Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

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Tausend Kilometer im Kanu

Am Lungo Bungo / Eine Negerstadt / Besuch beim Häuptling / Das große Palaver / Komplizierte Handelsgeschäfte / Ein Ochse gleich zwei Frauen gleich einem Kanu / Das verlockende Dumbawasser / Heimat der Jazzband / Schlangen als Bettgenossen / Eine schlimme Nacht / Endlich unterwegs / Böse Ahnungen / Einbäume und Leoparden / Moskitos / Die Angst vor den Flußpferden / Löwen melden sich an / Wieder unter Menschen / Eine amphibiale Landschaft / Negeretikette / Auf dem Sambesi / Das Elend liebt die Gesellschaft / Vis-á-vis de rien / Malaria und andere Quälgeister / Ein Lichtstrahl im Dunkel

Noch zwei Tage lang marschierten wir weiter durch die graue Eintönigkeit des afrikanischen Urwalds. Da sahen wir plötzlich etwas Helles durch das Blättergewirr schimmern. Schnell wurde es größer. Bald öffnete sich der Wald, und wir gingen nun dicht an der hohen Uferbank des mächtigen Lungo Bungo hin. Die Ungeduld war über mir noch mehr wie sonst an jenem Tage, aber dennoch setzte ich mich ein wenig hin und lauschte auf das Brausen des Wassers und betrachtete eine Weile die Wälder, deren Silhouetten schwarz und scharf gezackt, wie aus Papier geschnitten, sich vom düsteren Himmel am anderen Ufer abhoben.

Da waren wir endlich am Lungo Bungo.

Und doch noch nirgendwo!

Weiter marschierten wir, immer entlang dem Flusse, auf einem Pfad, der immer schlechter und sumpfiger wurde und oftmals unterbrochen von schmutzigen Tümpeln, aus denen quakend die Frösche hüpften, und niedergetretenen Schilfflächen, in denen sich die Flußpferde gewälzt hatten. Mehrfach kamen wir durch kleine Dörfer, und endlich tauchten in der Ferne die spitzen Strohdächer des Negerdorfes, fast möchte man sagen der Negerstadt Tipoya auf. Weithin dehnte sie sich aus über einen flachen Hügel, wo eine stattliche Rinderherde weidete. Überall vor den Hütten waren die Weiber eifrig beim Mussangastampfen, und alles ringsum machte einen recht wohlhabenden Eindruck. Nackte Kinder mit aufgetriebenen Bäuchen liefen neugierig hinter uns her. Magere Kaffernköter mit flackerigen Wolfsaugen schnappten nach unseren Beinen. Wir gingen nach der etwas abgelegenen Residenz seiner Majestät des Häuptlings, wo wir unter dem Schatten eines riesenhaften Baumes der Dinge harrten, die da kommen sollten. Der Häuptling, der, wie alle anderen, auch nur in einem strohbedeckten Lehmhause residierte, ließ sich indes vorerst nicht stören in seinem Mittagsschlaf. Erst ein Teller voll Salz ermunterte ihn so weit, daß er sich herbeiließ, aus der Hütte herauszukommen, um unter dem Baume ein Palaver zu beginnen, das beängstigende Dimensionen anzunehmen drohte, denn inzwischen hatte sich die ganze Dorfbevölkerung vollzählig eingefunden. Er war ein großer, stattlicher, nicht unschöner Mann, dessen Bewegungen und Handlungen in der Tat etwas Hoheitsvolles an sich hatten. Leider sprach er kein Wort Portugiesisch, so daß mein Erzschurke von einem Koch wieder einmal das große Wort führen durfte. Es beliebte ihm offenbar, meine Wünsche und Bedürfnisse in mehr bilderreicher als wahrheitsgetreuer Sprache auseinanderzusetzen, denn seine Rede wurde oft unterbrochen durch laute Protestrufe, dann wieder stürmisches Händeklatschen der versammelten Honoratioren, die alle einen aktiven Anteil an diesen Verhandlungen hatten. Endlich war die Rede zu Ende, und der Häuptling wandte sich an mich, während sich die andern in erwartungsvolles Schweigen hüllten.

»Also ein Kanu willst du kaufen –«

»Jawohl. – Und was soll das kosten?«

»Hm, ja –« Er kratzte sich hinter den Ohren –

»Das ist nicht so einfach. Wir haben nämlich kein Kanu. Die beiden letzten sind von den Flußpferden zerstört worden, und wenn du eins haben willst, so müssen wir es erst machen.«

»Und wie lange wird man dazu gebrauchen?«

Er zählte lange und andächtig an den Fingern.

»Zehn Tage.«

Ich runzelte die Stirne vor dieser unerfreulichen Auskunft. Zehn Tage in diesem Moskitonest! Das war mehr, als man ertragen konnte. Ich verlegte mich weiter aufs Parlamentieren, und er versprach ein übriges zu tun und Boten auszuschicken in sein Land, ob nicht vielleicht sonstwo etwas Schwimmbares aufzutreiben wäre. Spät in der Nacht kam in der Tat eine Gesellschaft von Eingeborenen mit einem wirklich recht brauchbaren Einbaumkanu, und alle Honoratioren versammelten sich sogleich unter dem Baum zu einem neuen endgültigen Palaver über den Kaufpreis.

Was das kostet? fragte ich.

»Das kostet ebensoviel wie ein Ochse«, sagte der Häuptling mit todernstem Gesicht.

»Und wieviel kostet wohl der?«

Da schüttelte er den Kopf und die dabeisitzenden Großleute taten desgleichen aus reiner Ratlosigkeit, bis dann einer die Ansicht aussprach, daß ein Ochse wohl zwei Weiber wert wäre, was die anderen mit energischem Kopfnicken bestätigten. Freilich hatte ich auch keine Frau und also war guter Rat teuer.

»Zwei Frauen sind drei Häuser«, meinte einer. Aber andere wollten dieses Werturteil nicht gelten lassen. Der Kopf wurde allen heiß über soviel Mathematik. Das Palaver löste sich auf in ohrenbetäubendem Geschrei, bis der Häuptling Ruhe gebot und mein Galgenstrick von einem Koch noch einmal das Wort ergriff zu einer Rede, die damit endete, daß er eine alte Schlafdecke, eine Blechdose, einen wie Silber glänzenden Löffel und fünfzig angolesische Escudos (RM. 7,50) als äußersten Preis anbot. Das Angebot war verlockend. Noch eine Weile wurde darüber argumentiert unter dem milde lächelnden Monde, bis dann endlich die Versammlung ohne endgültigen Entschluß verlegt wurde auf einen späteren Termin.

Am anderen Tage sah ich Ogutu im eifrigen Gespräch mit dem Häuptling.

»Ist er einverstanden?« fragte ich.

»Ja«, meinte der Koch, »aber er möchte auch etwas von dem Dumbawasser haben.«

»Dumbawasser? – Das führe ich nicht.«

»Doch«, sagte Ogutu, verschwand einen Augenblick und kam gleich wieder mit dem fraglichen Objekt.

– Für etwas ist auch die Eitelkeit gut! Am Tage der Abreise von Deutschland hatte ich es mir auf dem Bahnhof von Köln gekauft als Andenken und als Hilfsmittel beim Rasieren: ein Fläschchen Kölnisch Wasser, das in einer mit einem Löwenkopfe verzierten Schachtel lag. Dumba aber heißt Löwe in der dortigen Eingeborenensprache. – Ja, nun war alles klar.

»Sage dem Herrn, daß Dumbawasser sehr teuer ist.«

»Er möchte aber nur mal dran riechen.«

»Und wird er dann auch das Kanu verkaufen?«

»Gewiß.«

Ich konnte mir also erlauben, freigebig zu sein mit meinem Dumbawasser. Der Häuptling bekam einen Spritzer auf die ausgestreckten Hände, die er selig entzückt an die Nase hielt. Dann wurde die Prozedur bei jedem der Großleute wiederholt. Alle waren gleichmäßig erfreut, alle schnalzten mit der Zunge. Mit mächtigem Händeklatschen kam der Kaufabschluß zustande, und wir gingen alle zum Strande, um das Kaufobjekt zu besichtigen. Es war in der Tat ein sehr stattliches Kanu, aber dennoch sank mir ein wenig das Herz beim Anblick dieses Einbaumes, der mich um so viele hundert Kilometer weiter tragen sollte durch Sümpfe und Stromschnellen und weiß Gott welch andere Gefahren.

In jener Nacht habe ich nicht gut geschlafen. Es war eine der wunderbar klaren Vollmondnächte, die den Negern das Tanzbein kitzeln. Von fernher kam der Klang der dumpfen Trommeln. In allen Hütten wurde es lebendig. Ein wildes Heer zog über den Hügel, kam näher und näher und gruppierte sich unter dem großen Baume. Alte Männer in bunten Gewändern, Jünglinge, phantastisch beschmiert mit roten und weißen Farbenklexen, andere mit Federn aufgeputzt, mit Kuhschwänzen, Ziegenhörnern und was sonst eine Negerphantasie sich ausdenken kann.

Und unaufhörlich rasten die Trommeln in immer gleichen Takten.

Nun stürzten die jungen Männer in langen Linien gegeneinander vor mit wilden Grimassen. Blitzschnell wichen sie zurück, formierten sich in anderen Linien und wiederholten das gleiche Spiel. Nun kamen die Frauen und umkreisten den Platz mit schaurigem Geschrei wie liebestolle Katzen. Und über alles warf der Mond ein geisterhaft weißes Licht, und die Trommeln rasten immer lauter und wilder, während die Glut dieser wirklich originellen Jazzbandtänzer sich am eigenen Feuer entzündete die ganze lange Nacht hindurch. Ich verkroch mich in meine Hütte und versuchte zu schlafen. Da hörte ich etwas rascheln, dicht neben dem Kopfe. Ich zündete ein Streichholz an und schaute nach. Es war in der Tat eine Schlange! Nun war es vorbei mit dem Schlaf bei solchem Bettgenossen. Ich ging hinaus und setzte mich auf den bloßen Erdboden, wo die Moskitos summten.

Nein, es war keine geruhsame Nacht. –

Neger sind Frühaufsteher, auch wenn sie nachts zuvor noch so sehr ihre wilden Orgien gefeiert haben. –

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und über den fernen Hügeln zeigte sich das erste blasse Licht der kurzen tropischen Dämmerung, als wir hinunter zum Flußufer gingen. Wir, sage ich, denn die ganze Dorfbevölkerung, soweit sie nur auf zwei Beinen stehen konnte, bestand darauf, mir das Abschiedsgeleite zu geben. Der Pfad, der zum Fluß führte, war nur gemacht für nackte Negerfüße, nicht aber für einen mit Schuhen und Strümpfen bewaffneten weißen Bwana. Im Dämmerdunkel trat man alle Augenblicke in eine stinkende Pfütze, aus der schleimige Frösche quakend davonhüpften. Der Tau im hohen Gras klebte kalt an den Kleidern. Endlich waren wir am Ziel, bei meinem teuer erstandenen Einbaumkanu. Vier kräftige Männer verstauten meine Siebensachen im Boot und legten ihre langen Paddel zurecht. Ich hatte nur mit deren zwei als Bootsmannschaft gerechnet. Aber wie nun argumentieren über den Fall mit den umstehenden Stammeshäuptern, mit denen ich nur mit Händen und Füßen reden konnte? Mein Koch und Dolmetscher hatte tags zuvor »Hartloop gemacht«, wie die Buren sagen, und ich war nun so gut wie ein Stummer in diesem Lande. So ließ ich alles geschehen, wie es mußte, und es war gut, daß ich es tat, denn ich sollte bald erfahren, wie nötig ich alle vier gebrauchte.

Nachdem wir uns mit unseren Sachen auch selbst im Kanu verstaut hatten, kam der große Abschiedsmoment. Nach Negersitte klatschten wir zum Gruß dreimal in die Hände. Darauf antworteten unsere Freunde am Lande auf die gleiche Weise und stimmten einen lauten Singsang an, der ungefähr folgendermaßen klang:

»Ja, ja, Sambesi, ja, anga, ja.«

Mit kräftigen Stößen schoß das Kanu in den Fluß hinein, und wurde schnell von der Strömung davongetragen. Aber noch lange, während das Dorf schon um eine Biegung verschwunden war, hörte man den Takt des eintönigen Gesanges.

Wie seltsam das war! Einmal, vor vielen Jahren, hatte ich fast das gleiche schon einmal erlebt, aber damals war ringsum Eis und Schnee, das Kanu war aus Walroßhaut, und es waren Eskimos, die uns ein Abschiedslied sangen.

Wie ist die Welt so klein!

So ganz geheuer war mir doch nicht zumute, während wir nun flußabwärts fuhren. Die Grenze von Nordrhodesien liegt nicht allzuweit von Tipoya. Aber was würde man dort vorfinden? Höchstwahrscheinlich dieselbe Wildnis, die man hier sah. Irgendwo weiter flußabwärts, schon am Sambesi, lag die englische Militärstation Mungo. Aber wie weit? Man kann einem Neger alles beibringen, nur nicht den Begriff der Zeit und Entfernung. Die Angaben schwankten zwischen zehn und dreißig Tagereisen. Aber zehn oder dreißig, für mich blieb nur die unerfreuliche Gewißheit, daß mir selbst bei großer Sparsamkeit nur noch für deren fünf oder sechs Proviant übrigblieb, und was nachher kommen würde, das wagte ich kaum auszudenken.

Es war ein erhebendes Gefühl, zu sehen, wie die waldigen Uferbänke vorüberglitten, jede Meile ein Markstein, ein Schritt näher der zivilisierten Welt. Wir reisten während des ganzen Tages, ohne je etwas anderes zu sehen als die schwarzen Urwalddschungeln, in denen die wilden Tauben gurrten. Sonst war alles still und tot. Kein Kanu zeigte sich auf dem Fluß. Nirgendwo die Spur einer menschlichen Siedlung. Vor Sonnenuntergang landeten wir an einer flachen, von dichtem Schilf umgebenen Landzunge, wo einige verlassene Hütten standen, die zum Schutz vor Überschwemmungen auf Pfählen errichtet waren. Im Nu hatten wir ein Lager à la barbare errichtet. Der Kochjunge rupfte die mitgebrachten Hühner, die anderen zerstreuten sich im Wald, um Brennholz herbeizuschaffen. Bald schmorte es im Kochtopf, ein rotes Feuer flackerte hoch auf zum abendlichen Himmel. Afrika war wieder einmal wunderschön. Aber es wurde anders mit dem Fortschreiten der Nacht. Kaum waren die letzten Sonnenstrahlen hinter den schwarzen Baumwipfeln des Urwaldes verschwunden, als auch schon mit hellem, metallischem Summen die ersten Moskitos uns ihre Aufwartung machten. Zuerst vereinzelt, dann immer mehr, dann Wolken der kleinen Quälgeister. Nun erst kam mir ganz zum Bewußtsein, was ich verloren hatte in jener Nacht, als der abkommende Fluß sich über meine schöne afrikanische Ausrüstung hermachte. Keine Zeltplane, kein Feldbett, kein Moskitonetz mehr! Schutzlos war man den Angriffen der giftgeladenen Quälgeister ausgesetzt, die schlimmer sind als alle anderen Bestien des Urwalds. Kein Feuer, kein Rauch vermochte sie ganz zu vertreiben. Stunde um Stunde lag ich wach und hörte auf das Quaken der Frösche und auf das Grunzen der Flußpferde im Schilfe. Mir war, als ob eine Ewigkeit vergangen wäre, als endlich der blasse Tag über dem Walde dämmerte.

Ach, und es war nur die erste von vielen anderen schlaflosen Nächten am Lungo Bungo.

Waren die Nächte eintönig und dumpf, so konnte man sich wenigstens bei Tag nicht über Mangel an Abwechslung beklagen. Schon der zweite Reisetag war recht aufregend und abenteuerlich. Wir waren kaum vom Lande abgestoßen, als uns die Flußpferde den Weg versperrten. Quer über der Fahrrinne lagen sie wie ungeheure Felsblöcke und sonnten sich, ohne ein Glied zu rühren. Sobald aber das Kanu eine Bewegung machte, da wurden auch sie lebendig. Mit einer Schnelligkeit, die man diesen plumpen Fleischklötzen niemals zugetraut hätte, bewegten sie sich im Wasser und stießen dabei ein mehrfach wiederholtes dumpfes Grunzen aus, das zuletzt in ein lautes, behäbiges »Bah!« ausging, wobei sie die mächtigen Mäuler groß wie Scheunentore aufrissen. Man konnte ihnen nachfühlen, wie wohl sie sich fühlten in ihrem Element. Man hatte auch nicht den Eindruck, als ob sie Böses vorhätten mit dem Kanu. Nur Neugierde, nur spielerische Lust am Ungewohnten. Aber auch das kann lebensgefährlich werden bei einem Flußpferd. Aus diesem Grunde hielten wir uns im Schilf dicht am Ufer, denn keiner von uns hatte ein brauchbares Gewehr, um ihnen zu Leibe zu rücken. Doch hier am Flußrand war es noch weniger geheuer.

»Dumba! Dumba!« riefen die Jungens, und richtig sah man allenthalben frische Löwenspuren im Sande. Es war eine schlimme Entdeckung, denn auch vom Fluß her rückten uns die Flußpferde stark zu Leibe. Man hörte sie wie mächtige Mühlen im Wasser unter dem hohen Schilfe plätschern. Aber Negernerven halten manches aus, und so navigierten wir während des ganzen Tages zwischen Löwen und Flußpferden, bis am Abend die gefährliche Stelle überwunden war.

Aber wir waren noch nicht am Ende unserer Abenteuer. –

Die Flüsse im inneren Afrika haben wenig gemein mit dem, was wir uns in Deutschland unter diesem Begriffe vorstellen. Stellenweise fließen sie eng zusammengepreßt in wilden Stromschnellen zwischen Bergen und Felspforten, stellenweise – meistens – laufen sie durch weite Täler und Ebenen ungehemmt zwischen meilenbreiten Schilfstrecken, die sie in der Regenzeit weithin überschwemmen. Es gehört schon die ganze Sachkenntnis eines eingeborenen Flußpiloten dazu, um zu wissen, wo Anfang und Ende ist in solchem Irrgarten von Sumpf und Fluß.

Unter diesen Strömen ist der Lungo Bungo sicher einer der unbändigsten. Schon auf halbem Weg zum Sambesi verliert er sich fast völlig in den berüchtigten Malolosümpfen. Soweit das Auge reicht, sieht man dort nur Schilf und weite Felder voll hochgewachsener Papyrusstauden, in denen die Reiher nisten. Nur da und dort steht eine Gruppe von mächtigen Palmen als eine schattenhafte, unwirtliche Erscheinung, wie eine Insel aus anderen Welten über dem Meer von Schilf und Wasser. Nirgendwo findet sich eine Stelle, wo das Kanu anlegen könnte, und wo man eine solche zu erspähen glaubt, ist es bei näherem Zusehen nur ein schwammiges, schilfiges Etwas, aus dem beim Anlaufen das kalte Wasser in eklen Blasen aufsteigt und ein Schwarm von seltsamen Vögeln mit mißtönendem Geschrei davonschwirrt.

Wehe dem, der in solcher Gegend vom Regen überrascht wird. Aber es war ohnehin unser Schicksal, daß wir von schlechten Geistern begleitet waren auf jener Reise, und so wunderte ich mich keineswegs, als die Wolken sich plötzlich schwarz über dem Horizont ballten und bald darauf die Sintflut herniederging. Ein heulender Wind begleitete das Unwetter, das Schilf bog sich im Sturme, aber die stark bewachsenen Sumpfflächen ließen glücklicherweise keinen Seegang aufkommen in der Wasserrinne. Dafür trieb es der Regen um so schlimmer. Wie ein dicker Vorhang legten sich die herabrauschenden Wassermassen vor die Landschaft. Um ein Überfluten des Kanus zu verhindern, brachten wir es in dickes Schilf unter einer Palmengruppe, um wenigstens vor dem Schlimmsten geschützt zu sein. Hier hockten wir in der Nässe und zitterten vor Kälte trotz des schwülen Tropentages und hörten auf das Singen der Frösche, das von fern und nah in allen Tonarten kam, und glaubten in unserem Elend, daß das niemals enden würde, als sich auf einmal die Wollen zerteilten und die Tropensonne wieder so heiß herniederbrannte, als ob es nie geregnet hätte.

Während des ganzen Tages drangen wir vorwärts durch Schilf und Rohr der Sümpfe, und es war, als ob das niemals ein Ende nehmen würde, als wir am späten Abend im Scheine der untergehenden Sonne eine Erscheinung gewahrten, die wir hier am allerwenigsten vermutet hatten. Es war tatsächlich ein Mensch, der da mit seinem Einbaumkanu über das Wasser kam. Vom Kanu, das wie eine Nußschale war, war nichts zu sehen, und so sah er aus wie einer, der über das Wasser wandelte. Im Augenblick war er herangekommen und überreichte uns ein Bündel schöner, weißglänzender Fische, die wir mit einer Handvoll Salz bezahlten. Er erbot sich ferner, den Lotsen für uns zu spielen, und führte uns richtig nach einer trockenen, mit mächtigen Bäumen bestandenen Insel. Es war dunkle Nacht, als wir dort ankamen. Ein Feuer brannte vor einer Hütte, und wir versäumten nicht, uns um dasselbe hinzuhocken. Denn wir waren alle bis auf die Knochen durchgefroren von Wind und Nässe des langen Tages. Die Fische schmeckten herrlich und ebenso die von den Bewohnern herbeigebrachten Süßkartoffeln, die wir noch in der Asche schmorten. Dennoch war es eine schlimmere Nacht als alle anderen zuvor, denn die Moskitos hingen in Wolken über dem Platze, und oben in den Baumkronen vollführten Scharen von schwarzen Geiern ein schauriges Konzert.

So fiel uns der Abschied nicht schwer, als wir mit Tagesanbruch die Reise fortsetzten.

Das Schlimmste der Malolosümpfe lag nun hinter uns, aber noch immer trug die Gegend einen amphibialen Charakter. Noch immer wußte man nicht recht, wo Land und wo Wasser war, und Mensch und Tier, die hier hausten, schienen sich nicht sehr darum zu kümmern. In beiden Elementen waren sie gleichermaßen zu Hause. In Schilf und Rohr nisteten die Reiher und unzählige andere Vögel, in den Sümpfen, die sich an den Waldrändern hinzogen, ästen große Rudel von Hirschen und Antilopen, die bis zum Bauch im Wasser standen, und es schien, daß es ihnen gerade so am besten gefiel. Selbst mitten im Strome sah man gelegentlich ein Wildschwein oder ein ähnlich mißgestaltetes Wasserferkel aus dem Schilfe hervorbrechen.

Weiter flußabwärts nahmen Land und Wasser wieder bestimmtere Formen an, und die Dörfer der Eingeborenen rückten wieder näher an das Flußufer heran. Zum Teil waren es ganz stattliche Ansiedlungen, und der Empfang, der einem dort wurde, war nicht ohne Feierlichkeit. Immer steht in der Mitte des Ortes ein mächtiger Baum, unter dem die allgemeinen Palaver abgehalten werden. In seinem Schatten pflegten wir uns niederzulassen mit gekreuzten Beinen. Nach einer Weile kamen dann die Ältesten des Dorfes und ließen sich gleichfalls nieder in einem Abstand von etwa zwanzig Metern. Dann klatschten sie zur Begrüßung mehrmals in die Hände, und wir antworteten auf die gleiche Weise. Dann kamen die jüngeren Männer, ließen sich in noch größerer Entfernung auf der anderen Seite nieder und klatschten gleichfalls in die Hände. Zuletzt kamen Frauen und Kinder in langer Prozession, mit Kupferringen an Fuß- und Handgelenken und Leopardenzähnen als Medaillons, und begrüßten die Ankömmlinge mit lautem Gesang unter allgemeinem Händeklatschen. Dann wurde ein wenig Salz ausgeteilt und noch einmal in die Hände geklatscht.

Das alles ist nicht ohne Würde und ein Zeichen eines gewissen Grades von gesellschaftlicher Kultur, wie man überhaupt von jenen »Barbaren« einen anderen Eindruck gewinnt, wenn man wochenlang mit ihnen als Wilder unter Wilden lebt. Es ist ja eine allbekannte Tatsache, daß der Eingeborene um so anständiger und in seiner Art kultivierter ist, je größer der Abstand ist, der ihn trennt von den Segnungen der Zivilisation. –

Aber einmal nimmt sogar der Lungo Bungo ein Ende! Unversehens nahm die Landschaft einen ganz anderen Charakter an. Der Buschwald, der uns von Angola bis hierher begleitet hatte, verschwand, und an seine Stelle traten Wälder von riesigen Palmen, die aussahen, als ob sie auf dem Wasser schwämmen. Der Fluß selbst wurde zu einer unabsehbaren Wasserfläche, auf der die Wellen im Winde tanzten. Überall im Schilfe hörte man die Flußpferde grunzen. Von fernher kam ein dumpfes Brausen. Und auf einmal befanden wir uns mitten in einem großen Strome, der zwischen finsterem Urwalddickicht majestätisch dahinfloß.

Das war der Sambesi!

Da es noch früh am Tage war, verloren wir keine Zeit mit der Weiterreise auf unserer neuen Flußbahn, die mit ihrer stärkeren Strömung ein schnelleres Fortkommen ermöglichte als der langsame Lungo Bungo. Es war eine so schöne und romantische Flußreise, wie man sie sich nur immer wünschen konnte. Die Ufer waren bedeckt mit majestätischem Urwald, der jetzt bei dem Wasserstand der Regenzeit richtig in den Fluß hineinwuchs. An anderen Stellen wieder sah man Grasflächen, aus denen schlanke Palmen in den klaren Himmel hineinragten. Ab und zu sah man langgefiederte Reiher, die schwer und ruhig wie Flugzeuge durch die Abendschatten über dem stillen Wasser flogen.

Aber bald erreichte auch den Sambesi das Schicksal aller afrikanischen Ströme. Er verlor sich in der Gegend und wurde wie unser Freund Lungo Bungo ein Meer von Schilf und Papyrus. Diese Sambesisümpfe gehören zu den interessantesten Gegenden der Erde für den, der einigermaßen ein Auge dafür hat. Eine Fundgrube für Botaniker, ein Paradies für Vogelkundige. Stundenlang fährt man in ganz stillem Wasser durch Felder von Seerosen, die in allen Farben schillern. Reiher, sowohl von der weißen wie von der schwarzen Sorte, gibt es in Millionen, dazu Flamingos, Nashornvögel und sonst noch allerlei seltsames, langbeiniges, gefiedertes Getier, von dessen Dasein man bisher in seinen Träumen keine Ahnung hatte. Nur selten sieht man Bäume, abgesehen von den Palmen, aber wo einer steht, da sind seine Äste über und über behangen mit Nestern, und die Vögel sitzen einträchtig auf den Zweigen, vom kleinsten Kolibri bis zum Adler, der königlich von der Baumkrone herunterschaut. Die Not hat sie zusammengeführt und das Sichvertragen gelehrt. Nur die Reiher bauen ihre Nester ins Schilf. Für alle anderen gibt es nur diese wenigen Nistplätze im Sumpfe.

Seltsamerweise sind diese Sumpfgegenden ziemlich dicht besiedelt. Wo immer sich eine kleine Bodenerhöhung befindet, sieht man ein Maisfeld und daneben ein Dorf, das jetzt in der Regenzeit völlig abgeschnitten auf einer Insel liegt und nur durch Kanus den Verkehr mit der übrigen Welt, ja mit den eigenen Feldern aufrechterhalten kann. Man kommt hier in eine andere Welt. Während überall im westlichen Angola und am Lungo Bungo die Dörfer weit auseinandergebaut sind, mit Hütten von eckiger Bauart, findet man hier nur runde, bienenkorbartige Behausungen, ganz eng zusammengehuddelt und rings umgeben von einem mehrere Meter hohen Bastzaune. Außerdem ist jedes einzelne Haus noch einmal umfaßt von einem gleich hohen Zaun, der es hermetisch von der Außenwelt abschließt.

An jene Dörfer im Sambesidelta werde ich immer mit Unbehagen zurückdenken. Denn wenn nirgends sonst, so habe ich es dort gelernt, daß das Reisen im wilden Afrika kein Kinderspiel ist. Trotz aller Sparsamkeit war schon seit einigen Tagen der gefürchtete Augenblick gekommen, wo mein Proviant zu Ende war. Das letzte Salzkorn war verschwunden. Und womit nun kaufen und handeln in dieser Wildnis? Ein Huhn kostete zwanzig Pfennige. Aber was nützte mir diese Billigkeit? Abgesehen von einigen portugiesischen Eskudos, die hier niemand nahm, hatte ich nur eine Zehnpfundnote, die keiner wechseln konnte. So war ich wie einer, der über keinen Pfennig verfügte, und mußte mich nun dazu bequemen, die notwendigsten Kleidungsstücke zu verschleudern, nur um das Leben zu fristen. Ein Hemd für ein Huhn, eine Jacke für eine Ente usw. Und dabei war nicht einmal böser Wille oder Erpressung im Spiel. Die guten Leutchen verlangten zwanzig Pfennig für ein Huhn. Daß aber ein Hemd zwanzig mal zwanzig Pfennig kosten solle, das ging über ihre Mathematik, und so nahmen sie gleich das Ganze. Der Hunger und der Ärger fraßen mir an der Seele an jedem neuen Abend in jedem neuen Dorfe.

Es war ein Glück, daß wenigstens von meinem Dumbawasser noch etwas übriggeblieben war und nach wie vor Anerkennung fand. Mit jener uns Europäern ewig unerklärlichen Schnelligkeit afrikanischer Nachrichtenübermittlung war die Kunde von dem kosmetischen Wunder schon vor meiner Ankunft in die Dörfer gedrungen. Erwartungsvoll saßen sie um das Kanu und selig waren sie, wenn sie einen Spritzer aus der Flasche um ein Ei eintauschen durften.

Die Dinge lagen schlimm, in der Tat, aber alles hätte sich mit Humor ertragen lassen, wenn sich nicht zuletzt noch ein Quälgeist eingestellt hätte, der schlimmer war als alle andern. Schon einige Wochen lang hatte ich mich gewundert, daß sie mich noch nicht besucht hatte, die gute, alte Malaria, die mir schon so oft das Leben sauer gemacht hatte in wüsten, verworrenen Wochen und Monaten in manchem verpesteten Erdenwinkel. Nun kam sie über Nacht.

Es war in der Tat so, daß Menschen und Dinge hier einen unheiligen Bund geschaffen hatten, um mir das Leben am Sambesi zu verleiden. Der kalte Hauch, der aus den Sümpfen kam, die Sonne, die über dem Boote brannte, verwirrten die Sinne und legten sich vor die Augen wie düstere Nebelstreifen. Bald kümmerte ich mich nicht mehr um den Küchenzettel, noch darum, ob ich überhaupt etwas zu essen hatte. Mein Kopf war schwer wie Blei, und ich war froh, wenn ich ihn abends irgendwo hinlegen konnte auf ein altes Ziegenfell oder den gestampften Lehmboden einer Hütte. Es war dort kein Ende der Quälgeister. Bald waren es Ameisen, die mich mit giftigen Bissen aufschreckten aus einem unruhigen Halbschlummer. Bald waren es runde, fette vielbeinige Wanzen, die mit ihren Bissen das Blut aus der Wunde laufen ließen. Tics nennt man die lieben Tierchen.

Doch kein Wort mehr davon! Niemand war glücklicher als ich, als eines Tages der Sumpf ein Ende hatte und auf einem Hügelhang die wellblechbedeckten Häuser und Schuppen der englischen Militärstation Mungo auftauchten.

Das Schlimmste der Reise war überstanden.

 


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