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Fräulein von Glück war, von ihrem Diener Max gefolgt, von Langelsheim aus die Straße nach Lautenthal geritten. Dort wohnte ein Pfarrer Engelbert, ein Mann von etwa sechzig Jahren, mit seiner Frau; die Kinder waren schon aus dem Hause. Das Fräulein war vom Pferd gestiegen, der Diener hatte die beiden Pferde gehalten. Dann war sie in das Haus getreten und hatte dem Pfarrer und seiner Frau, die verwundert auf den Flur traten, ihren Namen gesagt und hatte sie um Aufnahme gebeten. Das Ehepaar hatte sie freundlich aufgenommen, eine etwas altjüngferliche Dienerin mit saurem Gesicht hatte dem Diener die Gelegenheit für die Unterkunft der Pferde gezeigt, und dann hatte das Fräulein mit dem Ehepaar in der Studierstube des Mannes gesessen.
Das war ein behaglich niedriger Raum mit einem großen Bücherbrett an der Wand, mit einem freundlichen Blick durch die kleinen Fenster auf den blühenden Obstgarten. Das Fräulein saß in einem Lehnstuhl, behaglich angelehnt und die Beine übereinander geschlagen und erzählte. Die Frau Pfarrer saß stocksteif auf ihrem Stuhl, ihr Rücken berührte die Lehne nicht, ihre Hände lagen nebeneinander in ihrem Schoß. Sie hatte ein freundlich gerötetes Gesicht unter glattgescheiteltem grauem Haar, und ihr Blick glitt manches Mal verstohlen über die auffällige Gestalt des Fräuleins; es war, als ob sie eine innere Mißbilligung zurückhielte, weil das Fräulein doch ihr Gast war und wir uns doch nicht überheben sollen über unsern Nächsten. Der Pfarrer saß da, vornübergebeugt, den einen Arm auf den Tisch gelegt, den andern auf seine Stuhllehne, und lauschte gespannt den Reden des Fräuleins, die Augen fest auf sie geheftet, mit dem Ausdruck der höchsten gutmütigen Verwunderung. Eine Fliege, welche sich durch den Winter in den Frühling hineingerettet, setzte sich auf seine Nase. Unwillig scheuchte er sie mit der Hand weg, ohne seinen Blick von der Fremden zu wenden.
Was sprach denn die Fremde? Sie sprach von den blühenden Frühlingsbäumen, und wie die Bäume dann im Herbst Äpfel tragen werden, und sagte dabei einen Vers eines Dichters, und der Pfarrer dachte: »So etwa könnte ich auch von der Kanzel herunter sprechen und die Gemeinde ermahnen zu Dankbarkeit gegen unsern Gott in unserm Unglück.« Die Fremde sprach auch von dem Unglück und fragte, ob nicht die Pfarrersleute auch betroffen seien; der alte Pfarrer erwiderte, freilich seien seine festen Einnahmen, weil sie größtenteils aus dem Bergwerk geflossen seien, auch fast völlig geschwunden, und für seine kleinen Amtshandlungen könne er den armen Leuten, die selber nichts haben, doch keine Sporteln mehr abnehmen; aber sie beide seien nun alte Leute, die Kinder Gott sei Dank gut eingeschlagen und versorgt, und im vorigen Jahr haben sie noch Getreide gehabt, und dieses Jahr ist auch immer genug Brot gewesen, und der Garten trägt gut, und sie haben zwei gute Kühe, so daß sie Milch und Butter reichlich bekommen. Sie haben auch noch einen Schinken und fünf Würste, und was will der Mensch mehr?
Die Frau nickte still mit dem Kopf und sagte: »Wir danken Gott, daß er so für uns gesorgt hat. Denn wir haben hier Leute in der Gemeinde, denen das Notwendigste fehlt. Wer keinen Grund hat in einer solchen Zeit, was soll der denn machen? Das Tagelöhnern – ach, wer braucht wohl einen Tagelöhner! Das Geld ist selten heute, da macht jeder seine Arbeit selber. Uns sogar wird es schwer, daß wir unserer Martha ihre drei Taler zu Lichtmeß bezahlen. Wenn sie nicht schon so lange bei uns wäre, dann hätten wir uns eingeschränkt, dann hätte ich Garten und Stall selber besorgt. Aber das können wir doch nicht, sie hat uns immer treu gedient, da müssen wir nun auch in den schweren Zeiten für sie sorgen.«
»Ich vertraue auf Gott und vertraue auf den Geschworenen Wiedenhöfer,« sagte der Pfarrer. »Der Wiedenhöfer ist ein tüchtiger Mann und versteht seine Sache; aber erst muß freilich Gott wollen, dann kann er etwas erreichen.«
»Gottes Wege sind wunderbar,« sagte das Fräulein und machte ein frommes Gesicht, das ihr nicht so recht angemessen schien; dabei wippte sie mit dem Fuß des übergeschlagenen Beins, was die Pfarrerin nun doch mißbilligend bemerkte.
»Das war ein wahres Wort,« sagte der Pfarrer, »deshalb wollen wir glauben und wollen vertrauen, denn wenn wir das nicht tun, dann verzehren wir uns nur und erreichen doch nichts.«
Die Pfarrerin erhob sich; sie wollte in die Küche gehen und mit Martha das Abendessen vorbereiten. Der Pfarrer sagte: »So wollen wir denn dem Gast zu Ehren den Schinken anschneiden.« Sie erwiderte, das sei schon vorher ihre Absicht gewesen, aber wenn er ihr es nun besonders auftrage, so freue sie sich, daß er dasselbe wünsche; und damit wollte sie das Zimmer verlassen. Aber da erhob sich das Fräulein und sagte, sie möchte der Frau Pfarrerin helfen, denn sie sei jung, und es schicke sich nicht, daß sie sich von älteren Personen bedienen lasse. Die Pfarrerin schwankte, sie glaubte wohl auch nicht daran, daß die Hilfe sehr nützlich sein werde; aber sie fand keine Worte, und so nahm sie die Fremde mit sich; der Pfarrer aber wendete sich einem Buch zu, in dessen Lesen er durch die Fremde unterbrochen war.
Draußen schloß die Pfarrerin ihre Wäschetruhe auf. Sie sagte zu der Fremden, wenn sie helfen wolle, so solle sie das Bett im Besuchskämmerchen überziehen, in welchem sie schlafen solle. Damit gab sie ihr einen Bettbezug aus der Truhe. Sie sagte: »Ich habe nicht mehr viel Wäsche. Meine Aussteuer ist nun fast aufgebraucht in den langen Jahren, und ich habe doch meine Kinder aussteuern müssen. Da kann nicht viel mehr in die Erbschaft kommen. Aber als ich hier in das Pfarrhaus kam, da brachte ich die ganze Truhe voll Wäsche mit, alles selbst gesponnen. Das hat uns sehr geholfen in unserer Ehe, daß wir nie Wäsche zu kaufen brauchten. Kaufwäsche kommt teuer, sehr teuer kommt sie!«
In der Küche fand die Pfarrerin die alte Magd mit ärgerlichem Gesicht. Sie klagte über den Knecht der Fremden, wie grauslich der sei. Eine ganze Satte saurer Milch und ein dickes Stück Brot hatte sie ihm gegeben, und davon war er noch nicht satt geworden; da hatte sie ihm noch eine Satte Milch geben müssen, von welcher sie den Rahm für die Butter abgenommen hatte. Die Pfarrerin verbot ihr solche Reden, sie sagte, daß wir unsere Gäste ehren müssen, dann müssen wir auch ihre Dienstboten ehren. Die Magd schwieg; aber als sie nun den Schinken von der Stange herunterlangen mußte und die Pfarrerin von ihm abschnitt, da konnte sie sich doch nicht zurückhalten; sie sagte seufzend: »Der schöne Schinken!« – »Nun, einmal muß er doch angeschnitten werden,« erwiderte die Pfarrerin freundlich, »und da ist doch die schönste Gelegenheit, wenn man einen Gast hat.«
Während Herrin und Magd in der Küche so sprachen, hatte die Fremde auf ihrem Kämmerchen unter den Schindeln des Dachbodens ihr Bett bezogen und alles so geordnet, wie sie wünschte; nun ging sie mit der Waschschüssel in beiden Händen die Treppe hinunter, um frisches Waschwasser zu holen. Die Magd hörte das Gehen und öffnete die Küchentür, da sah sie die Fremde vorüberkommen. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief: »Ach, du lieber Gott, was soll das allergnädigste Fräulein von mir denken, daß ich sie solche Arbeit machen lasse!« Mit einem Griff hatte sie der Fremden die Schüssel entrissen und eilte mit der in den Hof. Die Fremde aber mußte über den Ausruf und den Eifer so laut lachen, daß sie sich am Treppengeländer festhielt. Die Pfarrerin war zunächst über das Lachen befremdet, aber nun lachte das Fräulein wieder über ihr befremdetes Gesicht, und da konnte denn auch die Pfarrerin sich nicht mehr zurückhalten, sie lachte mit und wußte eigentlich nicht, weshalb. Darüber kam die Dienerin mit der bis oben gefüllten Waschschüssel vom Ziehbrunnen zurück in feierlichem Schritt, damit sie nicht verschüttete. Beim Anblick der beiden Lachenden blieb sie versteinert stehen und sah nur erstaunt von der Herrin zu dem Fräulein und von dem Fräulein zurück zu der Herrin. Da fand sie keine Erklärung für die Heiterkeit, und obwohl sie sonst für ihre Herrin immer die größte Hochachtung hatte, konnte sie sich doch nicht enthalten, mißbilligend den Kopf zu schütteln.
Als sie mit ihrer Schüssel vorsichtig die Treppe hinaufging, machte sie sich innerlich Vorwürfe über ihre Kopfbewegung. Aber dadurch kam sie nun in einen Ärger über die Fremde. »Sie hat meiner Frau etwas angetan,« sagte sie bei sich im stillen. »Ich habe doch nie gesehen, daß meine Frau so unschicklich gelacht hat. Sie ist doch die Pastorin und weiß, was sich gehört. Sie ist eine Hexe, die Fremde.«
Als die beiden Frauen sich ausgelacht hatten, da sagte die Fremde zu der Pfarrerin, in dem Kämmerchen hänge an der Wand eine Laute; sie habe alle Saiten und sei ganz in Ordnung; sie möchte gern auf ihr spielen. Die Pfarrerin seufzte und erwiderte: »Ja, darüber freue ich mich, wenn wieder einmal auf der Laute gespielt wird; ich habe das lange nicht gehört. Das ist nun viele Jahre her, unser Jüngster kam von der Universität in die großen Ferien und brachte die Laute mit. Auf der spielte er den ganzen Tag und sang dazu, Lieder‚ die er selber gedichtet und gesetzt hatte. Da bekam sein Vater Sorge, er möchte sich allzusehr diesen brotlosen Künsten hingeben und ein verbummelter Student werden, wie es so viele gibt. Er nahm ihn mit auf seine Studierstube und redete ihm ins Gewissen, da weinte der Junge und versprach, er wolle dem Vater gehorchen, denn er wisse ja, daß wir Vater und Mutter ehren müssen. Und so brachte er mir denn die Laute und sagte mir: ›Hebe sie mir auf, achte recht auf sie, daß ihr nichts geschieht; ich will lieber gar nicht mehr die Laute spielen, sonst wird es mir zu schwer, dem Vater zu gehorchen.‹ Da habe ich denn die Laute genommen und oben in das Besuchskämmerchen gehängt, wo sie gut hängt, und die Tür ist immer verschlossen, und wenn ich in das Kämmerchen gekommen bin, dann habe ich sie immer mit einem feinen Tuch abgewischt. Der Junge hat aber nicht lange mehr gelebt, er hatte einen zarten Körper, und vielleicht hat ihn nun das Studieren zu sehr angestrengt, denn das wurde ihm schwer, und ich habe mich auch schon gefragt, ob nicht sein Vater vielleicht zu hart mit ihm gewesen ist, und er lebte vielleicht noch, wenn er hätte auf seiner Laute spielen dürfen, denn da hätte er doch eine Erholung vom Studieren gehabt.«
Das erzählte die Pfarrerin so, indem sie die abgeschnittenen Schinkenscheiben auf ein lindenes Brettchen legte, und dabei kamen ihr die Tränen in die Augen. Da war es ihr, als müsse sie aufsehen; und als sie aufsah, da standen auch in den Augen des Fräuleins Tränen.
Nun ging das Fräulein in den Garten; da blühten die Narzissen; sie pflückte vier Narzissen ab und brachte sie zurück, nahm einen irdenen Krug, füllte den mit Wasser und stellte die Narzissen hinein. Sie sagte, man dürfe nicht zu viel Blumen abpflücken, denn die Blumen lebten doch ebenso gern wie wir, und so ein dicker Strauß, in dem sie zusammengepreßt seien, sei auch gar nicht schön; nun aber sahen die gelben Narzissen in dem grau und blauen Steingutkrug schön aus, und die Fremde sagte, sie beeiferten sich, schön auszusehen und uns Freude zu machen, denn sie wüßten nun, daß sie doch nicht umsonst abgepflückt seien. Darüber mußte die Pfarrerin nun ja wohl den Kopf schütteln, aber sie sagte sich doch, daß die Fremde ein gutes Herz habe.
So war nun alles in der Küche für das einfache Abendessen vorbereitet, und die Frauen gingen in die Wohnstube, wo der Eßtisch stand. Der hatte eine Platte aus Schiefer, auf die stellte das Fräulein in die Mitte den Krug mit den Narzissen, und dann ordnete sie den Teller mit dem Schinken, der war ein gelbglasierter Tonteller, und wie sie den auf den samtschwarzen Schiefer stellte, und die weiß und roten Schinkenscheiben lagen auf ihm, da sah das richtig schön aus; und so stellte sie auch alles andere, und als sie fertig war, da sagte die Pfarrerin, da lache einem ordentlich das Herz, wenn man den Tisch sehe, und so schön habe er noch nie ausgesehen. Das Fräulein aber erwiderte, in Holland gebe es Maler, die malen auf ihre Tafeln solche Dinge, wie diesen zugerichteten Tisch, und darüber freuen sich die Menschen. Da mußte nun die Pfarrerin wieder den Kopf schütteln, daß man etwas malte, was jeder immer sehen konnte; aber sie meinte, die reichen Leute haben oft wunderliche Einfälle, weil sie ja doch so viel freie Zeit haben.
Als nun die Pastorsleute mit dem fremden Fräulein beim Abendbrot saßen, da kam das Gespräch auf das Unglück, welches den Ort getroffen hatte. Der Pfarrer erzählte aus der Gemeinde und berichtete von dem Elend; da war eine Familie, in der lagen die Kinder nackt im einzigen Bett, weil kein Hemd und keine Kleidung mehr da war. »Es sind ja gewiß nicht die guten Leute, die tüchtig und ordentlich sind, die so herunterkommen,« sagte der Pfarrer. »In solchen Zeiten siebt Gott die Menschen, und wer verworfen wird, bei dem kann man wohl fast immer angeben, wo in ihm die Schuld liegt. Aber wir sind nun Menschen, wir haben nicht zu richten; wenn ich mich selber betrachte, dann muß ich ehrlich gestehen: ich bin es nicht wert, daß es mir so gut geht.« Das Fräulein fragte schnell, ob sie nicht mit Geld dem und jenem helfen könne. Da runzelte der Pfarrer die Stirn: Er sagte: »Wer einmal Almosen empfangen hat, der kommt fast immer weiter herunter. Man muß den Leuten helfen, daß sie wieder arbeiten können.« Er sprach von dem Geschworenen und lobte den, dann fügte er hinzu: »Ich kann es nicht billigen, was er sagt, daß man mit der Rute suchen muß. Er ist selber ein Rutengänger gewesen. Nun kann er nicht mehr aus dem Bett aufstehen. Und ein anderer Rutengänger ist nicht hier.« Das Fräulein rief schnell zwischen seine Worte hinein: »Ich kann mit der Rute suchen.«
Ein Schweigen entstand, als sie das gerufen hatte, und es schien, als ob sie verlegen werde. Der Pfarrer räusperte sich und sagte: »Ich halte das Rutengehen für ein unchristliches Werk. Es ist Zauberei. Dem Menschen ist die Macht über die sichtbare Natur gegeben, er kann sie in seine Dienste zwingen. Aber die unsichtbaren Kräfte darf er sich nicht untertan machen wollen, denn er weiß nicht, ob die nicht sich rächen und für die Dienste, welche sie ihm leisten, umgekehrt ihn sich in ihre Dienste zwingen.
Der Geschworene ist ein guter Mann und ein rechter Christ, ihm haben die unsichtbaren Kräfte nichts anhaben können. Aber das kann niemand vorher wissen, wie er aus dem Kampf mit diesen Kräften hervorgeht.«
Fräulein von Glück wurde über und über rot und spielte verlegen mit ihrem Messer. Aber dann erhob sie ihr Gesicht mit einem schelmischen Lächeln zu dem Pfarrer und fragte: »Ist denn der Herr Pfarrer unfehlbar? Wenn ich einen Eimer am Seil in den Brunnen lasse, dann sehe ich die Kraft auch nicht, welche den Eimer nach unten zieht. So setzt denn der Herr Pfarrer täglich das Seelenheil seiner Magd aufs Spiel, welche ihm das Wasser aus dem Brunnen holt.« Der Pfarrer wurde etwas verlegen, dann sagte er: »Alle Körper auf der Erde streben nach dem Mittelpunkt der Erde. Das ist die Schwerkraft.« Das Fräulein erwiderte: »Sie ist aber nun ebenso unsichtbar wie die Kraft, welche den Rutengänger treibt.« Nun konnte der Pfarrer nichts Weiteres mehr sagen, da wollte das Fräulein das Peinliche verwischen und fragte wie von ungefähr nach einem großen Ammonshorn, das sie im Garten gesehen, in der Mitte des Beetes, von dem sie die Narzissen gepflückt.
»Ja, das ist nun ein Naturspiel, so sagen die Leute, daß man solche großen Schneckenhäuser und anderes, wie große und kleine Muscheln aus Stein, findet, auch Fische und Pflanzen,« erwiderte der Pfarrer. »Dieses große Schneckenhaus ist so künstlich gebildet, wie wenn es ein geschickter Mann aus dem Stein ausgehauen hätte. Das hat mir einmal ein Bergmann verehrt, der es gefunden hatte; und da habe ich ihm denn die Stelle im Garten gegeben, wo es jeder sehen kann, der die Straße entlang kommt, und sich an dem wunderlichen Spiel erfreuen.« Unter solchen Gesprächen verging der Abend. Da holte am Ende der Pfarrer die Bibel vom Bort und sagte: »Nun lesen wir vor dem Schlafengehen den achtundachtzigsten Psalm, ein Gebet in schwerer Anfechtung, denn Gott hat sein Antlitz vor der Gemeinde verborgen.« Da trat die Magd in das Zimmer, setzte sich bescheiden auf einen Stuhl an der Wand‚ und der Pfarrer begann: »Herr Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir. Laß mein Gebet vor dich kommen, neige deine Ohren meinem Gesicht.« Er las den Psalm bis zum letzten Vers: »Du machst, daß meine Freunde und Nächsten und meine Verwandten sich ferne von mir tun, um solches Elendes willen.« Und als er geendet, da schlug er das Buch zu, faltete seine Hände auf der Bibel und betete: »Herr Gott, mache, daß die Bergleute finden, was sie suchen, damit dein armes Volk wieder Nahrung hat, denn das Unglück ist sehr groß.«
Das fremde Fräulein bekam eine zinnerne Öllampe und ging die Treppen hoch zu ihrem Kämmerchen. Da betrachtete sie noch einmal die Laute, welche dem toten Studenten gehört hatte. Sie nahm sie von der Wand, schraubte an den Wirbeln, klimperte und stimmte sie. Dann zupfte sie ein paar Dreiklänge, legte die Hand beruhigend auf die Saiten und hängte die Laute wieder an die Wand. »Armer Mensch!« sagte sie seufzend. »Es ist schlimm, wenn einer anders ist als die andern Menschen.«
Als sie sich gelegt hatte, da schlief sie bald ein, und so lag das ganze Haus in tiefem Frieden bis zum Morgen.
Die Fremde wurde wach durch Geräusch im Haus. Sie sah zum Fenster, da stand draußen die Sonne schon hoch. Sie sprang aus dem Bett, wusch sich und kleidete sich an. Als sie in das Wohnzimmer trat, da empfing sie der Pfarrer mit freundlichem Lächeln, indem er, ihr beide Hände reichend, auf sie zuschritt. »Nun, mein allergnädigstes Fräulein, ich brauche nicht zu fragen, wie Ihr geruht habt.« Auch die Pfarrerin reichte ihr freundlich die Hand, und so setzte sich die Fremde zum Frühstück, indessen das Ehepaar mit Entschuldigungen sich entfernte und jedes an seine Arbeit ging.
Nach dem Frühstück stieg sie denn nun wieder zu ihrem Kämmerchen, holte die Laute und ging in den Garten. Sie ging zwischen den Beeten auf und ab, spielte und sang; und endlich trat sie auf die große steinerne Schnecke; mit einem Fuß hielt sie sich in der Schwebe, der leichte Frühlingswind wehte ihr Haar fort und Lautenband, und sie sang:
»Schöns Lieb, du bist jetzt bunden
stark an das Narrenseil;
spann du den Kloben besser auf
und fang ein' andre Närrin drauf,
ich werd dir nicht zuteil.«
Aber als sie den letzten Vers sang, da rollten ihr zwei runde Tränen über die Wangen hinunter, sie sprang von der Schnecke herab und behielt die Laute in der hängenden Hand.
Als sie auf der Schnecke gestanden und gesungen hatte, da war es gewesen, daß Kurt im Vorübergehen sie gesehen hatte wie ein Märchen; und dieses Bild eines harmlosen Glückes war nun in seiner Seele und wirkte in ihr.
Indessen aber dieses in Lautenthal geschah, hatte in Langelsheim Thilo von Uslar viele Gespräche mit seiner Mutter über die Fremde. Er fragte nach der ganzen herzoglichen Verwandtschaft, um zu erkunden, wer wohl das Fräulein von Glück sein konnte; aber seine Mutter wußte nicht mehr so ganz genau Bescheid, sie glaubte auch nicht, daß die Fremde eine Prinzessin war, und hielt sie eher für eine Hofdame, freilich für eine von den vornehmen. Er fragte seine Mutter, was sie an der Fremden beobachtet hatte, er sprach über ihre feine Art zu sitzen, zu gehen und zu stehen. Wenn sie etwas nahm, dann griff sie nie grob mit der ganzen Faust zu, sondern nur mit drei, oft auch nur mit zwei Fingern. Noch nie hatte er so schönes dickes, braunes Haar gesehen. Wenn sie in der Sonne stand, dann war es, als ob einzelne Funken in dem Haar aufblitzten. Endlich wurde Frau von Uslar unwirsch. Sie sagte: »Du hast deine Braut, die ist ein gutes Mädchen, und der hast du dein Wort gegeben. Gott wird auch einmal wieder bessere Tage schicken, daß ihr heiraten könnt. Nun hänge nicht Gedanken nach über andere Frauenspersonen. Das tut nicht gut. Ein Mann soll ein Weib haben, das hat Gott so geordnet. Sei du ein ehrlicher Kerl und sei kein Schleckermaul. Solche, die hinter den Weibern her sind, wickeln die Weiber auf ihren Wocken und spinnen sie ab.«
Nun konnte Thilo seiner Mutter nichts mehr sagen und mußte seine Gedanken in sich verschließen. Da sagte er denn endlich: »Ich will ausreiten, ich will in den Harz hineinreiten, ich habe solche Sorge um meine Braut, die will ich mir verreiten, denn ich weiß ja nicht, wie ich ihr helfen soll, daß sie bei ihrem Eigentum bleibt.« So sattelte er denn sein Pferd und setzte sich auf und ritt fort und kam nach Lautenthal.
Hier aber kam er an, als das Fräulein von Glück noch nachdenklich im Garten stand und die Laute in der hängenden Hand hielt. Er ritt auf dem Wege am Garten und sah von seinem Pferd herab; da grüßte er sie, und sie raffte sich zusammen und dankte ihm zierlich, und ein verschmitztes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Schnell stieg er vom Pferd herab und lehnte sich über den Gartenzaun. Das sah die alte Pfarrersmagd durch das Fenster und knurrte: »Den jungen Mann hat sie nun am Narrenseil; das sieht man doch; eine Hexe ist sie.« Der alte Diener der Fremden aber saß in der Küche auf einem hölzernen Stuhl; er hatte seine weißwollnen dicken Strümpfe über die Hose gezogen und war ohne Schuhe und hatte die Beine lang ausgestreckt zu dem fröhlich knisternden und knackenden Herd. Das Geknurr der Magd hatte er nicht verstanden; ihm war auch gleichgültig, was sie sagte; aber er dachte sich wohl so, was sie gesagt hatte. So sprach er hinter seinem hängenden Schnauzbart vor: »In mein allergnädigstes Fräulein sind viele verliebt. Aber freundlich gegen alle, mehr nicht. Und freundlich muß der Mensch sein, du altes Gerippe. Und wem unser Herrgott Schönheit verliehen hat, der muß doppelt freundlich sein, denn damit verdient er sich, daß er so schön ist.«
Thilo hatte inzwischen das Fräulein in ein Gespräch verflochten, das nicht sehr inhaltsreich war; er selber führte es etwas stockend, denn es fiel ihm immer nicht recht ein, wie er etwas vorbringen konnte, durch das es weiterging, während sie mit geläufigem Zünglein plauderte und schwatzte und dabei ganz harmlos und arglos tat. Er sagte, daß er habe dem Herrn Pfarrer seine Aufwartung machen wollen, aber der studiere wohl. Und wie nun das Gespräch weiterging und er fühlte, daß er es eigentlich abbrechen mußte, da sagte er, er wolle nun weiterreiten, denn er sei doch neugierig, wie die Geschichte mit dem Mühlknappen geworden sei, deshalb wolle er das Tal aufwärts reiten bis zur Lautenmühle; und als er das gesagt hatte, aus bloßer Verlegenheit, denn er hatte eigentlich an den guten Müller gar nicht mehr gedacht, da kam er auf einen neuen Gedanken, und er fuhr fort, ob es nicht dem allergnädigsten Fräulein Vergnügen machen werde, mitzukommen und sich gleichfalls nach dem guten Burschen umzusehen. Da huschte wieder der schelmische Zug über des Fräuleins Gesicht, und sie sagte zu und sagte dann, sie müsse nur der Pfarrerin Mitteilung machen und ihrem Diener Anweisung geben, das Roß zu satteln.
Mit diesen Worten ging sie schnell ins Haus. Sie stieg auf ihr Zimmer und hängte die Laute an ihre Stelle, und als sie die obere Treppe wieder herunterkam, da traf sie auf die Pfarrerin; die hatte Spiel und Gesang im Garten gehört, und da hatte sie weinen müssen. Nun waren ihre Augen noch ganz verweint. Das Fräulein tat, als ob sie davon nichts merke, und erklärte ihr freundlich, daß sie einen kurzen Ritt mit Herrn von Uslar machen wolle und zum Mittagessen um elf Uhr wieder pünktlich zu Hause sein werde. Herr von Uslar stand mit seinem Pferd, das er hielt, draußen auf der Straße vor der Haustür und grüßte zum Fenster hinauf, als die Pfarrerin hinausblickte. Das Fräulein aber gab dem Diener ihre Befehle und ging hinaus zu Herrn von Uslar, und bald kam auch der Diener mit den beiden Pferden. So ritten denn die zwei talaufwärts mit Schwatzen und Lachen und hinter ihnen der ehrbare Diener in steifer Haltung.
Die Dienstmagd war schnell aus der Küche in die Stube gelaufen und hatte da hinter dem Fenstervorhang gelauscht; nun die drei abritten, öffnete sie das Fenster und sah ihnen nach. Sie murmelte: »Und das lasse ich mir nicht nehmen, sie ist eine Hexe, und der alte Kerl mit dem langen weißen Schnurrbart ist ihr Hexenmeister, und den jungen Herrn von Uslar hat sie verhext; man sieht ihm ja im Rücken an, wie verliebt er in sie ist, trotzdem er so eine schöne und reiche Braut in Gittelde sitzen hat.«
Inzwischen aber war auf der Lautenmühle auch allerhand geschehen, nachdem Franz Bacher, den Stock im Kreise schwingend und scheinbar harmlos pfeifend, eingezogen war.
Auf der Diele hatte er den Müller getroffen. Der war alt geworden in dem Jahr. Er stand gebückt, mit dem Rücken zur Haustür, und ordnete langsam mit schwachen Händen drei Harken, die da in der Ecke standen; sie waren gebraucht, um die Wiesen rein zu harken. Als er die Tür gehen hörte, da sah er sich um. Er erkannte Franz nicht gleich, seine Lippen zitterten leicht. Da haute ihm Franz fröhlich mit der flachen Hand auf die Schulter und rief: »Kennt Ihr denn den Franz Bacher nicht mehr, Meister?« Da huschte es über das Gesicht des Meisters, er nahm die Hand des Knappen in seine beiden Hände und rief: »Der Franz, der Franz! Uns ist es schlecht gegangen; das Wasser ist nicht wiedergekommen; nun wächst das Gras im Gefluder.« Er sah so verfallen aus, daß dem Knappen vor Mitleiden die Tränen in die Augen traten. »Die Arbeit wird mir zu viel,« fuhr der Alte geschwätzig fort; »ich brauchte nun eine junge Kraft, und der Wied, den will ja das Käthchen nicht. Ich sage ihr immer: ›Nimm den Wied, sein Vater hat einen schönen Hof, den hat er gut in Schwung gebracht, im Krieg war der ganz zerstört, daran kann ich mich noch erinnern, und wenn er den Hof auch nicht erbt, so erbt er doch Geld, denn der Alte hat damals einen Schatz gefunden im Morgenbrotsthal, damit kauft er dann noch Wiesen zu, und wenn es denn auch keine Mühle mehr ist, so ist es doch ein Hof, und ihr habt zu leben.‹ Aber das Käthchen will ihn nicht. Das spricht immer nur von dem Franzel. Naja, naja!« Kopfschüttelnd schritt er zur Stube.
Da trat ein junger Bursch durch die Hintertür ins Haus; er hatte ein gesundes Gesicht mit roten Backen, ein leichter Flaum wuchs ihm auf der Oberlippe, er sah Franz mit frohen Augen an. Aber plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht, er zog die Stirn in Falten und fragte: »Wer ist denn das?«
»Das brauche ich dir gerade zu sagen,« erwiderte Franz; er hatte sofort gemerkt, daß der andere der Wied war, wie der auch einen unbestimmten Argwohn gegen ihn gefaßt hatte.
Trotzig ging Wied auf Franz zu, er schwang seine Arme mit den offenen Händen, als wolle er ihn angreifen. Der Alte kehrte sich um. Er schüttelte mißbilligend den Kopf und sagte: »Wenn ihr euch schlagen wollt, dann tut es draußen, hier im Haus ist Frieden.«
Aber da hatte Franz auch schon Felleisen und Stock fortgeworfen, hatte die Ärmel aufgekrempelt und sich auf Wied gestürzt. Er hatte ihn mit Untergriff gepackt, der andere konnte gar nicht mehr zu einem richtigen Griff kommen, er hob ihn hoch und schob sich mit dem gepackten Feind zur Haustür. In dem Augenblick tat die sich auf und Käthchen erschien. Sie wurde feuerrot im Gesicht, sie rief: »Der Franzel!«, dann stürzte sie sich von hinten auf den Wied und zerrte ihn am Rock; so half sie Franz, ihn aus dem Haus zu bringen; und als der nun draußen war, da setzte ihn Franz fein vorsichtig auf die Erde, daß er dasaß mit gespreizten Beinen und sich mit den Händen auf den Boden stützte, und dann ging er ins Haus zurück, zog die Hintertür zu, und da lag ihm auch das Käthchen schon an der Brust und hatte ihm die Arme um den Hals geschlungen, weinte und lachte und rief: »Bist du endlich gekommen, ich habe so lange gewartet.«
Der alte Müller schlug ärgerlich in die Hände, als er die beiden sah, und öffnete eben den Mund zum Schimpfen. Da tat sich die Hintertür auf, Wied steckte den Kopf durch den Spalt und rief: »Ich will dich überhaupt nicht, es gibt auch noch andere Mädchen!« Und ehe die beiden etwas sagen konnten, hatte er die Tür schon wieder zugeschlagen. Da lachten sie, dem Vater aber blieb das Schimpfwort in der Kehle stecken, als er sie so sah, und er sagte: »Meinetwegen, meinetwegen, macht, was ihr wollt!« Damit wollte er wütend in die Stube gehen. Die Tochter aber machte sich von Franz frei, sprang zu ihm, fiel ihm um den Hals und küßte ihn auf die stoppeligen Backen.
Der alte Müller streichelte dem Mädchen die Backen und sagte: »Gegen den Franz habe ich ja nichts, aber was soll denn werden, die Mühle geht nicht mehr, und von zwei Kühen könnt ihr nicht leben. Dann muß der Franz auf Tagelohn gehen. Meinetwegen, meinetwegen. Im Bergwerk legen sie auch keinen mehr an.«
Franz kratzte sich bestürzt den Kopf. Das war ihm nun alles so über den Hals gekommen, und beinahe hätte er das gesagt, aber er besann sich doch noch rechtzeitig, daß das nicht ging.
Käthchen stand nun allein, und die Worte des Vaters fielen auch ihr schwer auf das Herz. Sie hatte die Arme schlaff herabhängen. Da war es doch dem guten Franz, daß er sie trösten mußte. Er trat zu ihr, ergriff eine ihrer Hände, die sie ihm willenlos ließ, und sagte: »Das wird alles noch gut werden.« Er sagte es nicht mit Überzeugung; das Wort stockte ihm in der Kehle; Käthchen sah ihm in die Augen, dann warf sie die Schürze vor das Gesicht und lief weinend die schmale Treppe hoch zum Dachspeicher hinauf; Franz blickte ihr hilflos nach; der alte Müller sagte zu ihm: »Nun komm mit in die Stube und setze dich, das Käthchen bringt uns bald das Essen, du wirst wohl Hunger haben.« Verwirrt ergriff Franz Felleisen und Stock und folgte dem Alten in die Stube.
Da saßen nun die beiden. Im Ofen brannte ein helles Feuer, das durch die drei Ritzen der Ofentür leuchtete und knisterte, knackte und fauchte. »Das ist gut, daß man wenigstens in der Stube nicht zu frieren braucht,« sagte der alte Müller. »Ja,« erwiderte Franz und machte den alten Scherz, um über den peinlichen Eindruck des letzten Auftritts fortzukommen: »Das muß so heiß in der Stube sein, daß der Sauerkohl auf dem Fensterbrett kocht.« Da lachte der alte Mann vor sich hin und sagte zufrieden: »Daß der Sauerkohl auf dem Fensterbrett kocht,« und auch Franz lachte.
Nun begann der Alte zu klagen. Er konnte nachts nicht mehr schlafen. Das Klappern fehlte ihm. Und dann kamen die Gedanken, die verließen ihn nicht. Auch die Beine wollten nicht mehr so recht. Nun hatte er mit geharkt auf der Wiese, da war ihm doch, als ob ihm der Rücken abgebrochen war, richtig abgebrochen. Und zum Frühjahr muß doch geharkt werden! Sonst, das Käthchen war ja gut; aber ihren Kopf hatte sie, den hatte ihre Mutter auch gehabt. Weshalb wollte sie denn den Wied nicht?! Nein, sie sagte: »Ich bin eine Müllerstochter, da heirate ich keinen Bauern, da heirate ich einen Müller.« Und dabei blieb sie. Und das war nur, weil sie den Franz im Kopf hatte. Nur den Franz. Ach, richtig, das war ja nun der Franz, da saß er ja.
Franz sagte: »Das ist die treue Liebe. Was ich gesagt habe, das habe ich gesagt. Und da kann die ganze Welt dazwischen kommen.«
Draußen in der Küche hantierte Käthchen. Sie hantierte geräuschvoll. »Sie ist ärgerlich,« dachte Franz. »Aber ich habe ihr doch gar nichts getan, weshalb ist sie denn ärgerlich auf mich?« dachte er.
Käthchen kam in die Stube, schob den Tisch zurecht und nahm aus dem Tischkasten die Löffel. Dann holte sie die Teller vom Tellerbrett herunter und setzte sie auf den Tisch, ging hinaus und kam mit dem Breitopf zurück.
»Der Brei ist etwas angebrannt,« sagte sie gezwungen. »Aber es ist nicht schlimm. Ihr könnt ihn noch essen.« Die beiden Männer schwiegen, und Franz dachte: »Das ist, weil sie sich über mich geärgert hat.« Er dachte: »Eigentlich habe ich mich doch nun verplempert.«
Die drei begannen zu essen. »Der Brei ist angebrannt,« klagte der Alte. »Sonst schmeckte der Brei doch immer so gut. Aber heute geht alles schief. Mein Rücken tut mir auch so weh, wie abgebrochen ist er, die Arme allein und die Beine allein. Und der Brei ist auch angebrannt.« Er löffelte und brummelte dazwischen.
Franz sagte nichts und aß. Aber der Brei wollte ihm nicht recht rutschen, er blieb ihm im Mund, und da war es, als ob er anschwoll und immer mehr anschwoll; Franz drückte und drückte, und endlich brachte er einiges hinunter; aber wenn er auf seinen Teller sah, wo noch eine Masse Brei war, und der Brei war noch nicht einmal geschmalzt, dann war es ihm so, als ob er Angst kriegte. Käthchen merkte wohl, wie ihm zumute war; schadenfroh tröstete sie: »Wenn er erst über die dünne Stelle fort ist, dann ist alles gut; nur erst über die dünne Stelle fort.« Franz antwortete nicht, faßte sich Mut, nahm wieder einen Löffel voll vom Teller und schob den Brei wieder in den Mund; er mußte mit Anstrengung den Mund schließen, nachdem er den Brei hineingeschoben hatte.
Der Alte klagte: »Und das bekommt mir immer so schlecht, wenn der Brei angebrannt ist. Das war schon einmal so, da lebte meine selige Frau noch, da war der Brei auch angebrannt, und sie sagte, daß das nichts macht. Den ganzen nächsten Tag habe ich das noch gemerkt, daß der Brei angebrannt war.«
Käthchen tat, als ob ihr der Brei gut schmecke; sie löffelte schnell und hatte als erste ihren Teller geleert. Da stand sie auf und trug ihren Teller in die Küche, um ihn abzuwaschen. Als sie zurückkam, waren auch die beiden Männer mit essen fertig. Sie sagte: »Der halbe Topf ist noch voll; wollt ihr nicht noch einen Teller essen?« Der Vater sah sie erstaunt und nachdenklich an; aber Franz schüttelte den Kopf. Er erzählte, daß er zu Mittag im Junkerhaus in Langelsheim gegessen hatte, und da hatte es so viel gegeben, daß er noch ganz voll war. »So, im Junkerhaus,« sagte Käthchen, »da hast du wohl fein gegessen, das glaube ich schon.« Das meinte sie als einen Stich; Franz hätte ihr gern etwas geantwortet, aber es fiel ihm nichts ein, und so wollte er denn das Gespräch auf etwas anderes bringen und erzählte, daß da auch eine Komödiantin gekommen war, die hatte gleichfalls mitgegessen, die war eine schöne Person gewesen, mit Augen, die konnten durch ein Brett gucken, und wenn die einen ansah, so wußte man nicht mehr, wo man war.
Hier spitzte Käthchen die Ohren. Sie sagte: »Also mit Komödiantinnen bist du draußen in der Welt zusammen gewesen.« Der alte Mann hatte nicht recht verstanden, er fragte. Käthchen rief ihm ins Ohr: »Mit Komödiantinnen hat er sich herumgetrieben!« – »Mit Komödiantinnen,« sagte verwundert der Vater und schüttelte den Kopf. Er hatte das wohl nicht recht verstanden; denn er schloß: »Nun haben wir gegessen, nun wollen wir beten.« Er stand auf, und die andern erhoben sich gleichfalls, und nun beteten alle drei.
Franz merkte wohl, daß kein gut Wetter bei Käthchen war. So sagte er denn verlegen: »Nun will ich lieber gleich zu Bett gehen, ich bin doch den ganzen Tag auf den Beinen gewesen, da wird man müde. Ich schlafe wohl wieder in der Knappenkammer?«
Der Alte reichte ihm treuherzig die Hand und sagte: »Nun, schlafe nur ordentlich, du brauchst ja nicht aufzustehen und aufzuschütten.« Franz reichte auch Käthchen die Hand; aber die tat, als ob sie das nicht bemerke, und sagte schnippisch: »Guten Schlaf die erste Nacht und träume recht schön von deiner Wanderschaft.« Da ging Franz verlegen aus dem Zimmer; Käthchen aber räumte die beiden andern Teller ab, brachte sie in die Küche, wusch sie ab und weinte. Das Kätzchen strich sich an ihr hin und her mit gehobenem Schwanz und miaute.
Nun lag Franz in seinem alten Bett in der Knappenkammer, und der Mond stieg auf und schickte seine Strahlen auf die Erde, und die schienen nun gleichzeitig in das Schlafzimmer, in welchem Kurt mit ruhigem Gewissen schlief, und in das Schlafzimmer, in welchem Thilo sich schlummerlos wälzte und an das wunderschöne fremde Mädchen dachte, und in das Kämmerchen unter dem Dach, wo die Fremde zur Ruhe gegangen war, wo an der Wand die Laute des toten Studenten hing.
Franz lag im Bett und wühlte sich in die Kissen und lag unter dem Deckbett, das mit Federn gestopft war. Im ganzen Haus war es still, kein Rauschen und kein Klappern hörte man. Draußen war es still; zuletzt rief ein Käuzchen, ein anderes Käuzchen antwortete; so rief sich das Pärchen eine Weile zu, dann hörte man schweren Flügelschlag, und dann war wieder alles still. Alles war still.
Franz aber hatte Angst. Er konnte nicht schlafen. »Ich habe mich verplempert,« dachte er, »aber ich bin ihr doch auch treu gewesen, und noch nicht einmal einen Kuß habe ich ihr geben können, als ich ihr gute Nacht bot; das war so, als ob ich Luft bin. Und ein Bursch muß doch auch sehen, wie er vorwärtskommt im Leben.«
Wie gespenstisch war der Mondschein in der Knappenkammer und die Stille in der Mühle. Er konnte nicht schlafen. Er machte sich krumm und steckte den Kopf unter das Deckbett, da schwitzte er vor Angst; er steckte den Kopf wieder vor, und da war wieder der helle Mondschein. Er sah gerade durch das Fenster den Mond am Himmel, rund, ruhig und gleichgültig. Er sprang aus dem Bett und trat mit den bloßen Füßen auf den Estrich. Da wurde es ihm kalt, und er schlüpfte schnell wieder in das Bett zurück.
Die Nacht verging, und der Morgen kam. Franz hörte den alten Müller im Haus herumschlurfen, er hörte den Hahn, das Gackern der Hühner, eine Kuh im Stall brüllte; die Hintertür ging und klirrte, da ging das Käthchen wohl in den Stall zum Füttern und Melken. Franz dehnte sich im Bett. Was sollte er im Hause tun! Er hatte kein Tagwerk vor sich, und so kam er sich ganz elend und niedergedrückt vor. Er lag noch weiter im heißen Bett in dumpfem Brüten; das Käthchen kam wieder ins Haus zurück und wirtschaftete in der Küche. Da stand er endlich auf, er wusch sich und zog sich an und ging nach unten.
Da kam er an der Küche vorbei, in welcher das Käthchen vor der Anrichte stand und in dem großen Schmalztopf schabte. Als sie ihn plötzlich sah, da erschrak sie und ließ den Schmalztopf los; der taumelte, sie wollte ängstlich wieder nach ihm greifen, da gab sie ihm noch einen Stoß, und er taumelte von der Anrichte hinunter auf den Steinfußboden, wo er zerschellte. Sie stieß einen lauten Schrei aus, der Topf lag da in Scherben, und in den Scherben klebte das Schweineschmalz. »Daran bist du auch schuld!« rief sie wütend Franz zu, der verlegen in der Küchentür stand. Sie bückte sich, nahm den größten Scherben vorsichtig mit beiden Händen hoch und legte ihn auf die Anrichte, dann bückte sie sich wieder, und vorsichtig, damit nichts von dem Schmalz verlorengehen sollte, las sie die andern Scherben auf und legte sie neben das große Stück. Ein Klumpen Schmalz saß fett auf dem Boden. Sie nahm ihn sorgsam mit dem Messer auf. »Komm mir nicht nahe,« rief sie, »ich muß erst das Schmalz wieder haben, es ist unser letztes Schmalz.«
»Habt ihr denn noch nicht geschlachtet? Es ist doch schon Frühjahr,« fragte Franz erstaunt. – »Schlachten? Was denn?« rief das Mädchen, »wenn die Mühle nicht klappert, dann grunzt auch kein Schwein im Koben.«
Franz kratzte sich den Kopf und sah verlegen zur Seite. Er sagte: »Früher waren immer sieben Schweine, die wurden vom Laufmehl fett gemacht.«
Dem Mädchen liefen die Tränen über die Backen. »Fünf Schweine konnten wir immer verkaufen, die brachten ein schönes Geld,« sagte sie traurig.
»Müßt ihr euch denn so drücken?« fragte Franz mitleidig. »Hat denn dein Vater nicht gespart? Es heißt doch: ›Jung Müller, alte Herrn.'«
Käthchen schüttelte den Kopf und sagte leise: »Das weißt du doch selber, wie es hier war. Vater ist immer gut gewesen, er konnte die armen Leute nicht drücken. Wie vielen hat er den Mahlgroschen geschenkt! Da wird einer nicht reich. Ich bin ja auch immer zufrieden gewesen; was hat der Mensch vom Reichtum! Aber uns schenkt heute keiner etwas!« Sie schwieg ein paar Atemzüge lang. Dann fuhr sie fort: »Das ist nicht recht, daß ich das sage. Die andern Leute haben auch nichts. Die meisten haben es doch noch viel schwerer als wir.« Sie machte sich eifrig an ihren Scherben zu schaffen; nachdem sie die Stücke mit Schmalz auf die Anrichte gelegt, fegte sie die andern mit dem Reisbesen zusammen auf ein Kehrbrett, ging an Franz vorbei durch die Hintertür auf den Hof, warf sie dort zu Boden und kehrte zurück. Nun kratzte sie mit einem Messer das Schmalz aus den Scherben und tat es in einen neuen Topf.
Franz sagte verlegen: »Gestern abend, wie der Brei angebrannt war, habe ich doch nichts gesagt.«
»Das fehlte auch gerade noch, daß du da brummtest,« erwiderte ihm das Mädchen ärgerlich.
»In einer Stellung bin ich gewesen,« erzählte Franz nun selbstbewußt, »da kam die Müllerstochter nicht aus der Wohnstube heraus, da saß sie immer auf dem Thron am Fenster und spann, und in der Küche war eine Köchin, die mußte kochen und war auch für den Stall. Einmal war der Brei angebrannt, da kriegten ihn einfach die Schweine.«
Käthchen lächelte und erwiderte: »Weißt du, das ist eine gute Stelle gewesen. Wenn ich du wäre, ich ginge wieder nach dort. Hier hast du angebrannten Brei, und dort ...« plötzlich blitzten ihre Augen zornig: »Dort kannst du dich ja zu der Müllerstochter auf den Thron setzen und kannst Süßholz raspeln.«
»Das habe ich nicht getan,« rief nun Franz auftrumpfend, »ich bin ein ehrlicher Mühlenknappe, und was ich gesagt habe, das habe ich gesagt, und wenn ich mein Wort gegeben habe, dann bleibe ich auch treu, dafür bin ich ein Mühlenknappe.«
Käthchen ließ das Messer sinken, mit welchem sie das Schmalz aus den Scherben kratzte, und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. Da trat Franz von der Schwelle, wo er noch immer gestanden, in die Küche hinein, nahm sie in den Arm, die sich nicht sträubte, und küßte sie auf den Mund. Sie erwiderte den Kuß und sagte leise: »Wenn man nun einen Mann lieb hat!« Dann legte sie den Kopf auf seine Schulter und hielt ihn fest an sich gedrückt, und die Rührung überkam nun auch Franz, daß er nahe daran war zu weinen.
Sie sagte: »Ich reiße dich ins Unglück, du kannst anderswo dein Glück machen; und was hast du hier!« Dabei hielt sie ihn fest umfangen, und ihr Kopf lag immer an seiner Schulter. Er wurde verlegen, aber nun hielt sie ihn so fest umfaßt, und plötzlich wallte es in ihm auf, das war wohl große Liebe, und er sagte, ohne zu wissen, was er sagte: »Der alte Gott lebt noch, er wird uns schon helfen.«
Während die beiden so verliebt verloren dastanden, war das Kätzchen auf die Anrichte gesprungen, hatte sich an einen Scherben gemacht, in dem ein dicker Klumpen Schmalz saß, und leckte da zierlich. Käthchen riß sich los, rief laut: »Ach, du lieber Gott! Nun leckt uns die Katze auch noch das Schmalz weg!« und jagte das Tier fort, das aufgeschreckt einen weiten Sprung machte und aus der Küchentür wischte. Es war recht mager, das Kätzchen. »Ja, Mäuse sind nicht mehr in der Mühle; wo kein Mehl ist, da sind auch keine Mäuse,« sagte Käthchen, indem sie den Schaden besah. »Früher hat sie nicht genascht und war dabei rund wie eine Nudel. Und auf der Wiese fängt sie nicht, da hätte sie jetzt genug zu fangen, wo es Frühjahr ist und die Mäuse aus ihren Löchern kommen!«
Franz bückte den Kopf über die Anrichte und nahm den Scherben in die Hand. Wie er den Kopf hob, da war gerade der Augenblick, da Thilo mit der Fremden zu Pferde und dem Diener hinter sich ankam; Franz sah die Oberkörper und nickenden Pferdeköpfe über dem Hofzaun auftauchen, den er durch das Küchenfenster überblicken konnte. »Da kommt der Herr von Uslar mit der Komödiantin!« rief er. Mit einem leichten Aufschrei drehte sich Käthchen gegen das Fenster, sie errötete über und über und warf flüchtig einen neugierigen Blick hinaus; da sah sie gerade noch das letzte Ende vom Schleier der Fremden, der leicht im Wind wehte. »Sehe ich denn ordentlich aus?« fragte sie Franz und machte sich an ihrem Haar zu schaffen. Franz aber war schon von ihr fortgerannt, zur Haustür, hatte die aufgerissen und war zu den Reitern gelaufen, die eben vor dem Haus ankamen. Thilo sprang vom Pferd und wollte der Fremden beim Absteigen helfen; aber Franz war ihm zuvorgekommen; die Fremde gab sich seiner Sorgfalt, und er hob sie behutsam wie eine zarte Puppe aus zerbrechlichem Stoff aus dem Sattel auf die Erde. Da stand sie nun, und Thilo trat neben sie, indessen der Diener die beiden Pferde hielt.
Käthchen war in die Haustür getreten, hielt die Hand schirmend über die Augen und sah auf die beiden Besucher; hinter sie trat ihr Vater, der langsam aus der Wohnstube herausgekommen war. Er fragte Käthchen, was der Besuch bedeute und wer die Herrschaften seien, denn er war ja nicht vorbereitet und verstand nichts.
Die Fremde hatte einen Blick auf Franz geworfen, der unschlüssig auf der Straße stand, und auf Käthchen, die sich unbeweglich hielt, dann war sie auf Käthchen zugegangen, ihr beide Hände reichend, und dann rief sie: »So kann man also Glück wünschen!« Franz und Käthchen wurden beide rot, zögernd reichte Käthchen ihr die Hand und zog sie schnell wieder zurück.
Thilo und Franz sahen sich in die Augen. Der eine war ein Herr, und der andere war bloß ein Mühlenknappe. Der eine hielt die Fremde für eine Prinzessin und der andere bloß für eine abenteuernde Komödiantin. Sie sahen sich feindselig in die Augen, ohne sich über ihre Gefühle klar zu sein. Da ging Thilo auf Franz zu, reichte ihm die Hand und wünschte ihm Glück zu der Verlobung. Franz schüttelte die dargereichte Hand kräftig, indem er sich schräg auf das eine Bein stellte, dann zog er sich wieder zurück, stand mit gleichen Beinen und hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt. In die Stille hinein hörte man die Frage des alten Müllers an Käthchen: »Wozu wünschen denn die Herrschaften Glück?«
Da raffte sich Käthchen zusammen, trat vor die Fremde; reichte ihr die Hand und sagte: »Nun wünsche auch ich untertänigst Glück zu der Verlobung mit Herrn von Uslar.« Die Fremde lachte laut und lustig, und Thilo wurde bis hinter die Ohren rot. Die Fremde sagte: »Nein, das ist keine Verlobung, das war ein Irrtum, liebes Kind.« Dabei sah sie mit streifendem Blick, wie Franz erleichtert aufatmete, und da kam sie wieder ein tolles Lachen an, das alle Anwesenden befremdete.
Am Schluß sagte sie: »Ich möchte mir das Bett der Laute ansehen, ich möchte wissen, wie sie hat versiegen können.« Sie schritt mit Thilo um das Haus herum, da kam sie am Gefluder vorbei an das trockene Bett. Franz und Käthchen folgten ihr, als müßte das so sein, hinter denen ging schwerfällig der alte Müller. Der Diener mit den Pferden blieb auf der Landstraße vor dem Haus.
Eine kurze Weile ging die kleine Gesellschaft so. Dann sagte die Fremde: »Die Laute hat einen unterirdischen Abfluß gefunden. Sie kann wieder eingefangen werden. Da muß man mit der Rute suchen.« Sie stand da und sagte das kühl gelassen. Die andern hörten ihr erstaunt zu, der alte Müller schüttelte nachdenklich den Kopf.
Aber Käthchens Augen hingen angstvoll an der Fremden. Als die da noch stand, trat sie auf sie zu und sprach: »Allergnädigstes Fräulein, Ihr wollt jedem Menschen nur Gutes tun. Ich kann Euch ja nur dankbar sein. Nun bitte ich Euch, erweist uns die Ehre und kehrt bei uns ein.« Die Fremde lächelte und nahm dankend die Einladung an; die drei Männer aber waren verwundert über die seltsame Erregung des Mädchens.
Der Zug ging nun zum Haus zurück. In der Wohnstube wischte Käthchen einen Platz auf einer Bank, und die Fremde setzte sich mit freundlichem Lächeln, auch Thilo setzte sich. Draußen in der Küche füllte Käthchen Milch in zwei Gläser, sie schnitt Brot und legte die Schnitte auf ein sauberes lindenes Brett und bereitete das alles zierlich zu. Franz stand bei ihr. Sie sah ihn an, dann sagte sie: »Franz, du bist ein Esel.«
Darüber war Franz nun sehr erstaunt und wußte nicht gleich, was er ihr antworten sollte. Aber ehe er sich besonnen hatte, war Käthchen schon aus der Küche mit Milch und Brot und war im Wohnzimmer, und mit einem zierlichen Knicks und errötend vor Stolz bot sie das Angerichtete den Gästen dar. Die nahmen, aßen und tranken und lobten Brot und Milch. Käthchen stand vor ihnen und hörte die Lobsprüche mit glücklichem Gesicht an.
Das Fräulein sagte mit schalkhaftem Lächeln: »Ja, die Männer sind nun so! Dahinter muß man erst kommen, wenn man Mädchen ist; aber wenn man sie fest in der Kandare hält, dann geht es schon.«
»Ach, davor ist mir gar nicht bange,« sagte Käthchen. »Ein gutes Herz hat er ja, und versteht seine Arbeit, und arbeitet auch tüchtig. Nun, und das andere, das muß denn eben die Frau in den Kopf nehmen. Es ist nur, daß wir doch nicht mehr mahlen können; was soll denn da werden, wenn zwei Bettelleute zusammenkommen! Meinen denn das allergnädigste Fräulein wirklich, daß das Wasser wiederkommen kann?«
»Ich habe doch alles gesehen,« erwiderte das Fräulein, »und den Franz hatte ich schon gestern gern, und nun kenne ich dich auch. Da werde ich euch schon nicht zum besten haben. Nach menschlichem Ermessen kann es wieder alles in Ordnung kommen, und was ich dazu tun kann, das will ich tun.«
Da stürzte Käthchen auf die Fremde zu, sie schob den schweren Tisch mit einer einzigen Bewegung zur Seite, sie kniete vor der Fremden, ergriff deren Hand und küßte sie, und die Tränen strömten ihr aus den Augen. Sie rief: »Wenn das allergnädigste Fräulein das sagt, dann ist das auch wahr, denn das allergnädigste Fräulein kann nicht lügen, das sieht man doch, und das allergnädigste Fräulein weiß, wie es einem armen Mädchen ums Herz ist.«
»Ja, das weiß ich, mein liebes Kind,« sagte das Fräulein und erhob sich. Ihre Augen waren feucht geworden.
»Es ist doch auch um den Vater,« fuhr Käthchen verschämt fort. »Die Mühle ist sein Alles. Nun grämt er sich, aber er sagt nichts. Keinem Menschen sagt er ein Wort, auch mir nicht. Aber des Nachts höre ich ihn stöhnen, durch die Stubendecke höre ich ihn, da kann er nicht schlafen.«
Der Junker und das fremde Fräulein verabschiedeten sich von Käthchen. Als sie auf der Diele standen, da kamen noch der alte Müller und Franz; und so setzten sich denn die beiden wieder auf ihre Pferde und ritten fort.
Franz aber sagte zu Käthchen: »Du hast hier immer in der Lautenmühle gesessen. Was hast du von der Welt gesehen! Ich bin weit herumgekommen, ich bin auch bei Leipzig gewesen. Da lernt man die Menschen kennen. Ich sage dir, das sind nun eben die Komödianten. Wenn einer will, dann ist er ganz so wie ein Herzog und zieht sich so an und spricht auch so, ganz natürlich. Ich habe gleich gesehen‚ was die Fremde ist. Und das kann ich dir sagen, mir hat sie auch zugelacht. So hat mir das Herz geschlagen, wie sie mir zugelacht hat. Das gehört mit zu ihrem Geschäft.«
Aber als Franz sich so rühmte und brüstete, da verwirrten sich in Käthchen die Gedanken. Mit einem Male war das Bild verschwunden, das sie sich von der Fremden gemacht hatte, und eine heftige Eifersucht stieg in ihr hoch und verdunkelte ihr richtig die Augen. Sie faßte Franz fest am Arm und rief: »Geliebelt hast du mit der fremden Person, geküßt hast du sie? Pfui, schäme dich! Dich soll ein ehrliches Mädchen liebhaben, du löffelst da mit einer Zigeunerin herum, die durch die Welt strenzt!« Die Tränen standen ihr in den Augen, Franz wurde bestürzt und verlegen und stotterte: »Das heißt, so ist das nicht, ich habe sie ja gar nicht geküßt, sie hat mir ja auch bloß so zugelacht, das hat sie ja gar nicht so gemeint, wie du denkst.« Der alte Müller wurde ärgerlich und sagte: »Nun zankt euch nur wie die Bettelleute! Wenn das schon vor der Hochzeit so ist, wie soll denn das erst nachher werden!« Da schlang Käthchen die Arme um seinen Hals und weinte an seiner Brust, und der alte Mann streichelte ihr den Kopf. Franz aber kaute an den Nägeln und wußte nicht, was er sagen sollte.