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Platens letzte Liebe

Die gleichgeschlechtliche Liebe ist in Deutschland nicht mehr und nicht minder verbreitet als in allen anderen Ländern. Höchstens daß man bei uns stärkeres Aufhebens von ihr macht als anderswo. Auch unter unseren Künstlern finden wir nicht eben viele, die also von Eros gezeichnet ihr Leben verglühen müssen. Der edelsten einer ist Platen gewesen, der Dichter, der, von Jugend an nur von dem Gefühl der Zuneigung für das Männliche getrieben, dennoch nie im Körperlichen eine Befriedigung seiner Leidenschaften gesucht und gefunden hat. Voll Befremden vernahm er während seines längeren Aufenthaltes in Neapel von dieser Möglichkeit einer äußerlichen Verbindung zwischen Männern und bebte ängstlich vor ihr zurück. Der Ekel vor der Geselligkeit, der ihn beseelte, ließ ihn scheu einer jeder engeren Annäherung aus dem Wege gehen. Und der mehr und mehr von ihm gehegte Hang zur Einsamkeit, der ihn aus Deutschland gedrängt hatte, trieb ihn endlich auch aus Italien weg. Auf jene Insel Sizilien, die ehemals den Athenern Schicksal und Ende wurde.

Nach kurzem Verweilen in Palermo entschloß er sich, den Winter des Jahres 1835, des letzten, der ihm auf diesem Stern beschieden sein sollte, in Syrakus zu verleben. Wenn man die Menschen wie die Karten mischen könnte, so hätte man zu seinem Besten ihm vor dem Sterben jenen weichen Dänen Andersen entgegengeführt, der ungefähr um die nämliche Zeit Italien für sich entdeckte. Denn beide einander verwandte Seelen hätten sich wohl vereinigen und vielleicht wie zwei Zaubervögel zum gemeinsamen Singen eines Liedes oder Märchens verbinden lassen können. Indessen die Rechnung, die mit uns angestellt wird, geht nicht nach Gründen unserer menschlichen Vernunft vor sich. Platen begegnete auf der letzten seiner zahllosen Reisen keinem Dichter mehr. Er traf nur einen schönen, aber nüchternen Italiener, der nicht einmal ahnte, daß sich das sehnsüchtige Auge eines sterbenden Dichters an ihm berauschte.

In Caltagirone war es, einem freundlichen, braunen Bergstädtchen Siziliens, wo den Poeten zum letztenmal die närrische Liebe berührte. Nach anstrengenden Wagenfahrten und Ritten durch die kahlen Berge hatte er hier eine Pause vor dem Heruntersteigen nach Syrakus gemacht. Umnebelt von den Schwefeldämpfen, die er beim Durchqueren der feuerschwangeren Gegend in sich aufgenommen hatte, schöpfte er in diesem gepflegten Landstädtchen Atem von den Mühen der Reise. Trotzdem der Herbst zu Ende war und es in den November ging, herrschte noch eine drückende Hitze auf der Insel. In seinen Sommerkleidern, einem hellgelben sackförmigen Gewand, ähnlich den Kutten, die von den weißen Brüdern bei den Kapuzinern getragen werden, saß, wie Hafis vor der Schenke, der Poet vor seiner Herberge. Geduldig auf das bescheidene Mittagessen wartend, das er sich bestellt hatte. Den bleichen, schmalen Schädel stützte er auf seine linke Hand. Wie ein Tempel an einen Berg sich lehnt. Ein leichter Schwindel, der, wie er meinte, noch von den schwefligen Dünsten herrührte, die ihn unterwegs begleitet hatten, wiegte ihn leise. In Wahrheit war es schon das Sicherheben des Todes, der in ihm war, das ihn wie das stygische Boot über dem Acheron schaukelte. Seine müden Augen hingen an dem alten Sarazenenkastell oben über dem Städtchen. Und von der Gegenwart abgewendet, besann er, der Kenner und Erzähler der Geschichten des Königreichs Neapel, das vergangene Leben jener edlen Reste. Aus solchem Weben des Gewesenen lenkte ihn die Gestalt eines ausnehmend schönen, jungen Menschen in das Heute zurück.

Dieser kletterte gerade langsam die hohe Treppe herunter, die von dem Kastell zu dem Marktplatz führte. Die Blicke des Dichters verweilten schwärmend auf den ebenmäßigen Körperformen, die der junge Mensch, gleich einer wandelnden Zypresse, die sich vom Berg gelöst, beim Absteigen auf der Treppe offenbarte. Wie Hermes, der Bote der Götter, erschien er, als er sich jetzt mehr und mehr näherte, dem einsamen Platen, der nicht ahnte, daß er eher noch wie Hermes, der die Seelen zum Lethe lenkt, als letzter Geliebter in seinem Leben stehen würde. Der junge Mensch trat nun in die nämliche Herberge am Markt, in der der Dichter am Tische lehnte. Ein herber Geruch, wie er von blühenden Zitronenbäumen ausströmt, wehte von dem Jüngling, der von dem anstrengenden Gehen leicht erhitzt war, dem ihn hingegeben betrachtenden Dichter zu. Man hatte indessen das Essen gebracht. Und mit einem leichten Herzklopfen beugte sich Platen nun vor dem Anschauen der jungen Gestalt, in die er versunken war, zu der Speise hernieder, weil der Wirt vorwurfsvoll bemerkte, daß er sie nicht gänzlich kalt werden lassen solle.

Mit einem gewissen Mißbehagen, wie es der Italiener oft gegen jeden Fremden empfindet, hatte der junge Mensch einen flüchtigen Blick auf Platen geworfen, der darunter errötete. Jetzt erkundigte sich der neue Gast etwas höflicher bei dem Wirt, was es zu essen gäbe, und bestellte sich, weil nichts Besseres da war, das gleiche wie der Dichter. Dann setzte er sich neben ihn an einen Tisch, den er noch ein wenig mehr in den Schatten rückte. Sonnenscheu, wie es der Italiener ist. Platen war angesichts des wohlgeformten jungen Menschen der geringe Hunger, den er verspürt hatte, bis auf den letzten Rest vergangen. Statt sich in sein Essen zu vertiefen, suchte der hagere, blaßgelbe Dichter in scheuen Seitenblicken die Schönheiten des Jünglings neben sich zu erhaschen: die beiden feurigen braunen Augen, die senkrechte, fast griechische Nase des Sizilianers, die ein wenig dicken, aber fein geschnittenen Lippen unter dem gekräuselten, schwarzen Schnurrbärtchen und das breite Apfelkinn. Er ähnelte in seinem edlen Profil etwas dem anmutigen Luigi, einem jungen Soldaten, den der Dichter in Modena kennengelernt hatte, während er ihn zugleich in der Bewegung seiner Hände mehr an Angelo, den armen gutmütigen venezianischen Flötenspieler, erinnerte, bei dem der Dichter, um ihm zu helfen, eine Weile Musikstunden genommen hatte.

Der Wirt kam mit einem weißen Tuch aus der Herberge, dem neuen Ankömmling aufzudecken. Fast ärgerlich sah er, wie wenig der Fremde dem Essen zugesprochen hatte.

»Schmeckt es Ihnen nicht?« fragte er mit besorgten Blicken auf den welk aussehenden Poeten.

»Ich fühle mich nicht recht wohl«, entgegnete dieser, froh über die hergebrachte Entschuldigung. Wie ertappt schaute er dabei von dem jungen Menschen weg, der sich in ein altes, vergilbt herumliegendes Zeitungsblatt verloren hatte.

»Sie müssen sich in acht nehmen, Herr! Der Herbst ist gefährlich hier. Wir sind zwar bisher von der Cholera – dem Herrgott sei Dank! – verschont geblieben in Sizilien.«

Der junge Mensch sandte wieder einen mißtrauischen Blick herüber, den Platen zaghaft lächelnd zu entwaffnen suchte:

»Nein, es ist nur eine vorübergehende Schwäche«, beruhigte er ihn wie den ängstlichen Wirt. »Ich glaube, die Dünste der Schwefelschmelzöfen, die ich auf der Reise hierher einatmen mußte, sind mir nicht zuträglich gewesen. In dieser reineren Luft wird es mir bald besser werden.«

Seine hohe, helle Stimme schwebte, die italienische Unterhaltungssprache nachahmend, wie ein fremdes Tier kreischend um ihn herum. Er suchte noch durch irgend etwas die beiden Eingeborenen, die seiner ungewohnten Redeweise mit Anstrengung lauschten, zu besänftigen. Er erschien sich doppelt fremd als Deutscher wie als Protestant in dieser Gegend, als es in diesem Augenblick vom Glockenturm der verfallenen Kirche zum Mittag läutete. Da nickten die goldigen Weinreben zu seinen Häupten ihm zu, unter deren hellgrüner Deckung er saß. »Geben Sie mir eine von jenen Trauben!« bat er den Wirt. »Schneiden Sie mir eine von ihnen ab! Für meinen Nachtisch, verstehen Sie! Ich hätte das größte Verlangen danach.«

Der Wirt wollte Ausflüchte machen. Meinte, die Reben seien noch nicht süß genug. Und zeigte sich überhaupt, wie der Italiener im allgemeinen, stets gegen jedes ungewöhnliche Anliegen, auch gegen dieses recht abgeneigt.

Aber Platen bestand trotz jenem auf seiner Bitte. »Nur eine einzige der Reben!« durchbrach er das Achselzucken des Wirtes, um zu zeigen, wie gesund er sich fühlte. Der Wirt schwankte noch. Da sah er und Platen den jungen Menschen drüben lächeln zu ihrer umständlichen Unterredung. Und schon legte der verdrießliche Wirt eine der schwersten Reben auf den Teller des Fremden.

»Weshalb gönnen Sie dem Herrn nicht eine Erquickung?« sagte der Jüngling in der anderen Leuten wenig verständlichen sizilianischen Mundart und goß einen Becher Catanierwein seine erhitzte Kehle herunter.

Platen hatte beglückt die Rebe genommen. Woher stieg die Wonne, die ihn plötzlich ergriff? Von den goldenen, an der Oktobersonne gebräunten Trauben in seinen Händen? Oder von dem Lächeln des jungen Menschen, das wie die Rebe abgepflückt ihm ins Herz gesunken war? »Kein Verständ'ger kann zergliedern, was den Menschen wohlgefällt,« Leise spülte er das feine Spinngewebe von den Trauben, indem er aus der Flasche das Wasser, von dem er trank, über sie rinnen ließ. Der Wirt war ärgerlich verschwunden. Der junge Sizilianer beschaute sich das Gebaren des Fremden. Ein kleiner Seufzer entrann ihm dabei. Er schien die Rebe um die Kühlung zu beneiden, die ihm da in der Schwüle des Mittags zuteil wurde. Zur Hälfte für sich, zur Hälfte für den Fremden sagte er: »Ach! Daß man in diesem Nest nicht einmal ein Bad nehmen kann!«

Heftig erregt blickte Platen zu ihm hin. Sie dachten jetzt beide zugleich an das Meer, an das diese Insel umschäumende, weinfarbene Meer, in dem der Dichter, während er an der Küste geweilt hatte, täglich bis zuletzt seine Seebäder genommen hatte. Und plötzlich sah er den jungen Menschen wie eine Erscheinung ganz nackend vor sich stehen, als ging dieser gemeinsam mit ihm zum Bade, so wie er eben die Treppe heruntergestiegen war: der mächtige Torso seiner jungen, erhaben gewölbten Brust bewegte sich stolz atmend. Gerade und ohne jede Breite senkten sich die starken Hüften zu beiden Seiten des sehnigen, etwas eingezogenen Leibes, den zwei lange, harte Beine gleich dorischen Säulen trugen. So wandelte er auf kräftigen, federnden Füßen behend wie ein Renner neben und jetzt auch vor ihm her, also daß er ihn nun auch vom Rücken sehen, vielmehr träumen konnte: die edle Wirbelsäule, die von dem wenig befleischten, kaum gekrümmten Nacken abwärts eilte. Die wie Adlerflügel ausgespannten Schultern, die schmalen männlichen Lenden, die festen Schenkel und dazwischen die beiden ovalen Hügel, nicht weiblich träge, sondern von ständiger Stärke geschwellt.

Der Dichter erschien sich Spieler und Spielzeug zugleich angesichts dieses wohlgestalteten Bildes des entkleideten Jünglings, das ihm seine Vorstellung vorspiegelte. Das Herz pochte ihm in der Kehle über solchen Träumereien. Wie ein Knabe oder Mädchen vor der Nähe des Geliebten erschrickt, fühlte er sich mehr und mehr in eine bebende Unruhe versetzt. Er merkte wieder, wie recht er von sich gesungen hatte: »Im Liede kühn, allein verlegen mündlich.« In der wachsenden Erregung vermeinte er, irgend etwas sagen zu müssen, um nicht unhöflich gegen den anderen zu wirken. Hatte er doch nichts auf die letzte Bemerkung des jungen Menschen entgegnet! Wenn ihm nur etwas Passendes, Angenehmes einfallen würde! Sein kleiner scheuer Mund zitterte, sich unter dem gelben Bärtchen ängstlich verbergend. Stammelnd brachte er es jetzt hervor, was er den fremden jungen Menschen befragen wollte.

»Ich dachte, Sie seien in diesem lieblichen Städtchen geboren?« sprach er, den unerwiderten Ausruf des anderen aufnehmend, und entsetzte sich selbst über den heiseren Ton seiner nordischen Stimme.

Der Jüngling schüttelte abwehrend sein Haupt. Dann erhellte sich seine dunkel zusammengezogene Stirn, als er seiner Heimat gedachte. Und mit dem Stolz, mit dem der Italiener sich gern einer großen Stadt als seiner eigenen rühmt, gab er nur zur Antwort: »Ich bin aus Palermo.« Und steckte diesen schönen Namen sich wie eine kostbare Vorstecknadel an. Was war an diesen drei Worten: »Sono di Palermo«, das den fremden Dichter wie mit Sphärenklängen bezauberte? Nur der Verliebte wird es verstehen, der einen holden Namen vor sich hinlallt, sich Sätze der Angebeteten ewig wiederholen mag. »Sono di Palermo!« Dem einsamen Poeten ertönte es wie ein Engelsgruß, der eine kommende Seligkeit verkündet. »Sono di Palermo!« Die stete Sehnsucht der germanischen Seele nach dem Süden, regenbogenfarbenes Innere einer düster umschalten Muschel, schimmerte hell aus diesen Worten: »Sono di Palermo!« Das Schlüsselzeichen seines ganzen Lebens schien dem Dichter damit gegeben zu sein, ihm, der fremd durch das kalte Deutschland gepilgert war. Zufällig, wegwidrig, in Ansbach geboren statt in Palermo, hatte er seine jungen Jahre zwischen Nüchterlingen verbracht. Dort war sein Vaterland nie gewesen, wie als fernstes seiner Kinder er jetzt schaute. Und die Ketten des Gefühls, die ihn ehedem an die Stätten, die Menschen der Heimat gefesselt hatten, wandelten sich in seinen Händen, in seinem Herzen zu Kränzen und Versen für die entschwundene Jugend. »Sono di Palermo!«

Wirf alles Erdenhafte von dir! Schwärmerisch umfängt den scheidenden Sänger schon die melodische Nähe der himmlischen Inseln. Sieh, du schwebst im Reigentanze, doch den Sinn erkennst du nicht. An felsige Gestade schwemmt dich dein Begehren. Durch schaumige Wellen trägt es dich höher. Erlösend trifft dich der Speer der Liebe, der aus den Büschen schnellt, die nach Zimt und Sandel duften. Verwundet verrinnst du, den Staub befeuchtend, der dich verschlingt. Selig, siebenmal selig, im kühlenden Kies zu liegen, die Hände in Lüsten vergraben. Fruchtbares und Vergängliches vermischt sich, und alle deine Glieder beben wie Saiten, auf denen Göttliche mit wilden Fingern spielen. Opfer um Opfer tauschen die Glücklichen mit den Beglückten, bis ein letztes Verstummen ihr Treiben endet und in brechenden Augen die Süße des Sterbens dämmert. Bis die ermatteten Kräfte gleich Segeln über Nachmittag und über Meeresebbe auf die Westwinde warten, die sie stärkend aufs neue blähen. Verlöscht ist das Glühen, von sich selber verzehrt, und vom Scheiterhaufen der Lüste hebt sich die Seele gereinigt lodernd empor.

Da kam der Wirt zurück, Teller und Speisen in den Händen. »Der Schenke naht sich, und alles verging« – dieser Anfang einer seiner Gaselen hüpfte grau wie ein Sperling durch des Dichters Kopf. Und ihm war, als habe er damals, da er jenen Vers gebildet hatte, schon die jetzige Sekunde vorausgeahnt. Mit ihrem ganzen Schmerz und ihrer tiefsten Leere, die diesem Erlebnis folgte. Ähnlich jener verzweifelten Stunde in Erlangen, da ihn ein schöner Rheinländer verlassen hatte und wie von selbst die Verse auf seine Lippen gesprudelt waren. »Der Hoffnung Schaumgebäude bricht zusammen.«

Kein Wort ward mehr zwischen den beiden gewechselt, zwischen dem Poeten und dem jungen Sizilianer, den irgendein Geschäft in das alte Bergstädtchen geführt hatte. Nichts, nicht einmal die Erkundigung nach dem Namen des anderen, die der Dichter, um nicht als neugierig zu gelten, vermied, näherte ihn jenem Fremdling, von dem er nur die Stadt seiner Herkunft kannte.

Des anderen Morgens verließ Platen die Herberge, nachdem er gehört hatte, daß der Jüngling bereits aufgebrochen wäre. In verschiedener Richtung trennten sie sich voneinander: der eine sprengte nach seiner Heimat, nach Palermo, zurück. Der Dichter folgte dem ausgetrockneten Lauf des Flüßchens, das den Namen des Bergstädtchens noch einige Meilen weiter trägt. Durch ödes Geröll trabte er neben seinem Maultiertreiber, der ihm fast nichts außer einem schweren Bündel Bücher, meist geschichtlichen Inhaltes, nachschleppte. Dem unsterblichen Helden des Cervantes ähnelte das hagere Bild dieses bleichen deutschen Dichters, als er im Rücken des schneeigen Ätna dem geliebten südlichen Meer zueilte, und als er wie jener Ritter den erträumten Namen seiner erkorenen »Dulzinea« noch einmal die Worte: »Sono di Palermo« vor sich hermurmelte, ja stellenweise rufend gegen jene baumlosen, echoreichen Berge Siziliens schleuderte. Wie durch die phlegräischen Felder zog er die ebene Straße an dem die Gegend verpestenden See von Lentini vorüber.

Im Mittag versiegte Morgen für Morgen, und Abend um Abend versank in die Nacht, da näherte sich Platen seinem Reiseziel, dem heutigen Schatten des alten Syrakus. Aus einem englischen Reiseführer hatte er gelesen, daß der berühmte holländische Seeheld de Ruyter, von gegnerischer Übermacht besiegt, hier geendet habe. In Todesahnungen betrachtete er, schon vom Fieber geschüttelt, die kahlen Höhen, auf denen einstmals die Befestigungsmauern und die Häuser der hellenischen Ansiedler gestanden hatten. Gelbes, vom Mond beschienenes Gestein war von all jener Herrlichkeit geblieben. »Nun bin ich ganz in Großgriechenland!« seufzte er zu den Sternen empor, die über den Trümmern der Menschen ihre goldenen Reigen schlangen. Unter jenen öden Hügeln, unter denen unzählige Hellenen gebettet waren, würde sich gut von Deutschland ausruhen lassen, dachte der Dichter noch. Ebenso gut wie in den porphyrnen Sarkophagen, in denen drüben in Palermo die mächtigsten Kaiser Germaniens, ein Friedrich der Zweite, ein Heinrich der Sechste, schlummerten. Sterbend schleppte er sich in den nächsten Tagen in das Haus des alten tauben Don Mario Landolini, eines sizilischen Adligen, an den man ihm eine Empfehlung gegeben hatte. In seinen letzten Phantasien redete er fieberglänzend vieles von Meleager, dem unglücklichen Jäger, dessen Drama er schaffen wollte. Auch hörte man noch einige Male von seinen Lippen jene drei Worte: »Sono di Palermo!« lallen, als Erinnerung an eine letzte vermeintliche Liebkosung, die ihm das Leben gewährt hatte. Und dann brachte man den toten Dichter die alte Gräberstraße hinauf und versenkte ihn in die Erde des Gartens der Villa Landolina. Dort schläft er in der Nähe von Theokrit, dem Hirtendichter. Über dem Meer, wie Achill bei seinem Freund und Geliebten Patroklos schläft.


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