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Wer Schönes hier und Zartes sucht,
der sei gewarnt! In diesen Blättern
schläft manches Grau'n, und aus den Lettern
grinst oft, was scheusslich und verrucht.
Osc. Panizza, Heilige Antonius.
»So kommen Sie doch mit!« sagte Frank Braun.
Der alte Pfarrer schüttelte den Kopf. »Unmöglich,« antwortete er, »es ist ganz unmöglich.«
– – Der kleine Gardadampfer hielt; die beiden stiegen mit der Menge an Land. Frank Braun suchte herum, fand endlich den Portier seines Hotels, winkte ihn heran und übergab ihm den Gepäckschein und die Handtaschen. Dann wandte er sich wieder dem Pfarrer zu.
»Darf ich Sie begleiten, Hochwürden?«
»Verzeihen Sie – nein.« sagte der Alte. »Ich muss ins Pfarrhaus, habe dort einiges zu erledigen. Aber wenn Sie gestatten, werde ich Sie heute abend im Hotel aufsuchen.«
»Es wird mir eine grosse Freude sein. – Also zum Abendessen, Don Vincenzo!«
Der Pfarrer gab ihm die Hand. »Auf Wiedersehn.«
Frank Braun ging langsam dem Hotel zu, das dicht am See lag. Er liess sich ein Zimmer geben, wusch sich, schrieb ein paar Briefe. Er machte einen Spaziergang; kam eben zurück, als das Gong schlug. Aber er ging nicht gleich in den Speisesaal, erst hinauf in sein Zimmer. Er rasierte sich sorgfältig, langsam genug; dann legte er den Abendanzug an. Man trug schon den dritten Gang auf, als er unten eintrat. Er fand den Pfarrer an einem kleinen Tische am Fenster sitzen.
»Ich habe Sie warten lassen,« entschuldigte er sich. »Es ist das eine schlechte Gewohnheit von mir – –« Er nahm die Weinkarte und liess sich von seinem Gaste Rat geben. Bald fand er die Marke, die jener liebte.
»Das ist merkwürdig.« lachte er. »Gerade das, was ich selber bevorzuge!«
Aber er trank kaum ein halbes Glas und ass ebensowenig. Er liess sich nicht nachservieren und sorgte nur, dass des Pfarrers Teller nimmer leer wurde. Beim Dessert schälte er ihm ein paar grosse Calvilleäpfel; der Alte ass sie zum Käse.
»Aepfel essen Sie auch nicht?« fragte er.
»Doch.« antwortete Frank Braun. Er nahm eine Scheibe und streute ein wenig Salz darauf.
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Mit Salz? Aepfel mit Salz?«
»Gewiss, Hochwürden. So kann man erst den Geschmack des Apfels herausfinden.«
Der Pfarrer stippte sogleich seine Apfelscheibe in das Salzfass. »Zu viel, Don Vincenzo, zu viel!« lachte der Deutsche. Jener kratzte das Salz wieder ab.
»Ist es so gut?«
»Ja, so ists gut.«
Der Alte kostete. »Ja – ja – Sie haben recht. Der reine Geschmack kommt wohl bestimmter heraus. Ich werde mir das merken, Doktor; ich werde es nächstens unsern Bischof lehren. Der schätzt solche kleine Feinheiten. – Man muss eben den Dingen auf den Kern kommen!«
»Freilich, Don Vincenzo. – Das ist das Erste.«
»Erlauben Sie – – wieso das Erste?«
Frank Braun füllte das Glas seines Gastes. »Nun, ich meine – die Diagnose ist überall und immer das Erste. Wenn wir zum Beispiel einen Apfel machen wollen, so müssen wir doch erst genau wissen – –«
»Einen Apfel – machen?« unterbrach ihn der Priester. »Aber wir wollen doch keinen Apfel machen!«
Frank Braun sagte: »Warum wollen wir nicht? Wir wollen alles machen. Aber nehmen wir etwas anderes, wenn Ihnen die Zukunftkunst, einen Apfel zu machen, zu ferne liegt. Da ist eine Krankheit – sagen wir die Cholera. Erst in dem Augenblicke können wir daran gehen, sie wirksam zu bekämpfen, wenn wir die Bazillen, die die Krankheit erregen, und deren Lebensart genau kennen. Die genaue Erkenntnis ist immer das Erste – in allen Dingen. Nicht wahr, Hochwürden?«
»O ja – gewiss!« Der Pfarrer leerte sein Glas. »Jetzt verstehe ich, was Sie meinen, Doktor. Aber verzeihen Sie, so ganz bin ich doch nicht einverstanden, wenn Sie mir den Apfel plötzlich wegnehmen und dafür die Cholera hinsetzen. – Den Apfel wollten Sie – machen – – nicht wahr, Doktor? So wie er da Hegt, so wie er auf den Bäumen wächst. Von der Cholera aber wollen Sie gerade das Gegenteil: sie zunichte machen! Man soll sie bekämpfen – – aber doch nicht machen!«
Der andere lächelte. »Nein? – Und warum denn nicht? Sie freilich, Hochwürden, möchten sich allerdings nicht damit abgeben. Und ich – nun ich werde wohl auch kaum jemals eine Gelegenheit dazu haben. Aber andere Leute? Erfinden wir denn nicht in jedem guten Jahr irgendeine neue schöne Sache, um möglichst viele Menschen möglichst rasch und sicher vom Leben zum Tode zu bringen? Torpedos und Revolverkanonen? Unterseeboote und Kriegsflieger? Lyddit, Melinit, Nitroglycerin und all diese hübschen Dinge? Warum sollte man nicht irgendeine furchtbare Pest in Feindesland werfen, so eine schwarze oder gelbe Seuche, die besser arbeitet als alle Mordgewehre der Welt?«
Der Pfarrer bekreuzigte sich: »Heilige Mutter Gottes!« rief er. »Das mögen alle guten Heiligen verhüten!«
Der Deutsche nickte. »Ja, das hoffe ich auch. Ein Krieg ist immer dumm und man kann ihm nur sehr wenige Seiten abgewinnen, für die sich ein kleines Interesse lohnen möchte. Aber die Möglichkeit ist da, Seuchen zu machen, das geben Sie doch zu, Don Vincenzo? Jeder Pfuscher kann es – – heute schon. Aepfel machen freilich, das ist schwerer: aber wir werden auch das lernen – später einmal. Wir sind ja noch so jung.«
»Jung?«
»Nun ja, Hochwürden! Der älteste Mensch, dessen Knochen wir fanden, starb vor kaum dreieinhalb Millionen Jahren.«
»Und das nennen Sie jung?« Der Pfarrer sah ihn scharf an, gerade in die Augen. Hatte er nicht schon einmal – –? Aber er irrte sich gewiss. Nein, er hatte dieses Gesicht noch nie gesehen. Nur der Ausdruck erinnerte ihn – – ja, den kannte er doch! Lächelnd, überlegen, gefangennehmend – gegen allen Willen. Schon einmal hatten ihn diese Züge erschreckt – – irgendwo auf einem Bilde? Oder auf einer Zeichnung in einem alten Buche? Er besann sich, starrte sein Gegenüber an.
Glatt rasiert war dieses Gesicht, schmal und gebräunt. Die Augen hatten keine bestimmte Farbe, mochten blau sein oder auch grün oder grau. Ueber die hohe Stirne – leicht gewölbt über den schwachen Brauen – fiel eine wirre Strähne aschblonden Haares; die Lippen zogen sich ein wenig nach unten um den halboffnen Mund. Der Alte sah das gute, weisse Gebiss, hie und da blitzte das Gold dazwischen. Dieses Gesicht schien jung, sehr jung zu sein – und doch mochte es wieder alt sein – – wie alt nur? Die matten Opalaugen lachten nun, harmlos, fast gutmütig. »Wie ein guter Junge.« dachte der Pfarrer. – »Ein Kind, er ist ein rechtes Kind.«
Der Fremde erwiderte lächelnd diesen langen Blick. Nun aber kehrten sich seine Augen ab, irrten umher, blickten durch das offene Fenster zum See hinaus. Und der Pfarrer begriff sie schnell: verträumt, phantastisch, verirrte Späher aus Seelenland, wo alle Sehnsüchte wohnten. Dann wieder wandte jener den Kopf, blickte ihn voll an, ernst, fast drohend. Jetzt sah der Alte kaum des anderen Augen – aber er fühlte, fühlte diesen Blick. Und doch war ihm, als ob diese seltsame, beschwörende Kraft nicht daher komme. Oder – doch nicht allein daher – –
»Nein, nein, Hochwürden! Sie kennen mich nicht. Heute morgen, als Sie in Sirmione an Bord kamen, sahen Sie mich zum erstenmal.«
Der Deutsche lachte, und es war ein frisches, gesundes Kinderlachen.
»Was heisst das?« fragte der Pfarrer ein wenig verwirrt und doch gleich beruhigt durch das gutmütige Gelächter. »Sie können Gedanken lesen?«
»Ist das so schwer? Sie haben ein tell-tale-face – – so trinken Sie doch, Don Vincenzo!« Er füllte von neuem das Glas. »Rauchen Sie?« Er reichte ihm sein Etui. »Fast alle Menschen haben solche Gesichter und ganz besonders die Geistlichen. – Man hat Mühe, sich das abzugewöhnen. Es ist nicht gut, so als aufgeschlagenes Buch durch die Welt zu laufen.«
»Gott sei Dank können nicht alle Menschen lesen.«
»Richtig, Don Vincenzo, es gibt grässlich viel Analphabeten. – Aber da sind wir wieder: das Lesen ist das Erste. Das ist das Sehen, das Erkennen. Und dann erst kommt das andere – das Schreiben: das ist das Schaffen.«
»Das ist nicht für uns, lieber Doktor, nicht für die Priester.«
»Und doch weiss ich einen, der es wohl konnte.«
»Einen Priester?«
»Ja, er ist Priester wie Sie. Noch mehr: er ist Ihr Namensvetter, und ich denke, Sie sollten ihn kennen.«
»Vincenzo –? – Vincenzo Alfieri – Sie meinen doch nicht Pater Vincenzo Alfieri von Padua?«
»Gerade den meine ich.«
»Und Sie kennen ihn?«
»Ja, ich glaube, dass ich ihn gut kenne.«
»O, er ist ein begabter Mensch! Er war der beste Prediger Italiens.«
»Er kann lesen und schreiben. Er ist ein Schaffender.«
»Erzählen Sie mir von ihm. Ich hörte ihn einmal in Padua sprechen – das war vor acht – nein vor neun Jahren. Ich weiss nicht mehr, was er sagte, aber ich werde nie in meinem Leben vergessen, wie er sprach. Es war, als trüge er meine Seele in weite Höhen. Wo ist er jetzt? Man sagt, der Papst habe – –«
Frank Braun unterbrach ihn: »Ja, ja – man sagt! Man sagt! – Uebrigens kann ich Sie versichern, Don Vincenzo, dass Seine Heiligkeit wirklich keinen Grund hatten, die Tätigkeit Alfieris abzubrechen. Es war eine läppische Intrigue der römischen Jesuiten und schliesslich eine reine Machtfrage gegen Kardinal Méry del Val, dessen Schützling er war. Ich bin überzeugt, dass der Papst das plumpe Spiel wohl durchschaute; aber er wollte eben dem Streit ein Ende machen. So schloss er das Kompromiss und sandte den Paduaner nach Spanien.«
»Er predigt nun in Spanien?«
»Ja, in Madrid. Und mit demselben gewaltigen Erfolg. – Aber ich sage Ihnen, die Bewegung, die er macht, ist ganz, ganz ungefährlich. Er ist ein Helfer der Kirche. – Sperrt ihn sechs Jahre lang in ein Kloster ein – und es mag ein Mahomet aus ihm erstehen oder ein Luther. Er liest, aber er erkennt nur wenig das, was er liest. Und so schreibt er – – verstaubte, abgegriffene Bücher.«
Der Pfarrer sah ihn verständnislos an: »Alfieri schreibt – –? Was schreibt er denn?«
Wieder lachte der Deutsche: »Gar nichts schreibt er natürlich! Aber er schafft – und was er schafft ist verstaubt und abgegriffen. Schlecht. Ungefährlich. – Aber immerhin: es schafft, schafft – – und darum liebe ich ihn.«
»Nun gut, Doktor – aber was in aller Welt schafft er denn?«
Frank Braun beugte sich weit über den Tisch. Er stützte die Ellenbogen auf die Platte und legte die Hände leicht nach vorne. Don Vincenzo fühlte wieder den leisen Zwang dieser seltsamen Augen, aber sein eigener Blick ruhte gebannt auf den Händen des andern. Grosse, starke Hände, Hände wie eines Raubtiers grausame Tatzen. Schmal die gespreizten Finger, aber knochig und dick in den Gelenken – – unerbittliche Hände, die sich wie Stricke um eine Kehle schnüren mussten. Wilde, mitleidlose, fürchterliche Hände – –
Daher kam es, daher, mehr noch wie aus den Augen – –
Der Pfarrer starrte auf diese Hände. Wie von weither kamen zu ihm die langsamen, fast feierlichen Worte:
»Der Paduaner schafft; ein Schöpfer ist er. Aus tausend Leibern reisst er tausend Seelen und schweisst sie zu einer in seiner Rede Flammen. Da stehen sie, Kinder, Weiber und Männer – jedes für sich – ein lächerliches Jammerbild! Und der Paduaner greift sie und formt sie und macht ein Grosses daraus, eine einzige starke Masse: ein gewaltiges, wahnsinniges Tier. – Das schafft er, das schafft er, Don Vincenzo!«
Dann seufzte er, lehnte sich langsam zurück. Er zündete eine Zigarette an, stiess in leichten Kringeln den Rauch von sich. »Nur leider, leider,« fuhr er fort und seine Stimme zuckte beinahe wehmütig, »kann er nicht gut lesen, der Paduaner. So zerschlägt er hunderttausend kleine Gedanken in all den Köpfen und gibt ihnen nicht einen andern dafür – einen – einen – grossen! Allen ergeht es wie es Ihnen erging, Don Vincenzo: zeit Ihres Lebens werden sie wissen, wie er sprach – – aber was er sagte, das haben alle vergessen! – Das Tier ist schon da, das herrliche, gewaltige Tier – – aber es kann nicht laufen, nicht beissen! – Ein Jammer ist es, ein Jammer! Ein Antichrist hätte er werden können – und bleibt zeit seines Lebens ein ungefährlicher Prediger! Wie gerne hätte ich ihn lesen gelehrt! – – – – Trinken Sie doch, Don Vincenzo!«
Der Pfarrer schwieg. Langsam ergriff er das Glas, hob es und stellte es wieder hin. Leise fragte er: »Herr Doktor, sind Sie katholisch?«
Die Frage kam schnell, plötzlich. Aber der andere zögerte nicht mit der Antwort.
»Augenblicklich nicht.« sagte er ruhig. »Wer weiss, ob ich es nicht wieder einmal werde!« – Er trommelte leicht mit den Fingern auf dem Tisch. »Aber lassen wir das, Don Vincenzo, wir wollen uns nicht über Religionen streiten! Ich sprach Sie, ein Wildfremder, heute morgen auf dem Dampfer an und Sie gaben mir so liebenswürdig Auskunft; es wäre recht undankbar von mir, wenn ich Sie jetzt in Dispute verwickeln würde, die immer ärgerlich werden.«
»Nein, nein!« lachte der Pfarrer. »Ich fürchte mich gewiss nicht. Ich stehe auf festem, starkem Grunde.«
»Glauben Sie?« Fast mitleidig klang des Deutschen Stimme. »Sie stehen da, wo Alfieri steht. Hart wie der Stein eurer Berge sieht dieser Boden aus und ist doch nur ein nie fassbares Gemisch loser Nebelflecken. Ah – ein Grund, ein Grund! Geben Sie diesem Manne nur einen festen Punkt, auf dem er stehen mag, und er wird Rom aus ihren Angeln heben! – Es ist immer wieder dasselbe: die grosse Erkenntnis. – Das ist das Geheimnis.«
»Ich verstehe Sie nicht, Doktor!«
»Das glaube ich, Hochwürden! – Aber wollen wir nicht das Thema fallen lassen? – – Ich bat Sie, mir einen stillen, einsamen Ort in Ihrem Sprengel zu nennen, wo ich ganz ruhig ein paar Monate bleiben könnte. Sie nannten mir Val di Scodra –«
»Ja,« sagte der Pfarrer kurz, »Val di Scodra.«
»Ist es still?«
»Ja.«
»Einsam?«
»Ja, ja! Einsam! Sie werden auf der ganzen Welt kein abgelegeneres Dorf finden.«
Frank Braun streckte ihm seine Hand hinüber. »Nicht böse sein, Hochwürden! Wir sind allzumal Sünder – –«
Er sah so harmlos, so gutmütig drein, dass der Alte lachte. Er nahm die Hand und schüttelte sie.
»Ich bin gar nicht böse. – Aber ich gab Ihnen ja schon ganz genau heute morgen jede Auskunft.«
»Und ich weiss auch alles ganz genau – ich habe leider ein sehr gutes Gedächtnis. Ich werde also bei dem braven Gastwirte Peppino Raimondi wohnen und werde – – – Aber warum wollen Sie nicht mitkommen, Don Vincenzo? Sie sagten mir doch, dass Sie eine Inspektionsreise durch Ihren Sprengel machen – – und dieses eine Dorf in den Bergen wollen Sie nicht besuchen? Dabei gehört es doch zu Ihrer engeren Gemeinde und ist Ihr Heimatdorf obendrein?«
Der Pfarrer unterbrach ihn: »Weshalb wollen Sie eigentlich, dass ich mitkomme?«
»Weshalb? Es ist eine Laune – – verzeihen Sie! Ich habe eine Arbeit vor, sehen Sie; ich schreibe nämlich. Und ich brauche dazu ein stilles Loch in den Bergen. Da will ich arbeiten – – wer weiss, vielleicht auch nicht. Aber auf jeden Fall will ich ein paar Monate lang allein sein, ganz allein mit mir selbst. Das ist nun so, wie ein kaltes, eiskaltes Bad. Man steht davor, man zaudert, wartet noch ein, zwei Minuten – dann erst geht man hinein. Sehen Sie, Don Vincenzo, wenn Sie mitfahren, habe ich noch ein oder zwei Tage Gesellschaft, ehe ich in mein kaltes Bad steige.«
»Auf Ihr Wohl, Doktor!« Der Pfarrer lachte fröhlich und leerte sein Glas. »Also ich soll noch ein Weilchen Ihr wärmender Bademantel sein? – – Aber leider: es geht nicht, geht wirklich nicht – ist ganz unmöglich.«
»Unmöglich? Ein Pfarrer, der sein Gemeindedorf nicht besuchen kann?«
»Nicht kann – sagen Sie lieber: nicht will! – Und ich habe heute abend zu Hause einen Brief vorgefunden, der es vielleicht wünschenswert erscheinen lässt, dass auch Sie lieber nicht nach Val di Scodra gehen.«
»Wirklich, Hochwürden, nun machen Sie mich neugierig! – Ich soll auch nicht hingehen? Meinen Sie, dass ich dem Dorfe gefährlich werden würde – oder am Ende gar – – das Dorf mir?«
»Nein, nein, Doktor, beides ganz gewiss nicht! – Aber nach den Nachrichten, die ich erhielt, scheint mir Val di Scodra doch nicht mehr so ganz still und ruhig zu sein. Es geht da etwas vor.«
»Oh, oh – Sie giessen mir warmes Wasser in mein eiskaltes Bad! – – Nun, und was geht denn vor, das für mich Interesse haben könnte?«
»Ich weiss nicht, ob es für Sie ein Interesse hat, wahrscheinlich wohl nicht. – Man hält da schwärmerische Versammlungen ab.«
»Wer?«
»Die Leute von Val di Scodra. Der eigentliche Urheber heisst Pietro Nosclere, oder Mister Peter, wie er sich lieber nennen hört. Der Amerikaner, wie die Leute sagen.«
Frank Braun horchte auf. »Wer ist dieser Mister Peter?«
»Lassen Sie mich Ihnen die Dinge erzählen, so wie sie sich zutrugen, Herr Doktor; da werden Sie gleich den Zusammenhang verstehen. Sie müssen wissen, dass aus unsern armen Bergdörfern alljährlich eine Menge Leute auswandern nach Amerika, aus keiner Gegend so viele im ganzen Trentino. Die meisten bleiben drüben, aber manche können doch ihre alte Heimat nicht vergessen, kehren zurück, sowie sie genug Geld verdient haben, um ein Stück Land hier zu kaufen. So einer war Pietro Nosclere. Vor bald dreissig Jahren wanderte er aus, ein sechzehnjähriger Bube Er war erst in Neuyork, dann in Chicago und schliesslich irgendwo in Pennsylvanien. Nirgends hatte er recht Glück, verdiente kaum genug, um für sich und seine Frau – eine Bergamaskerin, die er drüben kennen lernte – das tägliche Brot zu erwerben. Ein Glück nur, dass keine Kinder da waren! – Es scheint nun, dass er dort, in Pennsylvanien, Beziehungen zu einer Schwarmsekte fand, der er sich im Anfang wohl nur aus materiellen Interessen anschloss. Die Leute kümmerten sich augenscheinlich gut um ihn, von diesem Augenblick an fielen die Nahrungssorgen ab von ihm. Aus dem kleinen Flickschuster wurde ein richtiger Schuhmacher – bald darauf ein Schuhwarenhändler. Dann kam das grosse Glück: bei einer Lotterie, die die Gemeinde zum Bau eines neuen Gotteshauses veranstaltete, zog Pietro den Hauptgewinn: zwanzigtausend Dollars. Er blieb noch ein Jahr dort, aber mit der eingewurzelten Geldvorsicht unserer Bergbewohner konnte er sich doch nicht entschliessen, seinen Reichtum in irgendein Geschäft hineinzustecken. Dazu nagte an ihm, stärker wie je, das alte Heimweh.
So kam er zurück. Er hielt sich nirgend auf, machte genau denselben Weg – oder Umweg – den er vor soviel Jahren gegangen, über Amsterdam, München und Wien. Selbst hier in der Stadt blieb er nur eine Nacht, dann fuhr er in sein Dorf. Er fand bald einen Hof, den er kaufte; nun sitzt der Amerikaner da seit bald drei Jahren.«
Der Deutsche lachte. »So, so! Und Mister Peter vertreibt sich nun die Zeit damit, die fremde Lehre, die ihm selbst so gut bekommen ist, in seiner Heimat auszubreiten?«
»Ja, so ungefähr,« bestätigte der Priester. Uebrigens ist es gar keine Lehre, ich habe mir vergeblich Mühe gegeben, herauszubekommen, was er eigentlich will. Sehen Sie, der Mann lebt da auf seinem Hofe und hat nichts, gar nichts zu tun. Sein Geld hat er auf meinen Rat in Staatspapieren angelegt und das bisschen Landbau, von dem er gar nichts versteht, sowie die Wirtschaft besorgt seine Frau mit einem Knechte und einer Magd. Zuerst beschäftigte er sich eifrig mit seinem kleinen Garten, dazu legte er einen Schuhladen an. Aber beides nimmt ihn noch keine Stunde am Tage in Anspruch. Da kamen ihm die Erinnerungen an die Brüder in Pennsylvanien.«
»Womit fing er an?«
»Er hielt Andachten ab in seinem Hause. Dann zog er allmählich andere hinzu – Leute, die im Tagelohn für ihn arbeiteten, oder denen er ein wenig Geld geborgt hatte. Sie verstehen: er ist ja der Krösus in seinem Dorfe und da kommt das Ansehen von selbst. Jeder will ihm zu Gefallen sein.«
»Was predigt er denn?«
»Busse. Er lässt die Leute gemeinschaftlich beten und singen. Sie langweilen sich ja alle zu Tode in dem verlorenen Dorf, sowie sie nur die Arbeit aus der Hand legen. So bieten denn des Amerikaners Andachten eine willkommene Abwechslung – es kamen immer mehr Leute zu seinen Versammlungen. Seine Stube wurde bald zu klein; nun hat er eine grosse Scheune als Saal herrichten lassen.«
»Ist er denn regelrecht aus der Kirche ausgetreten mit seiner Sekte?«
»Ausgetreten? Gott behüte! – Es scheint, dass auch von seinen Genossen da drüben keiner seine Konfession aufgab, ob er nun Protestant oder Katholik, Quäker oder Methodist war. Ich habe ein paarmal mit Pietro darüber gesprochen, er ist sich gewiss selbst nicht klar, was eigentlich jene Pennsylvaniagemeinde erstrebte. Er führt immer nur dieselben Phrasen im Munde – spricht von Busse tun – von heilig werden, schon hier auf Erden – von der Bekämpfung des Teufels und dergleichen Dingen. Und zu diesem Zwecke scheint ihm die katholische Kirche allein nicht zu genügen.«
»So tritt er offen gegen irgendeine ihrer Einrichtungen auf?«
»Ja – und nein. Er sagt zum Beispiel: die Beichte wäre gut. Aber es genüge nicht, dass man heimlich seine Sünden des Priesters verschwiegenem Ohre vertraue, man müsse den Mut finden, sie in öffentlichen Versammlungen zu bekennen. Nur so möge es gelingen, den bösen Geist zu bannen. Ueberall kröche der Teufel herum auf dieser Erde, man müsse ihn austreiben mit Gesang und Gebet.«
»Das alles ist hübsch im Stile der Heilsarmee, Don Vincenzo. – Und es scheint mir nicht gerade im Sinne der Kirche zu sein, wenn Sie da die Hände in den Schoss legen und ruhig zuschauen, bis Ihnen die Bewegung über den Kopf wächst.«
»Sie kennen unsere Berge nicht, lieber Doktor, sonst würden Sie anders urteilen. Sich gar nicht darum kümmern, ruhig die Leute gewähren lassen, das ist in diesem Falle das einzige, was wir tun können. – Sehen Sie, da wachsen die Menschen auf, unten tief im Tale, rings umgeben von Bergen, die hoch in die Wolken wachsen. Die steilen Wände engen sie ein, wie in ewigem Kerker hausen sie da. Ihre Welt ist so unendlich klein, nie sehen sie den Horizont, nie geht ihr Blick heraus aus ihrem engen, tiefen Loche. Und so wachsen sie auf, Geschlecht um Geschlecht; eng, klein, von Felswänden umgeben ist ihr karges Leben.
Gehen Sie nur hin, Sie werden dann sehen, wie recht ich habe! Alle haben sie irgendein Gebrechen; der ist am Leibe, jener an der Seele verkrüppelt. Wie Blinde tappen sie daher und so sehr haben sie das Leben vergessen, dass sie es nicht einmal kennen lernen, wenn sie draussen sind. Dreissig Jahre war Pietro in Amerika und weiss nicht mehr davon wie diese Flasche da auf dem Tisch! Es ist, als ob die Berge ihren Geist erdrücken, zusammenpressen, in engem Schraubstock halten die Jahrhunderte lang –«
Er unterbrach sich, lächelnd. »Jetzt wollen Sie fragen: ›Nun – und Sie, Don Vincenzo? – Sind Sie nicht auch daher?‹«
»Ich hätte das nicht gefragt.«
»Nicht? – Aber Sie haben es gedacht! Gestehen Sie doch!«
»Gedacht – vielleicht!«
»Ich wusste es wohl,« fuhr der Alte fort. »Gewiss, ich bin aus Val di Scodra und darum kenne ich die Leute, besser wie irgendeiner. Aber ich kam hinaus als kleiner Bube, herunter in die Ebene. Sehen Sie, schon hier am See lebt ein anderer Schlag. Die Menschen hier fliegen hinüber, herüber über die blaue Garda, keiner klebt an seinem Fleck. Und ich war dort unten, wo keine Berge mehr sind. Und dann am Meer, wo der Blick weit schweift, ohne Ende in alle Ferne. Da habe ich begreifen lernen, dass nur im weiten flachen Lande, nur an gewaltigen Strömen und am unendlichen Meere grosse, freie und starke Völker wohnen können.«
Der Alte holte tief Atem, dann leerte er sein Glas.
»Mein Tiroler Volk aber ist klein und schwach und elend, ob es nun deutsch oder wälsch spricht. Wir schreien den guten Andreas Hof er und den tapfern Pater Haspinger als Helden aus und bilden uns ein, dass sie für die Freiheit kämpften. Und sagen Sie einem, dass sie gegen die Freiheit und für die schwärzeste Reaktion zu Felde zogen – so lacht er Sie aus.«
»Und das sagen Sie, Hochwürden, Sie, ein Priester?«
»Ich bin ein Priester. Aber vor allem andern bin ich Italiener, wenn ich auch Untertan des Habsburger Hauses bin. Und das Volk, dessen Sprache ich spreche, das Volk der Ebene und des Meeres, gewann mit Frankreichs Hilfe Freiheit und Einheit und immer wieder im Kampfe gegen Rom und gegen Oesterreich. Die Helden Tirols aber haben stets nur für diese Mächte gekämpft – – das war ihre Freiheit! Heute noch, nach hundert Jahren, erzählen sie von dem guten Kaiser Franz – – und das war derselbe Herrscher, der einmal sagte: ›Völker? Was ist das? – Ich weiss nichts von Völkern, ich kenne nur Untertanen‹.«
Frank Braun lachte leicht. »Und dieser selbe Kaiser Franz – verzeihen Sie, Hochwürden, – war durchaus kein Deutscher. Er gehörte dem Volke an, das Sie lieben, er war Italiener zu neunundneunzig Prozent.«
»Sie mögen recht haben,« sagte der Pfarrer, »ich weiss das nicht. Aber für das Volk der Berge war er nur der Kaiser und seine roten Hosen waren den Tirolern ein Gegenstand der Verehrung und sind es heute noch.«
»Und wie Sie, Don Vincenzo, so denken –«
»– Wenige nur, ganz wenige! Die Berge sind klerikal, römisch und österreichisch! Hofer und Speckbacher sind Freiheitshelden – auch bei uns, die wir wälsch sprechen.«
Er seufzte schwer. »Denken – sie denken überhaupt nicht, diese Höhlenmenschen der Bergtäler. Sie träumen nicht einmal. Sie leben kaum, sie vegetieren, wie ihre morschen Tannen. Klein und plattgedrückt sind ihre Schädel, unförmige Kröpfe hängen an ihrem Halse. Sie lieben Gott und den Heiland und die Madonna, und sind die frommsten Christen der ganzen Welt. Aber selbst uns Priester fasst manchmal ein Grauen, wenn wir sehen, wie sie ihre Heiligen anbeten. Der Bischof sagte einmal: ›Unsere Berge haben mehr Götter, als Hellas und Rom und ganz Asien‹!
Und dann, manchmal, kehrt sich ihr Blick nach innen. Sie werden schwärmerisch, ekstatisch, hellseherisch. In Sempiglio auf der andern Seite des Sees, hinter dem Monte Baldo, lebt ein Bergbauer, der jedes Feuer ansagt, auf viele Meilen im Umkreise und oft Stunden vorher. Und er ist lange nicht der einzige! Auch vergeht kaum ein Jahr, dass nicht in irgendeinem entlegenen Dorfe sich religiöse Schwarmgeister zeigten. Sie sehen also, was in Val di Scodra vor sich geht, ist uns nichts Neues; neu ist da nur, dass Mister Peter einige amerikanische Schlagwörter und Gesten hineinwirft.«
»Und Sie lassen die Leute dann ruhig gewähren, Hochwürden?«
»Ja, das tun wir. Das ist die Taktik, die seit über zwölf Jahren unser Bischof verfolgt. Er ist ein sehr kluger Mann; ich versichere Sie, es ist das allerbeste so. Manche unserer Priester haben im Anfang den Kopf geschüttelt – heute haben alle längst eingesehen, dass er recht hat. – Haben Sie nie von den ekstatischen Schwarmgeistern von Mezzoveneto gehört?«
»Nein, Hochwürden, ich glaube nicht.«
»Das war vor einem Vierteljahrhundert. Die Leute des weltfernen Tales predigten Busse; irgend so ein kleiner Prophet führte sie. Sie machten grosse Prozessionen, sangen, beteten, schrieen, zogen auch wohl in die Nachbardörfer. Der streitbare Pfarrer suchte mit allen Mitteln sie zur Vernunft zu bringen, mit Güte erst und dann mit Strenge. Und der damalige Bischof wandte sich an die Behörden – die Bewegung wurde unterdrückt, mit regelrechten Kämpfen. Was war die Folge? Einige Tote und manche Verwundete auf beiden Seiten; drei Leute kamen ins Irrenhaus, nicht weniger wie sechsundfünfzig ins Zuchthaus oder ins Gefängnis. Viele flohen, eine ganze Reihe wanderte aus – – noch heute steht das halbe Dorf leer! Und dann ein grosser Skandal, ein Geschrei in allen Blättern – – nein, nein, unser Bischof hat ganz recht: man muss alles tun, um ein neues Mezzoveneto zu verhüten!«
»Und Sie tun nun alles, indem Sie – nichts tun?«
»Ja, Doktor, nichts, rein gar nichts! Und damit erzielen wir die ausgezeichnetsten Erfolge. – Wir lassen die Leute ruhig gewähren, ziehen uns still zurück. Nach kurzer Zeit ist dieser merkwürdige Rausch wieder vorbei, alle strömen zurück in die Kapellen, als sei nichts geschehen. Es ist ein flackerndes Strohfeuer, an dem die Schwärmer sich wie Kinder freuen, und es erlischt so schnell wie es kam. – Denn sehen Sie, es ist ja nie eine greifbare Idee dabei, keiner weiss, was er eigentlich will. Es ist eine harmlose Krankheit der Berge, weiter nichts; unser Bischof nennt sie das Talfieber.«
»Und weiss er auch von der neuen Seuche in Val di Scodra?«
»Gewiss. Ich habe unlängst in Trient Bericht erstattet, als mir die Sache gar zu lange dauerte und grössere Dimensionen annahm. Der Bischof lachte und meinte, dass es wenigstens mal eine kleine Abwechslung sei mit dieser neuen pennsylvanischen Mode. Er hat ein schönes Wort gesprochen, das ich mir wohl gemerkt habe; ich will es Ihnen wiederholen: »Lange nachdem der brüllende und brausende Gebirgsbach dieser seichten Schwärmer seinen Wahnsinn ausgeschäumt hat, sieht man den tiefen und ruhigen Strom der Kirche noch majestätisch dahinfliessen, jenen Strom Gottes, an dessen Fluten die heilige Stadt fröhlich ist, die Stätte, da die Wohnungen des Höchsten sind.« – So sprach mein Bischof und er riet mir dringend, nur ja mich still zu verhalten – – jeder Druck muss stärkeren Gegendruck erzeugen, sagte er.
Nun war ich schon seit Monaten nicht mehr dort. Das letzte Mal hielt ich die Messe in ihrer Kirche – für einen Menschen – oder für anderthalben, wenn Sie wollen! Mister Peter hält nämlich jetzt auch Sonntagmorgens Versammlungen ab und alle laufen natürlich dahin. Meine Gläubige war Teresa, mein Beichtkind, die Tochter des Gastwirtes, den ich Ihnen empfahl, – und dieser selbst war mein anderer Gast. Nur – er ist nur halb zu zählen, denn er ist recht und schlecht ein Ungläubiger, der sonst nie zur Messe geht. Er kam damals nur so mit – aus Höflichkeit sozusagen. Vielleicht auch ein wenig aus Opposition gegen den Amerikaner! – Sehr schwer ist ihm das Opfer gewiss nicht geworden, da er arg schwerhörig ist und sicher kein Wort verstand, von dem, was ich sagte. Uebrigens ist ihm dieser Gang schlecht genug bekommen: er war Ortsvorsteher–bei den neuen Wahlen aber hat man den Amerikaner gewählt. Das schreibt mir eben Teresa, mein Beichtkind – – sie ist mein kleiner Spion in Val di Scodra.«
Er zog einen Brief aus der Tasche und blickte hinein. »Immer dasselbe, immer dasselbe!« fuhr er fort. »Und kein Ende abzusehen. Viermal in der Woche grosse Bussversammlungen mit Singen und Lärmen auf allen möglichen wüsten Instrumenten! Das ist auch so eine amerikanische Erfindung, die mein lieber Neffe importiert hat!«
»Er ist Ihr Neffe, Don Vincenzo?«
»Ja, sagte ich Ihnen das nicht schon? Pietro ist meiner einzigen Schwester Kind. Und das ist auch ein Grund, weshalb ich alle Auseinandersetzungen mit weltlichen und geistlichen Behörden ihm ersparen möchte, die doch letzten Endes diese ganze Sache nur noch schlimmer machen würden. – Aber Sie begreifen jetzt, Doktor, warum ich Sie nicht begleiten kann. Ich darf nicht noch einmal hingehen und wieder vor leeren Bänken predigen – – das hiesse die Würde unserer heiligen Kirche aufs Spiel setzen. Sich Watte in die Ohren stopfen, nichts hören und nichts sehen, die Leute ganz in Ruhe lassen, das ist das rechte Mittel. – Nur weiss ich nicht, ob man Sie auch so hübsch in Ruhe lassen würde, bei den wilden Konzerten von Trommeln und Klappern und Pfeifen! Freilich, Raimondis Haus liegt an einem Ende des Dorfes, dicht an dem kleinen See, des Amerikaners Hof aber, mit seiner Versammlungsscheune, weit am andern Ende, ein wenig den Berg hinauf.«
Frank Braun lachte. »Nun, so wird es nicht so gefährlich sein mit dem ruhestörenden Lärme in Val di Scodra.«
»Sie wollen es also versuchen, Doktor?«
»Gewiss will ich das, morgen schon. Vielleicht ist der Amerikaner ein Mann, den ich gebrauchen kann.«
»Den Sie – gebrauchen können?«
»Ja, Hochwürden. Ich sammle merkwürdige Menschen – das ist so eine Marotte von mir.«
»Aber – was wollen Sie denn mit ihm?«
»Kann man das wissen? Der Augenblick gibt es. – Da war Kolumbus, der lief herum mit einem hübschen Gedanken, den er einem guten Freunde gestohlen hatte. Die katholische Isa bella gab ihm drei alte Kähne und hundert Zuchthäusler – – da zog er aus und fand eine Welt. – Wer weiss, was Pietro finden mag?«
Der Alte zuckte ungeduldig die Achseln.
»Er? – Ich sage Ihnen, er hat gar keinen Gedanken!«
»Und wenn man ihm nun den Gedanken gäbe?«
»Den Gedanken? – Welchen Gedanken?«
»Ich weiss nicht. – Irgendeinen.– – Den, den er braucht! – Eine Kraft liegt da, in den tiefen Tälern dieser Berge – irgendeine geheimnisvolle, schwärmerische, ekstatische Kraft. Und sie verpufft, Jahr um Jahr – in jämmerlichem Strohfeuer. – Man sollte keine Kraft brach liegen lassen.«
»Es ist eine Krankheit, diese Kraft! Je schneller das Feuer verpufft, um so besser für alle!«
Der Deutsche lehnte sich weit in den Stuhl zurück, sein Auge nahm einen seltsamen Glanz an. »Nein, alter Mann!« sagte er halblaut. »Das ist nicht wahr. Nichts soll zugrunde gehen, ehe es gelebt hat.«
»Doch, das Böse!«
»Nein, auch das Böse nicht. Es hat sein Recht zu leben, wie alles andere. – Nur was klein ist, ist hässlich!« Seine Stimme schwoll, seine Hand krallte sich um die Serviette. »Aber lassen Sie es nur wachsen–das, was Sie böse nennen! Es wird gross werden – und alles ist schön, was gross ist.«
»Ich stehe auf dem Boden – –«
Er unterbrach ihn: »Ich weiss, Don Vincenzo, auf welchem Boden Sie stehen. Aber müssen darum alle auf diesem selben Boden stehen? Lassen Sie doch Ihren Neffen sein Glück da suchen, wo er es zu finden hofft I Warum soll man wünschen, dass auch diese Flamme verlischt, weil sie nirgend mehr Nahrung findet? Warum soll man nicht Brennstoff hineinwerfen, Balken und Zunder, dass sie hoch auflodert aus ihrem Talkessel, eine rote Fackel, über die Berge hinaus weit wächst in die Wolken?«
Der Alte wiegte den Kopf. »Gut, gut, lieber Doktor! Nur – mein armer Neffe wird nie verstehen, was Sie da sagen!«
»Er braucht es ja gar nicht zu verstehen. – Wenn er nur schaffen kann, schaffen! Wenn er nur aus seinen Bergleuten eine einzige Masse formt, so wie der Paduaner tat. Das Tier will ich haben, das gewaltige Tier, Don Vincenzo: glauben Sie mir, ich will es schon beissen lehren!«
Der Pfarrer schlug ein Kreuz. »Das wird Gott im Himmel verhüten!«
Da beugte sich der Deutsche leicht über den Tisch, seine Lippen zuckten. »So – meinen Sie, Hochwürden? – – Nun – da muss man eben an eine andere Türe klopfen!«
Der Alte sprang auf, seine Stimme bebte.
»Was sagen Sie da?« – Aber er erhielt keine Antwort.
Seine Lippen bebten leise, seine Hände zitterten. Er bezwang mühsam seine Erregung; mit weit offenen Augen starrte er hinüber.
»Wollen Sie mir eine Frage beantworten, Herr Doktor?«
»Gewiss.«
»Nun denn – wer sind Sie?«
Da stand auch der andere auf; ein helles Kinderlachen spielte auf seinem Gesicht. »Wer ich bin?« antwortete er. »Nichts Sonderliches. Frank Braun heisse ich. – Ich kann lesen und schreiben.«