Heinrich Federer
Jugenderinnerungen
Heinrich Federer

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Gelb

Brennt das Lilaröcklein als erste, so flattert eine gelbe Fahne als zweite, noch tiefere Erinnerung aus dem Vorfrühling meines Lebens wie ein Zitronenfalter in meine alten Tage hinein.

Ich stand am nämlichen Fenster, aber diesmal auf dem Rohrsessel, und sah, an die Plaumenwange der Mutter gelehnt, viel Volk über dem Bache das Dorf hinabziehen. Es mag wohl ein kantonales Schützenfest gewesen sein. Unten am Brunnen war aus Tannengezweig ein Turm erbaut, eine Art Fahnenburg, von deren Zinnen die seidenen Tücher wehten. Aber dies alles verschwimmt mir im Sinne. Sehr deutlich sehe ich nur, wie die Leute auf einmal auseinanderstieben, weil ein Trupp Schützen mit klingendem Spiel zum Turme hinuntermarschiert. An der Spitze ging einer in stolzer Uniform, warf ab und zu einen versilberten Stab hoch und fing ihn wundervoll wieder auf, alles im reinsten Takt und Rhythmus der Blechmusik. Er regte mich sonderbar auf, aber noch weit mehr sein Hintermann mit einem gelben Banner. Im Mittagslicht schwang er die Seide hin und her. Da glänzte sie in allen Süssigkeiten des Goldes, bauschte sich trotzig zusammen, zerflatterte wieder lachend und glättete sich in ihrer ganzen breiten Sonnigkeit.

Diese gelbe Fahne verhexte mich im Nu. Es war das erste Glorienstück dieser Art, das in mein kleines Leben blitzte, und ich ahnte nichts von seiner symbolischen Kraft. Dennoch sah ich nichts anderes mehr. Ein wollüstiger körperlicher Schauder, der mir den Nacken zusammenzog, ging durch den schwachen Knabenleib. Eine unbändige Begeisterung wütete in mir. Ich fragte, schrie, jauchzte vor Eifer wie ein kleines Ungeheuer und sog das Banner bis zur letzten goldenen Quaste in meine junge Seele hinein.

Seit diesem Tage wirkten Fahnen und vor altem das helle Zitronengelb auf mein Auge und auf das, wofür das Auge nur Fenster ist, mit einer unheimlich starken, beinahe verhängnisvollen Macht. In jedem Spiel wollte ich Banner haben, und später bin ich oft, etwa an der Vigil hoher Feste, in die leere Kirche geschlichen, um hinter einer der schwarzen Marmorsäulen hervor mit bequemer, satter Gier die Kirchenfahnen zu betrachten, die für die morgige Feierlichkeit bereits vorne an den Bänken aufgepflanzt waren und mit einer grossartigen Gelassenheit senkrecht von der Kreuzstange in bunten Seiden sozusagen wie vom Himmel niedergewallt kamen. Ringsum im weiten, hohen Raume war es still, düster, geheimnisvoll. Vom Chore blitzte im Schwanken des ewigen Lichtes das Silber und Gold der Altäre auf. Eine Luft voll frommer, weihrauchreschwängerter Kühle lag über allem. In ihr lebten diese Fahnen, besonders die gelben, wie Wesen höherer Art, und mir wurde heiss, wenn dann am Festtag eine Standarte nach der andern zur Prozession in Reih’ und Glied aus dem Portal schwankte und im Winde dem Träger und seinem Völklein wie eine heilige Wolke vorausschwebte. Ich folgte ihr als einem Gesicht, das alles befielt und alles verheisst.

Von jenem bannerschwingenden Augenblick bis heute, wo ich über die Sechzig geschritten bin, haben mir die Farben keine Ruhe mehr gelassen. Sie regierten irgendwie mein Leben. Sie eroberten nicht bloss mein Auge, sie nahmen auch meine Seele. Das knabenselige Grün, das noble Violett, das jauchzende, blutende Rot, vor allem aber das Zitronengelb berauschten mich oft, wie der stärkste Wein es nicht konnte. Und dieser Rausch hielt an. Ganz ernüchtert davon, war ich es je? Ich habe in diesen Farben nie nur Farben gesehen. Es widersteht mir schon, sie einfach Farben zu nennen, was zu sehr nach Schein, Äusserlichkeit und blosser Bekleidung riecht. Sie gelten mir als selbständige Dinge, von eigenem, wahrhaft persönlichem Wesen und von einem ganz erlauchten herrischen Charakter. Sie redeten mich an wie die Töne der Musik, oft beinahe noch eindringlicher. Dabei fühlte ich immer, wie Schwarz und Weiss mich beruhigte, Silberglanz kühlte mich geradezu. Ja, oft fröstelte mich wahrhaft dabei. Hingegen eine gewisse Art von Purpur oder Lila oder Violett erhitzte mich heimlich und reizte die Sinne bald zu etwas Feierlichem, bald Gefährlichem. Ich ward meiner nicht mehr sicher. – Das Grün machte mich lustig, mutwillig, frech, das Rot innig, schwärmerisch, tapfer, opferfroh, toll. Aber beim Samtbraun jenes Falters, den man so würdig Trauermantel nennt, konnte ich in eine tiefe, selige Melancholie verfallen. – Die Empfindungen indessen beim Geld kann ich noch heute nicht entziffern. Das Sonnigste und Grausamste, das Hellste und Versteckteste, Lüsternheit und Erhabenheit, Hingebung des Sklaven und Härte des Despoten, Götterlachen und Teufelsspott, Genie und Narrheit, die Einfalt und das Rätsel schien mir darin zu wohnen. Ich liebte und fürchtete diese Farbe wie das Feuer, den Blitz und den Spuk der schwefligen Majestät, die durch die alten Dorflegenden geistert.

Zuerst waren diese seltsamen Empfindungen, die ich um kein Geld verkauft hätte, durchaus dunkler, unergründeter Art. Ich hatte das Geld erlebt, ehe ich meinen Vater recht kannte. Nach und nach klärte sich manches. Zum Ereignis ward mir jener Nachmittag, da der Vater vor meinen Augen Farben mischte und zeigte, wie Geld und Blau das Grüne und Rot und Gelb das Braune ergeben, aber aus Rot und Blau die ergreifend schönen Lilafarben geboren werden und es nun mit Mischen und immer neuen Farben kein Ende nähme. Dass aber Rot und Blau und Geld aus keiner Mischung entstehen, sondern selbstherrlich dastehen, das erhöhte meinen Respekt für die Grundfarben, wenigstens für Gelb und Rot. Denn was das Blau betrifft, so konnte ich mich nie überzeugen, dass das Grün weniger eigenherrlich sein soll. Im Gegenteil, im Blau sah ich immer eine süsse Schwäche, während das Grün mir wie eine famose sichere Kraft erschien, die immer lachen und froh sein mochte. Darum ist ja auch die Erde grün, damit wir im dunkelsten Dasein immer mit Mut und Sicherheit gespeist würden. Aber über die Erde ins Unendliche hinaus herrscht jene süsse, schwächliche Bläue voll Ahnungen, Unsicherheiten, Hoffnungen, wie es sich für den Gang ins Niegesehene, nur Versprochene und Geglaubte, durchaus ziemt. Wäre auch noch der Himmel grün, dann wäre die Strasse in die Ewigkeit zu lustig und zu verdienstlos.

Im Gespräch mit dem Vater, bei all den erstaunlichen Proben, ward ich bald inne, wie Gelb auch seine Vorliebe war und wie er sich aus nackten Farben den Prunk eines ganzen Herrenlebens zusammendichten konnte. Er hatte als Kunstschüler den Makartzauber in München sozusagen im Sauserstadium durchgekostet. Das süsse Gift jenes Pinsels betörte ihn noch, als er seine Gedankenlosigkeit längst erkannt hatte. Ja, mir schwant, dass die Farben und ihr Drum und Dran, ganz vornehmlich das Gelb, seine Phantasie und sein Leben erst verzaubert, dann verdorben haben.

Feder, liebe Feder, wie du auf einmal zappelst. Von Vater und Mutter soll ich dich schreiben lassen? Gerne, o so gerne! Aber mit Mutter Verena lass mich beginnen! Sie hat den Vortritt tausendmal verdient.


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