Hermann Essig
Taifun
Hermann Essig

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In Dr. Bäumlers Stube summte der Teekessel nachts um zwölf Uhr zum dritten Male. Die Deutschen und Franzosen führten Krieg miteinander. Er aber stand mit der ganzen Welt auf dem Kriegsfuß. Die Welt war einfach verkehrt.

Es bestanden strenge Vorschriften, wieviel jeder Einzelne essen durfte. Er befolgte diese Vorschriften genau und blieb darum dürr wie ein Hering. Andere strotzten und glänzten vor Fett und Speck wie in der Sonne des Friedens. Das konnte nur durch Betrug ganzer Volksschichten geschehen. Da hieß der fortwährende Aufruf: »Durchhalten.« Sollten doch einmal diese feisten Meerschweine durchhalten, indem sie ihren eigenen Speck verzehrten! Jeder einzelne Fall von Übertretung, dem er auf der Straße oder in der Zeitung begegnete, brachte ihn zur Verzweiflung. An seinen Graupen lebten Millionen Läuse, und er aß sie doch. Er streckte sich wirklich nach der Decke.

Nun hatte er heute einmal seinen Nährstand auf ganz erlaubte Weise verbessern wollen und war nach Ludwigsfelde hinausgefahren, wo die vielen Pilze angeblich herkamen. Wollte also Pilze sammeln. Bis in den Pilzforst kam er. Auch suchte er, nur finden konnte er nichts. Da begegnete ihm mitten im Walde eine dicke Watschel mit ihrem zwölfjährigen Sohne, beide trugen Rucksäcke und schwitzten. Er rief sie an. »Was haben Sie in Ihren Säcken?« »Pilze«, war die Antwort. Vor Aufregung befiel ihn ein Zittern, also die Fette hatte wieder und er nichts. Sollte er bitten, ihm einige abzulassen, weil sie der Wald doch für alle getragen hatte? Hunger hatte er, also gewagt. Er bat, was er noch nie in seinem Leben getan hatte. Was taten aber diese Leute? Sie rannten keuchend davon, als ob sie mindestens lauter kostbare Eier in den Säcken hätten. Gott sei Dank hatte er keinen Revolver in der Tasche, sonst hätte er sie einfach niedergeschossen. Solche Menschen waren Diebe. Es kochte in ihm, und der Dampf seiner Teemaschine blies zu dem geöffneten Fenster hinaus in die Sternennacht.

Und wo er nur hindachte, da waren überall Mißstände. Wer wußte, warum die Dame mit der Katze ihre Hotelrechnung nicht bezahlen wollte. Er konnte solche Katzendamen zwar durchaus nicht leiden, aber wahrscheinlich betrog das Hotel sie und nicht sie das Hotel. Das wußte er schon, es war immer anders, als es die sogenannte »Wahrheit« der Welt vorposaunte.

Es war ein tragischer Fall, daß man von jedem Aussichtsturme aus sehen konnte, wie die Welt im Spinat lag. Und doch kostete das Pfund Spinat, das früher einen halben Sechser gekostet hatte, jetzt einen halben Taler. War das nicht, um alle Bauern niederzuschießen? Er ging mit dem Gedanken um, entweder das ganze Münzsystem für ungültig zu erklären und öffentlich vorzuschlagen, einfach statt mit dem Pfennig jetzt mit der Mark als kleinstem Wert zu beginnen. Oder er kaufte sich eine Ziege, welche er in die Gemüseläden wie einen Hund mitnahm. Diese fraß dann, während er scheinbar mit der Händlerin feilschte, hinterrücks einen ganzen Korb feinsten Spinats auf. Und wenn jemand Krach schlagen sollte, dann sagte er von der Kellertreppe aus die Wahrheit. Die Wahrheit! Er hatte sich so tief vergrübelt, daß er wähnte, die Ziege an der Leine zu haben, und aus Versehen die brennende Zigarette mit der Aschenseite in den Mund schob. –

So fuhr er vom Bette hoch und sah, daß das Teewasser wie wahnsinnig kochte.

Oh diese Plage und Wirtschaft! Wenn hier keine Frau herkam, mit einem ungeheuren Geldsack, und ihn erlöste, so war er ruiniert und hing als der vergessene und fortgeekelte Schauspieler des Passagetheaters in stilvoller Einsamkeit am Bettpfosten.

Da fiel es ihm plötzlich ein, was ihm versprochen war.

Und nun stand er still auf einem Fleck, hielt die Teeblätter in der Hand und vergaß aufzubrühen. Er hatte einen nachtschweren Kopf und fühlte das Maß der Zeit nicht mehr. An den einen Gedanken, daß er sich bald wieder im Taifun befand, klammerte er sich eine Stunde unbeweglich. Die Mitternachtstunde hauchte über ihn hinweg.

Wahnsinn, nicht zu schlafen. Faule Gleichgültigkeit, nicht zu wachen. Wer wachte, den traf das Unglück nicht. Das Unglück, das auf die Menschen lauert, während sie träumen. Sein Herz ging unregelmäßig, bald in rasendem Tempo, bald so schwach, daß er fürchtete, es habe aufgehört. Und dann schwebte er wie abwesend durch den Raum, und mit Grauen sah er das Schicksal der Welt unter sich hinwirbeln. Das Schicksal des Einzelnen grausig wie das des Ganzen. Die beiden Schwestern Helbrandt, in weißen Kleidern mit lila Schleifen um die Hüften und in den dunklen Haaren, sie saßen, das Ende ihrer Tage in Dezennien erwartend, in einem Versorgungsheim., gut aufgehoben gegen Bezahlung. Schrecklich, es zu sehen, wie frische blühende Menschenkinder fruchtlos, sinnlos, ungeschätzt verwelken. Sinnlos, wie die Tausende von Blüten auf den Bäumen stehen, zwecklos nur herabzusinken in den feuchten Rasen. Wenn der Taifun die Macht hatte, eine ihm zu schaffen, die ihn in Rausch und Sturm diese ungefüllte Zeit vergessen ließ, dann war es Sühne für alles Erlittene. Und dann plötzlich schrumpfte er zusammen und war zaghaft, feige. Sollte er denn hingehen? War die geträumte Erlösung Weib nicht bloß ein lockender Trug, ihm den Rest der Tage zum letzten, äußersten Grad der Hölle zu gestalten, zu jenem Grad, wo in Dantes Hölle die furchtbarste Qual und Siedehitze brannte?

Ei! Nein, er wagte nichts. Das war eine gefährliche Sache.

Wie sprachen denn die Ehemänner von ihren Weibern? Und die Natur, die war so unverschämt und pflanzte sich immer weiter. Ei, ei. Er lachte in die dunkle Ecke und pfefferte mit den Teeblättern die Geranien vor seinem Fenster. Er zündete eine Zigarette an und grinste in allen Lacharten nach allen Himmelsrichtungen, und war doch ganz allein.

Und was für ein Gelächter gab das im Verein? Da mußte er vorher noch austreten. Es war fast eine Schande, wenn er heiratete.

Allerdings vom Taifun aus war das Wagnis geringer. Der deckte ihn. Es wagte dann wenigstens niemand auf einer Redaktion, ihn in höhnischer Weise ins Blatt zu setzen. Jetzt lachte er laut, legte seine Uhr ab, und bald lag ein klapperndes hungriges Gerippe auf einer Seegrasmatratze, zaudernd, ob es feig sein sollte oder tollkühn.

Als ob es sich lohnte, als Lebewesen Angst zu haben. Ein Akrobat kann auch nur das Kreuz brechen oder nicht. Nun freilich, solch ein Eheakrobat!? Dr. Bäumler wälzte sich zur Seite, drehte die Glühbirne ab und schlief, während die Amseln und Finken, Stare und Schwalben und Rotschwänzchen ein Riesenkonzert gaben, auf das kein Mensch achtete.

Wenn Nikisch konzertierte, da lief alles zusammen, hörte und wußte später nichts mehr davon. Den Schrei der Amsel hörte niemand, und doch kannten ihn die meisten. Sein Vogel saß eben in einem anderen Baume, er brauchte nicht einmal in dessen Schatten zu liegen und lag doch unter ihm. Er sang die ganze Nacht und flüsterte dem Doktor seine Träume zu.

Vor dem Bilde des umgekehrten Menschen mit der leckenden Katzenzunge spielten sich Szenen ab, die dem Doktor den Schrei nach Luft mitten im Schlafe erpreßten. Tumulte und verzwickte Verschlingungen. Hermione und ein Mensch mit einem närrischen Pinguinenschopf, der Polizeirat und der Kopf jenes Dichters agierten mit Leidenschaft gegeneinander, und plötzlich wurde das Bild lebendig, der Kopf des umgekehrten Menschen kippte um wie auf der Schießbude, und saß wieder regelrecht auf dem Halse, sah sich um, und seine Augen kollerten in ihren Höhlen umher wie bei dem Optiker in der Friedrichstraße. Die Katze steckte ihre Zunge weg, sprang aus dem Bildrahmen und stürzte sich wie ein Tiger in die gaffende Menge, deren Köpfe vom Schreck wie bei einem Treffschuß umfielen. Und wirklich, der Taifun war die Schießbude von der alten Fischerhütte. Ein Zeppelin flog mit verdecktem Scheinwerfer über den Viktoria-Luise-Platz. Es war ein donnerndes Getöse, dem der Doktor einige Schlafsekunden mit wachen Ohren lauschte, dann rieb eine derbe Faust ein Zeitungsblatt über seine Nase und zerknitterte es, als wollte sie seinen Kopf darin einwickeln. Er rang wieder nach Luft, da befreite ihn der goldene Portier des Hotel Olymp und schenkte ihm einen alten römischen Gulden. Das Hotel ging in Flammen auf, und eine Dame mit einer Katze sprang aus den rauchenden Trümmern, welcher er folgte. Mit ihr saß er plötzlich im Glashause des Botanischen Gartens. Und die Katze der Dame fuhr auf den Blättern einer Lotusblume spazieren. Und wie sie auf der Bank saßen, da entquoll ihm das süße Geständnis, daß seine Schläfen hämmerten und seine Pulse zuckten. Er erwachte und wäre am liebsten zum offenen Fenster hinaus auf den Hof gesprungen vor Wut, daß es nicht Wirklichkeit war, sondern das Narren einer geträumten Leidenschaft.

Dieses verfluchte Geschrei der Vögel! Waren sie auf der Welt oder die Menschen? Er schlug das Doppelfenster zu, daß die Außenscheiben mit dem Asphalt des Gartenhofes in musikalische Berührung gerieten. Hähä, das hatte noch gefehlt. Schon wieder ärmer. Der Arme darf eigentlich nur in Erdlöchern wohnen wie ein Kaninchen, wenn er sein Geld zusammenhalten will.

Trotzdem schlief er noch zwei Stunden... und endlich so ruhig wie ein in der Kochkiste gleichmäßig kochender Kartoffeltopf.

Und welche furchtbaren Vernichtungen und wasserentschwebenden Geburten hatte der Taifun des Schlafes über der Weltstadt bloßgelegt. Bei Sonnenaufgang lag manches Auge gebrochen, und manches freßsüchtige Geschrei zeterte in die güldenen Sonnenstrahlen. Trauer und Freude geigten unter dem Baldachin der Gotteswelt wie verrückte Schnaken.

Im Hofe des Taifun spielte ein Leierkasten. Der Hauswirt von Franz Josephsdamm 104 brüllte aus seinem Berliner Zimmer, das er als Schlafzimmer eingerichtet hatte, wütend hinaus: »Sie stören meine sämtlichen Mieter, hören Sie sofort auf, sonst lasse ich Sie verhaften.« Das Register quiekte noch einmal, und die Orgel stand still. Beleidigte Tritte schlichen aus dem Hof. Ganswind hatte an seinem Hauswirt, dem Rechtsanwalt Büffel, einen wahren Freund, denn er schützte die Paukenhöhlen seines flügelschlagenden Gigantismus vor allen Ohrwürmern falscher musikalischer Betätigung. Ganswind küßte zum Dank und in Verzückung über den Eingriff seines Hausherrn die aus dem Bette hervorstehende Ballade Hermiones. Innerlich dachte der Hauswirt zwar ganz anders. Ganswind betätigte nach seiner Überzeugung eine anormale schwarze Kaffernmusik; »bei uns in Schöneberg«, das der Leierkasten angestimmt hatte, war eine vernünftige, angenehme, nachahmenswerte Melodie. Aber Ganswind war eben leider der rentabelste Mieter; so mußten gerade musikalische Vagabunden und Strolche des Hofes streng verwiesen werden, denn sonst geschah es eines Tages wie in des Sängers Fluch, daß Majestät Ganswind eine Kohlenschippe durch die großen Zehnmarkscheiben warf und den Orgelmann tötete.

Letzten Endes war der Hauswirt für Sachschaden und Blutvergießen auf seinem Grundstück verantwortlich.

Nachdem Ganswind und Hermione aus dem Café Finkensieb heimgekehrt waren und Hermione alle Verwünschungen über den Polizeirat vom Nachthimmel herabgeholt hatte und Ganswind eingesehen, daß man künftighin etwas mehr Zeremonie in den Verkehr mit ihm legen mußte, wurden eifrige Berechnungen angestellt. Infolge des unverständlichen Verhaltens des Polizeirates wäre beinahe der dicke Fischzug eines ganzen weiblichen Klubs dem Taifun entgangen. Also Vorsicht diesem Freunde gegenüber, der in eigener Politik innerhalb der taifunistischen Interessen arbeitete. Ob er nun mit der Belgierin tatsächlich noch im Salon eingetroffen wäre oder nicht, dies entzog sich dem Urteil. Gewiß war, daß er seine eigenen Entschließungen treffen wollte. »Polizeirat Löwe glaubt den Taifun zu verstehen. Und er versteht ihn gar nicht.« Das waren Hermiones Worte.

Ganswind erwiderte: »Er versteht den Taifun, fürchtet ihn aber nicht.«

Hermiones Augen öffneten sich weit. »Das kommt von dir, weil du niemals steif sein kannst, herablassend und auch etwas eingebildet.« Sie wiegte ihren Schwanenhals und verzog den Mund bitter. So sah sie besonders schön aus, weil dann ihre babyhaften Züge wichen und ein herrlicher Heroinenkopf erschien. Weil Ganswind diesen fortwährend anschaute, so vermochte er diesem Vorwurf nichts zu entgegnen. Er stand demütig gläubig und nahm sich vor, die Worte seiner Göttin zu beherzigen und zu befolgen. Er hatte zwar Angst davor, wie er die Rolle einer absichtlichen Steifheit dem Polizeirat gegenüber meistern könnte.

Hermione sah ihn in seiner verdatterten, bewundernden Stellung stehen und wurde wütend. »Du machst ein schrecklich dummes Gesicht. Wir werden mit dem Taifun niemals zur Herrschaft gelangen. Aber das müssen wir. Die anderen sollen knieen und wir herrschen.« Das sagte sie streng und tyrannisch, daß es Ganswind noch bänger wurde.

Die Schulden waren schon jetzt riesenhaft. Die reiche Witwe in Hannover war gestorben und ausgesaugt. Er spielte mit dem Schlüsselbund in der Hosentasche und lehnte am Flügel.

»Soll ich spielen?«

»Spiele!«

Ganswind setzte sich an den Flügel und spielte in der Mitternacht, um Hermiones Wut zu besänftigen. Das geschah folgendermaßen. Er wählte irgendeinen leidenschaftlichen Teil Hermiones, an welchen er glühend dachte, so daß er sich gewissermaßen in ihren schönen Körper hineinhypnotisierte; dann ging die Musik ohne irgendwelches Bewußtsein los. Er zuckte und bebte wie von Hermiones Leidenschaft in Schwingungen gebracht, verzerrte das Gesicht und schnaubte, bis er seine Kraft in einem plötzlichen Erguß verlor. Dann fielen seine Glieder matt herunter, und er hing wie eine geknickte Leberwurst über dem Klavierstuhl. Dann ging sie zu ihm hin und küßte ihn, streichelte ihn über das sonderbare Haupt und sagte viele Liebkosungen: »Du liebst mich, du bist gut, es war so schön.« Da konnte er weinen und vor ihr in die Knie sinken. Und wenn sie dann über ihm kniete und ihn neu stachelte, so verfiel er wie in epileptische Krämpfe. Diese achtete sie nicht, sondern tanzte wie Salome vor den wilden Bildern an den Wänden, an welchen sich ihre Sinne berauschten. Erst wenn sie über ihm zusammenbrach und ihr der Verstand aus den Augäpfeln tropfte, empfing er ihren Kuß, bei dem sie seine Lippen zwischen die Zähne zog und zerbiß. Daher waren seine Lippen fast immer geschwollen. Und seine Musik unfaßbar, auch wenn fremde Damen und Herren zugegen waren. Denn diese Schwingungen vollzog er auch dann. Nur wußte allein Hermione, was sie zu bedeuten hatten: daß es seine Liebe war.

Als er gespielt hatte und Hermione zuletzt in Sinnverwirrung am Boden kauerte, da frug Ganswind schüchtern: »Bist du mit dem Taifun zufrieden?« Sie nickte mit dem Kopfe und hauchte: »Ja.« Ganswind erhob sich, trat fest auf und rannte tobend im Salon umher: »Geld muß her! Der Salon ist nur zu klein. Auf die Vergrößerung erhalte ich das Kapital und verzinse es mit den geringfügigen Einnahmen. Aber wenn wir turmhoch gebaut haben, dann erdrücken wir, und dann verdienen wir, und dann leben wir, und dann verprassen wir. Dann bist du Göttin und ich dein Gott. Ich gehe zum Hauswirt.«

Hermione hatte ihn dahin gebracht, daß er neue Schulden machte. So gefiel er ihr, wenn er nicht feig war, sondern frisch wagte. Er liebte sie furchtbar und sie war glücklich, daß sie ihn nicht totquälen konnte, sondern im Gegenteil zu neuem Wahnsinn anstachelte. Wahnsinn war die Brücke zum Ruhm. Und der Ruhm des Taifun war erst da, wenn man seine Wucht einsah und ihn fürchtete.

Wohin er brauste, der Orkan und Sturm, das kümmerte das nordische Schäfchen nicht, dem sie jetzt glich, nachdem die Seele aus dem Kopf gerieben war. Und war das Ende ein gleichgültiger Selbstmord, so hatte sie für sich selbst das Lachen der Salome, mit diesem verschied sie oder verschied er.

In solcher Nacht war es den Augen des umgekehrten Kopfes offenkundig, warum sie der Leiter war, und nicht er. Er war ein einfacher Mensch, aber sie besaß den Ehrgeiz, die bewunderte Kaiserin von Byzanz zu werden. Und doch liebte sie Ossi heiß. Einmal der Sohn eines Hausdieners gewesen, wetteiferte er mit einer Frau um die Lorbeeren des Strebens, dadurch den höchsten Erdenruhm zu erlangen, daß man alles sogenannte Verkehrte verherrlichte. Das Bild mit dem umgekehrten Kopf konnte darum als das Symbol des Taifun gelten. Und tatsächlich wurde es auf die Ecken aller Briefbogen und Umschläge als Insignium geprägt.

Ganswind nahm sich vor, mit seinem Hauswirt über die Abmietung einer weiteren Etage zu verhandeln. In der Nacht wurde noch der Vorstand des Katzenklub West nachgeschlagen. Der angestellte Sitzredakteur, ein Herr Kolibri, war bewandert in der Abfassung schwungvoller Einladungen, auch saßen Hermione und Ossi noch eine Stunde in den Betten und tranken verschiedene Gläschen selbstgebrauten Kriegsschnapses. Erst mußten die Körperkräfte wieder belebt sein und das Gefühl in die erschlafften Glieder zurückkehren, ehe wieder mit den nüchternen Geschäften begonnen werden konnte. Vier Uhr morgens war ihnen keine fremde Stunde.

Gesichtsmassage und Schminken hatte Hermione in London »in the towerplace five« erlernt.

So war eine Frau sechsundzwanzig, die tatsächlich schon ins Vierzigste hineinschritt. Sie wickelte ihre Waden, um gefährliche Adern zu bekämpfen. Der elegante Schimmer ihrer Erscheinung glich dem lockenden Glanz eines illuminierten Warenhausschaufensters. Ein aufrichtiger Naturfreund konnte sich nicht in sie verlieben, so sehr sie verstand, natürlich auszusehen. Diese Vernunft, den Körper vorzulügen, weil die Schönheit der Seele mangelte, hatte sie nicht allein. Allgemein galt es für unkultiviert, natürliche Hautfarbe zu besitzen.

Es war also gleichgültig, wie stark die Natur abgenützt war, weil der Schein gewahrt wurde. Die persönliche Lebenshaltung der Taifunwirtschaft war durchaus nach der Mode, von welcher die verfochtene Kunst ganz ferngehalten schien. Sonst hätte die Presse nicht so unflätig gegen den Taifun geschrieben. Bisher hatte in der Kunst die Mode gegolten, welche die Salons am Tiergarten und Unter den Linden zur Ausstellung brachten.

Die Kunstgaben des Taifun schlugen allen ins Gesicht. Auch das war Schein. Der Taifun verbrauste in der Wüste oder in der Unendlichkeit des Meeres, sobald er Mode wurde. Warum führten also diese zwei Menschen einen solchen Kampf mit den»anderen«, zogen Anhang an sich? Doch nur, damit sie sterben konnten.

Hermione hätte, da sie den Gebrauch der Schminke so gut verstand, ein kampfloses Dasein führen können. Aber sie beide wurden von ihren Bildern unruhig gemacht, von Werken, um derentwillen ihre Künstler den Märtyrertod starben.

Ein gesunder Blick in das Uhrwerk der Welt, wie es Gott geschaffen hatte, behütete vor Wahnsinn und Martyrium. Und dieser Blick war bei Ganswind durchaus gesund. Er wußte, daß die Kunst der Künstler stets aus dem Menschenhirne entsprang, ob es nun die Dinge farbig wiedergab oder grau und fahl. Fast still und verschlagen saß er im Gehäuse, wo das Uhrwerk absurrte, kam dann geschwind hervor, überraschte mit dem Verrat eines von ihm erkannten Nippels und galt dadurch als Zauberer, weil begreiflicherweise alles Erfolg hatte, denn alles war ein Teil des Uhrwerks.

Es war das ganze Genie jedes Hexenmeisters zu allen Zeiten, daß er die Dinge in ihrer Besonderheit erkannt hatte und die Erkenntnis verschwieg. Das wußte Ganswind, daß er über die ausgestellten Werke schweigen mußte.

Wer den Taifun betrat und große Kritiken an Mitbeschauer preisgab, der konnte gewärtig sein, daß er mit einem gewandten Hundstritt an die Luft gesetzt wurde. Vor diesen Zauberwerken hatte jeder in Ehrfurcht zu verstummen. Es war ähnlich wie in der altmittelalterlichen Erzählung, wo der König und sein ganzer Hof nicht für sündhaft gelten wollten, weil sie auf der weißen Wand keine gemalten Bilder sahen. Sie sahen alle Bilder, obgleich die Wände rein weiß geblieben waren. Der Zauberer, welcher so malen konnte, wurde obendrein reich beschenkt und hoch geehrt. Die Schweiger, welche den Taifun betraten, zählten zur Gemeinde. Diese opferten auch ihr Geld für sinnlose Quadrate und Dreiecke, worunter stand »Bild«. Wehe dem, der lachte.

Ganswind war im Recht. Es bestand kein Gesetz, Dreiecke nicht als Bilder ansehen zu dürfen, sie waren gewiß viel eher Bild als ein in die Ebene gequetschtes Menschenantlitz. Darum waren im Taifun die Porträts mit Schnurrbärten versehen. Davor war das Lachen auch von Ganswind gestattet, weil dieser Schnurrbart die Künste von anno Domini des Raphael und Leonardo verhöhnte.


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