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Mengs

Ein sonderbares Erlebnis ist in Rom einmal dem Maler Mengs begegnet, jenem Winckelmannfreund und Anempfinder, der aus Verehrung für Raffael und Corregio seinen ihm viel zu kurzen einsilbigen Namen mit den stolzen Vornamen Raffael und Antonio herausputzte, die er wie die Malweise seiner Bilder seinen beiden unvergänglichen Vorbildern, dem Maler von Urbino und dem von Parma, entlieh. Der Künstler kam von der im Morgensonnenlicht über Rom prangenden Kirche San Trinita de' Monti, wo er, ein soeben übergetretener und daher sehr eifriger Anhänger des katholischen Glaubens, die Messe angehört hatte, die bekannte spanische Treppe heruntergestiegen. Da, etwa auf der achtzigsten ihrer hundertsiebenunddreißig Stufen, sprach ihn eine fremde Dame an. Der Art ihrer Aussprache des Italienischen nach zu schließen, eine Engländerin. Sie fragte den vorüberstreifenden Mengs, den sie, die etwas kurzsichtig war, in seinem nachlässig malerisch gerafften, nicht sehr vornehmen Morgenumwurf für einen der dort um jene Treppe gern herumstrolchenden Leute nahm, die den Malern für ihre Bildwerke stehen, ob er bereit wäre, mit ihr zu kommen. Mengs, der zuweilen einen Spaß liebte, gedachte ein wenig auf den Vorschlag einzugehen und fragte sie lächelnd, indem er ihr folgte, zu welch einer Gestalt sie ihn nötig habe. »Ich brauche ihn für einen nackten Kobold, den ich auf meinem Gemälde von der Verwandlung der Daphne anbringen will«, erklärte sie ihm auf dem Weg zu ihrer Werkstatt in der vertraulichen Art, in der man mit den kleinen Leuten in Rom verkehrt.

»Einen nackten Kobold?« fragte Mengs, als habe er nicht recht verstanden.

»Allerdings!« bejahte sie mit einem kurzen, prüfenden Seitenblick auf den von Gestalt ziemlich kleinen und unscheinbaren Mann, der sich selber für ebenso wohlgeformt wie den vatikanischen Apollo hielt.

›Ich will doch sehen, wie weit sie diese Verwechslung treiben mag!‹ dachte Mengs bei sich, während er der kühn voranschreitenden Engländerin mit kurzen Schritten nachging. Irgend etwas zog den sinnlichen Mann, der durch das Anhören der Messe in eine besondere Schwingung geraten war, an diesem Abenteuer an. ›Es soll mich wundern, ob sie mich zum äußersten auffordern wird!‹ herzpochte es in ihm. Sie kamen über den Wochenmarkt, der am Ende des Spanischen Platzes abgehalten wurde. Nie war der scharfe Geruch des Lauchs und Sauerampfers, der Zwiebeln, der Sellerie und der Salate, die man dort feilbot, dem Maler beizender in die breite Nase gestiegen als heute, wo er sich in einer ihm selbst verwunderlichen Erregung befand. Neugierig ließ er seine Augen über den wohlbekannten Platz schweifen. Sah, wie dort einem Schwertfisch die kleinen silberweißen Schuppen abgeschabt wurden. Schaute, wie hier ein eingesperrter Hahn kläglich aus seinem Holzgehäuse seinen Käufer, der ihn prüfend betrachtete, ankrähte.

»Kommen Sie etwas schneller!« trieb ihn da die Engländerin an seiner Seite aus seinem Herumschauen. »Wir sind gleich da.« Sie wohnte in der Via della Croce in einem Gartenhaus. Ihre Malerwerkstatt bekam gutes Nordlicht vom Pincioberge her. Der Künstler hatte sich tief in den Mantelumwurf gehüllt, wie man sie damals trug und wie auch Goethe auf dem beliebten Bild von Tischbein aus der Campagna einen um sich geschlagen hat. In solcher Vermummung schlich Mengs wie ein Verhafteter, der seinem Polizisten zu folgen hat, seiner stolzen weiblichen Begleiterin nach, die steinernen, staubigen, römischen Treppen hinauf bis in ihren Arbeitsraum.

»Ziehen Sie sich aus!« herrschte die Engländerin den über ihre schnelle Gangart ganz außer Atem geratenen Mengs an. Er blickte scheu in dem kahlen Raum umher, den an einer Seitenwand nur ein mit der Zeit geschwärzter Gipsabguß des berühmten Torso von Belvedere schmückte. In der Nähe des Fensters stand auf einer Staffelei das Bild, an dem die Engländerin malte. »Machen Sie rasch!« sagte sie, die offenbar im Feuereifer des Schaffens war und darum auch nicht genau auf ihre Umgebung achtete. Sie kramte hastig in ihren Farben herum. »Hören Sie! Sie können Ihre Kleider dort hinten auf den Tisch in der Ecke legen.«

Mengs gewahrte jetzt ein kleines, rundes Marmortischchen, das auf zwei Löwenklauen in der Ecke stand. Er blickte noch eine Weile unschlüssig zu der fremden Dame herüber, die seine berühmte gewichtige Person so gleichgültig nahm. Es war ein sehr hochmütiges Geschöpf mit dem vornehmen, etwas leeren, kalten Puppengesicht, das so vielen Engländerinnen eigen ist. Das schöne braune Haar trug sie zurückgekämmt, wodurch ihre ziemlich ausdruckslosen Züge etwas Strenges bekamen, was durch einen trotzig aufgeworfenen kleinen Mund noch unterstrichen wurde. Ihre Gesichtshaut zeigte das wunderbar zarte Gemisch von Rosa und Weiß, durch das sich manche Frauen ihres Volkes vor allen übrigen Weibern der Welt auszeichnen. Das Schönste jedoch war an ihr die große, schlanke Gestalt, die in einem hellen, geblümten Seidenkleid vor Mengs herumwandelte und sich drehte. Sie erinnerte ihn geradezu an Vorbilder der »Attitüde«, wie man damals mit dem französischen Kunstausdruck die ausdrucksvolle wohlgefällige Stellung lebender Figuren bezeichnete: Eine Darstellungsart, in der sich bald eine andere Engländerin, Lady Hamilton, die berühmte Geliebte Lord Nelsons, besonders hervortun sollte. Die von Mengs stillschweigend bewunderte Frau hatte jetzt das leichte, weiße Spitzenbrusttuch, das sie auf der Straße getragen hatte, abgelegt und wies ihm den herrlichsten, hohen Hals, den er bisher gesehen hatte.

»Warum sind Sie denn so entsetzlich langsam?« rief sie jetzt empört zu Mengs herüber. »So machen Sie doch vorwärts!« Der Maler hatte bislang gezögert. Aber ihr herrischer Ton machte nun ein weiteres Zaudern unmöglich, zumal sie jetzt noch barsch hinzufügte: »Warm ist es doch hier genug. Sonst, wenn Sie frieren sollten, stellen Sie sich nachher, wenn Sie nackt sind, an den Holzofen.« Sie zeigte auf das eiserne Feuergestell in der Mitte des Raums, in dem leise glimmend ein paar Holzköhlchen brannten. »Ich werde noch nachlegen«, fügte die Engländerin zu seiner Beruhigung hinzu. Da, aus irgendwelchen seelischen Hintergründen, entschloß sich der schwankende Mengs, ihr zu willfahren. Er tat es zunächst, um die Freuden des Unbekanntseins zu kosten, wie früher ein Fürst gern zuweilen unbekannt reiste, um sich unbeengt austoben zu dürfen. Zum andern geschah, es aus einem Drang, sich zu demütigen, der auch diesen eitlen Mann einmal ergriff. Und zwar sich zu demütigen und zur Schau zu stellen vor einem hohen, herrischen Weib, das ihn, den weltberühmten Meister und Chevalier Mengs, um dessen Gunst und Dienste sich die Könige von Sachsen, von Neapel und Spanien bewarben, wie ein Ding nahm, wie einen Haufen Fleisch, den man sich kauft und betrachtet und abmalt. Gerade diese Gleichgültigkeit jener kalten, schönen Person reizte den verwöhnten Mengs einmal. Er hatte trotz seiner verstiegenen Kunstansichten, die ihn nur für das Schöne, das Erhabene schwärmen ließen, im Leben einen gewissen Hang zur Roheit. Demzufolge hatte er sich auch mit einer ganz ungebildeten Römerin verheiratet, deren einzige Mitgift eine etwas grobe, niedrige Schönheit gewesen war.

»Endlich!« sagte die Engländerin, als er nun langsam seinen pfefferbraunen Rock und die darunter befindliche, lange, hellseidene, grüne Weste aufknöpfte. Die Malerin hatte sich inzwischen über ihre schwachen und etwas stumpf blickenden Augen eine große Hornbrille gesetzt, wodurch sie etwas Lehrerinnenhaftes im Aussehen bekam. Auch dies war Mengs nicht unangenehm. Sie gewann dadurch für ihn an Geltung und Machtfülle und erinnerte ihn etwas an seinen gestrengen, harten Vater, den Dresdner Hofmaler Ismael Mengs, der ihn mehr mit der Peitsche als mit dem Pinsel für seinen eigenen Beruf erzogen hatte. Wie oftmals hatte er sich als Kind vor seinem Vater entkleiden müssen, um eine Tracht Prügel von ihm in Empfang zu nehmen, weil er draußen mit seinen Altersgenossen gespielt hatte, statt dem Vater in der Werkstatt die Farben anzurühren.

Die Malerin verfolgte ungeduldig und kalt seiner weiteren Enthüllung. Einigermaßen erstaunt war sie nur, als sie jetzt durch ihre Brille das feingefältelte reine Hemd des Mannes gewahrte, das nun zum Vorschein kam. Sie sagte jedoch nichts, sondern blickte nur kurz prüfend hinter sich, ob auch die Türe zu ihren andern Gemächern fest verschlossen sei, denn auf rechtliche Weise war dieser Kerl da, der sich, wie sie meinte, für Geld ausstellte, doch wohl nicht an solch ein vornehmes Hemd geraten. Mengs hatte währenddem seine Schnallenschuhe beiseite geschoben und löste jetzt die langen Strümpfe und auch, nachdem er sie unten aufgeknöpft hatte, die enganliegenden, kurzen Kniehosen, die damals Sitte waren. Vor dem Letzten zurückschreckend, stand er jetzt auf bloßen Füßen, im Hemd, fröstelnd, in seiner Ecke da.

»Nun, machen Sie dort weiter!« rief ihm die Engländerin kühl wie eine Forelle zu. »Ich kann Sie doch nicht im Hemd malen. Ziehen Sie sich ganz aus!« Es tat ihm wohl, sich von ihr Befehle erteilen zu lassen, und er hatte, wie es ihm schien, nur noch gezögert, um diese letzte Aufforderung aus ihrem weiblichen Mund zu vernehmen. Und schon stand er, wie ihn die Natur geschaffen hatte, ohne jede Hülle in seiner Männlichkeit vor ihr. Die Engländerin musterte ihn aufmerksam, was ihm wiederum ein heftiges, heimliches Vergnügen bereitete.

»Treten Sie doch näher ans Feuer!« sagte sie dann, als sie merkte, wie er sich in seiner Eitelkeit etwas verlegen spreizte, was sie für einen Ausdruck des Frierens nahm. Er gehorchte ihr etwas geziert und kam mehr in die Mitte des Zimmers. »Ich kann Sie gut gebrauchen, glaube ich«, erklärte sie, ihn von oben bis unten langsam prüfend. Er fühlte fast körperlich, wie ihre Blicke seinen Körper entlangliefen und bei jeder Muskel, jedem Glied des näheren verweilten. »Drehen Sie sich herum!« befahl sie jetzt, nicht anders wie ein Vorgesetzter seinem Soldaten »Kehrt!« kommandiert. Er befolgte mit einer unbestimmten Wollust auch diese Worte und wandte ihr seinen Rücken zu. Indessen, sonderbarerweise begann er sich in dieser Stellung, in der sie ihn genau wie ein Pferd, das sie kaufen wollte, musterte, plötzlich zu schämen. Je länger sie, kalt wie Stein, ihn von seiner hinteren Seite wie ein Stück Marmor betrachtete, aus dem man etwas schaffen will, desto befangener und unwirscher wurde er.

Wie kam er eigentlich dazu, er, der weltberühmte Meister und Chevalier Mengs, um dessen Gunst und Dienste sich die Könige von Sachsen, von Neapel und Spanien bewarben, sich hier wie ein Tier von dieser fremden Frau in seiner ganzen eigensten Körperlichkeit begaffen zu lassen? Das käufliche, unwürdige Wesen solcher Geschöpfe, die sich auf einen Wink gegen Entgelt entkleiden und mit denen er selber als Maler oft genug zu tun gehabt hatte, kam ihm plötzlich peinigend zum Bewußtsein. Womöglich würde die Engländerin ihn nachher auch noch zu entlohnen versuchen für seine Bloßstellung, die sie ja rein sachlich und ohne jenen süßen Schauer hinnahm, der ihn bei dieser fleischlichen Hingebung durchrieselt hatte?

Sie hätte nicht mehr ihren letzten Befehl von sich zu geben brauchen, den sie jetzt ganz trocken von sich stieß: »Bücken Sie sich einmal nach vorne! Ganz tief! Ob der Muskelbau Ihres Rückens etwas taugt. Allez! Marsch!« Mengs wäre auch ohne diese äußerste Erniedrigung, die ihn in die Stellung eines Knaben, den man züchtigen will, herabgezwungen hätte, nunmehr aus diesem verfänglichen Abenteuer herausgesprungen. Die hochmütige Art dieser schönen, fremden Dame, die anscheinend ohne jede sinnliche noch seelische Beteiligung ihn wie eine Maschine oder einen Zirkusschimmel behandelte und nach ihrer Laune Stellungen machen ließ, empörte den eitlen Mann jetzt aufs äußerste. Der Reiz, der anfänglich für ihn in dieser Selbsterniedrigung vor einer Frau gelegen hatte, verschwand gänzlich mit der Erkenntnis, daß sie völlig gleichgültig bei seiner körperlichen Enthüllung geblieben war. Wie Narziß war er nackt zu ihr niedergestiegen, um sich in den verzückten oder zum mindesten erregten Augen dieses Weibes zu spiegeln. Und sie ging nicht im geringsten darauf ein. Sie nahm die sinnliche, seelische Witterung, in der er sich befand, nicht auf. Sie lebte nicht in der leisesten Fühlung mit den Wonnen seiner Schamhaftigkeit, seinen Hemmungen und Hingebungen. Und die trockene Wirklichkeit blieb wieder einmal weit hinter der heißen, sinnlichen Vorstellungskraft eines Sterblichen zurück. Mengs hatte sich, wie es bei der Messe geschah, deren Feierlichkeit noch wie der Glöckchenklang der Meßknaben in ihm nachschwirrte, in Fleisch und Blut opfern wollen. Aber sie stand eisig und ruhig wie ein Arzt, der eine Zerlegung vornehmen will, vor der Tatsache seiner Enthüllung und Schaustellung, die von ihm als eine Liebeshandlung oder doch der Anfang zu einer solchen gedacht oder gehofft gewesen war.

Höchst hastig zog Mengs, als er sich dies klargemacht und wie einen Dolch mehrfach in seine Eitelkeit und Selbstgefälligkeit gestoßen hatte, sich wieder in seine ihn verbergenden Kleider zurück.

Die Engländerin war ganz erstaunt und empört über dieses eigentümlich widerspenstige Modell. »Sind Sie verrückt?« schnauzte sie ihn in etwas volkstümlich mundartlichem Italienisch an, das sie durch einen langen Aufenthalt in Florenz gelernt hatte. »Warum ziehen Sie sich denn wieder an? Ich hätte Sie, glaube ich, als knienden Faun ganz gut verwenden können. Ihr Körper ist nicht sehr sehnig. Ihre Beine taugen nicht viel. Auch haben Sie eine starke Neigung zu Plattfüßen. Aber in der knienden Stellung hätte das alles weniger gestört.«

Ärgerlich warf sie den Pinsel in den Kasten zurück und holte einen Spachtel hervor, um an den Farben im Hintergrund ihres begonnenen Bildes herumzukratzen. Sie tat das nur, um sich angesichts dieses Tölpels, der sich ihr entzog, etwas zu schaffen zu machen. ›Zu dumm! Sein Gesäß war gar nicht so schlecht. Wenn er sich eng zusammenkauert, so wäre er als Vorbild für einen lüsternen, mißgestalteten Waldgott gar nicht zu verachten gewesen!‹ dachte sie, noch ganz kaltblütig, nur wütend darüber, daß sie mit der Arbeit an ihrem Gemälde nicht weiterkam. Mengs hatte sich in der größten Schnelligkeit aus der nackten Person, die er hier spielen sollte, in den würdigen Straßengänger und Hofmaler dreier Majestäten, der er war, zurückverwandelt. Wie geschändet kam er sich nun vor dieser fremden Frauensperson vor, die gar nicht daran dachte, was er sich eingebildet hatte, sich vor ihm wie er vor ihr nackt zu enthüllen. Es wurde ihm jetzt erst klar, daß er hiermit im stillen von Anfang an gerechnet hatte. ›Zu dumm! Es wäre ganz schön gewesen, als Künstler aneinander anatomische Beobachtungen zu machen. Der nackte Körper dieses Weibes hätte mir, in die richtige Beleuchtung gebracht, gut als Vorlage für eine Venus dienen können‹, dachte er mit der letzten, heißen Blutwelle, die ihm vor der hohen, wohlgeformten Frauengestalt zu Kopfe stieg. Sie gab einer solchen Erwägung nicht den geringsten Raum in ihrem stolzen Haupt. Sie hatte das Brusttuch, das sie soeben abgelegt, wieder hervorgeholt und verdeckte damit ihren Hals und den weißen Ansatz ihres Busens.

Mengs trat jetzt vollkommen angezogen in ein paar Schritten näher auf sie zu. »Was wollen Sie noch?« fuhr sie ihn an. »Sie haben mich zwar nur unnötig aufgehalten. Aber Sie sollen trotzdem einen Scudo für Ihre Mühewaltung bekommen. Da! Nehmen Sie! Sind Sie zufrieden?« Mengs schüttelte abwehrend seinen Künstlerkopf, dessen üppige Locken sich hartnäckig gegen den damals üblichen Nackenzopf wehrten. »Darf ich mir Ihr Gemälde einmal betrachten, Gnädigste?« frug er in solch vornehm gesprochenem Italienisch, daß die Malerin verwundert aufhorchte und nach ihrer Hornbrille, die sie wieder abgezogen hatte, suchte, um sich diesen immer merkwürdigeren Mann näher zu betrachten.

Er hatte ihre ausdrückliche Zustimmung nicht abgewartet, sondern war vor den begonnenen Entwurf ihres Bildes geschritten. Und nun stellte Mengs nach kurzer Prüfung des Gemalten eine zweite Frage, wiederum im reinsten Italienisch, das er besser als sein sächsisches Deutsch sprach: »Gnädigste weilen wohl noch nicht lange Zeit in Rom?«

»Nein! Seit drei Wochen erst. Ich war zwei Jahre in Florenz. Dies ist meine erste Arbeit, die ich hier angefangen habe«, war die Antwort der Engländerin, die noch immer nach ihrer im Ärger verlegten Brille herumkramte.

»Dann täten Sie besser daran, Gnädigste, bevor Sie an diesem Machwerk weitermalen, sich die Darstellung anzuschauen, die Lorenzo Bernini von dem gleichen Gegenstand, der Verwandlung der Daphne unter den Händen des ihr nachstürzenden Apollo in einen Lorbeerbaum, in Marmor gebildet hat. Sie steht in der Villa Borghese, unweit von hier. Sie würden an diesem Jugendwerk eines Meisters, der ohngeachtet des Umstandes, daß er mit seinen Erzeugnissen nicht an die vollkommenen Werke und die Großheit der Alten heranreichen kann, in seiner Kunst Erkleckliches geleistet hat, immerhin erkennen, meine Gnädigste, mit welch hervorragendem Geschmack eine solche schwierige Komposition zu gestalten ist. Auch sollten Sie vor jenem plastischen Werk sich in die Harmonie vertiefen, als welche nichts anderes ist, als die Kunst, zwischen zwei ganz unterschiedenen Sachen ein Mittel zu finden, und des weiteren, wofern es Ihnen möglich ist, aus einer Kunstgattung Rückschlüsse für die andere zu machen, die Regeln von Licht und Schatten zu beobachten versuchen, welche die Regursachen zur Hervorbringung eines guten Gemäldes sind, von welchem Ziel Ihre ganze Malerei annoch sehr weit entfernt ist.«

Mengs hatte diese langstieligen Sätze laut und eindringlich und mit der Weitschweifigkeit, mit der er seine Gedanken über die Schönheit auszubreiten pflegte, von sich gegeben. Wütend war ihm vor dem zusammengekauerten Waldschratt auf der Leinwand, den die Malerin nur erst in der Zeichnung angedeutet hatte, wie er von dem seiner Liebe nachjagenden Gott einen Tritt in den Allerwertesten empfangen soll, zu Bewußtsein gekommen, zu welch' niedriger Figur man seinen erlauchten Körper hier hatte entwürdigen wollen. Und steifbeinig und wichtig stelzte der Übergescheite nun auf seinen froschigen Füßen aus der Werkstatt der Malerin hinaus, indem er dabei seinen selbstgefälligen Kopf, der ihm und sonst niemandem höchst bedeutend vorkam, so erhaben wie möglich zurückwarf.

›Was war denn das für ein Biest?‹ dachte die Engländerin mit dem Stolz ihres Volkes, der sich sofort gegen jede Überlegenheit eines andern auflehnt. ›Womöglich gar ein Schulmeister! Ich werde mich nächstens doch auf den hiesigen Straßen mehr vorsehen müssen. Die Leute sind hier in Rom unerzogener und dreister als in Florenz.‹ Sie hatte ihre Brille wiedergefunden, die sie beim Malen gebrauchte, und stichelte verstimmt etwas an der nackten Gestalt der herrlichen, dem Gott in einen Baum entgleitenden Daphne herum, zu der sie sich mit ihrem fehlerfreien Wuchs heimlich selber im Spiegel Modell stand. Jetzt merkte sie, daß sie von dem absprechenden Kunstgeschwätz des Fremden verstimmt worden war und ließ verdrießlich von der Arbeit ab. ›Hoffentlich bekomme ich diesen häßlichen Pedanten nie mehr zu sehen, diesen Ziegenfüßler, an dem alles scheußlich und mißbildet war bis auf den Körperteil, der schließlich bei jedermann gewöhnlich erträglich ist.‹

Sie sollte den Fremden nur noch einmal wiedersehen. Das war bei einem großen Empfang, den der Papst Clemens XIV. nach der feierlichen Aufhebung des Jesuitenordens im Quirinal abhielt. Mengs, der Hofmaler, erschien, umdrängt von seiner Frau und seinen beiden Schwestern Julia und Teresa, die dem Papst einige selbstgemalte Miniaturen verehrten, im höchsten Glanz, um Seiner Heiligkeit kniend seine neueste in Zürich gedruckte ästhetische Schrift zu überreichen: »Betrachtungen über das Schöne und sein Verhältnis zur Schicklichkeit.« Die Engländerin, die gegen sein hoheitsvolles Auftreten bedeutend abstach und nur durch ihre wohlgeformte Gestalt, ihr stolzes Gesicht, angenehm auffiel, beäugelte den aufgetakelten, hoffärtigen Herrn aufmerksam während der Förmlichkeiten durch ihre Stielbrille. Nach der Feierlichkeit stellte sie Mengs unbeobachtet in einem der grauen Gänge neben dem Empfangssaal. Sie wußte noch immer nicht ganz sicher, ob sich unter diesem mit Orden behangenen und betreßten hohen Herrn jenes ihr entronnene, nackte Vorbild zu einem Bocksgott verbarg. »Sollten wir einander nicht kennen, Meister?« fragte sie mit einem leicht spöttischen Ausdruck um ihren trotzigen Mund. Mengs maß sie mit einem erstaunt herablassenden Blick von oben bis unten vollkommen befremdet, also daß die zarte rote und weiße Farbe ihres Gesichts eine dunkle Röte annahm. »Doch wohl nur höchst oberflächlich«, gab der Hofmaler dreier Könige ihr ungnädig zur Antwort und drehte ihr seinen ihr wohlbekannten Rücken zu.


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