Emil Ertl
Freiheit die ich meine
Emil Ertl

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Der Frühling vereinigte die ganze Familie im Himmelhaus. Auch Cajetana, die Anfang des Jahres mit Zwillingen niedergekommen und etwas erholungsbedürftig war, zog hinaus – mit ihrer ganzen Kinderschar natürlich; Platz war jetzt genug vorhanden. Franzl Beywald erzählte jeden Abend bei Tisch, daß die Zwillinge, von denen eins ein Knabe, eins ein Mädchen war, nicht lebend zur Welt gekommen wären, wenn er im Kanonendonner der Oktobertage nicht ständig in Cajetanas Nähe geweilt und sie beruhigt und aufgeheitert hätte. Michella, die sich recht in ihrem Elemente befand, da sie für zehn kleine Beywalde zu sorgen hatte, fragte, zu welcher Tageszeit die Zwillinge auf die Welt gekommen wären? In Wahrheit wußte sie es ohnedies, es amüsierte sie nur, die Schwester darüber sprechen zu hören. Und sie erhielt auch die Antwort, die sie sich gewünscht hatte, denn Cajetana sagte: »Es ist merkwürdig, meine Buben bringe ich immer bei Tage zur Welt und meine Mädchen in der Nacht. Gemischte Zwillinge aber genau zwischen Tag und Nacht, gerade in der Dämmerung. Ausgerechnet!«

Einmal, an einem Sonntag, als die ganze Familie beim Morgenkaffee versammelt saß, kam gerade ein Brief von Susann aus Amerika. Das war ein kleines Fest, der Muschir mußte vorlesen. Die Scheichenstuhls hatten sich in Peoria im Staate Illinois angekauft, wo Schinackel im Begriff stand, eine Kerzen- und Seifenfabrik im größten Maßstab zu begründen. Auch der Tiroler Ladurner, der ehemalige Kampfgenosse Freds, befand sich in demselben Orte und war von Schinackel als eine Art Sekretär und Vertrauensmann engagiert. Susann entwarf ein fröhliches Bild der amerikanischen Verhältnisse und behauptete, da drüben gebe es gar keinen legalen Boden, wenn man nur Geld genug hätte. Schinäcklein, das schon wacker umhermarschiere, sei auf dem besten Wege, ein amerikanischer Bürger zu werden, und zeige einen überaus festen, selbständigen und freien Willen. Mit wahrem Stolz berichtete sie, daß der kleine Wildling eine Abneigung habe, sich waschen zu lassen, und daß es jedesmal ernstliche Kämpfe aus diesem Anlaß setze, wobei sie nicht selten den Kürzeren ziehe und Schinackel zu Hilfe rufen müsse.

»Das hat er einfach vom Vater,« sagte Michella. »Der hat auch in seiner Jugend keine Seife mögen!«

Und zum erstenmal seit langer, langer Zeit lief wieder einmal ein herzliches Lachen um den Familientisch.

Ende Mai jährte sich der Todestag Petzens. Das kleine Erinnerungsdenkmal sollte an diesem Tage enthüllt werden. Alle Angehörigen hatten sich eingefunden, auch Elfe, die zum ersten Male den Garten des Himmelhauses betrat und der Familie als Braut Poldis vorgestellt wurde. Alle Sträucher und Bäume standen in Blüte, und die Vögel sangen in den Zweigen. Es war ein Tag, so friedvoll und wonnig, als hätte es nie auf Erden etwas anderes gegeben als lauterstes Glück.

Um die elfte Morgenstunde versammelte man sich um das Buchenwäldchen. Mosch-Eskeles sprach ein paar schlichte, innige Worte zum Andenken des Freundes, die Hülle fiel. Da sah man die ruhigen, offenen Züge des Verklärten in Marmor festgehalten und den gefälligen Aufbau der edelgegliederten Rundbank und des mit immergrünen Gewächsen umpflanzten Felsenhügelchens. Der Schatten der Buchen wölbte sich über der lauschigen Stätte und flüsterte von Werden und Vergehen, von treuer Arbeit und bitterer Not, von Sehnsucht, Hoffnung und Erlösung ...

Als die kleine Feierlichkeit beendet war, sprach Poldi Herrn Mosch und dem Muschir seinen Dank aus und verabschiedete sich, um in die Stadt zurückzufahren, denn es war ein Werktag. Elfe begleitete ihn. Sie fuhren nach dem Schmelzer Friedhof und legten ein Kränzlein von Epheu und Singrün, das an Petzens Gedächtnishügel gebrochen war, auf Freds Grab nieder. Am Ausgang des Friedhofs reichten sie sich schweigend die Hand, sahen sich ins Auge und schieden von einander. Die Leodolterische Familienkutsche brachte Elfe nach Schloß Auenwald zurück. Poldi hingegen begab sich festen Schrittes ins »Goldene Stuck«, wo eine Fülle von Arbeit auf ihn wartete.


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