Gustav Theodor Fechner
Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen
Gustav Theodor Fechner

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IX. Abstammung des Menschen.

Was man als Konsequenz der Deszendenzansicht notwendig hinnehmen muß, ist, daß der Mensch, anstatt von vorn herein und auf einmal im heutigen oder in einem noch vollkommeneren Zustande geschaffen zu sein, vielmehr von einfachen Anfängen an durch eine lange Reihe von Generationen hindurch höhere und immer höhere Entwicklungsstufen, die zoologisch von tierischen nicht zu unterscheiden, durchlaufen habe, bis er zur Menschenwürde gelangte, und auch auf dieser Stufe nur allmälig von sehr niederer zu höherer Bildung vorgeschritten sei. Inzwischen hat man schon anderwärts darauf hingewiesen: wenn doch nichts Anstößiges darin gefunden wird — und was hilft es, wenn es darin gefunden werden sollte, es ist so — daß der Mensch im Mutterleibe vom Zustande einer einfachen Zelle an wesentlich dieselben Stufen als die unter ihm stehenden Tiere durchläuft, um nur zuletzt über alle hinausschreitend als Mensch hervorzutreten, aber auch dann vom sinnlichsten Kindeszustande anfangend erst allmälig sich zur höheren Bildung des Erwachsenen zu erheben, warum sollte es anstößig erscheinen, wenn die Entwickelung des Menschengeschlechts im Ganzen ganz denselben Gang genommen, und derselbe Plan hier nur in langer Zeit im Großen durchgeführt worden ist, den wir noch heute bei jedem Einzelnen im Kleinen und in der Kürze durchgeführt sehen. Nun freilich möchte Niemand gern von einem Affen oder doch affenähnlichen Geschöpfe abstammen, wie Letzteres die heutige Deszendenzlehre verlangt; aber auch das wird sich nicht aus ihr wegbringen lassen, daß die Entwicklungsstufen, welche der Mensch zu durchlaufen hatte, ihn vor Erreichung der jetzigen Stufe den Affen aus dem Gesichtspunkte zoologischer Charaktere so gut näher stellten, als irgend einem andern Geschöpfe, wie das noch heute nach der Erreichung der Fall ist; denn das läßt sich auch nicht wegbringen; nur sieht man wieder nicht ein, warum man vor der vorher bestandenen Ähnlichkeiten erschrecken sollte, wenn man sich mit der jetzt bestehenden, die nur die Fortsetzung von jener ist, abzufinden weiß, jedenfalls abzufinden suchen muß; und ich meine, daß man sich mit jener in entsprechender Weise abfinden kann.

Notwendig wird durch alle Stufen, die der Mensch im Entwicklungsgange des ganzen organischen Reiches durchlaufen hat, seine Entwicklungsfähigkeit zur heutigen geistigen Höhe stillschweigend eben so durchgegangen sein, als sie noch heute durch die Entwicklungsstufen des menschlichen Embryo durchgeht, indes den Voreltern der Affen eine höhere Entwicklungsfähigkeit faktisch eben so abgegangen ist, als sie noch heute ihren Embryonen abgeht.

Hiernach aber hätten wir trotz der äußeren Ähnlichkeit mit den Affen, die wir uns noch heute gefallen lassen müssen, doch in keiner Periode eine Ebenbürtigkeit mit den Affen anzuerkennen. Möglich zwar, daß die Ahnen der Menschen und Affen erst durch eine spätere als die allererste Differenzierung des Mutterstockes aller Organismen in gesonderte Stämme auseinandergegangen sind, wie noch heute geistig begabte und blödsinnige Kinder von denselben Eltern stammen können; dann aber hat man doch die blödsinnigen oder ihnen gleich geltenden Kinder nicht als Stammeltern der geistig begabten anzusehen, wie man tut, wenn man die Affen oder mit den Affen vergleichbare Geschöpfe als Stammeltern der Menschen ansieht.

Man macht für die Stammverwandtschaft des Menschen mit den Affen geltend, daß es noch heute Volker gibt, die aller Versuche, sie auf eine höhere Kulturstufe zu heben, gespottet haben, und hierdurch wie durch ihren körperlichen Bau sich als Übergangsstufen zum Affen darstellen. Aber wenn die günstigste Kombination von Erziehungsmitteln diese Völker heute nicht höher zu heben vermag, wie will man der Natur zutrauen, daß sie es jemals vermochte, daß also die höher begabten Racen von solchen Racen oder den noch niedern Affen abstammen? Vielmehr werden die einer höheren Entwickelung unfähigen Racen so gut als die Affen sei es aus der ersten oder einer späteren Differenzierung hervorgegangene Seitenlinien der höheren Racen sein.

Also wird man überhaupt annehmen dürfen, daß es durch die ganze Entwicklung des organischen Reiches hindurch Geschöpfe gegeben hat, welche, ohne schon die heutige Entwicklung des Menschen erreicht zu haben, doch in ihrer physisch – psychischen Organisation die Fähigkeit einschlossen, sich dazu fortzuentwickeln, ohne dabei die zur höhern Fortentwicklung überhaupt unfähige Stufe des Affen oder eines dem Affen gleich zu achtenden Geschöpfes zu durchschreiten. Vielmehr wird man die Affen als im Wege der Differenzierung des organischen Reiches abgespaltete Nebenprodukte des Menschen, und die niedern Menschenracen als solche bezüglich der höheren Racen zu betrachten haben.


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