Max Eyth
Mönch und Landsknecht
Max Eyth

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V.

Bis zum frühen Morgen hatte Bernhard in der einsamen Waldkapelle gebetet. Eine unerklärliche Furcht hatte ihn plötzlich befallen, eine Ahnung, die ihm selbst immer mehr begründet schien. Er suchte sie nicht zu unterdrücken; über kurz oder lang mußte ja doch die Prüfung über ihn hereinbrechen, worin sein junger Glaube sich bewähren sollte. Darum suchte er nur jene Freudigkeit zu erlangen, womit der Geist Gottes auch die schwersten Leiden in Wonne verwandeln kann. Und er hatte sie erlangt. Freudig stand er unter der hohen, altertümlichen Pforte und sah nach Osten, wo schon das purpurne Morgenrot strahlte und seinen Schein in den Teich warf, an welchem das ehrwürdige Kirchlein lag; freudig warf er noch einen Blick in die Kapelle zurück und zum Himmel empor, und freudig schritt er dann über die Wiesen, auf dem Wege zum Kloster hinab.

Nach einer kurzen, halben Stunde hatte er es erreicht. Noch war das hohe eichene Tor verschlossen, das in den Klosterhof führte. Bernhard pochte mit dem rostigen Ring und wartete lange, bis er endlich öffnen hörte. Doch nur das kleine Pförtchen, das sich etwas seitwärts befand, wurde aufgetan und dann sogleich wieder verschlossen. Auf die Frage, warum der Pförtner nicht, wie immer, das große Tor öffne, da es doch längst schon Tag sei, erhielt er nur die mürrische Antwort: daß heute den ganzen Tag niemand, außer den Mönchen selbst, aus- und eingehen dürfe. Verwundert hierüber schritt Bernhard in den Hof, um in seine Zelle zu gelangen.

Indessen hatte Robert mit teuflischer Verschlagenheit seine Maßregeln getroffen. Mit großer Gewandtheit war von ihm bereits ein leises Gerücht verbreitet, das sich von Zelle zu Zelle schlich, und von welchem niemand wußte, woher es kam. Bernhards Heuchelei und Ketzerei, hieß es, sei entdeckt worden; er habe die Nacht außerhalb des Klosters zugebracht und man werde ihn noch heute streng zur Verantwortung ziehen. Der Zweck, den Robert dabei im Auge gehabt, bestand darin, der Einkerkerung, ja vielleicht dem gewaltsamen Tode eines der beliebtesten Mitglieder des Klosters das plötzlich Überraschende zu benehmen, das seinen Plänen störend in den Weg treten konnte. Alles schien nach Wunsch zu gehen. Der herrschsüchtige, gewalttätige Abt war, wie er glaubte, bald gewonnen; der größte Teil der Mönche war wenigstens vorbereitet und von ihnen, denen Gehorsam und geduldiges Schweigen zur Gewohnheit geworden, fürchtete Robert am wenigsten ein Hindernis.

Jetzt hatte er sich in Bernhards Zelle begeben und fing an, diese mit emsiger Beharrlichkeit zu durchstöbern. Aber bereits hatte er von oben bis unten, vom Fenster bis zur Türe alles durchsucht, alles umgewendet, alles zwei und dreimal angesehen, und seine hastigen Bewegungen, seine ungeduldigen Blicke, seine gerunzelte Stirne zeigten immer deutlicher, daß er seine Absicht nicht erreicht hatte. Soeben war er wieder bis an die Türe gekommen und warf mißmutig die Holzscheite durcheinander, die vor dem Kamine lagen. Da gewahrte er auf dem Boden desselben eine Spalte, die ein Ziegelstein mit seinem Nachbar bildete und die ihm durch ihre Breite auffiel. Er blies die Asche weg, welche darüber lag; die Spalte wurde immer größer, etliche Kohlenstückchen rollten hinab und der Stein schien zu wanken. Robert glaubte sich seinem Ziele nahe. Mit freudiger Hast riß er den Stein vollends aus seinen Fugen und siehe da, in einer tiefen Höhlung schimmerte ihm ein weißes Tuch entgegen. Fast mit bebenden Händen griff er danach; er schleuderte es empor und aus den Falten rollte ein altes, schweres Buch. Es war das Buch, welches er suchte.

»Ich hab's! Ich hab's« jubelte er laut auf und preßte es mit funkelnden Augen zwischen die Hände. Aber wie erschrocken über seinen eigenen vorlauten Ausruf blickte er scheu und hastig empor und sah gerade vor sich, unter der Türe, den eben eintretenden Bernhard, welcher sprachlos bald Robert, bald die geöffnete Höhlung im Kamin anstarrte.

Doch bereits hatte sich Robert wieder gefaßt. Mit Blitzesschnelligkeit sprang er von den Knieen auf, warf das alte Buch Bernhard wütend ins Gesicht mit dem Ruf: »Da hast du's, verruchter Ketzer!« – riß es dann abermals vom Boden auf, stieß jenen tiefer in die Zelle hinein, stürzte selbst hinaus und schlug die Türe zu. Das Schloß knarrte und Bernhard hörte ihn davoneilen. Alles war das Werk einiger Sekunden gewesen.

Erst allmählich erwachte Bernhard aus der Betäubung, die dieser unerwartete Auftritt in ihm verursacht hatte. Allmählich wurde ihm auch der Zusammenhang klarer, in welchen er verwickelt war, und er sah wohl: auch ohne den Eid, der ihm die Zunge band, war eine Rettung kaum mehr für ihn möglich.

»Dies wäre es also!« sagte er mit freundlicher Miene und trat an das vergitterte Fenster. »Dies wäre es also, die herbe Prüfung, die ich zu bestehen habe! Nun, wie du willst, mein Gott! Laß mich leiden, laß mich sterben für dich! Nie kann ich ja vergelten, was du an mir getan. Laß mich nur würdig werden der Leiden, die du vielleicht über mich verhängt hast!«

Er schwieg und blickte sinnend an den klaren Himmel empor. Kurze Zeit mochte er so gestanden haben, – da knarrte wiederum das Schloß und zwei Laienbrüder, auf Roberts Anzeige vom Abte gesandt, traten mit zögernden Schritten ein. Sie blieben an der Türe stehen und keiner redete den Mönch an. Dieser wandte sich um und sagte freundlich zu ihnen: »Ihr wollt mich in den Kerker führen, liebe Brüder? Kommt, kommt! Ihr glaubt nicht, wie leicht und lieb mir der Gang ist, auf dem ihr mich begleiten sollt!«

Mit diesen Worten schritt er gegen die Türe. Er blickte noch einmal um sich, als ob er für immer aus der Zelle scheiden sollte, worin er so manche frohe, so manche herbe Stunde zugebracht hatte. Dann trat er hinaus und seine Begleiter folgten ihm.

Als sie durch die dunkeln, hohen Gewölbe hinschritten, begegneten sie einigen Mönchen, die sich, wie es schien, absichtlich in die Gänge gestellt hatten. Bernhard grüßte alle freundlich und von allen wurde sein Gruß mit trübem Ernste erwidert, aber hinter diesem Ernste hätte man wohl auch die Trauer vermuten können, womit man einen geliebten Freund zum Grabe geleitet.

Jetzt bogen die drei um eine Ecke und gelangten in ein niederes, dunkles Gewölbe, an dessen Ende die schwarze Kerkertüre lag. Dort sahen sie die weiße Kutte noch eines anderen Mönchs, der auf sie zu warten schien, aber schon ehe sie die Türe erreicht hatten, wieder stumm, doch sichtbar tiefgebeugt, in einem Seitengange verschwand.

»Das war der Bruder Elias!« sagte der eine der beiden Laienbrüder leise zu dem andern und schob die schweren Riegel zurück. Bernhard trat in das Gemach hinein; die Türe fiel wieder zu und auch die Laienbrüder schritten langsam und schweigend davon.

Er war allein. Erschöpft von den Anstrengungen und Aufregungen einer solchen Nacht, wie die verflossene, lehnte der junge Mönch seine Stirne an die kalten Eisenstäbe des Fensters und blickte hinaus, Doch die Aussicht in den düsteren Hof, welchen eine hohe Mauer umgab, und hinter derselben auf den schroff ansteigenden, unbelaubten Wald mochte wenig Tröstliches für ihn darbieten. Schweigend sank er auf das feuchte Stroh, das in einer Ecke lag, und verfiel bald aus Müdigkeit und Ermattung, aber fromm ergeben in alles, was da kommen mochte, in einen tiefen, ruhigen Schlummer.


Bereits war es Mittag geworden. Abt Eberhard schritt mit großen Schritten in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Manchmal blieb er nachdenklich stehen; dann durchlief er wieder hastig ein- oder zweimal den immerhin beschränkten Raum. Seine sonst so ruhigen, festen Züge verrieten eine ungewohnte Unentschlossenheit, aber kein Wort schlüpfte über die zusammengepreßten Lippen. Eine halbe Stunde, eine Stunde war vergangen und noch immer schien er nicht mit sich einig zu sein. Sein Gang war noch gleich hastig, gleich regellos; in seinem Angesicht arbeitete es noch immer gleich heftig. Da klopften drei leise Schläge an die Türe.

»Herein!« rief der Abt und mit einmal erschien er ruhig und ging der Türe näher. Diese öffnete sich langsam und Robert trat ein.

»Deus vobiscum!« sagte er ehrerbietig grüßend; »Ihr habt mich auf diese Stunde herbeschieden, ehrwürdiger Vater, und ich komme, Euren Entschluß zu vernehmen. Habt Ihr ihn gefaßt?«

»Ja, mein Sohn!« sagte der Abt.

»Und wie lautet er?« fragte der Mönch etwas bange und befangen.

»Ich werde ihm verzeihen!« sprach der Abt ruhig.

»Verzeihen? – Verzeihen, daß er ein Ketzer ist?« fuhr Robert heraus; »die Kirche verzeiht nur reuigen Sündern. Wißt Ihr wirklich, daß er bereut? Wollt Ihr das Verderben der hartbedrängten Gemeinde Gottes beschleunigen? Wollt Ihr mithelfen an dem Werk des Antichrists? Das sei ferne, mein Vater!« – »Seht«, fuhr er ruhiger fort; »Gottes Liebe hat mich zum Werkzeug ausersehen, jenen Heuchler zu entlarven, der sich in allen Herzen durch Lug und Trug eine Burg erbaut hat. Doch sein Ende ist gekommen. Seht«, – hier zog er die Bibel Bernhards aus seiner weiten Kutte, – »Gottes Finger hat mich selbst darauf gewiesen, hat mir selbst den verborgenen Winkel gezeigt, wo jener Bösewicht den Beweis seiner Sünden für immer vergraben glaubte. Ich übergebe dies Buch Euren Händen; macht damit, was Ihr wollt! Bleibt bei Eurem Entschluß oder verwerft ihn, um einen besseren zu fassen; ich werde stets glauben, daß Ihr handelt, wie es das Wohl der heiligen Kirche will!«

Nach diesen Worten wandte sich Robert um, um sich zu entfernen. Der Abt hatte indessen mit sichtbarem Erstaunen den Titel des ihm überreichten Buches gelesen und rief: »Bleibe, bleibe, mein Sohn! Erkläre mir, wie du zu diesem Buche gekommen! Ja, Gott sei's geklagt, ich habe dich schwer verkannt!«

»Das«, – sagte Robert, indem er sich wieder umwandte, – »das wußte ich vom ersten Augenblicke an. Ihr könnt Euch nicht denken, wie wehe es mir tat, von meinem Vater also verkannt zu werden. Aber die Zeit wird es ja bald genug lehren, was für ein Herz unter jeglicher Maske schlägt. So dachte ich und denke noch immer so.«

»Aber nochmals: wie kamst du zu diesem Buch?« fragte Eberhard dringender.

»Ich fand es in Bernhards Zelle, unter dem Kamin vergraben«, antwortete Robert. »Wie ich bereits gesagt: nur Gottes Finger konnte mich auf diese Spur geleiten.«

»Und hast du gar keine weitere Spur, wie Bernhard in dessen Besitz kam?«

»Keine einzige«, versicherte Robert; »nur daß er es besaß, hörte ich in der Umgegend vielfach sagen; denn schon lange suchte er die Leute damit zu verführen.«

»Und weißt du nicht, wes der Name ist, der auf dem Titelblatte steht?««

»Nein!« sagte der Mönch wieder mit neugierigem Tone.

»Das war sein Vater!« sprach der Abt und atmete tief auf.

»Sein Vater?« rief Robert.

»Gott weiß, wie er von seinem Vater, den er nie gekannt hat, von dem er keine Ahnung haben kann, dieses Buch erhalten hat, dessen Besitz nur unserem heiligen Vater in Rom zukommt!«

»Glaubt mir«, sagte der Mönch, »einer, der sich so listig bei jedermann anzuschmeicheln weiß, – der hat jene Hussitengeschichte leicht erfahren können.«

»Wie? Auch du kennst sie?« rief Eberhard und wurde noch blässer; – »doch, – dies gehört nicht hierher; sprechen wir von dem andern! Bernhard ist seiner Ketzerei überwiesen; ich seh's. Er soll bestraft werden und zwar bald. Geh deshalb, Robert, und berufe die sieben Ältesten sofort in das Zimmer des Konvents. Noch heute soll gerichtet werden.«

Robert entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung. Als der Abt die Tritte des Mönchs nimmer hörte, nahm er nochmals die Bibel und blätterte nachlässig darin. Doch bald schlug er sie zornig wieder zu und sagte leis: »Bei Gott, ich hätte es nie geglaubt. Jetzt muß es sein!« Dann holte er aus einem prächtigen ebenholzenen Schrank die Insignien seiner Würde und begab sich nach einiger Zeit mit ernsten, feierlichen Schritten in das Konventszimmer.

Auch Robert hatte bereits alle Mitglieder des klösterlichen Synedriums versammelt. Der lange Tisch, an dem sie sich niederließen, war mit schwarzen Tüchern verhängt. Obenan setzte sich jetzt der Abt, dessen strenge Miene womöglich noch ernster und härter geworden war. An seiner Rechten rückte der Prior, ein kleines, rotwangiges, feistes Pfäffchen, ungeduldig auf seinem Stuhle; denn er war durch die Berufung des Konvents in seinem Mittagstrunk gestört worden und hatte in der Eile einen Humpen des edelsten Ungarweins unzugedeckt stehen lassen, so daß er verduften konnte, – ein Unfall, der ihn jetzt sehr besorgt und höchst unmutig machte. – Auf den Prior folgten nach rechts noch drei, nach links vier Mönche, die getreuen Abbilder ihrer zwei Oberen, teils mit ernsten, abgemagerten, teils mit runden, fröhlichen Gesichtern (und dies war die Mehrzahl), denen man von weitem das Behagen und das Wohlleben ansah und worin besonders das handgreifliche Gefühl ihrer Würde eine fast komische Wirkung hervorbrachte. Unter diesen sieben saß auch Elias, der Bursarius, und blickte sinnend vor sich hin. Am unteren Ende der Tafel, dem Abt gegenüber, stand endlich Robert, ruhig und sicher. Kein Mensch hätte in diesen kalten, festen Zügen zu lesen vermocht, mit welcher bangen Sorge er die kommende Stunde erwartete.

Jetzt erhob sich der Abt von seinem prächtigen Amtssessel und sprach mit feierlicher Stimme:

»Friede sei mit euch und der Segen Gottes und aller Heiligen ruhe auf uns! Ich habe euch, meine lieben Brüder und Amtsgenossen, hierher berufen, um euch in einer peinlichen, mit menschlichen Augen schwer zu ergründenden Sache um Rat zu fragen. Ihr habt bereits vernommen, um was es sich handelt. Um so mehr bittet die Heiligen um ihren Beistand, daß sie eure Herzen erleuchten mit der rechten Weisheit, die nur von ihnen kommen kann. Höret denn also: Bernhard, der Sohn jenes Ketzers, der einst von unserem Kloster so große Wohltat empfangen hat, – Bernhard, der in diesem Hause von seiner Kindheit an leibliche und geistige Pflege und Nahrung genossen hat, ist schwerer Sünden und Verbrechen angeklagt. In der ganzen Umgegend soll er das niedere Volk zu Unzufriedenheit und Frevel aufgereizt haben. Unter dem Vorwand, in die Hütten der Armut Trost und Linderung zu bringen, sei er umhergeschlichen, habe ihnen die wenigen Güter, die uns Gottes unverdiente Gnade geschenkt, als übergroß vorgestellt und habe sie gesucht zu überreden, sogar unser friedliches Kloster zu überfallen und auszuplündern, wobei er ihnen von innen heraus behilflich zu sein gesonnen war. Da er aber nach Gottes gnädiger Fügung durch solche Reden wenig Erfolg gehabt und die Bauern sich mit Recht gescheut, also große Frevel gegen die heilige Mutter Kirche zu begehen, suchte er sie durch schnöde Verleumdungen gegen unsere gesamte Geistlichkeit aufzubringen. Aber auch dies mißlang und führte endlich zur Entlarvung des Heuchlers, die wir unserem lieben Bruder Robert verdanken. Indessen – das ist noch nicht alles. Bernhard ist zugleich der schändlichsten Ketzerei überwiesen. Er hat nicht nur überall die Lehren des erbärmlichen, siebzigmal siebenmal verfluchten Augustiners, Martin Luther, unter dem Landvolk verbreitet: – er hat sogar das Buch in Händen gehabt, das nur unser allerheiligster Vater in Rom zu besitzen würdig ist, weil er allein dessen Inhalt zu verstehen imstande ist, davon er uns mitteilt, soviel wir bedürfen, wenn der Heilige Geist ihm solches eingibt. Dieses Buch hat man bei Bernhard gefunden; hier ist es. Brauchen wir noch weiter Zeugnis, liebe Brüder? Was dünket euch? Was verdient ein solcher Heuchler, Verleumder, Verräter, Ketzer wie dieser?«

»Wahrhaft, er ist des Todes schuldig!« riefen einige der Versammelten zugleich und über Roberts Antlitz flog etwas wie höhnisches Lächeln.

»Das Urteil ist bei solchen Verbrechen schon gefällt; laßt uns eilen, es zu bestätigen und auszuführen!« sagte der Prior und dachte dabei wohl auch an seinen verriechenden Ungarwein.

»Stimmen hiermit alle überein?« fragte Eberhard.

»Wenn der Angeklagte überwiesen ist, – ja!« versicherte einer der Mönche.

»Wie schon gesagt«, entgegnete der Abt etwas ungeduldig; – »diese Bibel, die in seiner Zelle gefunden ward, beweist hinlänglich seine Ketzerei, die allein schon des Todes schuldig macht. Das übrige mit dem heiligsten Eide zu bekräftigen, erbietet sich unser Bruder Robert jeden Augenblick, wenn es verlangt wird.«

»Ist nicht nötig«, meinte der Prior und rückte mit dem Stuhl; »ich habe sein heuchlerisches Wesen doch immer gehaßt und hab' schon lange geahnt, wo's endlich hinaus will! Nun ist's gekommen, wie ich gedacht. Wollen wir den erhobenen Arm Gottes aufhalten in seinem Schwung? Nein, nimmermehr!«

»Es sind also alle mit dem Urteil einverstanden?« fragte der Abt nochmals.

Bei diesen Worten entstand eine lange Pause. Die Mönche schwiegen und blickten vor sich hin; der Prior wurde immer ungeduldiger; nur der Abt und Robert sahen starr und ruhig über die schwarze Tafel. Da erhob sich plötzlich Elias und sagte: »Verehrter Vater, sollten wir einem aus unserer Mitte das Leben nehmen durch einen vielleicht allzu raschen Spruch, ohne zuvor auch nur ein Wort aus seinem eigenen Munde anzuhören?«

Alles sah erstaunt auf den kühnen Sprecher. »Er hat recht!« sagte dort einer fast schüchtern zu seinem Nachbar. – »Welche Torheit, Bruder! Er ist ja ein Ketzer!« sagte ein anderer und suchte Elias auf seinen Stuhl niederzuziehen. – »Nein, er hat doch recht«, sprach dort wieder ein dritter etwas lauter. – »Sie sind von jeher Freunde gewesen, die beiden!« rief ein bleicher, ausgefasteter Mönch dem Abte zu und warf einen giftigen Blick auf Elias. – »Mit Ketzern – das weiß man von alten Zeiten her, – ist bös rechten!« sagte der Prior und sah dabei fragend nach Eberhard.

Dieser schien zu schwanken und hörte immer noch lautlos dem Streite zu, der sich leise, aber dennoch heftig, zu entspinnen begann.

»Wir wollen ihn hören! Man soll uns keine Ungerechtigkeit vorzuwerfen haben. Sogleich werde er herbeigeführt!« sprach endlich Eberhard gebieterisch, und wie mit einem Schlag verstummte das Geflüster der Mönche. Fragend, als ob sie ihren Ohren nicht trauten, sahen sie den Abt an, aber keiner erhob sich, um den Befehl des Abts auszuführen.

Da, zum erstenmal, stand Robert auf, der schon geraume Zeit unruhig dagesessen war. Seine feurigen Blicke ruhten fest auf Eberhard und er sprach: »Wißt Ihr auch, verehrter Vater und ihr, meine lieben Brüder, was ihr im Begriffe steht zu tun? Wißt ihr, daß ihr den verworfensten Menschen, der euch schon so oft und lange betrogen, herbeirufen wollt, um euch nochmals zu betrügen? Ihn, den verstockten Ketzer, dem das Heiligste nicht heilig ist, und dem die Kirche wie einer eklen, giftigen Schlange mit abgewandtem Gesicht den Kopf zertreten muß? Ihr seid die Stellvertreter der Kirche! Ihr müßt diese herbe Pflicht auf euch nehmen. Ihr dürft und könnt euch nicht weigern. Wozu diese schmerzliche Verzögerung? Wozu all diese Greuel nochmals aufdecken, ehe sie in die ewige Todesnacht versenkt werden? Gilt nicht auch hier das Wort: ›Ärgert dich dein Auge, so reiß es aus; denn wer mit dem Fleische rechtet, kann nicht das ewige Leben erlangen‹. Und ihr schwanket noch?«

»Du kannst vielleicht recht haben«, unterbrach ihn der Prior, der sich in seiner Würde verletzt fühlte, mit gereizter Stimme; »aber doch ziemt es sich für einen so jungen Konventualen wenig, im Rate der Alten, wo nur mir und meinem geliebten Amtsbruder ohne Erlaubnis zu reden gestattet ist, sich also keck des Wortes zu bemächtigen. Jedem das Seine! Die gute Sache hat noch Verteidiger übergenug und bedarf deiner vorlauten Rede nicht. Unserem ehrwürdigen Vater waren seine letzten Worte nicht vollkommener Ernst; des bin ich gewiß.«

»Hochgeehrter Vater, geliebte Brüder!« sprach jetzt Elias milde, ja fast bittend, da er den Eindruck seiner ersten Rede zu nichte werden und den sonst so festen, unerschütterlichen Abt abermals wanken sah; »nochmals sage ich: laßt euch nicht verleiten durch kindischen Leichtsinn; solcher gehört nimmer in unseren Rat. Prüfet alles und das Gute behaltet! Das Schlechte verwerfet immerhin, in Gottes Namen! Aber vergesset nicht die Mahnung des heiligen Apostels: ›Prüfet alles!‹«

»Bringt den Angeklagten her!« sprach jetzt Eberhard, der Abt, mit einem Tone, dem selbst Robert zu widersprechen nicht den Mut gehabt hätte. Zwei der Mönche erhoben sich zögernd und verließen das Gemach. Eine erwartungsvolle, peinliche Stille herrschte längere Zeit; niemand wagte ein Wort zu reden. Nur die Blicke der Anwesenden schweiften bald auf den Abt, der stumm und streng auf die Tafel hinsah, bald auf Elias, bald auf Robert, welcher womöglich, noch blässer, noch kälter, noch unbeweglicher dastand als zuvor.

Jetzt öffnete sich die Türe und alle Blicke flogen gespannt den Eintretenden entgegen. In der Mitte der beiden Mönche schritt Bernhard, noch mit dem Ordensgewande bekleidet. Sein Gesicht war etwas bleicher geworden; doch hatte der tiefe Ernst, der auf seiner hohen Stirne lag, jene freundliche Offenheit, welche aus seinen blauen Augen leuchtete, nicht zu verdrängen vermocht. Ruhig trat er auf den Abt zu, als ihm dieser winkte, und blieb dann mit einer ehrerbietigen Verbeugung zur Rechten desselben stehen. Als noch keine Frage an ihn gerichtet wurde, warf er einen treuherzigen Blick auf jeden seiner Richter, aber immer und überall erschreckte ihn ein gewisser verachtender, strenger Zug in ihren Mienen, oder jenes bittere, pharisäische Lächeln, das fast noch weher tut als rücksichtslose Härte.

»Ich darf wohl sagen«, begann endlich der Abt; »mit tiefstem Schmerze habe ich vernommen, wie schwere Fehltritte du begangen, wie du nicht bloß gegen uns alle, sondern selbst gegen die heilige Kirche den schwärzesten Undank auf dich geladen hast.«

»Noch weiß ich nicht«, sprach Bernhard, und seiner Stimme merkte man ein leises Zittern an, das sich jedoch schnell verlor; – »noch weiß ich nicht, wodurch ich einen solchen Vorwurf verdient hätte. Ich weiß nicht einmal, wessen und von wem ich angeklagt werde. Und jener Vorwurf muß mir um so weher tun, da ihn mir ein Vater macht, den ich stets von Herzen geschätzt und geliebt habe.« »Keine Redensarten, mein Sohn!« sprach der Abt; »die Zeit ist um, da du mich mit glatten Worten betören konntest.«

»Ich bin mir keiner Schuld gegen Euch bewußt, so wahr Gott lebt!« rief Bernhard ernst.

»Man will keine Entschuldigung hören!« warf der Prior ein; »man weiß ja wohl, ein Ketzer scheut die Lüge nicht!«

»Siehe, das Buch fand man in deiner Zelle«, fuhr Eberhard fort; »leugnest du, daß du es besessen hast?«

»Nein!« sagte der junge Mönch fest.

»Was wollen wir mehr?« rief der Prior und sah frohlockend zu Elias hinüber.

»Gestehst du«, forschte der Abt weiter; »daß du aus demselben verbotenerweise ketzerische Gesinnungen geschöpft hast?«

»Nein!« entgegnete Bernhard.

»Gestehst du«, fuhr der Abt fort, ohne diese Antwort zu beachten, »daß du, was das Verwerflichste ist, dieselben Gesinnungen mit vielen bösartigen, unwahren Zusätzen auch unter dem gemeinen Volk verbreitet hast, – daß du dir einen Anhang zu erwerben gesucht, – daß du, als dir solche Mittel nichts gefruchtet, schändliche Verleumdungen gegen das Kloster, die ehrwürdige Geistlichkeit, den Heiligen Vater, gegen die ganze Kirche mit Absicht und Eifer ausgestreut hast, – daß, du« – –

»Laßt mich zum Worte kommen!« bat der »Mönch.

»Ja«, fuhr jetzt der Prior hitzig fort, »daß du mit all diesen Mitteln bloß den Zweck erreichen wolltest, das Kloster bei Nacht und Nebel zu überfallen, es auszuplündern, und den Raub mit deinen Helfershelfern zu teilen? – daß du aber bei alledem stets noch den guten Schein bewahren wolltest, – daß du im Kloster deine Brüder mit schnöder Heuchelei hintergingst, draußen durch die häretischen Lehren des erbärmlichen Augustiners, die dir, Gott weiß, welcher Teufel zur Schande unseres ganzen Konvents eingegeben hat, den Leuten die Köpfe verdrehtest, – – ja, da sieht man wieder einmal, was im Grund diese verfluchten und ewig verworfenen Ketzer wollen. Geld und Gut wollen sie, saufen und fressen, buhlen und balgen, und dabei die Leute zu Heiden machen! Aber bei Gott und dem heiligen Stuhl Petri, nie hat der Orden des heiligen Dominikus ein solches Ungeheuer in seinem Schoße gehabt! Und noch weiß der Dominikaner seine Axt zu führen und den Scheiterhaufen zu bauen für solche abgefallene, widerspenstige Kinder der Bosheit!«

»Ich bin schändlich verleumdet!« sagte endlich Bernhard und seufzte tief auf.

»Willst du leugnen, daß du ein Ketzer bist?« schrie, jetzt der Prior wütend.

»Was nennt Ihr Ketzer?« fragte der junge Mönch ruhig.

»Ein Ketzer«, nahm nun wieder der gefaßtere Abt das Wort, »ein Ketzer ist der, welcher die Gebote der Kirche verachtet, den Geist Gottes, der aus dem Heiligen Vater zu Rom spricht, verschmäht und verlacht, – mit eigener Weisheit und Vernunft den dichten Schleier, der die wahre Religion umgibt, lüften will und Nebelgebilde für Religion hält; ein Ketzer ist jeder, der auf anderem Wege als durch die alleinseligmachende Kirche und ihre Lehre sein Heil sucht, und noch vielmehr, wenn er auch andere auf seinen falschen Wegen irreführt.«

»Dann bin ich ein Ketzer!« sagte Bernhard mit unbeschreiblicher Ruhe; »denn ich glaube, daß uns nur die freie Gnade Gottes in unserem Herrn Jesu Christo selig macht. Keine Heiligen, kein Papst, keine Priester mit ihrer Absolution und ihrem schnöden Ablaßkram können dazu ein Jota helfen. Ich' glaube, daß ein faules Klosterleben Sünde ist, – daß das gemeine Laienvolk um das Blut Jesu Christi bestohlen wird. Ich glaube, daß der Priester des Herrn dienen soll und nicht herrschen, arm sein und nicht prunken, beten und nicht fressen und saufen. Ich glaube, daß jedermann selbst denken darf und forschen in dem teuren Worte Gottes. Ich glaube, daß der Heiland jeden bußfertigen Sünder annimmt, sei er Jude oder Grieche. Ich glaube, daß wir, wir alle, das Volk niedergedrückt haben in Dummheit und Roheit, und daß wir es wieder heben müssen, wollen wir anders dem Zorne Gottes entrinnen. Dies ist mein einziges geheimes Streben gewesen, für das ich lebe und sterbe. Dies und nichts anderes habe ich dem nach Gnade schmachtenden Kranken, dem in Hunger und Not verzweifelnden Bauern gesagt. Bei Nacht und Nebel mußte ich das teure Wort von Hütte zu Hütte tragen. Gott sei's gedankt, jetzt ist auch diese Fessel gesprengt. Ich dulde, ich sterbe, wie er es will!«

»Der leibhaftige Luther!« rief der Prior. »Was? Wir seien schuldig an dem Elend des Bettelvolks? Vertilgt die Schlange vom Erdboden, zertretet dieses giftige Gewürme! Was, wir? – wir?« –

Es entstand ein wilder Tumult im Saal, der den heftigen Prior nicht weiterreden ließ.

»Stille!« rief Eberhard mit Donnerstimme; dann, als das Geschrei sich gelegt hatte, fuhr er fort: »Sprich, woher hast du dieses Buch?«

»Dies zu wissen, kann Euch gleichgültig sein«, antwortete Bernhard»; »doch möget Ihr es wohl erfahren. Ich habe es von meinem Vater!«

»Was?« rief der Abt erstaunt; »von deinem Vater?«

»Ja; ich habe ihm in seiner Todesstunde beigestanden; er starb vor etlichen Monaten zu Jagsthausen in des Götzen Schloß.«

»So!« sagte Eberhard kalt.

»Schlägt Euch das Gewissen nicht?« fragte der junge Mönch bitter und gereizt, als er alle diese starren, gleichgültigen Gesichter der Reihe nach betrachtete. »Ich habe ihm das Mahl des Herrn gereicht und er vergab Euch!«

»Schuld auf Schuld!« schrie der Prior; »jetzt hat er auch noch die heiligen Gefäße Gottes entweiht, der Tempelschänder! Wie lange wollt Ihr ihn noch hören?«

»Nun« – rief Bernhard, plötzlich ergrimmt; »so tut am Sohne, was Ihr am Vater tun wolltet, – einen Mord!« – Noch gleich darauf fuhr er erschrocken zusammen; seine geröteten Wangen wurden bleich und aus seinen Augen stürzte ein Strom von Tränen. »O vergib, vergib mir, lieber Heiland!« flüsterte er leise; seine ganze Körperkraft schien mit einemmal gebrochen; er lehnte erschöpft an der Wand.

»Er bereut, er bereut!« frohlockte der Prior.

»Bereust du, mein Sohn, daß du dich gegen uns und die heilige Kirche versündigt hast?« fragte der Abt, der sich sichtbar zusammennehmen mußte.

»Ich bereue nur«, sagte Bernhard fest; »daß ich nicht früher schon meinen Herrn bekannt habe. Dies tut mir schmerzlich weh; aber bis zum letzten Atemzug beharre ich auf dem heiligen Worte Gottes.«

»So führt ihn ab!« befahl Eberhard mit der alten Strenge; »aber – noch eins! Wo warst du in vergangener Nacht? Hast du nicht einer verbotenen Versammlung angewohnt, um die armen Leute zu verführen? Sprich!«

Der Mönch schwieg; alles blickte gespannt auf ihn. Robert, der bis jetzt beständig auf den Boden gesehen, mußte, wie von einer unsichtbaren Macht gezwungen, stier die Augen erheben, um sie sogleich wieder vor dem strafenden, vorwurfsvollen und doch so milden Blick des Jünglings, der fest auf ihm ruhte, niederzuschlagen. Er zitterte am ganzen Leibe vor Furcht und Aufregung.

»Hierüber werde ich schweigen bis zum Tode!« sagte Bernhard endlich mit ruhiger Stimme.

»An seiner rechten Schulter sind Blutspuren und ein Riß an der Kutte«, sprach der Abt; »fort mit dem Bösewicht!«

Die beiden Mönche, welche Bernhard herbeigeführt hatten, erhoben sich wieder und verließen mit ihm auf Eberhards Befehl lautlos das Gemach. Eine Zeitlang herrschte wieder tiefe Stille im Kreise der Richter. Dann erhob sich der Abt abermals und sprach: »Es war von jeher Sitte, die Ketzer mit Feuer zu vertilgen und ihre Asche in alle Winde zu zerstreuen. Bernhard wird dasselbe Los treffen. Seid ihr damit einverstanden?«

Die Richter schwiegen; da sagte Robert: »Es wird wohl schwer sein, dieses Urteil auszuführen, ohne daß ein Tumult unter den Bauern entsteht, von denen er, Gott sei's geklagt! einen gar so großen Anhang um sich gesammelt hat«.

Wieder saßen die Mönche sinnend und schweigend da; tiefe Dämmerung herrschte bereits in dem Gemach. »Und welche Strafe wollt ihr an die Stelle des Feuertodes setzen?« fragte der Abt. – »Nun wohl«, fuhr er nach einigem Bedenken fort; »sein freches Lästermaul soll langsam in den finsteren Gewölben verdorren. Er hat es zehnfach verdient, lebendig begraben zu werden.«

Den Mönchen schauderte es den Rücken hinauf; ihr leises: »Ja!« bezeugte, wie schwer ihnen doch dieser fürchterliche Spruch wurde. Bald darauf entfernte sich einer nach dem andern still aus dem Saal und ohne ein Wort zu reden, ging jeder in seine trübe Zelle zurück. Nur Robert, Elias und der Abt blieben noch in dem dunkeln Zimmer beieinander.


Bernhard saß wieder gedankenvoll auf der feuchten Steinbank, die an der Wand seines Gefängnisses hinlief. Er wußte jetzt, was ihm bevorstand; er wußte, daß er um seines Heilandes willen sterben müsse, daß er verachtet und verkannt selbst von seinem besten Freunde, den er in seinem kurzen Leben je gefunden hatte, einen bitteren Tod erleiden müsse, und nur diese Verkennung schmerzte ihn tief. Aber auch dieses Gefühl einer so gerechten Wehmut hatte er endlich niedergerungen und mit ernster, ruhiger Freudigkeit sah er seinem nahenden Geschick entgegen. Ohne eigentlich zu wissen, warum, harrte er schon geraume Zeit auf das Abendläuten; der fromme, echt altchristliche Ton der Glocke, die dem mühevollen Tag ein letztes, dankbares Lebewohl nachklingen ließ, hatte ihn schon so manchmal erquickt und wunderbar gestärkt; auch jetzt wieder wollte er sich den sanften Herzensfrieden hineinläuten lassen, aber – die Glocke schwieg. Schon war es finstere Nacht um ihn her und noch immer hatte er nichts vernommen; doch jener Friede braucht ja kein Geläute; er kommt ja so gerne auch in der stillen Nacht, und er kam. Halbschlummernd, in unschuldiger Sicherheit lehnte der junge Mönch an der Wand und vergaß fast, daß dort in der Ecke rostige Ketten lagen, die vielleicht für ihn bereit waren,– vergaß, daß die bittere Prüfung so nahe war, vor welcher gewiß mancher andere gezittert und gebebt hätte.

Jetzt knarrten die Riegel; die schwere Türe öffnete sich seufzend und langsam; ein dünner Lichtstrahl flimmerte matt an den feuchten Wänden und der Kerkermeister trat ein.

»Hier habt Ihr Euer Abendessen!« sagte er und stellte einen Wasserkrug und ein Brot auf die Bank; »laßt's Euch noch einmal schmecken!« – Er hatte diese Worte auffallend betont und wandte sich, indem er sein Lämpchen zurückließ, rasch um.

»Ei, was soll denn das ›Ihr‹ und das ›Euch‹, lieber Bruder?« rief Bernhard erstaunt; »nein, so fremd sind wir uns doch nicht geworden in drei Stunden.«

»Ihr habt Euch selbst so fremd gemacht«; sagte der Kerkermeister, stehenbleibend; »aber – Ihr dauert mich doch!«

»So sagt mir«, bat der Gefangene, »warum hat denn heute die Abendglocke nicht geläutet? Dies ist ja noch nie geschehen!«

»Euch zulieb, Euch zulieb!« entgegnete der Mönch schnell und öffnete die Türe wieder, um hinauszugehen.

»Nehmt das Lämpchen mit; ich brauch' es nicht!« rief ihm Bernhard traurig nach.

»Ihr braucht's vielleicht doch noch!« war die fast höhnisch klingende Antwort und das Schloß der schweren Türe fuhr zu.

Bernhard blieb sitzen, wie er gerade saß; er starrte in die rötliche Flamme, die flackernd in dem kleinen Ölschüsselchen brannte, und dachte über die Worte des Kerkermeisters nach. »Es muß sich bald entscheiden; vielleicht ist schon alles entschieden!« – sagte er ruhig vor sich hin; »doch was kann geschehen, ohne daß du es wolltest, Herr im Himmel? Dies ist mir mein süßester Trost; laß ihn doch immer fester in meinem wankenden Herzen Wurzel fassen!« Der Kopf Bernhards sank auf die Brust; er schien zu schlummern. – Doch nicht lange durfte er die erquickende Ruhe genießen, die ihn nur zu neuen Leiden stärken sollte. Wieder nahten sich Tritte, die Riegel knarrten an der Kerkertüre und ein anderer Mönch schlüpfte leise herein. Bernhard fuhr aus seinem Schlummer empor und trotz dem matten Zwielicht, das die Lampe verbreitete, erkannte er sogleich an dem stillen und doch so festen, sicheren Auftreten den Bruder – Robert.

»Was willst du hier?« fragte er mit einer vor Erwartung und Staunen fast zitternden Stimme. Der Mönch wandte sich nochmals um, öffnete die Türe wieder und sah lange in den finsteren Gang hinaus. Endlich schien er sich überzeugt zu haben, daß ihm niemand folge. Er schloß das schwere Tor und sagte höhnisch:

»Was ich wolle? Beichten sollst du mir, lieber Bruder Bernhard, – beichten und deine Ketzerei und schändlichen Anschläge gegen unser liebes Kloster gründlich bereuen, ehe der Morgen kommt; denn noch diese Nacht – ich will's kurz machen; – noch diese Nacht – nun, brauchst die Augen nicht soweit aufzureißen, mein lieber Sohn! – noch diese Nacht sollst du – wirst du« –

»Was werde ich?« rief Bernhard und sah mit Schrecken die teuflische Lust, die aus Roberts Blicken sprühte.

– »Begraben sein!« endete der Mönch mit eisiger Kälte. – »Nun, du willst mir nicht beichten?« fuhr er im vorigen Tone nach einer Pause fort, in der sich Bernhard zu sammeln versucht hatte; »was erschrickst du denn so gewaltig? Mit dem Sterben eilt's ja noch nicht; in drei Tagen kannst du eher dran denken. – Hast du denn gar nichts zu bekennen, du unschuldiges Lämmlein? Wahrhaft ich hab' mir viele Mühe geben müssen um dich; denn ein Ketzer, wie du, braucht gar wohl eine so wirksame Absolution wie die meinige. Viel tausend Worte hat mich's gekostet, diese meine Pflicht erfüllen zu dürfen; denn sieh, dein Freundchen, der Elias, hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt beim Abt. Ich will's ihm einmal entgelten, dem frommen Bruder! Er wollte selbst zu dir; aber das dürft' ich ja nicht dulden; du weißt ja: warum, nämlich' wegen deines Seelenheils. Nun, warum sprichst du so gar nichts, mein Söhnchen? Ist dir nichts an dem Heil deiner Seele gelegen? Ist dir's sogar gleichgültig, ob du in drei Stunden in deiner armen Zelle oder unter den feuchten Steinplatten der Gruft deine ketzerischen Lieder wimmerst?«

»Verbittere mir nicht meine letzten Stunden mit deinem Hohn!« bat Bernhard; »es könnte dir doch genug sein, mich soweit gebracht zu haben!«

»Hast recht«, entgegnete Robert; »und wenn du mir eben gar nichts zu beichten hast, so will ich doch dir etliches sagen, 's ist nur, damit die Zeit herumgeht und die da draußen meinen, wir hätten einander auch gehörig die Hölle heiß gemacht und wacker miteinander gebetet. Das Fasten wird bei dir schon von selber nachkommen, denk' ich.«

»Gib mir nur meine Bibel wieder, die du mir genommen hast«; bat der Gefangene; »dann erlass' ich dir gerne Beten und Beichtehören und verzeih' dir von Herzen alles, was du sonst an mir getan!«

»Sollst sie haben, verstockter Ketzer!« rief Robert und unterdrückte mit den letzten Worten die leise Bewegung, die sich bei den ersten seiner bemächtigt zu haben schien. »Doch« – fuhr er dann fort; – »damit du mich nicht für allzuschlecht ansiehst, – wir dürfen ja nun ohne Masken einander ins Gesicht schauen und du brauchst dich jetzt auch nicht mehr zu verstellen, – du hast in geistlichen und ich in weltlichen Dingen das Kloster betrogen. Brauchst dich nicht so unwillig umzuwenden! – ich weiß es wohl und am Ende kommt beides aufs gleiche hinaus. Kann ich dafür, daß du mir in den Weg gekommen? Jeder hilft sich selber und bei Gott! ich bin meine Handlung der halben Welt schuldig. Wenn das gelingt, was wir seit lange im stillen wirken und schaffen, wird nicht bloß das ärmliche Klösterlein ein wenig anders werden; auch ich hoffe, nimmer so einsam und vergessen in diesen Mauern zu vermodern. Hoheit und Größe – das ist mein erstes und letztes Wort und die Rache muß mir mein Schwert bringen. Darf ich bei solchem Ziel ein paar Tropfen Blut scheuen? Das wäre Tollheit!«

Robert schwieg und sah zum Gitter in die schwarze Nacht hinaus, während Bernhard in Gedanken versunken am Tische lehnte. Endlich fuhr der erstere fort:

»Nicht wahr, ich sage dir bittere Wahrheiten, die deinen schwachen, frommen Kopf dir ein wenig verwirren? Ich könnte dir noch mehr sagen; denn du wirft's ja nur kahlen, stummen Wänden zuheulen. Aber du wirst satt sein, denk' ich.«

Wieder entstand eine tiefe Stille zwischen ihnen. Bernhards fest zusammengepreßten Lippen entschlüpfte kein Wort.

»Du wunderst dich vielleicht, daß mir der Abt so schnell geglaubt?« sagte jetzt Robert; »das kam daher: wie er merkte, daß du wußtest, wer dein Vater sei, schlug ihm das Gewissen ein wenig und er fürchtete sich vor dir. Der gute Mann meint noch immer, kein Mensch wisse mehr, daß er jene Hussitenjagd veranlaßt, um bald ein Abt zu werden. Doch – ich will dich nimmer belästigen. Dein Ketzerbuch sollst du bekommen. Vielleicht ist dir's lieber als ich und das ganze Klerus- und Laienpack zusammen!«

Robert wandte sich gegen die Türe und rief, indem er sie öffnete, mit höhnischem Gelächter: »Gute Nacht, Bruder Bernhard!« »Gute Nacht, Robert!« entgegnete Bernhard ruhig und freundlich! »gebe Gott, daß du nicht einmal schrecklich aufgeweckt wirst aus deinen blutigen Träumen!«

Der Mönch war bereits verschwunden. In heißem, glühendem Gebet sank der Gefangene auf die kalten Steinplatten nieder: doch kaum hatte er recht innig seinen Heiland in den stillen Kerker gerufen, so öffnete sich wieder eine Spalte der Türe und von unsichtbarer Hand geschleudert flog ein Buch auf ihn zu und fiel flatternd zu seinen Füßen nieder. Mit freudiger Hast hob er es auf; es war ja sein einziger Schatz, seine Bibel.

Das kärgliche Licht der Lampe war ihm jetzt ausreichend, die teure, vergilbte Schrift zu entziffern. Nichts störte mehr den Flug seiner Gedanken nach oben; denn seine Augen begegneten, wohin er blicken mochte, nur den grauen, kahlen Kerkerwänden, und sein Ohr traf nur das leise, ferne Rauschen des Windes, der manchmal schüchtern um das Gitterfenster flüsterte. Aber die Nähe Gottes hatte ihm diese schauerliche Einöde in ein heiliges, stilles Paradies verwandelt, das er mit keinem andern, noch so herrlichen Glück vertauscht hätte.

Mitternacht mochte vorüber sein und noch immer saß er an dem steinernen Tisch, bald in das heilige Buch vertieft, das aufgeschlagen vor ihm lag, bald in Gedanken versunken, aber in seinen ernsten Zügen spiegelte sich die reinste, innigste Freude. »Herr, dir sei's gedankt!« rief er jetzt und faltete die Hände über die Bibel; »jetzt habe ich allen, allen verziehen durch deine Kraft, du treuer Helfer!« Er schwieg wieder und schien auf den Wind zu lauschen, der schwere Regentropfen ans Fenster trieb und stürmisch durch die Spalten sauste, so daß das Flämmchen in der Lampe unstät hin und her flackerte. Aber das Sausen des Windes war es nicht, worauf er lauschte, sondern Gottes Geist hatte ihm durchs Herz geweht und ihn gestärkt zu dem herben Leiden, dem er entgegenging.

Plötzlich hörte er einen zitternden, leisen Klang. Einen Augenblick war's wieder stille, aber gleich darauf hallten die durchdringenden, fieberhaft schnellen Schläge der Totenglocke durch das düstere Gemach. »Es ist Zeit!« sprach es in ihm und er stürzte mit dem Ruf: »Ein' feste Burg ist unser Gott!« auf die Kniee nieder. Da erscholl vom Turme herunter auch der tiefe, feierliche Klang der großen Glocke, und sogleich wurden all die andern ernsten, ehernen Zungen gleichfalls laut und riefen mächtig durch die schweigende Nacht: aber immer noch tönte das Totenglöckchen zwischen ihre dumpfen Stimmen so höhnisch, so schrill hinein, als wollte es mit seinen hastigen Schlägen alle andern übertäuben.

Jetzt nahten sich Tritte; die Türe öffnete sich; der Kerkermeister trat wieder herein.

»Seid Ihr bereit?« fragte er und blickte mitleidig lächelnd auf den betenden Mönch.

»Ich bin's!« rief dieser freudig und stand auf. Er schlug die Bibel zu, die noch auf dem Tische lag, und steckte sie zu sich. Das Lämpchen daneben flackerte gerade zum letztenmal auf und erlosch.

»So folgt mir!« befahl der Kerkermeister und leuchtete mit seiner Lampe voran. Schweigend durchschritten sie die hochgewölbten Gänge, in denen nur ihre Tritte von einem Ende zum andern widerhallten; denn die Glocken hatten aufgehört zu läuten. Schon waren sie an der Türe angelangt, welche einen Seitengang der Kirche mit dem Kloster verbindet. Zwei Mönche standen dort leise flüsternd in einer Nische und traten, als der Kerkermeister mit dem Gefangenen nahte, hervor, um diesen in ihre Mitte zu nehmen. Jener löschte seine Lampe aus und öffnete leise die Pforte. Sie schlüpfen hinein. In dem Querbau, der sie aufnahm, war es finster und eine drückende Stille herrschte in den weiten, kalten Räumen; nur vom Hochaltar her tönte die monotone, leise, singende Stimme des Abts, der die Messe las, und verhallte unmerklich in den Winkeln der Kirche. Sie traten jetzt gegen den Chor. Ernst und schweigend und von dem matten Schein der sieben Kerzen kaum erleuchtet saßen dort die weißen Gestalten der Mönche in ihren Stühlen. Fast keiner wagte aufzublicken, als Bernhard an ihnen vorübergeführt wurde. An einem abgesonderten Plätzchen nahe beim Altar war für ihn ein Stuhl aufgestellt, wo er das Ende der Messe erwarten sollte.

Es kam. Das uralte, erhabene: »Heilig! Heilig! Heilig!« schallte feierlich durch die ernsten Hallen und beschloß den Gottesdienst. Aber die Mönche entfernten sich nicht, wie sonst gewöhnlich, sondern blickten alle unverwandt nach der Seite, wo im Zwielicht kaum sichtbar Bernhard noch immer ruhig dasaß und sein Schicksal erwartete.

Jetzt nahten sich ihm zwei der Mönche und führten ihn gegen den Altar. Auf der untersten Stufe befahlen sie ihm stehenzubleiben und entfernten sich dann, während noch immer der Abt oben am Altar sich betend hin und her bewegte und ihm den Rücken zukehrte. Es entstand eine lange, drückende Stille, nur von den leise rauschenden Gewändern des Abts unterbrochen, dessen Tritte man auf den weichen Teppichen nicht zu hören vermochte. Die sieben Kerzen waren tief herabgebrannt und der schlaff herniederhängende Docht trübte nur noch mehr den matten Schein ihres Lichts. Eine Eule mußte um die Decke und um die Säulenknäufe flattern; denn man hörte ihren trägen, leisen Flügelschlag und ihr schweres Seufzen; aber niemand konnte sie in der tiefen Finsternis erkennen, und doch vermochte sich manches Herz eines schnelleren Pochens nicht zu erwehren, wenn der unheilbringende Nachtvogel über ihre Köpfe hinflog.

Der Abt wandte sich um. Segnend erhob er die Hände über die Versammelten und sprach mit feierlicher, strenger Stimme:

»Segen und Glück und den Gruß Gottes denen, so er erwählt hat zu seinem auserwählten Volk! Fluch aber und Elend und den ewigen Zorn Gottes denen, so ihn verlassen haben, und haben seine Gebote verlacht und mit seinem Grimm gespielt in ihrer sündigen Torheit!«

Hier hielt der Abt einen Augenblick inne und fuhr dann gegen Bernhard gewendet fort:

»Auch dir gilt dieser ernste Gruß, der du zitternd am Fuß des Altares stehst und den Zorn Gottes, den du zehnfach über dich herbeigerufen, nun ausbrechen siehst über deinem Haupte, – der du, wenn es Gottes Wille ist, vielleicht jetzt zerknirscht und zermalmt von dem Bewußtsein deiner Schuld um Gnade flehst! Sie sei dir gewährt! Ja, staunend höre das Wort, das die heilige Kirche durch ihre Diener zu dir spricht, – das Wort, das du niemals erwarten durftest, und das du nicht ahnen konntest ohne ihre grenzenlose mütterliche Liebe. Die Gnade ist dir gewährt! Nur eins verlangt sie dagegen von dir, das zu deinem eigenen Seelenheile dienen soll, – nur eines, das Kleinste, Leichteste, das sie in ihrer Langmut verlangen konnte. Entsage deinen ketzerischen Irrtümern, entsage deinen eiteln, sündhaften Plänen, kehre zurück in den erbarmungsreichen Schoß der Kirche, die dich bei deiner Geburt den Krallen des Satans entrissen hat, – werde denen wieder ein Bruder, die dich solange mit Wohltat und Liebe überhäuft haben. Kannst du zaudern? Wir wissen alle, was du antworten wirst; denn dein Herz ist gut, wenn auch verblendet von den Tücken und Versuchungen Beelzebubs. Darum beantworte freudig meine Frage: Willst du Vergebung und Versöhnung mit Gott und der Kirche? – Doch nein; höre zuvor, was dir bevorsteht, wenn du dich trotzig diesen Worten der Liebe verschließest, die dargebotene Bruderhand hinwegstößest und Gottes Langmut verachtest. Tief unter der Gruft deiner Brüder wird dein Grab gegraben; lebendig wirst du versenkt werden und eingemauert; lebendig wirst du die Würmer aus ihren Löchern kriechen sehen und wirst ihnen nicht wehren können wider dein Fleisch und Blut; lebendig wird auch der Wurm an dir nagen, der nie stirbt, und das Feuer dich brennen, das nie erlischt. Dann wird auch die Reue dein Herz zernagen, aber nutzlos; denn zu dir hinunter dringt dann nimmer der Trost des Priesters, noch die Absolution der Kirche. Zitternd und wimmernd wirst du alsdann zum Throne Gottes kriechen, aber nur um hinabgestoßen zu werden in den Pfuhl der Hölle – für ewig! für ewig! Bedenke dies, mein Sohn, und antworte!«

Der Abt schwieg. Bernhard richtete sich hoch empor; sein Auge glänzte ruhig und freudig und blieb fest gerichtet auf Eberhard. Jetzt faltete er die Hände über der Brust und sprach:

»Meine Seele darf nicht rechten mit meinem Leibe. Ich sage: Nein! im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes; Amen.«

»So sei verflucht!« rief der Abt mit Donnerstimme und es hallte dreifach in den Gewölben wieder. In demselben Augenblick erloschen wie mit einem Zauberschlag die 7 Kerzen auf dem Altar und nur noch der Strahl des schwankenden ewigen Lichts durchzitterte den weiten Raum. Unter den Mönchen entstand eine leise Bewegung; der Prior war hervorgetreten und zerrte mit tierischer Wut an Bernhards Kutte. In wenigen Sekunden war die Entkleidung vollzogen und der Prior, wie auch die anderen Mönche, verschwunden. Nur noch die lange, hagere Gestalt des Abts stand sichtbar über ihm auf den Stufen des Altars. »Kniee nieder!« befahl er mit hohler Stimme. Bernhard gehorchte. Jetzt trat der Abt einige Schritte rückwärts, erhob die Hände zum Himmel und begann in tiefem Tone langsam den Fluch über den knieenden Mönch zu sprechen: »Der du hier unbußfertig an heiliger Stätte kniest«, sagte er; »der du die Gerechtigkeit des Herrn verhöhnst und seine Gnade mit Füßen trittst: verflucht seist du vom Wirbel bis zur Zehe, verflucht sei jeder Odemzug, jedes Wort, jedes Flehen, das deinem ketzerischen Munde entquillt; verflucht sei jedes Stäubchen deiner Asche, die bald in der Gruft vermodern wird; verflucht sei deine Seele, verstoßen in den untersten Pfuhl der Hölle, den Teufeln zur Lust und ewigen Freude!«

»Gott ist barmherzig!« flüsterte Bernhard, als der Abt hier endete. Er sah empor und schon war dessen hagere Gestalt in einem Seitengange verschwunden. Kein Mensch schien mehr in der Kirche zu sein; Todesstille herrschte rings und der Glanz des heiligen Lichts erhellte kaum noch die Stufen, auf denen Bernhard kniete.

Der schreckliche Fluch des Abts mußte ihm wenig geschadet haben; denn seine Gebete waren so inbrünstig, seine Seele so ganz in Gott versunken, daß er nicht bemerkte, wie bereits zwei Männer hinter ihm standen, die ihn jetzt aufforderten, ihnen zu folgen. Sogleich erhob er sich und schritt mit ihnen schweigend dahin. Durch das Schiff, durch die Seitentüre gelangten sie wieder in den Klostergang. Dort kamen sie an einer Pforte vorüber, die in den Garten führte. Bernhard bat, nur noch einmal hinaustreten zu dürfen, um Gottes freien Himmel zu sehen; denn er wußte wohl, daß dies sein letzter Gang war. Aber die Laienbrüder gaben ihm keine Antwort mehr; er mußte weitergehen.

Jetzt hatten sie eines der verborgensten Seitengewölbe erreicht; eine eichene Falltüre führte dort in die unterirdischen Gelasse des Klosters. Sie stand offen und man sah deutlich bei dem matten Kerzenschein, daß der Sandstein der Stufen, die hinunterführten, nicht vom Gebrauch, sondern von der durchdringenden Feuchtigkeit so kläglich zerstört war. Einer der Laienbrüder rief laut hinab: »Seid ihr fertig?« und wie aus dem Grabe, kaum hörbar, drangen die Worte aus dem Bauche der Erde: »Noch nicht, aber bald!«

In diesem Augenblick trat aus dem Schatten eines Strebepfeilers eine Gestalt hervor und schritt gerade auf Bernhard zu. Leidenschaftlich umschlang sie ihn mit den langen Armen und flüsterte heftig: »Im Namen des Herrn und aller Heiligen, – bist du schuldig nach göttlichem Gericht?« – »Nein!« sagte Bernhard fest. Er fühlte einen heißen Kuß auf seiner Stirne und die Gestalt verschwand wieder hinter dem Pfeiler. Er hatte sie wohl erkannt; es war Elias.

Die Laienbrüder stiegen jetzt hinab, Bernhard zwischen ihnen, während Elias wie angebannt hinter seinem Pfeiler stehen blieb. Es war dunkel um ihn und heiße Tränen rieselten in seinen weißen Bart.

Nach einer kleinen halben Stunde wurde die Öffnung im Boden wieder hell. Sie kamen zurück; zwei Maurer mit Kelle und Kübel stiegen samt den Laienbrüdern in eiliger Hast herauf. Die Falltüre klappte zu; verächtlich spuckten sie darauf und sputeten sich dann aus dem Gewölbe, ohne den alten Mönch zu bemerken, der noch immer seinen Platz nicht verlassen hatte.

Jetzt kam er hervor, kniete auf der Falltüre nieder und legte sein Ohr an ihre Spalten. Aber er hörte nichts als das krampfhafte Atmen seiner eigenen Brust, und eine Träne fiel leise zitternd auf das harte, eichene Brett hernieder, das ihn von seinem unglücklichen Freunde trennte.


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