Heinrich Federer
Jugenderinnerungen
Heinrich Federer

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Erste Klänge

Wir hatten kein Klavier und ich hörte es bis zu meinem vierzehnten Jahr fast nie den herrlichen Mund auftun, obwohl in der Stube nebenan der Schullehrer einen alten Wiener Flügel besass, aber selten und von jeder Gnade Apolls verlassen darauf herumquietschte. Mein Vater aber, der gerne und mit Macht über die schwarzweissen Tasten phantasierte, verlor sich zu früh aus meinem Leben, als dass ich von seinem Spiel einen klaren Eindruck behalten hätte. Ich weiss nur noch, wie er mir, der ich unwillkürlich am Stuhle abkniete, zwischenhinein zurief: »Das ist das Meer!« und dann sah und vernahm ich die graue endlose Flut, oder: »Gib acht, der Föhn!« – nun schüttelten sich die Wälder, sauste es von den Bergen herunter, krachte das Dorf und flogen Ziegel, Hölzer und beinahe der Mensch durch die Luft. Oder es lächelten die Engel und liessen sich nicht stören, wenn auch der Teufel aus dem Bass hinaufbrummte. Mit den rosigen Zehen stiessen sie den Unhold von sich.

Daneben blies Paul gern die Trompete, und noch lieber die Flöte. Aber mir blieb die Sehnsucht nach dem Klavier im Kopfe, und ich konnte halbe Stunden lang am Fenster mit den Fingern in eigenem Takt und Rhythmus spielen, bald feine, höfliche, kleine Notenketten, bald ganze Massen herumwerfend, und ich sah und hörte meine Erfindung deutlich und war beglückt dabei, als sässe ich wirklich an einem Klavier.

Als häufigstes Instrument jedoch summte ins damalige Morgenrot meines Lebens die Mundorgel, dieses artige Königlein der Dorfmusik, das in einer Westentasche Platz hat, aber ganze Säle zum Drehen und Walzen zwingt. Wer es zu spielen versteht, indem er es an den leise geöffneten Lippen hin und her rutscht, der vermag ein ganzes Orchester zu geben. Meist sind es Tänze, und zwar in der Melodie vorweg erfunden, die er herausströmen lässt, bis sich die Paare die Hand reichen, festlich herumwirbeln und der Tänzer mit einem Aufschrei oder Siefelgetrampel seine Ekstase ausdrückt. Oft in das Keuchen und Ächzen meines Krankenbetts drang dieses Sim-Sim und Sum-Sum des viellöchrigen Mundholzes von der Lehrerwohnung herüber, denn die Schwester des Schulmeisters war eine vortreffliche Mundorglerin. Weiss Gott, in welche Zauber und Abenteuer mich dann jene Klänge trugen.

Ohne es zu merken, umspann mich die geheimnisvolle Musik wie eine Spinne mit ihren leisen, weichen, goldenen Fäden und regierte mich damals schon. Und doch wusste ich noch nichts von ihr als den Kirchenpsalm und den Schottisch oder Walzer der Stube.

Eines Nachmittags nach Vesper sass ich in sehr schwerem Asthma am Fenster. Ich musste jede Bewegung meiden, um nicht in einen Erstickungskrampf zu geraten. Die Sonne war blass, die grüne Matte mit den Bäumen schläfrigstill, als plötzlich die nahe Landstrasse lebendig wurde.

Damals war die Landstrasse wirklich noch die Landstrasse, gehörte dem Land, den Landleuten, und nicht wie heute einem ihrer Natur widrigen Fremdkörper, dem Auto. Die gelbe Post herrschte und die gemächlichen Zweispänner und das Lastfuhrwerk und vor allem der Fussgänger. Die Strasse war wie ein offenes Buch voll lärmenden Geschichtlein und wieder voll süsser Stille. Man verschlang sie nicht auf einmal, man genoss sie in kleinen gemütlichen Schnitten.

Da meckerten Ziegen- und Schafherden über sie hin, da trampelte ein gewaltiger Stier daher, und wir kletterten über die Häge. Da spielten Kinder auf ihrer weissen Bahn, da ward gekegelt und Ball gespielt, da wanderten die Handwerksburschen rasch, langsamer die Pilgerzüge vorbei. Äpfel und Nüsse fielen aus der Obstwiese in ihren Staub, oft nach einer windwütigen Nacht war sie voll von braunem Herbstlaub. Sie konnte flink sein, gewiss, wenn der Theodor auf Vaters Ross ohne Zaum und Sattel über sie hinflog; aber meist war sie langsam wie das Dorf, das Leben, das Sterben, die Ewigkeit.

Wie oft hinkten Drehorgelmannen mit hölzernem Bein über sie oder ein Blinder mit dem Hündlein an der Leine. Aber im Winter schritt der gewaltige Samichlaus und hüpfte das verstohlene Christkind über ihren Schnee. Manchmal trabte ein Tross von Fremdlingen daher, buntgekleidet, ein Kamel in der Mitte, ein Tanzbär dabei, und ein paar tolle, witzige Affen, oder es knatterte ein Zeltwagen mit weissem Dach vorbei, dunkle Zigeunergesichter guckten hervor, Scherenschleifer sprangen herum, eine wildfremde Sprache erscholl, halbnackte Weiber, mächtige Ohrenringe, Pfannengeflick, gestohlene Kinder ...

Aber an jenem Abend, wo ich so erbärmlich nach Luft schnappte, geschah etwas anderes. Auf einmal schrie eine wilde helle Musik auf. Mit wunderbarem Rhythmus und feurigem Fluss ritt sie sozusagen auf mich los und packte mich und riss mich mit.

es war ein Trüppchen Zigeuner. Einer fiedelte, einer schlug den Dreiangel, einer zupfte am Hackbrett, zwei dudelten auf braunen Pfeifen und der älteste, von weissem Haar umwallt, spielte den sagenhaften, uralten Dudelsack. Ihn hörte ich vor allem. Es war wie Orient, wie Märchenland. Ich fühlte, wie vor Entzücken in mir etwas sich löste, wie Knoten aufsprangen und Luft eindrang.

Scharf und grell hörte sich das Spiel an, von einer übermütigen, unwiderstehlichen Wildheit, aber wunderschön, zitronengelb, wie mich dünkte, sei es gefärbt, genau wie die Sonne, die jetzt unter leichten Bergwolken wieder schräg hervorbrach. Zwar der Dudelsack breitete eine merkwürdige Schwermut wie schwarze Teppiche aus. Aber die Bläser und der scharfe Fiedler achteten das nicht, sondern schimmerten empor, zückten und loderten und verspritzten wie feurige Raketen. Eine unwiderstehliche Lebenslust fuhr mir beim Zuhorchen durch den Leib, meine Muskeln zuckten, der Atem ward leicht, ich konnte auf die Strasse hinunterspringen und dem braunen Trüpplein von Haus zu Haus nachlaufen, während ich noch vor fünf Minuten bei der geringsten Bewegung einen Erstickungsanfall erlitten hätte. Noch bis in den Schlaf ging mir das eintönige Klagen des Dudelsacks nach, und vielleicht von daher höre ich noch heute im Konzert oft nur die sonore Begleitung der Bassisten, dieses gleichmässige monotone Auf und Ab der Noten, sozusagen den Dudelsack. Aber eine Welt von Kummer und Geheimnis liegt für mich in dieser dunkeln, tiefen Gleichförmigkeit zweier Töne. Ich sitze am Klavier und tupfe das gestrichene G und D im Bass auf und ab und verliere mich in ein Meer von Ahnungen und Schauern, wofür es weder Wort noch Bild gibt.

Auch heute noch, wenn ich sonst keinen Schritt aus der Stube wage, mumme ich mich oft um halb acht ein, fahre zu einem Klavierabend oder zu einer Kammermusik in die Tonhalle und krieche oft mehr als ich gehe die Treppen hinauf zu meinem Platz. Aber sobald Mozart so wehmutsvoll lächelt, Beethoven ringt und scherzt und Schubert träumt, atme ich leichter, fühle mich freier und trete gesünder in die Stube als ich hinausschritt. –

– Ein andermal, im Spätwinter, stand ich vor dem Gasthaus zum Löwen. Es war düster und kalt. Aber ich fühlte es nicht. Denn drinnen erscholl Tanzmusik und man sah die Paare im Takt an den schwitzenden Fenstern vorbeiwalzen. Dieser quecksilberne Schwung, dieser Takt, dieser Rhythmus griffen mir ins Knie. Es prickelte mir wie junger Most durch Arme und Beine. Ich stampfte wie besessen.

Drinnen horte man Gläserklirren, Schreie und Schuhgestampf; Tabakrauch, Weinduft und Bratengeruch quollen dem Haus aus allen Poren. Es stand breit und fest da und schien mir doch wie in einem Rausch zu zappeln. Wohl, da war Leben, was sag’ ich, da war mehr, da war, was ich nicht hatte, Übermut und Überfluss des Lebens. Man durfte geuden. Ich aber musste knausern. Mir war nur ein halbes oder Viertelleben zugeteilt, ein dünnes, geiziges Leben, schwach wie ein Hobelspan. Nie würde ich in solchem Tabaknebel herumwirbeln, ich, der wegen einer Zigarre schon Hustenkrämpfe bekam. Nie würde ich so mit den Absätzen poltern, nie solche verzückte Schreie des Fleisches ausstossen und ganze Kelche kalten Weines hinunterschütten, ich, dem ein Schluck Brunnenwasser Erstickungsanfälle brachte. Diese Musik durfte ich nur hören, nicht erleben. Und doch bebten meine Knie vor Gier mitzutun, und hat der Rhythmus der Tänze, vor allem der beschwingten wienerischen Walzer, zeitlebens wie Schnaps auf mich gewirkt.

Aber auch diesmal hörte ich wieder zur Klarinette und Geige, die vorsangen, überaus nachdrücklich die eintönigen dumpfen Stösse der Basstrompete, und mit ihren ewigen Terzen und Quinten schien sie mir mehr zu sagen und Ahnungsvolleres zu verraten als die Keckheiten der Melodieinstumente. Horch und bange! hoch und bange! glaubte ich zu erraten. Was soll ich hören? Vor was bangen? Wie dunkel ist die Zukunft! Was weiss ich von mir und meinem Schicksal! ... Ich floh durch den Abendnebel der Strasse davon; aber noch weit durch die Dämmerung, als die grellen Oberstimmen längst erloschen, plumpsten mir die zwei tiefen Noten des Basses im Ohr, was sag’ ich, in der Seele nach: Horch und bange!

Manchmal nahm mich der Vater, wenn er daheim war, am Sonntag mit in die Kirche. Das wurde mir zum heiligen Abenteuer.

Wir schlüpften zwischen Turm und Kirche ins Pförtchen und kamen so mit drei Schritten mitten in die volle, glänzende Gewalt des Gotteshauses, in das Chor zwischen Hochaltar und Bruderklausenaltar, unter die ewige Lampe, an den geschnitzten Chorstühlen vorbei und sahen in dunkelnder Tiefe das Schiff wie einen Wald von schwarzen Marmorsäulen, mit dichtbevölkerten Bänken, schwindlig hohen Gewölben, den Galerien rechts und links und der Orgelempore zuhinterst, hoch über dem Portal und den Ratsherrenstühlen. Dort aus der Höhe schimmerten die Orgelpfeifen in silberner, wahrhaft himmlischer Ordnung und dort sah man Musikanten neben dem Riesen von einem Organisten stehen und ihre Geigen, Flöten und Trompeten bereit machen. Dort hinauf wollten auch wir. Denn mein Vater dirigierte oft das Orchester und blies dabei bald Flöte, bald Waldhorn. Sonntag für Sonntag gab es in Sachseln Orchestermessen.

Um aber in jene jubelnden Höhen zu gelangen, musste man in die Sakristei treten. Drinnen ging es durch eine schmale Türe auf kunstvoll gewundener Steintreppe zur Empore hinauf. Es waren nur zwei Schritte in der Sakristei zu tun, aber das genügte, um mit einem staunenden Blicke den hohen Raum, die Geistlichkeit in weissen Chorhemden, die Prachtgewänder fürs Hochamt, die goldenen Kelche, schwelenden Rauchfässlein und die rotberockten Altardiener mit Kerzen und Zimbeln zu bemerken. Oft stand der Pfarrer schon im ungeheuren Rauchmantel zur Prozession bereit, die Monstranz in der Hand und Weihrauch und Wachsgeruch dampfte zur hohen Diele empor. Mir klopfte das Herz bei solchem Anblick. Ich meinte in den Himmel zu schauen. Rührung und Beklemmung erfassten mich und etwas wie die Ahnung, das Göttliche sei mir nahe wie noch nie.

Eilig klommen wir dann die finstere Schneckenstiege empor, liefen über die geziegelte Seitengalerie zur Orgel und nun bekam ich nicht Aug’ und Ohr genug, um alles zu fassen, was da auf meine kindlichen fünf Sinne einstürmte.

Tief unter mir hundert und hundert Köpfe, die starren Fahnen, die Bilder, die Altäre, die Priester, der feierliche Gang des Messopfers mit allen seinen gelassenen Zeremonien und seiner wunderbaren musikalischen und geistlichen Korrespondenz zu uns auf die Empore hinauf und zurück zum Altar. Noch verstand ich davon nichts, als dass etwas wie ein Wunder geschehe, ein Wunder zwischen Gott und Mensch.

Hinter mir aber, fast am Ohr, donnerte die Orgel und sangen die Choristen und musizierte das Orchester. Mir war, ich sei in einem grossen Wald, wo jeder Baum anders rausche, aber alles gut zusammenpasse. Vor allem ergriff mich die Orgel, die Mutter und Herrin aller Musik. Noch heute geht es mir nah. Alle Instrumente, auch das Klavier, das ich über alles liebe, versinken vor diesem Munde, der so gewittern und so lispeln kann wie nur noch Gottes Stimme zwischen Himmel und Erde.

Unsäglich liebte ich diese versilberten Pfeifen, die dicken, grossen wie Säulen, vor deren Ruf fast die Erde zerriss und die Höhen erzitterten, und die zierlich kleinen, die sich gleichsam die Lippen reichten und in einem Wink und Atem ganze Ketten von süssesten Wörtlein heruntersprudelten, als wären wirklich kleine, sich küssende Engel in den Silberröhren versteckt und sängen und lächelten mit solch überquellender Lust. In den grossen baumdicken Pfeifen hingegen steckte wohl der Erzengel Michael oder sonst welche von den Posaunenbläsern des Jüngsten Tages oder drohte wohl gar der Weltrichter selbst. Kalt rieselte es mir oft über den Rücken, etwa bei einer Totenmesse, wo unten in der Kirche ein schwarzer Sarg, ein schwarzes Volk und schwarze Priester standen und diese Urweltstimmen hinter mir das »Dies irae« oder das »Herr, gib ihnen die ewige Ruhe« schreckhaft ernst und flehend sangen.

Da erloschen dann alle Lichter und Farben des Lebens, die Gräber öffneten sich und darüber fiel ein ungeheurer Schatten der Ewigkeit.

Weitaus am liebsten waren mir die Orgelpfeifen zwischen diesen Riesen und jenen Zwerglein, die klangvollen, farbensatten, beruhigenden Mittelstimmen, wie sie besonders nachmittags bei den Vesperpsalmen, als ginge es auf und ab über grüne Hügel und Täler, die uralten Verse begleiteten. Ach, wie selig sangen sie, nicht wie hohe Geister und Geisterchen, sondern wie klare, gesunde, himmelaufschauende Menschen, wie Menschen edelster Art und Sitte, die sich dem Göttlichen mit tapferem Schritt nähern. Nie hab’ ich Musik gehört, die mich wärmer am Herzen packte, inniger denken, mutiger hoffen, zufriedener weggehen liess als diese orgelnden Weisen des »Dixit Dominus Domino meo«, des »Laetatus sum in his, quae dicta sunt mihi«, des »Beatus vir, qui timet dominum« oder des »Nisi dominus aedificaverit domum«... Mir war dann, eine goldgelbe Sonne falle über ein Land voll saftiger Wiesen und blauer Bäche, voll stiller Strassen und in Gott versunkener Wanderer, wohl auch ab und zu über ein graues Sorgenhaupt und eine dumpfe Stube, aber nur um sie zur Fröhlichkeit zu wecken. Ja, unsere Hirten und Herden hörte ich, unsere Landsgemeinden und Spiele und Glockengeläute, noch mehr, ich sah jenes Land, dem Christus seine Sohlen eingeprägt, ich sah Davids Harfen und Jerusalems Tempel, die Zedern des Libanon unter leuchtendem Gipfelschnee und die hellen Wasser des Jordans, Obwalden und Palästina verwoben und verwuchsen sich und lachten und beteten aus dem gleichen Psalm. O wie schön, wie unvergesslich schön war das! Sogar die braune Unterwaldnerkuh schritt fromm und geduldig neben dem grauen Kamel von Syrien daher.

In den Pausen ging ich etwa zwischen den Orgelkästen das Gänglein zum Fassadenfenster hinaus. Da sah man das Dorf wie ein geöffnetes Buch vor sich, rechts und links eine stille Häuserreihe zur Landstrasse hinunter, den Bach zwischendrin und grüne Wiesenufer. Kein Mensch war zu sehen. Alles träumte in Nachmittagssanftmut. Wer nicht in der Kirche war, wollte sich wenigstens nicht mitten durch diesen Dorffrieden bewegen. Der Bach schwatzte leiser herauf, der See und drüben die Schwändiberge schienen zu horchen, die staubige Kantonsstrasse lag weiss und lautlos da und duldete nichts Lärmendes, das die andächtige Stunde stören würde. Nur ein paar Spatzen trippelten zum Gitter herauf mit der bekannten uralten Spatzen-Unverfrorenheit. Aber da hob die Orgel das Magnificat an, dieses strahlende Lied der Lieder, und da huschten die Vögel davon. Das war mehr als Spatzenfreude. Da jubelten die Himmel den Himmeln ihre Seele aus.

Bei weitem nicht gefüllt war dann die grosse Kirche, nicht wuchtig wie am Vormittag die Feier; keine Priester gingen die Altäre auf und ab. Fast nur Jugend und hohes Alter kniete in den Bänken und die Geistlichen in den steifen Chorröcken standen mitten drin. Eine heilige Sorglosigkeit tauchte ihre psallierenden Gestalten, die leise wehenden Kirchenfahnen, die steinernen Heiligenfiguren, das ganze gelichtete Volk durch alle dunkle Bestuhlung in eine Art von goldenem Nebel. Selbst der schwarze Marmor lachte in einem wahren Funkenregen von Vespersonne. Die Kirche schien von den Psalmen heller und weiter zu werden, sich sozusagen zum Vorhof des Himmels zu dehnen. Noch ein paar Schritte, noch eine Türe, und man wäre im Himmel selbst.

O wie neigte ich mich träumend und innerlichst beglückt tief über das Geländer hinunter, als könnte ich so viel Musik und Kirchenjubel gar nicht mehr ertragen, bis mich der Vater von hinten stupfte und schliesslich zurückriss. Er konnte das nicht ansehen. Ihn schwindelte beim Blick in die Tiefe. Auch ich war nicht ganz schwindelfrei. Aber hier, wo sich alle Himmel auftaten, verlor ich den Sinn für die kleinen Tiefen und Höhen der erde.

Da fing meine Ehrfurcht für das Kirchliche an. Es war mir eine mit dem Ewigen. Ein unermesslicher Respekt vor dem Geistlichen erfüllte mich. Ich bewunderte und liebte sie, den bäuerlichen Pfarrer mit den dicken Brauen, der schnarrenden Stimme und dem Glasperlenkragen; den bleichen, langgelockten, schmächtigen Pfarrhelfer mit dem gescheiten Blick, der jugendlichen Begeisterung und dem ungeheuer falschen und doch so sympathischen Gesang; den Frühmesser, gross und schwer wie ein Baum, mit seinem Orgelspiel und seiner feierlichen Stimme, wenn er den Psalm anhob; den alten Kaplan endlich, noch mit Kniehosen und Schnallenschuhen, einem wohligen Schnupftabakgeruch und dem schönsten Lächeln auf seinem herbstlich reifen, gütigen, von goldenen Tönen besonnten Gesicht. Oh, wenn ich Atem genug behielte, wollte ich auch einst einer von ihnen werden, nicht Pfarrer, das ginge zu hoch, aber doch Pfarrhelfer oder Kaplan. Wie sie wollte ich zwischen Himmel und erde stehen, eine holende Hand oben im ewigen Licht, eine schenkende Hand durchs weite irdische Dunkel hinunter. Wenn nur mein Schnauf dazu reichte! Und wenn nur mein Kaplanhäuschen so nahe an der Kirche steht, dass man in Pantoffeln hin und her gehen kann!


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