Hermann Essig
Taifun
Hermann Essig

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Gerade waren sie im Gehen, als Schellenhauer kommen wollte. Hermione erfaßte ihn mit einem kurzen Ruck als einen vertrauten Freund am Arme und zog ihn mit sich die Treppe hinab.

Schellenhauer war nun bei seinem glatt pomadisierten Kopfe verblieben und zog die Stirne stets in nachdenkliche Falten, als einer, der durch die Schwere seiner Kunstleistungen fast erdrückt wurde. Bäumlers Käterchen war ganz abgetan. Er stand auf dem ersten Ringe der Taifunkünstler, von wo aus man der schwebenden Gottheit unmittelbar unter die Röcke sah. Was brauchte er da noch ein Schwarzwaldmädel!

Schellenhauer stand unter der scharfen Dressur Hermiones und gewöhnte sich an ein vorsichtig tastendes Sprechen über die Kunst; wenigstens setzte Hermiones Einfluß schon heute im Café Josty ein. Der junge Mann errötete das erste Mal seit acht Jahren, Hermiones Züngchen blickte listig kurz hervor.

Die Gruppe fiel im Café auf. Ganswinds Kopf hatte seit dem heutigen Erfolge einen berühmten Ausdruck, er atmete asthmatisch, hatte die Zigarette dauernd schlaff in den Lippen hängen und spreizte die Finger mit milliardärartigem Griff über Tasse und Schaumkuchen, sprach kurz und versäumte häufig, Hermiones Hand zum Küßchen hochzunehmen. Wer am Tische vorbeiging, blieb stehen. »Das ist 'r.«

»Wer ist 'r?«

»Der die Bilder auf die Straße warf.«

»Er soll Multimillionär sein.« Die Augen aus penséeartigen Frätzchen schlingerten um ihn herum. Nun durfte er bloß zugreifen, wie der schwarze Weltmeister Niggerboxer John. Und es war bei ihm gewiß reizender als bei jenem, dessen Frau sich aus Verzweiflung über den Weltstier das Leben nehmen mußte, weil der Schmerz dabei zu groß war.

Hermione war das erstemal stolz auf Ossi. Er war wirklich ein scharfer Adam.

Inzwischen packte Susanne mit ihrem treuen Käterchen, die ihre Tränen über Schellenhauer längst mit der Suppe wieder hintergeschluckt hatte, die Reisekörbe. Wo die Reise hinging, war Nebensache. Ob mit oder ohne Geld, war ebenso gleichgültig. Nur hinaus! Susanne wollte außerhalb nachsehen, ob sie verrückt war oder die Welt. Diesmal aber ließ sie sich nicht mit Kunst ein.

Käterchen beschwor Susanne hoch und heilig, gewiß viel Geld mitzunehmen, damit sie nicht abhängig wurde. Sie hatte die gleiche drängende Sucht, dauernd von hier fortzukommen. Der Doktor, der würde ja suchen, wenn sie hier weg waren. Und jede Spur, durch die man sie auffinden konnte, sollte verwischt werden.

Ob es freilich Susanne so sehr ernst sein konnte, als kindtragende Mutter vom Gemahle sich, wie durch den Tod geschieden, zu trennen?! Sie zitterte oftmals, wenn sie einen Gegenstand ergriff und in den Korb legte. Doch Käterchen feuerte kräftig an und hetzte, damit sie unbemerkt hinauskämen.

Susanne ging zu Büffel und pumpte ihn um achttausend Mark an, angeblich um Alfred ein standesgemäßes Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Das war sehr glücklich erfunden: erstens waren es tatsächlich nur noch siebzehn Tage bis dahin, und zweitens konnte Büffel nicht darüber reden. Sie erhielt die Summe anstandslos und noch allerlei gute Ratschläge der Wirtin, was jetzt zum Anschaffen für einen Mann besonders liebreizend wäre. Eine Kiste Zigarren zu 150 Mark war die erste Kleinigkeit. Es war ja endlich das schöne goldene Zeitalter angebrochen, in dem das Geld keine Rolle mehr spielte. Susanne saß wie auf Nadeln, als sie diese vielmals breitgetretenen Alltäglichkeiten mit Frau Büffel anstandshalber durchknauzen mußte. Weil sie zu lange nicht loskam, erfand sie eine List. Mit einem Aufschrei: »Die Badewanne« stürzte sie hinaus.

Die Wirtin knurrte hinter ihr zu Büffel: »Sie wird doch nicht wieder die Badewanne haben überlaufen lassen – –!«

Susanne fiel Käterchen um den Hals. »Ich habe Geld! Geld!«

»Wie viel denn?«

»Acht Tausend.«

»Frau Doktor sind bescheiden.«

»Ich hätte das Zehnfache fordern sollen – ? Du hast recht. Ich war sehr töricht.«

»Es kommt eben ganz darauf an, ob Frau Doktor sich selbständig machen wollen oder nicht.«

»Soll ich noch einmal hinaufgehen?«

»Das erregt Verdacht.«

»Ich will das lumpige Geld gar nicht.« Sie packten die letzten Wäschestücke. »Wo sollen wir denn hingehen? Und wer befördert am Sonntag die Körbe?«

Käterchen legte den Finger auf den Mund. »Ist alles gemacht. So, nun noch ein Likörchen, und bis um Fünfe auf die Körbe gesessen und gewartet.«

Sie saßen anfänglich mit ruhiger Erwartung, aber allmählich ging in Susanne Sentimentalität in mildem Glanze auf. Sie rückte dicht neben Käterchen hin und umarmte sie. »Käterchen, wenn wir diesmal unser Fortkommen finden, so mache ich Schmollis mit dir. Ich werde künftig arbeiten, und wenn's in einer Pulverfabrik ist.«

»Liebe süße Susanne, das tun wir nicht. Wir stehen jetzt mit dem Doktortitel ganz anders da. Frau Doktor will doch nicht hinuntersteigen, immer höher upp!«

»Baronin?«

»Nicht genug.«

»Fürstin? Mit Prinzessinnenrang.«

»Das gefiele mir eher. Ich wäre sodann die engagierte Kammerfrau.«

»Käterchen, ich glaube wirklich, du bildest dir ein, das zu sein. Du hast den Größenwahn.«

»Oder Sie, Frau Doktor. Wie könnten Sie sonst so wegwerfend alles Erreichte fahren lassen wollen!«

Es klingelte. Käterchen eilte hinaus. Susanne hielt die Hand auf die Herzgrube. Schwere Schritte –. Käterchens Onkel und Tante. Susanne war die Auslieferung ihrer Zukunft beziehungsweise ihrer Körbe an diese Leute nicht angenehm. Sie sahen es ihr am Gesicht an, fühlten sich durch diese Reserviertheit aber nur desto ergebener. Die Tante ergriff Susannes Hand und küßte sie mit Rührung: »Ich weiß alles; wie ich Ihnen bedaure!«

Vor dieser Freundschaft schwanden Susannes Bedenken. Wer konnte es wissen. Vielleicht kamen durch diese Leute neue Abenteuer. Jedenfalls gelangte sie einmal in ein ganz neues Berlin.

Die Körbe waren schwer, aber binnen zehn Minuten war alles auf das Jagdwägelchen vor dem Hause aufgeladen. Käterchen winkte Onkel und Tante, nur schnell loszufahren, falls die alte Büffelin oben rausguckte. Die lag die meiste Zeit wie eine alte Katze, die Ellbogen auf ein seidenes gesticktes Kissen gedrückt, im Fenster. Mit Susanne wollte Käterchen mit der Elektrischen hinterherfahren.

Das gefiel Susanne gar nicht. Warum denn weggehen wie ein Dieb? Sie setzte sich auf das Jagdwägelchen, schnitt dem Taifunhause eine lange Nase und streckte die Zunge fünfzehn Zentimeter lang heraus. Richtig, die Büffelin sah es. Sie stürzte vor Staunen, ob es kein Gespenst war, was sie sah, beinahe auf den klein gepflasterten Bürgersteig hinab. Büffel konnte sie gerade noch am Rock festhalten, und seine anmutige Rettung vollziehen.

Käterchen lachte sich schief über Susanne, wie sie so fidel auf dem Wägelchen saß, von den Zwergpferdchen gezogen. Jetzt war sie wieder ihre Susanne, die sie von Brüssel her kannte. Onkel und Tante saßen mit wichtigen Buttergesichtern vorne auf dem Bock. Himmel, am Café Josty vorbei! Das war herrlich.

Susanne winkte vom Wagen herab. Ganswind war blind. Der Doktor schielte durch schräg gestellte Augengläser. Nur Hermione sah wie ein Falke. »Da fährt Susanne.«

»Wo? Wo?«

»Ihre Zunge! Sie flieht.«

Bis der große Taifunhexenmeister hinblickte und der Doktor einigermaßen den Kopf in der bezeichneten Richtung hatte, war der ganze unbegreiflich wunderliche Spuk vorbei.

»Kann denn das möglich sein?« stammelte der Doktor mit kreideblassem Gesicht.

Hermione war bereits auf dem Wege zum Fernsprecher. Sie rief Bäumlers an. Richtig, dort kam niemand an den Apparat. Dies war die erste Wahrscheinlichkeit, daß keine Täuschung vorlag.

»Ich habe es ganz genau gesehen. Kinder, was ich mit eigenen Augen sehe, das habe ich geseh'n.« Hermione spornte zum Aufbruch. Insbesondere mußte sofort Polizeirat Löwe verständigt werden. Es konnte ja verbrecherisch zugegangen sein. Vielleicht hatte sie alles Mögliche mitgenommen.

Der Doktor fühlte das erstemal, daß eigentlich zwischen Hermione und Susanne nie ein Verhältnis von Freundschaft bestanden haben konnte. Wie sie ohne Bedacht und Schranke von seiner entflohenen Frau sprach! Seine Gesichtsblässe wurde immer grauenvoller. Und als er zu Hause vor der nackten Wahrheit stand, brach der Unglückliche zusammen.

Wie eine Mordkommission am Tatorte standen alle Taifunverwandten in Bäumlers Wohnung beieinander. Ossi wurde tief schweigsam. Er zog Hermione bald mit sich in ihre eigene Wohnung hinab. Die Bilder fehlten überall an den Wänden, und Ossi schaute Hermione fragend in die Augen.

»Du meinst, es wäre auch für uns Zeit, unsere Villa Miramare für dauernd zu beziehen?«

Ossi nahm zur Antwort ihre Hand und streichelte sie zart. »Ich meine, zunächst hat der Taifun seine Arbeit erfüllt. Wir werden einige Zeit nach Norden gehen, von wo der Taifun zu gelegener Zeit wiederkommen wird. Mit neuem, ich möchte sagen, mit rücklaufendem Ziel. Er wird dann das, was er bisher zusammengehäuft hat, auseinanderfegen und das, was er bisher auseinandergefegt hat, zusammenhäufen. Mit einem Wort: Wir werden zu gelegener Zeit die Reaktion organisieren.«

»Wie sollen wir's aber in der Ruhe aushalten?« frug Hermione.

»Ich werde in Miramare nur spielen!«

»Wirst du soviel spielen können, daß ich nie unglücklich werde?« Hermione faßte seinen Kopf und glaubte, einen Schafskopf in den Händen zu haben. Diesen kraulte sie hinter den Ohren.

»Wir werden mit Privateinladungen der vornehmen Gesellschaft nach Miramare das Lager der Reaktion vorbereiten.«

»Du Süßer!«

»Du wirst sehen, die pensionierten Politiker verstehen auch etwas.«

Hermione klatschte in die Händchen wie ein Kind.

Ossi sprach: »Baby.« Daraufhin wurde von ihr in aller Stille und Sorgfalt zur Abreise gerüstet. Sie benutzten die nächsten Tage zur geschäftlichen Ordnung, namentlich mußte die Loslösung von Büffel mit großer Vorsicht bewerkstelligt werden. Unter dem Vorwand einer Gesamtinventur mußte Büffel Ganswinds Restschulden sofort aufstellen. Büffel war nicht wenig erstaunt, als er acht Tage später von Ganswind einen großen Sack Geld bekam. Er hatte es eigentlich gar nicht erwartet, daß er je einmal das Geld Ganswinds in Realwerten in die Tasche bekäme.

In dieser Woche irrte der Doktor trostlos umher. Es enttäuschte ihn, daß Ganswinds so wenig Zeit für ihn hatten. Doch von dem gänzlichen Aufhören des Wesens aller Dinge gewahrte er noch nichts.

Löwe war in seinen Recherchen wenig eifrig. Und Schellenhauer, der als einziger die Spur kannte, denn er wußte zu genau, wem die Ponypferdchen gehörten, schwieg geflissentlich. Es konnten unnütze Komplikationen für ihn entstehen. Er hatte Freude genug, dann und wann maskiert in Onkels Destille einzutreten. Da zog er eine Ganzperücke über mit großem roten Vollbart und rotem Buschelhaar, und mit einer Schmiedeschürze angetan und rauhen Jargon sprechend, war er gänzlich unkenntlich. An diesem Handwerksmeister ließ er Susanne ihr Vergnügen haben, denn Käterchen hätte den Hund am Schwanz erkannt.

Recherchen! Clothilde lachte ihren Mann aus, daß er so etwas wie einen Amtseifer an den Tag legte. Wer einigermaßen auf das aufgemerkt hatte, was Susanne immer erzählt hatte, der mußte ja ganz von selbst einmal bei dem Gastwirt im Norden Nachfrage halten. Clothilde wollte sich nicht einmischen, und gab keine Vorschläge. Da sie aber mit dem Doktor wiederum tiefes Mitgefühl hatte, so fuhr sie eines Tages kurz entschlossen zu der Destille in den Norden hinauf.

Susanne wurde von ihr überrumpelt. »Ich will Sie nicht bitten, zurückzukehren«, sprach Clothilde, »aber ich möchte fragen, was mit dem Herrn Doktor geschehen soll?«

»Mit ihm? Er soll sich ein anderes Weib nehmen.«

»Der Doktor ist tief unglücklich. Ich war dieser Tage mehrere Male bei ihm. Er nimmt keine Speise mehr zu sich. Er magert ab zur Vogelscheuche.«

»Ich bin unschuldig. Mir kann es niemand verargen, daß ich diesen Betrug nicht länger mitansehen wollte.«

»Dürfte der Doktor nicht einmal hier herauskommen?«

»Wenn das geschehen würde, so müßte ich Berlin ganz verlassen.«

Clothilde sah ein, daß dem Doktor dadurch nicht zu helfen wäre. Sie schied betrübt von Susanne. Das Leben war eigentlich etwas Häßliches, wenn es zwei Menschen absolut nicht gemeinsam glücklich machen konnte und wollte. Immer konnte es nur Einzelwesen Befriedigung bringen. Und nun war gerade der Doktor ein Mensch, der nicht allein leben konnte. Susanne sah nicht ein, warum sie mit ihrem verlassenen Manne Mitgefühl haben sollte. Wenn er nicht allein zu leben verstand, so vermochte er es noch weniger, mit seiner Frau zu leben. Dieser Mann war einfach ein glatter Egoist.

Du liebe Zeit, als ob nicht jeder Mensch ein Egoist wäre!, dachte Clothilde. Der eine verstand es nur, seinen Egoismus geschickt in den Handel zu bringen, und der andere wurde mit ihm ständig um die Ohren gehauen.

Nun gut, dann war es so. Wenn der Doktor kein Geschäftsmann war, so hatte er auch keine Ursache, über sein Mißgeschick zu klagen. Jedem widerfuhr so, wie ihn seine Mutter geboren hatte. Der Doktor glaubte wohl, daß er mit einem schief sitzenden Kneifer zur Welt gekommen war. Mitgefühl hielt sie für baren Unsinn.

Käterchen erschrak, als sie später hörte, daß jemand von der Bekanntschaft dagewesen war. Nicht ohne Grund, denn Susanne quälte sie zum erstenmal wieder. Für alle Widerwärtigkeiten traf sie das Mißtrauen Susannes, die immer ihr die Schuld beimaß. Auch wußte Käterchen gleich, daß sie nun bald von Onkel und Tante fortmußten. Sie sagte es ihnen.

Der Gastwirt sah sein großes Programm ins Wasser stürzen. Er hatte einen Salon der freien Liebe gründen wollen. Die Frau Doktor wäre darin die Meisterin gewesen, nach der die Gäste an allen zehn Fingern geleckt hätten. Die vielen Handwerksmeister, die bei ihm verkehrten, hatten Sinn für eine feine Dame. Wer im Frieden fünfzig Pfennig anlegte, der konnte jetzt kecklich zwei Mark aufwenden. Das Beste war, er machte Susännchen geradeheraus seine Vorschläge.

Susanne war der Sache im Prinzip nicht abgeneigt. Aber der Anstand verbot es ihr. Herr Biermann war verwundert. Wie konnten Neigung und Anstand hindernd gegeneinander auftreten! Anstand war doch ein ganz abgegriffener Begriff. Ein Überbleibsel von der Pfaffenherrschaft. Er lachte und schäkerte. Susanne lachte mit ihm, bis er ganz plötzlich ein volles Bierglas ins Gesicht gegossen erhielt.

Na nu!

Susanne verschwand auf ein paar Tage. Käterchen machte ihrem Onkel Vorstellungen und erläuterte das Wesen ihrer Herrin. So war sie. Sie operierte stets mit Gründlichkeit. Zuweilen mit der Feuerzange.

Dem Onkel lag das harzige Bier tagelang wie ein Schleier auf der Gesichtshaut. Er sann auf Rache. Das Frauenzimmer sollte bloß wieder zurückkehren!

Die Tante war in Sorge. Sie glaubte, die gnädige Frau habe sich ein Leid angetan.

Käterchen sagte: »Paperlapapp. Meine Susanne tut sich nichts am Leben. Die wird sich irgendwo austoben.«

Jetzt wurde es dem Herrn Onkel recht heiß zumute. Die tobte sich also aus. Warum tat sie das bei ihm nicht?! Er meinte nichts anderes, als daß das Austoben bei einem Frauenzimmer nur mit dem Trommelschlegel erfolgen könnte.

Dazu lachte Käterchen weise.

Der Onkel kriegte darüber eine rechte Wut. Die Nichte stellte sich Dinge vor, die auf der Welt nicht passierten. Wenn ein Mensch, ob Mann oder Frau, allein in der Weit herumkujaxte, so war es immer die Nacht, die verbracht werden mußte. Die verbrachte man auf der Erde und nicht im Monde.

Käterchen zählte die Bekanntschaften auf. Es waren viele Baronessen darunter.

Dem Onkel war das gleichgültig. Er wandte sich an ein berüchtigtes Brüderpaar. Denen wollte er das Haus offen lassen, wenn die Dame wieder angelangt war. Die Dame sollte achttausend bei sich haben; die mußte sie zuerst einmal verlieren. Wenn sie dann mittellos war, ließ sie sich eher in den Kessel treiben.

Die beiden Brüder Kirsch tranken schon am Nachmittag mit Käterchen Rum, sodaß sie bereits um sieben Uhr wie eine Leiche in der Remise lag. Der Rohrpostbrief Susannes, daß sich Käterchen auf den Abend mit allen Sachen bereit halten sollte, war nicht über des Onkels Hände hinausgekommen.

Es war also zu erwarten, daß die Frau Doktor bis dahin zurückkam. Die Tante freute sich in aller kindlichen Unschuld, als man ihr sagte, die Frau werde wiederkommen. Als sie aber Käterchen in der Remise liegen und die zwei Männer bei ihr trinken sah, da fürchtete sie sich vor ihrem Manne. Allein sie hätte nie gewagt, die gnädige Frau zu warnen.

Um acht Uhr kam eine schwarz verschleierte Dame. Sie verlangte mit gebrochenem Deutsch, Käterchen zu sprechen. Der Budiker pfiff vor Wut einen Walzer. Damit verstand er nichts anzufangen. Er log was zusammen, er wisse nichts von einem Käterchen. Da kam unter dem Arm der Dame eine große Wildkatze zum Vorschein, vor der fürchtete er sich. Sie streckte die Krallen heraus und riß gähnend das Maul auf. Und die Dame wurde ganz ungemütlich.

»Haßdruball, gedenke des Todes meines Mannes«, sprach sie, da sprang das Vieh mit einem Satz gegen die Brust des Gastwirts. Er schrie um Hilfe. Die beiden Brüder glaubten in ihrem Rumrausche, ein Kollege schreie vor der Polizei, und flohen aus der Remise. Die Tante meinte, das Verbrechen sei im Gange, und versteckte sich im Keller. So war Herr Biermann Haßdruball überantwortet. Und die von der Schelde war Strenge gegen Männer gewohnt. Es fiel ihr nicht ein, ihr Tier zurückzurufen. Der Angefallene sah das Tier zehnmal größer, als es in Wirklichkeit war, auf seiner Brust hängen. Er schrie jetzt. »Käterchen! Käterchen!« Aber sie hörte nicht und schnarchte im Rumtale sanft. »Gehen Sie in die Remise!« schrie er jetzt, »dort ist sie.«

Die Freiin schritt mit ihren gespornten Reitstiefeln durchs Haus und fand die Schlafende. Sie pfiff zieselnd wie eine Maus zwischen den großen Zahnschaufeln ihres Oberkiefers; sofort stürzte Haßdruball herbei und sprang der Schnarchenden über den Leib. Käterchen erwachte: »Der Teufel, wo bin ich?«

»Sie sollen aufstehen und die Körbe herausbesorgen.«

»Die Körbe?«

»Haben Sie nicht gepackt?«

»Hat mir ein Mensch etwas gesagt...? Wer sind Sie?«

Käterchen rappelte sich hoch.

»Freiin Edle von der Schelde...« Zugleich fauchte der mächtige Kater. »Mein Sohn Haßdruball.«

Als Käterchen die Katze sah, war sie nicht mehr im Zweifel, daß hier gut Freund stand. In einer kurzen halben Stunde waren die Sachen im Auto, das vor der Südfruchthandlung plusterte.

Käterchen sagte Onkel Lebewohl, indem sie ihn anspuckte. Das war ein karger Abschied nach soviel empfangener Gastfreundschaft. »Grüß mir Tante.« Biermann stand in der dunklen Stube und dachte nach, ob es nicht doch eine Pfaffenmoral auf Erden gab. Als endlich seine Frau aus dem Keller heraufgekrochen kam, war das Auto des Teufels bereits halbwegs Buckow.

Käterchen schrie der Freiin im Motorenlärm des Fahrzeugs in die Ohren, was mit ihr am Nachmittag geschehen war.

Die Edle funkelte sie mit schwarzen orientalischen Augen an: »Warum habt Ihr keine Katzen!«

»Die haben wir gegessen.«

Der Chauffeur hörte es und fuhr vor Entsetzen in den Straßengraben. Der Freiin war, als reiße man ihr die Seele aus dem Leibe. Käterchen merkte, daß sie vor Besoffenheit zu offenherzig geworden war und ließ sich nicht weiter ausfragen.

Sie stiegen an einem großen Wasser aus. Käterchen konnte nicht wahrnehmen, ob es ein Fluß oder ein großer See war. Die Gegend war einsam. Und als die schwarze Dame mit ihren Gemsenaugen Käterchen heftig anblickte und ihr befahl, die Körbe abzuladen, fielen ihr alte Räubergeschichten aus London ein, die man in ihrer Kindheit im Schwarzwald kolportiert hatte. von Schack, dem Bauchaufschlitzer, und andere Geschichten. Wer konnte wissen, ob sie nicht Dieben in die Hände gefallen war? Es war alles noch dunkel. Die Dame ließ ihre Katze los, sie rannte wie wild davon.

Haßdruball durfte nur über die Schwelle hüpfen, sofort flammte Haus und Garten hell auf. Eine solche Lichtverschwendung hatte Käterchen lange nicht gesehen. Die Dame spürte wohl nichts von den Kriegsverordnungen; sie war also reich. Die Sache konnte noch ganz gemütlich werden, dachte Käterchen und würgte die Körbe aus dem Wagen. Der Chauffeur half ihr, da merkte sie auf einmal, daß er hübsch war. Den mußte sie fangen, für sich oder Susanne, – das hing von seinen Ansprüchen ab. Mitunter waren Chauffeure anspruchsvoller als Geheimsekretäre.

Ah! Susanne kam heraus. Wie Käterchen das Herz pochte! Solange war sie seit der Hochzeitsreise nicht mehr von ihr getrennt gewesen. Nun mußte sie aufhorchen, wen sie begrüßte. Susanne verneigte sich und sprach: »Durchlaucht«, oder hatte es Knoblauch geheißen? Sie frug den Chauffeur, wo sie wäre.

Der sah sie tief beleidigt an. »Bei Freiin Edle von der Schelde.« Käterchen hatte keine Sprache mehr, dafür eine große Angst, ob sie sich richtig benahm. Und wäre Susanne wenigstens zu ihr hergekommen! Aber die verschwand gleich in dem Schlosse. Sollte es denn tatsächlich höher hinaufgehen? Es wurde ihr jetzt schon schwindelig, wenn sie daran dachte. Aber gleichzeitig wallte ein hoher Ehrgeiz durch ihren Busen. Das mußte doch erst überlegt werden, mit dem Chauffeur.

Die Freiin hatte Susanne auf ihr Zimmer genommen, um ihre Beichte zu hören. Unterwegs hatte ihr Susannes Dienstbote einige Worte von dem himmelschreienden Kannibalismus der Katzenfresserei ins Ohr geschrieen. Wie stand es damit? Susanne stand kreideblaß vor der Freiin. Ringsum hockten und schwänzten große, furchtbare Kater. Unwillkürlich fielen ihr die Geschichten der Baronin von Büxenstein ein. Es bedurfte nur eines Winks, so stürzten sich die Rachekatzen auf sie und zerrissen sie in Stücke.

Susanne sank in die Knie und schwor einen Falscheid zur Freiin. »Ich versichere Eurer Durchlaucht, daß mein Mann hinterrücks den Mord an Kätzi beging, und daß er sie uns ahnungslos zum Fraße gab. Wenn ich daran zurückdenke, so schnürt es meine Brust und krampft es mein Herz. Ich bin unschuldig!«

»Und aßen Sie selbst davon?«

Susanne bebte und wagte nicht zu antworten.

Die Freiin erkannte an dem Schweigen die erschütternde Wahrheit. Sie betrachtete Susanne, die sie zwei Tage lang herzlich geliebt und gehätschelt hatte, wie eine Aussätzige.

Susanne lag am Boden und weinte.

»Sie werden verstehen«, sagte die Freiin mit fester Stimme, »daß ich Sie nicht länger in meinem Hause dulden kann. Der heilige Geist ist in Ihnen gefesselt und eingekerkert. Er verlangt aus Ihnen hinauszufahren. Und ich fürchte mich davor, denn ich habe mich dem Geiste Beelzebubs verschworen, die Männer zu hassen. Sie haben sich aber einem Manne zur Befriedigung seiner Begierde vorgeworfen. Oh, arme Susanne Flaubert, Sie hätten damals, als wir zum Katzentee geladen waren, nicht auf die List Ganswinds hereinfallen sollen. Damals hatten unsere frommen Tiere instinktiv revoltiert. Und Sie schlossen sich uns nicht an. Sie wagten nicht, sich zur Katze zu bekennen. Das wurde Ihr Verhängnis. Das Blut Kätzis schreit auf wider Sie.«

Susanne war wie vernichtet. Sie wimmerte: »Gnade, Gnade! Ich halte mich nicht für verdammt. Ich fühlte mich gereinigt, darum verließ ich meinen Mann.«

»Das genügt nicht zur Sühne. Sie müssen ihn umbringen.«

»Wenn es sein muß, so zeigen Sie mir den Weg! Durchlaucht, ich bin in Ihren Händen. Ich will alles tun, was Sie mir befehlen.«

»Dann merken Sie auf. Die Katze ist die Schutzheilige der Jungfrauen, denn nie wird ein Mann eine Jungfrau freien, die eine Katzenleidenschaft hat. Ich teilte in jüngeren Jahren Ihr Schicksal, bis mich Leo der 21. von dem Joche des Mannes befreite, indem er ihm das Antlitz tätowierte.«

»Oh, oh, ich weiß es, ich hörte es. Wie sollte ich Alfred dasselbe tun?!«

»Sagten Sie mir nicht, daß er Sie mißhandelte, daß er Sie verriet?«

»Deshalb verließ ich sein Haus.«

»Ich will Ihnen meinen größten Tiger Haßdruball zum Geschenk geben. Mit ihm fahren Sie getrost in Ihre Wohnung zurück. Fürchten Sie nicht, daß Ihr Mann diesen auch schlachten wird. Haßdruball wird ihn überwinden. Dann triumphieren Sie. Dann brauchen Sie nicht wie ausgestoßen in der Welt umherzuirren, sondern Sie setzen sich in den Besitz des Reichtums, der ihm jetzt allein zufließt. Nur wenn Sie so handeln, vergebe ich Ihnen. Dann dürfen Sie wieder zu mir kommen und mich besuchen, denn ich weiß, was für einen sanften Engel der Geist Kätzis aus Ihnen gemacht hat.« Die Freiin küßte sie und hob sie vom Boden auf. Dann ging sie mit ihr durch die lange Diele, an welcher die zahlreichen Zimmer der Herren und Damen lagen. Sie öffnete eines und bat Susanne einzutreten.

Da saß Haßdruball an einem Käfig, in dem ein Vögelchen angstvoll flatterte. Herr Haßdruball ließ sich nicht stören und grinste behaglich vor Vergnügen. Seine Augen rollten.

Die Fürstin stellte vor. »Herr Haßdruball – Frau Susanne. Gefällt er Ihnen?«

»Wundervoll. Aber darf er denn das, vor einem Käfig sitzen und ein Vögelchen quälen?«

»Das darf er nicht nur, das muß er, sonst verliert er seine Blutgier«, erwiderte die Edle.

Susanne betrachtete das Tier aufmerksam. Es hatte ein glänzendes Silberfell, ohne einen Tupfen Weiß, und große Eulenaugen, war gegen ein Meter lang und beinahe so hoch wie ein Stuhlsitz. Wie sollte sie sich mit diesem Riesentier verstehen! Kätzi war dagegen so anmutig und liebreizend gewesen. Die Freiin wußte wohl, was Susanne dachte: »Ein zartes Kätzi ist er nicht«, sagte sie, »aber vergessen Sie nicht, er soll einen männlichen Rivalen ermorden.«

Susanne fröstelte es bei dem Gedanken. Ein Reuegefühl überkam sie, während sie überlegte, was ihr Alfred eigentlich Schlechtes getan hatte, daß sie sich auf so blutige Art rächen mußte. Sie frug: »Darf ich mich nicht bis morgen früh bedenken?«

Der Freiin Augen blitzten. Sie ließ von einem Diener den Käfig wegnehmen. Der Diener trat scheu heran, fürchtend, jetzt von dem Tier angefallen zu werden. Herr Haßdruball machte einen wütenden Satz und biß die Freiin in die Hand. Diese freute sich darüber und liebkoste ihn.

Susanne verspürte einen eigenartigen Kitzel, mit dem nervösen Tiere zu spielen.

»Sie können ihn heute Nacht zu sich nehmen«, sprach die Freiin.

»Ich danke Ihnen«, entgegnete Susanne.

Es kam dann noch das Abendbrot, wobei die Fütterung am gedeckten Tische vorgenommen wurde. Als Susanne die vielen Glasschalen entzückend fand, sagte die Freiin: »Ja, etwas habe ich im Taifun doch gewonnen, die Vorliebe für Glas.«

Bevor Susanne auf ihr Zimmer ging, hatte sie noch eine Geheimsitzung mit Käterchen gehabt, mit der alten Schwätzerin. Susanne verriegelte ihr den Mund mit einer Maulschelle.

Käterchen erkundigte sich dankbar nach den nächsten Dispositionen.

Ob sie zum Doktor zurückkehren würde, mit oder ohne Katze, das konnte Susanne jetzt noch nicht sagen. Käterchen traf beinahe eine Lähmung: »Zurück!« rief sie. »Frau Doktor, überlegen Sie sich das genau. Wissen Sie denn, ob Sie noch zu Hause gewünscht werden?«

Susanne sah niedergestimmt vor sich hin. Ihr Kopf schmerzte von dem Andrang der Gedanken. Bald erschien ihr Alfred des Mitgefühls wert, bald wieder nicht. Wenn sie Käterchen noch vollends gestanden hätte, daß das große Tier, welches sie bei sich unter dem Arme trug, mit ihr gehen würde, so wäre es vielleicht fraglich gewesen, ob Käterchen überhaupt bei ihr blieb.

Im Grunde genommen hatte Käterchen recht: Was hatte sie mit dem Manne zusammengeführt? Eine Kunstclique, die sie von Haut und Haar nichts anging. Und warum sollte sie noch unter Anklage gestellt werden? Der Doktor lief vielleicht auch ohne ihr Zutun in sein Verderben.

Das Zimmer war schön ausgestattet. Die Venus von Tizian hing an der Wand. Auf dem Bilde war aber das Hündchen ausgekratzt und durch eine Katze ersetzt. Schon wieder war sie mit der Kunst in Konflikt geraten, ohne daß sie einen Schritt nach ihr hin beabsichtigt hatte. Es war reiner Zufall. Und doch schien es ihr wieder ein gewollter Zufall des Schicksals, daß sie von der Kunst verfolgt wurde.

Warum wurde sie von der Kunst verfolgt? Vielleicht, es hob sich ihre Brust, weil sie mit ihren hohen gebogenen Augen dazu ausersehen war, die Narrenwelt zu Verstand zu bringen.

Aber wie konnte sie das! Daß es ihr nicht möglich war, wurde durch ihr trauriges Los bewiesen. Hier lag sie unter der Tyrannis eines Riesenkaters, während der Mann... der Mann... Sie verspürte einen stechenden Schmerz. Das erste Mal Eifersucht. Wo war der Mann?

Sie schlief ein. Von Haßdruball sorgsam betreut. Nach langer Ehezeit erstmals wieder alte Katzenjungfer. Die Freiin schlich zu ihr und überzeugte sich –.


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