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XXI.

Der Lenz hatte einen außergewöhnlich frühen Einzug gehalten, und wenn auch die Tage sonnenhell und warm waren, so strich doch am Abend eine noch recht empfindlich kühle Luft von der See herüber und machte den Aufenthalt in warmen Zimmern notwendig.

Guntram Krafft hatte sich anfänglich sogleich nach dem Abendessen empfohlen. Er saß mit seinen Zeitungen und Büchern in seinem stillen Zimmer, stützte das Haupt träumend in die Hand und las nicht. Oft war er voll nervöser Unruhe aufgesprungen und noch einmal hinaus in den Wald oder hinab an den Strand gestürmt, aber Ruhe für sein Herz fand er auch dort nicht, wo der silberne Mondschein so bleich und kühl auf den Wogen spielte und ihm immer dasselbe Bild vor die Seele zauberte: Gabriele!

Je länger er mit ihr zusammen weilte, desto tiefer und inniger wurde seine Liebe zu ihr, obwohl seine leidenschaftliche Erregung nachließ und ihr heiteres, gleichmütiges Wesen auch ihm Ruhe und Unbefangenheit gab. Er gewöhnte sich an ihre Gegenwart, er genoß voll heimlichen Entzückens ihren Anblick.

Während des Abendbrotes hatte sich die Unterhaltung sehr lebhaft um seemännische Dinge gedreht, und als Anton die dicke schwarzlederne Posttasche mit den Zeitungen brachte, erhob sich Guntram Krafft nicht wie sonst, sich in sein Zimmer zurückzuziehen, sondern trat näher an das Kaminfeuer und sagte: »Es ist abends recht kühl bei mir droben; ich vermisse jetzt den warmen Ofen doch noch im großen Erkerzimmer.«

»Aber Guntram, so sag doch Anton sofort, daß morgen nachmittag geheizt wird.«

Der Graf warf gerade ein neues Buchenscheit in die Glut und beobachtete angelegentlich, wie die roten Flammen an ihm emporzüngelten.

»Das wird leicht zu heiß, Mutter, und die zu große Wärme geniert mich dann mehr als die Kälte. Am liebsten bliebe ich hier. Was unternehmt ihr denn jetzt? Stört meine Anwesenheit?«

Ein ganz feines, schier unmerkliches Lächeln ging um die Lippen der Gräfin, so froh und zufrieden wie bei einem Menschen, der geduldig gewartet hat und nun dafür den gewünschten Lohn erhält.

»Welch eine Frage«, schüttelte sie den Kopf und rückte sich behaglich in ihrem hochlehnigen Sessel zurecht. »Wir freuen uns an deiner Gesellschaft. Geheimnisse haben wir durchaus nicht zu verhandeln. Ich lehre Gabriele den Gebrauch des Spinnrades und freue mich meiner fleißigen Schülerin.«

»Spinnen? Sie lernen spinnen?«

Guntram hob ganz betroffen den Kopf, als habe er nicht recht verstanden; Gabriele aber räumte die gemalten Wappenhumpen, aus denen man zuvor Warmbier getrunken hatte und die Anton soeben wieder aus der Küche zurückbrachte, in die uralte Kredenz und sang lachend, ohne sich umzusehen:

»Ich kann stricken,
Ich kann flicken,
Feines Leinen
Kann ich spinnen ...

... so fein, Graf, daß man vorerst noch Kettenhemden daraus schmieden kann.«

Guntrams Augen leuchteten.

»Da ich Ihnen diese Kunst doch nicht ablerne, so können Sie dieselbe neidlos in meiner Gegenwart ausüben«, scherzte er, rückte sich einen kleinen Tisch herzu, breitete die Zeitungen aus und nahm in einem der Rittersessel davor Platz. Aber er las nicht. Er starrte wie ein Träumender gedankenlos auf das Papier und gab sich ganz dem Zauber hin, in Gabrieles Nähe zu weilen.

Wie Frieden zog es in sein sehnendes, gequältes Herz und ein beinah wunschloses Genügen, das nicht mehr von dem Schicksal fordert, als es freiwillig gibt. Welch ein reizendes Bild war es, die beiden Damen am Spinnrad zu sehen! Neigte sich Gräfin Gundula helfend und erklärend näher, so traf sie der Blick der hellen Nixenaugen so warm und herzlich, daß das Herz des Beobachters schneller schlug in dem entzückten Empfinden: Sie liebt deine Mutter! Stand sie ihm selber auch ewig fremd und fern, diese Liebe zu Gräfin Gundula schlug dennoch eine Brücke zu seinem Herzen, das ihn mit der Geliebten in gleichem Denken und Fühlen verband.

Die Bärin von Hohen-Esp nestelte am Rocken, dessen Flachsgewinde unter den Fingern Gabrieles etwas in Unordnung geraten war; derweil flog der Blick des jungen Mädchens durch die mattbeleuchtete stille Halle und haftete wieder sinnend auf der Lampe vor Guntram Kraffts Platz, deren Fuß durch einen schreitenden Bronzebär gebildet wurde.

»Wie kommt es eigentlich, gnädigste Gräfin, daß alles und jedes in Hohen-Esp das Bild eines Bären zeigt?« fragte Gabriele leise und neigte das Köpfchen näher zu der alten Dame, um den Lesenden nicht zu stören. »Man findet in anderen Schlössern auch die häufige Wiederholung des Familienwappens, aber so, bis auf die kleinsten Gegenstände herab, sah ich es noch nie angebracht. Es kam mir schon früher der Gedanke, daß dies einen besonderen Zweck haben müßte.«

Gundula schüttelte lächelnd das Haupt.

»Eine Liebhaberei! Eine Laune der Besitzer! Die Bären von Hohen-Esp gefielen sich darin, ihre Höhle zu einem wirklich originellen, echten Bärennest zu gestalten. Der Urahn begann damit, und Kind und Kindeskinder führten es weiter und schufen halb im Ernst und halb im Scherz diese eigenartige Burg, in der die Nachkommen jenes ersten Bären von Hohen-Esp stets daran erinnert sein sollten, wem sie das Bestehen ihres Geschlechts verdanken.«

»Das Bestehen ihres Geschlechts? Was haben die Bären mit Ihrer Familie zu tun, gnädigste Gräfin, und woher kommt es, daß die Hohen-Esp den seltsamen Namenszusatz ›die Bären von Hohen-Esp‹ erhielten?«

»Wenn es Sie interessiert, so erzähle ich Ihnen gern unsere alte Familiensage, liebe Gabriele.«

Frau Gundula schob das Spinnrad der Genannten wieder zu und setzte ihr eigenes Rädlein abermals in surrende Bewegung. Guntram Krafft ließ mechanisch die Zeitung sinken und blickte wie in fragender Spannung zu dem jungen Mädchen hinüber.

»Und ob es mich interessiert, verehrte Frau Gräfin!« nickte Gabriele eifrig. »Was könnte mir lieber sein, als mit der alten Welt, die mich hier umgibt, recht vertraut zu werden! Bitte, erzählen Sie! Zu einem Spinnrad gehören seit jeher die Romanzen.«

»Nun, so hören Sie, Gabriele!« Frau Gundulas Stimme klang tief und voll durch das leise, melodische Summen des Spinnrades. »Eine Jahreszahl nennt unsere Wappensage nicht. Sie greift weit, weit in die dämmernde Vergangenheit zurück und setzt da ein, wo die Grafen von Hohen-Esp bereits ein ritterliches und turnierfähiges Geschlecht und als Schirmvögte bereits mit der Burg Hohen-Esp hier belehnt waren. Da hebt sie an, von einer furchtbaren Seuche zu berichten, die allerorts die Lande verödete und die Menschen dahinraffte wie Grashalme vor dem Messer des Schnitters. Auch hier an die Tore der Burg hatte die Pest mit knöchernem Finger geklopft. Der Burgherr, seine edle Hausfrau, zwei Söhne und zwei Töchter starben in einer Nacht, im Burgfried lag das Gesinde zu Haufen und hauchte sein Leben aus, und nur der Gräfin jüngstes, neugeborenes Söhnlein, eine alte Schwester des Hausherrn und die Amme des Kindes waren noch am Leben. Da befahl das alte Fräulein in großer Angst und Sorge, daß sich die Amme mit dem Neugeborenen eilends aufmache und das Kind in das nahe Fischerdorf zu treuen Menschen bringe, die es aufnehmen und warten sollten, bis der Würgengel vorübergezogen sei in diesem Land. Ein Knappe stieg zu Roß, der Magd und dem Knäblein ein sicheres Geleit zu geben. Da sie aber kaum eine halbe Stunde durch den Wald geflohen waren, kam den Mann die Todesschwäche an, er sank vom Roß und starb elend am Weg. Voll Angst und Grauen lief das Weib mit dem Kindlein in den finsteren Wald hinein, und kaum daß sie das nahe Meer brausen hörte, sperrte ihr eine mächtige Bärin den Weg, stellte sich auf, hob dräuend die Pranken und brüllte aus blutigem Rachen. Da wußte die Magd in ihrem Schrecken nicht, was sie tat. Sie warf das Kind, das sie des kalten Windes wegen in einen warmen Fellsack gesteckt hatte, von sich und entfloh in sinnloser Furcht. Sie kam in das Fischerdorf und verbarg sich in einer Hütte und wagte es nicht, vom Ende des Kindleins zu berichten. Die Zeit verging, und eines Tages kam plötzlich das totgeglaubte alte Burgfräulein ins Dorf, forschte nach der Magd, trat vor sie hin und forderte das Kind. Die Ungetreue sank wehklagend in die Knie und berichtete von dem Tod des Knappen und dem Überfall des Bären und daß sie bei der Flucht das Knäblein aus dem Fellsack verloren habe. Ein großes Wehklagen erhob sich, und das Fräulein rief die Fischer und sprach: ›Auf! Lasset uns im Wald suchen! Die Heiligen im Himmel haben meine Gebete für das Kind erhört, so es ihr gnädiger Wille gewesen war, erretteten sie es aus dem Rachen des Bären!‹ Die Fischer schüttelten zwar die Köpfe und meinten, das sei vor eines Mondes Länge geschehen und wohl kein Knöchelchen von dem jungen Grafenkind mehr zu finden; aber sie bewaffneten sich und gingen in den Wald. Als sie an die Stelle kamen, die die Magd beschrieben hatte, hörten sie ein gewaltiges Brummen wie von einem Bären; und als sie durch das Dickicht heranschlichen, sahen sie ein leibhaftiges Wunder. Da lag die Bärin im Moos ausgestreckt und an ihr das noch in das Fell gewickelte Knäblein, das sie säugte. Sie lockten das Untier mit Geschrei heraus, und ein Beherzter sprang hinzu und ergriff das Kind. Das war lebendig und gesund, stark und bärenkräftig, und solche Kunde drang bis zu dem Fürsten des Landes. Der lachte über die absonderliche Mär, ließ das Knäblein vor sich bringen, wiegte es auf den Armen und lobte Gott. ›Ei, du Gräflein von Hohen-Esp, da du Bärenblut gesogen hast, so wirst du stark und kühn werden, und man wird dich hinfort ›den Bären von Hohen-Esp‹ heißen.‹ So sprach er und gab ihm den neuen Namen und den Bären in das Wappenschild zur Erinnerung an das Gotteswunder, das sich an dem Kind begeben hatte.«

Frau Gundula unterbrach sich und ließ die fleißigen Hände ruhen, ihr Blick schweifte voll Zärtlichkeit zum Sohn hinüber und umfaßte seine hohe, markige Gestalt; dann zog sie abermals den feinen Faden aus dem Flachs und lächelte. »Und nun gehen Sie hinauf in den Saal, Gabriele, und sehen Sie sich einmal das Bärengeschlecht an! Es ist wirklich ganz auffällig, wie die Bärenamme ihm ihren Stempel aufgedrückt hat. So hoch und kraftvoll gewachsen, so bärenhaft fest und trutzig ist kein zweites. Die eckige Stirn und die große Gutmütigkeit haben die Hohen-Esp sicher von dem Bären geerbt, vor allen Dingen aber das mutige und kühne Drauf- und Drangehen in Kampf und Gefahr, wenn es gilt, einen Feind zu packen, die zähe Ausdauer im Ringen mit dem Gegner, gleichviel, ob derselbe aus Fleisch oder Blut oder als Sturm und hohe Flut zum Gang auf Leben und Tod herausfordert!«

Gabriele hatte bisher nur Augen und Ohren für die Sprecherin gehabt, den schlanken, blonden Mann in dem Rittersessel vor dem Kamin schien sie völlig vergessen zu haben.

Jetzt plötzlich hob sie das Haupt, und ihr Blick traf Guntram Krafft. Auge ruhte in Auge. Wie wunderlich sah sie ihn an. So groß, so forschend und so nachdenklich ... und doch brannte es wie ein geheimer Vorwurf in ihrem Auge, wie ein scharfer, ungestümer Widerspruch, der verächtlich sagt: »Nein! Du irrst, Frau Gundula! Hier dieser Letzte seines Geschlechts ist kein Held! Er imponiert mir nicht! Und darum werde ich nun und nimmer diesen ruhm- und tatenlosen Mann freien!« Sprach es nicht so aus ihrem Blick, aus den großen, wundersam ernsten Augen?

Wieder steigt es heiß empor in Stirn und Schläfen, er senkt finster den Blick und begreift es nicht, daß er sich soeben noch ihres Interesses an seiner Familie gefreut hat. Nach wenigen Minuten rafft der Graf die Zeitungen zusammen, steht auf und empfiehlt sich kurz. Die Nacht ist so schön und mondhell; er will mit den Fischern hinausfahren, wenn sie die Netze auswerfen.

Gabriele sieht ihn erstaunt an.

»Das tut man in der Nacht? Warum das? Ist solche Arbeit am Tag nicht müheloser und bequemer?«

Ein herber, spöttischer Zug liegt plötzlich um seine Lippen.

»Mühelos und bequem ist sie nach Ansicht der Binnenländer stets, gnädiges Fräulein. Man rudert ein wenig hin und her und schöpft das Schiff voll Heringe und Dorsche. Ob bei Sonnen- oder Mondenschein – das ist höchstens eine kleine Abwechslung in dem ewigen Einerlei!«

Gräfin Gundula dreht mit ganz, seltsamem Lächeln den Faden, der ihr gerissen ist, wieder zusammen. Fräulein von Sprendlingen aber sieht so harmlos aus, als ob sie von den Worten des Sprechers ganz überzeugt sei, und sagt nur nachdenklich: »Wird die See nicht bald einmal böse und wild? Ich möchte so gern eine bessere Meinung von ihr bekommen!«

Ein beinahe finsterer Blick aus den sonst so lächelnden Blauaugen trifft sie.

»Kurze Zeit müssen Sie sich wohl noch gedulden, die Ruhe scheint allen Wetterberichten nach noch anzudauern; aber in dieser Jahreszeit pflegt sie tatsächlich eine Ruhe vor dem Sturm zu sein.«

Er verneigt sich kurz, unhöflicher als sonst, und geht. Gundula aber schüttelt ernst das Haupt und sagt mit leisem Seufzer: »Sie wissen und verstehen es noch nicht, was Sie da wünschen, Gabriele. Für meinen Sohn bedeutet ein Sturm mehr als ein schönes Schauspiel, und für seine braven Fischer ebenso. Warum wollen Sie diese glücklichen Tage der Ruhe kürzen? Warum so viel Sorge und Not durch ein Unwetter heraufbeschwören? Ist das Meer in seinem ruhigen Schlaf wirklich so langweilig? Gehen Sie morgen einmal an den Strand und sehen Sie den Sonnenuntergang an. Er ist verkörperte Poesie, das schönste Gedicht, das unser lieber Herrgott in Farben an den Himmel geschrieben hat.«

Gabriele nickte mit sinnendem Blick, ihr fielen plötzlich Guntram Kraffts Worte am Strand drunten ein.

Die Gräfin schob ihr Spinnrad zurück und erhob sich. Sie war müde und wollte zur Ruhe gehen. Man machte frühen Feierabend auf Hohen-Esp.

*

Gabriele stand am geöffneten Fenster ihres Turmzimmerchens und blickte hinaus in die stille, blütenduftende Pracht des kleinen Gartens, über den der Vollmond sein schier taghelles Silberlicht goß. Sie konnte nicht schlafen. Wundersame Gedanken kreuzten hinter ihrer Stirn und nahmen ihr die Ruhe. Sie dachte zurück an jene Stunde, in der sie neben Guntram Krafft am Strand stand und seinen so eigenartigen poetischen Worten lauschte. Gerade aus seinem Mund berührten sie sie so seltsam, weil Gabriele sie nicht erwartet hatte, und wenn ihr die Zartheit seines Empfindens zuerst auch etwas unmännlich erscheinen wollte, so wurde doch dieser Eindruck schnell verwischt durch die Besichtigung des Rettungsschuppens.

Noch nie zuvor war ihr der Graf so kraftvoll männlich erschienen als hier in seiner energischen Art des Erklärens und Zufassens, in seiner so schönen und frischen Begeisterung für die Sache.

*

Gabriele verstand nicht viel von all den Dingen, aber sie fühlte instinktiv, daß es sich hier um mehr handelte als um einen harmlosen Sport.

Vielleicht war es auch das Ungewohnte im Anzug des Grafen, das denselben schon während der ganzen Zeit seiner Anwesenheit aus Hohen-Esp so verändert erscheinen ließ. Das Anschmachten und entzückte Anstaunen hat er vollends verlernt.

Kaum, daß er sie beachtet und ihr die notwendigste Höflichkeit erweist. Warum gefällt sie ihm nicht mehr? Gabriele blickt gedankenvoll auf die weißglänzende Pracht der Kirschbäume hinab.

Anfänglich war es ihr so angenehm, von ihm übersehen zu werden; jetzt grübelte sie, aus welchem Grund es geschehen mag. Daß es so geschieht, ist gut; es steht ihm wohl an, er gefällt ihr in dieser kühlen Gelassenheit. Und wie seltsam schaute er sie heute abend an, als Frau Gundula von dem Mut und der Kühnheit der Hohen-Esp sprach. Erriet er in jenem Augenblick ihre Gedanken?

Was dachte sie doch? Sie sah ihn an – die große, eckige Stirn unter den blonden Haarlocken, die herrliche, »bärenhafte« Gestalt ... und sie dachte ... warum fehlt gerade ihm der Mut und die wilde Kühnheit, den die verblendete Mutter an ihren Vorfahren preist? Er ist wie geschaffen zu einem Helden! Warum ist er's nicht?

Verstand er diese Gedanken? Las er sie von ihrem Antlitz ab? Sein Blick war so finster, so aufsprühend zornig, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, und er stand auf und antwortete ihr voll spöttischen Trotzes auf ihre Frage und ging davon.

Horch! Drunten auf dem schmalen Kiesweg, der durch den Garten nach dem Wald führt, erschallen Schritte.

Das junge Mädchen neigt sich unwillkürlich vor und schaut hinab. Der Mond scheint so hell, sie erkennt jeden Grashalm am Weg, und jene Gestalt, die naht ... wer ist das?

So hoch ist nur einer in der Burg gewachsen, so stolz und elastisch schreitet nur ein Herr unter Knechten! Es ist Guntram Krafft! Aber wie seltsam sieht er aus? Ist's ein Scherz, daß er sich so kostümiert hat, wie man es an den Fischern und Lotsen auf Seebildern so malerisch dargestellt sieht? Nein, dem Grafen Hohen-Esp war es heute gewiß nicht nach Scherzen zumute. Der breite Südwester sitzt ihm weit im Nacken und gibt seinem Antlitz einen eigenartig verwegenen Ausdruck, die Fischerjacke steht über der Brust offen, das weiße Hemd leuchtet breit hervor und fällt in weichem Streifen über den Halskragen hinaus. Die hohen Wasserstiefel reichen bis über die Knie, aber sie sehen nicht plump und häßlich aus, sondern geben der schlanken Gestalt etwas Keckes und Ritterliches, obwohl der Gang sehr ruhig und ernst erscheint.

Mit weit offenen Augen starrt Gabriele hinab.

Die Schritte drunten verhallen, die Schatten des Gebüsches decken die hohe Männergestalt. Graf Guntram Krafft will mit seinen Fischern hinaus zum Fang fahren, er stellt seine starken Arme in den Dienst der Seinen, so wie sie zu ihm stehen, wenn er sie aufruft zum Schutz der Gefährdeten.

Gabriele hat sich das nie so recht vorstellen können; jetzt aber ist es ihr, als ob ein ahnungsvolles Verstehen in ihrem Herzen aufdämmere. Kreist vielleicht jener Tropfen wilden Bärenbluts dennoch in seinen Adern?

Langsam wich Gabriele zurück. Drunten rauschten die dunklen Waldwipfel leise im Hauch der Nacht, und fernher glänzte die See wie ein silbernes Märchenland.


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