Max Eyth
Mönch und Landsknecht
Max Eyth

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IX.

Tief im Odenwald lag ein Dörfchen; es schien ganz eingeschlossen von dunkeln Föhren- und Buchenwäldern, die rings auf den Bergen herumliefen und sich selbst in das enge Tal hinabzogen, – da, wo dieses sich gegen Norden öffnen wollte und ein spiegelklarer, brausender Bach sich hindurchdrängte. Durch blumenreiche Wiesen, von dichtem Erlen- und Pappelgebüsche begrenzt, war er von dem Dörfchen herabgekommen, das er mit einer weiten Biegung freundlich umschlang. Die Häuser waren halb von Obstbäumen bedeckt, freundlich und hübsch, wenn auch klein. Auf einem Hügel, hoch über den anderen Gebäuden, stand ein neues Kirchlein, dessen helle Fenster in der Morgensonne sich spiegelten.

Es war ein Morgen im Monat Juli. Die Sonne schoß kaum seit etlichen Stunden ihre feurigen Strahlen über das Tal, als zwei Kinder, reinlich, wenn auch ärmlich bekleidet, am stillen Waldsaum hingingen. Jedes führte ein junges Kitzlein am Seil und ließ das lustig hüpfende Tierchen im üppigen Grase weiden, wahrend sie selbst am Rand des schwankenden Ährenfeldes, das an den Wald stieß, soviel blühende Kamillen ausrauften, als ihre kleinen Hände tragen konnten.

Jetzt schallten die hellen Töne zweier Glocken über die Felder. Die Kleinen legten ihre Blumen weg und falteten andächtig ihre Händchen. Nachdem sie leis ein kurzes Gebet gesprochen hatten, sagte das ältere Kind, auf das Geläute horchend, welches rings in den Wäldern das Echo weckte: »Du, Hänsle, magst du den Bernhard besser oder den Rudolf?«

»Ich weiß selber nicht recht«, meinte das kleinere; sich besinnend; »weil uns der Rudolf die Kettelein geschenkt hat, mag ich den besser; und weil der Bernhard unsere Mutter gesund gemacht hat, mag ich den Bernhard auch besser. Horch, wie sie singen!«

»Sie singen: Ein feste Burg –; das kenn' ich schon so«, meinte das ältere Kind; »das hat der Bernhard auch so die Leute singen gelehrt, wie sie ihm die neue Kirch' gebaut haben, daß er dableiben soll!«

»Ja, – und dem Rudolf haben sie auch ein Haus gebaut«, sagte das kleinere wichtig; »so schön wie ein Schloß, und alle Leute im Dorf haben dran geholfen. Sie sagen: der Rudolf ist unser König und der Bernhard ist unser –«

Ein Geräusch im Busch erschreckte den Sprechenden. Die beiden Kinder sahen um sich und waren nahe daran, Reißaus zu nehmen. Hinter ihnen stand ein Mann, groß und hager, in elende Bettelkleider gehüllt; sein schwarzes Auge blickte matt über das Feld, und ein struppiger, fast grauer Bart hing ihm vom Kinn herab.

»Ihr habt eine Kirche hier?« fragte er finster die Kleinen.

»Ja, Mann!« war die Antwort; »willst du unsern Pfarrer predigen hören? Es kommen immer viel Leute von überall her.«

»Habt ihr ihn schon lang?« fragte der Fremde gleichgültig weiter.

»Ja, schon lang!« versetzte das ältere; »und seitdem der und sein Bruder da ist, geht alles gut, – hat mein Vater gesagt!«

»Nun, wie heißt denn der Wundermann und sein Bruder?« spöttelte der Finstere und sah dabei aufmerksamer nach dem Dorf.

»Man heißt ihn eben Bernhard und seinen Bruder Rudolf!« antwortete der Kleine freundlich; »sein anderer Name ist so dumm; ich glaub', er heißt Pusch – Pusch – ich kann's nicht sagen!«

Plötzlich fuhr der Fremde auf; er ballte die zitternde Hand gegen den Himmel und rief dumpf: »O Kainsfluch!« Dann stürzte er flink, wie eine Katze, auf eines der Zicklein, riß ihm das Seil über den Kopf und verschwand im Busch. Weinend liefen ihm die Kinder nach, ohne ihn wiederzufinden.

In der folgenden Nacht war ein schreckliches Gewitter und am Tag darauf fanden etliche Holzbauern eine vom Blitz zerschmetterte Eiche. Unter ihr lag eine Leiche; ihr Hals war mit einem Strick zusammengeschnürt und hing an einem abgerissenen, schwarzgebräunten Ast. Sie trugen den Toten ins Dorf und um Mitternacht wurde der Leichnam des Selbstmörders still begraben.

Selbst Rudolf, selbst Bernhard konnten in dem gräßlich verzerrten Gesicht die Züge Roberts nimmer erkennen. –

Das Ende des Bauernkriegs ist bekannt. Florian Geyer und Metzler endeten auf dem Schafott; Jörg, der Landsknecht fiel, tapfer kämpfend, bei Frankenhausen.

Das Kloster Schöntal blieb seit jener Zeit von den Bauern verschont. Elias, der zum Abt gewählt worden war, führte so mild als möglich den Stab seiner Würde. Noch manchmal dachte er an seinen jungen, teuren Freund, und als er nach einer Reihe von Jahren starb, wäre es sein letzter, stiller Wunsch gewesen, wie Eberhard in den Armen des geliebten Ketzers zu verscheiden. –


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