Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

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Das Land der dunklen Ehrenmänner

Im dunkelsten Afrika / Lumpen von Format / Romantik des Eisenbahnbaus / Buschvagabunden / Im Urwaldladen / Ein nahrhaftes Handwerk / Beim Bahnbau / Der »Moloch Lager« / Pat erzählt eine Geschichte / Eine »ganz verdammt schöne Reise« / Eine ungemütliche Stadt / Auf ins nahe Rhodesien! / Auf Negerpfaden / Allerlei Handelsgeschäfte / Ein Negertanz / Alles fürs Salz / Die Angst vor den Leoparden / Nächtlicher Zwist / Der Löwe als Friedensstifter / Schwieriges Reisen / »Haia Safari!« / Zweibeinige Pferde / Eine schlimme Nacht / Meuterei / Verzweifelte Lage

Wenn man durch Angola ostwärts nach den Quellflüssen des Kongo wandert, ungefähr dorthin, wo Afrika anfängt am dunkelsten zu werden, so kommt man auch in das Land der dunklen Ehrenmänner. Es gibt ihrer nicht wenige, die dort zwischen Tag und Dunkel eine Gastrolle geben und dann wieder spurlos verschwinden, meist ohne eine Adresse zu hinterlassen, und das aus guten Gründen; flüchtige Gestalten, deren Gewissen schwarz ist wie ein Urwalddschungel und denen kein Land zu dunkel, um Taten und Untaten eines verfehlten Lebens zu verhüllen. Denn der Arm des Gesetzes ist länger geworden in diesen Jahren. Heute geht man nicht mehr nach Amerika, wenn man etwas auf dem Kerbholz hat. Man muß sich schon in den afrikanischen Busch bemühen und in Stanleys Stiefeln wandern.

Aber wie lange noch? Binnen weniger Jahre wird man im Schlafwagen von Kapstadt nach Kairo fahren können, noch ein oder zwei Jahre und man wird vor dem Frühstück in Daressalam den Expreßzug besteigen, man wird dinieren am Tanganjikasee, übernachten in Katanga und am nächsten Morgen in Lobitobai an der Benguellaküste ankommen, wie wenn man eben aus dem Berlin-Pariser Schnellzug stiege. Und dort, wo man noch verschont ist von der Eisenbahn, da wird man sicher über kurz oder lang vom Auto heimgesucht. – Ach, das Afrika, das wir zu kennen glaubten, das wir einst geliebt, gefürchtet, von dem wir geträumt in unseren Kindertagen, es ist nicht mehr! Der Weltverkehr hat es in seinen Netzen gefangen und die Staatsautorität darüber ihren Teufelsmantel gebreitet.

Und doch, und doch –

Auch diese neue sachliche Zeit hat eine neue Romantik geboren, die wilder und phantastischer ist als die der alten Forscher, abenteuerlicher als die der Trapper und Jäger der amerikanischen Prärien, wenngleich sie noch keinen Cooper und keinen Karl May gefunden hat, um in ihr Horn zu blasen. Wenn es irgendwo auf dieser Erde noch Menschen gibt, die kühner, verwegener sind als jene, die heute als Prospektoren oder beim Eisenbahnbau, auf Vorposten der Zivilisation, den afrikanischen Busch durchziehen, so möchte ich wohl wissen, wo sie sind. Es ist eine Sorte, die jeden Respekt vor der Wildnis, aber auch vor allem anderen verloren hat. Vagabunden, dunkle Ehrenmänner, Lumpen vielleicht, aber Lumpen von Format. Eine Art Konquistadoren in der Westentasche. Da ist einer z. B. in Europa Schneider gewesen und entdeckt plötzlich in Afrika sein Talent zum Brückenbauer. Man probiert es. Geht es schief, so hält man Ausguck nach etwas anderem und übernimmt vielleicht einen Kontrakt zum Holzschlagen oder Backsteinmachen oder bei den Streckenarbeitern. Immer aber ist man dabei ein großer Bwana und Herr über Hunderte von Schwarzen, die einen bedienen wie zu Hause keinen Kommerzienrat. Geld verdient man reichlich, und die Pfunde hat man lose in der Tasche sitzen. – Ja, die Pfunde! Abends, wenn mit den ersten Schatten die Frösche ihr Konzert im Sumpf beginnen, wenn die Sonne hinter der scharf gezackten Linie des Buschwalds versunken, wenn plötzlich die Nacht hereingebrochen ist ohne einen Hauch erlösender Kühle nach dem schwülen Tage, wenn die Moskitos summen und die Grillen ihr nimmer endendes Lied im Grase singen – was tut man mit solch langer, langer Nacht? Man liegt im Liegestuhl und schaut müde in das verlöschende Feuer, man trinkt viel Whisky mit wenig Soda, man spielt Poker und verspielt sein Hab und Gut in einer Nacht, der Whisky steigt einem in den Kopf, man legt sich irgendwo hin auf den Boden, wo das Fieber lauert. Und vierzehn Tage später steht noch ein Kreuz am neuen Bahndamm. Oder man wird vom Boß an die Luft gesetzt. Dann pilgert man eben eine Weile durch Busch und Urwald zu einem anderen Bahnbau. Eines Tages traf ich so einen, der, nur mit einem Stecken bewaffnet, durch Angola ging.

»Wo geht die Reise hin?« fragte ich ihn.

»Ich mache nach Uganda«, antwortete er seelenruhig.

O Stanley! O Wißmann! O Emin Pascha! Wie haben sich die Zeiten geändert!

Anderwärts baut man Bahnen nach den Bedürfnissen des Verkehrs. In Afrika ist es im Gegenteil der Bahnbau, der den Verkehr und seine Bedürfnisse erst schafft aus dem Nichts, wie ein lebenspendender Kanal, an dessen Ufern die Bäume aus der Erde wachsen, auch in der dürrsten Wüste. Genau so entstehen hier über Nacht die Städte und Dörfer in ihrer Wellblechherrlichkeit am Rande des Buschwaldes. Es ist, als ob sie selbst noch nicht an ihr Dasein glaubten, als ob sie sich umschauten nach dem Wind, der sie hier zusammengetrieben und im nächsten Augenblick wieder auseinanderjagen könnte in seiner Laune.

Man muß sie gesehen haben, um sie ganz zu verstehen, jene aufblühenden Städte und Dörfer längs der neuen Angola-Kongobahn. Hier fließt das Leben langsam, à la Portuguesa. Die Straßen sind sehr breit und die Häuser sehr niedrig; groß und plump sind die Telegraphenstangen, und lebendig ist nur der Wind, der in ihnen summt. Es ist Mittag, und kein Mensch ist auf der Straße; denn der Mittagsschlaf ist hier eine heilige Handlung, die vom späten Morgen bis zum frühen Abend dauert. Vor dem Hotel steht Dom Fulano de Tal, der Besitzer, und schaut blinzelnd hinaus auf den »Largo Gago Coutinho«, auf dem die Langeweile hockt wie ein gähnendes Gespenst. Die Ziegen sind eben dabei, den jungen Zierbäumen, die gestern erst gepflanzt wurden von der hohen commissão do fomenta, das Lebensmark abzuknabbern. Irgendwo schreit ein Esel, irgendwo jammert ein liebestoller Kater. – Was man wohl heute wieder für einen Küchenzettel macht für die excellentissimos senhores von der Administration?

Bacalão natürlich! Bacalão (Stockfisch) mit Kartoffeln, Bacalão mit grünen Bohnen, Bacalão mit weißen Bohnen, Bacalão mit Ei, mit Spargel, Makkaroni, Reis und Kohlrüben, mit Schlagsahne an Sonn- und Feiertagen – man ist hier nicht verlegen um den Küchenzettel und nicht ein bißchen schüchtern mit den Preisen, die groß sind wie das Savoyhotel in Lissabon.

So viele Hotels, so viele Halsabschneider.

Aber dieses Thema wäre nicht erschöpft, wenn man zuvor nicht wenigstens noch ein Wort hinzufügen wollte über die dunkelsten der Ehrenmänner, die unter dieser Sonne gedeihen. Das sind die senhores, die hinter den Ladentischen der casas de commercio stehen. In Angola allein wird heute noch Kolonialpolitik nach der klassischen Methode getrieben, d. h. man läßt das Land nach Möglichkeit im Urzustand und sieht zu, wie man am besten und ohne großen Aufwand den Rahm abschöpft. Das läßt sich am einfachsten dadurch erreichen, daß man dem Eingeborenen europäische Bedürfnisse aufschwatzt, die man ihm dann zu möglichst hohen Preisen verkauft. So ist das Handelshaus der Exponent der kolonialen Betätigung. Oft sind es stattliche Gebäude. Die Neger kampieren vor der Tür und schielen mit lüsternen Augen nach den Herrlichkeiten, die drinnen aufgebaut sind: rote Wollmützen, bunter Kattun aus Chemnitz, Glasperlen aus Liverpool, Medaillons mit Heiligenbildern, lockende Spiegel, stilvoll gefaßt in Rahmen mit eingedruckten Vergißmeinnicht, die süß nach Pomade riechen. Alles billig, das Billigste vom Billigen, über dem der Boß hinter dem Ladentisch thront wie ein Gebieter über beide Welten. Vor ihm steht die Kiste mit den »Pratas«, ringsum drängt sich das Volk und verbreitet einen dicken Negerdunst, der einem den Atem nimmt, wenn man ihn nicht gewohnt ist. Die Wachsballen, die Säcke mit den Erdnüssen wandern über die Waage und verschwinden in düstere Lagerräume. Vor dem Ladentisch steht ein Plantagenarbeiter und schüttelt den Kopf über einem Ballen Kattun. Sein ganzer Verdienst ist nur ein Eskudo (15 Pfennig) für ein schweres Tagewerk, und das hier kostet deren zwanzig pro Meter. Was tun? Die ganze Familie schüttelt den Kopf, betrachtet den Schatz noch einmal, befühlt ihn mit lüsterner Miene, geht hinaus zu gemeinschaftlichem Rate und kommt wieder.

Und immer noch klappern die Pratas in der Kiste. Es ist das blecherne Klappern einer Inflationsmünze, aber in den Augen der Neger sind es Silberstücke, so gut wie Taler, für die man eine Kugel Wachs oder einen Sack Erdnüsse hundert Kilometer weit auf dem Kopf durch den Urwald trägt. – Ja, es ist ein rentables Geschäft, aber man muß ein Herz von Stein haben, um dabei zu florieren. Aber freilich, zum Vergnügen ist kein Mensch in Kamacupa! Einmal, wenn erst das dicke Hauptbuch voll ist mit Zahlen, dann wird man seine sieben Sachen zusammenpacken und mit hundert Kontos auf der Bank das angolesische Fegefeuer vertauschen mit dem Himmel von Lissabon. Dort wird man sich ernsthaft als Gentleman etablieren. Man wird alle Tage ins Kaffeehaus gehen und Politik und ein wenig Revolution machen und Domino spielen mit Dom Ferreica da Costa, und Angola wird in weiter Ferne liegen wie ein wüster Traum: das Geschäft, der Ladentisch, die Glasperlen, die Pratas, die Neger und ihr Gestank und selbst die dicke, schwarze, mollige Senhora mitsamt den gelben und braunen Piganinis, mit denen man einst den Weg der portugiesischen Kolonialmacht bestreut auf angolesischer Erde.

So sind die Zeiten und die Menschen noch heute im inneren Angola. Wird das noch lange so bleiben, wird es anders werden, wenn erst einmal die große Eisenbahn fertiggestellt ist? Zu damaliger Zeit (Frühjahr 1928) war sie im Rohbau beendet bis zur Grenze des Kongostaates, aber für den Verkehr eröffnet war sie erst bis zu dem großen Lager am oberen Cuanza, von wo aus die Bauzüge abgefertigt wurden. Ein echt afrikanisches Zeltlager mit echt afrikanischen Bewohnern, die weißen nicht minder wie die schwarzen. Mehr als die Hälfte waren Deutsche, die als Handwerker, Lokomotivführer und Unternehmer mit kleinen Kontrakten ein nicht ungefährdetes Dasein führten. Die Kreuze über den Gräbern der am Schwarzwasserfieber Gestorbenen redeten davon eine beredte Sprache. In den zwei Jahren seines Daseins hatte der Moloch Lager schon mehr Menschen verschlungen, als die normale Besetzung erforderte. Man gewöhnt sich indes an alles. Bei allzu großer Alltäglichkeit verliert selbst der Tod seine Tragik und wird zur Selbstverständlichkeit, für die man bezahlt wird mit einem Pfund pro Tag. Allerlei Menschen waren hier am Cuanza zusammengefegt worden durch den Wirbelwind dieser tollen Zeit: Freikorpssoldaten, Fremdenlegionäre, Kapp-Putsch-Rebellen. Aber der interessanteste war Pat, der Irländer. Pat war schon länger im afrikanischen Busch, als irgendeiner von uns auf dieser lieben Erde lebte. Und er sah darnach aus. Unendlich lang, unendlich dürr, ohne ein Atom richtiges Fleisch. Nur Knochen und Stricke als Muskeln, eine Haut, die zu Leder gegerbt worden war an unzähligen Lagerfeuern, und endlich ein Paar ganz große, stahlgraue Augen, die unheimlich lebendig aus dem starren Gesicht hervorblitzten. Eines Abends erzählte er mir mit lässiger Miene, wie etwas Alltägliches, die Geschichte von seiner Reise nach dem Njassaland.

»Well, das war vor dreißig Jahren, als ich und Bill in den damals noch nagelneuen Kupferminen von Broken Hill arbeiteten. Damals – da war es hier noch Afrika! – da verdiente man jedesmal ein Pfund, wo man heute einen lumpigen Schilling hingeworfen bekommt. Reich wäre ich geworden und hätte heute eine Villa und ein Auto, wenn ich ausgehalten hätte. Aber wie das nun so geht – Abwechslung muß sein. So hauten wir den Sack, ich, Kamerad Bill und noch drei andere Burschen, und machten nach dem Njassaland.«

»Vor dreißig Jahren?«

»Jawohl, das war vor Stanley und allen anderen.«

»Und war euch da nicht ein bißchen bange?«

»Wieso? Wir waren gut ausgerüstet. Jeder hatte einen Nigger mit sich mit einem Sack Salz als Handelsgut. Dazu hatten wir zwölf Flaschen Whisky. Die soffen wir gleich am ersten Tage aus. – Well, und dann gingen wir auf Negerpfaden in den Urwald und bis an den großen See und lebten von Hühnern und Eiern und ganz verdammt gutem Negerbier und waren überall die großen Bwanas in den Dörfern. Aber zwei von den Jungens starben am Fieber, Kamerad Bill wurde von einem Leoparden gefressen, ich selbst sah aus wie eine Leiche auf Urlaub, als ich wieder in Broken Hill ankam, aber eine schöne Reise war es doch, eine ganz verdammt schöne Reise!«

In dieser selben Nacht ging die Reise weiter mit dem Bauzug, der Steine nach der Spitze beförderte. Mit den Steinen reiste eine lebendige Fracht von etwa zweihundert schwarzen Arbeitern unter Führung eines jungen Deutschen. Dieser Jüngling konnte nach seinem Aussehen unmöglich viel mehr als zwanzig Lenze zählen, und doch hatte er schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Angefangen hatte er beim Freikorps in Oberschlesien, dann ging es nach Marokko zur spanischen Legion, von dort als Deserteur und blinder Passagier nach Südamerika, später Südwestafrika und endlich Angola, wo es ihm besser als irgendwo sonst gefiel, und das konnte man ihm nachfühlen, denn was konnte es Romantischeres geben, als so unter dem sprühenden Funkenregen der Lokomotive in die gewitterschwüle, wetterleuchtende Nacht hineinzufahren, derweilen links und rechts der Urwald wie eine schwarze Mauer stand!

Der Tag kam, aber noch immer war nichts zu sehen als die keuchende Lokomotive, die kauernden Neger auf den Wagen und immer und immer der unendliche Wald. Ab und zu sah man die niedrigen Grashütten der Bahnarbeiter, ab und zu huschte irgend etwas Lebendiges über die Strecke: eine Schar Affen, eine flinke Antilope oder ein langbeiniger Leopard, worauf dann der Zug still stand und jedermann auf die Jagd ging. Ein Leopard, der auf eine ziemlich lange Strecke etwa fünfzig Meter voraus einen Wettlauf mit der Lokomotive aufnahm, imponierte mir besonders.

Unter solch harmlosen Vergnügen kamen wir endlich am Endpunkte der Eisenbahn an.

»Villa Luz« stand auf dem Stationsschild.

An dieses Villa Luz werde ich immer denken, solange ich lebe; ich werde es in Erinnerung behalten als einen der trübsinnigsten, freudlosesten Plätze, denen ich je begegnet bin. Ein trauriges Nest am Rande des Urwalds und doch wieder ganz eine Talmistadt mit Prätensionen und Prätensiönchen und so etwas wie einer Großstadtreklame, zu der auf hundert Meilen im Umkreis die Neger des Urwalds herbeigeströmt kommen. Es war gerade Karnevalszeit, als ich ankam, und wenn in Villa Luz Karneval ist, so geht es dort weniger prunkvoll, weniger elegant und weniger dezent als in Lissabon zu. Dafür aber lauter und lärmender, mit gelegentlichen Messerstechereien und sonstigen hinterwäldlerischen Späßen. Acht Tage lang hockten sie im einzigen Wirtshaus am Platze, ohne daß man je wissen konnte, wo der Mensch anfing und die Maske aufhörte. Acht traurige, ungeduldige Tage, denn vor dem Aschermittwoch war niemand auf der Polizeistation, und ohne deren Brief und Siegel geht keiner in den Urwald. –

Aber einmal nehmen auch acht Tage in Villa Luz ein Ende. Meine Mohren hockten vor der Polizeistation, und der hochmögende Chef der Polizei las ihnen höchstpersönlich die Kriegsartikel vor. Dann setzte er mit großem Schwung seine Unterschrift unter das Dokument des Kontrakts, den er mir mit einer tiefen Verbeugung überreichte. Neugierig las ich den Namen:

»Dom Cavalho da Moskitos.«

Das war nicht eben vielversprechend für einen Anfang im tropischen Urwald.

Aber jetzt war keine Zeit mehr zu Betrachtungen. Ich zählte meine Karawane.

»Marsch!«

»Bom viagem!« rief der Polizeichef.

»Obrigado, senhor«, antwortete ich und versuchte dabei ein kühnes Gesicht zu machen, was mir jedoch nur teilweise gelang. Denn ganz geheuer war mir doch nicht zumute, während wir aus dem Ort hinausmarschierten auf der schlechten Straße, die sich bald verlor in einen engen Negerpfad, der sich vielgewunden durch den Busch schlängelte. Ein wenig schalt ich mich einen Narren, und das mit Recht. Seit Wochen und Monaten war es mir schon im Kopf herumgegangen und hatte sich immer mehr festgesetzt, je weiter ich reiste im Lande Angola:

Rhodesien!

Das war ein Land, das man gesehen haben mußte nach so vielen anderen! Aber der Weg war lang und gefährlich in Busch und Urwald, voll wilder Tiere und Menschen, in einer Wildnis, in der die Flüsse nur punktiert auf der Landkarte laufen und auf Tausenden von Meilen das Land noch so ist, wie es zu Stanleys Zeiten war. Dort durchzugehen, allein, nur mit einem Rucksack und dazu noch jetzt in der Regenzeit? So gut wie ein Selbstmord! Das war die Ansicht aller Kenner des Landes. Aber es ist eine alte Wahrheit, daß die Landeskenner gewöhnlich am wenigsten von ihrem Lande wissen. Und im übrigen war ich keineswegs allein. Ich kam mir ungeheuer gut ausgerüstet vor, ungefähr so wie Livingstone oder Stanley, beim Anblick meiner fünf Träger, von denen drei je einen Sack Salz als Handelsgut trugen. Safarizauber, wenn auch ein recht kümmerlicher und ersatzmäßiger, denn für die ganze Herrlichkeit – Gepäck und Lohn – hatte ich nur drei Pfund bezahlt.

Es war spät geworden über der Abreise von Villa Luz, und wir mußten uns beeilen, wenn wir noch vor Anbruch der Nacht nach dem nächsten Orte, Mujico, kommen wollten. Die gerade Entfernung war nicht allzuweit, nur einige fünfzehn bis zwanzig Kilometer, aber solche Zahl beweist nur den Abstand zwischen Theorie und Praxis, der in Afrika noch größer als anderswo ist. Negerpfade sind erhaben über die gerade Linie, denn warum den kürzesten Weg gehen, wenn es auch Umwege gibt? Einmal, vor tausend Jahren vielleicht, ging ein Neger diesen Weg nach seiner Phantasie. Ein anderer trat in seine Spur und so weiter und weiter, bis jeder Umweg geheiligt war. Gefallene Bäume machten nach und nach immer größere Umwege nötig, bis der Pfad zur heutigen Schlangenlinie wurde. Dennoch sind es in ihrer Art gute Straßen, mit einem Boden, der hart ist wie gepflastert und scharf abgeschnitten von der Dschungel, die zu beiden Seiten als eine grüne Mauer steht und oft wie ein Dom den Pfad überwölbt. Um die Mittagsstunden ist es hier heiß wie im türkischen Dampfbad, aber bei Einbruch der Nacht kommt ein eiskalter Hauch aus dem Dickicht. Bei Reisen im afrikanischen Busch ist nichts so ärgerlich wie die Nacht, die einen unterwegs überrascht. Denn sie kommt nicht langsam und bedächtig wie in anderen Zonen, sondern blitzschnell wie ein Raubtier in der Dschungel. Man sieht die Sonne langsam zum Horizont herabsinken. Eben hat man sie noch bestaunt in ihrer feurigen Glut, die alle Farben der Landschaft noch einmal aufleuchten ließ in tausendfacher Schönheit. Dann kriechen plötzlich wie die Gespenster die Schatten aus dem Busch. Und auf einmal ist es pechschwarze Nacht.

So war es auch diesmal. Der Pfad war vom Walde verschlungen und der Wald von der Nacht. Man stolperte über Baumstämme, man trat in eklige Pfützen, man schnitt sich die Hände blutig an den scharfen Halmen des hohen Elefantengrases. Wohin man schaute, leuchtende Millionen Glühwürmchen mit verwirrendem Feuer. Von fernher schimmerte ein helles Licht. Aber als wir herankamen, stellte es sich als brennender Waldkomplex heraus, wo ein Neger sein Land rodete. Alles in allem waren es die längsten zwanzig Kilometer, die ich je unter die Füße genommen habe. Aber auf einmal, als ich schon gar nicht mehr daran glauben wollte, öffnete sich der Busch, und im Licht der trüben Laterne lag die casa de commercio,Handelshaus das Handelshaus von Mujico.

Soweit waren wir, aber dennoch nirgendwo, und die Ausrüstung, auf die ich tags zuvor noch so stolz gewesen war, hatte sich auch schon als zu kümmerlich herausgestellt auf dem kurzen Wege von Villa Luz bis hierher. Der Kaufmann schüttelte auch bedenklich den Kopf über meine schäbige Karawane und erging sich in düsteren Prophezeiungen. Der Weg sei lang bis nach Rhodesien. Er selbst sei noch nie dort gewesen, wüßte auch nicht genau, wo es liege, so wenig wie irgendein anderer aus der Gegend. Jedenfalls müsse ich noch mehr Proviant, mehr Salz und noch einmal so viele Träger haben. Er wolle mir das alles zum halben Preise verkaufen, weil ich es sei und weil er Mitleid mit mir habe. So kaufte ich das, was mir fehlte und wozu ich mich beschwatzen ließ, und war ordentlich stolz auf mein Heer. – Ach, es war ein kurzer Stolz und eine kurze Freude! Wenige Tage nur sollten vergehen, ehe ich erfahren mußte, wie es auch anders und ohne das ging, wenn es müßte. –

Am anderen Morgen machte ich mich frühzeitig auf den Weiterweg. Der Aufbruch war kein leichtes Geschäft. Zum soundsovielten Male hatte ich die Häupter meiner Karawane gezählt. Bald waren es acht, bald zehn Mann. Noch nie in meinem Leben war ich Baas über so viele Menschen gewesen. Ich holte die Liste hervor, auf der sie alle registriert waren mit ihren sonderbaren Namen. Endlich hatte ich alle Nummern verglichen mit all den lieben Gesichtern, die ich nie auseinanderhalten konnte bis zum Ende der Reise, soweit sie dann überhaupt noch da waren, soweit sie nicht aufsässig geworden und Hartloop gemacht hatten. Doch ich will dieser Geschichte nicht vorgreifen. – –

Es war noch immer sehr früh am Morgen, als wir auf vielgewundenem Negerpfad in langem Gänsemarsch hinauszogen in den Busch. Die Sonne schaute eben über die Waldwipfel, und ihre Strahlen brachen sich millionenfach in den Tautropfen, die schwer von den hohen Gräsern hingen. Es war eine schöne Gegend mit waldigen Berghängen, die in vielfachen Schattierungen von Grün den Tälern zuneigten. Im Tale selbst rauschte ein lustiger Fluß, und das und die murmelnden Bäche und das Singen der Vögel und die frische, belebende Bergluft ließen ein fröhliches, heimatliches Gefühl aufkommen, als ob man nicht im afrikanischen Busch wäre, sondern in einem deutschen Waldgebirge.

Bald hatte der Busch alle Aussicht verschluckt, und der Pfad führte in unendlichen, ganz unmotivierten Windungen durch den Wald, der als eine grüne, undurchdringliche Wand zu beiden Seiten stand. Nichts Eintönigeres gibt es als den afrikanischen Busch. Immer sind es die gleichen Bäume, immer ist es das gleiche hohe Elefantengras, das einem ermüdend den Weg versperrt. Kaum ein Laut ist von nah und fern zu vernehmen, es sei denn das Schreien eines Geiers oder das Gurren einer wilden Taube. Es ist, als ob man allein unter allen Menschenwesen durch diese Waldwüste wandere. Und doch war allem Anschein nach die Gegend ziemlich dicht besiedelt. Alle Augenblicke wurden wir seitwärts in den Busch gedrängt durch Trupps, die mit Ladungen von Wachs, Erdnüssen und getrockneten Fischen vorüberzogen. Einige gingen unisono barfuß bis zum Halse, aber mit langen, haarscharf geschliffenen Lanzen. Dann wieder kamen Weiber mit Krügen auf dem Kopfe und Piganinis auf dem Rücken. Einmal kam einer des Weges mit einem schönen, fetten Huhn.

»Wie heißt das in deinem Lande?« fragte der Karawanenführer.

»Huhn«, sagte ich.

»Hunya!« riefen alle voll Vergnügen.

»Diese Hunya ist zu verkaufen für zwei Prata.«

Zwei Prata – das war gerade ein Eskudo, fünfzehn Pfennig! Die »Hunya« wechselte ihren Besitzer, und ich gab noch eine Prata als Trinkgeld.

»Das solltest du nicht tun«, sagte der Karawanenführer mit vorwurfsvoller Miene.

»Warum nicht? Es ist immer noch billig.«

»Ja, aber in Afrika reisen die Nachrichten schnell. Da weiß immer jeder alles, und wenn wir ins nächste Dorf kommen, so hat es sich herumgesprochen, und wir werden keine Hunya mehr bekommen unter zehn Pratas.«

Weiter reisten wir während des ganzen Tages, ohne je etwas anderes zu sehen als Busch und Gras. Erst gegen Abend begann es hell zu werden ringsum. Wir kamen durch Felder von hochgewachsener Hirse, Mussanga genannt, und ganz plötzlich standen wir mitten in einem großen Negerdorf.

Es war das erste Negerdorf, das ich so gesehen hatte, und es bot Grund genug zu erstaunten Betrachtungen. Nie hätte ich so etwas im dichten Busch vermutet! Hier war alles solide gebaut mit einer gewissen Kunstfertigkeit. Die Häuser aus Lehm mit Bastdächern, und neben jedem Haus ein aus kunstvollem Flechtwerk hergestelltes rundes, bienenkorbartiges Nebengebäude, das auf Pfählen ruhte und als Vorratskammer diente. Überall sah man Hühner und Schweine und Ziegen, man sah Maisfelder, die mitten in die Dorfgassen hineinwucherten. Noch ehe wir uns richtig niedergelassen hatten, wurde es plötzlich lebendig im Orte. Was an Frauen und Kindern vorhanden war, hatte sich zu einer langen Prozession formiert und kam singend und händeklatschend näher. Die Weiber hatten ihren feinsten Staat angelegt mit zahllosen Kupferringen an Füßen und Handgelenken. Die Kinder waren in nichts gekleidet als in ihre Ängstlichkeit, taten aber auch ihr Bestes. Nun standen sie in langer Reihe vor dem weißen Bwana und sangen ein langes Lied, während die Hände den Takt dazu klatschten.

Wie sie sich freuten, daß der Bwana zu ihnen gekommen sei, was für eine Ehre das sei, für das ganze Dorf. Und oh, oh, oh, gewiß habe der hohe Bwana auch Munkwa (Salz) für sie mitgebracht!

Nun kamen sie noch näher und knieten auf dem Boden und sangen lauter und wilder und rasselten mit den beringten Füßen, und die Augen funkelten, und sie bekamen eine tüchtige Portion Salz.

Denn Salz ist Gold in jenem Lande. Wer ohne Salz dort über Land reist, der gleicht einem Manne, der seinen Kopf vergessen hat.

Die Sonne sank. Die Feuer brannten vor der Hütte. Der Rauch zog fein und leicht über die Maisfelder. Um die Feuer unter den runden Vorratshütten saßen die Männer und hämmerten an den Baumfasern, die sie zu Tauen verarbeiteten. Von überall kam ein dumpfes Dröhnen, dort wo die Weiber in ihren Holzgefäßen die Mussanga stampften. Die Nacht stand still mit großen, funkelnden Sternen über Busch und Hütten wie der Abendfrieden über einem deutschen Dorfe. –

Am anderen Tage machten wir uns noch vor der Sonne auf den Weg, immer auf demselben endlosen Negerpfad, der stellenweise fast bis zur Unkenntlichkeit überwuchert war von dem scharfen Elefantengras, das jede bloße Körperstelle wie mit Messern schnitt. Im Gegensatz zum vorhergehenden Tage marschierten alle Träger dicht aufgeschlossen, und bange, erwartungsvolle Stille lag über der Kolonne. Denn die Gegend ist verrufen wegen ihrer Leoparden und sonstigen Raubzeugs. Buschneger sind zumeist besessen von einer uns Europäer oftmals grotesk anmutenden Angst vor wilden Tieren. Doch diese ist nicht unbegründet. Es ist ein Unterschied, ob man mit einem guten Gewehr oder nur mit Pfeil und Bogen durch den Busch wandert, aus dem jeden Augenblick auf drei Meter Abstand ein leichtfüßiges Ungeheuer sich seinen Braten holen kann. Glücklicherweise blieben wir verschont von solchen Überraschungen und kamen abends im nächsten Dorfe an, das nicht viel anders als das Tags zuvor verlassene ausschaute. Wieder wurden wir feierlich begrüßt von der Salzprozession, wieder brannten die Feuer, und vor allen Hütten dröhnte es von der Arbeit der Weiber, die die Mussanga stampften. Aber der abendliche Dorffriede wurde bedenklich gestört durch zwei Weiber, die sich keifend in den Haaren hatten. Der Streit gewann schnell an Umfang. Das ganze Dorf mischte sich in die Sache, und es war ein ohrenbetäubendes Geschrei. Aber plötzlich änderte sich die Szene.

»Dumba!« (Löwe!) ging es von Mund zu Mund. Alles stürzte Hals über Kopf in die Hütte und verrammelte sie mit Balken. Im Augenblick war es totenstill. Man hörte nur das Meckern der Ziegen in ihrem Stall. Dann ein dumpfes, heiseres Brüllen weit in der Ferne. Dann kam es noch einmal aus größerer Nähe. Dann wurden alle anderen Geräusche erstickt unter einem krachenden Donner, und ein Platzregen ging hernieder, wie man ihn nur in Afrika kennt.

Am anderen Morgen war nichts mehr zu sehen vom Löwen und seinen Spuren, und wir setzten getrost, aber immer noch etwas ängstlich, unsere Wanderung in der Wildnis fort.

Weiter ging die Wanderung und mit ihr alle Wunder und Schrecken, die einem Afrikareisenden nicht erspart werden, wenngleich sie anderer Natur sind als die, von denen sich der Laie eine Vorstellung macht.

In keinem Lande und unter keinen Umständen ist es eine reine Freude, wenn man Herr ist über viel Personal.

Viele Diener, viele Diebe.

Im Urwald aber wird so etwas zum Martyrium. Du kennst nicht die Sprache, du kennst nicht die Sitten dieser Menschen. Du wanderst fremd durch diese fremde Welt wie ein neugeborenes Kind. Für jede Wegstrecke, für jede Handreichung fast bist du auf die Hilfe dieser Kreaturen angewiesen und mußt doch zu jeder Stunde das kühne, unbekümmerte Gesicht des großen Bwana Sahib aufsetzen, der alles weiß und kann, mußt Meutereien ersticken mit eiserner Stirn, mußt nachts mit offenem Auge schlafen, wenn du am frühen Morgen noch etwas von deinem Proviant vorfinden willst.

»Haia Safari!«

Wie Hohn klingt das in meinen Ohren, wenn ich noch einmal die Schar jener klugen, allzu klugen Jungens vor meinem geistigen Auge vorüberziehen lasse. Da war z. B. Ogutu – so wenigstens beliebte er sich zu nennen für die Gelegenheit. – Er verdiente es, daß man ihm an jedem Morgen einen Tritt in den Bauch und fünfundzwanzig mit der Nilpferdpeitsche gab, aber er war der einzige, der etwas portugiesisch sprach, und so mußte man sich mit ihm abfinden. – Im Urwald lernt man, die Faust in der Tasche zu ballen!

Aber einmal hat alles ein Ende, sogar ein Negerpfad. Unversehens machte sich wieder so etwas wie Kultur in der Landschaft bemerkbar. Eine breite Straße, umsäumt von sauberen Hütten, eine Schar von mit europäischem Plunder behängten Eingeborenen, die uns schreiend das Geleit gaben. Schon standen wir vor dem Gebäude der portugiesischen Station Locusse. Sie ist der am weitesten in den Urwald hinein vorgeschobene Posten der portugiesischen Herrschaft in Angola.

Die Portugiesen pflegen ihre kolonialen Beamten nicht zu verwöhnen. Nichts von Whisky und Soda, von Tennisplätzen und von solchen Dingen. Als Neger unter Negern pflegt der Chefe de Posto zu hausen in einem strohgedeckten Hause, das noch nicht einmal Schutz gegen Moskitos bietet. Bacalão (Stockfisch) und Bohnen sind seine tägliche Mahlzeit, und sein einziges Vergnügen ist die schwarze Senhora, diese meist in der Mehrzahl. In solchem Menschen lebt irgendwo doch noch etwas von der Art der alten Konquistadoren, die einst Camoëns besungen. Ganz allein herrscht er in seinem Reiche und sieht auf Ordnung und hält sie auch und leistet oft erstaunliche Dinge, ganz ohne Mittel. – So auch der excellentissimo senhor von Locusse, mit dem und dessen schwarzer Senhora ich abends am weißgedeckten Tische vor der Petroleumlampe saß, während die Fledermäuse durchs Zimmer schwirrten.

Ah, es war alles wie ein Traum!

Am anderen Tage begann die Quälerei von neuem. Diesmal reiste ich in Begleitung des hochmögenden Chefe de Posto in persona, der unten am Lungo Bungo zu tun hatte. Er hatte für sich und mich je eine von Negern getragene Hängematte (Tipoya genannt) zurechtmachen lassen; denn – so sagte er – in diesem Lande seien die Neger die Pferde, und kein Christenmensch gehe zu Fuß. Im übrigen war er erhaben über jeden Luxus. Weder ein Zelt, noch ein Feldbett, noch ein Moskitonetz führte er mit sich. Und so etwas sollte man einmal einem englischen Kolonialbeamten zumuten! Auf alle Fälle war das Reisen in der Tipoya bequemer als die vorhergehenden Methoden, wenngleich man sich für den Anfang ein wenig deplaziert vorkam zwischen den scheinend schwarzen Rücken der menschlichen Lasttiere, aber man gewöhnt sich an alles und am schnellsten an die Allüren des Herrenmenschen.

Der Tag begann gut, aber ein Grauen überkommt mich noch heute, wenn ich an den Abend denke. Gegen Mittag waren wir aus dem Wald herausgekommen und wanderten durch eine schilfige, weithin überschwemmte Gegend. Trotzdem wir mitten in der Regenzeit waren, hatte das Wetter es bisher auffallend gut mit uns gemeint. Jetzt aber schien es das Versäumte nachholen zu wollen. Am östlichen Horizont kam ein Gewitter heraufgezogen, so schwarz wie ein Weltuntergang. Eines jener afrikanischen Tropengewitter, denen niemand mit schwachen Worten gerecht werden kann. Wie ein Höllenrachen zog es herauf; eine schwarze Wand, zerrissen von dem grellen Spiel phantastischer Blitze, deren Anblick die stärksten Herzen mit staunendem Grauen erfüllte. Ehe wir's uns versahen, kam die Sintflut. Am hellen Tage konnte man nicht drei Schritte voraussehen. Mitten im Regen kampierten wir auf freiem Felde, am Rande eines Baches, den wir nicht zu überschreiten vermochten. – Wohin in diesen Wasserfluten? Der Neger, als echtes Naturkind, ist im allgemeinen nicht in Verlegenheit, wenn es sich darum handelt, ein Unterkommen zu finden. Im stärksten Regen wird er sich binnen einer halben Stunde eine komfortable Hütte bauen, solange nur irgendwo ein paar Baumäste und ein wenig Gras aufzutreiben ist. Das größte Unwetter wird ihn nie daran hindern, auch ohne Streichhölzer ein Feuer anzuzünden. Bald standen die Hütten, und die Feuer brannten, aber immer neue, gewaltige Regengüsse löschten sie sofort wieder aus, und in den »Hütten« stand das Wasser noch tiefer als draußen im Freien. Die Donner rollten und krachten ohne Unterlaß.

War das eine Nacht!

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Gegen Morgen, als schon das erste Tageslicht durch die Baumkronen schimmerte, vernahm man ein dumpfes, seltsames Brausen. Schnell kam es näher, und ehe man noch wußte, wie es geschehen, war das Lager überschwemmt von dem Wasser des abwärtskommenden Flusses. Kisten und Kasten schwammen im Wasser. Eine reißende Strömung trug alles mit sich, was nicht von Baumwurzeln und dergleichen festgehalten wurde. Fast so schnell, wie sie gekommen, verlief sich die Flut, aber die Bescherung, die sie zurückgelassen, war genug, um einem ein Gefühl zu verursachen, so grau wie der Tag, der darüber dämmerte. Mehr als die Hälfte aller Vorräte war vom Strome weggetrieben, und was übriggeblieben, das war ein unappetitliches Durcheinander von Brot, Seife, Reis, Salz und solchen Dingen. Ratlos stand ich davor. – Was nun?

Der Chefe de Posto war fürs Umkehren, und ich war beinahe auch dieser Ansicht. Aber gleich besann ich mich eines Besseren. Umkehren? In meinem Leben war ich noch nie umgekehrt, und da sollte ich nun im Urwald damit anfangen? Aber wie nun weiterkommen? Wie den Bach überschreiten, dessen braune Wassermassen noch immer brausend und gurgelnd vorüberzogen?

»Faz ponte!« Brücke machen! kommandierte der Portugiese. Sogleich zerstreute sich ein Teil der Neger im Busch und fällte Bäume, während ein anderer Teil sich daran machte, mit ihren kleinen, wunderlichen Äxten die Stämme von ihrer Faser zu schälen, die in diesem rohen Zustand als Strick verwendet wurde, mit dessen Hilfe man Baumstamm an Baumstamm band, bis der Steg fertig war, auf dem einer nach dem anderen mit seiner Last zum andern Ufer balancierte. Es war eine Pionierleistung allerersten Ranges. Der Regen hatte inzwischen aufgehört. In den spärlichen Sonnenstrahlen trocknete ich meine Habseligkeiten, und nun erst fand ich heraus, wieviel mich die Nacht gekostet hatte. Mit neun Trägern war ich gekommen, nun konnte ich mit deren vier für die Tipoya fertig werden. Den andern weinte ich keine Träne nach.

Um Mittag brachen wir auf, der Chefe nach seinem Posten, ich zum Lungo Bungo. Keiner sprach ein Wort. Aber wenn je einem Menschen unangenehm zumute war, so mir in jener Stunde. Es war ein mühseliges Marschieren. Die Sonne brannte, weiße Nebel stiegen aus der dunstigen Landschaft. Immer wieder mußte ich an den langen Weg nach Rhodesien denken, an die tausend und mehr Kilometer durch Busch und Sumpf und an den wenigen Plunder, den ich mit mir führte. Einen Augenblick blieb ich stehen und lachte laut vor mich hin; ein wildes, freudloses Lachen. –

Aber es ist kein Unglück so groß, als daß es nicht noch schlimmer kommen könnte.

Bei dunkler Nacht kamen wir in einem kleinen Negerdorf an, wo mir alle Müdigkeit der vergangenen Tage auf einmal in die Glieder schoß. Ich legte mich unter einen Baum und schlief sogleich ein, ohne wie sonst den Proviant oder was davon übriggeblieben war, in Sicherheit zu bringen. Als ich aufwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. – Mein erster Blick war nach meinem einzigen Sack Salz, den ich aus der Katastrophe gerettet hatte. – Meine schlimmsten Erwartungen wurden bestätigt. Meine Trägerspitzbuben hatten in der Nacht die Gelegenheit wahrgenommen und sich eine tüchtige Mahlzeit geleistet. Um reichlich zehn Pfund war er leichter geworden. Ogutu, der Koch, hockte daneben, als ob er das beste Gewissen hätte

»Was soll das heißen?« fragte ich zornig.

»Wir haben Hunger«, antwortete er trotzig.

»So, Hunger habt ihr? Dann werdet ihr heute noch mehr hungern müssen. – Ruf mir die Träger.«

»Die Träger, Herr, sind sehr müde.«

Ich packte einen Stock und ging auf ihn los. Er lief davon und kam bald wieder mit den vier Trägern, deren langsamen Bewegungen man noch die gute Mahlzeit der vergangenen Nacht ansehen konnte. Störrisch schauten sie mich an. Störrisch maulten sie etwas, das Ogutu bereitwilligst übersetzte:

»Wir sind müde.«

»Und könnt ihr heute arbeiten?«

»Nein.«

»Und morgen?«

»Vielleicht.«

Ein wenig heiß lief es mir über den Rücken bei den Antworten, ein kaltes Gefühl der Verzweiflung erfaßte mich, wenn ich in ihre störrischen Augen schaute. – Meuterei? Hier im Busch? Nur jetzt die Nerven nicht verlieren, sonst war alles verloren! Ich faßte den Stock noch fester. »Ruhe!« donnerte ich sie an. »Und kein Wort mehr, ehe der Chefe de Posto gesprochen hat.« So ruhig, wie ich das unter den Umständen vermochte, zog ich irgendeinen alten Brief heraus, den ich mit gemessener Stimme verlas, während Ogutu übersetzte.

– Also, keinen Lohn sollte es geben bei Kontraktbruch, fünfundzwanzig mit der Nilpferdpeitsche acht Tage lang an jedem Morgen in Locusse, und der Himmel wußte wieviel Zwangsarbeit beim Straßenbau. Langsam las ich das, langsam übersetzte Ogutu. Dann wurde es still.

»Habt ihr's euch überlegt?«

Noch immer keine Antwort. Es war unheimlich. Ein sinkendes, schwindeliges Gefühl der Hoffnungslosigkeit kam über mich. Aber noch war ich Schauspieler genug.

»So werde ich allein weitergehen und dem Chefe de Posto berichten.« Ich packte meinen Rucksack und wandte mich dem Walde zu. Da luden sie ihre Lasten auf und trabten hinterher, als ob sich das von selbst verstünde. Ich aber ging weiter und schaute nicht rechts und nicht links und sah nicht den hellen Sonnentag und hörte nicht die Vögel, die in den Bäumen zwitscherten.

Für diesmal waren wir noch einmal um eine Handbreit an der Gefahr vorbeigekommen. Wer garantierte für morgen und übermorgen und all die vielen anderen Tage auf dem endlosen Wege? Wer konnte da überhaupt noch etwas wissen? Wie sollte man sich hier durchsetzen? Wie wollte ich Länder entdecken und Meutereien ersticken, ich hier in der Wildnis, mit nichts als einem Stecken? – Ah – wie?

»Kein Pfad mehr, Abgrund rings und Todesstille –
So wolltest du's! Vom Pfade wich dein Wille.
Nun, Wanderer, gilt's! Nun blicke kalt und klar.
Verloren bist du, glaubst du – an Gefahr!«

 


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