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Ein solches Volk kann manche Menschen lehren:
Das regt behend die flinken kleinen Glieder,
Das läuft und trägt und schleppt auch hin und wieder –
Horaz, Sat. I.
Nicht nur zu Einzelwesen anderer Tierarten stehen die Ameisen in Beziehungen, sondern auch zu ganzen Völkern – solchen vom Termitenstamme.
Es ist kaum verwunderlich, daß die meisten Menschen von den Termiten nicht viel wissen, sind diese doch Tropenbewohner. Für ein Tier aber, das man nie zu Gesicht bekommt, kann man unmöglich größere Teilnahme haben; so geht denn die Unkenntnis soweit, daß die Termiten immer wieder mit den Ameisen verwechselt werden. Erstaunliches leisten hierin die Zeitungen, die zuweilen unterhaltende Schnurren über diese Geschöpfe bringen und sie dann mit rührender Überzeugungstreue stets als ›Ameisen‹ ausgeben. Ganz eingebürgert hat sich das in England und Amerika; man nennt die Termiten dort ›white ants‹ und glaubt, daß es rechte Ameisen von weißer Farbe seien. Übrigens ist der Name ›Termiten‹ noch viel blöder; er verdankt seinen Ursprung dem andern Irrtum, daß man den Holzkäfer für eine Termitenart hielt – dieser aber verkündet durch sein Klopfen im Holze nach altem Volksglauben dem Menschen sein Ende (Terma!) an.
Ameisen und Termiten, so große Ähnlichkeit sie in der Bildung ihrer Gesellschaftsstaaten miteinander haben mögen, sind doch so wenig verwandt, wie Tiger mit Elefanten verwandt sind. Während die Ameisen zu den Hautflüglern gehören, gehören die Termiten zu den Gradflüglern, und zwar zu dem Stamme der Holzläuse von der Klasse der Nager. Oder, um das gleich jedermann verständlich zu machen: die Ameisen stehn etwa den Bienen und Wespen nahe, die Termiten den Heuschrecken.
Wenn ich hier ein kurzes Bild des Lebens der Termiten gebe, so geschieht es, um den Gegensatz zu den Ameisen zu zeigen, auf deren Leben dabei auch manches Licht fällt. Die Entwicklung der Ameisen ist ja durchaus nicht abgeschlossen – vielleicht liegen hier Möglichkeiten einer weiteren Entwicklung auch für sie.
Die Termiten haben, wie die Ameisen, Männchen, Weibchen und Arbeiter. Männchen und Weibchen sind geflügelt, die Arbeiter nicht. Als Arbeiter sind aber nicht nur geschlechtlich verkümmerte Weibchen, sondern auch solche Männchen da – dementsprechend hat das Termitenvolk neben der Königin auch einen König. Die Termiten sind also, wie die Menschen, und im Gegensatz zu allen anderen gesellschaftlich lebenden Insekten nicht ein Weibervolk, in dem die gelegentlich vorhandenen Männchen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen, sie haben vielmehr eine völlige Gleichberechtigung beider Geschlechter.
Die Arbeitsteilung ist scharf durchgeführt; also finden wir verschiedene Formen der Arbeiter, die besondere Aufgaben haben. Darunter, wie bei den Ameisen, Soldaten: und auch diese wieder in verschiedener Form. Während die Obliegenheiten der sogenannten Offiziere bei einigen Ameisenarten noch durchaus nicht erkannt sind, sind sie bei den Termiten klar festgestellt. So werden die kleinen Soldaten nur zum Ordnungsdienst und zur Aufsicht innerhalb der Stadt verwandt, sie treiben die Arbeiter zur Arbeit an. Die größeren Soldaten kämpfen und haben Wachtdienst. Die Termiten kennen nicht nur die Fühlersprache der Ameisen, sondern gebrauchen daneben in viel ausgedehnterem Maße die Lautsprache. Die Wachen einiger Arten geben, indem sie mit ihren Köpfen heftig aufschlagen, bei drohender Gefahr ein Alarmsignal, das sofort vom Innern des Nestes aus beantwortet wird. Andere Arten wieder bringen Laute hervor, indem sie den Kopf gegen die Brust reiben; wieder andere tun das durch Aneinanderschlagen der Kiefer.
Die aus dem Ei schlüpfenden jungen Termiten – die weder eine eigentliche Larven- noch Puppenzeit durchmachen – sind einander völlig gleich; nach Belieben können aus ihnen Weibchen, Männchen oder Arbeiter erzogen werden. Die Termiten können also das Geschlecht bestimmen, je nach Bedarf die Formen großziehen, die der Staat gerade benötigt. Wie das freilich geschieht, wissen wir nicht; die darüber bisher aufgestellten Lehren sind alle recht angreifbar. Werden von einer Kaste zuviel Tiere aufgezogen, so greift der Staatsgedanke regelnd ein: die überflüssige Anzahl wird getötet und verzehrt.
Wenn die Regenzeit einsetzt, beginnt das Schwärmen der Termiten, das bei ihnen jedoch nicht einen Hochzeitsflug, wie bei den Ameisen und Bienen, sondern vielmehr einen Brautflug darstellt. Das sonst fest verschlossene Nest wird geöffnet; die Geflügelten, Männchen und Weibchen, eilen hinaus und begeben sich alsbald auf die Reise: beide sind zu dieser Zeit noch nicht geschlechtsreif. Sie fliegen ein Weilchen herum, kommen dann zur Erde zurück – hier gesellt sich nun zu jedem Weibchen ein Männchen. Beide entledigen sich, wie die Ameisen, ihrer Flügel; dann wandert jedes Pärchen zusammen. Es wandelt wie ein chinesisches Brautpaar, eines dicht dem andern folgend – nur führt bei den Chinesen der Bräutigam, bei den Termiten die Braut. Beide gehören einander so lange an, bis der Tod die Gemeinschaft löst. Das junge Paar gräbt sich in die Erde oder in morsches Holz ein; baut ein kleines Gemach, in dem es friedlich vier bis fünf Monate lang als Braut und Bräutigam haust. Höchst eigentümlich ist die Tatsache – über deren Grund und Sinn wir bisher noch nichts wissen – daß die beiden während dieser Zeit einander Stückchen um Stückchen die Fühler abbeißen. Zugleich entwickeln sie sich geschlechtlich, wobei beider Hinterleib stark anschwillt. Haben dann die Liebenden nach Monaten zweisamen Beieinanderseins sich gründlich kennen gelernt, so findet die Hochzeit statt; einige Wochen später beginnt das Weibchen Eier zu legen. Beide pflegen nun gemeinschaftlich die Eier und die aus ihnen schlüpfenden Jungen; die Arbeiter gebrauchen wohl ein Jahr, die Geflügelten jedoch doppelt so lange Zeit, um auszuwachsen. Also ein Jahr erst nach der Hochzeitsnacht wird das Paar von dem von ihm gegründeten Volke unterstützt, dann erst ist es recht eigentlich ein Königspaar geworden.
Bei der Königin ist inzwischen der Leib mächtig angeschwollen. Sie entwickelt bei einigen Termitenarten eine ungeheure Fruchtbarkeit, sodaß wir Staaten von vielen Millionen Bürgern finden. Das Königspaar bleibt stets im Königsgemach. Da liegt die riesige Königin und legt Eier; diese Tätigkeit wird nur hin und wieder durch eine Umarmung des Gatten unterbrochen, wobei die Kinder helfen und auch zusehen würden – wenn sie nicht eben blind wären. Um und auf dem Leibe der Königin krabbeln Hunderte von Arbeitern herum, die sie reinigen. Vorne wird sie gefüttert, am anderen Ende wird nicht weniger gearbeitet: der von der Königin gemachte Schmutz wird sofort aufgeleckt und das Ei, das die Königin alle zwei Sekunden legt, ihr aus dem Leibe geholt, um sogleich in eine der Kinderstuben gebracht zu werden. Der König, kleiner als die Gattin, aber immer noch viel größer als die Arbeiter, steht in der Nähe, auch er wird gefüttert und gereinigt, ohne freilich dieselbe Aufmerksamkeit zu finden. Die Arbeiter werden streng von einer Anzahl kleinerer Schutzleute beaufsichtigt, die sie fortwährend durch Schläge mit dem Kopfe zur Arbeit antreiben; ringsherum stehn noch einige große Soldaten als Wachmannschaft.
Dabei wächst die Königin, oder vielmehr ihr Hinterleib immer mehr. Sie kann, ebenso wie der König, ein Alter von fünfzehn Jahren erreichen, kann über hundert Millionen Eier legen. Stirbt der König oder die Königin, so schaffen die Termiten Ersatz. Sie halten stets eine Anzahl von männlichen und weiblichen Tieren in Bereitschaft, die geschlechtsreif sind, jedoch nicht ihre völlige Körperausbildung erreichen. Sie unterscheiden sich von dem echten Königspaar dadurch, daß dies einmal Flügel besaß, die es später abwarf, während der Ersatz nur Flügelstummel hat, die Flügel selbst aber nicht entwickelt. Im allgemeinen hat jede Königin ihren Königsgemahl; so zwar, daß große Staaten auch zuweilen mehrere Königspaare haben. Doch kommt es, wenn die Königin stirbt, auch vor, daß man für den echten König eine Anzahl Kebsweiber heranzieht, sodaß dieser nun im Harem ein Sultanleben führt. Im Falle gerade geflügelte Männchen und Weibchen beim Tode des Königspaares im Nest vorhanden sein sollten, behält man diese zurück; bekommt dann also wieder ein ›echtes Königspaar‹. Auch ein auf der Brautreise begriffenes Pärchen wird zuweilen von einem verwaisten Volke aufgenommen.
Im Bau ihrer Riesenstädte tun die Termiten auch den bestbauenden Ameisen es zum mindesten gleich. Erstaunlich ist dabei, daß sie stets nach einem voraus bestimmten Plane bauen. Sie fangen nicht etwa an einer Stelle an und bauen von dort aus weiter, sondern sie beginnen an einer ganzen Reihe Stellen, um dennoch mit mathematischer Gewißheit zusammenzukommen. Das königliche Gemach ist natürlich die Hauptsache, es wird um das Königspaar herumgebaut. Soldaten stellen sich rings um das Königspaar in wohl einem Dutzend kleiner Kreise auf; sie bezeichnen so die Stellen, wo die Arbeit angefangen werden soll. Von ihnen angetrieben, beginnen nun die Arbeiter zu bauen. Säulen entstehn – diese werden dann miteinander verbunden, sodaß Wände draus werden: in kürzester Frist ist die Königskammer vollendet.
Meine oberflächliche Beschreibung der Termiten soll nur ein allgemeines Bild dem geben, der garnichts von ihnen weiß. Wo man hineingreift ins volle Termitenleben, da ist es interessant – und voll ist es oft in dem Maße, daß ein wimmelnder Ameisenhaufen daneben als eine ausgestorbene Stadt gelten könnte. Ich muß hier verzichten auf alle Einzelheiten. Und nur, weil's so lustig ist, will ich noch die kleine Tatsache mitteilen, daß einige Termiten bei ihrer Arbeitsteilung es soweit gebracht haben, daß sie regelrechte – Abortfrauen haben.
Das sind freilich keine Frauen – auch keine Männer. Es sind, wie es sich in solch militärischem Staate von selbst versteht: Soldaten. Nicht, als ob abortfrauspielende Soldaten in der Menschheit nicht vorkämen – ich bin, zur vollkommenen Zufriedenheit, selbst von solchen bedient worden. Als ich, streng bewacht, mit anderen deutschen Schwerverbrechern aus dem Staatsgefängnis zu Trenton, Neu-Jersey, nach Fort Oglethorpe, Georgia, überführt wurde, geleiteten mich im Zuge, wenn's gerade nötig war, zwei Khakihelden zur Toilette, hielten gute Wacht mit geladenen Karabinern, Seitengewehren und Handgranaten im Gürtel. Die Tür mußte weit offen bleiben; Papier gaben mir die Tapfern, soviel ich haben wollte, Trinkgeld aber lehnten sie stolz ab. Bei den Termiten ist's nicht anders; sie haben längst herausgefunden, daß sie ihre geschlechtsneutralen Soldaten, genau wie die männlichen Soldaten der Menschen und die weiblichen der Ameisen, recht gut als ›Mädchen für alles‹ verwenden können. Allerdings werden unsere Krieger nur gelegentlich zu Abortfrauen befohlen, während das im Termitenstaat als höchst ehrenvoller Lebensberuf gilt.
Die schwarzen Termiten Ceylons sind es, die diesen Soldatenberuf erfunden haben. Diese eigenartigen und dabei sehr komischen Geschöpfe, geradezu die Meerkatzen der Insektenwelt, bauen ihre Pappnester meist in hohlen Bäumen. An diesen Bäumen sieht man schon von weitem merkwürdige dunkle Massen hängen – es sind Kotstalaktiten, die oben eine Reihe von Öffnungen haben. Fühlt ein Bürger des Staates ein Bedürfnis, so eilt er aus dem Neste hinaus zu einem der Aborte, setzt sich über eine Öffnung und verrichtet sein Geschäftchen. Dafür aber, daß niemand ihn in dieser wichtigen Beschäftigung stört, haben die wachehaltenden Abortsoldaten zu sorgen, die stets um die Öffnungen herumlaufen und die, so es nötig haben, zu den geeigneten Plätzen hingeleiten. Mit den Termiten also stehen viele Ameisenarten in regen, wenn auch meist wenig freundschaftlichen Beziehungen.
Da sind zunächst die Diebsameisen zu erwähnen, die, in fremden Nestern wohnend, den Raub fremden Gutes zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben. Doch hausen die Diebsameisen nicht nur in den Termitenstädten, sie treiben ihr Wesen auch bei andern Ameisen – wir wollen daher von ihnen erst sprechen, wenn wir von den gemeinsam hausenden Ameisen verschiedener Art reden.
Auch andere Ameisenarten, die sich nicht aufs Stehlen verlegen, leben in Termitenstädten. Der Grund ist mannigfach; meist finden die Ameisen eine schön gebaute Stadt vor und nehmen soviel davon, wie sie gebrauchen, in Besitz; die Termiten, im allgemeinen schwächer und auch friedlicherer Natur als die Ameisen, bauen dann eben für die enteigneten Räume neue hinzu. So kommt es vor, daß häufig in einem einzigen Termitenhaufen fünf bis sechs Ameisenvölker verschiedener Stämme sich einquartiert haben. Die Tiere, die oft dieselben Öffnungen und Gänge benutzen, üben dann eine Art gegenseitiger Duldung: sie fügen einander nicht allzuviel Übles zu, beachten sich so wenig als möglich. Doch kommt es hie und da zu Einzelkämpfen, bei welchen bald die Ameise, bald der Termit Sieger bleibt.
Viel unangenehmer für die Termiten sind aber die meist dem Geschlechte der Stachelameisen angehörigen Völker, wie die springenden Zahnkämpferinnen und die Lappschildameisen, die sich in die Termitenstädte oder in deren Nähe einnisten, nicht um zu stehlen, sondern um zu morden und die Gemordeten aufzufressen. Die Springerin, obwohl eine sehr gefährliche stark bewehrte Gegnerin, hat dennoch einen gehörigen Respekt vor den Termitensoldaten und weicht ihnen aus, wo sie nur kann, um sich an die schwächeren Arbeiterinnen und an die Jugendformen zu halten. Die Lappschildameise aber, eine der wildesten Stachelameisen, nimmt den Kampf in hellen Heerhaufen auf, greift Soldaten wie Arbeiter an und richtet unter den Termiten ungeheure Blutbäder an. Sie betrachtet die Termiten lediglich als eine vom Himmel geschenkte gute Speise und ernährt sich fast ausschließlich von ihnen.