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Der Maler Rayski
oder:
Die Freundinnen

Ein ausgezeichneter Menschenmaler, dieser Rayski! Man kennt ihn viel zu wenig. Aber wer die Gesichter seiner Bilder, die da und dort verloren in Galerien und Museen hängen, einmal länger mit eigenen Augen in sich aufgesogen hat, der liebt diesen Nachschöpfer unseres verzweifelten Geschlechts von nun an wie das Leben selber. In der Hauptsache hat er, seinen Bestellungen folgend, Generäle, Domherren, Gesandte, Kriegsräte und adlige Damen und Kinder gemalt. Meist in Sachsen oder im reichen Süddeutschland, besonders in der Würzburger Gegend. Aus einer verfeinerten polnischen Offiziersfamilie stammend, sollte Ferdinand von Rayski, der selber in Pegau an der Weißen Elster das Licht der Welt, dort, wo es sächsisch helle scheint, zuerst erblickte, wie sein Vater ein Offizier werden. Aber schon auf der Dresdner Kadettenanstalt begann er sich kreuzunglücklich wie ein Ziegenbock in einem finstern engen Stall zu fühlen. Und nach kurzer Sekondeleutnantsspielerei in Ballenstedt warf er den Säbel samt Säbeltasche und den ganzen militärischen Krimskrams beiseite und quittierte den Dienst, um sich der Malerei zu ergeben. In Dresden und Paris studierte er wild und ungeregelt drauflos. Und dann ging er mit Pinsel und Farben auf den Menschenfang.

Im Jahre 1806 geboren, begleitete er malend das verflossene Jahrhundert, ohne sich viel um dessen politische Entwicklung zu bekümmern. Er war durch seine Kunst zu sehr mit der Beobachtung der einzelnen Wesen beschäftigt, als daß er sich näher mit den vorübergehenden Bestrebungen und Gebilden der menschlichen Gesellschaft in ihren großen Zügen befassen konnte. Vaterlandslos als armer, polnischer Edelmann lebte er nur, in die Beobachtung der Seelen vertieft, seine Zeit auf Erden ab.

Von all seinen Bildern hielt er sich wohl am längsten mit dem eines Fräulein von Schönberg auf, einer begüterten, sächsischen Dame, die ihn eingeladen hatte, einen Sommer auf ihrem Landsitz zu verbringen. Sie war unverheiratet und dachte auch offenbar, bereits im Anfang der vierziger Jahre stehend, nicht mehr daran, eine Ehe einzugehen. Sie führte einen nicht verschwenderischen, aber freigebigen und breiten Haushalt, bei dessen Ordnung sie durch ein junges, hübsches Mädchen unterstützt wurde, das schon über ein Jahrzehnt bei ihr angestellt war. Wie man erzählte, war dies eltern- und mittellose Mädchen, das Hildegard von Berge hieß, mit Fräulein von Schönberg entfernt verwandt, was man angesichts der freundlichen und besorgten Behandlung, die ihr von ihrer Herrin stets zuteil wurde, leicht glauben mochte. »Frau Christine«, wie die Schönberg, trotzdem sie unvermählt war, stets vor den Leuten von Hildegard von Berge genannt wurde, hing jedenfalls mit einer eigentümlichen Zärtlichkeit an dem jungen Mädchen. Sie nahm ihre leichten Dienste im Hause in Anspruch. Gewiß! Aber sie tat dies stets mit einer lächelnden Verbindlichkeit, wie etwa ein vornehmer Mann sich die steten Gefälligkeiten seiner jungen Frau gefallen läßt. Sonst achtete sie streng darauf, daß Hildegard, die alle Mahlzeiten an ihrer Seite einnehmen mußte, von der Dienerschaft, der männlichen wie der weiblichen, genau wie sie selber behandelt wurde.

Der Maler von Rayski hatte nun zum Vergnügen neben dem lebensgroßen Bildnis, das er von der Schönberg entwarf, auch ein kleines angefangen, das Fräulein Hildegard darstellte. Mit ihrem zarten, rosigen Mädchengesicht, aus dem ein Stupsnäschen kindlich-vertrauensvoll in die Welt der Menschen blickte, gefiel sie dem Maler immer mehr, je häufiger und länger er sie anschaute. Nur der sonderbar wissende Ausdruck, der in ihren oder, besser bezeichnet, unter ihren Augen stand, befremdete Rayski an diesem unschuldigen Kinderkopf. Hildegard hatte nämlich öfters tiefe, dunkle Ringe unter den Augen, wie sie manche junge Menschen haben. Sie sehen einen an, als ob sich unter ihren Augen gleichsam noch zwei andere fragend aufschlügen.

Die Schönberg schien die wachsende Neigung des Malers zu ihrer jüngeren Hausgenossin nicht ungern zu haben. Sie ließ die beiden absichtlich lange allein und trieb weniger an der Vollendung ihres eigenen Bildes als an dem, das er, wie sie wußte, von Hildegard angefangen hatte. Schließlich ging sie sogar eines Tages selbst dazu über, Rayski förmlich die Hand ihrer unter ihrem Schutz stehenden jungen Freundin anzutragen. Es geschah während einer Sitzung, die ihm die Schönberg für ihr Bild gewährte. Er war gerade dabei, ihren Mund, ihren dicklippigen, etwas wollüstigen und doch an den Ecken scharf zugekniffenen, altjüngferlichen Mund auf der Leinwand nachzuschaffen, da unterbrach die Schönberg, die ihn schon eine Weile aus ihren kalten, stark vorquellenden Augen aufmerksam beschaut hatte, die Stille mit der unvermuteten Frage: »Warum wollen Sie die Kleine nicht heiraten? Sie bekommt eine glänzende Ausstattung von mir. Außerdem bin ich bereit, ihr ein ansehnliches Nadelgeld mitzugeben, und dieser ersten Spende, falls es erforderlich sein sollte, weitere Unterstützungen folgen zu lassen. Sie würden aus Ihren leidigen Geldsorgen befreit sein durch diese Verbindung, Herr von Rayski.«

Der Maler war nicht wenig überrascht durch die eindeutige, zupackende Weise, mit der die Schönberg diese Sache, die bislang nur eine heimliche, leichte Liebelei für ihn gewesen war, zur Sprache brachte. Aber er überwand dies peinliche Gefühl bald wieder bei dem Anblick der reizenden, harmlosen Hildegard, mit der ihn die Schönberg, gleich nachdem sie dieses ihr Anerbieten klargelegt hatte, geschickt allein zusammenließ. Dies kindliche Geschöpf konnte nichts von den kupplerischen Künsten der älteren Freundin ahnen, die kraft ihrer Stellung als reiche Herrin einfach über das Herz des armen, ihr unterstellten Mädchens verfügte. Ein warmes Mitleid für die gleich ihm alleinstehende und verwaiste, anmutige Hildegard durchströmte den ritterlichen Rayski. Und wie Mitleid leicht zur Liebe überschlägt, so sah sich der frauenfreundliche Maler alsobald auf einmal mit Hildegard von Berge verlobt und schon wenige Wochen danach mit ihr verheiratet.

Die Treiberin bei diesem schnellen, ja ein wenig überstürzten Liebes- und Ehehandel war wiederum die Schönberg gewesen. Ihr schien es gar nicht rasch genug gehen zu können, bis Hildegard die Gattin Rayskis geworden war. Sie überwand männlich entschlossen alle Schwierigkeiten, die sich der Verbindung des neuen Paares wie jeder menschlichen Vereinigung in den Weg stellen wollten. Sie erledigte alle die langweiligen Förmlichkeiten, die der bürgerliche Staat vor der Eingehung einer Ehe vorschreibt. Rayski, der wie ein Zigeuner durch das Leben trieb, hätte sich allein und ohne daß ihm die Schönberg diese peinlichen Vorerledigungen abnahm, kaum und jedenfalls nie so schnell damit abfinden können. Er war glücklich, daß er als Künstler nicht weiter mit solchen dummen Umständlichkeiten behelligt wurde, und machte sich weiter keine Gedanken über den Eifer und die Betriebsamkeit der Schönberg in dieser Angelegenheit.

Den Honigmonat verbrachte das jungvermählte Paar auf einem versteckten, benachbarten Schlößchen, das der Schönberg gehörte. Sie selbst war seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Und die Räume hatten dadurch etwas Unbewohntes und Ungepflegtes bekommen, was Rayski, den Polensprößling, noch ganz besonders an ihnen anzog. Er war in dieser Zeit so fleißig wie selten. Nicht nur, daß er von der Erlaubnis der Schönberg, in den Wäldern und Auen um das Schlößchen auf die Jagd zu gehen, allmorgens und abends mit rauchendem Gewehr einen feurigen Gebrauch machte. Er malte und zeichnete während dieser Wochen auch die stärksten und schärfsten Tierstücke, die von ihm erhalten sind. Ein paar Rebhühner und wilde Kaninchen, die er, bevor er sie niederstreckte, bereits mit dem Stift der Natur abjagte, wären hier besonders zu erwähnen. Er fühlte sich der Erde verwandter als je und malte sein Schlößchen, mit dem er für seine Liebeszeit belehnt worden war, in der zarten flamingofarbenen Beleuchtung der Morgenröte ebenso wie in jener erlöschenden rosigen Beleuchtung des Abends ab, die der Gegend den warmen Goldglanz von gereiften Früchten gab.

Aber auch sein junges Weibchen ward indessen nicht von ihm vernachlässigt. Er genoß die Freuden der Flitterwochen im Widerschein ihres lieblich erstaunten kindlichen Angesichts fast noch mehr als in der Wirklichkeit. Ihr Stupsnäschen versenkte sich zitternd wie das eines Häschens in die Wonnen der ersten ehelichen Gemeinsamkeit mit einem Manne. Sie verlor von Nacht zu Nacht die Scheu und die fragende Unsicherheit, die unter ihren Augen gestanden hatte. Und auch die dunklen Ringe, die sie dort traurig umfangen hatten, verschwanden mehr und mehr, so daß Rayski ihr einmal in einem seligen Augenblick scherzend sagen durfte, daß er die beiden finstern Siegel, die damit gleichsam auf ihre arme Jugend gedrückt, nun fast ganz weggeküßt habe. Zu beiderseitigem Kummer wurde das glückliche Paar ungefähr in der Mitte ihres dritten Ehemonats durch einen dringenden Brief der Schönberg von dem Schlößchen, in dem sie sich so wohlgefühlt hatten, zurückgerufen. Hildegard hatte kurz vorher der älteren Freundin noch geschrieben, daß sich nunmehr ihre Hoffnung auf ein Kind aus ihrer Vereinigung mit Rayski ganz sicher bestätigt habe. Da ward sie und mit ihr der Maler, der geradezu in slawische Wut darüber geriet, von dem Schlößchen getrennt, das, wie ihnen die Schönberg mitteilte, für den Rest des Herbstes einem Stiefbruder von ihr zur Verfügung gestellt werden müsse.

In der grimmigsten Laune, in die der an sich schon leicht gallige Rayski durch die Tücke der Außenwelt versetzt werden konnte, langte er wieder bei der Schönberg an. Mitten in der Ausführung einer größeren Zeichnung von einer Wildschweinhatz war er durch die barsche Heimbitte der alten Schraube, wie er sie in seiner Empörung vor seiner jungen Frau beschimpfte, unterbrochen worden. Er selber wäre schon um dieses begonnenen Bildes willen gar nicht abgereist, sondern einfach dageblieben. Aber Hildegard war durch den befehlenden Brief der Schönberg in ihre alte Scheu, die sie in Rayskis Nähe bereits beinahe abgelegt hatte, zurückgesunken. Auf ihr ängstliches Drängen hatte man hastig von dem Schlößchen ihrer Flitterwochen betrübten Abschied genommen.

In der völligen Mißstimmung, in der Rayski herumging, fiel es ihm kaum auf, daß Hildegard die erste Nacht, die sie beide nun erneut im alten Hause verbrachten, nicht wie bisher seit ihrer Verheiratung neben ihm ruhte, sondern wieder wie früher in der Kammer dicht neben dem Schlafzimmer der Schönberg einquartiert war. Erst am frühen Morgen, als er brummig in das junge graue Licht starrte und dessen Reflexe von den weißen Kissen mit seinen Maleraugen schmeckte, ward ihm klar, daß er eigentlich wieder so gut wie unverheiratet hier in seinem alten Bette lag. Allzulange brauchte er über diese auffälligen Vorgänge nicht nachzusinnen, denn gleich nach dem Frühstück rückte das Fräulein von Schönberg mit einem neuen Auftrag für ihn heraus, der Rayski sofort auf einige Zeit wieder aus ihrem Hause entfernen würde. Es sei ihr gelungen, so erzählte sie ihm in ihrer knappen Art, ihren Vetter, einen in Dresden wohnenden Geheimrat Broizem, zu bewegen, sich gleichfalls von Rayski malen zu lassen. Der alte, etwas wunderliche Herr bestehe jedoch darauf, daß das Bild unverzüglich in Angriff genommen werden müsse, weil er wahrscheinlich sehr bald schon sterben würde. Infolge dieser fixen Idee des peinlichen Sonderlings müsse sich, so leid es ihr tue, das junge Paar auf eine Zeitlang trennen, wenn der Maler anders nicht dieses sehr vorteilhafte Geschäft ausschlagen möchte.

Rayski kam dies Anerbieten in seiner augenblicklichen schlechten Gemütsverfassung gerade recht. Der Aufenthalt bei der Schönberg war ihm aus irgendwelchen unbewußten Gründen ganz unleidlich geworden. Zärtlich, aber schnell sagte er der durch die überhetzten Ereignisse völlig verwirrten Hildegard Lebewohl. Und am andern Morgen hatte ihn die neue, soeben in Sachsen eröffnete Eisenbahn bereits meilenweit von seiner kleinen jungen Frau entfernt. Nachdem Rayski das Bildnis des Geheimrats vollendet hatte, meldete sich ebenfalls auf Veranlassung des Fräuleins von Schönberg noch ein höherer Offizier bei ihm mit dem Anliegen, auch seine kriegerisch dreinblickenden Züge durch ein Gemälde vor der fleischlichen Vergänglichkeit zu bewahren.

Infolgedessen mußte Rayski seine bereits beschlossene Heimreise nochmals um eine geraume Zeit aufschieben und kam infolgedessen erst nach der gesund überstandenen Niederkunft seiner jungen Frau in das Haus der Schönberg, in dem seine junge Gattin nach wie vor weilte, zurück. Während seiner Abwesenheit hatte er mehrere Briefe von Hildegard empfangen, von denen einige in einer ganz eigentümlich krankhaften Sehnsucht gehalten waren, andere wieder sich in den Verzicht auf seine Gegenwart völlig ergeben zeigten. Voll Erwartung trat Rayski nun nach der monatelangen unfreiwilligen Trennung vor seine Gattin, die nun schon länger das Wochenbett überstanden hatte und ihn, errötend vor Freude, willkommen hieß. Auf seine zweite Frage nach dem Befinden seines kleinen Sohnes wurde ihm bedeutet, daß das Kind bei Fräulein von Schönberg sei, die es bei Tag und Nacht nicht aus ihrem Zimmer lasse. Nachgerade wurde Rayski die Besitzergreifung alles dessen, was er liebte, durch die Schönberg lästig, ja unangenehm. Erst hatte sie sich gleich bei ihrer Heimkehr aus den Flitterwochen seines Weibchens wieder bemächtigt. Und nun hielt sie sein Söhnchen in ihrer krampfhaften, aufdringlichen Zärtlichkeit fest, als ob es ihr eigenes Kind wäre.

Das Mittag- und Abendessen nahm der Maler allein mit seiner niedlichen Frau ein, die nun nach dem Jubel des ersten Wiedersehens aufs neue merklich gedrückt wirkte. Die Schönberg erschien bei beiden Mahlzeiten nicht, und dies steigerte in Rayski das Gefühl, daß er hier nur mehr als Fremder angesehen würde. Unter finstern Gedanken über seine Zukunft wie die seiner kleinen Familie schritt er mit seiner Tabakspfeife noch ein Weilchen im Sonnenuntergang hinter dem Landhaus der Schönberg herum. Er rauchte weniger, als daß er sorgenvoll in die Pfeife hineinblies und ihren Rauch ungenutzt verkräuselnd zu den Bäumen steigen ließ. Dabei betrachtete er blinzelnd seinen veilchenblauen Frack mit den goldenen Knöpfen und seine weißesten Beinkleider, die er, um Eindruck auf die Schloßherrin zu machen, heute angezogen hatte. Da bemerkte er erfreut, ihrer endlich habhaft zu werden, daß die Schönberg durch die Lindenallee auf das Haus zukam, umhüllt von einem breiten Kaschmirschal, der ihre scharfen und gealterten männlichen Züge milderte. Sie fuhr durch die laue Abendluft etwas vor sich her. Das war, in einen kleinen Korbwagen warm eingewickelt und zugedeckt, das Kind Rayskis und Hildegards. Feindlich berührt von dem Anblick des Malers, wollte sie in einen Seitenweg biegen. Da trat er auf sie zu.

»Ich freue mich, Baronesse, daß es mir auf diese Weise heute noch vergönnt ist, meinen Herrn Sohn kennenzulernen.«

Er wollte sich dem Bündel nähern, um sich den winzigen Wicht zu betrachten, der darin eingepackt war. Aber die Schönberg stieß ihn beiseite. Ihre vorn an den Flügeln stets gerötete spitze Nase blickte verächtlich über ihn weg.

»Lassen Sie das Kind in Ruhe! Sehen Sie denn nicht, daß es schläft? Stören Sie es mir nicht, hören Sie!«

»Aber, Baronesse! Wär' es denn schlimm, wenn mein Sohn sich herablassen würde, seine Äuglein für seinen Vater zu öffnen?«

»Unterstehen Sie sich nicht, das Kind anzufassen! Sie haben kein Recht dazu. Das Kind gehört mir. Und ich werde es aufziehen.«

»Gnädigste scherzen!«

»Nein! Nicht im mindesten! Was bildet ihr Männer euch großes auf euren flüchtigen Anteil an solch einem Wesen ein. Empfangen und austragen müssen wir es! Ihr macht euch nur eine Minute damit zu schaffen. Wir haben monate-, jahrelang dafür zu sorgen.«

»Ihnen steht diese sonderbare Erregung über den Gang der Natur nicht schlecht, Baronesse. Jedoch werden Sie mir nicht verwehren können – –«

»Zum letzten Male, Herr von Rayski! Rühren Sie das Kind nicht an! Es gehört Ihnen nicht. Es ist für mich von Hildegard geboren worden. Hildegard ist seit Jahren meine Geliebte, falls Sie dies immer noch nicht wissen sollten. Es fehlte nichts an unserm Glück als dieses Kind, das ich ihr leider nicht selber erzeugen konnte. Wir mußten uns zu diesem Zweck Ihrer bedienen, Herr von Rayski. Aber nun dürften Sie Ihre Schuldigkeit getan haben.«

Der Maler war völlig verwirrt von dem Korbwagen zurückgetreten, in dem das kleine Wesen schlummerte, das noch nichts ahnte von dem Widerstreit des Eigennutzes in jener menschlichen Herde, mit der wir uns quälen müssen. Er strich sich, ratlos, empört, durch seinen langen polnischen Reiterschnurrbart, der über seine verdrossenen Mundwinkel hing. Das Leben schmeckte ihm fade wie die kaltgewordene Pfeife, an der er vor Verlegenheit ein paarmal zog. Die Schönberg hörte noch sein bitteres Lachen hinter sich, als sie herrischen Schritts ihre Beute zu ihrem Landhaus hinfuhr. Mit ihren langen, vornehmen Fingern schnürte sie oben in ihrem Zimmer das winzige Knäbchen aus seinen Windeln los. Ängstlich drückte sie es an ihre flache, harte Brust, bis die Amme kam, es zu säugen. Dies Kind ihrer geliebten Hildegard war auch das ihre, meinte die Schönberg entrüstet. Wenn die Natur es nicht so eingerichtet hatte, nun wohl, so hatte man sie ja verbessern können. Keiner dieser rohen, dummen, leicht zu überlistenden Männer sollte ihr dies Kind wieder entwinden.

Noch am gleichen Abend verließ Rayski das Gut der Schönberg, um es nie wieder zu betreten. Er hatte vorher noch die heftigsten Auseinandersetzungen mit Hildegard, die sich an ihn wie an einen Rettungsring hing mit den brennendsten Bitten, nicht wieder von ihr zu gehen. Langsam war in ihr eine Liebe für diesen Mann und seine Zärtlichkeiten und Rauheiten erwachsen; eine Liebe, die freilich während seiner Abwesenheit wieder durch die leidenschaftlichsten Umwerbungen und Kosereien der Schönberg, an die sie sich seit Jahren gewöhnt hatte, unterbrochen und zeitweise fast erloschen war. Auch Rayski hatte zunächst eine warme Zuneigung zu der Kleinen gefaßt. Aber nun hinterdrein, nachdem er erfahren hatte, in welchem Verhältnis sie zu der Schönberg lebte, kam ihm alles, ihre Kindlichkeit und Harmlosigkeit, mit der sie sich ihm als Braut und junge Frau gegeben hatte, nur gespielt und verlogen vor. Er mußte sich sagen, daß er nur die Strohpuppe für diese beiden Frauen gewesen war, das Männchen, das man nur dazu benutzt, um es nach getaner Pflicht wegzustoßen. Zu gewissen Liebesdiensten hatte man ihn untergeschoben. Dann konnte er wieder seiner Wege gehen. Daß Hildegard dies mitgemacht und geduldet hatte, daß er nur als Geburtshelfer herangezogen worden war, das trennte ihn für immer von ihr. Mochte sie ihm jetzt noch so oft vorreden, daß sie nur durch ihn die wahre, die richtige Liebe kennen und lieben gelernt habe, er glaubte es ihr nicht. Er konnte einer Frau, die ihm die trüben Geheimnisse ihrer Vergangenheit so fest verschwiegen hatte, für die Zukunft nicht mehr Vertrauen schenken, zumal, da sie noch jetzt zögerte, einen offenen, deutlichen Bruch mit ihrer Freundin herbeizuführen. Dazu kam, daß ihm Hildegard, nachdem er Kenntnis von ihren langen Beziehungen zur Schönberg bekommen hatte, körperlich völlig verleidet worden war.

Ein Jahr darauf war Rayski bereits wieder geschieden, um fortan nicht mehr sein Eheglück zu versuchen. Er verzichtete auf das Kind zugunsten Hildegards, die sich schließlich wieder ganz für ihre Freundin entschied. Die Abfindungssummen, die ihm zu wiederholten Malen durch die Schönberg selbst wie durch Vermittler von ihr angeboten wurden, lehnte er auf das schroffste ab, trotz der Bedürftigkeit, in der er sein armes, unanerkanntes Künstlerdasein weiter fristen mußte. Die zwei Frauen lebten weiter miteinander, und Hildegard ließ sich allmählich über den Verlust ihres Mannes wie bisher von der Freundin trösten. Bis an ihr Grab blieben die beiden Frauen zusammen. Auf Anordnung der Schönberg wurde diese letzte Ruhestätte für sie und ihre Geliebte unter den langfransigen, hohen Tannen hinter dem Schloßteich bereitet, inmitten der sich selbst befruchtenden Natur. Nur ihre beiden Namenszüge sollten wie Ranken verschlungen auf den Gruftsteinen stehen. Rayski verbrachte seine letzten Jahre bis ins welke Greisenalter in Dresden als unbekannter und ganz aus der Mode gekommener, menschenscheu gewordener Bildnismaler in einer entlegenen, verstaubten Speicherkünstlerwerkstatt, deren Tür er zur Abschreckung von Besuchern mit einer scheußlichen Fratze bepinselt hatte.


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