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Büffel rieb sich die Hände. Das war für Ganswind der Ansporn, daß er in seiner Forderung nicht nachgab. Er wiederholte seine Forderung. Das Bild vom Manne mit dem umgekehrten Kopf hatte allein fünfzigtausend Mark Wert.
Die Baronin von Büxenstein fand diese Summe ganz unverhältnismäßig. Auf solches konnte Ganswind nur erwidern, daß es ihm gleichgültig sei, was sie finde.
»Wenn Sie so wenig entgegenkommend sind, so wälzen wir alle Schuld von uns ab. Der Schuldige ist allein der Herr, welcher die Katze der Edlen von der Schelde geschlagen hat«, betonte die Baronin.
Aschfahl erhob sich der Doktor. »Ich werde mir nie von Katzen auf den Kopf spucken lassen, merken Sie sich das!«
Susanne merkte sich das und war froh, daß ihre Katze außerhalb des Schauplatzes geblieben war.
Auch Ganswind war der Ansicht, daß der Doktor kein einziges Kunstwerk beschädigt habe. »Herr Rechtsanwalt Büffel sowie der Herr Polizeirat, vielleicht auch Frau Polizeirat werden meiner Anschauung beitreten«, sprach er mit einem Wink auf die Gesamten.
Hermione trat mit versöhnender Absicht hervor und schlug als besten Ausweg vor, daß sogleich ein Vergleich geschlossen würde. Den beiden Damen war es nicht unsympathisch. Unter Beifügung eines Ausdrucks tiefen Bedauerns zahlte die Klubkasse dreimalhunderttausend Mark für zugefügten Sachschaden, und der Klub erhielt dafür freien Zutritt zu allen Taifunfesten auf die Dauer von fünf Jahren zugebilligt, unter der dauernden Verpflichtung, für jeden zukommenden Sachschaden neu aufzukommen.
Diese Formel hatte der Hauswirt im Direktionszimmer mit den beiden Katzendamen und Ganswind zusammengebracht und erhielt dafür eine Provision von drei Prozent.
In der Zwischenzeit hatte sich Frau Polizeirat als ihrem Manne gehörig vor dem Doktor zu erkennen gegeben. Und Hermione hatte die Hände von Herrn Doktor und Susanne vereinigt, was Evchen Maaßen zu schamvoller Flucht veranlaßte.
Evchen lief zum Ersatz mit dem dicken Direktor der Hotel-G.m.b.H. auf eine Kante. Der gegenseitige Trost für verschmähte Liebe verband sie dauerhaft. Und um sich keine Verletzung anmerken zu lassen, kaufte auch der Direktor noch größere Kompositionen, zu Schmuckzwecken in verschossenen Fremdenzimmern. Auch er durfte sich mit Evchen zum dauernden Taifunpublikum zählen.
So konnte sich eine stilvolle Gratulationscour anschließen. Die beiden hohen Damen waren zwar überrascht, daß gerade der Doktor jener viel und geheim besprochene unbekannte Held des Tages war. Besonders noch Frau Baronin von Büxenstein schien zu begreifen, warum Susanne mit der kleinen Kätzi fern geblieben war. Ihr sagte Susanne leise ins Ohr, daß ihr Mädchen auf dem Taifunklosett schon zwei Stunden warte und sitze. Sogleich begab sich die Baronin dorthin und hielt überzeugende Nachschau. Evchen jubelte am Fernsprecher in die Roßstraße, daß sie mit einem reizenden lieben Menschen verlobt sei: Im Taifun! Beide Ereignisse wurden gleichzeitig veröffentlicht, denn bei der hungrigen Zeit war jeder dicke Bauch pressefähig geworden.
Glücklicherweise verduftete der Direktor bald mit seiner Braut. Er verschmähte es nicht, der Doktorbraut beim Abschied ein anzügliches Kompliment zu machen, welches der Doktor mit grenzenloser Verachtung anhörte. Der Doktor besaß jetzt eine Rentiere und ein Landhaus an der Aisne. Da durfte kein Mensch mehr vor ihm dicketun, und wenn er den dicksten Bauch besäße. Er gewöhnte sich daher fortan eine noch verächtlichere Fischprutsche an, näselte stets etwas und zog die Nüstern zusammen, gewissermaßen, um den Geruch des Nebenmenschen nicht in die Nase zu bekommen. Die Augen zwickte er zusammen, als sähe er nichts von all der traurigen Umwelt. Nur wenn er Susanne zugekehrt war, gingen alle seine widerlichen Gesichtsfalten in lachende Kurven über. Dann sah er aus wie ein listiger Faun.
Dem Polizeirat stand deutlich der Neid in den Augen, daß die ihm selbst nicht vergönnte Perle nun als Braut an des Doktors Brust glänzte. Mit vollkommener Gelassenheit und in aller harmlosen Verschwiegenheit gratulierte Frau Polizeirat. Der Doktor war ihr ein entsprungener Heuschreck, mehr nicht. Wenn sie je noch einmal tanzen wollte, so brauchte sie ihm bloß einen Grashalm hinzuwerfen. Das Wichtigste war aber für den Polizeirat heute, festzustellen, daß ihm eigentlich der ursprüngliche Anstoß zu dieser Verlobung zu danken sei. Und da ihm diese Feststellung so wichtig schien, so ließen ihm Ganswind und Hermione gerne die Freude.
Hermione bog den schönen Hals noch viel schwungvoller als bisher. Sie fühlte sich wie eine segnende Mutter. Der Doktor und Susanne waren eigentlich keine unerfahrenen Kinder, die am heutigen Tage erst das Gehen lernten. Und Ganswind blies sich in die Brust, denn er sah voraus, daß die Verbindung des Doktors die Wahrscheinlichkeit des Taifuntheaters viel größer machte. Mit schmeichelnden Worten weissagte er dem Doktor eine große Zukunft.
Als die Baronin vernahm, daß Susanne einem wirklich so hochbedeutsamen Mann folgen durfte, versprach sie ihre wohlerzogenste Katze als Hochzeitsgeschenk. Susanne errötete und wurde von der Baronin mit echter Leidenschaft geküßt. Der Doktor knurrte, daß sie sich ja damit zum Teufel scheren möchte. Aus Taktgefühl unterdrückte er allerdings eine laute Äußerung. Er zog Susanne von den Katzendamen weg, in der Meinung, daß solche Weibsleute nicht der richtige Umgang für sie wären.
Mit klugem Zuzwinkern nahmen dann auch sie Abschied.
Sie schieden mit vollen Tönen des Lobes über das Erlebte. Ganswind konnte ihnen zwar beim Händedrücken nicht in die Augen sehen, aber sie behielten sich vor, bereits auf der Treppe in laute Verwünschungen über die räuberische Erpressung zu schimpfen. War denn irgendeiner der Heiligen einen halben Heller wert? Freilich, einen Sachverständigen riskierten sie nicht, weil möglicherweise die hohe Strafsumme sich um ein weiteres Tausend zu ihren Ungunsten erhöhte. Zu beschließen war in der nächsten Plenarsitzung die Umlage der Summe sowie das Verbot des Taifun auf Lebensdauer für alle Klubmitglieder. Susanne Flaubert war eventuell nahezulegen, ihren Austritt zu erklären. Besser aber, man ließ sie stillschweigend darin, ohne sich um sie zu kümmern. Schande war ihre Person dennoch nicht für den Klub, wenn sie es auch sicher ablehnte, an der Umlage teilzunehmen.
Endlich, als sie draußen waren, erlaubte sich Herr Büffel Hüpfe und Sprünge. Er hatte mit der Senflein das verdiente Geld gezählt, während Frau Büffel eifrig in ihrer Wohnung mit dem Lorgnon nach Ermittelung gestohlener Sachen umherging, um auch ihrerseits Teilansprüche geltend zu machen, weil sie doch ihre Privatwohnung zur Verfügung gestellt hatte. Büffel kam gehopst: »Sie haben durch die Katzen gegen eine halbe Million eingenommen.«
»Beruhigen Sie sich«, rief ihm Hermione zu, »das Kunstwerk eines größten Meisters ist vernichtet.«
»Aber so beruhigen Sie sich doch, das Geld gehört den Lebenden und nicht der an die Wände aufgehängten Kunst, – den Lebenden, nicht den Gehängten, haha«, lachte Büffel vor Vergnügen. »Herr Ganswind, wir müssen noch zwei Parteien hinauswerfen zur Vergrößerung.«
»Überlege dir das, Ossi«, sagte Hermione, und ging die schmale Wendeltreppe aus dem Musikzimmer hinab in ihre Privatwohnung. Dort stieß sie zufällig mit Käterchen zusammen und erschrak dabei so heftig, daß sie blaß wurde wie Kreide. Hier war also Kätzi versteckt geblieben. »Gott sei Dank, sag ich Ihnen, Käterchen, denn ihr zukünftiger Hausherr ist ein ganz ausgesprochener Katzenfeind.«
Käterchen stand von ihrem Sitz auf, auf dem sie volle zwei Stunden gesessen hatte; sie war ganz kreuzlahm und sprach: »Dann möcht ich nur wünschen, daß mein langes Klosetthocken auch den Segen brächte für den Doktor. Lange werden die's nicht miteinander treiben, das ist meine Ansicht. Jetzt versteckt man die Katze ein Weilchen, und nachher, wenn sie getraut sind, dann nimmt sie ja doch wieder die Kätzi zu sich. Das weiß ich schon.«
Nun nahm Hermione Käterchen aus dem schlechten Raum heraus, ließ sie eine Weile vor der Türe warten, dann setzte sie das Mädchen in ihr besonderes Boudoir, während sie daneben den Verlobungsschnaps mischte. In Kürze erfuhr sie so ziemlich das Abspiel von Susannes bisherigem Haushalt. Zuletzt hetzte sie Käterchen auf, die Katze vor der Hochzeit abzutun.
Diesen Vorschlag behielt Käterchen gern für sich, um so mehr, als sie an der schönen Frau und Freundin ihrer Herrin eine Rückendeckung hatte nach begangener Tat. Sie packte sogleich Kätzi unwirsch zwischen zwei Fingern am Genick, daß Kätzi mit ganz vorwurfsblauem Blick ihr und Hermione ins Gesicht schaute. Hermione hatte Käterchen ein Glas Ungarwein vorgesetzt und trug dann ihr hübsches Schnapsservice hinauf zu der Gesellschaft. Aber vorher erhielt Kätzi von ihr eine leidenschaftliche Ohrfeige, Dann schlug Käterchen noch einmal drauf, so daß Kätzi die Ohren einzog. Mit den eingezogenen Ohren sah sie aber so dumm aus, daß Käterchen sie am liebsten sogleich abgemurkst hätte. Was hätte sie dann gesagt? Einfach: eine Dame vom Klub sei austreten gekommen und habe sie mitgenommen. Ob sie das wagte? Es war ihr zumute wie einer Lustmörderin.
Oben hatten die Verlobten bereits derartig zu schmachten angefangen, daß Susanne schon ganz grüne Augenringe hatte und er große Schleier über den Augäpfeln trug, in welchen die Zahl roter Adern plötzlich zählbar hervortrat. Hermione war darüber ganz erstaunt und lachte schmunzelnd wie eine Taifunmutter. Es drückte ihr den Schwanenhals breit, und sie stellte die Schnapsgläser hin wie einst, als sie noch in der Animier-Bar in Jütland schenkte. Der Polizeirat griff mit langen Augenzangen zu, und seine Frau freute sich schon auf seine tigerhaften Einfälle, gleichfalls ein Gläschen ergreifend.
»Susi, Su-si«, hörte man fortwährend den Doktor quorren. Ganswind wurde forsch, besonders, weil er es dem Hauswirt und der Hauswirtin testieren wollte, wie er mit dem berühmten Doktor tanzen konnte. »Herr Doktor«, sprach er, »Susanne, du bist unsere genialste Taifunschülerin. Großes und Höchstes ist hier geworden und steht dir bevor. Du bist der strahlendste Stern im Taifun, außer meiner Frau natürlich, durch dich geht mein Appell an den Doktor, zu dir, lieber Doktor.«
»Bravo, bravo«, unterbrach ihn der Doktor und nahm sein Glas in Bereitschaft.
»Also, so werden wir du sagen«, war der plötzliche rasche profitliche schnaufende Abklang seiner Worte. »Auf du. Auf du«, so stieß alles an.
»Das heißt, meine Frau und mich haben Sie nicht eingeschlossen, weil wir nur zum Publikum gehören«, sprach der Polizeirat und zog sich damit geschickt in Reserve. Er konnte ja nie wissen, wie die Sonne die Taifunwolken schob. Susanne war es augenscheinlich sehr recht, sie gab ihm noch eines darauf. »Herr Polizeirat hätte die Gelegenheit benutzen können, wenn er weniger höflich wäre.« Das prickelte dem alten Herrn noch viele Tage im Kopfe, ob das eine versteckte Einladung von Susanne war oder nicht. Während sie nur die paar kleinen Komplimente einander von Kopf zu Kopf geworfen hatten, streckte die Frau Polizeirat ganz verstohlen die Zunge hinter dem Gläschen nach dem Doktor heraus, der für Sekunden verwirrt zu Boden sah. Dann aber machte er eine scharfe Wendung zu Susanne, küßte sie auf die Stirn und sagte »ah, ah.« Wer beachtete das viel! Sie waren alle in wirren Interessen miteinander beschäftigt. Hermione fand den Doktor entzückend und um zwanzig Jahre verjüngt.
»Um zwanzig Jahre?« Der Doktor wiederholte es geschmeichelt. Und Susanne behauptete, während er seinen Haarscheitel strich, in dem sündhaften Bewußtsein, daß er fast grau war. »Du bist blond, Fredi.«
»Das ist sehr richtig. Das beweist uns der Maler Mostrich, er hat nachgewiesen, daß zwischen dem Flachskopf eines Alemannenmädchens und dem Silberhaupt des blinden Königs eigentlich kein Unterschied ist.«
»Daß Sie's aber nicht vergessen, wegen der Wohnung«, flüsterte Büffel leiser zu Ganswind.
»Das machen wir nachher«, beschwichtigte ihn Ganswind. Dies war wieder gegen ihre Methode, und die Frau Wirtin frug deshalb laut, weil sie nie Aufschub liebte: »Haben Sie denn schon eine Wohnung, Herr Doktor, und wenn ich es schon heute sagen darf, Frau Doktor?«
Susanne platzte hinaus: »Pf«, und sprudelte ihr eben angesetztes Glas der Wirtin ins Gesicht.
»Bitte«, wischte diese sich ab, »lachen Sie nicht. Die Wohnungsfrage muß jetzt auf Monate hinaus geregelt werden. Sie finden niemand, der Ihnen umzieht, und das Recht zwischen Mieter und Vermieter besteht trotzdem in der alten Form weiter. Ich kann nur mahnen. Versehen Sie sich!«
»Wir haben unmittelbar über uns«, Büffel deutete nach oben, »eine sehr hübsche Sache für Sie. Sechs Zimmer mit allem Komfort, der tadellos ist, sobald wieder Friede ist. Nehmen Sie das?«
»Ja, sollen wir denn?« frug Susanne Ganswind.
»Ich will gar nichts gesagt haben«, antwortete Ganswind gleichgültig.
»Die Wohnung ist reizend und wie nahe! Du bist ganz bei uns«, lockte Hermione.
»Aber Kinder, das ist viel zu früh«, brummte der Doktor, »es müssen doch erst unsere ganzen Verhältnisse geregelt sein.«
Büffel drehte sich auf diese philisterhafte Rede von ihm ab.
Und Ganswind tätschelte ihm nur, damit er sich durch seine Naivität nicht weiter blamierte, auf die Schulter. »Sei nicht ängstlich, Alfred. Erstens gibt es keine Verhältnisse und zweitens ist alles längst geregelt.«
»Ich habe sogar schon die Exmissionsklage gegen Sie in der Tasche«, rief Büffel aufgeregt.
»Gegen mich?« frug der Doktor aufs höchste verwundert.
»Ja, selbstverständlich«, wiederholte der Rechtsanwalt aufs bestimmteste, »die ist zur Glaubhaftmachung Ihrer grandiosen Einnahmen durchaus nötig.«
»Ebenso wird mein Mann später die Ehescheidungsklage behandeln«, foppte die Wirtin mit hartem Krähenschnabel.
Der Doktor und Susanne erschraken in den Tod und faßten einander unter. Selbst der Polizeirat und Frau prallten mehrere Meter zurück. Ganswind dagegen trommelte auf die vordere Stuhlleiste zwischen seinen teuflischen Beinen, er saß wirklich da wie ein bockfüßiger, garstiger, kleiner Teufel. Und Hermione sah aus wie ein Engel an Paradiesespforte.
Wie sollte man sich solche unverhüllte Rücksichtslosigkeit und Taktlosigkeit erklären? Mitten im hohen friedlichsten Glücke plötzlich solche Kriegserklärung.
Ganswind erhob sich: »Lieber Doktor, das Heiraten ist eine weit höhere Stufe als das Verloben. Und wer sich nur rein ideal verlobt, der wird von der Ehe nicht viel erhoffen können. Darum hat der Hauswirt, mein ständiger Anwalt, ganz auf mein Anraten natürlich, vorgesorgt, daß auch deine Prozesse, lieber Alfred, in die richtigen Hände kommen.«
Der Doktor war ganz außer sich. »Meine Prozesse?« schrie er, »wo sind denn meine Prozesse?«
»Du hast zunächst noch keine, mein Lieber. Aber es ist dir vielleicht nicht bekannt gewesen, daß ganz vorsichtige und weitschauende Menschen jetzt nicht einfach eine Frau heiraten, sondern gleich auch ihre Prozesse«, sprach Ganswind erklärend weiter. »Es ist vielleicht nur etwas zu früh erwähnt worden.«
Die Hauswirtin unterbrach ihn kreischend: »Nein, das ist nicht zu früh, es wird nie früh genug den Leutchen das Richtige empfohlen. Damit man sich nicht scheidet, führt man den Scheidungsprozeß, und ebenso, damit eine Scheidung jederzeit leicht ist, muß der Prozeß stets warm sein. Es braucht nur ein kleines Drücken«, sie schnalzte mit dem Finger, »und dann ist er heiß. Und dann ist beiden Teilen so leicht und froh, – und was kostet das? Eine Bagatelle. Sie wohnen bei uns im Hause. Mein Mann führt mit unseren Mietern Prozesse und führt ihre Prozesse. Das ist eine pure Annehmlichkeit für alle, die hier im Hause wohnen. Und wir können deshalb auf lästige Mietssteigerungen verzichten, weil der gute Mann so viel einfacher verdient. Und es ist auch für Sie einfacher. Die Leute aus der vierten Etage sollen schon seit zehn Jahren hinaus; es schwebt die Klage gegen sie, aber drin bleiben sie doch. Das ist nur ein etwas verdächtiges Frauenzimmer. Passiert nun das Geringste, so sitzt sie auf der Straße. Stets â prè, stets geborgen. Aber das war ja nur ein Beispiel. Für Sie kommen wieder andere Gesichtspunkte in Frage. Sie sind Künstler, und werden wahrscheinlich oft großes Geschrei haben, das andere Mieter stört. Was macht man dagegen, daß solche Belästigte schweigen müssen? Ganz einfach: man beweist ihnen, daß man schon in Klage ist mit dem Lärmer. Und die Scheidung? Wer denkt denn an so was überhaupt?! Bei einem Paare, das so in sich verschossen ist! Sehen Sie, gerade deshalb. Darum gibt man einem das. Dann will man es nicht.«
Der Doktor zog allmählich das Gesicht zu einem breiten Grinsen: »Das ist sehr gut, sehr gut. Susi, hast du je so etwas gehört?«
Susanne stand mit erhitzten roten Wangen, sie konnte nicht so ohne weiteres diese Harmlosigkeit in solchen Absichten ihrer Freunde entdecken, denn sie wußte ja, daß sie ziemlich viel Dreck am Stecken hatte. Besonders bangte sie um ihr Vermögen, das noch höchstens fünfzehnhundert Mark betrug. Der berühmte Bräutigam heiratete sie als Millionärin, mit einem Landhause.
Hermione löste sie aus der Beklemmung. Sie dehnte die Rechtsgeschäfte ihres Wirtes noch mit dem Hinweis aus: »Mit der Beschaffung des Luxus ist es ebenso. Wer keinen Luxus hat, der kann eben nicht leben. Den Luxus macht man mit ungeheuren Rechnungen, Schecks und Wechseln. Versteht denn ein Mensch davon etwas? Gar nichts versteht man davon. Gar nichts. Das macht alles der Anwalt. Ossi ist kaum darin bewandert, wenn er es auch ganz gut beherrscht.« Ein Lachen der Gesellschaft unterbrach sie. Hermione errötete und fuhr noch eifriger fort: »Vor allen Dingen ist die Feststellung wichtig, daß es so ist. Meint ihr, wir haben einmal lange Zeit kein Geld gehabt? Keine vierundzwanzig Stunden, dann strömte es. Es muß immer fließen. Da darf keine Stockung eintreten.«
Susanne frug schüchtern: »Ja, wenn wir es auch selbst haben. Aber wer sollte es uns denn geben, wenn es ausginge?«
»Sie ist ein Kind, ein wahres Kind, Ihre Braut«, rief der Anwalt.
Susanne errötete purpurn und wurde von neuem belehrt. Hermione war am Wort. »Ich begreife es so: Es müssen ziemlich viele gescheite Leute sein, die alles daransetzen, daß die Kunst gefördert wird, damit sie nur ja nicht ins Stocken kommt. Denn stocken darf es nicht. Stillstand ist Rückschritt. Ossi wird ja darüber noch viel besser reden können, aber gesagt mußte es werden. Nicht daß ihr zwei Kinder euch auch nur fünfundzwanzig Minuten Sorge macht.«
»Dann ziehen Sie bei uns an der Klingel«, setzte die Hauswirtin hinzu.
»Mm«, schnupfte der Doktor seine Nase hinauf, »ein ewiges Tischleindeckdich. So habe ich mir auch ungefähr meine Ehe vorgestellt.«
Susanne dachte nach, wie weit sie's in der kurzen Zeit gebracht hatte. Sie sollte also wie eine Prinzessin getragen werden, ohne selbst einen Finger krumm zu machen. Sie sah wie abwesend vor sich zu Boden, bis sie durch die Brautrede des Polizeirats zur Wirklichkeit zurückgerufen wurde. Während seiner Rede beobachtete sie aufmerksam das Profil Ganswinds. Zum ersten Male erschien er ihr ein bedeutender Mensch. Was konnte ihn veranlaßt haben, gerade mit ihr dem Doktor eine neue Lebensbahn anzuweisen, wenn er sie für eine Schwindlerin hielt. Niemals wären jetzt solche Geldfragen besprochen worden, wenn man ihrem Reichtum geglaubt hätte. Sie mußte Ganswind bisher verkannt haben. Er war doch das Genie, wie es sein sonderbarer Haarschnitt bezeichnen sollte. Warum hatte er noch nie ein intimes Stündchen von ihr gefordert, als Gegenleistung? Es war eine Uneigennützigkeit von ihm, die sie ihm fast übelnehmen konnte.
Der Polizeirat redete einstweilen drauf los, machte pointierte Witze; aber Susanne hörte davon gar nichts, bis plötzlich ein lautes Gelächter sie zur Umgebung zurückrief. Der Polizeirat hatte sie in seiner Rede des Doktors einziges Abenteuer genannt. Sie lachte schnell mit und tat ein paar gröhlende Schreie. So nahm jeder an, daß sie bisher gespannt aufgemerkt hatte. Der Doktor empfand ihr ungewöhnliches Temperament, und ihm schwebte bereits die Möglichkeit vor Augen, mit ihr in einem Ensemble gemeinsames Engagement zu finden. Wenn Susanne solche Entwicklungen verhieß, dann war sie ein einzigartiges Juwel. Der Doktor sah mit Wohlgefallen auf den kühnen Haarturm seiner Braut, die in Röte glühte wie eine Herdplatte. Der Haarturm fiel nicht um, trotzdem er schiefer stand als der Turm von Pisa.
Hermione war den ganzen Abend lang bemüht, bei jeder Gelegenheit das Verdienst von Ossi herauszustreichen. »Ossi hat das gleich bei der ersten Begegnung mit Susanne so gesagt und gewollt, daß sie mit Alfred zusammenkommt. So ist es auch geworden. Was Ossi will, geschieht alles. Alles setzt Ossi durch. Ich wüßte keinen Menschen, der so wie Ossi durchdringt. Wie Salz und Pfeffer.«
Der Polizeirat bekam einen roten Kopf wie ein Truthahn. Er faßte das Durchdringen von der mannbaren Seite auf und fühlte sich ungerecht hintenangesetzt, war er doch ein ganz gewaltiger Lanzenbrecher. Wie Salz und Pfeffer, – das waren ihm zu starke Worte für den Taifundirektor, den er noch nie anders als einen genialen Hanswurst aufgefaßt hatte. Um so mehr fühlte er einen unbequemen Stich bei Hermiones Lobgesang auf ihren Mann, weil er ganz von neuem den Wurm in sich fressen fühlte, der seit seiner vergeblichen Aventiure im Hotel Olymp in ihn eingekrochen war. Susanne war so ein aufreizendes Weibchen, daß ihm sein Versagen unverständlich war. Es war eben sein Hauptunstern, daß seine Bekanntschaft vom Polizeibureau her datierte. Er foppte den ganzen Abend lang mit seiner Frau, die einem Ideal gleichkomme, das beinahe den Doktor um die Orientierung gebracht hätte.
Der Doktor protestierte zwar, aber Leidenschaft und Eifer vermochte er nicht in seinen Protest zu legen; man wußte schon von ihm: er war der Sünder. Und er konnte wirklich froh sein, solch ein tugendhaftes Fräulein heimführen zu dürfen.
Es lag an Susannes Erscheinung. Trotzdem es in die Augen sprang, wie weiten Wegs sie kam, schien sie doch von einer fast hausbackenen Harmlosigkeit umhüllt. Käterchen wußte diese Harmlosigkeit zu schätzen. Susanne war genau so krallig wie ihre Katze.
Der Doktor begleitete Susischen nach Hause. Käterchen folgte auf fünfzig Schritte Abstand. Den Abschied an der Hautür betrachtete sie von weitem in der Dämmerung. Das Paar gaukelte vor der Haustür wie ein gestrandetes Wrack hin und her, es wußte nicht, sollte es ins offene Meer hinausgerüttelt oder ans Land geworfen werden. Man sah nicht ganz deutlich, es war schon Nacht. Susanne hatte bloß sehr blaue große Augenringe, so schrecklich hatte die Liebessehnsucht sie kaum jemals mitgenommen.
Käterchen schüttelte den Kopf. Susanne erbrach sich gleich, nachdem er sich endlich im Abschied von ihr losgewunden hatte, unmittelbar als sie in die Wohnung eintrat. Da war sie doch wohl etwas gewürgt worden, oder wurde die Übelkeit von der Qual des Entsagens verursacht? Käterchen führte Susanne zum Diwan und behandelte sie wie eine Schwerkranke. Erst als sie im Bett lag, beziehungsweise auf der Bettkante saß, und Kätzis Schwanz zwirbelte, kam die Erzählung daran.
»Und seine Angst vor Katzen!« legte Susanne den Finger auf den Mund.
»Na, die wird er schon ablegen«, meinte Käterchen.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Susanne und drückte den Kopf Kätzis mit beiden Händen fest gegen sich.
Schnell platzte Käterchen heraus: »Dann würd' ich sie aber abtun.« Das war dumm und voreilig geredet, darum würdigte Susanne sie gar keiner Antwort, sondern schlug ihr eins auf die Hand und legte sich zum Schlafen auf die Seite, Kätzi an die Wange geschmiegt, die von einer Träne gefeuchtet wurde.
Käterchen wollte noch eine lange Entschuldigung sagen, sie habe das ja bloß gesagt, damit er durch die Katze, wenn er von ihr erführe, nicht heiratsscheu gemacht würde. Sie redete vergebens; Susanne blieb mit laut und leidenschaftlich pochendem Herzen von ihr abgewandt. Da wußte Käterchen schon, daß, wenn sie noch lange dumme Entschuldigungen vorbrachte, das Fräulein dann nach ihr herumfahren würde. Grüß Gott, und so... ob sie dann morgen noch ein glattes Gesicht hatte? Da schwieg sie lieber und verdrückte sich.
Als Susanne in tiefem Dunkel das Atmen ihrer Kätzi fühlte, lief ein warmer Schauer von inniger Liebe über ihren Körper. Sie wußte nicht recht, galt diese fromme Sehnsucht noch der Kätzi oder bereits dem Doktor.
In ihrer Kammer entkleidete sich Käterchen, die sich ständig als Erdachse fühlte, um die sich die ganze Welt drehte. Immerfort flog ihr ganzes bisheriges Leben und die Vergangenheit, von ihr kritisiert sowohl als bewundert, an ihrem hornöchsigen, geistigen Auge vorbei. Und das Bild der Zukunft war eine eifersüchtige Feindschaft gegen den Doktor, zugleich mit einem Mord an der Katze.