und beinahe verdrossen ging der Zug hinauf ...«
»Und als wir oben ankamen,« so erzählte er wieder, »mußten die Lichter im Saal angezündet werden; so dunkel war der Tag geworden. Zwischen den Tischen stand der Conza, der Haushofmeister, und gab das Zeichen zum Anfang. Die Musik begann, und sie setzten sich und tafelten in gedrückter Lust. Mich aber quälte der Gedanke, daß ungekannt unter den Hochzeitsgästen die sitzen mochte, die Messer Fabrizio damals nächtlich besucht hatte, um die er Kerker und Tod gewagt hatte und ich mit ihm. Und während sie saßen, brach der Sturm los, die Blitze zuckten, der Regen prasselte auf die Steinfliesen der Loggia draußen, und die Donnerschläge übertönten die Musik. Auf der Estrade, funkelnd in Juwelen und schwerer Seide, saßen die Frauen der Großen neben den schmausenden Herren. Von den Kandelabern aus Ebenholz, zwischen denen vergoldete Blumenketten hingen, züngelten die bleichen Flammen in die dämmernde Höhe des Raumes, wenn nicht ein Blitz den ganzen Saal mit seinem jähen weißen Licht erfüllte, daß jedes Zucken eines Mundes, jede Bewegung eines Arms für einen Augenblick in der Helle erstarrt schien. In solchem Licht sah ich Madonna Atalanta, die sich erhoben hatte, zwischen dem Marchese und Herrn Michele Alani; jeden Stein des Diadems auf ihrer Stirne hätte ich zählen können, und ich sah das Leuchten ihrer Augen, als sie mit ihrer herrlichen Stimme durch den Saal rief: »Das ist die Hochzeitsmusik im Hause Spada!« und ein langer Donner übertönte das Klirren der Gläser, als die Gäste aufsprangen und die Frau und ihr Geschlecht priesen. Aber nicht alle meinten es ehrlich. Und dann ward es stille; in beklommenen Gruppen saßen die Gäste und redeten mit verhaltenen Stimmen, bis der Wein sie laut werden ließ. Stundenlang dauerte das Unwetter; immer aufs neue fiel der Donner ein; aber noch länger dauerte das Fest, und die Tafel und die Tänze in dem erleuchteten Saal, daß sie des Gewitters vergaßen, bis es endlich nachließ. Und sie feierten und sangen Lieder, bis die Geigen und Flöten süß und schmelzend spielten, und das Brautpaar sich erhob und, von den Brautführern und Mädchen geleitet, nach seiner Kammer aufbrach. Da strauchelte Madonna Beatrice an der Schwelle des Saals, ihr Schleier blieb an einem Pfeiler hängen und zerriß, und sie stieß einen leichten Schrei aus. Herr Fabrizio wollte sie hinausgeleiten, aber sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Madonna Atalanta umfing sie mütterlich mit den Armen, denn sie selbst hatte keine Mutter mehr, und beruhigte sie, und sie verließen den Saal. Aber manche, die in der Nähe gestanden und es mit angesehen, redeten darüber.
Und Herr Odoardo Pelleoni, der Dicke, wie sie ihn nannten, der unter den Brautführern war, machte, vom Wein gereizt, einen bösen Witz, der Messer Fabrizio hinterbracht wurde; denn Ihr wißt, was ein zerrissener Brautschleier im Glauben des Volkes bedeutet.
›Bist du nicht ein dicker Mensch ohne Sinn und Überlegung, der zur Unzeit scherzet, wenn er besser schwiege?‹ fragte er, als er ihn am Tage darauf ins Haus treten sah. Sehr blaß wurde Messer Odoardo; denn er liebte Herrn Fabrizio und hatte es ihm oft bewiesen. Aber der fuhr fort, ihn zu höhnen, und verzieh ihm nicht, und sie schieden in Feindschaft. Denn so waren sie, daß sie keinen Dienst achteten und keinen Fehler vergaben.
Messer Fabrizio,« sagte der Ferella, »hatte den großen Sinn der Mutter, und er wollte die alte Macht der Spada wieder ausrichten, daß die Altieri an ihre Stelle treten sollten. Oft gingen beide, er und Madonna Atalanta, in den Turm, wo der Charidis hauste, und Gott weiß, was er ihnen vorgeredet. Ich begegnete ihm manchmal auf den Treppen oder im Hofe, wenn er mager, schwarz gekleidet, halb hochmütig, halb mißtrauisch vorüberging. Ich mochte ihn nicht leiden; denn solches Wissen, wenn er es besaß, ist verflucht. Er fühlte es wohl und redete mich einmal an, mit starren Augen und drohendem Finger. ›Der will dich fürchten machen‹ dachte ich, und ging, ohne auf ihn zu hören, weiter. Von da an haßte er mich.
Das war das Unheil, daß unter den Dienern des großen Hauses Streit und Eifersucht war; weil man die Herren liebte, wollte jeder ihr Vertrauen und ihre Gunst haben. Auch der Talbon hatte einen Groll auf mich, und stets fand er zu tadeln, was ich tat. Ich verstand mich auf Pferde von Jugend auf, hatte von meinem Vater gelernt, wie sie zu halten und zu ziehen waren, und verstand es besser als der Talbon. Weiße, braune und Schecken zog ich auf einem Grundstück bei Belcolle – sie wollten es mir zu eigen geben. Und als der Marchese bald darauf für die Stadt ins Feld zog, da ritten Messer Ferrante und seine beiden Söhne auf den Pferden, die ich gezogen hatte, weil ich sie darum bat. Ausdauernd waren sie und feurig und fromm zugleich. ›Nie hab' ich solch ein Pferd geritten, wie die deinen‹, sagte Messer Ferrante zu mir. Das schönste ward von einem Pfeile getroffen unter Messer Fabrizio, als er bei Venzone die Reiter des Pallavicino warf und ihre Fahne nahm. Schmerzvoll bäumte es sich; dahinter lag der fahle Himmel über dem dunkeln Gehölz; Messer Fabrizio war abgesprungen, ich bot ihm mein Roß und stieß dem andern das Messer in den Hals, daß es nicht länger leiden sollte.
An jenem Abend hatten sie im Kastell von Venzone eine Zusammenkunft, der Marchese und Messer Ferrante und seine Söhne, und einigten sich, die so lange uneins gewesen waren, daß der Marchese die Neffen stützen und daß sie sich Altieri-Spada nennen sollten, wie sie von nun an taten. Und als Messer Fabrizio wußte, daß er den Marchese und das Heer für sich hatte, ritt er nach der Stadt zurück, um sich, so jung er war, um die Wahl in den großen Rat zu bewerben, und zu sorgen, daß Monteserra befestigt würde, das den Weg zur Stadt im Süden sperrte, wie der Marchese gewollt, scheinbar zum Schutz der Stadt, in der Tat für ihre Pläne. Und er setzte die Wahl durch, weil er viele Freunde hatte im Adel und das Volk ihn bewunderte, weil er schön und tapfer war, und wenn er nicht so klug war wie sein Vater, so hatte er mehr Entschluß. Und er hatte sogleich eine Partei im Rat, weil viele sich ihm anschlossen, welche dachten, daß die große Zeit der Spada wiedergekommen sei. ›Blind ist das Schicksal!‹ pflegte Messer Ferrante zu sagen. Aber die Menschen sind blinder noch!«
So erzählte der Ferella, da wir vor der Schenke saßen. Es war mählig Abend geworden, und der Fluß lag vor uns mit seinen Barken in trübem Schein, und darüber die grauen Häuser der aussteigenden Stadt, während wir tief in die vergangene Zeit zurückschauten und fühlten, daß von damals zu heute keine Brücke führte, als die der Erinnerung, die den Menschen aus einer heißen Jugend in ein fröstelndes Alter führt, wenn das Licht verdämmert und die Farben fahl werden.
»War es nicht zu dieser Zeit, Ser Agnolo Benintendi,« sagte der Ferella, »daß ich Euch kennengelernt, daß ich wie heute mit Euch beim Weine saß und manchmal an Eurem eigenen Tisch?«
»Ja,« erwiderte ich, »und schon damals sagte ich Euch, daß, wenn viele an das Glück der Spada glaubten, derer noch mehr waren, die durch ihre steigende Macht in Besorgnis gerieten, und auch die neuen Signoren kehrten sich gegen sie. Die Stadt war bewegt von Gerüchten in den Gassen und Gesprächen hinter verschlossenen Türen: die Bürger gingen mit finstern, sorgenvollen Gesichtern, und in den Palästen der Großen kamen ihre Freunde und Anhänger zusammen. Ich hatte damals das Haus des Mignatti gekauft, das dicht an dem der Sampieri lag; in der Rückwand waren nur zwei Fenster; wenn ich hinter ihren Gittern im Dunkel stand, und in den Hof des Palastes spähte, in den das schwache Mondlicht fiel, konnte ich sehen, wie tief in ihre Mäntel gehüllte Männer zu Herrn Orlando Sampieri kamen. Ich diente dem Sampieri, während es mich doch im Herzen zu den Spada zog. Eines Tags war ich mit Herrn Orlando in Castagnola gewesen; auf der Rückkehr kamen wir bei Monteserra vorbei, wo er ein Landgut hatte. Am Bergabhang im Sonnenschein sahen wir die Arbeiter Ziegel schichten und die Ochsenwagen Erde heranführen, während oben die Mauern und Türme des Kastells in die Luft« stiegen. ›Den Berg der Esel sollten sie es nennen,‹ sagte Messer Orlando, ›und die Esel sind die Bürger der Stadt, die es zugeben.‹ Und wir ritten weiter der Stadt zu, die im Nachmittagsdunst unter dem heißen Himmel lag; hoch oben in ihrer Mitte blitzten die Fenster des Palazzo Spada in der Nachmittagssonne.
Sie stand bereits tief, und die Straßen waren im Schatten, als wir durch das Römertor in die Stadt einritten und vor seinem Hause hielten. Er nahm mich mit hinein und nahm Papiere aus einer Truhe, die mit Chiffern beschrieben waren, und sagte mir, daß die Altieri zu Venzone Abrede mit dem Feinde getroffen hätten, so daß der Marchese sein Heer gegen die Stadt führen könnte, sobald sie die Verfassung ändern wollten, wie sie vorhätten. Und er öffnete die Truhe nochmals und nahm ein zerschlissenes Hemde hervor, das fast zerfiel und an dem große dunkle Flecken waren. ›Dies trug Herr Amador Sampieri, mein Großvater, als Prospers Spada ihn enthaupten ließ,‹ sagte er, und seine blassen Lippen zitterten. Und während ich ihm bange zusah, ging er zu einem großen Kruzifix, das in dem dämmernden Zimmer an der Wand hing, kniete nieder und beugte das Haupt und faltete die Hände. ›Ich habe nur wiederholt, was ich lange gelobt,‹ sagte er, als er wieder aufstand, und sah mich an. Seltsam schien mir damals, daß er solches Vertrauen zu mir hatte. Aber er wollte nur, daß ich die Gerüchte vom Verrat der Altieri weiter verbreiten sollte, und sprach zu andern in gleicher Weise. Und es wuchs der Zwist und der Verdacht. Die einen wollten, daß der Marchese nicht wieder zum Heerführer gemacht werden sollte, die andern hinwieder wollten Messer Ferrante zum Podestà machen für das folgende Jahr. Und die Genossenschaften der Zünfte zogen mit ihren bunten Fahnen durch die Stadt, und auf den Plätzen bedrohten sie einander. Von meinem Fenster sah ich Messer Fabrizio auf einem Schecken vorüberreiten und man jubelte ihm zu, während von der andern Seite des Platzes Hohnworte und Flüche schollen. Und da er an die Ecke der Gasse der Lohgerber kam, flogen ein Zimmetkrug und Scherben aus den Fenstern des Hauses nach ihm, und eine muß sein Pferd gestreift haben, das sich aufbäumte und ihn um die Ecke riß. Die von seiner Partei waren, schlugen die Türe ein und brachen in das Haus, und Steine wurden geworfen und Leute blutig geschlagen. Und da sie von beiden Seiten kamen, staute sich die Menge vor dem Kloster des heiligen Franz, da wo der Platz enge wird, und das Tor flog auf und der Prior erschien auf den Stufen mit den Mönchen, die den Gekreuzigten am Holze trugen, und sie hoben es hoch und beruhigten das Volk noch einmal.
Noch hatten die von der Partei der Sampieri, die sich ›die Hüter des Rechts und der Freiheit gegen die Spada‹ nannten, die Macht in der Hand, aber sie kannten ihre Gefahr. ›Liebe Mitbürger,‹ sagte Herr Ugo Mezzabarba in einer nächtlichen Versammlung, ›noch ist der Giftbaum nicht zur vollen Höhe gewachsen, und man kann ihn leicht fällen. Bald aber wird es zu spät sein.‹ Es schwankten die Signoren und saßen bleich auf ihren roten Stühlen; schwer wird den Menschen ein großes Wagnis. Da warf Herr Orlando Sampieri sich vor Herrn Oddo Greschi, dem ältesten unter ihnen, dessen Stimme am meisten galt und der sein Verwandter war, nieder, faßte ihn an der Hand und beschwor ihn zu handeln. Und sie traten beiseite und sprachen leise miteinander, und als sie wieder herantraten und Messer Orlando befriedigt schien, da bekreuzigte sich Niccolo Oberti und auf eines der Fenster zugehend, sagte er: ›Ich sehe Blut und Flammen über der Stadt!‹ Der Sampieri aber riß den Vorhang zur Seite und erwiderte: ›Wollte Gott, ich sähe es auch!‹ und er wies nach dem Palazzo Spada, der, weil er am höchsten über der Stadt lag, von vielen Fenstern sichtbar war. Und all dies weiß ich von einem, der an dem Rat teilgenommen.
Weil sie aber sich an Herrn Fabrizio selbst noch nicht wagten, so griffen sie am Tag« darauf zwei seiner Diener und brachten sie vor das Gericht der Acht und folterten sie, bis sie aussagten, was man wollte. Herr Ugo Mezzabarba hatte dies geraten, und mit seinem steten Lächeln auf den dicken Lippen hatte er gesagt: ›Erst die Hunde, dann die Jäger!‹ Messer Fabrizio aber, wie er gehört, daß man seine Leute gefangen gesetzt, war sogleich gekommen, aber man ließ ihn weder ins Gerichtshaus, noch wollten die Signoren ihn anhören oder sehen.
So ging er auf dem Platze auf und ab, und Massimo Pelleoni und Gherardo Alani und andere seiner Freunde waren mit ihm, aber sie standen ein paar Schritte abseits und flüsterten untereinander; denn er war so, daß man ihm nicht nahe kommen durfte. Wenn jemand ihn anredete, sah er ihn nur mit wilden Micken an und gab keine Antwort. Volk sammelte sich an und sah nach ihm aus der Entfernung, und ich war darunter. Wir wunderten uns, daß er blieb, da er selbst in Gefahr war. Indem kam einer der Acht, ich glaube, es war Herr Andrea Palma, zusammen mit Herrn Ugo Mezzabarba, aus dem Gebäude. Totenbleich wurde der Mezzabarba, als er sich plötzlich den andern gegenüber sah, und unter irgendeinem Vorwand kehrte er in das Gerichtshaus zurück. Herr Andrea aber, von allen umdrängt, erklärte, nichts sagen zu können. Herr Massimo Pelleoni wollte ihn an seinem schwarzen Gewand festhalten, daß er spräche, aber Herr Fabrizio, dessen Gesicht blutrot wurde, winkte ab, und sie bestiegen ihre Pferde und ritten davon.
Als ich eine Weile später die Treppe, die bei San Luca hinauf zur Piazza Spada führte, emporging, da stieß ich oben auf Bewaffnete, die mich nicht hindurch ließen. Und als ich mich ihnen nannte als Ser Agnolo Benintendi, der Notar, da faßte mich einer an der Schulter, daß meine Frau noch abends den Griff in meinem Fleische sah: ›Das ist so ein Spürhund der Sampieri!‹ rief er und kam mir mit dem Gesicht ganz nahe, und ich, froh, als er mich losließ, eilte unter ihrem wilden Gelächter abwärts.«
»Die hatte ich gestellt,« sagte lachend der Ferella, – denn ich erzählte ihm alles, wie ich es heute Euch erzähle, – »auch war der Hergang nicht ganz so, wie Ihr Euch zu erinnern glaubt, Ser Agnolo. Ich war, sowie ich von dem Vorgefallenen hörte, nach dem Palazzo Spada geeilt. In der Halle saß Madonna Atalanta dem Francesco Godora, der ihr Porträt malte; sie war eben aufgestanden, das Bild zu besehen; er selbst trat ehrerbietig zurück, und sie, mit dem schönen vollen Arm, von dem der weite Ärmel zurückglitt, auf Madonna Beatrice weisend, sagte: ›Diese hier mögt Ihr wie eine Taube malen, aber nicht mich!‹ Da trat ich ein, und sie, die bisher ahnungslos gewesen, hörte von mir, was vorging. Ich gab ihr zu bedenken, daß die Signoren, nachdem sie den Schritt getan, einen weiteren wagen könnten, und drängte, daß sie und ihr Sohn die Stadt sogleich verlassen sollten. Und sie sandte mich nach Herrn Fabrizio, und ich holte ihn, und zur Vorsicht stellte ich Wachen in den Gassen, die zu unsern Häusern führten.
Da wir ankamen, saß Madonna Atalanta für ihr Bild, als wäre nichts vorgefallen. Madonna Beatrice ging in der Halle auf und nieder und schlang eine Perlenschnur mehrmals um ihr Handgelenk und zog sie wieder herunter in Rastlosigkeit. Jetzt legte der Godora seine Pinsel nieder und ging, und wir berieten. Madonna Atalanta beschloß, in der Stadt zu bleiben; wir andern sollten sogleich aufbrechen. ›Niemand wagt, Atalanta Spada zu berühren!‹ rief sie.
›Mich braucht er nicht,‹ sagte Madonna Beatrice, die bis dahin wortlos zugehört hatte.
›Wenn Ihr bleiben wollt, so bleibt‹, sagte Messer Fabrizio kühl.
Madonna Beatrice rang die Hände und rief ›O möchte ich sterben!‹
›Besser, Ihr reitet ohne Weib!‹ sagte Madonna Atalanta ungeduldig.
So ward es getan. Und da den ganzen Tag die Aufregung in der Stadt groß war, auf den Plätzen und in den Straßen die Leute drängten, ritten Messer Fabrizio und ich und drei Diener durch die äußeren Gassen, die leer waren, nach dem Lombardentor; wir kamen ohne Schwierigkeit hindurch und ritten durch den heißen Abend auf den stäubenden Straßen nach Belcolle. Denn das Kastell war wohlbesetzt und befestigt, und nicht leicht zu nehmen.
Da wir zu Abend gegessen hatten und ich mich zur Ruhe legen wollte, begegnete ich dem jüngsten von Messer Fabrizios Dienern, wie er über den Gang einen Krug Wassers nach seines Herrn Zimmer trug, gerade unter einem Licht, dessen Schein auf sein Gesicht und sein rotes Haar fiel, das mit einem Netze gehalten war. Da ich ihn nicht kannte, fragte ich ihn, wie er heiße und woher er sei. Da wurde der Junge rot und stotterte etwas und lachte zuletzt, und ich ging schweigend weiter. Wir wußten es damals bereits, daß Herr Fabrizio ein Weib aus dem Volke liebte, eines Seilers Tochter, die Besotta hieß, und die Leidenschaft zu ihr war ihm so ins Blut gegangen, daß er von ihr nicht lassen konnte. Dies, und daß sie selbst kein Kind von ihm hatte, war Madonna Beatricens Verzweiflung. Sehet, sein Weib hatte er zurückgelassen, aber die andre mitgenommen, weil es seine oder ihre Laune war.
Mit dem ersten Dämmern brachen ich und zwei Knechte auf; wir ritten Rosse, die ich gezogen, auf getrennten Wegen. Kurze Rasten hielt ich in den heißen Stunden an versteckten Uferstellen, wo ich das Tier tränken konnte, und ritt durch die helle Nacht und den Morgen, wenn ich das Licht zwischen den Ölbäumen aufblitzen sah, die lange Schatten über das Korn warfen. Unter mir, den Kopf gesenkt, leicht in den Zügeln, flog das Pferd. Am zweiten Abend hatte ich die Vorposten erreicht, da stolperte es über einen losen Stein und fiel hin, und ich lag mit dem linken Beine unter ihm. Ich sah es mit den Hufen schlagen und den Kopf heben, die Zähne gebleckt, mit hängender Zunge und blutumränderten Augen; es schnob und röchelte, während die Flanken sich furchtbar hoben und senkten. Soldaten zogen mich hervor, und ich hieß sie, mich zu den Herren tragen ... Ich sah den Marchese und Messer Ferrante und andre über mir stehen und machte meine Meldung, dann ward es dunkel um mich, und ich wußte von nichts mehr. Viele Wochen lag ich im Fieber, und als ich geheilt war und zurückkam, da geschah mir, was ich nie geglaubt und von denen ich es nie erwartet hätte.«
Der Ferella verstummte. Wir saßen nun in halber Nacht. Die Barken auf dem Strom glitten über dunkles Wasser. Über Hügel und Häuser kam der Mond hervor, und unser Tisch vor der Schenke stand in seinem Licht. So konnte ich sehen, wie finster die Züge des Mannes geworden waren. Ich wußte nun auch, warum er hinkte. Er setzte den Weinkrug an den Mund. »Gott gebe uns Vergessen!« sagte er.
Ich meinte, das wäre eine üble Gabe für mich und meine Chronik. »Ja, was inzwischen hier geschah, das wißt Ihr besser als ich, Ser Agnolo«, erwiderte er. Und so ist es auch.
Bereits am nächsten Tag – sie hatten wohl wieder nächtlich beraten – wurde die Anklage wider Herrn Fabrizio Altieri erhoben, auf Grund der Aussagen der Diener, die sie peinlich vernommen hatten, und er wurde vor die Acht geladen. Und da sie ihn nicht mehr fanden, brachten sie die Tage in langen Beratungen hin und konnten sich nicht einig werden, was sie tun sollten. Am vierten Tag wußten sie, daß der Marchese mit dem Heer auf die Stadt zu rückte. Da erkannten sie ihre Lage und wie sie gefehlt hatten. Aber ihre Uneinigkeit ward nur noch größer, und jeder schlug einen anderen Weg vor. »Nun sei es ja klar,« sagte Herr Orlando Sampieri, »daß die Altieri Verrat geübt und sich mit dem Feinde geeinigt hatten.« »Und was nützt Euch diese Erkenntnis?« fragte Niccolo Oberti. Und bitter bereute Herr Oddo Greschi, daß er nachgegeben hatte. Und sie machten einander Vorwürfe und stritten und gingen aus dem Rat und kamen wieder zusammen, und schickten Boten und hörten Boten, und die ganze Zeit rückten die schweren Reiter des Marchese und sein gepanzertes Fußvolk näher und näher. Eine bleierne Unruhe lag über der Stadt. Die Bürger gingen in Angst; die meisten schlossen sich in ihre Häuser ein oder lagen in den Kirchen und beteten, besonders die Frauen. Und viele saßen des Nachts auf ums Licht, als ob das geholfen hätte. Oben aber lag der Palazzo Spada mit geschlossenen Läden, und nichts rührte sich darin, so daß viele zweifelten, ob die Spada wirklich da sei oder gleichfalls die Stadt verlassen hätte. Und ich habe Leute sagen hören in ihrer Angst, sie übe da oben mit dem Griechen durch Flüche und Zauberei geheime Macht, und Herr Ugo Mezzabarba verlangte, daß auch sie verhaftet würde, aber niemand wagte es auszuführen, wie sie vorausgesehen hatte. Und immer noch stritten sie im Rat. Die Sampieri wollten die Bürger bewaffnen und die Mauern verteidigen. »Wißt Ihr auch, wen Ihr für Euch und wieviele Ihr gegen Euch habt?« fragte der Oberti höhnend. Und gerade da hörten sie das Geschrei des Volkes auf der Piazza, das »Spada! Spada!« rief; denn von den Hügeln hatte man die ersten Reiter und Fahnen gesehen. Herr Oddo Greschi trat auf den Balkon hinaus und wollte reden, aber sie hörten ihn nicht an; da riß er das Barett und den hermelinbesetzten Mantel herunter, warf sie von sich und legte sein Amt nieder, und sie verhöhnten ihn dafür. Jetzt hörte man auch die Trompeten und Hörner vor den Toren, und in der Stadt begannen die Glocken zu läuten. Wer ihnen das Tor geöffnet, weiß ich nicht, aber bald quollen sie aus den Gassen auf die Plätze, überall schlugen die Hufe das Pflaster, und alles starrte von Spießen. Und vor den Reitern ritt der Talbon, ganz in Eisen, mit grimmigem Gesicht, denn einer von denen, die sie gefoltert hatten, war sein Sohn gewesen. Viele Bürger hatten mit Kreide oder Farbe gekreuzte Schwerter auf ihre Türe gemalt, als Zeichen, daß sie zu den Spada hielten. Die Sonne neigte sich bereits, als die Herren selbst einzogen, und von den Fenstern jubelte man ihnen zu, und überall sangen sie das Kampflied der Spada. Als sie das Stadthaus betraten, fanden sie es fast leer; denn die Signoren und die meisten vom großen Rat hatten es heimlich durch Seitenpforten verlassen. Ich weiß nicht, was sie so lange darin berieten; unten auf dem Platze standen die Kriegsleute, und da und dort zeigte sich ängstliches Volk. Bald hörte man Schüsse und sah Rauch aufsteigen. In grauen Wolken ging die Sonne unter, und die Nacht stieg nieder mit ihren Schrecken. Ich wachte in großer Angst und Sorge, da ich des Sampieri Notar gewesen; aber ich entging durch die Fürbitte der Engel und Heiligen. Am andern Morgen hörten wir, daß Herr Orlando Sampieri durch das Römertor entkommen war, während sein Bruder Herr Rosso erschlagen in den Straßen lag. Zweiundzwanzig Häuser wurden niedergebrannt und mehr geplündert. Herrn Ugo Mezzabarba hatten sie an einem Fenster seines Hauses aufgehängt; er zappelte noch, schwer und dick, wie er war, als der Talbon vorüberritt und ihn abzunehmen befahl; aber der Talbon strich seinen braunen Bart und grinste, als sie den Halberstickten vor ihn legten und ihm Wein einflößten; und er ist auch nie wieder ganz zu seinen Sinnen gekommen, und das stete Lächeln war für immer erstorben auf seinen Lippen.
Als aber die Sonne völlig aufging, ritten Herolde und Trompeter durch die Stadt, die das Volk beruhigten, Freiheit und Gerechtigkeit versprachen und die Leute ihren Geschäften nachgehen hießen. Viele strömten in den Dom, wo der Erzbischof selbst das Hochamt feierte und die Bürger Frieden schwören ließ. Und sie machten Messer Ferrante zum Podestà, und den Marchese aufs neue zum Feldhauptmann und wählten Herrn Fabrizio, so jung er war, in die Signoria mit Herrn Michele Alani, seinem Schwiegervater, und anderen. Und mit meinen Augen sah ich, wie die Spada, von ihren Frauen gefolgt, über die teppichbelegten Treppen niederstieg, ihren Gemahl und Oheim zu begrüßen und den Sohn zu umarmen. Acht Tage hatte sie im Hause gesessen und alle Diener bewaffnet, und sie sagte, daß sie sich bis aufs Messer verteidigt und eher den Palast angezündet hätte, ehe sie die Feinde ihres Geschlechts eingelassen. Und wahrlich, sie hätte es getan! Und sie stießen viele aus dem großen Rat und schickten andre in Verbannung und nahmen ihnen Häuser und Gut, so daß sie Reichtümer gewannen, die sie brauchten. Denn sehet, wer die Macht will, der kann nicht gut sein. Und alle Ämter besetzten sie mit ihren Anhängern, und zumeist mit Leuten aus dem Volk, was die aus den alten Geschlechtern erboste. »Und darum wundert es mich, Capitano Ferella,« so sagte ich zu ihm, und ich sagte es nicht ohne Absicht – »welcher Lohn Euch zu teil ward?«
»Welcher Lohn? Der hier!« rief er bitter und streckte sein lahmes Bein neben dem Tische aus. »Wochen war ich bei fremden Leuten gelegen, und als ich wieder zu Roß steigen konnte, – das Reiten ging fast wie vorher, nur das Gehen ward mir schwer, – brach ich hierher auf. Als ich nach Belcolle kam, wo ich die Pferdezucht hatte, sah ich mit Erstaunen, daß vieles verändert war. Es war spät im Herbst und kühl, und die Tiere waren in den Ställen. Auf dem Hof sah ich zwei Knechte, der eine hatte Zaumzeug über der Schulter hängen, der andere trug einen Eimer zum Brunnen und leerte ihn aus. Ich rief sie an, und da sie mir fremd waren, fragte ich nach dem Renzo Gatta, dem ich das Gut zu verwesen gegeben; sie schüttelten die Köpfe und grüßten und sagten, der sei schon lange fort. Mein Pferd drängte nach dem Stall, den es kannte; ich ließ es herangehen, sie hinderten mich nicht, und sah durch die Stalltüre. ›Wo sind denn die Schecken?‹ fragte ich. ›Der Herr hat die meisten fortgenommen; vier stehen noch da drüben.‹ Ich bezwang ein Gefühl, das wie Gift in mir aufstieg, und fragte, wer denn der Herr wäre, der dies alles angeordnet hätte? ›Der Herr Talbon‹ war die Antwort. ›Wo ist denn er?'‹ fragte ich. Sie zeigten nach dem Kastell, dessen Türme über den Wiesenhang sahen. Ich ließ das Pferd rückwärtstreten, nahm es herum, sprach kein Wort, ritt aus dem Hof heraus und nach dem Kastell hinüber. Dort stellte ich den Talbon zur Rede. Er sagte, daß er auf Belcolle den Befehl führe, und ob die Pferde nicht Messer Fabrizios seien? Und das war wahr, aber er wußte sehr wohl, wie die Sachen standen, und ich sagte es ihm. Da lachte er in seiner bittern Art und sprach von Leuten, die er ins Haus gebracht und die sich zu hoch dünkten und Gehorsam lernen müßten. Ich hatte Lust zu ziehen, und er sah es. Er war ohne Waffe und griff nach einem Stuhl; er hatte Kräfte für drei; aber ich hatte Schwert und Dolch. Gott weiß, wie es geendet hätte, doch ich bezwang mich und ging.
Am andern Tag war ich in der Stadt und sprach mit Messer Fabrizio, und vielleicht zu heftig, so daß er sich erzürnt abwendete. ›Ich pfeife und Ihr tanzt!‹ sagte er, ›nicht daß Ihr pfeift und mich tanzen laßt!‹ ›Ihr mögt pfeifen, Herrlichkeit, und ich darfs nicht,‹ gab ich zur Antwort, ›aber nach Eurer Pfeife tanzen muß ich nicht! Treue um Treue!‹ Da wurde er blaß und sah mich böse an. Er stand an einem kleinen Tisch und hielt die Handschuh in der Hand und schlug damit auf die Platte: ›Du würdest besser gehen!‹ rief er.
Ich ging zu Madonna Atalanta und erzählte es ihr; schweigend hörte sie mich an. Ich sah, daß sie mir recht geben mußte. Da trat Messer Fabrizio ein und wendete mir den Rücken zu. ›Glaubt nicht, daß ich ihn nicht reich entschädigt hätte, wenn er zu gehorchen verstünde!‹ sagte er, ›aber er hat unziemlich gegen mich geredet.‹ Und Madonna Atalanta gab sogleich ihrem Sohne recht und mir unrecht. So ging ich. Ich war bereits im Vorsaal, als mir noch ein Wort einfiel, das ich vorbringen wollte, ich kehrte um und schob den Türvorhang zur Seite; da sah ich Madonna Atalanta im Stuhle sitzen und Herrn Fabrizio vor ihr knien, wie ein Knäblein, mit dem Kopf in ihrem Schoß, den sie streichelte und küßte. Da sah ich, daß sie mich und meine Sache längst vergessen hatten, und ließ den Vorhang fallen und ging.
Das Unglück war, daß Messer Ferrante in diesen Tagen abwesend war, und ich ihn nicht sprechen konnte. Ich weiß wohl, der Talbon war mehr als ich, und sie brauchten ihn, aber mein Herz hing an den Tieren, die ich gezogen, und sie hatten mir das Grundstück zugesagt; ja, ich hatte gerechnet, daß sie mich zum Kastellan machen würden in Belcolle. Der Talbon hats gehindert, weil er es mir nicht gönnte, und auch der Charidis hatte gegen mich gehetzt, der Hund, dem sie das Haus aus dem Neuen Markte gaben zum Lohn für seine leeren Worte und Prophezeiungen. Sehet, ich dachte damals, mich zu beweiben; obs gut oder übel war, daß nun nichts daraus werden konnte, weiß ich nicht. Ich schwor, keine Hand mehr zu rühren im Dienste der Altieri, und ritt im Zorn aus der Stadt. Aber das weiß ich, daß es nichts so Bitteres gibt für des Menschen Herz, als die hassen zu müssen, die er lieben möchte.«
»Die Großen sind alle gleich«, sagte ich, da er schwieg, »und wir zählen für sie nur als Kupfermünzen, die sie nehmen und hinwerfen, ohne ihrer zu achten.« Das sagte ich ihm, und er nickte finster. »Und so seid Ihr all die Jahre in der Ferne gewesen«, fuhr ich fort, »und nicht wiedergekommen bis heute?«
Da wendete er sein Gesicht mir zu, und beim Schein des Mondes und der Lampe sah ich, daß ein seltsam gramvoller Ausdruck darin lag, als er sprach: »Nein, Ser Agnolo, ich bin schon früher wieder da gewesen und durch die alten Tore und Straßen geritten, und ich habe gesehen ...« aber, was er mir fast flüsternd mit allen Zeichen des Schreckens erzählte, das sag' ich Euch später.
Die Nacht war kühl geworden und der Weinkrug leer; wir erhoben uns beide, verließen die Schenke und das Flußufer und gingen durch die Stadt, zwischen den schweigenden Häusern hin, bis wir auf dem Domplatz standen. Zusammen schritten wir die breite Marmortreppe hinauf, die die Altieri dem Dom gegenüber angelegt hatten; vor uns stand dunkel im Mondlicht das Reiterstandbild Messer Prospero Spadas, das sie ihm errichtet. Denn sie haben die Stadt geschmückt, wie keiner vor ihnen. Und das Hospital der armen Bürger haben sie gegründet und die Domschule ausgebaut. Ehrentafeln und Denkmäler wurden ihnen zuerkannt, als man erfuhr, daß die Verträge, die sie nach ihren Siegen getroffen, das Gebiet vermehrt hatten, und die Sampieri wurden als Verleumder und Lügner auf ewig verbannt. Wenn sie den Purpur genommen, wenn Messer Ferrante sich zum Herzog gemacht hätte, wer hätte es ihm verwehrt? Er wollte es nicht. Ihm genügte, daß er Frieden und Einigkeit geschaffen. Aber das Los der Menschen ist Unfriede, und seine Söhne dachten nicht wie er. Herrn Fabrizios Stolz reizte viele im Adel; denn er nahm nicht Rücksicht, wenn er etwas begehrte. Noch übermütiger ward das schöne rothaarige Weib, die Besotta, und sie rühmt« sich, daß, wer bei Herrn Fabrizio etwas erreichen wollte, es durch sie tun müßte. Und sehet, aus wie geringen Ursachen das Verhängnis quillt. Am Tage von Mariae Himmelfahrt geschah es, daß Madonna Beatrice mit Frauen und Dienern zur Kirche ging, und daß sie an einer Stelle vorüberkam, an der ein vollbusiges rothaariges Weib stand, das sie frech ansah und lächelte. Rot und blaß wurde Madonna Beatrice; denn sie erriet, wer es war; und mochte es ihr Befehl sein oder Eifer in ihrem Dienst, einer ihrer Begleiter stieß die Besotta zur Seite und trieb sie durch die Straße zurück, bis der Zug vorüber war und sie hinter ihm Drohungen und Verwünschungen rief. Desselben Nachmittags sah man Messer Michele Alani, Madonna Beatricens Vater, und Messer Gherardo Alani, ihren Bruder, nach dem Palazzo Spada eilen; was sie forderten, was ihnen erwidert wurde, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß jener Mann, der das Weib vom Wege getrieben, aus dem Dienst der Altieri weichen mußte. Wenige Tage darauf wurde die Besotta krank auf den Tod, und in ihren Krämpfen schrie sie, daß sie vergiftet worden, und das Volk glaubte es.
Nun sehet das Geschick. Di« Besotta wurde geheilt. Aber einige Tage später erkrankte Madonna Beatrice in gleicher Weise und lag auf den Tod, und wieder kamen die Gerüchte und Klagen, nun von der andern Seite. Eine Buhlerin und Giftmischerin nannten die Alani und ihr Anhang die Besotta, und wenig fehlte, daß sie Messer Fabrizio selbst bezichtigt hätten. Das sind schlimme Dinge. Ich war nicht im Palast, ich weiß nicht, was Herr Fabrizio seinem Schwäher erwiderte. Messer Gherardo liebte seine Schwester, und man sah ihn und Herrn Michele, ihren Vater, besorgt und tränenden Auges auf dem Wege zwischen beiden Häusern und in der Halle des Palazzo Spada. Es mag ein seltsames Treiben und Flüstern um das Bett der Kranken gewesen sein. Auch sie erstand wieder, aber sie sah von da an blaß und gealtert aus. Was aber schlimmer als alles war, das waren die bösen Worte, die heimlich von Mund zu Mund gingen, und Schmähgedichte, die gefunden wurden, und Spottlieder, die man sang. Es kam so weit, daß sechs Richter eingesetzt wurden, über die Schmähungen und angeblichen bösen Zauber der Besotta zu erkennen; aber sie scheuten sich vor Messer Fabrizio; sie gedachten vielleicht des Tags, da er unten auf dem Platze auf und ab geschritten, und was darauf gefolgt war: sie hielten ihre Vergehen nicht für erwiesen und sprachen die Besotta frei; und der Spott gegen die Alani ward groß. Messer Gherardo tönte es nach, als er durch die Straßen ritt; er trieb sein Roß gegen die Leute und ergriff einen beim Halse; aber ihrer waren zu viele. Steine flogen, er mußte den Mann fahren lassen und in ein Haus flüchten, das sie hinter ihm schlossen. Aber Männer, die Masken trugen, überfielen des Nachts das Haus der Besotta, sie rissen ihren Vater und die Brüder aus den Betten und ließen den alten Andrea Besotti für tot liegen. Sie selber konnte mit ihrem Kinde zu Nachbarn fliehen; großer Lärm ward, und das Volk sammelte sich, und es gab eine arge Schlägerei. Sie hatten Diener der Alani erkannt, und die Zunftgenossen versammelten sich und klagten über den Bruch des Stadtfriedens. Schwer war es für Messer Ferrante, der gerecht und gütig war, zu richten, wo sein eignes Blut mit den andern im Streite lag, und wo Madonna Atalanta, sein Weib, die ganz ihrem Sohne zu willen war, ihn drängte. Und so kam es, daß die Alani, die ihnen die nächsten gewesen, den Altieri feind wurden, und Herr Michele verlangte, daß seine Tochter in sein Haus zurückkehrte und die Mitgift ihm zurückgezahlt werde; und über all die Klagen und Prozesse, die entstanden, spaltete sich der Adel und das Volk und der Rat von neuem.
Denn viel Neid und Unzufriedenheit war entstanden, und viele hatten Verwandte unter den Vertriebenen, die sie aufreizten. Zum erstenmal erhob sich Widerspruch im großen Rat, als die aus dem Avogliotal über die Abgaben klagten und Messer Fabrizio darüber hinweggehen wollte. Die auf den roten Stühlen saßen, und viele im Rat, stimmten zu, aber Herr Odoardo Pelleoni, den er gekränkt hatte, und die jüngeren murrten. Messer Fabrizio sah sich erstaunt um, und sie murrten wieder. Sein Vater, Messer Ferrante, versprach lächelnd, die Sache zu untersuchen, und da mußten sie sich zufrieden geben. Neuer Streit und große Feindschaft entstand um die Grundstücke, die die Sampieri bei Monteserra hatten und die ihnen abgesprochen waren; denn die Greschi, ihre Verwandten, erhoben Einspruch, während das Kloster der Dominikaner ein Heimfallsrecht behauptete. Dies schuf große Erbitterung, weil Bewaffnete Herrn Fabrizios von Monteserra auf das Gut drangen und den Vogt der Greschi hinauswarfen. Der Prior des Klosters aber sagte, er könne warten: der Heilige überlebe alle. Und all die Streitigkeiten führten zu bitteren Reden über die Freiheit der Richter, und wer immer in einem Prozeß verlor, der behauptete, daß sie den Altieri zuliebe so entschieden hätten. Die Alani aber verhielten sich stille, obwohl Madonna Beatrice nicht zurückkam und die Mitgift nicht herausgegeben wurde, so daß viele sich wunderten; und ich weiß, daß Herr Odoardo Pelleoni Herrn Gherardo Alani fragte, ob er sich von oben und unten bespeien ließe; er meinte den Hohn des Volkes und den Schimpf der Altieri. Und Herr Gherardo gab Antwort: »Spielt Ihr Euer Spiel und laßt mich meines spielen!« Dieses Gespräch führten sie in dem Steingang des Stadthauses, wo die römischen Statuen stehen, und der junge Lazaro Greschi war Zeuge. Und in dem Augenblick sahen sie Herrn Ugo Mezzabarba vorübergehen, der ihnen zwei oder dreimal zunickte; er war aber, seitdem er am Fenster seines Hauses gehangen, nicht mehr recht bei Sinnen, und sie wußten nicht, ob er etwas gehört und gedacht hatte.
Das Schlimme war, daß auch die Altieri-Spada unter sich uneins waren; denn Messer Ferrante wollte alles in Klugheit und Güte schlichten, während der Marchese, obwohl er Herrn Fabrizio herbe Worte des Tadels sagte, für die unerbittliche Strenge der Herrschaft war. Und Messer Fabrizio, während er dem Oheim trotzig erwiderte, war doch im Innern der gleichen Meinung mit ihm, nur daß er und sein Bruder Guido ihm nicht trauten und ihn fürchteten. All dies war aber wie verborgenes Feuer, das nicht Luft bekam, und die Spada waren im Glänze wie zuvor, und überall war Jubel und Festlichkeit, da in diesen Tagen Messer Guido, Madonna Atalantas jüngerer Sohn, sich mit Violante Sforza vermählte.
All dies kam mir in den Sinn, als ich mit dem Ferella oben auf der Marmortreppe der Altieri am Denkmal Messer Prospero Spadas stand, der die steinerne Hand gebietend ausstreckte, als wiese er in die Vergangenheit. Auf dem nächtlichen Fluß sah ich Barke an Barke gedrängt mit seidnen Baldachinen, mit farbigen Segeln und Wimpeln; in den Straßen sah ich Fackeln und Lichter in allen Fenstern; ich hörte das Schreien der Maskenzüge, die sich auf Straßen und Plätze ergossen, sah die Rosse mit nickenden Straußfedern den goldenen Wagen, in dem das vermählte Paar saß, langsam durch die Menge ziehen; ich hörte die Musik aus den Lüften, und noch einmal den Jubelruf »Es lebe die Spada!«, als Madonna Atalanta mit schon ergrauendem Haar, aber immer noch herrlich und stolz, neben ihrem Gatten vorüberfuhr.
Messer Fabrizio war zu Roß, während sein Weib im Wagen saß. Freigebig ließ er Gold unter die Menge werfen, die ihm zujubelte; er ritt auf einem jungen weißen Pferde, das das Geschrei unruhig machte. Ich weiß nicht, wer ihm irgend eine Botschaft brachte, und was ihn zu wenden bewog, noch wohin er wollte; aber vor ihm waren, eine dichte Mauer, die Zuschauer; von der andern Seite erhob sich neues Geschrei, da ein neuer Maskenzug aus einer Straße kam. Wieder wurde das Tier unruhig und bäumte sich; deutlich sah ich es gegen die Wand der grauen Häuser, wo von den Ballonen Teppiche hingen, und Herren und Frauen heruntersahen. Jetzt wies er mit der Hand irgendwohin, und er und die um ihn setzten sich in Bewegung und waren sogleich vom Zuge getrennt, denn ganze Scharen von Masken und Zuschauern drängten und schoben sich dazwischen. Wir hörten dann noch wildes Gelächter, und dann plötzlich wieder ein Geschrei, das allen durch die Seele ging; denn es war anders und furchtbar, und jeder wußte, daß etwas geschehen sein mußte. Die Wagen stockten, ein Gedränge entstand, Menschen schrien, Frauen und Kinder riefen laut um Hilfe. Dann tönten irgendwoher schreckliche Trompeten, die Menschen fluteten zurück; Reiter drängten sie in die Seitengassen; auf dem Platze ward eine große Leere. Männer mit Fackeln kamen; wieder tönte furchtbares Geschrei, dann ein Jammern: Leute trugen auf einer Bahre einen liegenden Mann; andere liefen nebenher, und wieder andere, und neue von einer anderen Seite hinzu. Jetzt erst lief es wie ein erschrockener Laut von Mund zu Mund: es war Messer Fabrizio, den sie brachten. Ärzte waren um ihn; aber er lag völlig bleich, von seiner Brust troff das Blut über die goldgestickte Seide, die er trug. Wieder machten die Bewaffneten Bahn, und überall wichen die Leute zurück, als Madonna Atalanta und Messer Ferrante eilig herankamen und sich über die Bahre beugten; aber er öffnete die Augen nicht mehr, er war im Sterben. Die Musik war verstummt, schweres Glockenläuten setzte ein, und die Mönche aus dem Dominikanerkloster kamen, das Miserere singend, auf den Platz geschritten, und sie umgaben die Bahre und geleiteten sie langsam nach dem Dom, dessen großes Tor geöffnet wurde und sie aufnahm. Überall wurden die Lichter gelöscht; auf den entfernteren Plätzen, wo noch getanzt und gesungen wurde, und ebenso auf dem Wasser die Musik in den Barken hörte nach und nach auf, und nur das unausgesetzte Läuten der Glocken und die Rufe der Wachen tönten durch die Stadt.
Wir hörten dann, daß Herr Fabrizio in einer Seitengasse von dem unruhigen Pferde gestiegen war; in dem Gewühl mußte sich der Mörder in der Maske an ihn herangedrängt haben; niemand hatte in dem Lärm den Schmerzensruf gehört, und als er zusammensank, war der, der es getan, schon verschwunden. Die Waffe hatten die Blutrichter bereits in den Händen, die heimlich nach dem Täter forschten; es war ein dünner scharfer dreieckiger Dolch, der rasch und leicht eindrang. Die Tore der Stadt waren geschlossen worden, und eine Stunde später verkündeten Reiter in den Straßen den Mord und forderten alle Bürger auf, zu helfen, daß der Täter ergriffen würde. Wer ihn verbarg, sollte gleich ihm gerichtet werden.
So ging die zweite Hochzeit aus im Hause Altieri-Spada. Weinend und zitternd stand Madonna Violante Sforza in ihrem Brautgewand oben im Palazzo und bleich stand Messer Guido neben ihr, der der Erbe geworden war. Viele haben sie so gesehen und haben auch erzählt, wie Madonna Beatrice an der Wand des Saales stand, bleich, ohne Tränen, ohne ein Wort; nur ein beständiges Zittern lief durch ihre Glieder. Als die beiden andern sich vor Madonna Atalanta hinwarfen, da machte auch sie ein paar Schritte auf sie zu, blieb aber plötzlich stehen und wankte, Messer Ferrante und eine Dienerin fingen die Stürzende auf. Sie lag die Nacht im Fieber, dennoch erhob sie sich aus dem Bette, schleppte sich in die Kapelle und betete. All dies und viel anderes hab' ich vom Conza erfahren, der, ein alter Mann, noch heute auf seinem kleinen Gut vor dem Römertor lebt.
Am nächsten Tag lag Herr Fabrizio aufgebahrt im Dom, in dem wohl tausend Kerzen brannten, und den ganzen Tag strömte das Volk herein, um ihn zu sehen, bis die Signoren und die Herren und Damen alle erschienen und die Feier begann.
Aber lange vorher, als die Leiche allein lag und nur die Hellebardiere an der Bahre Wache hielten und ein Priester Gebete verrichtete, hatte Madonna Atalanta viele Stunden lang am Sarge ihres Sohnes gesessen und sein Haupt immer wieder in ihren Händen gehalten und ihn gesegnet.
Und da hatte sie ein Schluchzen vernommen und, sich umwendend, hatte sie ein Weib gesehen, das, ihr Gesicht in den Händen, bitterlich weinend auf den kalten Steinen lag. Da war sie aufgestanden und zu ihr hingegangen und hatte stehend zu der Liegenden gesprochen: »Geh hin zu ihm und küsse und segne ihn; denn auch du hast ihn geliebt!« Und die Besotta hatte sich halb aufgerichtet und den Saum ihres Kleides geküßt; dann war sie schluchzend an den Sarg getreten und hatte die Hand des Toten mit Küssen bedeckt.
Als der Erzbischof das Totenamt las, knieten Messer Ferrante und Madonna Atalanta und die andern von ihrem Hause schwarz gekleidet vor dem Sarge; auch Madonna Beatrice kniete mit ihrem blassen, gealterten, kleinen Gesicht und sah nicht ein Mal empor, und hinter ihr alle Alani in schwarzen Kleidern und mit starren weißen Gesichtern. Und der Dom war erfüllt vom ganzen Adel der Stadt, alle in Trauer gekleidet und viele mit Frohlocken im Herzen.
Am Tage danach wurde Herr Fabrizio Altieri-Spada auf dem Friedhof der Dominikaner beigesetzt; und so hatte der Prior recht behalten: einen der Streitenden hatte der Heilige bereits überlebt.
Bald darauf nahm Madonna Atalanta das Kind der Besotta zu sich in den Palast und ließ es dort aufziehen; sie sagen, daß sie es oft geherzt hat als ihr einziges Enkelkind – es ist Herr Giulio Spada, der noch heute als Protonotar am Hofe des Herrn Papstes lebt. Und sie baute Kirchen und stiftete Messen für den Toten, und sie ließ den Giovanni da Pausula kommen, zusammen mit dem Jacopo Nessi sollte er ihrem Sohn ein Grabmal errichten, wie es keiner zuvor gehabt. Noch größer ward sie in allem, was sie tat, und wie keiner der Entwürfe ihr genügte, die der Pausula und der Nessi ihr vorlegten, so schien ihr keine Strafe und Qual für den Mörder ihres Sohnes zu groß.
Viele waren in Haft gesetzt worden, einer, weil sein Ärmel am andern Tag blutbefleckt war, andere, die sich durch Reden oder ein scheues Wesen verdächtig gemacht hatten, aber alle konnten den Nachweis führen, daß sie gar nicht in der Nähe gewesen waren. Daß die Sampieri und die Mezzabarba den Mörder gedungen, sagten die meisten, bis vom Quartier am Turm der Neroni ein Gerücht ausging, daß die Alani anklagte. Und da war es Herr Lazaro Greschi, der nicht schweigen konnte und vor andern verriet, was Herr Gherardo Alani vor ihm im Stadthaus gesagt hatte. Und wenn er zuerst nur geschwatzt hatte, so ward er nun, um sich zu retten, zum Judas. Noch in der Nacht kamen die Sbirren nach dem Hause der Alani, aber sie fanden Herrn Gherardo nicht mehr, der geflohen war. Die Acht wollten alle von seinem Geschlecht gefangen setzen, aber Messer Ferrante ließ es nicht zu. Zwei Tage später floh Madonna Beatrice aus dem Palazzo Spada nach ihres Vaters Haus, und von dort ging sie in ein Kloster. Um ihre Mitgift wurde Prozeß geführt. Herr Michele war ein alter Mann, der stotternd und sabbernd um seinen Sohn klagte, den er nicht wiedersehen sollte, und um das Schicksal der Tochter. Aber wenn die Aktien ihn schonten, Herr Odoardo Pelleoni, der das Gespräch im Stadthause begonnen hatte, und Herr Ugo Mezzabarba, der nur vorübergegangen und der nicht mehr recht bei Sinnen war, wurden von den Acht vorgeladen und peinlich befragt und gefangen gehalten. Und es verbreitete sich das Gerücht, daß die Acht einer großen Verschwörung gegen die Altieri auf der Spur feien, und in den Häusern des Adels war Schrecken und Haß. Viele flohen aus der Stadt und trugen ihren Haß an fremde Höfe und in ferne Städte. Daß Herr Fabrizio ermordet worden, ließ die Altieri als Tyrannen erscheinen, und nichts nützte Messer Ferrantes Klugheit und Güte. Denn das Unglück, das ein Mensch erleidet, und das Unrecht, das ihm geschieht, belastet ihn vor der Welt oft mehr als das Übel, das er tut. Und es wäre besser für sie gewesen, wenn sie sich zu Fürsten gemacht hätten; Herr Guido, das weiß ich, wünschte es, um seines Weibes willen und damit, wenn er als letzter und jüngster zur Macht käme, er den Schutz der fürstlichen Würde hätte. Ich weiß, daß sie darüber berieten und daß Herr Guido sagte, er hoffe, daß sein Herr Vater noch lange leben und ihm mit seinem Rat zur Seite stehen werde, und es sei nicht Ehrgeiz, was ihn bewöge, aber den Menschen gelte ein Name so viel, und es werde ihnen die Gunst des Kaisers bringen, wenn sie sich von ihm belehnen ließen. Der Marchese gab ihm recht, aber er war vor allem dafür, die Unverläßlichen aus der Stadt zu treiben, ihnen ihr Vermögen zu nehmen, und dafür ein starkes Heer zu werben und zu unterhalten. »Denn nur das Schwert gibt die Macht«, sagte er. Und auch das habe ich gehört, daß Herr Ferrante aufstand und mit einem wehmütigen Lächeln sagte: es würde nicht helfen. »Die Felder«, sagte er, »sind überreif und der Himmel gewitterschwer, und es kommt der Sturm, der alle umreißt. Wie sollte ein Mensch und ein Haus oder eine Stadt bestehen, wo für ganz Italien das Verderben naht?« Der Marchese zuckte die Achseln und sagte, mit Worten sei nichts getan, und denen, die prophezeiten, aber nicht handelten, sei nicht zu helfen. Er selbst sei alt und seine Zeit bald um, und er denke sich nach Sassonero zurückzuziehen.
Aber es kam nicht dazu; denn wenige Tage später, da er über einen seiner Diener ergrimmte, der etwas versehen hatte, traf ihn ein Schlagfluß, daß er an seiner ganzen rechten Seite gelähmt wurde und getragen werden mußte oder im Hause sitzen und nie mehr zu Feld ziehen konnte. Und da sie den Feldhauptmann verloren, den alle fürchteten, sank ihre Macht.
Im November sprachen die Acht ihr Urteil; ich weiß nicht, wie sie die Schuld nachgewiesen, – die einen glaubten es, die andern nicht, und es wurde auch erzählt, daß der Eigentümer des Dolches gefunden worden, und daß man den Mörder wüßte, aber nicht zu erreichen vermöchte. Bei Fackelschein wurde anstelle Herrn Gherardos eine Puppe auf dem Schaffet enthauptet, das vor dem Palazzo Alani errichtet wurde, dort, wo einst die Festzüge Herrn Fabrizios Hochzeit mit Beatrice Alani gefeiert hatten und die Füllhörner der Fortuna künftiges Glück bedeuten sollten! Und auf anderen Plätzen floß wirkliches Blut; auch Herr Odoardo Pelleoni wurde verurteilt, die Zunge und die rechte Hand zu verlieren; doch Messer Ferrante wandelte das Urteil in Verbannung um. Aber diese Milde versöhnte die andern nicht. Im Lande draußen schrien die Verbannten und Geflüchteten gegen die Grausamkeit der Spada.
In jenen Tage machte ich eine Reise, die mich ins Gebiet der Kirche führte, und ich saß in einer Wirtschaft an der großen Brücke von Cesena, als ein Mann mich ansprach, der an einem andern Tische saß, und zu mir herüberkam. Er erzählte dies und jenes und sprach von unserer Stadt, und da er von einem aus meiner Reisegesellschaft mich beim Namen nennen gehört, fragte er, ob ich jener Ser Agnolo Benintendi sei, der einst der Sampieri Notar gewesen. Nun war mir die Erinnerung daran dort nicht so unlieb, wie sie es hier gewesen wäre. Alle Papiere der Sampieri hatte ich, um sie nicht zu verraten und mich nicht zu gefährden, versiegelt den Vorstehern unserer Zunft übergeben. Und ich antwortete ihm vorsichtig, daß dem so wäre; da rückte der Mann mir näher und sprach leiser; er saß mit dem Rücken gegen das Fenster und mit dem Hut im Gesicht, so daß ich nicht eben viel von ihm sah. Er erwähnte, daß die Sampieri viel Land gekauft und viele Freunde hätten, und daß der Mann viel verlangen und erwarten könnte, der ihre Briefe in der Stadt in Empfang nähme und sicher weitergeben würde; und da ich auswich, redete er um so dringlicher; er deutete an, daß den Tyrannen in allen Städten das Ende bevorstünde, und während ich immer betroffener wurde und sagte, ich wüßte von nichts und täte gern meine Schuldigkeit gegen jedermann als Notar und Schreiber, da hörte ich plötzlich aus dem Nebenzimmer einen Ruf, und der Mann stand rasch auf, schüttelte mir die Hand und ging durch die Türe. Als er nicht wieder kam, ging auch ich nach einer Weile zur Tür und spähte in den niederen Raum, sah aber nur leere Bänke; im gleichen Augenblick hörte ich Hufschlag von der Straße und sah zwei Männer in Mänteln am Fenster vorüberreiten. Und niemand wußte, wer sie gewesen waren.
In jenem Herbst lag ein grauer Himmel beständig über der Stadt, obwohl in den Gärten die Blumen noch blühten und die Luft milde war. Alles schien friedlich und beruhigt, da die Fäden des Verderbens schon gesponnen und gezogen warm. Bürger und Kaufleute gingen ihren Geschäften nach, die Kinder spielten auf den Plätzen oder gingen in die Klosterschulen, die Mönche und Brüderschaften zogen durch die Stadt mit ihren Kerzen; auf den Märkten standen die Buden und Karren wie sonst; und die Großen logen und schmeichelten und stellten sich den Spada freundlich, die sie haßten, und die wußten es gleichfalls, und Herrn Ferrante ward es zum Ekel. Dabei wurden Feste gefeiert; denn die Menge und die Jugend vergißt schnell, und das Leben geht über jeden Tod hinweg. Schön war es zu sehen, als beim Fest der Fahnen, nachdem das Pferderennen vorbei war, Messer Guido mit Madonna Violante des Abends oben auf der Marmorterrasse am Denkmal Herrn Prosperos die Pavane führte. Mit Tränen im Auge sah Madonna Atalanta ihren einzigen Sohn; ihr Haar war jetzt völlig grau geworden, und es war seltsam, wie jung ihr Gatte neben ihr aussah, der doch älter war als sie. Sie hielt sich damals viel in Belcolle auf, immer noch mit den Entwürfen für Herrn Fabrizios Grab beschäftigt, und auch den Charidis ließ sie wieder öfters zu sich kommen. Manchmal besuchte sie den Marchese im Palazzo Carossa, und er freute sich, wenn sie kam. Oft, wenn man vorüberging, konnte man den alten Mann im offenen Saal des Erdgeschosses in seinem Pelz sitzen sehen, Kriegskarten und Stift und Zirkel vor sich, da er alten Schlachten und Feldzügen im Geiste nachging; oft begehrte er, den Talbon zu sehen, und mit schwerer halbgelähmter Zunge und schiefem Munde fragte er, wieviel Reiter und Fußvolk und was er an Geschütz habe, oder fragte mit finsterem Lachen, ob die Altieri die Stadt mit Glauben und Liebe zu halten gedächten.
Aber unsere Stadt schien im Frieden, während in ganz Italien Kriegswetter waren. Ich erinnere mich, daß ich mit meinem Weibe bei Tische saß und wir jenes Himmelfahrtstages gedachten, an dem die Spada Frieden gestiftet hatte, als ich von der Straße Lärm hörte, und da ich ans Fenster ging, sah ich unten auf der Straße Menschen zusammenlaufen und rufen: »Krieg! Krieg!« Nun wißt Ihr, daß neben meinem Hause der Palazzo Sampieri, der, als die Spada die Stadt einnahmen, geplündert worden war, jetzt für die Staatskanzlei diente; dort drängten die Leute hin, und ich sah Boten und Bewaffnete aus- und eingehen. Aber es zeigte sich, daß man wohl fremde Kriegsvölker an der Grenze gesehen hatte, die zum Heer des französischen Königs gehörten, das vorüberzog, und daß es zu Streitigkeiten gekommen war, weil sie Dörfer auf unserm Gebiet geplündert hatten. Und es wurden zwei Kommissare hingeschickt, danach zu sehen. Aber es blieb eine Unruhe in den Leuten, Gerüchte liefen, und die Menschen hörten auf Befürchtungen und auf ängstliche Reden, die sie sonst verlacht oder nicht beachtet hätten. Immer neue Truppen zogen an unseren Grenzen vorbei; die Signoren schickten eine Gesandtschaft zum König, und da ich Bekannte unter den Schreibern der Staatskanzlei hatte, vernahm ich, daß bei den Verhandlungen, die erst glatt gelaufen waren, Schwierigkeiten sich ergeben hätten, und daß Forderungen gestillt wurden, die Herr Ferrante und die Signoria nicht annehmen wollten. Und obwohl nur wenige darum wissen konnten, wuchs die Unruhe in der Stadt beständig.
Ich erinnere mich des Tags, an dem ich früh die Glocken hörte und der Rat versammelt wurde. Boten waren des Morgens durchs Lombardentor eingeritten und Ludovico Piacci, der eine der Kommissare. Das Volk drängte sich vor dem Stadthause. Regen begann zu fallen, aber die meisten wichen nicht. Ich kam hindurch; denn ich war als Notar zum Schreiber der Signoria berufen worden und hatte an diesem Tage Dienst. Und wir erfuhren von Herrn Ferrante, daß man die Kommissare getäuscht und hingehalten und daß der französische Prinz, der das Heer führte, erklärt hätte, daß er als Friedensstifter in die Stadt kommen werde, als Vertreter seines Herrn Vaters: die Sampieri, die Alani und die andern Verbannten hätten ihn dazu aufgefordert und ihm die Entscheidung überlassen, und auch der Herr Papst wollte es gleichfalls. Da sehet, wie die Welt ist: die, die immer von Recht und Freiheit sprachen und gegen die Tyrannei der Spada, die hatten die Freiheit der Stadt an den fremden König verkauft um ihrer Rache willen!
Ich meine, daß Herr Ferrante dem Rat und der Stadt die Gefahr verhehlt hätte, wenn das noch möglich gewesen wäre. Aber alle hatten Nachrichten von draußen, und wenn das Heer des Königs groß war, in den Erzählungen der Flüchtlinge wurde es zu einem Meer von Kriegern, das alle Straßen erfüllte und über Berge und Täler wogte. Im Rat war Herr Oddo Greschi aufgestanden und hatte gefragt, wie man die Stadt gegen solche Übermacht halten sollte und ob Bundesgenossen zum Entsatz erwartet würden? Da lächelte Herr Ferrante, der wußte, daß er verloren war. Er glaube nicht, daß man die Bundesgenossen zur Zeit erwarten könnte, sagte er, da alle dem König verbündet seien oder ihn fürchteten. Und der Regen schlug an die Fenster, und die Männer saßen in dem dunkeln Saal und sahen einander an. Und Herr Oddo Greschi fragte wieder, ob Herr Ferrante bedenke, daß er die Stadt mit Frauen und Kindern dem Feuer und Schwert der Söldner preisgäbe, wenn er Widerstand versuchte. Wenn der König als Friedensstifter käme, so könnte alles in Güte geschlichtet und der alte Hader zwischen den feindlichen Geschlechtern, die ewige Zwietracht beendigt werden: wer das vermöchte, sei kein Feind, sondern ein Glücksbringer. Da lächelte Herr Ferrante abermals.
Gegen den Widerspruch Herrn Oddo Greschis und einiger anderer wurde beschlossen, daß alle waffenfähigen Männer sich zur Verteidigung der Stadt rüsten sollten. Aber auch die Anhänger der Spada, die es beschlossen und die die Mehrheit waren, hatten keinen Mut. Die andern aber gingen hinaus, den Leuten Angst zu machen und sie aufzuwiegeln, und obwohl das Volk die Spada liebte, war doch die Furcht mächtiger. Noch während die Signoren im Stadthaus berieten, versammelten sich die Zunftvorsteher und andre, die niemand berufen hatte. Nur Madonna Atalanta glaubte, das Volk würde bis zuletzt zu ihnen stehen. Und schon war ein Rufen von den Fenstern und ein Schreien auf den Plätzen, und man sah die Leute mit Karren, die aus der Stadt flüchten wollten und nicht konnten, da sie die Tore bewacht und geschlossen fanden, während andere flüchtend von draußen kamen und in die Stadt drängten. Reiter und Bewaffnete zogen zu zweien und dreien durch die Straßen, die die Leute in Scheu hielten, aber ihrer wurden bald wenige, weil sie jeden Mann brauchten. Der Regen hatte für eine Weile aufgehört, und alles drängte auf die Straße.
Inzwischen hatten sich Messer Ferrante und Herr Guido mit dem Talbon zum Marchese begeben, um die Maßnahmen mit ihm zu besprechen, und hatten auch den Kommissar Herrn Lodovico Piacci mitgenommen, der im Lager der Feinde gewesen war. Das Volk grüßte, da sie vorüberkamen, und auf dem großen Platz schloß sich ihnen Ronello della Badia an, der Vorsteher der Lederhändler, der in der Versammlung das Wort geführt, und sie wiesen ihn nicht zurück, da es von ihm abhing, ob die Zünfte sich bewaffnen würden. Er war ein hagerer Mann mit großen Augen und einem schütteren Bart; als sie in den Palazzo Carossa kamen, schwieg er anfangs, wie sie glaubten, aus Scheu, aber er überlegte nur, was er vorbringen könnte. Der Marchese warf Herrn Ferrante vor, daß er nicht früher auf ihn gehört. Als sie dann berieten, wie und wie lange sie die Stadt halten könnten, und der Marchese grimmig sagte, lieber sollten sie sie an den vier Ecken anzünden, als den andern übergeben, da fuhr Meister Ronello jäh dazwischen und sagte: »Das Volk wolle sich nicht länger für die Großen scheren und schlachten lassen, das sei vorbei, eine Deputation der Zünfte werde mit dem Könige verhandeln ..., er, der Marchese, habe sein Lebenlang Blut getrunken, nun sei es dessen genug ...!« Sprachlos vor Zorn sah der Marchese ihn an; er öffnete den Mund und brachte kein Wort hervor, wie sehr er sich bemühte, und da der andere heftig weiterredete und die Hände vor seinem Gesicht bewegte, da griff der Marchese nach seiner Krücke, die neben ihm am Stuhl lehnte und schlug ihm damit über die Hände, daß er aufschrie, und er hätte sie ihm übers Gesicht geschlagen, wenn er nicht selbst zurückgefallen wäre; er konnte nicht mehr sprechen und lebte nur noch wenige Tage. Sie konnten sich um den Sterbenden nicht kümmern, der es auch nicht begehrte; denn wieder läuteten die Sturmglocken und tönte Geschrei, und sie eilten hinaus.
Der Ronello war bereits auf dem großen Platz und sprach zum Volk und schrie, daß die Spada die Stadt verbrennen wollten, er habe es mit eigenen Ohren gehört ... und da der Talbon mit Reitern vorüberkam und ihn greifen und hängen lassen wollte, da stellte das Volk sich vor ihn, und er entkam in das Kloster der Dominikaner.
In der Stadt aber wuchs der Aufruhr. Ich weiß nicht, was die Spada dachten; vielleicht konnten sie nicht mehr fliehen, vielleicht wollten sie nicht. Sie wußten, daß sie Feinde drinnen und draußen hatten, und daß sie in der Stadt ein Blutbad hätten anrichten müssen, um sicher zu sein. Und wenn der Talbon es getan hätte, Herr Ferrante wollte nicht. Sie stellten aus dem Fußvolk fünf Haufen, einen an jedem Tore der Stadt, während der Talbon mit dreihundert Reitern einen Ausfall machte; er hatte eine Schar zwischen Belcolle, das sich noch hielt, und der Stadt beobachtet, und dachte sie zu überfallen und abzuschneiden; es waren ihrer indessen mehr, als er gedacht, und er geriet selbst in Bedrängnis, und als die Söldner die Überzahl und die Höhen besetzt sahen, da weigerten sie den Kampf, und da er sie im Zorn bedrohte, erschlugen sie ihn und gingen zum Feind über. Ein blutender Reiter am Tor brachte Herrn Ferrante die Nachricht, daß er seinen besten Mann verloren hatte und die Söldner abgefallen waren. Von diesem Augenblick taten seine Gegner, was sie wollten.
Manche Nacht der Angst und Unruhe hab ich in unserer Stadt erlebt, aber keine wie diese. Bewaffnete zogen durch die Straßen und dann wieder ein Zug in Mänteln und Kapuzen, seltsam singend, war es Hoffnung, war es Buße. Kirchen waren erleuchtet, und viele lagen darin auf den Steinen und beteten, während andre vor den nahen Schrecken sich der Lust hingaben. So geschah es im Haus der Camerlenghi; durch die erleuchteten Fenster hörte man ihre trunkenen Gesänge, bis rasendes Volk, von einem Barfüßermönch geführt, hinaufdrang und Krüge und Gläser zerschlug und die Weiber aus dem Fenster werfen wollte, während die andern sich mit Dolchen und Stühlen wehrten und Tote und Verwundete auf den Fliesen lagen. Aber auch Verbrecher drangen in dieser Nacht in die Häuser, die stehlen und plündern wollten, und so fand man am andern Morgen in seinem Hause am neuen Markt unter seinen Instrumenten und Sternbildern den Charidis mit eingeschlagenem Schädel liegen, weil sie Gold bei ihm zu finden erwartet hatten.
Ich weiß nicht, ob Herr Ferrante viel Schlaf fand in dieser Nacht, aber das hab' ich vom Conza gehört, daß Madonna Atalanta den ganzen Tag im Palazzo Spada ihre Anordnungen so ruhig getroffen hatte, als ob es eine Zeit wie sonst gewesen, so daß er sie einmal in einem Buche lesend fand, als er ins Zimmer trat, und er es selbst nicht glaubte. Als es Nacht wurde, wollte sie das Kind Herrn Fabrizios nach dem Kloster der Töchter Mariens bringen, aber sie erinnerte sich, daß Madonna Beatrice dort war, und so brachte sie es zu den Dominikanern und übergab es dem Prior. Und wie man mir erzählte, sah sie dort den Ronello noch schlotternd vor Angst, und sie suchte ihn mit ihrer schönen Stimme und ihren starken Worten zu beruhigen, da sie ja nicht wußte, was er fürchtete. Sie war aber noch nicht lange fort, als der Ronello von Leuten seiner Zunft geholt und nach der Kirche von San Luca geführt wurde; dort fand er die meisten der Zunftvorsteher und viele vom Adel versammelt; und ein fremder französischer Ritter war da, der heimlich von draußen in die Stadt gekommen war, und mit dem Herr Oddo Greschi und die andern verhandelten. Und sie sagten nachher, daß alles, was sie abmachten, geschehen war, um die Stadt zu retten vor den Gräueln der Plünderung und vor der Tollheit der Spada.
Es war ein Malcorsi, der einen der fünf Haufen führte und der den Greschi verwandt war, der den Feinden am andern Morgen, als bereits an den Mauern gekämpft wurde, das Tor am Wasser öffnete. Als die andern den Feind in der Stadt und sich von rückwärts angegriffen sahen, als das Lombardentor gleich, falls gebrochen und erobert war, zogen sie sich zurück und kämpften noch um den Turm der Neroni und um die obere Stadt.
So lange der Kriegslärm und das Geschrei dauerte und ich die Hörner und das Krachen fallenden Gesteins hörte und Flammen und Rauch aufsteigen sah, hielt ich mich im Hause. Des Nachmittags ward es ruhiger. Sie hatten die Straßen, die nach oben zum Palazzo Spada führten, verrammelt und sich gewehrt, bis Herr Ferrante von einem Pfeil getroffen und auch Herr Guido verwundet und gefangen war.
Ich sah Herrn Ferrante vor dem Dom liegen, groß und herrlich, das blasse Antlitz zurückgeneigt; Weisheit und Frieden stand darin; selbst seine Feinde haßten ihn nicht.
Bis zum letzten Augenblick hatte Madonna Atalanta den Kämpfenden Wein und Brot geschickt, die Verwundeten pflegen lassen. Es waren aber die Verteidiger an verschiedenen Stellen umgangen und abgedrängt, so daß sie von nichts wußte, als die fremden Krieger schon in den Palast drangen. Ein junger Diener des Hauses lehnte an einem Tisch in der Halle und hielt die Hand an die Stirn, von der das Blut strömte, und ein Kriegsknecht kam auf ihn zu, um ihn abzutun. Da trat sie dazwischen und streckte die bloße Hand gegen ihn. »Du, töte ihn nicht!« gebot sie, und der Mann wich zurück und ließ das Schwert sinken und sah betroffen auf die Frau, die vor ihm stand. Indessen waren schon viel« in der Halle, und »Es ist die Spada!« sagte einer.
Und sie standen und schwiegen.
»Wo ist Messer Ferrante Altieri?« fragte sie.
»Er ist tot, Madonna!« erwidert« einer.
Sie stieß einen leisen Wehruf aus. »Und Herr Guido Altieri, mein Sohn?«
»Er ist gefangen.«
»So bringt mich zu ihm!«
Und sie geleiteten sie fast ehrfürchtig durch die verwüsteten Straßen, und da sie weiter hinunterkamen, wo das Volk schon wieder auf der Straße drängte, da knieten viele nieder und segneten sie. Ihr Unglück war, daß sie zu Herrn Guido hatte geführt werden wollen, der des Sampieri Gefangener war.
Am Tage darauf trat ein Gericht zusammen, in dem nur Feinde der Spada saßen; Herr Orlando Sampieri stand an der Spitze. Und während in der Stadt Häuser im Schutt lagen und andere noch brannten, viele Bürger beraubt oder gefangen abgeführt wurden, und französische und päpstliche Reiter durch die Straßen zogen, sah man in vielen Palästen Feste feiern und Männer sich freuen wie die Teufel. Niemand aus dem Blute der Spada sollte am Leben bleiben.
Am fünften Abend darnach ritt der Ferella, der französisch« Dienste genommen hatte, mit einer Schar in die Stadt ein und das war es, was er mir flüsternd erzählt hatte, als wir im Mondschein am Flusse saßen. Durch zertrümmerte Tore war er eingeritten, in den Straßen, und auf dem großen Platze sah er Menschen wogen, von denen viele zitterten und weinten, und alle waren in großer Erregung; vor ihnen standen Geharnischte mit starrenden Spießen. Am Himmel waren Wolken, in denen ein roter Schein war, der vom Hügel über der Stadt widerleuchtete.
Auf dem Platze sah er ein Schaffet errichtet, auf dem Balkon und in den Fenstern des Signorenpalastes sah er die verzerrten, haßerfüllten Gesichter all derer, die die Feinde des großen Hauses waren, dem er gedient hatte. Er hörte Trompetenstöße, er sah das Beil blitzen, ein wilder Schrei kam aus der Menge, und dann war es vorüber: die Häupter, die er so sehr geliebt und geehrt und dann so sehr gehaßt, ein graues und ein dunkles waren gefallen; und da er den Blick emporhob, sah er den roten Schein wieder, der jetzt den Himmel überzog, daß der ganze Platz mit den Menschen und Häusern wie in nächtlicher Glut lag, und sah, daß sie vom Brande des Palazzo Spada kam, der wie eine ungeheure Fackel über der Stadt in Flammen stand.
So wurde die Freiheit der Stadt und das Herrlichste, was sie hervorgebracht, in Blut und Feuer zerstört, und wir, wir wandeln in der Asche der Erinnerung an die Größe, die vorüber ist.
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