Max Eyth
Mönch und Landsknecht
Max Eyth

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VII.

Mit ungeduldigen Schritten durchmaß Robert seine kleine Zelle. Bald blieb er vor dem Pulte stehen und sah nachdenklich in die Flamme des Lämpchens, das darauf stand, bald öffnete er wieder das Fenster leis und vorsichtig und blickte prüfend in den schwarzen Hof und in die grauen Wolken, die von stürmischen Winden zerrissen darüber hinfuhren. »Will's denn heute nicht Nacht werden?« flüsterte er vor sich hin, während er den Fensterflügel wieder schloß, und seine Stimme verriet mehr eine fieberhafte Spannung und Angst als den kalten Unmut, den er hineinlegen wollte. Jetzt faßte er das Lämpchen und verließ geräuschlos die Zelle.

Wie ein Schatten schwebte seine Gestalt durch die hohen, schweigenden Gänge; ein Pförtchen führte ihn ins Freie. Immer noch hielt er das brennende Licht in den Händen und suchte ängstlich die flackernde Flamme zu verbergen und zu schützen. In kurzer Zeit hatte er den stillen, leeren Hof, von niemand bemerkt, überschritten und stand vor der Türe des alten Abteigebäudes. Die Türe war nur angelehnt, wie gewöhnlich. Robert schlüpfte hinein und schlich auf den Zehen, mit beiden Händen sein Licht bedeckend, die morsche, unter jedem Tritt knarrende Stiege hinauf. Ein mit ausgetretenen Backsteinen gepflasterter Gang nahm den Mönch auf. Er schritt darin weiter, indem er sorgfältig die Stellen vermied, wo der graue Schein, der durch die Fenster fiel, ihn irgend treffen konnte. Lautlos hatte er den Hintergrund erreicht, den die runde Mauer des anstoßenden Eckturms bildet. Das kleine schwere Türchen, das tief in der Mauer liegt, war verschlossen und Robert mußte alle Kraft aufwenden, den rostigen Schlüssel, der im Schlosse steckte, umzudrehen, bis es endlich laut knarrend aufsprang.

Jetzt befand er sich in einem runden, niederen Stübchen, an dessen staubiger, schwarzer Balkendecke aufgescheuchte Fledermäuse ängstlich herumflatterten. Kaum konnte er sein Licht brennend erhalten; denn durch die drei hohlen, vergitterten Fensteröffnungen pfiff der Wind. Er stellte es in einer Ecke auf den Boden und trat, nachdem er eine Zeitlang gelauscht, ob sich niemand nähere, sodann an das mittlere Gitter. Als er die Hand an die Stäbe legte, zeigte ihr Schwanken, daß der größte Teil derselben bereits abgebrochen sein mußte. Auch jetzt zog Robert unter seiner Kutte eine alte Feile hervor und bemühte sich, mit größter Vorsicht die wenigen noch übrigen Stücke zu durchsägen. Lange hörte man nichts in dem Gemach als das Sausen des Winds und das gleichmäßige, eintönige Rascheln der Feile. Endlich hielt der Mönch inne und sah freudig, daß das ganze Gitter nur noch auf einem einzigen Stabe schwanke. Er versuchte, diesen vollends aus dem Gestein herauszuziehen; aber Stab und Stein waren zusammengelötet. Unverdrossen machte er sich also an den letzten Teil seiner mühsamen Arbeit.

Nicht lange hatte er wieder gefeilt, daß ihm trotz der Kälte dicke Schweißtropfen auf der Stirne standen, – da hörte er etwas hinter sich rauschen. Wie vom Blitz getroffen blieb er einen Augenblick ganz erstarrt, und als er sich umwandte, erblickte er eine hohe Gestalt vor sich, auf deren bleiches Gesicht das Lichtchen in der Ecke einen hellen Schein warf. Die Feile fiel ihm aus den Händen und er starrte schweigend in die verzerrten Züge des Menschen, der vor ihm stand und sein unstät rollendes Auge auf ihn warf. Mit leiser, hohler Stimme, die, so tief und klanglos sie war, doch die Leidenschaft des Sprechenden verriet, fragte die fremdartige Erscheinung: »Bist du auch hier nicht, Klothilde, mein süßes Leben?«

»Nein, Theodorich!« antwortete Robert leise, nachdem er sich rasch gesammelt hatte; – »sie ist wohl drunten im Garten und harret dein!«

»Im Garten?« fragte jener, sich besinnend; »im Garten? Nein, nein! Tot ist sie, tot! – Gemordet von euch, ihr verruchten Pfaffen!« Und so still, als er gekommen, entfernte sich der Wahnsinnige wieder und verschwand draußen im Gange.

Robert verschloß jetzt unmutig die Türe, indem er vor sich hinmurmelte: »Müssen denn selbst Narren kommen, mich zu stören in dem, was ich erreichen will? Pah, wenn Himmel und Hölle kämen, – mein Ziel bleibt unverrückt und mein Stern leuchtet am hellsten in der Dunkelheit!«

Der letzte Stab brach und das Gitter sank dem Mönch in die Hände. Frohlockend legte er es auf den Boden, ergriff sein Lämpchen und trat damit an die Fensteröffnung. Aber kaum hatte er's dort hingestellt, als ein Windstoß durch den Turm fuhr und die schwache Flamme, mit welcher er ein Zeichen nach außen zu geben beabsichtigte, erlosch. »Tat das der Himmel oder die Hölle?« rief Robert halblaut und stampfte vor Zorn mit dem Fuß auf den Boden. Doch alsbald erlangte er seine Besonnenheit wieder und lehnte sich horchend weit über den Sims hinaus. Tief unter ihm lag regungslos der schwarze Wasserspiegel; gerade gegenüber stieg eine Mauer empor, aus deren weiten Spalten sich mancher verkrüppelte Busch herauszwängte; oben auf dieser Mauer, wo der ebene Boden wieder beginnt, wuchs dichtes, hohes Gesträuch, das jede weitere Aussicht, besonders bei Nacht, versperrte. In dem Gebüsch selbst, auf das Robert unverwandt hinblickte, regte sich nichts; nur schien es ihm, als schlichen manchmal unter den grauen, unbelaubten Zweigen dunkle Gestalten vorsichtig und eilig am Rand des Grabens hin.

Plötzlich rauschte etwas an der Mauer hinunter; ein Stein fiel mit hohlem Geplatsche ins Wasser. Robert beugte sich weit hinab; er hörte, wie die Binsen und der Schilf im Graben schwankten, wie die Ringe klatschend an das Gemäuer des Turmes schlugen und die dünnen, wispernden Eisscheibchen, die sich an das Schilfrohr angesetzt hatten, auseinandertrieben. Zur Erwiderung dieses Zeichens warf er schnell das Lämpchen hinab und gleich darauf ertönte aus dem Gebüsch ein leiser Pfiff. Robert erwiderte auch diesen deutlich, jedoch möglichst schwach. Dann ließ er einen langen, dicken Strick, dessen eines Ende an einem starken Kloben befestigt war, hinabgleiten. Schon wurde es an der andern Seite und unten im Graben lebendiger. Die Bauern stiegen, indem sie sich an den zähen Wurzeln und Zweigen festhielten, langsam und vorsichtig in den Graben hinab und versuchten, indem sie bis an die Brust in das dicke, trübe Schlammwasser versanken, die andere Seite zu erreichen.

Robert sah hiervon wenig; es war zu finster. Plötzlich aber bemerkte er, wie der Strick straff wurde und unten am Turm ein Geräusch entstand, das von einem Heraufsteigenden herrühren mußte. Schon faßten zwei Hände den Sims und gleich darauf zeigte sich ein Kopf in der Fensteröffnung. Der Mönch faßte den Einsteigenden mit beiden Händen an den Schultern und hielt ihn zurück.

»Die Losung?« fragte er leis.

»Pfaffenblut, Bauernwut – ist für alle Schäden gut!« antwortete jener barsch und stieg vollends herein.

»Wie? Bist du nicht der Florian Geyer?« fragte Robert erstaunt, als er ihm lange ins Gesicht gesehen hatte.

»Was geht dich mein Name an?« erwiderte der Gefragte in demselben Ton, und jede seiner Bewegungen zeigte, daß ihm etwas unbehaglich und widrig sein müsse; aber was, konnte Robert nicht erraten.

Indessen waren bereits wieder etliche hereingestiegen und bald war das kleine Gemach voll von Bewaffneten. Florian (denn er war es wirklich) übersah sein Bauernhäuflein und fragte den Nächststehenden: »Wo ist denn der Rehbach von Forchtenberg? Und noch einen vermiss' ich.«

»Die armen Teufel sind gerad' erstickt«, antwortete der Bauer; »sie sind zu weit rechts in den tiefen Schlamm gekommen und versunken!«

Nach diesen Worten wurde es wieder still; alle warteten auf das Zeichen zum Hervorbrechen. – –

Indessen schlief der edle Ritter von Bebenburg noch wohlgemut auf den seidenen Kissen in einem der prunkvollsten Gastzimmer des Klosters; denn der Abt tat alles, um ihn, die andern Ritter und ihre wenigen Mannen bei guter Laune zu erhalten. Hoffte er doch mit Bestimmtheit in wenigen Tagen entsetzt zu werden, obgleich auf sein dringendes Schreiben an die benachbarten Fürsten und Grafen, das er durch verkleidete scheinbare Bauern abgesandt hatte, noch nicht einmal eine Antwort erfolgt war.

Zwar hatte er strengen Befehl erteilt: die Wachen sollten ihn bei der geringsten Bewegung der Bauern sogleich wecken; aber diese waren trotz der augenscheinlichen Gefahr, erschöpft von dem angestrengten Dienste und weil sie bei der großen Überzahl der Feinde keinen heimlichen Angriff erwarteten, fast alle auf ihrem Posten eingeschlafen. Erst das Geschrei der gegen die Mauern heranziehenden Bauern rüttelte sie auf.

Noch schlaftrunken stürzte einer der Landsknechte in das Kloster und durchrannte mit dem schrecklichen Geschrei: »Die Bauern! Die Bauern!« die eben noch so stillen Gänge. Wie mit einem Zauberschlag wurde es jetzt lebendig. Oft nur halb angekleidet rannten die Mönche aus ihren Zellen. »Auf die Mauern! Auf die Mauern!« rief dort einer und eilte mit einem flackernden Licht ins Freie hinaus. »Flieht zum Tore hinaus! Sie kommen hinten herein!« schrie ein anderer, dem ein ganzer Haufe todesblasser Menschen folgte, und eilte ebenfalls fort. » Kyrie eleison!« jammerte hier ein dritter. »Kommt, Brüder, in die Kirche! Sie werden uns doch dort verschonen, die Barbaren! – Wo sind denn die Schlüssel? – Macht den hinteren Gang auf! – Wie sie toben, die Heiden! – O Herr, errette deine arme Herde! – Wo ist der Prior? – Man sucht ihn überall! – Um Christi willen, auf die Mauern! – Sind sie noch nicht droben?«

So schrie und lärmte es durch Hof und Hallen. Alle liefen und keiner wußte, wohin? Vier, fünf Lichter brannten und doch stießen die Menschen aneinander wie in der dichtesten Finsternis.

Nur Bebenburg schien die Besonnenheit nicht verloren zu haben. Blitzschnell hatte er sich bei dem ersten Lärm in die Rüstung geworfen und eilte auf die Mauer. Als er auf der Zinne ankam und hinabsah, waren die Bauern kaum noch fünfzig Schritte entfernt und nur zehn von seinen Mannen auf dem Platz. Augenblicklich schickte er einige der Mönche, die ihm, zur äußersten Notwehr entschlossen, gefolgt waren, in die Klosterräume zurück, um die Fehlenden aufzusuchen und herbeizubringen. Auch befahl er, auf der ganzen Ringmauer Mönche wenigstens als Wachen aufzustellen, um nirgends einem zweiten unerwarteten Angriff ausgesetzt zu sein.

Bereits konnte man deutlich jeden der Angreifenden unterscheiden. Im Nu waren sie am Rande des Grabens. Mehr als fünf Leitern glitten hinab und standen auf dem Boden fest, da hier der Grund des Grabens bedeutend höher lag und deshalb beinahe völlig ausgetrocknet war. Die Masse stürzte sich hinunter; doch wagte noch keiner sich dem Fuße der gegenüberliegenden Mauer zu nähern, obgleich noch kein Schuß gefallen war. Bebenburg hatte verboten zu schießen, ehe jeder Schuß seinen Mann treffen mußte. Ohne die mindeste Unruhe zu verraten, stand er, die glimmende Lunte in der Hand, auf dem äußersten Mauerrande und blickte nach der anderen Seite des Grabens hinüber.

Jetzt richtete sich dort eine ungeheure Leiter in die Höhe und blieb kerzengerade in der Luft stehen. Sie bewegte sich langsam vorwärts. Man sah es deutlich: Drei Männer hielten sie an den unteren Sprossen aufrecht und schritten so fort, während schon ein anderer schwarzer Haufe murmelnd hintendrein drängte, um sogleich, wenn sie angelegt wäre, darauf hinanzuklimmen. Kaum waren sie noch fünf Schritte vom Fuß der Mauer entfernt; oben war es noch immer todstill; wie Bildsäulen standen die Landsknechte da und schauten unverwandt hinunter.

»Feuer!« schrie endlich Bebenburg mit Donnerstimme. Hell blitzte es durch die Nacht; ein fürchterlicher, vielstimmiger Krach durchschnitt die Luft; alles schwamm in weißem Pulverdampf, aus dem ein wildes Geheul hervorbrach. Nur die Spitze der Leiter ragte noch drüber hinaus. Sie wankte. Noch einmal schien sie aufrechtstehen zu wollen; dann stürzte sie unaufhaltsam mit sausendem Schwirren auf die schreiend zerstiebende Masse der Stürmenden zurück.

Das Wutgeheul der Bauern übertäubte den Jubel der Landsknechte Bebenburgs. Ein Hagel von Steinen und Prügeln und manchmal auch ein Pfeil oder eine Lanze flog auf die Mauern. Dagegen blitzte Schuß auf Schuß in den Graben hinab. Was in demselben vorging, bedeckte ein dicker Pulverdampf. Plötzlich gewahrte der Ritter mit Schrecken wieder eine neue Leiter über dem Qualm. Er schoß; eine Sprosse fiel zersplittert hinab; die Leiter wankte, aber nicht rückwärts; einen Augenblick darauf lag sie an der Zinne. Mit Riesenkraft suchte er sie umzuwerfen, aber es gelang nicht; unten mußten schon mehrere daraufstehen. Er rief dem nächsten Landsknecht zu, ihm zu helfen; dieser hörte es nicht und schon war es auch zu spät. Bereits tauchte eine Sturmhaube aus dem Nebel auf. Ein fürchterlicher Schlag mit Bebenburgs Büchsenkolben traf den Kopf des ersten, der mit einem durchdringenden Schrei hinunterstürzte. Der zweite hatte, ehe der Ritter wieder ausholte, die Zinne erreicht und faßte mit der einen Hand den Fuß desselben, während die andere den Morgenstern schwang. Doch eine Kugel fuhr ihm in dem gleichen Augenblick durch die Brust und er stürzte, seinen Hintermann mit sich reißend, gleichfalls hinunter.

»Wir müssen vor den andern im Kloster sein!« rief jetzt eine durchdringende Stimme auf der Leiter, welche von allen Seiten beschossen ward. Der unermüdliche Bebenburger richtete sich zu einem neuen Schlag und schon zeigte sich die Sturmhaube, welcher er gelten sollte; da sah er plötzlich einen schwarzen Büchsenlauf aus dem Dampf hervorragen; es blitzte; ein fürchterlicher Stoß auf den Eisenpanzer warf ihn etliche Schritte zurück und bevor er selbst wieder festen Fuß fassen konnte, standen bereits zwei der Stürmenden auf der Zinne und schlugen wie rasend um sich. Schon wollte sich auch ein dritter hinaufschwingen, – da verschwand er plötzlich wieder; ein in dem grausigen Tumult kaum hörbares Krachen, – ein dumpfer, alles übertönender Fall, – gellendes Geschrei und Geheul folgten sich Schlag auf Schlag. Die Leiter war gebrochen. Kaum fanden die beiden Kämpfenden Zeit, sich umzusehen; denn jeden Augenblick standen sie in Gefahr, hinabgeschleudert zu werden. Die blonden Locken des einen flatterten wild um seinen Kopf, wie er mit Blitzesschnelle, nach allen Seiten hin, sein auf den Rüstungen klapperndes Schwert niederfallen ließ.

»Ergib dich!« rief Bebenburg, einen solchen Heldenmut bewundernd. Aber statt aller Antwort beugt sich der Jüngling ein wenig über die Mauer und rief, so stark er konnte: »Jörg, nimm die andere Leiter! Um Gottes willen, stürm'!« Es war die gleiche Stimme, die schon vorher alles durchdrungen hatte.

Der Ruf schien nicht überhört zu sein; denn bereits lag auch die dritte Leiter an und als sich Bebenburg umsah, der alle Hände voll zu tun hatte, war dort ein neuer Kampf im Gange. Gleich darauf gelang es dem blondlockigen Burschen, den Ritter auf die Seite zu drängen, einen Landsknecht, der im Wege stand, über die Mauer hinabzustoßen und so die Leiter zu erreichen. Mit ein paar fürchterlichen Hieben machte er ein wenig Raum und bot dem zunächst Heraufkletternden die Hand.

»Du lebst noch, Rudolf?« rief dieser jubelnd, sprang vollends herauf und stürzte sich in demselben Augenblick wütend gegen die entmutigten Landsknechte. Unaufhaltsam drang es jetzt nach. Die Mergentheimer wichen Schritt vor Schritt und als vollends ein Steinwurf ihren Anführer zu Boden schmetterte, jagten sie in wilder Flucht, von den jubelnden Mördern verfolgt, die Treppe hinunter. Rudolf und Jörg (denn sie waren es, die sich mitten im Kampfgewühl begrüßt hatten) suchten vergeblich dem Blut- und Rachedurst der Bauern Einhalt zu tun; wie ein entfesselter Strom stürzte die Masse auf die Zinnen.

Noch leistete hier und dort ein Häuflein der Tapfersten eine verzweifelte Gegenwehr; da ertönte plötzlich von dem anderen Ende der Klostermauer wildes, verworrenes Geschrei. Fliehende Mönche waren nach jener Seite geeilt und wandten jetzt erschrocken wieder um, als sie auch dort die Feinde eingedrungen sahen. Das Tor war bereits aufgerissen; die Bauern stürmten herein und erfüllten mit ihrem Kriegsgeschrei den Hof. Hie und da drängte sich, von der Dunkelheit begünstigt, ein zitternder Mönch durch die verworrenen Massen und zum Tore hinaus, um im nächsten Walde Schutz zu suchen.

Kräftige Axtschläge donnerten jetzt gegen die Türe der Abtei, die noch immer verschlossen war. Sie brach krachend zusammen und der Strom ergoß sich lärmend in die Gänge.

Gerade unter dem Portal traf Florian Geyer und Rudolf aufeinander. Florian streckte freudig die Hand dem Landsknechte entgegen und rief: »Weiß Gott, diesmal hat der gemeine Kriegsknecht einen besseren Ruhm errungen als der Ritter. Ihr habt ja gefochten wie toll! Es sollte ja dort bei Euch nur blinder Lärm sein!«

»Ich wollt' nur zeigen«, versetzte Rudolf; »daß man auch ohne Hinterlist den Sieg gewinnen kann!«

Er wollte noch mehr reden, als er merkte, daß Florian durch diese Worte beleidigt war; aber die hinten nachdrängenden Bauern drückten ihn von dem Ritter hinweg und er folgte dem Sturm, von Jörg und einem Haufen seiner Leute begleitet, um vielleicht Unheil zu verhüten, das die Bauern in ihrer Wut hätten anrichten können. Und wären nicht fast alle Mönche entflohen gewesen, so hätten sie Gelegenheit genug gefunden, den Mord an Wehrlosen zu verhindern, wenn man aus dem Ingrimm schließen durfte, den die wilden Rotten jetzt sogar an leblosen Gegenständen ausließen, als sie durch die Prunkgemache des Abts und des Priors stürmten, – Orte, welche noch die frischesten Spuren des üppigen Lebens dieser Zisterzienser an sich trugen.

Jörg hatte in dem Getümmel bereits wieder seinen Freund verloren und suchte nun, weil alle plünderten, auch für sich selbst seinen Teil zusammenzuraffen. Mit einigen andern hatte er die Türe gesprengt, die in das Schlafzimmer des Priors führte, und drang, eine brennende Fackel in der Hand, zuerst hinein. Schreckliche Unordnung herrschte in dem kleinen, luxuriös ausgestatteten Gemache. Über das ebenholzene Tischchen, das neben dem Bette stand, träufelte noch der Wein herab, der aus einem, allem Anschein nach erst kürzlich umgeworfenen Becher floß. Der eine Vorhang vor dem seidenen Bette war heruntergerissen und auf dem Boden herumgezogen, wie wenn sich jemand mit den Füßen darin verwickelt hätte. Das Bett selbst ließ deutlich erkennen, daß es noch nicht lange verlassen sein konnte. Übrigens war nirgends mehr eine Menschenseele wahrzunehmen.

Die Bauern überließen sich jedoch nicht lange solchen müßigen Betrachtungen. Der eine griff nach dem silbernen Waschbecken, während ein anderer die Marmorplatte zerschlug, worauf es gestanden war. Dort zerdrückte ein dritter mit seinen schrammigen Fingern den goldenen Becher und schob ihn in die Tasche. Wieder andere durchstachen das Bett oder zertrümmerten die Spiegel, um die goldenen Rahmen zu benützen. Jetzt rissen sie die Wandkästen auf. Einen Augenblick blieben sie staunend, mit neugieriger Scheu stehen und betrachteten die blanken Geräte und Schmucksachen, die ihnen beim Fackelschein entgegenschimmerten. Dann aber fielen sie mit jubelnder Gier darüber her, um soviel als möglich fortzuschleppen. Es war ein fürchterlicher Lärm, den das Geschrei der Bauern, das Klirren und Stoßen mit den Waffen, die zerbrechenden Gläser und Kristalle, das klingende Gold und Silber hervorbrachten. Schon waren zwei Kästen aufgebrochen und vollkommen ausgeleert; da flog eine dritte verborgene Türe auf, die in einen kleinen, versteckten Raum führte, und ein donnerndes, immer neu erwachendes Gelächter erstickte alle anderen Töne.

Tief in die Ecke dieses Raumes gedrückt, hockte eine mit weißer Kutte bekleidete Gestalt. Auf dem dicken, possierlichen und vor Angst zitternden Körper saß ein ebenso possierlich dicker, zitternder Kopf, dessen Gesicht über alle Maßen lächerlich war: niedere Stirne, – fette, rote Nase und Wangen, – breites, doppeltes Kinn, ein breiter, hellachender Mund und glänzende Äuglein voll spitzbübischer Schelmerei, tief im Fett der Wangen und Stirne schwimmend. Ein solches Gesicht auf einem wie Espenlaub bebenden Korpus, – ja in der Tat, ein derartiges Bild hätte selbst dem finstersten Menschenfeind ein Lächeln entlockt; was Wunder, daß die stets zur lärmenden Freude geneigte Bauernschaft ihrem Zwerchfell die freieste Bewegung gestattete? Sie gaben sich nicht einmal die Mühe, dem armen Prior seine Maske, die er, Gott weiß, von welchem Sinn oder Unsinn geleitet, in der Verwirrung seiner geängsteten Seele aufgesetzt hatte und die ihm jetzt wirklich ganz unverhofft das Leben rettete, von seinem echten, natürlichen Angesicht abzureißen. Lachend zerrten sie ihn aus dem Kasten; ein paar derbe Püffe warfen ihn in die heilsame Dunkelheit hinaus, wo er leicht und unbemerkt in dem schrecklichen Durcheinander ein geöffnetes Tor erreichen konnte und so, freilich vor Entsetzen und Angst halbtot, in dem sicheren Wald für den Augenblick Schutz vor den groben Barbaren zu finden hoffen durfte.

Sein prunkvolles Schlafgemach schien endlich den Bauern so ziemlich leer und ausgefischt. Sie entfernten sich daher größtenteils, um andern Platz zu machen, welche, zu spät gekommen, sich nun freilich mit einer bloßen Nachlese begnügen mußten.

Jörg wußte anfangs nicht, wohin er sich wenden sollte. Er glaubte, seine Taschen gehörig angefüllt zu haben; wenigstens wollte er sich für jetzt mit dem Gesammelten begnügen, das ihm so sauer verdient und so ehrlich erworben schien, daß er mit stiller Befriedigung an das Sprüchlein dachte, welches ihm einmal ein Pater gesagt hatte: »Der Arbeiter ist seines Lohnes wert«.

Der Lärm zog ihn die steinernen Staffeln wieder hinunter und bald stand er vor den weit aufgerissenen, von Feuchtigkeit und Alter schwarzbraunen Torflügeln des Kellers. Die Treppen, welche hinabführten, waren tief ausgetreten, und zeigten, wie oft sie schon begangen worden waren. Auch jetzt gingen manche der Bauern hinauf und hinab; denn hier war der Hauptsammelplatz, hier das Ziel, über das kaum einige hinausgedacht hatten. Flink stürzten sie hinunter mit wildem, gierigem Geschrei und bereits im Vorgefühl einer Wonne, die sie schon lange sich kaum zu träumen gewagt hatten; andere taumelten herauf, von einem Kameraden gestützt oder an der nassen Wand sich haltend und mit lallender Zunge ein Lied singend, während ihr gläsernes Auge irre die grüßenden Bekannten anstarrte.

Selbst dem Landsknecht, dem solche Szenen doch nicht unbekannt sein mußten, kam ein Bild in solcher Graßheit widerlich vor. Er blickte eine Zeitlang in die Höhle hinab, aus der ein matter, qualmiger Schein herausdrang und wildes, verworrenes Geschrei ertönte; dann wollte er umwenden.

»Ei, Landsmann, wohin?« schrie ihm eine bekannte Stimme ins Ohr; »willst nicht hinunter? Schäm dich! 's geht lustig drunten her! Komm!«

Der Sprecher ergriff ihn am Arm und zog ihn hinab. Doch durfte sich Jörg nicht sehr auf seinen Führer verlassen; denn dieser mußte schon einmal drunten gewesen sein und suchte jetzt mit einer fast allzugroßen Eile abermals den Boden des Kellers zu erreichen, so daß jener Mühe hatte, sich und ihn aufrechtzuerhalten. Es war Andres.

»Ihr habt ja verflucht gefochten, Jörg, – hab' ich gehört!« schrie nun der Bauer wieder und es war allerdings nötig, zu schreien; denn mit jedem Schritt nahm der Tumult von unten herauf in schrecklicher Weise zu. »Dummköpfe seid Ihr gewesen! Wer wird sich denn so schinden um etwas, das man schon hat? Aber Respekt vor solchen Dummköpfen, sag' ich! Euer Rudolf muß ja eine wahre Bestie gewesen sein. Er soll auch belohnt werden, extra, besonders vom Geyer. Der mag ihn wie seinen Bruder. Wein her, Wein her, oder ich fall' um, fall' um! Wo steckt er denn, der Duckmäuser? Weißt's nicht? – Wein her, Wein her! Vorhin bin ich ihm begegnet, dem verfluchten Kerl! Droben reißt er alle Kästen auf und stiert wie närrisch in den alten Papieren und Reisachbüscheln herum, – wie närrisch!, sag' ich, – und steckt seine Nase in den alten Staub, bedächtig wie ein Ochs im Schwabenalter, – und wenn er wo ein Stücklein Gold blitzen sieht, so schmeißt er's auf den Boden und tritt darauf. Jetzt sind wir ja drunten! Lustig, Bruder, lustig! Wein her! Würfel her!«

Andres hatte sich freilich ein wenig getäuscht. Sie waren noch nicht unten; nur der Bauer war trotz der Anstrengung Jörgs rücklings auf die Staffeln gefallen; jedoch mußte er seinen Irrtum sogleich eingesehen haben; denn mit großer Behendigkeit legte er lachend den Rest des Wegs auf allen Vieren, oder vielmehr durch den tätigen Beistand der Mutter Erde unterstützt in der möglichst kurzen Zeit zurück.

Jörg bemühte sich jetzt ernstlich, dieses Gesellen loszuwerden. Er drängte sich durch die dichten Massen und suchte in seinen weiten Pumphosen nach einem Trinkgeschirr; denn er wußte, daß er die silberne Schale, die in des Priors Zimmer gestanden war und dessen Seife enthielt, zu sich gesteckt hatte. Freilich war sie klein, aber hier, wo jedes irgend brauchbare Geschirr seine zwei, drei Herren hatte, war auch das kleinste willkommen.

Aber welch ein Bild bot heute der Klosterkeller dar! In langer Reihe lagen zwischen den niederen, dicken Pfeilern die tiefbauchigen Fässer; es schien, als ob sie ernst und zürnend auf das bacchantische Getümmel herabblickten, dessen Ursache sie selbst sein mußten. Einige Fackeln waren an der Wand befestigt und verhüllten die Decke mit grauem Qualm, während sie nur einen matten Schein auf die Gruppen warfen, die sich zwischen den Fässern bewegten. Hoch oben an der Wandung drang dann durch ein paar niedere Kellerlöcher der erste Schimmer des Tags. Die Bauern kümmerten sich jedoch wenig weder um die Beleuchtung, noch um den Tag. Um jedes Faß saß oder stand ein Häuflein dichtgedrängt. Dort führte einer einen mächtigen, goldglänzenden Humpen zum Mund; hier hielt ein anderer eine halbzerbrochene Porzellanvase unter den sprudelnden Hahnen, während neben ihm ein dritter ein blechernes zertretenes und zerschlagenes Waschbecken leerte, das er mit beiden Händen festhielt und wobei es ihn wenig störte, daß der köstliche Falerner ihm aus beiden Mundwinkeln über Hals und Brust herniederströmte. Dort waren sie lustig und schwatzhaft wie Zeisige; hier vertilgten sie mit wildem Ingrimm, noch immer von Rachedurst lechzend, den edelsten Wein und bedachten, wie lange sie selbst schon darben mußten, bis die Pfaffen von ihrem Gelde solche Schätze aufgehäuft hatten. Selbst auf den Fässern saßen einzelne und warfen die drei Würfel, um bald ihrer Beute los zu sein oder von einem geärgerten Mitspieler auf die unten Trinkenden hinabgestoßen zu werden. Auch in dem mittleren Gang, der durch den Keller führte, waren einige Bretter herübergelegt, um darauf zu würfeln; aber nur allzuoft geschah es, daß ein grober Flegel über die künstlichen Tische hineinstolperte und dann unter den zornigen Flüchen der Spielenden die eiligste Flucht ergreifen mußte, nachdem er ihnen das schönste Spiel verdorben hatte.

Im dunkelsten Hintergrund standen in einer Ecke drei Männer. Der eine war Florian Geyer, der zweite Metzler, und den dritten konnte man, obgleich er die Kutte abgelegt hatte, leicht als den Bruder Robert erkennen. Sie ließen sich durch den entsetzlichen Tumult nicht im geringsten in ihrem eifrigen Gespräche stören, das besonders zwischen Metzler und Robert hitzig gewesen zu sein schien. Jetzt hatte sich Robert zu Geyer hingewendet, der ruhig lächelnd mit übergeschlagenen Armen dastand.

»Wende dich mit beidem an die Bauern!« sagte der Ritter. »Beim ersten wollen wir nichts entscheiden; beim zweiten können wir nichts sagen, weil das alle angeht.«

»Aber bei diesem Lärm?« rief fragend der ehemalige Mönch und sah im Keller umher.

»Soll ich Stille schaffen? Das wird nicht so schwer sein!« meinte Geyer; »willst du?«

»Meinetwegen!« sagte Robert und schlug nachdenklich die Augen nieder.

Der Ritter ergriff die nächste Fackel und riß sie von der Wand. Dreimal schwang er sie mit der Rechten im Kreis herum, daß die Funken hinausstoben; dann schleuderte er sie mitten durch den Keller, so daß sie an der Treppe glosternd niederfiel. Alle duckten sich unwillkürlich, als der Feuerbrand über sie hinflog, und sofort war es still; man hörte nur noch den langsam singenden Ton der sprudelnden Weinfässer. Da ergriff Geyer das Wort und rief mit Donnerstimme:

»Haltet einmal eure Mäuler, liebe Brüder! Ein Freund will euch etliche Worte sagen, darüber ihr richten sollt. Paßt auf!«

Ein dumpfes Murmeln folgte. Robert hatte schnell das größte, im Hintergrund liegende Faß erstiegen, von wo aus er den ganzen mittleren Gang bis zur Treppe übersehen konnte. Rasch musterte er mit prüfendem Blick die Menge, die allmählich' ihre Augen auf ihn gerichtet hielt. Dann sprach er:

»Bauern, hört mich an; es wird euch nicht gereuen. Schon vielfach ward ich gefragt, wo denn die Schätze des Klosters verborgen liegen? Manche wollen sich nicht mit der Beute begnügen, die ihnen gerad' in die Hände fiel; in Kellern und Gewölben wollten sie suchen, um die Goldkästen der Pfaffen zu entdecken. Selbst mich hat man schon mißtrauisch angesehen, wenn meine Antwort nicht nach Erwarten lautete. Bauern, ich habe kein Mißtrauen verdient und will euch gerne sagen, was ich weiß. Beim ersten Lärm des Aufstands ließ der Abt alsbald alles wertvolle Gemeingut des Klosters zusammenraffen und der festen Reichsstadt Heilbronn zuführen. Ob die schweren Kisten dort glücklich angekommen sind, weiß ich nicht; ich zweifle fast daran. Aber ihr seht: hier konnt' ich nichts zum Besten unserer Sache tun, der ich mit Leib und Seele stets zum Dienst bereit bin! – Mein zweites Wort ist erfreulicher. Das Kloster ist jetzt ausgeplündert. Manche haben viel darin gefunden, manche wenig und manche gar nichts. Aber Gleichheit, Gleichheit soll sein in der Welt von einem Ende bis zum anderen. Drum laßt auch uns brüderlich teilen, was wir besitzen! Laßt uns alles auf einen Haufen zusammenwerfen und dann – ›jedem das Seine!‹, damit alle froh werden unseres ersten rühmlichen Sieges. Wollt ihr oder wollt ihr nicht?«

Ein fürchterliches Geschrei entstand nach diesen Worten. Die, welche viel gewonnen hatten, sträubten sich mit Händen und Füßen gegen den Vorschlag; die andern, von denen sich mancher mit einem zinnernen Salzfaß oder ein paar silbernen Schnallen hatte begnügen müssen, schrien lauten Beifall. Als der Tumult sich etwas gelegt, fuhr Robert fort:

»Mein drittes Wort betrifft mich selbst; höret es an! Sagt: wem verdankt ihr diesen Sieg, diesen herrlichen Sieg? Ich will nicht reden von der reichlichen Beute, die ihr gemacht, noch von der Lust, die euch aus diesen Gewölben entgegenjubelt, nachdem ihr solange gedurstet und gedarbt; ich rede nur von dem Ruf und Ruhm, der jetzt von euch durch alles Land ertönen wird. Wem verdankt ihr das? Und was habt ihr dem versprochen, der euch solches bereitet hat mit Müh' und Gefahr, und hat euch in schlaflosen Nächten den Weg gebahnt? Nichts! Aber er tat es doch; er nahm die Gefahr aller auf sich und es gelang. – Was habt ihr ihm gegeben zum wohlverdienten Lohn? Nichts! – Was wollt ihr ihm vielleicht noch geben zur schuldigen Vergeltung? Nichts, abermal nichts! O ihr Undankbaren! könnte ich rufen; lohnet und vergeltet ihr so denen, die für euch alles zu opfern bereit sind? Ich rufe es nicht. Schweigend will ich diesen Undank tragen; denn die Sache, der ich mich geweiht, ist edel und gut; sie muß mich lohnen! Ja, ich rufe es nicht; denn mein einziger Ruf ist: Recht und Gerechtigkeit dem bedrängten Bauernvolke! Fluch' und Rache unsern Drängern und Tyrannen!«

Robert schwieg. Durch den Keller murmelte es zuerst leise und undeutlich; dann aber erhob sich ein lautes Beifallsgeschrei, als sollten die dicken Gewölbe bersten.

»Vivat! Vivat Robert!« schrie alles durcheinander. »Er soll uns führen! Vivat unser Feldhauptmann! Vivat der Bauernkönig!«

Metzler wurde dunkelrot vor Wut. Mit Blitzesschnelle hatte er das Faß erklettert und stand neben Robert.

»Haltet ein!« rief er; »haltet ein mit eurem tollen Geschrei! Ich, ich hab' euch bis hierhergeführt; ich hab' euch aus eurem Schlaf gerüttelt; wollt ihr jetzt auf einmal mich wegschmeißen wie faule Äpfel? Wollt ihr euch schon wieder von einem Pfaffen an der Nase herumführen lassen?

Höllsakrr – – – meint ihr, ich lasse mich nur so – – Bauern!«

»'runter Metzler! 'runter mit dem Ochsenwirt!« schrie die Menge; »Vivat der Bauernkönig! Vivat Robert!«

»Nein, Bauern!« rief jetzt Robert, und das Geschrei verstummte plötzlich; »macht mich nicht zu eurem Fürsten und Herrn! Frei sollt ihr sein wie der Vogel in der Luft! Ihr dürft das Joch nicht wechseln! Laßt mich einen der Geringsten sein unter euch; ich werd' euch ebenso treu dienen bis zum letzten Augenblick. Seht, nur einen einzigen Schatz weiß ich unter diesen Mauern begraben, hier unter diesem Faß. Wie leicht hätt' ich ihn für mich behalten können! Aber nehmt ihn hin; ich fordere keinen Dank dafür. Rächet euch und eure Brüder an den Bluthunden; dies ist der einzige Dank, des ich begehre!«

Jetzt wuchs das Geschrei zum äußersten Tumult an. »Vivat Robert! Hacken her! Der Bauernkönig soll leben! Vivat! Vivat!« Sonst verstand man nichts mehr in diesem Chaos von Tönen.

Da sprang Florian Geyer auf einen Stein. Sein Gesicht glühte, seine breite Brust wölbte sich hoch auf, als er mit donnernder Stimme rief: »Still, ihr Hunde, Bestien, wollt ihr eure versoffenen Mäuler halten? Wenn ihr nicht augenblicklich gehorcht, so geh' ich meiner Wege, und der Hippler und Metzler auch, und alle, die euch hierhergeführt. Dann lachen wir uns die Haut voll, wenn der Truchseß kommt und schneidet euch die Ohren ab! – Still dort hinten! – Was ich sagen wollt': ins Regieren habt ihr nichts dreinzureden! Wir werden den Mönch schon belohnen ohne euer Geschrei. Er soll Führer werden, aber nicht Fürst und König. Wir brauchen keinen König. Wer nochmals schreit, den hau' ich auf der Stelle nieder. Und jetzt Friede, – aber Krieg den Tyrannen!«

Die Bauern sahen bald sich, bald Robert und Geyer verdutzt an und griffen wieder nach ihren Bechern. Um ihren Grimm an etwas anderem auszulassen, begann einer ein Lied zu brüllen, in das die gesamte Gemeinde sogleich einstimmte. Er sang:

Was sprüht dort am Himmel flammpurpurrot?
Sturmglocken durchheulen die Nacht!
Die Mönch' in dem Kloster, sie schreien zu Gott;
Die Pfaffen, sie heulen; die Pfaffen sind tot;
Das macht: –
Der Bauer erwacht!

Was sprüht dort am Himmel flammpurpurrot?
Was stoben die Funken hinauf?
Dort brechen die Burgen, die Ritter sind tot;
Das färbet den Himmel so purpurrot;
Frischauf,
Der Bauer steht auf!

Was sprüht dort am Himmel flammpurpurrot?
Was heult es durch Gassen und Haus?
Dort jammern die Städter in schwerer Not;
Die Pfaffen, die Ritter, die Städter sind tot!
O Graus!
Der Bauer haut aus!

Während des Singens wurde der Boden unter dem Faß von mehr als zwanzig Händen aufgewühlt. Ein Freudenschrei entfuhr dem Mund der Grabenden, als ein Beil gerade beim Schluß des Liedes auf klirrendes Metall prallte. Gleich darauf wurde ein schweres, eisernes Kistchen aus dem Boden gezogen. Ein Schlag auf das Schloß sprengte den Deckel auf und der Mönch stand schon bereit, mit beiden Händen hineinzugreifen und die blitzenden Goldstücke auf die Köpfe der Umstehenden zu werfen.

Jetzt drängte sich ein Bauer hastig durch das Gewühl auf Florian und Metzler zu; es war einer aus Geyers Haufen. Mit nicht gerade ehrerbietigem Gruß rief er seinem Anführer zu: »Ihr sollt heraufkommen, Hauptmann! Eben ziehn die aus der Heilbronner Gegend durchs Tor; der Jäckle von Böckingen ist vorne dran!«

»Das sind die Schlimmsten! Jetzt wird's erst recht losgehn!« flüsterte der ehemalige Ritter dem Metzler zu und beide verließen eilig den Keller.

Jörg, der Landsknecht, saß indessen ein wenig abseits hinter einem Faß und ließ sich das köstliche Rebenblut trefflich schmecken. Da klopfte ihm jemand auf die Schulter und eh' er sich recht umsehen konnte, saß auch Andres wieder an seiner Seite auf dem feuchten, schwärzlichen Gebälke, darauf die Fässer lagen. Er schien ein wenig nüchtern geworden, obgleich sein Gesicht den Weinglanz noch nicht verloren hatte.

»Du!« sagte er leis und heimlich, indem er noch näher zu dem Landsknecht heranrückte; »hast's gehört, was der Robert gesagt hat?«

»Ja wohl! Was weiter?« fragte Jörg etwas neugierig auf die Eröffnungen, welche Andres schon durch den Ton seiner Stimme anzudeuten schien.

»Glaubst's?« fuhr der Bauer fort.

»Ja, warum denn nicht?« meinte der treuherzige Kriegsknecht.

»O du Dralle!« rief Andres, seiner Überlegenheit bewußt; – »meinst denn, der pfiffige Pfaff hab' sich nicht selber so ein Kistchen beiseitgestellt zur Vorsorg'? Wie wär's, wenn wir das Ding finden täten?«

»Nicht so übel!« schmunzelte Jörg, dem die Goldgulden doch auch einzuleuchten anfingen; »aber wo suchen?«

»Da laß mich sorgen«, sagte Andres mit sicherer Bestimmtheit; »suchet, so werdet ihr finden! heißt's in der Schrift. Wollen wir's probieren?«

»Derweilst saufen die andern die Fässer aus«, bemerkte Jörg; »das ist übel! Nur noch einen Schluck; dann geh' ich schon mit!«

Der bedungene Schluck war bald ausgeführt. Andres nahm vom Boden eine halbverbrannte Pechfackel, zündete sie an und deutete schweigend auf ein niederes Pförtchen, das sich in der Wand des Kellers befand. Der Riegel wurde hinweggeschoben; sie schlüpften, ohne bemerkt zu werden, hinein und verschlossen dann die Türe von innen wieder, damit ihnen niemand folgen könne.

»Der Kuckuck weiß, wo dieser Dachsgang hinführt!« sagte der Bauer, als sie langsam in dem schmalen, dumpfigen Gängchen voranschritten. »Pass' auf! Da biegt sich's rechts herum! Überall, aus jedem Stein blinzelt einem doch das heimtückische Pfaffenwesen entgegen! – Ich sag' dir: pass' nur recht auf; wir können sonst über das Kistchen tappen, ohne dran zu denken!«

Andres beleuchtete bei diesen Worten die Wände und den Boden, der mit tiefem Schutt und feuchtem Staub bedeckt war. Sie schritten weiter. Nach einer kurzen Zeit weiterte sich der Gang plötzlich und sie standen erstaunt in einem runden, verließartigen Raum, von dessen Decke dicke Tropfen taktmäßig auf die Steinplatten fielen. Lange blieben die beiden Schatzgräber mitten in dem Gewölbe stehen, ohne zu wissen, was sie wollten.

Endlich sagte Andres: »Du, Jörg, – wollen wir nicht wieder in den Keller zurück?«

»Warum denn?« fragte der beharrlichere Landsknecht; »wir haben ja mit keinem Aug' noch ein Kistchen gesehen!«

»Ach was!« rief der Bauer ungeduldig; »wir haben keins gesehen und werden auch keins sehen; das merk' ich schon! 's ist eine Dummheit von uns gewesen! Und 's ist auch so kalt und finster da unten; komm!«

Der Bauer wandte sich um und schritt der Türe zu.

»Da sind wir nicht hereingekommen!« rief plötzlich Jörg, als der Bauer eben in das Gängchen treten wollte.

»Was? Du würdest mich freuen!« versetzte Andres erschrocken und leuchtete herum. Und wirklich, jetzt erst gewahrten sie mit Entsetzen, daß das kreisrunde Gemach, worin sie sich befanden, vier vollkommen gleiche Ausgänge hatte, die man unmöglich unterscheiden konnte.

»Hinauskommen müssen wir!« sagte der Landsknecht endlich. »Dort, glaub' ich sind wir hereingekommen. Vorwärts!« »Nein, eher dort!« meinte der Bauer mit trauriger Miene und schritt nach einer andern Seite.

Als aber Jörg fest auf seiner Meinung beharrte und sogar Anstalt machte, diesen Weg allein zu gehen, folgte ihm endlich der Bauer notgedrungen und sie schritten schweigend durch das Gängchen.

»Nicht wahr, ich hab's ja gesagt!« rief plötzlich der Bauer. »Da kommen ja Staffeln! Wir sind keine Staffeln herauf!« – Und in der Tat führten steile Treppen in die finstere Tiefe, und beide blieben unentschlossen stehen.

»Vorwärts!« rief Jörg wieder; »irgendwohin muß dieser Weg auch führen. Und ich möcht' wissen, wohin?«

Er nahm dem zitternden Bauern die Fackel aus der Hand und schritt vorwärts. Jener folgte geduldig. Jetzt ging es wieder eine kleine Strecke eben fort und bald standen sie in einem engen, niederen Gewölbe, das keinen weiteren Ausgang zeigte. Andres blickte den Landsknecht trostlos an. Doch dieser, der noch keineswegs im Sinne hatte, umzukehren, leuchtete an den kahlen Wänden umher, um vielleicht doch noch einen Ausweg zu entdecken. Da stieß sein Fuß an etwas Hartes, das wie Metall klang; er bückte sich und hob es auf.

»Sieh doch!« rief er verwundert und zeigte dem Bauern eine Kelle; »das Ding kann noch nicht lang hier liegen; sonst müßt' es rostig sein! Aufgepaßt! Am Ende finden wir doch noch das Kistchen. Was meinst?«

»Am liebsten wär' ich draußen aus diesen verfluchten Gängen«, erwiderte Andres und sah die Kelle zweifelnd an; »das Kistchen hol' der Kuckuck! Aber – horch!«

»'s wird dir eine Fledermaus um die Ohren geflogen sein«, tröstete der Landsknecht den Bauern, der sich erschrocken umsah; »jetzt bin ich einmal soweit und tapp' vielleicht um das Gold herum, jetzt – – o Andres, ist denn all' dein bißchen Mut zum Teufel gegangen?«

»Hörst du denn um Gottes willen nichts, du dickohriger Kerl?« flüsterte der Bauer, vor Unwillen und Schrecken zitternd.

»Nichts Merkwürdiges!« versetzte halb höhnisch Jörg, indem er immer an der Mauer hinzündete; »nichts als die fette Kröte, die sich dort im Winkel aufbläst, als wollt' sie bersten. Rumort dir dein Rausch immer noch in den Ohren?«

»Komm, Jörg; wir wollen anderswo sehn, wo wir hinauskommen!« bat der Bauer.

»Nichts da!« war die barsche Antwort. »Gelt, dir schlägt das Gewissen, weil du dran schuld bist, wenn wir hier verdursten, während die andern sich droben toll und voll saufen! Oder am End' ließest du mich gern hier stecken, wenn nur du mit heiler Haut davon wärst! Nichts da, Bruder! – Sieh, da liegt noch ganz nasser Mörtel! Heisa, jetzt hab' ich's! Komm her, Andres! Guck, wie der weiße Speis zwischen den schwarzen Steinen hängt! Und wie ihn die Kerls so schlampig draufgeschmiert haben! Nu bist doch ein gescheiter Kerl, Andres! Da können wir unsere Taschen füllen! Hast kein Beil da?«

Der Bauer war neugierig nähergetreten und betrachtete die angegebenen Merkmale. Auf seinem Gesicht kämpfte die Freude mit der Angst, als er das Beil aus dem Gürtel zog.

»Aber« – sagte er: »wenn wir einen Stein herausgebrochen haben und nichts drunter ist, dann gehen wir doch?«

»Wenn du nichts von den Goldvögeln willst«, versetzte Jörg, »so geh! Ich will bald fertig sein und hab' nicht im Sinn zu verhungern. – 's muß doch eine Gewaltseule in der Nähe gilfen! Ich hör's jetzt auch deutlich.« »Der Vogel bedeutet Unglück«, warnte Andres bedenklich; »wollen wir nicht lieber fort?«

»Esel, mach einmal!« rief der Landsknecht mit ernstlicher Ungeduld; »setz dein Beil dort links in die Spalte und drück zu mir herüber! Holz her! Hup! Hup! Ich nehm' den Spieß. Der Stein sitzt verflucht fest; mein Spieß bricht fast ab. Noch einmal: Hup! Hup! Hup! – Jetzt geht's! Kräftig, Andres! Hup! Hup!«

Mit dumpfem Gepolter stürzte der Stein zu Boden; zwei andere fielen nach einigem Wanken hintendrein und ein mächtiges, schwarzes Loch klaffte in der Mauer. Mit neugieriger Hast wollten Andres und Jörg hineinsehen; sie fuhren beide mit dem Kopf gegen die Öffnung, aber wie vom Blitz getroffen prallten sie wieder zurück. »Heilige Mutter Gottes!« schrie Jörg und die Fackel sank ihm aus der Hand und wollte am Boden verlöschen.

»Der Teufel! Hilf! Der Teufel!« heulte der Bauer, stürzte einige Schritte zurück und sank ohnmächtig zusammen. Langsam kam jetzt aus der Höhlung eine Art Totenkopf hervor. Kaum konnte man noch bemerken, daß eine runzelige Haut über die Knochen schlotterte; die Lippen waren weiß; tief in den Knochenhöhlen lagen die starren, gläsernen Augen, von einem blauen Ring umgeben, und bewegten sich langsam im Kreis herum. Jetzt regten sich die verdorrten Lippen und mühsam zwangen sich ein paar Worte durch den eingetrockneten Schlund.

»Bringt mich um! Um Jesu Christi willen bringt mich um!« flüsterte die heisere Stimme. Jörg raffte alle Kraft zusammen und sprach: »Im Namen dessen, den du selbst anrufst: bist du von dieser Welt?«

»Nimmer, nimmer!« stöhnte die Gestalt; »sei barmherzig und bring mich um!«

»Sprich nur, wie man dich nannte; dann will ich gern deine Bitte erfüllen!« sagte der Landsknecht etwas mutiger und hob die zum Glück noch brennende Fackel auf.

»O tu's schnell, tu's schnell!« flehte der Eingemauerte und faltete die knochigen Finger. »Verlängere meine Qual nicht! O, es ist gräßlich, jede Minute zu vergehen und immer nur zu erwachen zu neuer Qual! Jesu, Jesu, dir leid' ich; nimm mich zu dir! – Willst du mich nicht töten, Mann, eh' ich Antwort geb' auf deine Frage? Man hieß mich Bruder Bernhard; jetzt tu's, jetzt tu's!«

Jörg, dem rauhen Kriegsmann, stürzten bei diesen Worten die hellen Tränen über die Wangen. Er ahnte den Zusammenhang, wenn auch noch dunkel. Wie der Blitz fuhr er auf; ein rascher Stoß weckte Andres aus seiner Ohnmacht, der nun völlig stumpf und willenlos den Befehlen Jörgs gehorchte. Im Nu war die Mauer soweit eingerissen, daß sie den Mönch herauszuziehen vermochten. Vorsichtig nahm ihn der Landsknecht in die Arme und trug ihn fort, indem Andres mit der Fackel voranging. Schnell kamen sie die Staffeln hinauf, wieder in das runde Gemach, durch welches sie verirrt waren. Bernhard, halb ohnmächtig, konnte nur durch Winke andeuten, in welcher Richtung der Weg nach dem Keller führe. Sie gelangten wieder durch das schmale Gängchen an die Pforte. Aus dem Keller tönte kein Geschrei mehr und als sie eintraten, brannte nur noch eine einzige Fackel in dem weiten Gewölbe. Alles war still und kein Mensch mehr anwesend, außer zwei oder drei Bauern, welche laut schnarchend, ohne sich zu rühren, in einer Pfütze von Wein lagen, die sich jeden Augenblick vergrößerte, da der offene Hahn noch immer sprudelte wie ein Quell im Paradies.

Jörg legte seine teure Last auf den Boden, mit dem Rücken gegen ein Faß gelehnt. Bernhard war indessen völlig ohnmächtig geworden; seine Augenlieder waren geschlossen; fast unbemerklich hauchte der dünne Atem aus dem Munde; ängstlich rieb ihm der Landsknecht die Stirne mit dem köstlichsten, stärksten Wein und träufelte das Getränk in den willenlos sich öffnenden Mund. Lange lag der Unglückliche so da. Endlich taten sich langsam die Augen auf und ein lauter Freudenschrei entfuhr dem Munde und der Seele des zum Samariter gewordenen Landsknechts.


Rudolf ging unterdessen noch immer von Zelle zu Zelle, von Saal zu Saal. Manchmal sah ihm einer seiner Kriegsleute, die bereits für ihren Hauptmann durchs Feuer gegangen wären, mit einigem Kopfschütteln nach; denn niemand konnte erraten, was er denn eigentlich so eifrig suche. Alles, was in den Augen der Bauern einen Wert besaß, warf er unwillig weg und anderes, das nach ihren Begriffen nur zur Winterzeit für den Ofen einige Vorteile bot, stöberte er lange mit unverdrossener Emsigkeit durch. Er selbst hatte nur noch eine schwache Hoffnung, das Buch, das er in diesen Mauern vermutet hatte, wieder zu erlangen. Vielleicht war es ja gar nimmer vorhanden. Wie leicht konnten es die Mönche in ihrer fanatischen Wut vertilgt, – wie leicht konnten es sogar die Bauern in ihrer Dummheit verbrannt oder zerrissen haben!

Mit solchen Gedanken beschäftigt trat Rudolf in eine der abgelegensten, einsamsten Zellen des Klosters. Selbst die Bauern schienen diesen Platz noch nicht aufgefunden zu haben; denn der schwarze Schreibpult stand unberührt an der Wand, das Bett war noch frisch, das Fenster nicht zerschmettert, die Kästen verschlossen. Rudolf begann seine Untersuchung. Er riß den Wandschrank auf; eine gewöhnliche Kutte und einige wenige andere Kleidungsstücke waren das einzige, was er entdeckte. Er trat jetzt an den Pult und sprengte den Deckel auf. Aber auch hier fand er nicht, was er wollte; denn nur ein Schreibzeug, etliche Pergamente und ein altes zerrissenes Brevier befand sich darin. Dort stand noch ein Kasten, außer dem Bett und dem Pulte das einzige Geräte in dem düsteren Zimmer. Die Türe mußte auch hier aufgesprengt werden. Rudolf riß daran; das Schloß zerbrach, aber der ganze Kasten hatte sich um ein wenig vorgebeugt, so daß zwischen ihm und der Wand ein Gegenstand hinunterfallen konnte. Der Landsknecht hörte dies und nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Innere des Schreins vollkommen leer war, rückte er denselben, um nichts unversucht zu lassen, ein klein wenig auf die Seite. Abermals hörte er wieder etwas niederfallen und schob neugierig, was es sein möge, den Kasten vollends hinweg. Jetzt zeigte sich ihm, daß die feuchte Backsteinmauer beim Aufsprengen eingesunken und etliche Steine auf den Boden gestürzt waren. Da sich hinter der kleinen Öffnung eine Höhlung vorfand, welche künstlich gemacht schien, riß Rudolf noch einige weitere Steine aus und plötzlich rollten etliche Goldstücke aus den Spalten hervor. Erstaunt und neugierig stieß er das leichte Backsteingemäuer vollends ein und ein glitzernder Goldhaufen lag vor seinen Blicken.

Wie ein Dämon stand plötzlich unter der Türe die hohe, finstere Gestalt Roberts. Bleich vor Wut schaute er einen Augenblick auf Rudolf, der ihm gerade den Rücken zuwandte, und dann um sich her. Niemand war zu sehen; fast alle Bauern waren den Heilbronnern entgegengezogen. Wie eine wütende Katze stürzte der Mönch auf den ahnungslosen Landsknecht zu.

»Das gehört dir, verfluchter Hund!« rief er und stieß Rudolf einen Dolch zwischen die Schultern, daß dieser mit einem lauten Schmerzensschrei zu Boden stürzte und regungslos liegen blieb. Mit einem kalten, erzwungenen Lächeln stand Robert eine Zeitlang vor seinem Opfer. »Wer hieß dich auch, deine Nase in etwas stecken, das dich nichts anging?« murmelte er finster und wandte sich um. Eifrig begann er nun die Goldstücke zusammenzulesen und die Backsteine wieder in die Mauer zu fügen, ohne sich weiter nach Rudolf umzusehen, dessen Blut langsam über die Dielen floß. Aber noch schien dieser nicht tot zu sein; denn die Brust hob sich wieder in kurzem, kaum merklichem Atmen und manchmal zuckten die Finger krampfhaft zusammen.

Der teuflische Mönch hatte jetzt seine Arbeit fast ganz beendigt; nur der Kasten war noch auf die vorige Stelle zu rücken, um alles wieder unkenntlich zu machen. Ein nahendes Geräusch schreckte ihn auf; er faßte den Schrein mit aller Macht, um so schnell als möglich diesen Ort, der ihm so gefährlich werden konnte, verlassen zu dürfen.

Gepolter und rauhes Geschrei von Männern näherte sich durch den Gang. Erschrocken sprang Robert zur Türe und schlug sie zu. Doch fast in demselben Augenblick wurde sie wieder von außen aufgestoßen, daß der Mönch zurückprallte.

»Was gibt's da für Heimlichkeiten?« lachte einer der kriegerischen Bauern und trat rasch auf die Schwelle, »hilf, heiliger Gott!« rief er plötzlich in einem völlig veränderten Tone; »her da, Kameraden! Ein Mord! Mein Hauptmann ist gestochen! Helft eurem Hauptmann!«

Der Bauer wollte auf die Leiche zustürzen, aber Robert, der nur auf Sekunden seine unerschütterliche Fassung verlieren konnte, stellte sich ihm in den Weg und hielt ihn auf.

»Still! Still!« sagte er leise; »der verruchte Mörder hat ihn nicht tödlich getroffen. Er kann gerettet werden, wenn ihr ihn meinen Händen überlaßt. Geht wieder, aber still!«

Das Gemach füllte sich plötzlich mit den bewaffneten Bauern, die von allen Seiten erschrocken herbeikamen.

»Was? Gehen? In deinen Händen lassen?« schrie der vorderste wütend und schleuderte den Mönch auf die Seite. – »Wer war eben da? In wessen Händen ist er hier gewesen? – Hauptmann, Hauptmann, bist du tot? Mußt du so sterben wie ein Hund? Hauptmann! – Armer Bursche! – Rudolf!«

Der Bauer war vor dem Verwundeten niedergekniet und hielt den Kopf desselben empor. Die Zeichen der Wut und des Schmerzes, welche die Umstehenden nicht verhehlten, bewiesen deutlich, wie der junge Landsknecht durch seine unerschütterliche Tapferkeit sich bereits ihre treue Anhänglichkeit erworben hatte.

Robert näherte sich in dem Gewühl der Türe und wollte eben hinausschlüpfen; aber ein anderer Bauer warf ihn mit einem mächtigen Stoß wieder zurück, indem sein argwöhnischer Blick zornig auf dem bleichen, vor Angst zitternden Mönche ruhte.

»Heiliger Antonius!« rief der Bauer wieder, in dessen Schoß Rudolf lag; »der Dolch steckt ihm ja noch im Rücken! Um Gottes willen, Kaspar, zieh ihn heraus; ich kann's nicht! – – – Langsam! Langsam! Du machst ja die Wunde immer breiter! Das Messer schneidet wie Glas! Jetzt kommt das Blut! Herr, allmächtiger Gott!«

Der Gestochene zuckte bei dieser rohen Operation einigemal schmerzhaft zusammen und ein frohes Lächeln spielte auf des alten Jakobs Gesicht; denn der Schäfer von Kessach war es, der ihn hielt.

»Er lebt! Er lebt!« jubelte der Alte und hielt lauschend das Ohr an den Mund des Landsknechts.

Eine tiefe, ängstliche Stille trat ein; alles blickte auf den Verwundeten. Nur Kaspar, der ihm den Dolch aus der Wunde gezogen hatte, stand abseits und drehte schweigend, auf nichts anderes achtend, das blutige Messer in seinen Händen hin und her. »'s ist Metzlers Dolch; ich kann drauf schwören!« sagte er kaum hörbar vor sich hin und stieß mit dem Ellenbogen seinen Nachbar an. Mit den Worten: »Du, – wem gehört der Dolch?« – überreichte er ihm die Waffe. Der andere betrachtete sie ebensolang und bedächtig; seine Zornesader begann zu schwellen und er rief, plötzlich auf Robert zustürzend, mit Donnerstimme: »Haltet den Mörder! Diesen Dolch hast du am letzten Sonntag vom Metzler erhalten, du Hund! Dazu?«

Ein wilder Lärm entstand bei den Bauern. »Rache! Rache!« schrien sie und schwangen ihre Sensen und Spieße in der Luft. »Haut ihn nieder, den Hund!« rief's von allen Seiten und viele machten Miene, die Drohung auszuführen. Robert erwiderte nichts; unstät schweifte sein Auge im Kreis herum und spähte nach Rettung; aber es war eine eitle Hoffnung, die er hegte.

»Nein!« rief jetzt der Schäfer und ließ, zornig aufspringend, Rudolf auf den Boden gleiten; »keines ehrlichen Stoßes ist er wert. Hängen soll er wie ein Dieb! Dort ist ein Kloben, hier ein Strick! Zappeln soll er wie der gemeinste Hund! Mehr hat er nicht verdient!«

»Was? Ihr wollt?« – – stammelte jetzt der Mönch; doch ein wildes Geschrei erstickte seine Worte. Im Nu war der Knoten geschürzt und die Schlinge, freilich rasch und daher überaus nachlässig gemacht, flog ihm über den Kopf. Seine verzweifelte Gegenwehr war schnell überwunden.

»Ohne Metzler und Geyer dürft ihr mich nicht umbringen!« schrie er rasend, als sich bereits der Strick um den Kloben an der Mauer schlang.

»Wenn's die erfahren«, meinte einer der Bauern; »wirst du im Siedigen gekocht und gebraten! Du darfst noch froh sein, Pfaff!«

Kalter Angstschweiß rieselte Robert über die Stirne. Er spürte den Strick trotz der schlechten Schlinge doch allmählich sich zusammenziehen. Krampfhaft faßte er ihn mit beiden Händen über dem Kopf, um sich frei zu halten. »Hup!« schrie ein Bauer; das Seil fuhr hinauf; der Boden schwand unter Roberts Füßen; er hing, immer noch mit den Händen sich oben anklammernd und langsam hin und her baumelnd, in der Luft. »Laßt mich herab, Hunde!« schrie er von rasender Todesangst gefoltert, »augenblicklich laßt mich herab! Glaubt ihr«– – –

»Kommt, tragt euren Hauptmann fort, Bauern!« rief der Schäfer; »alle fort! Keiner soll sehen, wie die Bestie verreckt!« Die Bauern gehorchten; fluchend drängten sie sich nach der Türe.

»O, ich halt's nimmer aus! Laßt mich herab!« wimmerte der Gehenkte; – »Kisten Gold will ich euch verraten! – Gnade! Gnade! – O, meine Arme brechen! Laßt mich herab! – Schnell! – Scheffel Gold will ich euch verraten! Dummköpfe! – – – Liebe, liebe Bauern! Jedem einen Scheffel Gold!« – – –

»Verrat's dem Teufel, Pfaff!« rief der letzte der Hinausgehenden und schlug die donnernde Türe hinter sich zu. Kein Mensch war mehr in der Zelle; draußen im Gang verhallten die Tritte leiser und leiser; jetzt war's stille, – totenstill.

Bis dahin blieb der Mönch immer noch ziemlich ruhig hängen, die Arme, mit denen er sich hielt, fortwährend über den Kopf gebogen; aber jetzt fing er an, mit den Füßen fürchterlich zu zappeln; sein Körper schnellte sich konvulsivisch auf und ab; sein Gesicht wurde dunkelrot.

»Gnade! Gnade!« schrie er heulend dazwischen. »Allmächtiger, barmherziger Gott, hilf! Laß den Kloben brechen! – – Satan, hilf, wenn du's besser kannst! Gnade! – Gnade! – Teufel! – Satan!« – –

Die Arme brachen. Noch einmal zuckte der Leib auf, als der fürchterliche Strick den Hals zuschnürte; dann sanken die Glieder schlaff herab. Aber immer noch regten sich die Lippen; noch drehten sich die hervorgetriebenen Augäpfel schauerlich nach allen Richtungen; dann wurde das Gesicht blaurot; es schien aus zu sein mit ihm. –

In dem Gang vor der Zelle war niemand mehr; die Masse der Bauern hatte sich nach einem andern Teil des Klosters gezogen und nur undeutlich drang ihr Geschrei herüber. Jetzt nahten sich eilige Tritte. Zwei Männer bogen um die Ecke und näherten sich der Zelle. Trotz der Dunkelheit hätte man Jörgs gedrungene Gestalt wahrnehmen können; die Züge des andern, dessen wankende Schritte der Landsknecht unterstützte, waren gräßlich mager und bleich; er schien außerordentlich schwach zu sein, und doch sah man jeder seiner Bewegungen an, wie er sich Mühe gab, die matten Kräfte aufs äußerste anzuspannen. Es war Bernhard.

»O rettet ihn, rettet unsern Rudolf, Herr Pater!« bat der Landsknecht mit ängstlicher Stimme; »Ihr wißt nicht, wie tapfer und gut er war. Er darf so nicht sterben!«

»Wenn mir der Herr seinen Segen gibt, so ist dein Freund gerettet!« versicherte ihm Bernhard in festem Glauben.

»Kaum seid Ihr eben selbst wieder lebendig geworden, so müßt Ihr wieder helfen und lebendig machen; Ihr habt einen schönen Beruf!« rief Jörg freudig; denn er war überzeugt, daß Rudolf fast schon sicherlich gerettet sei.

»Noch ist nichts gewiß!« sagte der Jüngling; »doch – wir wollen eilen!«

»Es ist so still hier herum!« meinte Jörg; »wenn wir nur nicht fehlgegangen sind! Andres sagte: die dritte Türe vom Eck an sei's; also diese! »Kommt, Herr Pater!«

»Stiller! Stiller! Wir treten in ein Krankenzimmer!« flüsterte Bernhard. Jörg öffnete leise die Türe und warf einen Blick hinein. Dort bei dem Kasten war wohl eine Lache Blut; der Verwundete, den sie suchten, war nicht hier. Aber – »um Gottes Willen, was ist das?« Links an einem Querbalken hing die Leiche Roberts. Wie von einer Viper gestochen sprang der entsetzte Landsknecht zurück; im nämlichen Augenblick riß ihm Bernhard ein Messer von der Seite und stürzte entschlossen auf den Gehenkten los. Ein Schnitt in das straffe Seil und der erstarrte Körper fiel schlaff auf den Boden herunter.

»Um Gott, Herr Pater, kommt! Er hat Euch im Leben genug zu schaffen gemacht,« rief Jörg; »jetzt hat er seinen Lohn! Gott weiß, wer ihn da aufgehängt! Kommt, laßt den Hund liegen; er ist maustot! Rettet den Lebenden, eh' er sich verblutet, kommt!«

Der Landsknecht packte Bernhard am Arme und riß ihn mit Gewalt zur Zelle hinaus.


Die Woche verging; es ward wieder Sonntag und noch immer hausten die Bauern im Kloster. In unsinnigem Übermut verpraßten sie die Güter der reichen Abtei und dachten nicht ans Weitergehen, ehe das letzte Faß im Keller, der letzte volle Speicher unter dem Dache geleert wäre. Von allen Seiten strömte das schlechte Gesindel herbei und schloß sich den Aufständischen an, um sie später, wenn die Gefahr ernster wurde, schändlich wieder zu verlassen.

Im hintersten Teil des Gebäudes, soweit als möglich von dem Getümmel entfernt, das selbst bei Nacht kein Ende nehmen wollte, befand sich ein kleines Gemach. Nur durch ein einziges Fenster drang das trübe Tageslicht und beschien nichts als feuchte, kahle Wände und in der Ecke ein reinliches, weißes Bett. Vor dem Bett saß Bernhard und bewachte die Ruhe des Kranken, der darin schlummerte. Wohl sah man ihm noch an, was er vor einer Woche gelitten hatte; seine Wangen waren nur leise gerötet, aber die Kraft der Jugend war doch zu stark gewesen, um gänzlich zu unterliegen, und vernichtete allmählich jede Spur jenes schrecklichen Leidens, welches ihm nur noch wie ein bitterer Traum vor der Seele schwebte und gar oft in ihm jenes süße, freudige Gefühl erregte, das derjenige empfindet, welcher eine schwere Pflicht siegreich erfüllt hat.

In dem Bett schlief Rudolf. Auch er schien einer baldigen Genesung entgegenzugehen; denn sein Atem war ruhig und sanft, sein Auge, das er eben aufschlug, hell und voll Freude und Dankbarkeit auf Bernhard gerichtet.

»Brennt dich deine Wunde noch?« fragte dieser mitleidig, als er sah, daß der Kranke erwacht war.

»Ich spüre sie kaum mehr«, versetzte Rudolf heiter; »noch heute kann ich das Bett verlassen. Nicht wahr?«

»Nein, noch lange nicht! Bleibe nur ruhig!« bat Bernhard; »du weißt nicht, wie sehr dich der Blutverlust geschwächt hat. Gottlob, daß dein Fieber etwas nachläßt!«

»Noch länger liegen bleiben?« seufzte der Verwundete; »herausspringen würd' ich, hätte mich nicht der Dank zu deinem Sklaven gemacht. Mit was soll ich diese Zeit hinbringen, bis ich wieder zu meinem Schwerte greifen darf?«

»Mit Geduld!« antwortete Bernhard ernst.

»Mit Geduld?« wiederholte der junge Krieger; »ja freilich! Aber wenn sie bricht?«

»Es gibt einen, der sie stärken kann!« sprach der ehemalige Mönch; »kennst du ihn nicht?«

»Ein Mönch hat mich beschämt«, flüsterte Rudolf, der vom Fieber nicht ganz frei und seiner inneren Bewegung noch nicht völlig Herr war. – »O Vater, ich habe dich vergessen!«

Nach einer Pause fuhr er fort: »Vater Bernhard, ich weiß wohl, woher deine eingefallenen Wangen kommen. Mein Kamerad, der Jörg, hat mir alles erzählt, wie er mich neulich besucht hat. Wir sind die Ursach' und du hast es uns doch großmütig verziehen; das seh' ich an mir.«

»Euch hatt' ich nichts zu verzeihen«, unterbrach ihn Bernhard; »vielleicht kaum meinem Bruder Robert, der nur aus Furcht also gehandelt. Ich habe nur gelitten, wie ich leiden mußte, um des Herrn wert zu werden. Wie sollt' ich mich beklagen?«

»Das ist mehr als Tapferkeit!« rief Rudolf und suchte die Hand des Mönchs zu fassen. »O dürft' ich dich auch Bruder nennen!«

Bernhard sah plötzlich auf die Seite. Nach einem langen Schweigen sagte er: »Weißt du noch nicht, was aus Robert geworden?«

»Ach Gott, sie haben ihn ja gehängt!« sprach der Landsknecht. »Soviel hat er nicht verschuldet, in seinen Sünden aus der Welt scheiden zu müssen! Und ich bin schuld daran!«

»Weißt du also noch nicht«, fuhr Bernhard fort, »daß ich ihn abgeschnitten habe und daß sein Leichnam nirgends mehr zu finden ist? Vielleicht war er noch nicht tot! Vielleicht hat ihm unser Gott nochmals das Leben geschenkt! Wär's nicht möglich, daß er entronnen ist?«

»Das wälzt mir einen Stein vom Herzen«, versetzte Rudolf; »und wiederum hast du's getan! Wie kann ich dir alles vergelten? Mußt du immer mein Schutzengel sein?«

Abermals trat eine lange Stille in dem Gemache ein.

Jeder schien mit sich selbst beschäftigt und besonders auf Bernhards Gesicht arbeitete eine ungewöhnliche Unruhe. Endlich begann er: »Rudolf, wenn jetzt die Bauern aufbrechen, was ja doch jeden Tag geschehen kann: wirst du ihnen folgen?«

»Was soll diese Frage?« erwiderte der Landsknecht etwas erstaunt. »Ich ziehe mit den Bauern, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, so gut ich kann. Will mir jemand dies wehren? Sollen sie noch länger die Hunde der Adeligen bleiben, weil ihre Väter Bauern waren? Ich habe wenig Nutzen, wenn ich mit ihnen gehe; aber kann man solches Elend lange mit ansehen?«

»Nicht Böses mit Bösem vergelten, – Dulden ist die Pflicht des Christen«, versetzte Bernhard ernst. »Auf keiner Empörung ruht der Segen Gottes. Und glaubst du, daß der Herr gnädiger sein werde, wenn ihr in toller Wut alles Land verwüstet, raubet und mordet? Rudolf, laß dich nicht verführen durch den eiteln Schein!«

»Der Doktor Luther soll selber unsere Artikel prüfen; – er wird sie billigen müssen!« versetzte der Landsknecht nachdenklich.

»Und wenn auch, – glaube ja nicht, daß dieser Aufruhr entstanden ist bloß um die Artikel!« sagte Bernhard. »Wo Ehrgeiz und Habsucht und Verführung den Grund legen, wird das Gebäude bald zusammenbrechen!«

Rudolf schwieg gedankenvoll. Er blickte an die Wand und bemerkte nicht, wie Bernhard immer unruhiger wurde. »Gehst du denn nicht auch mit, wenn sie aufbrechen?« fragte er endlich, ohne sich umzuwenden.

»Mit den Bauern?« sagte Bernhard; »nein; ich verstehe nicht, den Morgenstern oder das Schwert zu führen; ich würde ihnen nichts nützen.«

»Aber – werden dich die Mönche nicht umbringen, wenn du hier bleibst und sie dich finden?« fragte Rudolf weiter und seine Stimme verriet deutlich, mit welcher kindlichen, ja krankhaften Ängstlichkeit er die Antwort erwartete.

»Sie können mir nichts tun, was Gott nicht will!« entgegnete Bernhard ruhig.

»Nein, du darfst nicht hier bleiben!« rief der junge Krieger heftig; »Gott kann nicht wollen, daß du dich neuen Gefahren aussetzest. Ein solcher Mut ist Tollheit; du darfst nicht bleiben! Willst du mit uns?«

»Nein!« war wieder die bestimmte Antwort; »ich darf, ich kann nicht aus dem Kloster. Mein Gelübde bindet mich.«

»Bist du nicht entkleidet?« fragte Rudolf, neue Hoffnung schöpfend.

»Meine Entkleidung ist herbeigeführt durch Lüge und Betrug; sie kann mich des Gelübdes nicht entbinden!« erwiderte der unerschütterliche Mönch.

»Nun dann – dann bleib' ich auch, bis sie dich hinausstoßen; ich kann dich nicht verlassen!« sprach Rudolf leise mit inniger Wärme.

Beide drückten sich schweigend die Hand, ohne sich anzusehen; Bernhards Hand zitterte. Still zog er jetzt aus seinem Kleide ein altes, graues Buch hervor und schlug es auf. Rudolf merkte nichts; er war erschöpft auf das Kissen gesunken und blickte nach einer andern Seite hinaus.

»Soll ich dir nicht einmal etwas vorlesen?« fragte Bernhard mit bebender Stimme. Der Landsknecht nickte bejahend und wandte sich um.

»Woher hast du dieses Buch?« rief Rudolf plötzlich und fuhr in die Höhe.

»Von meinem Vater, der in Götzens Burg gestorben ist!« antwortete Bernhard und suchte seine Unruhe zu bemeistern, aber es gelang ihm nicht; das Buch sank auf den Boden. »Bruder! Bruder!« schrie Rudolf laut und beide lagen sich in den Armen.

Wie ein Augenblick flogen jetzt die Mittagsstunden vorüber; sogar viel hatten sich die beiden Brüder zu erzählen. Bernhard hatte schon längst, als Rudolf noch im Fieber dalag, aus den verwirrten Worten, die er ausstieß, den Sohn seines eigenen Vaters erkannt; die Bibel sollte ihm der letzte Beweis sein. Er hatte gezittert aus Furcht, als er das Buch hervorzog; denn ein einziger gleichgültiger Blick seines Bruders hätte ihm die schönste Hoffnung seines Lebens zerschmettern müssen. Aber alles hatte sich so herrlich gelöst!

In kurzen Umrissen erzählte er nun die Geschichte seines an äußerlich auffallenden Bewegungen so armen, an inneren Umwälzungen so reichen Klosterlebens, von den ersten kindlichen Erinnerungen an bis zu dieser Stunde, und vernahm dagegen mit inniger Teilnahme, wie sein Vater nach jenem schrecklichen Aufenthalt im Kloster mit dem einzigen, noch übrigen Kinde ruh- und rastlos in der Welt umhergeirrt, – wie Rudolf, schon von Kindesbeinen an in den rauhen Lebenskampf hinausgeschleudert, eben an seinem Vater und an dem reinen Worte Gottes eine so kräftige Stütze gehabt, – wie er die Ursache des geheimen Kummers und der stillen Gewissensbisse, die der alte Vater in sich verschloß, erst in den letzten Jahren geahnt habe, – und wie sie beide dann aufgebrochen seien, um das verloren geglaubte Kind um jeden Preis wieder zu finden, – und wie er es endlich doch in seinen letzten Stunden noch hatte finden dürfen; – alles dies erfuhr jetzt Bernhard und ward nicht müde, nach seinem teuren Vater mehr und immer mehr zu fragen. Er wußte ja: – jetzt hatte er Ruhe, nachdem er auf dieser Erde so furchtbar gelitten, – Ruhe im Grabe, Ruhe bei seinem Heiland. Es dämmerte schon längst. Schweigend lagen sich die beiden Brüder in den Armen; jeder betete ein stilles Dankgebet und es war ihnen fast, als wehe der Geist ihres Vaters segnend über sie hin und lasse einen Teil jener himmlischen Freude auf sie niederfließen, um welche der Mensch noch immer vergeblich gerungen hat aus eigener Kraft.

In diesem Augenblick öffnete sich rasch die Türe und ein wohlbewaffneter Bauer trat ein. Er mochte vielleicht auch mehr sein; denn trotz des Dunkels glänzte unter seinem groben Mantel ein blanker Harnisch und von seinem Hut winkten zwei mächtige Hahnenfedern.

Rudolf erkannte sogleich Florian Geyer und bot ihm die Hand aus dem Bette. Der Krieger schüttelte sie ihm in derber Kriegerweise, indem er zugleich Bernhard, der auf die Seite getreten war, freundlich grüßte.

»Immer noch auf der langweiligen Pritsche, Kamerad?« rief er, zu dem Verwundeten gewendet, und setzte sich an das Bett; »kannst du's denn aushalten – so lange?«

»Wenn man muß, kann man alles!« sagte Rudolf. »Hätt' einer an selbigem Tag dich gestochen oder geschossen, – du müßtest's eben auch aushalten. 's kommt mich freilich oft hart genug an.«

»Sag mir nichts von damals!« rief Florian, ernstlich böse werdend; »hätt' ich dir gefolgt, – es wär' alles so gut gegangen. Aber ein Pfaff' kann auch den ehrlichsten Kriegsmann herumbringen mit seinem verfluchten Geschwätz. Heiliger Gott, haben wir uns nicht wie Katzen durch den Dreck im Graben schleichen müssen und sind wie Diebe an dem Turm hinaufgeklettert, dieweil du, das Schwert in der Hand, in ehrlichem Kampf die Mauer erstürmst! Ich hab' gar nimmer geglaubt, daß ich der Florian Geyer sei!«

»Ich sagt' es ja, daß es nicht zu schwer sei!« versetzte Rudolf.

»Ja, ich hätte dir folgen können!« fuhr der Ritter in etwas kühlerem Tone fort; denn er schämte sich plötzlich seines vorigen, allzuschwachen Geständnisses; – »ich hätte dir folgen können – diesmal! Aber das merk' dir, ich mein's gewiß gut: so ehrlich, als du glaubst, kommt man nicht durch die Welt. Du kannst dir's denken: ich hab' mich doch mit ihr schon wacker herumgebalgt, eh' ich Bauernführer ward, und hab' doch weiter nichts gelernt, als das Sprüchlein: »Hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen!« Das ist das einzige Mittel, wie man leichter durchkommt. Merk dir's, Rudolf: wenn man sich manchmal auch ein bißchen schief hilft, deswegen ist man noch kein Dieb und Bösewicht. Warum ist die Welt nun einmal so und nicht anders?«

Rudolf hätte solche Lehren zu jeder andern Zeit lieber angehört als jetzt. Einigemal blickte er zu Bernhard hinüber; denn er liebte Geyer um seiner Offenheit willen und hätte ungern gesehen, daß er sich durch seine eigenen Worte in den Augen seines Bruders herabsetze. Jetzt, als der alte Ritter schwieg, hätte Rudolf gerne das Gespräch auf einen andern Gegenstand gelenkt, aber noch ehe er sich besonnen hatte, wie? fuhr Florian selbst in einem anderen Tone fort.

»Weißt du schon, daß Robert entronnen ist, – durch Eure unzeitige Milde, Herr Pater!« – setzte er, gegen Bernhard gewendet, hinzu.

»Ist er?« fragte der Landsknecht mit freudiger Überraschung.

»Ja, leider ist er!« bekräftigte Geyer; »und wenn Ihr ihm auch verzeiht als guter Christ, so sollt Ihr Euch doch nicht freuen, daß ein Meuchelmörder dem Strick entgangen, den er ja zehnfach schon um Euch, Herr Pater, verdient hat.«

»Ich bitt' Euch, Herr Ritter, – nennt mich nimmer Pater!« sagte endlich Bernhard; »Ihr wißt ja, daß ich kein Mönch mehr bin!«

»Schon gut, schon gut!« sprach Florian; »ich glaube nur, um Euch hat die tückische Katze auch kein sonderlich Verdienst und Ihr habt blutwenig Grund gehabt, den Schurken abzuschneiden.«

»Gott wird schon richten zwischen mir und ihm«, versetzte Bernhard ruhig; »ich habe keine Ursach', ihm zu grollen, daß er das Werkzeug werden mußte, meinen Glauben und meine Geduld zu prüfen.«

»Gestern abend haben ihn etliche meiner Bauern im Wald gesehn«, erzählte Geyer, unwillig, daß er mit seinem wohlgemeinten Verweis so gar wenig Anklang fand. »Wie eine Eidechse so scheu sei er ins Gebüsch gekrochen, als er sie hab' herankommen sehn. Sie hätten ihn gar zu gern abgefangen.«

»Seht, Herr Ritter«, sagte Bernhard wieder, »solch ein Leben voll Angst und Not ist allein schon Strafe genug für einen Bösewicht.«

»Pah!« rief der Bauernhauptmann; »glaubt Ihr denn, daß ihm dies so wehe tut? Er schmiedet neue Pläne, wenn die alten mißglückt sind; er sinnt auf Rache; das ist ihm ein Genuß. Aber das sag' ich: dem Strick ist er noch lange nicht entronnen!«

»Wie Gott will!« sagte Bernhard ernst und eine lange Pause unterbrach das Gespräch. –

»Ich kam eigentlich, um dich zu fragen, ob du das Bett noch nicht verlassen könnest?« sprach Geyer endlich und stand auf.

»Vor einer Woche mindestens nicht!« antwortete Bernhard mit Bestimmtheit.

»Warum?« fragte Rudolf fast im gleichen Augenblick den Ritter, und seine Stimme verriet dabei eine ängstliche Spannung.

»Weil wir morgen aufbrechen«, versetzte Florian; »und ich möchte dich nicht zurücklassen!«

»Er kann aber gewiß noch nicht!« sagte Bernhard besorgt; »seine Wunde würde aufs neue aufbrechen.«

»Noch nicht, Rudolf?« wiederholte Florian, als traue er den Worten des jungen Mönches nicht; »aber ich kann dich doch nicht hier lassen! Wer wird einen Verwundeten schützen in der Mitte rasender Mönche?«

»Ich werde ihn nicht verlassen!« versicherte Bernhard mit inniger Wärme.

»Wie? Auch Ihr wollt nicht mit uns ziehn?« fragte Geyer erstaunt; »Ihr steht ja in gleicher, wo nicht größerer Gefahr, und Ihr wollt ihn noch beschützen?«

»Ja, ich will's!« erwiderte Bernhard fest und ruhig; »und mich wird Gott schützen!«

»Aber Ihr werdet uns doch später folgen, – Rudolf?« fragte der Ritter und sah mit inniger Teilnahme auf den Kranken.

»Ich folge Bernhard!« antwortete der Landsknecht und man merkte wohl, wie schwer ihm diese Worte wurden; »er hat mich vom Tode gerettet, – ich muß ihm gehorchen, – er ist mein Bruder!«

»Unsinn!« schrie Geyer und fuhr wild auf; »bist du verrückt, Bursche? – Ja so! was darf ich sagen? Mich hat ja auch ein Pfaffe zu einem schurkischen Räuber geschwätzt! O Pfaffen! o Pfaffen! Armer Bube, – leb' wohl!« – Er eilte zur Türe.

»Florian!« rief Rudolf mit gepreßter Stimme. Doch der Ritter war schon aus der Zelle; heftig hatte er die donnernde Türe zugeschlagen und seine zornigen Tritte verhallten im Gang.

»Gott Lob und Dank!« rief Bernhard jetzt aus vollem Herzen. »Wie war mir's so bang auf diese Stunde! Jetzt bist du gerettet!«

Rudolf drückte schweigend seinen Bruder ans Herz: er konnte nichts sprechen; der Schmerz, den er unterdrücken wollte, schnürte ihm die Kehle zu. Lange blieben sie stille nebeneinander; plötzlich schauderte Bernhard zusammen; die dichte Finsternis verhüllte ihm die Gesichtszüge seines Rudolfs; kein leises Schluchzen, selbst keinen Seufzer konnte er vernehmen; nur ein warmer, großer Tropfen war auf seine Hand gefallen und er wußte, wie bitter eine solche Träne war.


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