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11. Kapitel

Worin Gau beweist, daß er rauh, aber Schlieker, daß er mehr ist als ein Betrüger

 

Hätte man jeden beliebigen aus Unsadel und Umgebung, die Landstadt Kriwitz eingeschlossen, vor den geheimnisvollen Wäschediebstahl Otsche Gaus, des geschworenen Feindes von Rosemarie Thürke, gestellt – hätte man diesen Fall etwa dem Dorfschulzen Gottschalk oder der Frau Stillfritz oder Tamms oder dem Gendarmen Peter Gneis oder gar dem Herrn Amtsgerichtsrat Schulz vorgelegt: sie hätten alle, alle mit den Köpfen geschüttelt und gesprochen: Dies verstehen wir nicht. Dies ist uns ein völliges Rätsel.

Was aber kein anderer enträtselt hätte, das war Schliekers schon nach fünf Minuten sonnenklar. Der Bengel zwar, der verdammte, verstockte, hartschädlige Gaubengel, hatte trotz allen Schüttelns, trotz aller Püffe und Knüffe nichts erzählt und war sogar, nachdem der erste Schreck ausgestanden war, zu den unverschämtesten Frechheiten übergegangen, so daß man ihn bis zu dem Abschluß der Beratungen erst einmal in den Wrukenkeller stecken mußte.

Doch war seine Aussage auch überflüssig, die Eheleute Schlieker konnten sich auch ohne die ihren Vers auf alles machen – und der reimte sich ganz hübsch.

Wenn man bedachte, daß gestern am hellerlichten Tag in aller Öffentlichkeit Jagd auf die Schliekerschen Pflegekinder gemacht worden war –

Wenn man dazu rechnete, daß einmal die Marie ausgerissen und zum anderen Schlieker zwar im Dunkeln, aber darum nicht weniger öffentlich abgeführt worden war –

Wenn man sich schließlich erinnerte, daß diese selben Schliekers vor netto zweidreiviertel Jahren den Gaus das Pflegekind Thürke abgelistet hatten –

Dann war der Schluß sonnenklar, daß nun wieder Gaus meinten, ihr Thürkescher Weizen blühte neu und die Schliekers hätten verspielt.

Gaus hatten die Rosemarie rumgeschmust, vielleicht sogar angestiftet, sie hatten die Ausreißerin in ihr Haus genommen. Und weil sie so sicher meinten, Schlieker stecke im Gefängnis, so hatten sie gehofft, zu dem Mädchen die Sachen des Mädchens zu bekommen, und hatten ihren Verbrechersprößling, ihren Otsche, ausgeschickt, den Kuhmörder, den elenden!

Das war den beiden Schliekers über jeden Streit klar, und es war unaussprechlich herrlich, daß Päule so rasch das Kittchen wieder verlassen und den Jungen beim Schlips genommen hatte! Und daß der Bengel da jetzt so ganz umsonst im Wrukenkeller sein unsinniges Geschrei verführen sollte, das konnte man nun wirklich nicht erwarten.

Es gab zwei Wege: entweder ging man zu Gendarm und Gericht und machte es öffentlich mit aller Schande und Haussuchung – und das war ein Gedanke, der etwas sehr Verlockendes für die beiden Schliekers hatte. Der alte Erz- und Erbfeind Gau öffentlich geschändet!

Aber der andere Weg war vielleicht doch noch besser, weil einträglicher. Man verhandelte mit Gau direkt und vertauschte nicht nur den Jungen gegen die Giftkröte, die Marie (der man es dann schon besorgen würde!), sondern holte sich noch ein hübsches Aufgeld für die Zudeckung der Diebsschande, etwa den Preis der an Trommelsucht krepierten Kuh.

Gau war in Schliekers Hand – so viel war sicher!

Das einzige Bedenkliche an dem zweiten Weg war, daß dabei mit Wilhelm Gau persönlich verhandelt werden mußte – und was der für eine Sorte Mannsbild war, das wußte nicht nur jedes Kind in Unsadel, sondern davon sagte auch eine recht volkstümliche Redensart!

Aber wenn bei Päule Schlieker mancherlei knapp geraten war, sein Kapital an Frechheit war groß. Die Mali mochte noch soviel jammern: Er schlägt dich tot, Päule! – er lachte nur: So schlage ich ihn wieder tot!

»Nein, mach jetzt das Paket fertig, wie wir es besprochen haben, und das Rad nehme ich auch gleich mit. Denn wenn er nicht klein beigibt oder mir dumm kommt, fahre ich sofort weiter nach Kriwitz zum Gendarmen. Dann muß der her und heute abend noch Haussuchung halten, und den Dieb übergeben wir ihm auch, daß die Brüllerei aus dem Hause ist und alles fein nach dem Gesetze geht.«

»Ach, Päule!« jammerte sie. »Er ist ein Wutkopf!«

»Ach, Mali!« höhnte er. »Ich bin auch ein Wutkopf. Halte das Haus gut unter Verschluß und gib den Bengel niemandem heraus – sonst sollst du gleich einen zu sehen bekommen, Wutkopf heißt das.«

Er marschierte los, in der blauen Sonntagsjoppe mit den Hornknöpfen, die er nicht etwa für Gau, sondern für die eventuelle Stadt angezogen hatte, das Rad mit der einen Hand führend und in der andern das Paketchen.

Hätte einer behauptet, daß auch ihm das Herz ein wenig schneller ging vor dieser Zusammenkunft mit dem alten Erbfeind und Oger von Unsadel, so hätte er darüber bloß gelacht. Aber es klopfte doch schneller, freilich nicht aus Angst, sondern aus Vorfreude auf die Bosheiten, die er dem Manne versetzen würde! –

Der Bauer Wilhelm Gau saß in der Stube hinter dem Tisch. Draußen auf dem Hof fütterten sie noch und melkten. Aber bei so was stand er nicht herum, er war kein Zugucker, sondern erst wenn alles fertig war, dann ging er hin, und wehe dem, der seine Sache nicht ordentlich gemacht hatte – er sah alles!

Wehe überhaupt allem Weib, Kind, Knecht, Magd, Vieh, das nicht nach des Bauern Kopf lebte! Er war der größte Bauer weithin, dorfauf, dorfab – und er war nicht nur an Besitz ein großer Mann, er war es auch am Leibe. Einen Meter sechsundachtzig lang, zwei Zentner dreißig schwer, saß er hinter dem Holztisch in der dämmrig werdenden Stube, rührte sich nicht und tat nichts, sondern starrte nur mit seinen düsteren kleinen Augen vor sich hin.

In die Stirn stiegen ihm, von der Nasenwurzel aus, die tief eingeschnittenen, senkrechten Falten des Grübelns und der Mürrischkeit, des Lebensüberdrusses und der Menschenfeindschaft. So tief wie scharfe Schnitte saßen diese Falten in seiner Stirn – es sah aus, als hätte er von Jugendtagen auf immer nur gegrübelt und Feindschaft empfunden.

Und so war es auch. Er war groß, grob und gefürchtet, aber trotzdem hatte er nichts von dem im Leben tun können, was er gewollt hatte. Er hatte die nicht heiraten dürfen, die er mochte, sondern die Plapperziege – um des Hofes willen; er hatte nicht werden dürfen, was er wollte, nämlich Seemann – um des Hofes willen.

Wenn er heute nein sagen mußte, zu einem Viehhändler, seiner Frau, dem Gastwirt, den Kindern, so sagte er nicht »Nein«, sondern: »Der ganze Schiet lohnt mir nicht ...« Und das meinte er auch, der ganze Schiet hatte sich nicht gelohnt für ihn, sein Leben nämlich. Das vergaß er nie, keine Minute. Er arbeitete, und er arbeitete gut, aber wenn dann die Arbeit vorbei war, so saß er wie jetzt und starrte düster vor sich hin.

Bei diesem Manne Wilhelm Gau also tat sich die Tür auf, und der kleine Betrüger, der heimliche Fuchs Päule Schlieker trat ein, sein Päckchen unterm Arm.

Schlieker blinzelte noch in das halbdunkle Zimmer, ob der Bauer auch wirklich hier sitze, da grollte es schon: »Keine Sprechstunde jetzt! Raus!«

»Ich bring bloß die Wäsche«, grinste Paule Schlieker und legte dem Bauern das Päckchen auf den Tisch.

Der lauschte, bis jetzt hatte er noch nicht hochgesehen, aber an der Stimme hatte er den Besucher erkannt. »Ist gut«, sagte er gleichgültig. »Kannst gehen.«

Päule und Mali hatten sich das so schön ausgemalt, dem Gau die Wäsche, die er durch seinen Jungen hatte stehlen lassen, selbst hinzubringen. Aber der Witz war ohne Wirkung verpufft, und darum sagte Päule drohender: »So kommst du mir nicht weg, Willem. Diebstahl bleibt Diebstahl.«

»Stimmt«, brummte der massige Schatten aus dem Dunkel. »Das wäscht dir keiner ab, Päule.«

Schlieker drohte weiter, als habe er nichts gehört: »Die Leute werden schön reden, Willem, wenn es aufkommt, daß der Gau jetzt Kinder stiehlt und der Sohn deren Wäsche ...«

»Bist fehlgegangen«, sagte Gau und saß wie ein Klotz im Dunkeln. »Mußt zu Tamms gehen.«

»Und wenn wir uns jetzt nicht gütlich einigen, Willem, fahre ich zum Gendarmen und bestelle Haussuchung ...«

»Fahr zu«, sagte der Klotz.

Es ging noch schwerer, als Päule gedacht hatte, aber er ließ nicht nach: »Dann weißt du es vielleicht noch nicht, Willem, aber ich weiß es. Ich habe deinen Otsche beim Stehlen in meiner Stube ertappt, und jetzt sitzt er bei mir fest.«

»Versteht sich«, sagte der Bauer und rührte sich nicht.

»Aber wenn du mir die Marie Thürke wieder rausgibst und vielleicht dreihundert Mark für die Kuh damals, dann sollst du den Otsche zurückhaben, und ich und Mali, wir reden kein Wort von der Sache.«

»Das lügst du«, sagte der Bauer.

»So wahr ich hier stehe, Willem!« schwor Schlieker. »Wir halten den Mund, es ist doch auch unser Vorteil.«

»He!« brüllte Gau, daß Schlieker zusammen und ihm die Rede zurück in den Schlund fuhr. »He! Frau!«

Die Tür ging auf.

»Ja, Vater?« fragte die Bäuerin.

»Der Junge soll reinkommen, sofort!«

»Ja, Vater.«

Die Tür klappte wieder zu.

»Da können wir lange warten, bis der kommt«, höhnte Schlieker. »Den hab ich sicher sitzen.«

»Nimm deinen Dreck von meinem Tisch«, befahl der Bauer, »daß du gleich zusammen mit deinem Dreck aus meinem Haus fliegst! – Nimm!« schrie er, als der andere zauderte.

Der nahm das Paket in die Hand. »Du gibst groß an, Willem«, murrte er – da ging die Tür.

»Ja, Vater?« fragte Otsche und unterdrückte das Keuchen der Brust.

»Da soll doch ...«, fing Päule Schlieker an und kam nicht weiter ... Der Tisch flog mit Krachen um, der Bauer, der riesenstarke Mann, war wie ein Blitz über dem Feind. Schlieker hatte auch Kräfte, gute Mannskräfte, aber was war das hier! Wie ein Orkan von Schlägen brach es über ihn herein, Tritte gegen die Beine, Stöße vor den Leib, Hiebe ins Gesicht, er schwankte, er gurgelte, aus seiner Nase lief das Blut ... Der Bauer packte ihn ... Immer noch wollte Schlieker reden, protestieren, erklären ... Aber wie eine Puppe wurde er aus dem Zimmer in die Küche geschleppt, und mit letzter, fürchterlicher Gewalt flog er auf die Straße, daß er halb betäubt dort liegenblieb ...

Der Bauer ging in die Stube zurück.

»Stell den Tisch auf, Otsche«, befahl er. »Und mach Licht.«

Otsche tat es stumm, und der Vater setzte sich wieder auf die Holzbank. Er zog den Sohn an sich heran, daß er ihn zwischen den Knien hatte und sah ihn düster an. Der Sohn erwiderte den Blick des Vaters ohne Blinzeln.

Eine Weile waren sie still, aus der Küche kam das aufgeregte Tuscheln der Frauen: Nach einer langen Zeit seufzte der Vater tief auf, er legte dem Sohn die schweren Hände auf die Schultern und fragte: »Du warst eben nicht im Holzschuppen –?«

»Nein, Vater.«

»Wer hat dich rausgelassen?«

Der Sohn sah den Vater an.

»Nun –? He –? Wer hat dich rausgelassen –? Wird es?!«

Wieder nur der Blick als Antwort.

Die Augen des Bauern wurden noch finsterer, er faßte die Oberarme des Jungen und preßte sie mit solcher Gewalt, daß dem Jungen ein Schrei entfuhr.

»Nun! Wer hat dich rausgelassen –?« fragte der Vater erbarmungslos.

Otsche sah sehr bleich aus, aber er sagte kein Wort.

»Ich drücke dir die Arme entzwei«, sagte der Bauer drohend.

Der Junge senkte schnell die Lider, seine weiß gewordenen Lippen zitterten, aber er sprach kein Wort.

Der Bauer überlegte, er lockerte den Druck auf den Armen und fragte: »Du warst in Schliekers Haus?«

»Ja«, flüsterte der Sohn.

»Du hast da stehlen wollen?«

Otsche besann sich. Die erbarmungslosen, großen Hände griffen schon fester zu, der Sohn fragte schnell: »Gehören Rosemaries Sachen ihr oder Schliekers?«

»Was für Sachen –?«

»Kleider, Wäsche, Schuhe ...«

»Der Marie.«

»Dann habe ich nicht stehlen wollen.«

Der Bauer fragte sehr langsam: »Die Marie hat dir gesagt, du sollst sie holen?«

Otsche überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »Ja!«

Wieder grübelte Wilhelm Gau: »Wo ist die Marie?« fragte er dann.

Der Sohn dachte nach: »Jetzt?«

»Ja, jetzt.«

»Ich weiß es nicht, Vater«, sagte er schnell.

»Du lügst!« und die Hände griffen wieder zu.

»Ich lüge nicht, Vater!« schrie Otsche. »Laß meine Arme los, Vater, ich lüge nicht.«

Die Hände blieben um die Arme, aber sie drückten noch nicht richtig zu. »Ist die Marie hier im Haus?«

»Nein, Vater!« schrie Otsche. »Was denkst du!«

»Hast du sie hier im Haus gehabt?«

»Nein, Vater.«

»Wolltest du sie hier ins Haus bringen?«

»Nein, Vater.«

»Was hast du mit der Marie, daß du tust, was sie dir sagt?«

»Ich hab mich vertragen mit ihr.«

»So«, sagte der Bauer drohend. »So. Vertragen. Mit dem Biest, das von uns zu Schliekers rennt! Du willst ihr wohl von Schliekers forthelfen?«

»Sie ist ja schon fort.«

»Wo ist sie?«

»Das sage ich nicht.«

Die Hände packten so fürchterlich zu, daß den Jungen alle Kraft verließ, seine Beine zitterten, ihm wurde schwindlig und schlecht. Mit einer letzten Anstrengung stieß er hervor: »Lieber gehe ich in den See, Vater, wenn du mich zwingst, es zu sagen. Ich habe versprochen ...«

Der Bauer Wilhelm Gau lachte, ja, wirklich, es machte ihm Spaß, wie dieses Häuflein Kind ihm trotzte! »Wo ist die Marie?« fragte er und drückte erbarmungslos.

Der Sohn sah den Vater mit halb geschlossenen Augen verzweifelt an. Er wußte, er würde diesen wahnsinnigen Schmerz nicht noch eine Minute länger ertragen können, gleich würde er schwatzen, verraten ... Plötzlich bückte er sich und biß so wild in die eine Hand, die ihn hielt, daß der Bauer aufbrüllte und ihn losließ.

Otsche sprang taumelnd zurück an das andere Ende des Zimmers, gerne wäre er geflohen, aber der Vater stand zwischen ihm und der Tür.

Ungläubig sah Gau auf die gebissene Hand, aus der Blut tropfte, und murmelte: »Hat gebissen ... Hat seinen eigenen Vater gebissen!«

Der Bauer sah hoch, immer noch verwundert starrte er auf die kleinen dreizehn Jahre, die da bleich und zitternd, aber ungebrochen ihm trotzten.

»Komm her, Otsche«, befahl er.

Otsche sah den Vater zweifelnd an. Aber was es auch sein mochte, ob es der Klang der Stimme war oder das Aussehen des Vaters, er gehorchte dem Befehl, er ging zum Vater.

»Du beißt deinen Vater?« fragte der.

Der Junge sah ihn an.

»Was denkst du, das nun wird?« sagte der Vater und hob drohend die unverletzte Faust.

Der Junge blinzelte nicht, etwas in der Stimme des Vaters war anders geworden.

»Was wird Küster Schlitz sagen, wenn er erfährt, er hat einen Jungen in der Schule, der seinen Vater beißt?« fragte der Bauer plötzlich spöttisch und ließ die Faust sinken.

»Dresche«, sagte der Junge, aber in seinem Auge glomm ein Funke auf.

»Und was würde der Vater tun?«

»Dresche.«

»Auch Dresche.«

»Du weißt es also – und doch beißt du?«

Der Vater starrte die Hand an. »Nimm ein Taschentuch aus der Kommode«, befahl er, »und bind es mir fest um die Hand. – Was willst du übrigens werden?«

»Bauer«, sagte Otsche und suchte in der Schieblade.

»Warum –? Weil du willst? Oder weil du der einzige Junge auf dem Hofe bist?«

»Weil ich will«, sagte der Sohn und legte das Taschentuch um die Hand.

»Zieh das Tuch fester!« befahl der Vater. »Also du willst nicht alles tun, was ich dir sage?«

»N–ein ...«

»Du willst nicht sagen, wer dich aus dem Holzstall geholt hat und wo die Marie jetzt ist?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil du selbst es nicht willst.«

»So«, lachte der Vater grimmig. »Sieht das so aus? Warum will ich es denn nicht, he –?«

»Weil du nicht willst, daß ich meine Freunde angebe.«

Der Vater sah nachdenklich auf den Sohn. Dann ging er langsam zum Tisch, ließ sich schwer auf der Bank nieder, stützte den Kopf in die Hand und sagte: »Geh in die Küche, laß dir von deiner Mutter ein Glas Schnaps geben. Ein Wasserglas voll.«

Der Junge ging in die Küche, die Tür blieb halb offen, der Bauer lauschte. Die Frau fragte eilig flüsternd vielerlei, aber der Sohn antwortete kaum. Der Vater nickte.

Der Sohn schloß die Tür hinter sich und setzte das Glas mit Korn vor dem Vater auf den Tisch. Der nahm einen großen Schluck und hielt das Glas dem Jungen hin: »Da!«

Der schüttelte den Kopf: »Nein, danke.«

»Warum nicht? Schnaps ist nicht das Schlechteste.«

»Nein, ich will keinen Schnaps trinken.«

»Überhaupt nicht?«

»Überhaupt nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht wie die andern in der Schenke sitzen will und quatschen.«

»Quatscht dein Vater in der Schenke?!« fragte der Bauer schnell und drohend.

»Du nicht! Aber die andern.«

»Und du denkst, du quatschst später auch einmal? Wer hat dir das gesagt? Die Marie –?«

»Nein, ich will das so.«

Wilhelm Gau sah sich seinen Sohn wieder an. »So«, sagte er halb zu sich. »Der hat schon ziemlich viel Willen. Ich hab erst später damit angefangen.« Dann: »Otsche, Schlieker wird uns das von heute nicht vergessen.«

»Nein, sicher nicht.«

»Du wirst nichts tun, was uns Schlieker gegenüber ins Unrecht setzt?«

»Nein, Vater.«

»Du versprichst es mir jetzt?«

»Ja, Vater.«

Der Bauer drückte die Hand des Jungen gewaltig, aber der verzog das Gesicht diesmal nicht.

»Und du wirst die Augen offenhalten, Otsche? Ich kann nicht überall sein. Es passiert dem Vieh leicht einmal was. Oder ein Schober brennt ab. Oder gar ein Hof.«

»Ich paß auf«, sagte Otsche.

»Was man tut, sollte man allein tun«, sagte der Bauer. »Du solltest deine Schwestern herauslassen aus dieser Sache. Wer hat dir den Holzstall aufgemacht, Christa oder Evi oder Mutter?«

Der Junge grinste ohne ein Wort.

»Fort mit dir, frecher Bengel, zu nichts bist du nütze!!«

Der Junge schob sich glücklich aus der Stube.

 

Auf der andern Seite der Straße, gegenüber dem Gauschen Bauernhof, stand, zwischen Flieder- und Holunderbüschen, ein alter, außer Betrieb gekommener Backofen; hier versteckt, hatten die Kinder Schliekers Hinauswurf angesehen.

Es sah schlimm aus, und es war schlimm, und sie waren sehr erschrocken, aber keines hatte einen Schritt dem Mann zur Hilfe gemacht. Sie flüsterten nur aufgeregt miteinander, und unterdes stöhnte der dort.

»Was sollen wir nur tun?! Oh, was sollen wir nur jetzt wieder tun?!« rief Rosemarie. »Wir können ihn doch nicht so liegenlassen! Wenn er nun stirbt!«

»Nein, Gaus müßten nach ihm sehen!«

Nun kam ein Bursche die Straße entlang und blieb bei dem Stöhnenden stehen.

»Das ist unser Pferdeknecht Willi«, sagte Hübner aufgeregt. »Der wird ihm hochhelfen.«

Aber die beiden schienen zu streiten. Plötzlich hörten die Kinder Schlieker schimpfen: »Scher dich zum Teufel, du dummer Affe! Was geht dich das an, wenn ich hier liege?!«

»Denn nicht«, antwortete der Knecht ebenso laut und ging.

»Will keine Hilfe ... Spuckt auch jetzt noch alle an«, flüsterte Strohmeier.

Der Knecht war in der Dunkelheit verschwunden, der Mann auf der Straße kam stöhnend zum Sitzen. Dann kroch er langsam zum nächsten Baum. Er richtete sich an dem Stamm hoch, und nun stand er.

Kein Laut war zu hören, Schlieker stand lange bewegungslos, den Kindern klopfte das Herz. Dann löste sich der Schatten vom Baum und ging schwankend, hinkend auf das Gausche Haus zu.

»Er will noch mal rein!«

»Unsinn! Er hat doch sein Rad noch da!«

Der Mann stand stumm und schattenhaft an der Haustür. Es schien, als verliere er den Halt, als griffe er mit den Armen in die Luft – aber es waren die Fäuste, die er gegen das Haus ballte. Er murmelte etwas, hinter den Büschen verstanden sie: »Verrecken ... Verrecken!«

Dann faßte Schlieker sein Rad, und langsam, halb darüber hängend, halb es schiebend, oft taumelnd und immer fluchend, machte er sich zum Unterdorf auf den Weg.

»Und wir –?« fragten die Kinder.

»Ihr geht erst zum Abendessen«, entschied Rosemarie. »Wer nachher Zeit hat, kommt wieder zur Sandgrube. Fragt aber erst bei Otsche, wie es mit seinem Vater abgelaufen ist.«

»Ja«, sagten sie. »Und du und der Philipp?«

»Wir gehen Päule Schlieker nach. Wir müssen jetzt immerzu auf ihn aufpassen. Wer weiß, was der noch tut.«

»Der tut heute abend bestimmt gar nichts mehr. Der legt sich ins Bett.«

»Ich weiß doch nicht«, sagte Rosemarie bedenklich. »Jedenfalls gehen wir ihm nach.«

»Ich habe Angst, wenn ich ihn nicht sehe«, dachte sie. »Aber ich habe auch Angst, wenn ich ihn sehe.«


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