Autorenseite
<< zurück
[Anhang]
Die Vorgeschichte des »Glücks von Lautenthal«
Erzählt von Else Ernst (1932)
Paul Ernst ist Münzensammler. Seine braunschweigischen Taler liegen ganz für sich in einem schwarzen Kasten auf dunkelblauem Samt, Taler mit wilden Männern, Sterbetaler, Glockentaler, Ausbeutetaler verschiedener Gruben und viele andere. Das Zeichen des Münzmeisters Bornemann »B« ist auf etlichen deutlich zu lesen, und so war der Name Bornemann bei uns im Hause geläufig.
Im Winter 1928 auf 1929 rief mich mein Mann eines Morgens, als eben der Briefträger sich entfernt hatte, ungeduldig auf sein Zimmer. Ich hörte seiner Stimme die frohe Erregung an. Ein Münzhändler hatte ihm zur Ansicht eine Durchreibung auf Stanniol geschickt, von einem dreifachen Lautenthaler Ausbeutetaler. Darauf war ein lautenspielendes Mädchen zu sehen, das auf einer Schnecke stand. Wir kannten diesen Taler noch nicht, und wie wir die Durchreibung in frohem Staunen betrachteten, da wurde uns klar, daß wir den Taler haben mußten. Aber er war sehr teuer, und das Geld war eigentlich gar nicht da. Mein Mann beschloß, etwas über die braunschweigischen Münzen für eine Zeitschrift zu schreiben, wo man dann etwa den Preis des Talers erzielen konnte; und auf diese sichere Aussicht hin trat er in Briefwechsel mit dem Münzhändler, handelte noch etwas herunter und ließ sich den Taler schicken. Der war noch viel schöner, als sein Abbild verheißen hatte, und in froher Zuversicht schröpften wir die Wirtschaftskasse und schickten dem Münzhändler das Geld.
Der Aufsatz über die braunschweigischen Münzen (er ist später in die »Jugenderinnerungen« meines Mannes aufgenommen worden) wurde von der Zeitschrift dankend zurückgeschickt, von einer zweiten Zeitschrift auch, von einer dritten, von einer vierten. Dann zog sich das Loch in der Wirtschaftskasse durch eiserne Sparsamkeit langsam wieder zu. Wir holten jeden Abend den Lautenthaler vor, freuten uns an dem wunderbaren Glanz des polierten Himmels, an der Anmut des Mädchens, an der lieblichen Landschaft mit dem Städtchen Lautenthal, an dem schönen Wappen auf der Rückseite, wo auch das Zeichen Bornemanns zu sehen ist. Wir rätselten über das Mädchen und den Sinn der seltsamen Umschrift. Mein Mann schrieb an Münzenkenner und forschte in alten Büchern. Nirgends fand sich eine Erklärung. Er las um diese Zeit viel in einem Epos des englischen Dichters Browning »Das Buch und der Ring«, und der Vorwurf dieses Buches beschäftigte ihn sehr. Ein schreckliches Ereignis wird von den verschiedensten Menschen erzählt. In jeder Erzählung ist es etwas ganz anderes. Aus diesen vielen widerspruchsvollen Berichten aber ergibt sich für den Leser die eigentliche Begebenheit. Eines Tages wurde uns klar, daß das Mädchen auf der Schnecke, sollte es einmal in Lautenthal aufgetaucht sein, auch jedem Menschen dort als etwas anderes hätte erscheinen müssen, je nach der Gemütsart dessen, der ihr etwa begegnete. Nun erzählten wir uns auf den Gängen durch unsere Obst- und Weingärten hin und her vom Mädchen auf der Schnecke, wie es als ein rätselhaftes Wunderwesen nach Lautenthal kommt, was es dort anrichtet und was die Leute dort sich dabei denken.
Im Herbst des Jahres 1929 wurde meinem Mann vom Arzt eine Gasteiner Kur verordnet. Bad Gastein mit seinen von scheußlichen Hotelkästen eingefaßten Wasserfällen ist uns zuwider. Es ist auch sehr teuer. Wir gingen nach dem stillen, billigen Hofgastein, das in einem weiten Hochgebirgstal sanft ansteigend liegt. Auf den langsam klimmenden Fußwegen erzählten wir uns wieder von dem Mädchen auf der Schnecke, und die Fabel eines Romans wurde immer deutlicher. Wenn wir auf einer Bank saßen, angesichts eines kahlen Vorberggipfels, der mit samtroten und goldgelben Moosflächen vor dem dunkelblauen Herbsthimmel stand, dann zeichneten wir wohl mit den Stockspitzen in den Sand. Striche waren Menschen, und Linien, die sich hin und wider kreuzten, waren die Schicksale, die sie verbanden. In Gastein ist früher Goldbau getrieben worden. Er ist erloschen, weil die Adern abgebaut waren; aber es stehen noch die festen Häuser der alten Gewerke, wo jetzt die Badegäste auf ihren Ausflügen Kaffee trinken, und im Volk leben noch viele sagenhafte Geschichten vom Bergbau und den alten mächtigen Familien, denen die Gruben gehörten. Dort wurde meinem Manne klar, daß sich die seltsame Inschrift des Talers auf ein Verwerfen der Silberadern und ein Versiegen der Laute beziehen mußte.
Das Mädchen auf der Schnecke ist in den folgenden Monaten noch manchmal als ein märchenhaftes Geschöpf in unseren Gesprächen aufgetaucht, blieb aber oft wochenlang fern, bis uns auf einer Vortragsreise, die uns auch in den Harz führte, Lautenthal ganz nahe rückte. Auf der Fahrt von Goslar nach Clausthal blieben wir ein paar Stunden in Lautenthal, durchwanderten den ganzen Ort, stiegen zur Kirche hinauf und den Friedhof in die Höhe. Ich zeichnete einen Plan des Städtchens, den Lauf der Laute und der Innerste, und als wir nach Clausthal kamen, konnte ich im Harzmuseum auf einer Karte auch den Lauf der Gänge und ihre Namen feststellen. Ein alter Schulkamerad meines Mannes, Ferdinand Gieseler, hatte sich Auszüge aus den Akten des Oberbergamts gemacht, welche einen Aufenthalt von Leibniz in Zellerfeld betrafen, der sich zum Zweck des Ausprobens einer Erfindung dorthin begeben hatte. So erschien denn Leibniz in der Fabel des Romans und gewann im weiteren Verlauf unserer Reise immer größere Wichtigkeit. Der Lehrer Just in Zellerfeld hatte uns von alten volkstümlichen Vorstellungen erzählt, die in seiner Kindheit und Jugend noch lebendig waren, und bei Freunden, bei denen wir auf der Rückreise einkehrten, fanden wir einen Neudruck des Merianschen Werks über die Braunschweigisch-Lüneburgschen Herzogtümer und konnten uns überzeugen, daß Lautenthal um 1680 nicht wesentlich anders ausgesehen hat als heutzutage.
Nicht lange nach unserer Heimkehr fing mein Mann an, den Roman niederzuschreiben. Er las mir jeden Abend das Geschriebene vor. Als der Diener Max beim Herrn von Uslar den Kopf in die Tür steckte, da rief ich erstaunt: »Das Mädchen auf der Schnecke hat einen Diener?« »Ja,« sagte mein Mann, »sie kann doch nicht ganz allein in der Welt herumreiten.« Aus dem unbestimmten Märchenwesen war ein Mädchen aus Fleisch und Blut geworden, das Fräulein von Glück. Was sie in Lautenthal anrichtete, was die Leute von ihr dachten und wie es ihr selber erging, das werden die Leser aus dem Roman erfahren.
*
Worterklärungen, alphabetisch
(von Jürgen Federau, März 2016)
- abgeteuft
- abteufen (Bergmannssprache), einen Schacht abteufen (senkrecht nach unten bauen)
- abteufen
- Bergmannssprache, einen Schacht abteufen (senkrecht nach unten bauen)
- Anfahrschuhe
- anfahren, (Bergbau) zur Arbeit unter Tage fahren; Schuhe für die Bergbauarbeit
- angefahren
- »Mein Mann ist ja auch früher angefahren«, anfahren, (Bergbau) zur Arbeit unter Tage fahren
- aufgezogen
- Weinflaschen aufziehen, entkorken, Korken heraus ziehen
- Ausbeutestück
- Ausbeutemünze, Ausbeutetaler; ist eine historische Münze, die aus dem Silber eines bestimmten Bergwerks geprägt wurde. Ausbeute ist der Gewinn eines Bergwerks, der in Form von Münzen an die Anteilseigner des Bergwerks ausgezahlt wurde.
- ausgezankt
- auszanken, ausschimpfen; sie wurden ausgezankt (ausgeschimpft)
- Beffchen
- Halsbinde mit zwei Leinenstreifen vorn am Halsausschnitt, weiße Beffchen gehören zur Amtstracht von evangelischen Geistlichen
- beischlagen
- »Ihr könnt aber beischlagen,« sagte sie; viel essen
- belfern
- bellen, kläffen
- Bergmännelei
- Beruf des Bergmanns ausüben
- berichtte
- berichtete
- Borg
- der Fleischer gab ihnen auf Borg; sich etwas borgen, leihen
- drücken
- »Müßt ihr euch denn so drücken?«, (finanziell) einschränken, beschränken
- Einsetzungsworte
- Worte, die beim Abendmahl gesprochen werden; 1. Korinther 11,23-26
- fechten
- (umgangssprachlich) betteln gehen; (ursprünglich) wandernde Handwerksburschen zeigten für Geld ihre Fechtkünste; »So müssen wir denn wohl fechten und einen Bauern um einen Teller Suppe anbetteln.«
- Feder
- »Die Hausglocke mit langer Feder bimmelte nach.« Es gab Hausglocken, die an einer Stahlfeder befestigt waren. Beim Betätigen der Hausglocke wurde die Stahlfeder in Schwingungen versetzt.
- feisten
- feist; dick, stämmig, bullig; er »klopfte dem Schimmel auf den feisten Rücken«
- Felleisen
- Rucksack, Tornister
- fürbaß
- fürbaß gehen, vorwärts gehen
- Gaipel
- Schachtgebäude, Förderhaus
- Gedinge
- Entlohnung von Bergwerksleuten
- Gerechtigkeiten
- es gehörten ihm eine Anzahl Hufen (Maßeinheit für die Größe einer Landfläche) und Gerechtigkeiten; bestimmte Rechte, die dem Besitzer eines Gutes zustehen, beispielsweise bestimmte Gewerberechte
- geschmalzt
- schmalzen, mit Schmalz zubereiten
- Geschworener
- leitender Angestellter im Bergwerkswesen
- Gewerke
- Ein Gewerke war ein Anteilseigner einer bergrechtlichen Gewerkschaft
- Gezäh
- Kurzform von Gezähe; alle Werkzeuge, die zur Bergarbeit benötigt werden
- Gose
- obergäriges Bier
- heimlich
- »daß es den beiden Wanderern ganz heimlich wurde«; hier im Sinne von anheimelnd, behaglich, angenehm
- Höhlwagen
- von Pferden gezogener Wagen, in dem Erze und Schlieche transportiert wurden
- Holster
- Ranzen; Schultasche, die auf dem Rücken getragen wird
- Hufen
- eine Hufe ist eine bestimmte Fläche Land; regional verschieden, zwischen 7 und 15 Hektar
- Hund
- Förderwagen eines Bergwerks
- Innerste
- Bach, der durch Lautenthal fließt
- irdenen
- irdener Krug, sie nahm einen irdenen Krug, Krug aus gebranntem Ton
- Junker
- junger Herr, junger Edelmann
- kalbern
- sich albern benehmen
- Kamisol
- Jacke
- Karneol
- Quarz, der zur Herstellung von Schmucksteinen verwendet wird
- Katzenköpfe des Bürgersteigs
- Kopfsteinpflaster
- Kienspan
- Span aus Kieferholz
- Klafter
- historisches Längenmaß, regional verschieden, meist ungefähr 1,80 m
- Knotenstock
- Wanderstab mit einer Verdickung (Knoten) am oberen Ende
- Kothöfe
- ein Kothof ist ein kleiner Hof
- kraute
- möglicherweise ein Setzfehler, die Bedeutung ist »kraulte«
- kregel
- gesund, munter
- Kuxe
- ein Kux ist ein Anteil an einem Bergwerk
- Lachter
- ein im Bergbau übliches Längenmaß
- läppisch
- töricht, unsinnig handelnd, dumm, geistig nicht normal
- Laute
- Bach, der durch Lautenthal fließt
- Lautenband
- »der leichte Frühlingswind wehte ihr Haar fort und Lautenband«, ihr Haar und das Band der Laute (Musikinstrument) bewegten sich im Winde
- Lautenthal
- Ortschaft im Harz
- Lichtmeß
- Mariä Lichtmeß. Das letzte Fest der Weihnachtszeit, vierzig Tage nach Weihnachten, am 2. Februar.
- Lohe
- »Eine rote Lohe schlug über das Gesicht des Fräuleins.« Eine Lohe ist eine in heftiger Aufwärtsbewegung brennende, große Flamme. Hier im übertragenen Sinne, sie »errötete«.
- Löser
- Münze
- lugte
- lugen; gucken, schauen
- lüpfte das Mützchen
- lüpfen, Kopfbedeckung in die Luft heben
- Marketenderin
- weibliche Form von Marketender; ein Händler, der militärische Truppen begleitet und die Soldaten mit Waren und Dienstleistungen des privaten Bedarfs versorgt
- märt
- mären (schwaches Verb); langsam sein, bummeln, trödeln
- Mathier
- auch Matthier, Mattier; eine Münze im Wert von vier Pfennigen
- Nestel
- Band zum Zubinden
- Patchen
- Patenkind
- Pochwerk
- Stampfwerk, Stoßwerk, Schlagwerk; eine Maschine, in der Erze zerkleinert werden
- Puchjunge
- Pochjunge, in einem Pochwerk beschäftigter jugendlicher Bergarbeiter
- Puchwerk
- Pochwerk; Stampfwerk, Stoßwerk, Schlagwerk; eine Maschine, in der Erze zerkleinert werden
- Ränzel
- kleiner Ranzen, Schultasche, Tornister; auch fälschlicherweise benutzt für kleiner Rucksack
- Roß
- »der Ofen mit dem springenden Roß auf der Platte«, wahrscheinlich ist ein Ofenrost (Feuerrost) gemeint
- Runse
- Wasserrinne in Gebirgen
- Satte
- größere, flache Schüssel
- Schanne
- Tragjoch, Tragstange
- Schärper
- Bergmannssprache für ein Messer, das für bestimmte Arbeiten, die ein Bergmann verrichtet, geeignet ist
- Schlackwurst
- eine deutsche Rohwurstsorte
- Schlägel
- Werkzeug zum Schlagen
- Schlagfluß
- Schlaganfall
- Schlieg
- Schlich; feinkörniges Erz
- Schnepper
- Gerät zum Aufritzen von Adern, Aderlass
- schnippisch
- (meist auf Mädchen und Frauen bezogen) kurz angebunden, spitz, frech, respektlos
- Schwaden
- Rauch, Dunstwolke, Nebelschwaden
- spannenhoch
- eine Spanne, altes deutsches Längenmaß
- spirrelig
- klein, dünn, vom zarten Gliederbau
- Sporteln
- Plural von Sportel; das Entgelt für eine Amtshandlung
- Staket
- Staketenzaun, Lattenzaun
- Stempel
- (Bergbau) kräftiger Stützpfosten
- Stockmeister
- Gefangenenwärter
- Strauß ausfechten
- Redensart »einen Strauß mit jemanden ausfechten«; der Strauß, veraltet für Kampf, Auseinandersetzung, Streit, Kontroverse; ausfechten, bis zur Entscheidung durchfechten
- strenzt
- strenzen hat zwei Bedeutungen, 1) stehlen, 2) prahlen, großtun
- Sündflut
- volkstümliche Umdeutung von Sintflut; große Flut als Strafe für die begangenen Sünden
- Taxen
- Taxe, Zweig
- verbergmännelt
- »das Vermögen habe ich ja nun verbergmännelt«, ins Bergwerk gesteckt
- verreiten
- einen falschen Weg reiten. »Ich will ausreiten, ich will in den Harz hineinreiten, ich habe solche Sorge um meine Braut, die will ich mir verreiten.« Indem ich ziellos durch die Gegend reite, will ich auf andere Gedanken kommen und meine Sorgen vergessen.
- Verständnis
- »Thilo hatte ein Verständnis mit Eva«, (veraltet) ein Einvernehmen
- Vorstellungen
- »Dabei wollte er ihm Vorstellungen machen.« Er wollte ihm etwas bekanntmachen, sodass er sich den Sachverhalt vorstellen kann.
- Weiberknecht
- ein Mann, der sich einer Frau unterordnet; der Begriff wird verächtlich benutzt
- weißgültig
- weißgültig Erz, silberhaltiges Erz
- Wocken
- norddeutsch für Rocken, Spinngerät
- Zubuße
- der Anteilseigner eines Bergwerkes musste dem Bergwerk Zubuße (Geld) zahlen, falls das Bergwerk Geld benötigte; andererseits bekam der Anteilseigner Gewinnanteile, falls vorhanden
- Zubußekuxe
- ein Kux ist ein Anteil an einem Bergwerk; der Anteilseigner musste dem Bergwerk Zubuße (Geld) zahlen, falls das Bergwerk Geld benötigte; andererseits bekam der Anteilseigner Gewinnanteile, falls vorhanden
- zugreifsche Hände
- abgeleitet von »zugreifen«
- Zünglein
- »während sie mit geläufigem Zünglein plauderte«, Zunge
<< zurück