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Der erste Hofball!
Die ganze Residenz ist voll Interesse und Anteilnahme. Alter Tradition gemäß muß es an Hofballtagen besonders kalt sein, ein frisches, fröhliches Schneegestöber muß die Luft erfüllen, und die Parkbäume und Bosketts rings um das herzogliche Schloß herum haben die Verpflichtung, weißbereift, wie ein glitzernder Zauberwald, das Auge zu erfreuen, denn niemals sieht der malerische Rokokobau schöner und märchenhafter aus als mit strahlend erleuchteten Fenstern inmitten der verschneiten Winterlandschaft.
Vor der Einfahrt staut sich die Menge und ist hochbefriedigt, einen Blick in das glänzend erleuchtete Vestibül zu werfen. Lakaien in roten Galaröcken, weißseidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, mit gepudertem Haar und geschmeidig-gleitenden Bewegungen huschen her und hin, neigen sich tief vor den eintreffenden Gästen und stehen an den Windungen der Treppen.
Guntram Krafft stand noch immer zögernd neben dem Sockel einer Karyatide und umfaßte mit staunendem Blick das üppige Bild, das sich seinen Augen bot. Welch ein Lichtgefunkel! Welch ein Meer von Kerzen!
Anton hatte ihm gesagt: »Nun möchte ich mir erlauben, dem Herrn Grafen einen guten Rat zu geben. Da wird heute so viel Neues und Fremdes auf Euer Gnaden einstürmen, daß es den Kopf verwirren muß. Das darf aber nicht geschehen. Am besten wäre es, wenn der Herr Graf diesen ersten Ball nur wie eine Schaustellung an sich vorübergehen ließen. Sie stellen sich auf irgendeinen hübschen Platz, sehen sich alles erst mal genau an, mustern die Damen und lassen sich ein bißchen über die einzelnen unterrichten. Das nächstemal mischen Sie sich dann schon mit viel ruhigerem Blut unter die Tanzenden, lernen die Damen kennen und amüsieren sich herrlich.«
Er hatte Antons Rat sicher sehr gut gefunden, befolgte ihn sogleich und stand vorerst schon hier in der Treppenhalle still, um mit einem Gefühl der Verzauberung um sich zu schauen. Da schwebten sie an ihm vorüber, lachend und scherzend und die guten Bekannten begrüßend, all die wunderholden Frauen und Mädchen mit schimmerndweißen Nacken und Armen. Wie das glänzt und gleißt und rieselt von Atlas, Seide und Samt, wie die flaumigen Spitzen wogen, wie die Tüll-, die Gaze- und Florkleider wehen! Silber- und Goldstreifen darin, Metalltupfen und Tautropfen, die blinken und zittern und doch nicht zerrinnen! Und welch ein Gefunkel von Edelsteinen! Über Nacken, Brust und Arme sind sie gestreut wie ein versteinerter Funkenregen, in allen Farben der Iris leuchtend, Diademe über der Stirn und goldene Spangen um die zarten Handgelenke.
Gar mancher Blick hat den Bär von Hohen-Esp gestreift, gar manch leises Wort ist über ihn gewechselt, und manch rote Lippe hat seinen Namen genannt; auch hat des jungen Grafen Blick sich selber im hohen Wandspiegel gestreift und voll scheuer Unsicherheit sein fremdes Bild gemustert.
Er trägt zum erstenmal einen Frack, zum erstenmal die weiße Binde und Weste, zum erstenmal die spiegelnden Lackschuhe.
Die Zahl der Gäste lichtet sich, es scheint nun die höchste Zeit zu sein, die Säle zu betreten, und langsam steigt Guntram Krafft die Treppe empor.
Wie haben seine Blicke Fräulein von Sprendlingen gesucht, wie zuckte sein Herz empor, als er sie noch im letzten Moment droben an der Treppenbiegung erblickte. Sie wandte just das Köpfchen und schaute zurück, ein paar Damen drunten zuzunicken.
Ihr Blick streift auch ihn, aber so fremd, so kühl, als habe sie ihn nie im Leben gesehn. Wieder überkommt ihn ein Gefühl banger Ungeduld.
Bei dem Eingang an der Bildergalerie steht ein diensttuender Kammerherr, um die Ankommenden zu begrüßen. Er tritt auch dem jungen Grafen sehr liebenswürdig entgegen, nennt seinen Namen und spricht seine Freude aus, wieder einen Vertreter der Familie von Hohen-Esp hier begrüßen zu dürfen.
Er spricht mit leiser Stimme, sehr höflich und verbindlich, dennoch liegt etwas Zeremonielles in seinem Wesen, und sein Händedruck ist mehr förmlich als herzlich.
Er geleitet den Neuling auf höfischem Parkett bis zu dem nächsten Saal, in dem sich die tanzende Jugend bis zu dem Eintritt der hohen Herrschaften versammelt. Zwei Adjutanten in großer Uniform halten sich in der Nähe der Tür auf, treten eilig herzu, und der Kammerherr stellt ihnen den Grafen vor mit der Bitte, ihn bei den jungen Damen bekanntzumachen.
Ein paar liebenswürdige Worte der vielbeschäftigten Herren, die Guntram Krafft mit der ehrlichen Versicherung, daß er sich freue, diesem Fest beiwohnen zu können, quittiert, und dann murmelt ein sehr junger Leutnant hinter ihm einen unverständlichen Namen und offeriert die silberne Schale mit den Tanzkarten.
Der Graf stellt sich seinerseits vor und nimmt eins der eleganten Kartonblätter, auf dem unter dem farbigen Fürstenwappen eine Anzahl Tänze notiert ist, von welchen er kaum die Namen kennt. Er verzichtet darum darauf, zu engagieren, obwohl einer der Adjutanten sich mit ihm durch die Menge drängt und den Versuch macht, ihn den Damen vorzustellen.
Lauter fremde Gesichter! Wie rosige Nebel wallt es vor den Augen des Grafen, er verneigt sich stumm und vermag kaum die einzelnen jungen Mädchen mit: dem Blick zu umfassen, geschweige all die Namen zu merken, die, kaum verstanden, vor seinen Ohren schwirren.
Wozu auch? Er sucht nur ein einziges Antlitz, er lauscht nur auf einen einzigen Namen, und just darauf vergeblich.
Noch sind sie nicht weit gekommen, als ein lautes, hartes Klopfen auf dem Parkett ertönt, die lachenden, schwatzenden Stimmen wie mit Zauberschlag verstummen und die Damen hastig nach der einen Seite des Saales, die Herren nach der andern zurückweichen.
Adjutanten und Kammerherren schreiten geschäftig »die Fronten« auf und ab, herüber und hinüber werden noch ein paar Scherzworte und Grüße getauscht, dann klopft es abermals, die vergoldeten Flügeltüren schlagen auf, und unter Vortritt der obersten Hofchargen betreten die hohen Gastgeber, von den Privatgemächern kommend, den Saal.
Tiefe, feierliche Verbeugungen rechts und links.
Die Herrschaften grüßen, lächeln und schreiten langsam durch die spalierbildende Jugend. Der junge Leutnant wendet sich danach wieder dem Hohen-Esper zu. »Haben der Herr Graf schon alle Tänze festgesetzt?«
»Nein. Ich möchte heut nicht tanzen, sondern das Fest nur als Schauspiel auf mich wirken lassen.«
»Sehr wohl! Ist auch kaum ein Vergnügen, auf einem wie ein Präsentierteller großen Raum zu tanzen. Furchtbare Fülle heut! Man findet sich kaum durch. Aber immerhin engagiert man, um ein wenig mit den Damen zu plaudern.«
»Wer gilt für die Schönste der Damen?«
Der junge Offizier lacht. »Das ist schwer zu sagen. Da ist die Hofdame der verwitweten Prinzeß Amalie, Gräfin Dollen, eine vielgerühmte Schönheit, aber kühl bis ans Herz; dann Fräulein von Lochau, pikant, amüsant, kapriziös; Baronesse Sprendlingen, bezaubernd hübsch, aber rasend verwöhnt und anspruchsvoll. Aber Pardon, wir wollen uns in den Tanzsaal begeben, damit die höchsten Herrschaften sogleich das Zeichen zum Beginn des Tanzes geben können. Sie gestatten, Herr Graf?« Der Sprecher verneigt sich ein paarmal hastig nacheinander und schießt davon, um einer zierlichen kleinen Blondine den Arm zu bieten und sich dem »Zug nach dem Westen« anzuschließen.
Da hastet es abermals lachend und scherzend an ihm vorüber, und Guntram Krafft steht – um ein Haupt länger als alles übrige Volk – ruhig beiseite und überfliegt mit suchendem Blick die bunte Menge.
»Fräulein von Sprendlingen, bezaubernd hübsch, aber rasend verwöhnt und anspruchsvoll!« klingt es noch wie ein Echo vor seinen Ohren, und dann denkt er wie in jubelnder Freude daran, daß er nicht zu tanzen braucht, sondern auch eine Dame zum Plaudern engagieren kann.
Und wie er mechanisch über die Menge hinblickt, da zuckt er plötzlich empor und ahnt es nicht, daß ihm alles Blut in die Wangen steigt.
Dort taucht endlich, endlich Gabrieles Köpfchen auf. Sie scheint es nicht eilig zu haben, den Tanzsaal zu erreichen.
An ihrem schlanken Hals schimmern Perlen in mattem Glanz, eine Kette mit einem Brillantschloß ... und sie neigt den Nacken graziös zurück und lächelt zu einem Dragoneroffizier empor, der ihr gar schöne Worte zu sagen scheint.
Langsam, ganz langsam schreiten sie heran, sie sind die letzten im Saal, und Guntram Krafft begreift es selber nicht, woher er den Mut nimmt, aber er steht im nächsten Augenblick vor den beiden, verneigt sich linkisch und stammelt seinen Namen. »Darf ich um einen Tanz bitten, mein gnädiges Fräulein?« Sie schaut ihn mit den großen hellen Augen einen Moment sprachlos an, das Lächeln schwindet. »Bedaure, meine Tänze sind vergeben«, sagt sie kurz und legt ihre Hand auf den Arm des Offiziers, um hastig weiterzuschreiten. Herr von Heidler hat seinen Namen ebenfalls mit kurzer Verneigung genannt und den Bär von Hohen-Esp mit etwas ironischem Blick gemustert, dann flüstert er seiner Tänzerin ein paar Worte zu, und beide entschwinden in die Galerie.