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1898
Peter Mohnen war ein glücklicher Mensch, in der Tat. Und heute Nacht war er so vollkommen glücklich, so zufrieden mit sich und der Welt, dass er gar nicht wusste, wie er seiner Freude Ausdruck verleihen sollte. Er wollte auch alle anderen Menschen glücklich machen, aber er fand niemanden mehr in den einsamen Strassen zu dieser späten Nachtstunde. Endlich entdeckte er in einer Gasse eine alte Frau, er sprang rasch zu ihr hin. Sie war gar keine Bettlerin, und sie wollte auch nichts von ihm annehmen, aber er ruhte nicht eher, bis er ihr einen Taler in die Hand gedrückt hatte, dann lief er fort. Er fand noch einen Streichholzjungen und zwei betrunkene Arbeiter, alle machte er mit einem Taler glücklich. Dann ging er nach Hause.
»Peter Mohnen,« sagte er, als er sich auskleidete, »du bist der grösste Glückspilz in Deutschland! Keine drei Jahre bist du nun in der Stadt, in die du als kümmerlicher Freitischstudent hineinkamst, und heute bist du der Prinz! liebe, Gold, Ruhm, alles besitzest da – ja auch schon ein wenig Ruhm, denn deine Gedichte im Studentenalmanach wurden am besten von allen besprochen. – Hm – sie waren auch die besten!«
Peter Mohnen hatte recht. Mit zwanzig Jahren hatte er mit Mühe und Not sein Abiturientenexamen gemacht und war im Besitze eines jährlichen Stipendiums von vierhundert Mark, das ihm der Pfarrer trotz seiner Faulheit verschafft hatte, zur Universität gegangen. Von Hause aus hatte er keinen Pfennig Zuschuss, sein Vater war lange tot, die Mutter lebte ärmlich genug von einer kleinen Pension. Nur die Wäsche besorgte sie ihm, und wenn der Wäschesack zurückkam, waren immer ein paar grosse Würste dabei; diese Würste hatten ihm über manchen hungrigen Tag hinweggeholfen.
Aber Peter Mohnen wusste sich einzurichten. Die Empfehlungen des Pfarrers hatten ihm ein paar Freitische verschafft, ausserdem fand er einigen Privatunterricht. Später gelang es ihm, bei einer Zeitung als Theater- und Konzertkritiker unterzukommen; da hatte er die Freitische nicht mehr nötig. Dabei hatte er Glück in allem, was er anfasste, er war überall gern gesehen und liess sich auch überall sehen. Er machte mit, was er mitmachen konnte, trank, paukte, spielte Tennis und ritt. Je länger er auf der Universität war, um so mehr pumpte er; bald hatte er Schulden wie ein Rittmeister. Alles auf sein frohes Gesicht hin.
Und dann die Weiber! Im ersten Semester war es eine kleine Nähterin, später bändelte er mit einer – nein, mehreren Kellnerinnen an, und als er dann die Kritiken für die Zeitung schrieb, da liebte er sich durch die ganze weibliche Mimenschaft durch. Aber auch damit war Peter Mohnen bald fertig, und seit dem Musikfest zu Pfingsten, bei dem er eine Bekanntschaft, die zwei Monate dauerte, mit einer hübschen Witib anknüpfte, waren es nur noch »Damen«, die er liebte.
Zuerst Else Kallberg, dann Lizzie – doch wozu sie alle aufzählen?
In diesem Herbste hatte er Magda Sonderland kennen gelernt, die einzige Tochter des Konsul Sonderland. Es war nicht zu leugnen, Peter Mohnen verliebte sich auf den Fleck in sie. Später lernte er auch ihre Mutter kennen; dann machte er seinen Besuch. Und der schönen Magda erging es wie so mancher ihrer Schwestern, sie verliebte sich bis über die Ohren in den frischen Studenten. Sie war schon zwei Winter »ausgegangen«, war jetzt neunzehn Jahre alt – er war dreiundzwanzig. Aber was tat das? Hatten nicht ihre Eltern auch so jung; geheiratet?
Peter Mohnen seinerseits hatte noch nie ans Heiraten gedacht. Er traf Magda öffentlich bei Gesellschaften und heimlich in ihrem Garten und in entlegenen Strassen. Und sein oft ausgesprochener Wunsch war nur der, dass »sie ihn doch endlich einmal besuchen solle –«.
Aber Magda wollte nicht. Als sie bemerkte, dass ihr Geliebter gar nicht daran denke, sich mit ihr zu verloben, gebrauchte sie eine Kriegslist: sie erzählte ihm, dass eine Freundin sie beide auf dem Kirchhofe zusammen gesehen habe, gerade wie sie sich küssten! Und dass diese schlechte Freundin es überall herumerzähle und dass es nun auch ihre Eltern erfahren würden und dass – dabei fing sie an jämmerlich zu schluchzen.
»Was ist daran zu machen?« meinte Peter. »Man könnte erklären, dass es nicht wahr sei.«
»Nein, das geht nicht mehr! Es gibt nur eins: du musst jetzt schon zu meinen Eltern hingehen!«
Das »jetzt schon« hob sie hervor, als ob es selbstverständlich sei, dass er früher oder später doch »hinginge«.
»Was soll ich denn da tun?« fragte Peter Mohnen, der sie durchaus nicht verstand. »Ihnen sagen, dass es nicht wahr sei, dass wir uns geküsst haben?«
»Nein, du sollst ihnen sagen, dass es wohl wahr sei! Du sollst Ihnen sagen, dass wir uns heiraten wollen!«
»Was??? – Nee, ich danke schön!«
Magda fing wieder an zu schluchzen:
»Du willst mich im Stiche lassen! Du fürchtest dich, zu meinen Eltern zu gehen! Du willst nicht wie ein Mann von Ehre handeln!«
Peter Mohnen erklärte, dass er doch wie ein Mann von Ehre handeln wolle. So weit es an ihm liege, wolle er sie gleich morgen heiraten, aber ihre Eltern – – na! Sie wisse wohl, dass er nichts sei und nichts habe ausser einer Menge Schulden, er habe sie ja selbst oft genug angepumpt!
Das war seine Spezialität, er pumpte alle seine Liebschaften an wie der selige Marlborough.
Aber Magda liess ihm keine Ruhe; sie wolle schon vorher mit ihren Eltern reden, er solle ihr nur versprechen, morgen abend gleich zu kommen, wenn er ein Briefchen von ihr bekäme.
Also das versprach er denn auch.
Am anderen Morgen wachte Peter Mohnen mit einem etwas beklommenen Gefühl auf. Heute abend sollte er bei dem reichen Konsul Sonderland um die Hand seiner Tochter anhalten.
»So etwas habe ich noch nie getan,« sagte er bedenklich und sprach damit die volle Wahrheit aus.
»Uebrigens – reich? – Ist denn der Herr Sonderland überhaupt reich?«
Und er überlegte sich, dass es eigentlich seine Pflicht sei, sich vorher genau danach zu erkundigen. Er liebte Magda, ja, gewiss, sehr sogar, eigentlich viel mehr, als er eine von all den anderen geliebt hatte. Aber er hatte gar nichts und dabei grosse Ansprüche, und wenn es mit ihrem Vermögen nun doch nicht so weit her war?
»Zwei Mark wende ich daran!« sagte Peter Mohnen und ging zu Schimmelpfeng
Um harmloser zu erscheinen, versuchte er sich den Anschein zu geben, als wolle er mit der Firma Sonderland in Geschäftsverbindung treten.
»Ich möchte mich erkundigen, ob Konsul Sonderland wohl gut wäre für – für –«
»Nun, wofür denn?« Der Auskunftsbeamte sah ihn fragend an.
»Für fünfzigtausend Mark!« platzte Peter heraus.
»Was? Konsul Sonderland soll nicht gut sein für fünfzigtausend Mark? Ein Mann, der wenigstens eine Viertelmillion jährliche Einnahme hat – –«
Peter Mohnen zahlte und ging hinaus.
»Sonderbarer Geschäftsmann!« sagte der Beamte, als jener draussen war.
Um fünf Uhr nachmittags klopfte es an Peters Zimmertür, und ein Diener trat ein.
»Eine Empfehlung von Herrn Konsul Sonderland!«
Zwei Briefchen, ein weisses und ein rotes.
Das weisse:
Ich darf Sie wohl bitten, sich um sechs Uhr zu mir zu bemühen. Bis dahin
Ihr
Fr. W. Sonderland.
Kgl. Belg. Konsul.
Das rote:
Liebstes Schnuckeltierchen!
Gestern abend habe ich mit Mama gesprochen, die hat heute nacht mit Papa gesprochen. Papa hat heute mittag mit mir gesprochen und will heute abend mit Dir sprechen!
(»Ich wollte, ich. brauchte nicht auch noch zu sprechen, es ist schon ganz genug gesprochen,« brummte Peter Mohnen.)
Alles ist gut! Ich bin Deine glückliche
Magda.
»Donnerwetter! Sie scheint alles sehr gut vorbereitet zu haben, aber ich wollte doch, dass es schon zu Ende wäre!«
Peter Mohnen war beinahe aufgeregt. Er zog sich sorgfältig an. Lackschuhe, schwarze Hose, Biedermannsrock, hohe, schwarze Krawatte – –
»Blume ins Knopfloch?«
»Nein, lieber nicht!«
Und welche Handschuhe? Weisse? Nein. Aber schwarze? Auch nicht. Er wählte ein Paar kastanienbraune, Und dann – keinen Zylinder! Das wäre zu offiziell, zu selbstbewusst von seiner Seite aus. Lieber den schwarzen Filzhut –
So – hatte er nun alles? Er sah sich um – – dann nahm er seufzend ein kleines, schwarzes Heftchen vom Tische, in dem er sorgfältig alle seine Schulden aufgeschrieben hatte.
»Ich muss ihm doch einen Einblick in meine Finanzen geben!«
Er sah auf die Uhr, er hatte noch eine halbe Stunde Zeit. Da setzte er sich hin und addierte seine Schulden.
Punkt sechs Uhr schellte er an der Villa Sonderland.
»Der Herr Konsul lassen bitten.«
Der Diener nahm ihm Hut und Mantel ab und führte ihn in das Arbeitszimmer des Konsuls.
»Na, Herr Mohnen, das sind ja nette Geschichten!« empfing ihn dieser.
»Guten Abend, Herr Konsul,« sagte Peter Mohnen feierlich.
»Guten Abend! So, nun setzen Sie sich mal dahin! Machen Sie sichs bequem! Rauchen Sie 'ne Zigarre?«
Peter Mohnen dankte.
»Also gleich zur Sache, nicht wahr? Sie lieben meine Tochter, und meine Tochter liebt Sie. Und Sie beide wollen sich heiraten. Das ist ja nun so weit ganz gut! Aber sagen Sie mal: können Sie denn auch eine Frau ernähren?«
Peter räusperte sich zweimal, aber sagen tat er nichts.
»Nun?« fragte der Konsul.
Da zog Peter ein Notizbuch aus der Tasche.
»Hier,« sagte er, ... das sind meine Schulden!«
Der Konsul blätterte und las:
Von Fritz Berger 5 Mark – Lizzie Elder 20 Mark – Redakteur Lude 20 Mark – Dr. Philips 20 Mark – Maler Frenz 2 Mark – Sophie Hirschfeld 15 Mark – Joh. Gaulke 30 Mark – Magda Sonderland 50 Mark – Magda Sonderland 20 Mark – Magda –
»So! meine Tochter haben Sie auch angepumpt?«
»Ja!« sagte Peter Mohnen etwas beklommen.
»Nun,« fuhr der Konsul fort, »ich sehe aus Ihrem Notizbuch zweierlei: einmal sind Sie ein ehrlicher Kerl, der mir nichts vormachen will, und zweitens sind Sie ein ordentlicher Mensch, der genau mit dem Datum seine Schulden aufschreibt und am Ende sogar addiert hat. – Dreitausendzweihundertundachtundsiebzig Mark. – Donnerwetter, das ist ein ganz nettes Pöstchen für – wie viel Semester haben Sie denn jetzt?«
»Ich bin im sechsten, Herr Konsul!«
»Im sechsten? Nun sagen Sie mal, stehen denn diesen Passiven auch irgendwelche Aktiva gegenüber?«
»Leider nein, Herr Konsul. Meine Mutter lebt von einer kleinen Pension, und die paar Möbel, die ich einmal erben werde, sind keine hundert Taler wert! Selbst aber habe ich gar nichts.«
»Das ist ja sehr bedauerlich. Und Ihre Aussichten auf einen Erwerb, eine Stellung?«
Peter stutzte. Daran hatte er noch niemals gedacht.
»Ich – ich dachte – –« weiter kam er nicht.
»Sagen Sie doch mal, Herr Mohnen, wovon haben Sie denn bisher eigentlich gelebt?«
»Im letzten Jahre – habe ich ja für die Zeitung geschrieben und dann – (er suchte) – meine Mutter schickt mir doch auch immer Würste – – und – und –«
Er wies mit der Hand auf das Notizbuch.
»Ja, und der Pump! – Und was würden Sie tun, wenn Sie nun auf einmal recht viel Geld in die Finger bekämen?«
»Mit Magda – mit Ihrer Fräulein Tochter reisen, nach Italien, nach dem Orient – – die Welt sehen!«
»Und dann?«
»Herr Konsul, das weiss ich noch nicht!«
»Nun, das würde sich auch schon finden! – – Sie sehen wohl selbst, dass Sie an äusserem Glanz meiner Tochter nicht viel zu bieten vermögen, nehmen wir an, dass der innere Wert, auf den es ja schliesslich doch nur ankommt, um so bedeutender ist. Gott sei Dank bin ich nicht so unvermögend –«
»Ja, Herr Konsul, ich habe –«
»Was haben Sie?«
Pause.
»Nun, Herr Mohnen, Sie haben –?«
Peter platzte heraus:
»– mich erkundigt. Bei – bei Schimmelpfeng!«
»Kreuzmillionen! Sie haben sich bei Schimmelpfeng über mich erkundigt? Das ist ja heiter! Sagen Sie mal, junger Mann, dann lieben Sie meine Tochter wohl nur wegen ihres Geldes? Was?«
»Nein!« schrie jemand hinter dem Türvorhang. »Nein: das ist nicht wahr!« Magda trat rasch herein.
»Wo kommst du denn her?« frug der Konsul.
»Ich – ich war – zufällig nebenan.«
»Soo? – Ganz zufällig! Kann ich mir denken! Und was machtest du dort?«
Aber Magda liess sich nicht stören.
»Nein, es ist nicht wahr! Er will nicht das Geld! Er wollte gar nicht um meine Hand bitten. Er wollte gar nicht zu dir kommen! Er wollte warten, bis er eine Stellung hatte –«
Das war Peter ganz neu, aber er nickte beifällig.
Magda schluchzte weiter:
»Oh, er hätte es nie getan! Er will dein Geld gar nicht! Nur weil ich so gefleht und geweint habe, ist er zu dir gekommen! Du tust ihm unrecht, Papa, bitter unrecht! Du bist hartherzig, grausam, gefühllos – – o, o, o, o –«
Sie fing jämmerlich an zu weinen.
»Aber so beruhige dich doch, Kind!«
»Nein, ich will mich nicht beruhigen! Wir wollen dein Geld nicht! Wir wollen uns selbst unser Brot verdienen, und wenn wir Steinklopfer werden sollten!«
Peters Mut stieg gewaltig.
»Ja, Herr Konsul,« rief er, »und wenn wir Steinklopfer werden sollten!«
»Ihr beide – Steinklopfer!!«
Aber Magda liess ihn nicht zu Worte kommen.
»Komm, Geliebter,« – sie warf sich an seine Brust – »komm, wir verlassen auf immer dies ungastliche Dach! Komm – jetzt gleich – beide zusammen! Hinweg von unserem grausamen Vater, der uns auf die Strasse stösst! Wir wollen nur dem armen Mütterchen noch ein letztes Lebewohl sagen. O, sie wird es nicht überleben, das weiss ich, ihr Herz wird brechen, das uns so sehr liebt! Komm – und dann hinaus in Nacht und Nebel!«
»Wozu doch die Backfischromane nicht alles gut sind!« dachte Peter. Aber er wollte nicht hinter Magda zurückstehen.
Er machte eine leichte Verbeugung:
»Leben Sie wohl, Herr Konsul! Und möge das Schicksal gütiger gegen Sie sein, als Ihr hartes Herz gegen uns war! Leben Sie wohl!«
Und mit einer graziösen Handbewegung führte er die in Tränen aufgelöste Geliebte zur Tür.
Aber Magda kannte ihr Väterchen zu gut. Sie wusste, dass das Herz dieses alten Geschäftsmannes, dem auf der Börse niemand ein Schnippchen vormachen konnte, bei solchen Rührszenen wie Butter schmolz. Wann hätte er jemals ihr etwas abschlagen können?
So hatten sie denn doch noch nicht einen Schritt zur Tür hin gemacht, als der Alte losbrach:
»Ihr seid verrückt! Alle beide verrückt! Wer stösst euch denn auf die Strasse? Ich habe ja kein Wort gesagt! So hört doch zu, seid doch vernünftig!«
Und er hielt sie an der Schulter fest.
Magda wischte sich die Tränen aus den Augen:
»Versprich mir, dass du ihm kein böses Wort mehr sagen willst!«
»Ja gerne!«
»Versprich, dass wir uns in zwei Monaten heiraten dürfen!«
»Ja ja, alles was du willst! – Aber dann geh auch!«
Sie küsste ihren Peter auf den Mund und schritt triumphierend hinaus.
»Uff!« seufzte der Konsul. »Das soll nun ein Mensch aushalten! Heute nacht grosses Geweine von meiner Frau, heute morgen Weinduett von ihr und von Magda und jetzt wieder – – kommen Sie, junger Mann, wir wollen unsere Sache zu Ende bringen! Also: Sie werden mein Schwiegersohn!«
»Danke verbindlichst!« sagte Peter Mohnen.
»Und nun zur geschäftlichen Seite.« Er ging an den Kassenschrank und nahm ein paar dicke Geschäftsbücher heraus.
»Uebrigens –« er wandte sich um – »weshalb haben Sie sich denn eigentlich nach mir erkundigt?«
Peter hatte längst seine gewohnte Keckheit wiedergefunden.
»Weil ich es als angehender Ehemann und Familienvater, für meine Pflicht hielt, in allen Stücken für das Wohl und Wehe meiner zukünftigen Kinder bedacht zu sein.«
»So?« sagte der Konsul, aber er erinnerte sich an sein Versprechen. »Und was hat man Ihnen denn gesagt?«
»Dass Sie wenigstens eine Viertelmillion jährliche Einnahme hätten!«
»Hm, und damit waren Sie zufrieden? – Doch, nun sehen Sie mal hierher.«
Er brachte die Bücher an den Tisch und setzte sich neben Peter.
»Hier! – Magda hat vor vierzehn Jahren von ihrer Tante ein kleines Vermögen geerbt. Dieses ist inzwischen, da die Zinsen nicht verbraucht wurden, angewachsen; es beträgt heute hundertsechsundzwanzigtausend Mark und achtundzwanzig Pfennige. Da ich es für misslich halte, wenn in einer Ehe nur die Frau Vermögen, der Mann aber nichts hat, so gebe ich Ihnen dieselbe Summe. Beides werden Sie verwalten, fangen Sie damit an, was Sie wollen, meinetwegen werfen Sie es in den Rhein! Dann erhält Magda eine sehr gute Aussteuer im Werte von hunderttausend Mark. Ferner werde ich, da Sie ja voraussichtlich fürs erste doch nichts verdienen werden, Ihnen jährlich dreissigtausend Mark Zuschuss geben. Ausserdem, Herr Mohnen,« – der Konsul wurde feierlich – »bezahle ich Ihre Schulden!«
Aber Peter blieb ernst.
»Danke, Herr Konsul, ich werde Ihnen morgen die Adressen aufschreiben. Uebrigens: an Magda brauchen Sie nichts zu zahlen: wir verzichten darauf! Die Summe reduziert sich also um dreihundertzwanzig Mark.«
»Sehr gütig, Herr Schwiegersohn! – Aber nun lassen Sie uns hinübergehen. Wir weiden doch von den Damen mit Ungeduld erwartet!«
Und das wurden sie. Frau Adelheid Sonderland küsste Peter auf die Stirn und Magda ihren Papa auf beide Backen. Dann kam das Abendessen.
Während des Essens wurde Peter Mohnen ganz wieder der Alte. Im Nu hatte er sich in seine neue Rolle eingelebt und verschwendete die »Herr Schwiegerpapa« und »Frau Mama« in der freigebigsten Weise. Nachher ging man ins Wohnzimmer, Peter musste ans Klavier. Und als er die Mondscheinsonate glücklich heruntergespielt hatte, trat Frau Sonderland weinend auf ihn zu, küsste sein hübsches Gesicht von oben bis unten und nannte ihn »du«.
Der Konsul, der das Geweine in den Tod nicht vertragen konnte, erklärte rasch, dass er nun auch mit Peter Schmollis trinken müsse, und liess Champagner heraufholen. Die flachen Schalen klangen aneinander, sie stiessen immer wieder an, und der helle Ton klang ihnen in die Ohren, wie die silbernen Glöckchen am Zügel der Glücksfee. Dann musste Peter deklamieren; Magda holte den Almanach. – Er wählte sein bestes Gedicht daraus und las:
Mutter, liebe Mutter, träum vom Glücke!
– Sieh, ich knie vor dir in Dämmerstunden,
Küsse deines Herzens tiefe Wunden:
Träum vom Glücke, Mutter, träum vom Glücke!
Hast mit deinem Mass mich stets gemessen,
Meinem Wort dein liebes Ohr geliehen.
War ich wild, so hast du es verziehen,
War ich heftig, hast du es vergessen!
Mutter, liebe Mutter, träum vom Glücke!
– Leg den Kopf in meine starken Arme;
Weit hinweg von Alltags Leid und Harme
Führt dich meiner Lieder bunte Brücke!
Lustige Wimpel schmücken meinen Kutter;
– Fährt nach Avalun, ins Land der Feeen!
Mutter, siehst du mich am Steuer stehen?
Fährst du mit – und – lachst du, liebe Mutter?
Wasserrosen! – Schau, wie ich sie pflücke! –
Wellenplätschern! – Wind im frohen Segel! –
In der Ferne weisse Sommervögel! –
– – Ah, da träumst du, Mutter, träumst vom Glücke!
Er las sehr gut, und die Schwiegermama weinte, und Magda weinte auch. Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre dem alten Konsul auch ein Tränchen hinabgekullert. Aber er blieb standhaft.
»Du bist ein prächtiger Mensch, Peter,« erklärte er und drückte ihm die Hand. »Doch nun wollen wir deiner Mutter die frohe Botschaft auch gleich telegraphieren.«
»Ich will die Depesche schreiben.« rief Frau Sonderland, und schrieb so viel, dass man dem Diener, der sie besorgen ging, zwanzig Mark mitgeben musste.
»Deine Mutter muss gleich kommen,« sagte Frau Sonderland. »Ich werde ihr morgen früh einen langen Brief schreiben. Sie muss bei uns bleiben, bis ihr –«
»Bis wir uns heiraten!« rief Magda. »Und in zwei Monaten heiraten wir! Hurraaa!« Und sie nahm ihr Sektglas und zerschmetterte es an der Decke.
Die Mutter blickte sie ein wenig erschrocken an, aber schon war Peter ihrem Beispiele gefolgt:
»Klatterata – Hurra!«
Und der Konsul:
»Ho, Mama, da können wir nicht nachbleiben! Scherben bringen Glück!«
Da warfen auch die beiden Alten die Gläser an die Decke.
»Hurra! Hurra!«
Das war das Ende von Peters Verlobungstag. Magda durfte ihn zur Gartentür begleiten, und nach einem kurzen Abschied von dreiviertel Stunden, den der Konsul ein paarmal vergeblich zu unterbrechen suchte, wanderte Peter nach Hause. – War es da ein Wunder, dass er glücklich war und mit seinen letzten Talern auch seine Mitmenschen glücklich zu machen suchte?
»Du bist der grösste Glückspilz in Deutschland!« wiederholte Peter, als er am anderen Morgen erwachte. Er stand auf, wusch sich, zog sich an. Dann trat er vor den Spiegel und betrachtete sich.
»Peter Mohnen, Peter Mohnen, du bist doch ein Prachtkerl!« Er machte sich eine tiefe Verbeugung.
Die Hauswirtin klopfte und brachte das Frühstück. Er ging ihr entgegen.
»Frau Kupferroth, nun raten Sie einmal, wer da vor Ihnen steht?«
»Na – Sie doch!«
»Jawohl, ich doch, aber wer ist das: ich? – Na, Sie ratens ja doch nicht, ich wills Ihnen nur sagen: Hier vor Ihnen steht in eigener Person der Herr Schwiegersohn des Konsuls Sonderland! Ich hab mich gestern abend offiziell verlobt!«
»Gott ne, is et möglich? – Herr Doktor, ich jratuliere Sie, ich jratuliere, ich jra – –«
»Danke schön, Frau Kupferroth! Aber nun sagen Sie mal, wie lange bin ich nun schon die Miete schuldig?«
»Ja – dat werden wohl am Ersten nu woll vier Monat sein! Un wenn Sie 't möjlich mache könnte –«
»Vier Monate mit Frühstück – – und dann, was Sie sonst für mich ausgelegt haben und die Kleinigkeiten, die Sie mir mal so hin und wieder geliehen haben – – das werden im ganzen so etwa zweihundert Mark sein?«
»Ja – so wat wird et woll sein. Ich kann ja nachsehe jehe –«
»Nicht nötig! Sie sollen fünfhundert Mark bekommen! Sie sollen nicht sagen, dass Peter Mohnen, dem Sie geholfen haben in den Zeiten seiner Not, sich lumpen lasse, wenn es ihm gut geht! Und dann – Ihre Frieda wird ja zu Ostern konfirmiert! Lassen Sie ihr jetzt schon ein schönes schwarzes Kleid machen. Ich bezahle es! Und Ihr Sohn hat noch immer keine Kommisstelle bekommen? Schreibt er noch immer im Tagelohn? – Sagen Sie ihm, er solle morgen früh zu mir kommen, ich wolle ihm bei der Firma Sonderland eine Stellung verschaffen! Hundertfünfzig Mark monatlich! – Hm, Frau Kupferroth, haben Sie selbst keine Wünsche? – Ich möchte Ihnen auch gern eine kleine Freude bereiten.«
»Ich – ich weiss nich – ich – will mich mal besinnen, Herr Doktor.«
»Ja, besinnen Sie sich! – und nun adieu!«
Sie ging zur Türe.
»Frau Kupferroth – warten Sie noch mal. Pumpen Sie mir doch 'nen Taler, ich hab gar nichts mehr und muss mich doch rasieren lassen, ehe ich zu meiner Braut gehe.«
Die Wirtin kam wieder und brachte ihm ein Zehnmarkstück.
»Et is det vorletzte, Herr Doktor. Un wenn S' et möglich mache konnte, geben Se et mir noch vor em Erste –«
»Ganz gewiss, Frau Kupferroth!« Er beschloss, sich noch heute abend von Magda hundert Mark für sie zu leihen.
Dann ging Peter aus. Zuerst zum Barbier, dann zum Blumenladen nebenan. Er bestellte einen mächtigen Strauss für die Schwiegermama, und ein paar Rosen für Magda. Dann ging er zum Lithographen, um die Verlobungsanzeigen zu bestellen. Büttenpapier, rauher Rand.
»Die Verlobung ihrer einzigen Tochter Magda mit Herrn Peter –« usw.
Dann zur Zeitung, um die Annonce aufzugeben.
»Was jetzt noch?« Ah – die Verlobungsringe! Er ging zum Juwelier Kronenberg, der das beste Geschäft in der Stadt hatte. Er kannte den Inhaber, den er gerade bei Konsul Sonderland ein paarmal auf Gesellschaften getroffen hatte. Er liess ihn in den Laden bitten.
»Guten Tag, Herr Mohnen! Freut mich sein, dass Sie mich einmal aufsuchen. Was steht zu Diensten?«
»Ich möchte ein paar Verlobungsringe haben. – Ich habe mich gestern abend verlobt.«
»So? – da gratuliere ich! Darf man fragen, mit wem?«
»Mit Fräulein Magda Sonderland.«
»Was? – Sie Glückspilz: – Ich gratuliere, gratuliere vielmals!«
Peter dankte.
»Eine ganz besondere Ehre, dass Sie bei mir die Ringe kaufen wollen. Darf ich bitten, sich hierher zu bemühen. Fräulein, nehmen Sie mal den grossen Glaskasten da aus dem Schaufenster.«
Peter beugte sich über den Ladentisch.
»Hier, Herr Mohnen, haben Sie das Beste, das ich führe. – Aber wie ist denn das so plötzlich gekommen, man hat ja gar nichts davon munkeln hören? Nun, und wann soll die Hochzeit sein? – In zwei Monaten schon? Und auf Reisen, gleich ein paar Jahre, sagen Sie? – Verzeihen Sie, Herr Mohnen, aber Sie sind der grösste Glückspilz, der mir je vorgekommen ist! – Darf ich bitten, die Handschuhe auszuziehen! – Haben Sie auch das Mass Ihrer Fräulein Braut? – So? – Nun, dann können wir ja bei Ihnen messen, wenn Ihr kleiner Finger genau die Masse von Fräulein Sonderlands viertem hat. – Haha, also das haben Sie auch schon ausprobiert!
Bitte betrachten Sie einmal diesen Ring. – Wie gefällt er Ihnen?«
»Offen gestanden, gar nicht, Herr Kronenberg. So dick und breit, wie für einen Hofmetzgermeister!«
»Nun, nehmen wir einen schmäleren. Etwa den – hm?«
»Ja, der sieht schon vernünftiger aus.«
»Dann gestatten Sie, dass wir einmal sehen, ob er passt.«
Peter streckte die Hand aus und der Juwelier schob ihm den glatten Goldreif auf den Finger.
»Nun?«
Peter antwortete nicht. Ein seltsames Gefühl überkam ihn, Angst und Furcht, aber er wusste nicht, weshalb und wovor. Wie ein drückender Alp kam es über ihn, wie eine Stickluft, die ihm den freien Atem benahm.
»Was war das?« Mechanisch zog er den Ring vom Finger.
In diesem Augenblick wurde der Juwelier ans Telephon gerufen.
»Verzeihen Sie einen Moment, Herr Mohnen, ich bin gleich wieder da. Bitte, betrachten Sie derweilen die Ringe.«
Peter war allein. Er sann nach was war es nur, dieses plötzliche, seltsame Angstgefühl? Nun war es wieder fort – ja, es war in der Sekunde von ihm gewichen, als er den Ring abgestreift hatte. Also der Ring? Er nahm ihn, schob ihn wieder auf den Finger. Und wieder kroch, wie unzählige, dichtgedrängte, langbeinige Spinnen, dieser geheimnisvolle Angstnebel durch sein Hirn. Er hätte den Ring fortwerfen und hinauseilen mögen.
Aber er hielt fest: er musste wissen, was in ihm vorging. War es nicht ein Band, das er da selbst um seinen Finger schob, ein Zwang, eine ewige Abhängigkeit?
Der Juwelier kam wieder.
»Haben Sie noch schmälere Ringe?« frug Peter Mohnen.
»Noch schmälere? – Aber so stark müssen sie schon sein! Sie sollen ja auch für ein ganzes Leben halten!«
» Für ein ganzes Leben – – Halten Ihre Ringe so lange?«
»O, das ist dauerhafte Arbeit!« lachte der Juwelier, »meine Ringe halten ewig, die Ehen, die mit ihnen geschlossen werden, gehen nie auseinander!«
» Die gehen nie – auseinander –« wiederholte Peter. Von neuem steckte er den Ring an den Finger.
Aber nur eine Sekunde, rasch streifte er ihn wieder ab. Er liess ihn klirrend in den Glaskasten fallen, rasch zog er die Hand fort, als ob es eine giftige Kröte wäre.
»Was ist Ihnen, Herr Mohnen?« fragte der Juwelier.
»Ich – o nichts!« sagte Peter. »Aber es ist doch vielleicht besser, dass wir zusammen die Ringe aussuchen. Ich werde heute nachmittag mit meiner Braut kommen.«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er Hut und Handschuhe und eilte auf die Strasse. Er lief zum Stadtpark, dort war kein Mensch um diese Jahreszeit. Er wollte allein sein, wollte nachdenken.
Er setzte sich auf eine Bank. – So – – nun – was bedeutet das alles?
Das wusste er: es war ein schmerzliches, unleidliches Gefühl, das ihn beschlich, als er den Ring am Finger hatte. Ja – und die Worte des Juweliers hatten ihm die Augen geöffnet: Der Ring hält ewig – – – für ein ganzes Leben –
Ein schmaler goldener Reif – welche seltsame Macht! Sein Dasein gehörte nicht mehr ihm allein, es gehörte anderen, Fremden. Für sie musste er leben. Immer, immer, immer – dieser einen Frau angehören.
Aber – jeder Mann tat es ja und jede Frau! Und er wusste niemanden, den diese Fessel drückte, der sie überhaupt zu kennen schien. Gewiss, es gab ja unglückliche Ehen, gewiss! Aber seine würde glücklich werden: alle Umstände sprachen dafür. Er liebte Magda doch, und sie liebte ihn abgöttisch! Liebe, Schönheit, Reichtum, alles gab sie ihm, gab es, wie ein kleines Geschenk für seine grosse Gnade. Welche Zukunft! Alle seine Träume sah er sich verwirklichen, jede Sehnsucht sollte sich ihn erfüllen! In Sorrent sollte er den süssen Mondschein trinken können, in Rom, in Florenz, in Neapel die Sonne untergehen sehen. Athen – Konstantinopel – Kairo – –. O, mehr, mehr noch! Im Himalaya den Tiger schiessen, in Teheran den Bienentanz sehen, in Yokohama das Chrysanthemenfest – –! Und die Nächte in Otaheiti – – und den Niagara – und den Yellowstonepark – – und – und –. Er streckte die Arme aus, er hätte alles zugleich geniessen mögen.
Und das alles an der Seite eines geliebten, liebenden Weibes, jung, gesund, schön und kräftig, lebenslustig und liebeslustig wie er es war!
Der Ring – der Ring –
Wenn er es nicht tat? Wenn er nein sagte, trotz alledem? Was dann? – Ja, der Zusammenbruch!
Geld – wer pumpte ihm noch? Wovon hätte er in der letzten Zeit leben sollen, wenn nicht Magda – Sein Stipendium war ihm schon vor Monaten entzogen, als der Pfarrer erfuhr, dass er die Theologie an den Nagel gehängt habe. Die Zeitung – er hatte längst gemerkt, dass man gründlich unzufrieden mit ihm war. Er sollte unbestechlich sein, und er hatte sich bestechen lassen mit manchem Kuss von geschminkten Lippen. Er sollte nicht so scharf sein – die Zeitung hatte nachweislich schon drei Abonnenten durch ihn verloren. Der Chefredakteur hatte ihm gesagt: »Das muss anders werden, sonst – Wir dürfen keinen Abonnenten verlieren, keinen einzigen! Merken Sie sich das, Herr Mohnen!!«
Seine Mutter – ja, die liebe Mutter! Nun hatte sie schon das grosse Telegramm erhalten und heute abend würde sie auch den Brief von Frau Sonderland bekommen. Welche Freude nach all dem Schmerz, den er ihr bereitet hatte! Gott ja, er zerriss ihre Briefe ungelesen seit Monaten schon. Nur Klagen, immer nur Klagen. – Als der Pfarrer zu ihr kam und die alte Frau dafür verantwortlich machte, dass er seine Fürsorge an einen Unwürdigen verschwendet habe – heute tat sich auch für sie der Himmel auf.
Für sie allein? Für so viele Menschen noch, wenn er wollte. Die kleine Nähterin, die für sein Kind hungerte und die noch nie einen Pfennig von ihm erhalten hatte. – Und seine Hauswirtin und ihre Familie.
Nein, er konnte nicht mehr zurück.
Ein Ring, ein kleiner Ring am Finger! Er war ein Narr, der sich vor eingebildeten Gespenstern fürchtete. Nein, er musste jetzt gleich zurückgehen und die Ringe kaufen.
So rasch wie er gekommen, ging er in die Stadt zurück: dort war schon der Laden des Goldschmiedes. Er schritt an den Schaufenstern vorbei, nun sah er den Glaskasten mit den Ringen. Er blieb stehen; der da, der vierte in der zweiten Reihe, das war der, den er anprobiert hatte.
Er sah ihn an, Gott, er sah wahrhaftig nicht gefährlich aus! Und er stellte sich vor, dass er ihn wieder an den Finger stecken würde.
Ah, jetzt kam es wieder! Er steckte die Hände in die Manteltaschen, als wolle er den Finger schützen vor dem goldenen Band. Starrte in den Glaskasten.
Und nun kam ihm eine merkwürdige Vorstellung. Es war, als ob der Reif da grösser und grösser würde, dann, als ob er vorne sich öffne. Die Glanzlichter auf dem oberen Rande wurden zu grossen, gierigen Augen, und, die feuchten Tatzen weit im Kreise breitend, lag vor ihm eine gewaltige Kröte. Er aber stand in ihrem Bannkreis, wie auf Sascha Schneiders Bild, ein nackter willenloser Sklave im trostlosen Gefühle ewiger Abhängigkeit. Und immer wuchs die giftige Bestie, die riesigen Saugnäpfe an den Schwimmhäuten zogen ihn näher, unwiderstehlich in den Laden hinein.
Er schrie laut auf, wie ein verfolgter Verbrecher floh er durch die Strassen. Dort wohnte er – nur schnell hinauf.
Aber auf der Treppe begegnete ihm die dreizehnjährige Frieda.
»Ach, Herr Doktor, das schöne Kleid!«
Und sie zog ihn herein, er musste das schöne Kleid sehen.
»Sie hat ja nit Ruh gehalten, Herr Doktor!« sagte Frau Kupferroth, »sie war ganz närrisch, die Frieda, als ich erzählte, wat Sie jesagt hatten.. Ich musste jleich wegjehen un et kaufen.«
»Ich hab es selbst ausgesucht, Herr Doktor!« rief Frieda.
»Ja, un se wollten et mir jar nich mitjeben, ich sollt et erst bezahlen. Erst als ich von Ihre Verlobung erzählt hab, und dat Sie et bezahlen täten, hab ich et erst jekriegt. Da is de Rechnung, siebenundzwanzig Mark hat et jekostet, und se wollten morjen schicken, un et Jeld abholen.«
»Ja – ist gut,« sagte Peter.
Aber sie liessen ihm keine Ruhe, sie brachten ihn auf sein Zimmer. Da stand ein mächtiger Blumenstrauss auf dem Tisch, daneben zwei kleinere.
»Hier, dä jrosse, dä is von mich,« erklärte Frau Kupferroth stolz. »Un ich jratuliere nochmals vielmals. Un dä kleine da, dä is von Willem un er tät auch jratulieren und vielmals danken, dat Sie ihm die Stellung verschaffen täten, und tät morjen früh selber kommen!«
»Un der is von mir,« rief Frieda und drückte ihm einen Veilchenstrauss in die Hand. »Un ich danke auch und jratuliere auch vielmals!«
»Danke sehr, danke sehr,« sagte Peter Mohnen. »Aber nun lassen Sie mich etwas allein, ich möchte noch arbeiten.«
Sie gingen hinaus, er trat ans Fenster. Doch da hörte er die Tür sich leise wieder öffnen. Er wandte sich um; da stand die vierjährige Paula, dickbäckig, mit grossen, weit offenen Augen.
»Nun, was willst du denn?« fragte er.
Sie antwortete nicht.
»Sag mir doch, was du willst.«
»Pup – päh!«
»Ja, ja, du sollst morgen eine Puppe haben!« Und er schob die Kleine aus der Tür.
O, das war schlimmer als alles! Das Kleid, das man morgen wieder dem armen Mädchen wegholen würde. – Die Puppe, von der das Kind träumte und die es nie erhalten sollte.
»Pup – päh!«
Er setzte sich an den Schreibtisch.
»Ich will ihr abschreiben.«
Aber er liess die Feder fallen. Schreiben: das bedeutet Tränen – überall. Dort in der Villa, hier in den ärmlichen Zimmern, zu Hause in Mutters dürftiger Stube. Tränen auch – bei ihm.
Und sonst – Lachen – helle, frohe Freude. Jubel, Musik und Gläserklingen – Küsse – Gold – alles – – –
»Soll ich zu ihr gehen? – Ihre Küsse werden mich betäuben.«
Ah – doch er will sich nicht betäuben, nur jetzt nicht! Ja, alles zieht ihn vorwärts – alles. Wie Saugnäpfe. Bis er in dem Bannkreise steht, kraftlos, machtlos, mit geketteten Händen und Füssen, zwischen diesen ungeheuren Tatzen. Eine Spanne nur weiter noch, nur eine Linie, und er kann nicht mehr zurück – nie mehr.
Sein ganzes Leben nicht.
Wo ist Papier? Er schrieb:
»Liebste!
Es geht nicht. Du wirst den Grund nicht verstehen: ich kann nicht unfrei werden. Es geht nicht. Leb wohl.
Peter.«
Er schellte.
»Geh, Frieda, bring gleich den Brief in den Kasten!«
Dann sank er in den Stuhl.