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Fünftes Hauptstück

Der Pfarrer kam verspätet nach Hause. Da empfing ihn die Frau mit Klagen: nun hatte sie doch wollen die Gottesgabe nicht verderben lassen, deshalb hatte sie mit dem Fräulein und der Magd von dem Braten gegessen, solange er warm war, aber geschmeckt hatte es keinem von ihnen, weil der Herr nicht dabei war und sich des guten Essens mit freute. Für ihn hatte sie nun den Braten kalt aufgestellt; er war ja sehr gut, der kalte Schweinebraten; sie hatte schon versucht von ihm.

Der Pfarrer hörte die Klagen mit zerstreutem Gesichtsausdruck an, dann erzählte er mit ein paar Worten, was er erlebt, indessen er sich des Talars und der Beffchen entledigte. Da erstaunte die Pfarrerin sehr und schlug die Hände überm Kopf zusammen und sprach, daß der Geschworene so ein vernünftiger und ruhiger Mann gewesen war; nun waren die jungen Leute verheiratet, und das war gut so, da hatten die Leute nichts zu reden; und daß nun das Trauerjahr nicht gehalten war, das war ja wohl eigentlich eine Umgehung und eine Sünde, aber Gott sieht in unser Herz, und nach dem, das er in unseren Herzen findet, richtet er uns. Und mit solchen Worten bereitete sie dem Pfarrer das Essen, der ganz matt war durch Hunger und die Anstrengung seines Amts bei der Predigt, dem Abendmahl und der Trauung.

Die Pfarrersmagd hatte die Erzählung gehört, weil sie inzwischen das Essen hatte bringen müssen. Nun war sie in der Küche, da schüttelte sie den Kopf. Sie konnte das nicht für richtig halten, daß man so die Gebote Gottes übertrat und das Trauerjahr vernachlässigte. Sie konnte es auch nicht für richtig halten, daß der Herr Pfarrer sich dazu hergegeben hatte, dabei behilflich zu sein. Nun, man mußte sich über manches wundern, das geschah, das früher nicht war. Sie ging es ja nicht an; mochte die Welt ihren Lauf gehen, sie selber blieb nun eben bei ihrer eigenen Art.

Als der Pfarrer gegessen hatte, da erinnerte er sich des Päckchens, das der Bote ihm übergeben. Er stand schnell auf. Die Fremde saß oben auf ihrer Stube. Er stieg die Treppen hoch und klopfte an. Sie spielte auf der Laute des toten Sohnes. Als er eintrat, da sah er sie am Fenster sitzen mit der Laute im Schoß; nur einige Armlängen entfernt im Garten draußen wuchs ein blühender Apfelbaum in die blaue Luft.

Der Pfarrer sah scheu auf die Laute, dann erklärte er, daß er auf dem Gang zu dem Sterbenden den Boten getroffen; der habe ihm einen Brief gebracht, in dem stehe geschrieben, der Geheimrat wolle am Ende der Woche nach Lautenthal kommen, um sich den neuen Lautenthaler Glücksgang anzusehen, und außerdem habe der Bote ein Päckchen gebracht für das allergnädigste Fräulein von dem jungen Herzog Anton Ulrich, der ja nun für volljährig erklärt sei und mitregiere. Mit diesen Worten gab er dem Fräulein das Päckchen, das sie zögernd entgegennahm.

Das Fräulein hatte Scheu, das Päckchen zu öffnen, deshalb wollte sie nicht allein sein und suchte den Pfarrer zum Sprechen zu veranlassen. Sie fragte, ob der Bote aus Wolfenbüttel denn regelmäßig komme. Da verbreitete sich denn der Pfarrer in einer Erzählung über den Nachrichtendienst, wie der geordnet sei, und zwar gehe das alles vom Geheimrat aus, der sich gesagt habe: ein gutes Botennetz ist die halbe Regierung. Früher sei da eine ganz nachlässige Wirtschaft gewesen. Aber heute sei das alles ordentlich und genau eingeteilt, und die Zeiten werden auf die Minuten pünktlich eingehalten, weil der Geheimrat doch gewisse Knotenpunkte eingerichtet habe, wo die Boten ihre Briefe untereinander austauschen. Das Fräulein wurde verlegen, als der Pfarrer so rühmend von dem Geheimrat sprach, aber der merkte das nicht und fuhr fort mit Erzählen, was alles der Geheimrat geschaffen habe, seit ihm das Ohr der Herrschaften geneigt sei, und wie er alles verstehe und könne. Einmal habe er selber mit ihm zu tun gehabt, da sei er sich vor dem viel jüngeren Mann vorgekommen wie ein Junge. Ja, das sei der richtige Landesvater, schloß der Pfarrer, auf den könne man sich in allem verlassen.

Das Fräulein wollte das Gespräch auf einen andern Gegenstand bringen, deshalb fragte sie nach dem alten Geschworenen. Da erzählte der Pfarrer ihr alles: wie er ihm noch das Abendmahl gereicht, da habe er noch die volle Besinnung gehabt, und nach dem Abendmahl habe er angeordnet, daß die jungen Leute gleich noch vor seinem Ableben getraut werden sollten, weil sie doch nun beide allein in der Welt waren, und der junge Mann war schon als sein Nachfolger bestellt, das hatte auch in dem Brief gestanden, und auch da war er noch ganz klar und bei Besinnung, und während der Trauung, da muß es geschehen sein, daß er in das Jenseits hinübergeschlummert ist.

Das Fräulein seufzte und sagte: »Er hat noch alles in Ordnung gebracht, ehe er die Welt verließ. So sollte es immer sein. Es ist für junge Leute sehr schwer, wenn sie ihr künftiges Leben selber bestimmen sollen. Sie haben doch nicht die Erfahrung.«

Der Pfarrer sah auf die Laute und sagte: »Auch die erfahrenen Leute können sich irren, bei aller Liebe, die sie haben mögen. Unser Leben wird nun von Gott geleitet, und unsere Aufgabe ist, den Weg zu gehen, auf welchen er uns stellt. Aber das ist es: nicht immer sehen wir den Weg, auf den wir gestellt sind, und auch die Erfahrenen sehen ihn nicht.« Er stand auf von dem Stuhl, auf den er sich gesetzt.

»Was sollen wir da tun?« fragte das Fräulein.

»Beten,« erwiderte kurz der Pfarrer. »Beten und uns nicht zu sehr auf unsern dummen Verstand verlassen.« Er ging aus dem Zimmer und ließ das Fräulein allein.

Die saß nun in ihrem Stuhl am Fenster, und in ihrem Schoß lag das Päckchen des jungen Herzogs. Sie nahm das Päckchen in die Hand und betrachtete es; sie drehte es und wendete es und betrachtete es von allen Seiten. Es war mit dem Siegel des Herzogs Anton Ulrich versiegelt; sie erkannte den Abdruck des Fingerrings, den er beständig trug; er hatte es selber versiegelt, hatte es wohl auch selber gepackt.

Seufzend ergriff sie eine Schere und schnitt das Band durch; sie wollte das Siegel nicht verletzen. Dann wickelte sie das Papier auf; sie fand ein kleines Kästchen aus Holz mit zierlicher Einlage: ein Kranz, in welchem ein zärtliches Taubenpaar saß. Da biß sie sich auf die Lippe, ihr Gesicht nahm einen stolzen Ausdruck an, und sie öffnete das Kästchen. Auf dunkelgrünem Sammet lag eine goldene Kette mit einer goldenen Schaumünze; auf dieser war das Bildnis von Anton Ulrich eingeprägt. Das Fräulein nahm die Kette mit dem Anhänger in die Hand und betrachtete beides zerstreut. Dann ließ sie es in den Schoß sinken.

Ein Tischchen stand vor ihr, das zum Nähen bestimmt war. Sie legte die Arme auf das Tischchen und barg ihr Gesicht in die Arme und weinte; sie weinte in heftigen Stößen, die ihren ganzen Körper erschütterten. Das eingelegte Kästchen fiel auf den Boden, die Kette mit dem Anhänger glitt nach, und sie weinte weiter.

Lange saß sie so und weinte. Dann stand sie auf. Sie raffte schnell das Papier mit dem unverletzten Siegel, das Kästchen mit der verliebten Verzierung und die Kette auf, sie glättete das Papier, dann legte sie alles in eine Schublade, schloß, zog den Schlüssel ab und steckte den zu sich. Nun ging sie zu ihrer Waschkanne, goß Wasser in ihre Schüssel und wusch sich die rotgeweinten Augen und das geschwollene Gesicht.

Noch einmal sah sie aus dem Fenster in den blühenden Apfelbaum, in dessen Zweigen sich Sperlinge schilpend zankten; dann ging sie aus dem Stübchen und ging die Treppe hinunter.

Während das fremde Fräulein aber auf seiner Stube gesessen und die geschenkte Kette und Anhänger bedacht hatte, war in der Küche ein ärgerlicher Vorfall geschehen.

Der Diener der Fremden hatte von der Magd natürlich ein Stück von dem mittäglichen Schweinebraten bekommen. Er hatte gemurmelt, daß das Stück recht dünn sei, und die Magd hatte geantwortet, daß auch der Herr Pfarrer für sich selber kein dickeres Stück abschneide. Daraufhin hatte der Diener Max seinen langen, hängenden Schnurrbart gestrichen und hatte gesagt, daß der Herr Pfarrer auch erst um sechs Uhr morgens aufstehe und in der Stube sitze und Bücher lese, was keine Anstrengung sei, er aber müsse die Pferde striegeln und füttern, und dazu müsse er vor Tau und Tag aufstehen, und in Wind und Wetter müsse er hinaus, und da verlange der menschliche Körper eben mehr Nahrung. Die Magd hatte geantwortet, was der Diener tue, das sei keine Arbeit, aber der Herr Pfarrer tue Kopfarbeit, und Kopfarbeit zehre. Und so hatte denn ein Wort das andere gegeben, und Max hatte zuletzt der Magd auch vorgeworfen, daß er nie ein Stückchen Schinken bekommen habe, und die Magd hatte gesagt, sie esse auch nicht von dem Schinken, der sei für die Herrschaften, und er werde ohnehin zu schnell alle; und dann hatte sie geweint, hatte das Messer auf die Anrichte geworfen, mit dem sie eben eine Scheibe Brot hatte abschneiden wollen, und war zu der Frau Pfarrer in die Stube gelaufen und hatte ihr erzählt, was der Hexenmeister, den das fremde Fräulein bei sich habe, für grausliche Reden führe, und er habe gesagt, der Herr Pfarrer tue überhaupt keine Arbeit, da brauche er auch nicht zu essen, und solche Reden habe er geführt.

Da war nun denn der Frau Pfarrer der Zorn in den Kopf gestiegen, und sie war in die Küche gegangen. Da hatte Max seelenruhig an der Anrichte gesessen und hatte von einem großen Runken Brot ein Stück abgeschnitzelt und hatte es in den Mund geschoben und hatte für sich hin so gebrummelt, heute gebe es Schmorwurst beim Fleischer, aber an ihn komme auch nicht das kleinste Stückchen Schmorwurst. Da hatte nun die Frau Pfarrerin dem guten Max gehörig den Kopf gewaschen‚ und der war ganz kleinlaut geworden und hatte gesagt, gegen den Herrn Pfarrer habe er kein Wörtchen gesprochen und gegen die Frau Pfarrerin auch nicht, aber das alte Gerippe da habe ihn verklatscht, und mit allem Respekt vor der Frau Pfarrerin, mit den alten Weibern wolle er nichts zu tun haben, denn wenn die das Maul aufreißen, dann komme ein vernünftiger Mann doch nicht zu Worte, das gehe dann wie ein Mühlbach, und man habe schon mit den jungen Weibern sein Kreuz, was die für viele verrückte Einfälle haben.

Als nun das Fräulein die Treppe herunterkam, da gingen gerade diese Reden hin und her, und die Magd schlug jammernd in die Hände und beteuerte, solche unchristlichen Reden habe sie noch nie gehört. Das Fräulein rief streng: »Max, halt den Mund! In ein paar Tagen kommt der Geheimrat, dem sage ich, wie du dich hier aufführst!« Max zuckte verächtlich die Schultern, er schob das letzte Stück Brot in den Mund, verließ die Küche und ging zu seinen Pferden. »Und ich sage, er ist ein Hexenmeister,« erklärte die Magd und tippte mit dem Zeigefinger erregt auf die Anrichte.

»Martha, du bist dumm,« erwiderte die Frau Pfarrerin. »Jetzt sei ruhig und geh an deine Arbeit und störe uns nicht!« Die Magd brummelte und verließ die Küche.

Das Fräulein sah die ratlos dastehende Pfarrerin an; plötzlich konnte sie sich nicht mehr beherrschen, sie platzte los und brach in ein Lachen aus. Im Gesicht der Pfarrerin zog ein Unmut auf, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, mit den Dienstboten hat man seine Unruhe,« sagte sie.

Da erwiderte das Fräulein, daß sie für ihren Flegel von Diener um Entschuldigung bitte. Der sei nun so und sei nicht zu ändern, aber er sei eine ehrliche Haut und eine treue Seele, auf den man sich ganz verlassen könne; und das sei ja doch nun viel wert. Aber dann sprach sie weiter, ihr Aufenthalt hier habe ja nun schon länger gewährt, als sie eigentlich beabsichtigt hatte, denn sie hatte die Gastfreundschaft der Frau Pfarrerin eigentlich nur für eine Nacht in Anspruch nehmen wollen, und nun seien es doch mehrere Tage geworden, weil sie gedacht hatte, sie könne sich beim Bergwerk nützlich machen. Aber das sei nun geschehen, und vor Ende der Woche müsse sie ohnehin auf jeden Fall Lautenthal verlassen, und so sei es denn wohl das beste, wenn sie nach dem Auftritt zwischen den Dienstboten schon jetzt gehe, denn sie wisse ja wohl, wie es mit Dienstboten ist, und gerade die guten beherrschen uns, und wir können nichts gegen sie ausrichten.

Da lachte die Frau Pfarrerin, und dann wurde ihr Gesicht sehr traurig, und sie sagte, das würde ihr doch ein großer Kummer sein, wenn das Fräulein schon jetzt gehen wolle, und für morgen mittag habe ein Mann ihr Forellen versprochen, und sie würde das Gefühl haben, daß das Fräulein wegen der Unfreundlichkeit der Magd gehen wolle, und ihr sei der Besuch eine solche Freude gewesen, besonders weil das Fräulein öfter so schön auf der Laute gespielt und dazu gesungen habe. Und nun sei doch der alte Geschworene gestorben, da solle sie zum mindesten noch die Beerdigung abwarten, die am Dienstag sein werde, denn der Geschworene sei doch ein guter Mann gewesen. Ihre Magd aber wolle sie ermahnen, daß sie nicht so widerborstig sein solle gegen den Diener; es sei von der ja nicht böser Wille, sondern sie sei so besorgt für ihre Herrschaft, und das komme nun eben oft so ungeschickt heraus.

Gegen diese herzliche Rede konnte das Fräulein nichts sagen, so legte sie denn ihre schmale und weiße Hand in die feste Hand der Pfarrerin und dankte und sagte, daß sie denn also bis nach der Beerdigung bleiben wolle.

Sie sagte, daß der alte Geschworene ein wahrhaft guter Mann gewesen sei, und sie wolle gern einige Blumen bringen als ein Zeichen ihrer Verehrung; und da bat sie die Pfarrerin, ob sie sich einige Narzissen aus dem Garten abpflücken dürfe. Das erlaubte die ihr gern.

So verabschiedete sich denn das Fräulein von der Pfarrerin und ging in das Pfarrgärtchen, wo um die große versteinerte Schnecke herum die Narzissen blühten. Sie pflückte einen Strauß, ordnete ihn und umwand ihn mit einem Faden, den sie mitgebracht, und dann ging sie durch die stille Straße zu dem Hause des Geschworenen.

Es war unterdessen gegen Abend geworden, und die Sonne stand schon tief. Als sie die Hand auf die Türklinke legte, da wurde ihr klar, wieviel geschehen war, seitdem sie in dem Hause gewesen, und sie fühlte eine eigene Verbundenheit mit den Bewohnern. So trat sie in den Hausflur; da sah sie die Kölschen in der Küche wirtschaften; die nickte ihr zu, daß sie in die Stube gehen solle.

Sie klopfte an, und auf den Ruf trat sie ein. Da lag der Tote in weißem Hemd still und friedlich auf seinem Lager, und auf Stühlen vor ihm saß das junge Paar und hatte Hand in Hand gelegt.

Sie trat an das Bett und sah das Gesicht. »Er sieht, was wir nicht sehen,« sagte sie, dann legte sie ihren Strauß auf die Bettdecke und faltete die Hände zu einem Gebet. »Ich habe mir gelobt, ich will so leben, daß ich auch einmal so sterben kann,« sagte Kurt mit festem Ausdruck. »Das macht einen reifer, wenn man ein solches Sterben sieht.« Marie sah ihm mit schwimmenden und vertrauenden Augen ins Gesicht.

Nun standen die beiden Mädchen schweigend da. Kurt ging an das Schubfach und nahm den eingewickelten zweiten Löser heraus, den er in der Tasche mitgebracht. Er wickelte ihn aus und überreichte ihn dem Fräulein. »Der Löser ist aus dem ersten Silber geschlagen, das vom Lautenthaler Glücksgang gewonnen ist,« sagte er. »Ich habe ihn Euch zur Verehrung mitgebracht, weil Ihr uns doch den Gang angegeben habt. Das habe ich in meinen Verrechnungen, die ich den Herren Gewerken schuldig bin, schon angegeben.«

Das Fräulein nahm den Löser und errötete tief, als sie das Bild sah. »Ihr habt aus dem Lautenband ein schmales Segel gemacht,« sagte sie. »Ja,« erwiderte er. »Das ist das Glück, das geht nun leicht, und der Wind füllt das Segel und hilft seinem Gang.« – »Ich danke Euch,« sagte sie und reichte ihm mit offenem Blick das Händchen. »Ihr habt mir eine große Freude gemacht. Das Stück will ich aufheben und will mich immer an ihm freuen, und wenn ich einmal alt bin und den Löser ansehe, dann denke ich an die Tage in Lautenthal und an den guten alten Mann hier und an Euch.«

»Ein solches Stück muß man vererben,« sagte Kurt. »Auf dem ruht ein Segen. Das bringt Glück ins Haus, noch für Kind und Kindeskind.«

»Es heißt ja nun, daß der Herr Geheimrat kommen will und will sich das Bergwerk ansehen,« sagte Marie schüchtern. »Dem Herrn Geheimrat verdankt das Land viel. Deshalb wollen sie ihm eine Ehrenpforte bauen aus Tannenhecke. Ich habe so viel zu tun. Nun ist doch erst die Beerdigung.«

Da kamen ihr wieder die Tränen, und sie legte den Kopf an die Schulter ihres Mannes, und der zog sie zärtlich an sich. Er sagte: »Ja, den Herrn Geheimrat müssen wir ehren. Der weiß, daß der Harz die Perle am braunschweigischen Herzogshut ist. Auf dem liegt alles. Wenn der nicht wäre, dann wäre es schlimm. Ich bin ganz ruhig für meine Zukunft. Was der Herr Geheimrat tut, das ist richtig.«

Die Kölschen trat in das Zimmer. Sie trocknete sich die Hände an der Schürze und sagte: »Zwei junge Burschen wollen sich als wilde Männer verkleiden, wenn der Herr Geheimrat kommt. Die stehen rechts und links von der Ehrenpforte. Und oben von der Pforte herunter hängt ein Kranz mit einer Inschrift ‚Willkommen der Herr Geheimrat.'« Sie fuhr fort und wischte sich die Tränen mit der Schürze ab: »Das sagen alle, das ist ein Jammer, daß der Geschworene das nicht mehr erlebt, denn ihm verdankt doch Lautenthal das alles, denn er hat doch ausgehalten, und der Herr Geheimrat weiß das auch, daß der Geschworene ausgehalten hat, der weiß alles. Da hätte der Geschworene gewiß auch eine Verehrung bekommen.«

»Das ist doch schön, wenn im Volk ein solcher Glauben an einen Mann ist,« dachte das Fräulein. »Das habe ich nicht gewußt, was das ist. Es war doch gut, daß ich einmal aus der Luft des Hofes kam. Das ist alles hier ganz anders, als ich dachte. Ach, wäre ich ein einfaches Mädchen, wie diese Marie, dann fände ich einen Mann, der für mich paßt, auf den ich mich verlassen kann.« Ihr kamen die Tränen hoch. »Wie verlassen bin ich,« dachte sie. »Ich habe Vater verloren und Mutter verloren. Nun bin ich am Hof erzogen unter fremden Menschen. Ich weiß nicht, wo mein Heim ist. Wäre ich die Tochter dieses toten Mannes da, dann hätte ich dieses Häuschen und das Gärtchen, und das wäre mein Eigentum. Was ist denn mein Eigentum?«

Sie verabschiedete sich und ging zum Pfarrhaus zurück. Nun war es schon dunkel geworden, sie kam gerade rechtzeitig zum Abendbrot. Da saß sie denn mit den Pfarrersleuten in der gewohnten Stube an dem Tisch mit der Schieferplatte; die Narzissen, die sie am ersten Tag gepflückt und in einen Krug mit Wasser gestellt hatte, standen noch frisch in der Mitte des Tisches. Der Pfarrer erzählte aus früheren Zeiten, er erzählte von dem Geschworenen; das Fräulein hörte schweigend zu.

Als das Abendessen beendet war, da verabschiedete sie sich. Sie sagte, daß sie Kopfschmerzen habe und gleich auf ihre Stube gehen wolle. Sie ging die Treppen hoch und trat in die Stube; da lag der Mondschein auf der Diele.

Sie schloß die Lade auf, in welcher die Kette mit der Schaumünze lag, und hängte sich die Kette um den Hals; dann betrachtete sie sich in dem kleinen Spiegel, der zwischen den Fenstern hing. Sie konnte nicht viel erkennen; sie lächelte, nahm die Kette ab und schloß sie seufzend wieder fort; sie sagte leise zu sich: »Was denkt er sich denn?«

Nun verging die Nacht, und am nächsten Morgen verließ sie ihr Lager, kleidete sich an und stieg die Treppen hinunter. Da war alles, wie es sonst war, und es wurde gesprochen, was sonst gesprochen wurde. Sie ging in den Garten und trat aus der hinteren Gartentür ins Freie und stieg die Straße hoch, die höher führte, und dann kam sie auf einen Wiesenpfad, der zum Wald leitete. In dem Wald ging sie zwecklos und ziellos, indem sie allerhand bedachte; da war ein kleiner Wasserfluß, den überquerte sie; durch eine Schneise konnte sie hinunterblicken in das Tal, in welchem Lautenthal sich lagerte und dem Berg anschmiegte.

Und auch der übrige Teil des Tages verging in allerhand unbedeutenden Beschäftigungen.

Im Trauerhaus war inzwischen der Sarg bestellt; den brachten der Tischler und sein Geselle am Tage der Beerdigung. Sie stellten ihn auf der Diele auf zwei Stühlen auf; die Hausglocke war festgebunden, damit sie den Toten nicht in seinem Schlummer störte. Nun trugen sie den Toten in den Sarg; der Meister trug am Kopfende und der Geselle am Fußende; sie legten ihn sorgfältig auf die Hobelspäne, den Kopf auf das hobelspangestopfte Kissen. Kurt und Marie gingen zu beiden Seiten und halfen mit kleinen Leistungen, die nur ihren Willen bekunden sollten. Als der Tote im Sarge lag, da ergriffen die Tischler den Deckel, der an der Wand gestanden, um ihn aufzulegen. Da schluchzte Marie auf und verbarg ihr Gesicht an der Brust Kurts; die Tischler legten ihren Deckel auf und verdeckten das friedliche Gesicht des Toten mit den eingesunkenen Augen und dem freundlichen Mund. Dann setzten sie die Schrauben in ihre Löcher, ergriffen die Schraubenzieher und zogen die Schrauben an. Dann stand der verschlossene Sarg da.

Marie erhob das Gesicht von der Brust Kurts und sagte mit gefaßtem und ruhigem Ausdruck: »Nun habt ihr eure Pflicht getan als Tischler, nun müßt ihr erst etwas essen.« Sie ging voran in die Stube, wo das Bett des Toten stand; das zupfte sie schnell zurecht und deckte eine Decke über, indessen sich die Tischler an den Tisch setzten. Sie zog die Schublade des Tisches auf und entnahm ihr ein sauberes Tischtuch, das sie vorher hineingelegt; das deckte sie auf und glättete es mit den flachen Händen. Dann ging sie in die Küche und kam zurück mit einem unangeschnittenen Brot auf einem Holzbrett, mit einem Teller, auf dem verschiedenartige Würste lagen: Blutwurst, Leberwurst und Schmorwurst. Sie ging zum Wandschrank und entnahm dem eine Flasche Branntwein und zwei Gläser; und das alles richtete sie nun für die Tischler her, und die langten zu und aßen. Sie sprachen dabei mit unterdrückter Stimme von der Wurst und erzählten sich davon, daß der Fleischer in der vorigen Woche zum erstenmal wieder ein Schwein geschlachtet hatte, von dem nun diese Wurst kam; sie nahmen an, daß der Fleischer von nun an wieder jede Woche schlachten werde, denn es kam ja nun wieder Geld nach Lautenthal. Kurt und Marie standen bei dem Tisch, ermunterten zum Essen und schenkten auch jedem ein Glas Branntwein ein. Als die Tischler gesättigt waren, da erhoben sie sich, sie dankten für die reichliche Bewirtung und reichten dem jungen Ehepaar die Hand zum Abschied.

Inzwischen hatte die Kölschen aus der Nachbarschaft noch zwei Paar zinnerne Leuchter geborgt, denn es war nur ein Paar im Hause, und hatte auf jeden Leuchter ein Licht gesteckt. Die sechs Lichter standen nun auf dem Erdboden neben dem Sarg, auf jeder Seite drei. Die Kerzen waren noch nicht angezündet, aus Sparsamkeit; sie sollten erst angezündet werden, wenn die Stunde kam, da der Sarg geholt wurde. Aber geschnittene Tannhecke war vorbereitet, die wurde nun auf den Boden gestreut und duftete harzig nach Wald; und schon waren von den Nachbarn Kränze gekommen, die auf den Sarg gelegt wurden. Das waren Kränze aus Tannenhecke mit wenigen Blumen, wie der Frühling sie im Garten bot, Narzissen, Primeln und Tausendschönchen. Die Haustür ging oft, die tote Glocke bimmelte nicht, und weitere Kränze wurden gebracht von den Nachbarn. Kurt und Marie nahmen die Kränze an und dankten mit Handdruck den Bringern. Bald war der ganze Sarg bedeckt mit Kränzen, und noch immer öffnete sich die Tür und Leute kamen mit neuen Kränzen. Die mußten nun in der Ecke der Diele sorgfältig übereinander gelegt werden. »So beliebt ist der Vater gewesen,« sagte Marie.

Die Kölschen hatte das Mittagessen vorbereitet. »Wenn man traurig ist, dann hat man keinen Hunger,« sagte sie, »ich habe bloß eine Brotsuppe gemacht, ich selber kann gar nichts essen.« Sie trug die Schüssel mit der Suppe auf den Tisch und ordnete die irdenen Teller. Kurt und Marie setzten sich schweigend und aßen. »Da steht nun das leere Bett des Vaters,« sagte Marie schluchzend und legte den Löffel fort; sie hatte ihren Teller nur halb ausgegessen. »Du mußt essen,« sagte Kurt begütigend, »es steht dir heute noch viel bevor, das kannst du mit nüchternem Magen nicht aushalten.« Marie seufzte und nahm ihren Löffel wieder zur Hand.

Als die beiden gegessen, räumte Marie ab und brachte das Geschirr in die Küche zurück. Da saß die Kölschen auf ihrem Stuhl an der Anrichte und weinte. Sie sagte unter Tränen: »Wie oft habe ich dem Geschworenen die Brotsuppe gekocht! ›Kölschen,‹ sagte er mir, ›du kannst eine gute Brotsuppe machen, darin ist dir keine über.‹ Nämlich ich nehme nicht bloß Rindertalg, ich tue auch immer ein Stück Butter hinein. Das habe ich ihm aber nicht gesagt. Und Brotsuppe, die war sein Liebstes, die ging ihm über alles, so gern hat er die gegessen.«

Da mußte auch Marie wieder weinen; sie setzte sich auf den andern Stuhl der Kölschen gegenüber und barg ihr weinendes Gesicht in ihre Hände.

Die Beerdigung war auf ein Uhr angesetzt. Die Kölschen zündete die Kerzen an. Der Pfarrer kam im Talar, mit dem Buch unterm Arm, und sprach in der Stube mit Kurt und Marie. Draußen auf der Straße versammelten sich die Bergmusici. Nun kamen die Träger. Das waren sechs Mann, die drei Steiger und dazu drei Untersteiger. Die Kölschen nahm die Lichter und stellte sie in die beiden Dielenfenster, dann zogen die Männer weiße Leinentücher durch die Griffe des Sarges, hoben ihn und setzten ihn sich auf die Schultern, und so gingen sie durch die Tür auf die Straße. Draußen standen schon die Männer, welche der Leiche folgen wollten. Es waren fast alle Männer des Orts; fast alle waren Bergleute und trugen ihre Bergmannstracht.

Hinter dem Sarg ging der Pfarrer, nach ihm gingen Kurt und Marie, welche die Kränze trugen, die nicht auf dem Sarg Platz gehabt, dann schlossen sich die Bergmusici an, die einen Trauermarsch bliesen, und dann kamen die andern Männer. Die Kölschen stand in der Tür und sah, wie der Zug sich ordnete; in den Türen der andern Häuser standen Frauen und Kinder und sahen zu. Langsam trugen die sechs Männer den kranzgeschmückten Sarg und ging der Zug der Folgenden; die ganze Straße hinunter war er zu sehen, und als die ersten um die Ecke verschwanden, da hatten die letzten vor dem Trauerhaus sich noch nicht geordnet. Nun schlossen sich auch diese letzten zusammen, unordentlich und zufällig, wie es gerade kam, und es wurde leer vor dem Trauerhaus, und endlich waren auch die letzten um die Ecke gebogen.

Die Frauen in den Türen gingen in ihre Häuser zurück und machten sich wieder an ihre Arbeit, und die Kölschen schob den Riegel vor den einen Flügel der Haustür vor und klinkte den andern Flügel ein; sie nahm einen Stuhl, trat auf den und löste das Band, mit welchem die Klingel gehalten war; sie trug die Stühle, auf denen der Sarg gestanden, in die Stube, holte den Besen und kehrte die geschnittene Tannenhecke zusammen, mit welcher der Boden der Diele bestreut war; sie schob sie auf die Kehrschaufel und trug sie in die Ecke des Hofs auf den Unrathaufen. Dann löschte sie die Lichter und nahm sie aus dem Fenster.

Der Sarg aber und der Zug folgten der Straße, die bergauf führte zum Gottesacker. Da war das Grab gegraben und der lehmige und steinige Boden auf der Seite aufgehäuft; der Totengräber stand da mit der Hacke und Schaufel im lehmbeschmierten Anzug, der gegen die Feiertagskleider des Gefolges abstach; aber das war nun eben seine Arbeitstracht.

Das Grab war dicht neben dem Grabe der längst verstorbenen Frau des Toten gegraben. Da waren unten halbverfaulte Bretter des benachbarten Sarges zu sehen. »Dort liegt meine Mutter,« sagte Marie leise zu Kurt. »Nun sind sie wieder zusammen. Vater hat sich immer nach ihr gesehnt, er hat es nicht verwinden können, daß sie so früh gestorben ist.«

Die Musik setzte ab; die Männer stellten sich zu beiden Seiten des Grabes und ließen den Sarg an den leinenen Tüchern hinab. Nun stieg der Totengräber in das Grab und stellte sich auf den Sarg; er schraubte die messingnen Sarggriffe ab und reichte sie nach oben, dann stieg er wieder aus dem Grab heraus, und nun begann der Pfarrer seine Rede.

Alle standen barhäuptig und hörten andächtig die Bibelsprüche und die Rede an. Auf dem Wege war wohl öfter ein kurzes Wort gefallen über die alltäglichen Sorgen, wenn gute Bekannte nebeneinander gegangen waren; aber nun war tiefe Stille.

Der Pfarrer sprach, und die Leute lauschten, und alle dachten an den Toten und waren glücklich, daß nun der reiche Anbruch gefunden war, und daß alle wieder Arbeit haben sollten. »Er kann von hier aus zum Sanct Jacob sehen, genau so wie der Großvater,« dachte Marie und trocknete sich die Tränen.

Als der Pfarrer geendet hatte, da sagte er: »Von Staub bist du gekommen, zu Staub sollst du wieder werden,« und warf drei Hände voll Erde auf den Sarg. Marie faßte Kurts Arm, dann trat sie zu dem Hügel der ausgegrabenen Erde und warf drei Hände voll Erde in die Grube, ihr folgte Kurt.

Unterdessen aber war das fremde Fräulein aus dem Pfarrhaus gegangen. Sie hatte die Laute in der Hand und fragte die Pfarrerin, ob sie mit der in den Wald gehen dürfe. Die nickte bejahend. Nun saß sie an der Stelle im Wald, wo sie gestern den kleinen Wasserlauf überschritten hatte; sie saß auf einem moosbewachsenen Stein, und unter ihr gluckte, rieselte und plätscherte das Wässerchen. Da standen Stengel mit welkzerfetzten Fiedern vorjährigen Farnkrauts, und neue Blätter hoben sich schneckenförmig in brauner Hülse aus der Erde, die sich entrollen wollten und sich strecken; das goldig trockne Laub am Boden rauschte leicht auf, wenn ein flüchtiger Windstoß kam; sie blickte an den silbergrauen, festen Buchenstämmen hoch; da breiteten sich oben die Äste; und die Nachbarstämme wuchsen mit den äußersten feinen Zweigen zusammen und ineinander; schon waren die hellgrünen Blätter hervorgekommen in den wenigen Tagen, daß sie nun hier war, sie hingen schlaff hernieder.

Durch die Stämme hindurch sah sie in das Tal mit den Häuserchen und der Kirche. Da ging der lange Zug hinter dem getragenen Sarg, er zog sich langsam auf der Straße den Berg hoch in den Gottesacker. Sie sah das frische Grab, neben dem der Totengräber stand, dann sah sie, wie der Sarg in das Grab gelassen wurde, wie die Leute sich auf dem Kirchhof verteilten, um die Predigt anzuhören, in den schmalen Gängen zwischen den Gräbern, auf den schmalen Wegen. Undeutlich schlug das Geräusch der Rede nach oben; gelegentlich konnte sie einmal ein Wort auffassen.

Eine süße Müdigkeit überkam sie; sie nahm die Laute zur Hand, stimmte sie und zupfte ein paar Klänge. Dann sang sie mit leiser Stimme und begleitete sich mit einigen Klängen der Laute:

»Wohl kommt der Mai
mit mancherlei
der Blumen zart
nach seiner Art;
erquicket, das
verdorben was
durch Winters Gewalt.
Da freuet sich ganz mannigfalt.

Alles, das da lebt,
sich jetzt erhebt,
der Vögel Gesang,
welcher vor lang
verschwiegen was;
auch Laub und Gras,
das grünet schon:
Deshalb ich nicht trauern kann.

Und sonderlich
erfreu ich mich
heimlichen des,
ich weiß wohl, wes,
darvon man nicht
viel anders spricht,
noch sagen soll.
Wie es nun wöll, gerät's mir wohl.«

In ihren Gesang fielen die Vögel ein, welche zu Schweigen gekommen waren, als sie den Wald betreten und trockene Zweige unter ihren Füßen geknackt hatten. Da schlugen Fink, Zeisig und Hänfling, sie kamen herangeflattert und gehüpft und setzten sich auf nahe Zweige und schauten mit runden Perlenaugen auf die Sängerin. Als sie geendet, da legte sie die Hand auf die Saiten, um sie zu schweigen, aber da fingen die Vögel erst recht an zu singen; Meisen kamen und schwätzten mit leiser Stimme; eine Amsel, schwarz, mit gelbem Schnabel, kam schwer herangehüpft und rief, daß ihr Ruf die andern übertönte.

Als sie nun so gedankenlos glücklich saß und den Vögeln lauschte, da glitt ihr Blick zufällig wieder in das Tal, zu dem Gottesacker. Da sah sie auf dem eine merkwürdige Bewegung und Unruhe. Es war da wie ein aufgestörter Ameisenhaufen. Dann sah sie eine Bewegung, als wenn es sich ordnen wollte. Die meisten Menschen zogen nach einer Richtung eilig ab; einige Menschen aber blieben auf dem Gottesacker stehen und redeten heftig miteinander, indem sie mit den Armen fuchtelten. Der Totengräber schaufelte noch das Grab zu, er war noch nicht fertig mit seiner Arbeit; die Kränze lagen unordentlich auf den benachbarten Gräbern, wie die Menschen sie niedergelegt hatten, die fortgegangen waren.

Es war aber geschehen, während die Leute noch das Grab umstanden und der Totengräber die ersten Schaufeln Erde hineinwarf, daß ein Bergmann im gelbbeschmutzten Arbeitskittel vom neuen Stollen heraufgelaufen kam und nach dem neuen Geschworenen rief. Es war Wasser eingebrochen, in kurzer Zeit hatte der Gang, welcher in den Berg hineingearbeitet war, unter Wasser gestanden; nun lief das Wasser schon aus dem Stollen heraus und rauschte in die Innerste.

Kurt machte sich schnell auf, fast alle Leute folgten ihm, um sich das Unglück mit anzusehen, einige eilten nach Hause, um ihr Arbeitsgewand anzuziehen und dann vielleicht zu helfen. Ein kleiner Kreis aber blieb zurück.

Da stand ein Schuster, ein blasser, verkrüppelter Mensch mit stechenden Augen. Der sagte: »Das habe ich gleich gewußt, ich habe es auch gesagt: Das ist ein Teufelswerk, das da mit der Wünschelrute getrieben ist, und auch der Geschworene hat Teufelswerk getrieben. Das geschieht oft, daß der Teufel sich verkleidet, als ob er ein christlicher Mann ist. Aber die Hexenmeister und Hexen, die kennen einander vom Blocksberg her, wo sie zusammenkommen. Darum hat auch der Geschworene das fremde Fräulein gleich erkannt. Woher ist der gekommen? Wohin will die gehen? Keiner weiß das. Aber ihr Diener hinkt, das habe ich selber beobachtet, und gotteslästerliche Reden führt er. Und daß sie beim Herrn Pfarrer wohnt, damit streut sie mir keinen Sand in die Augen.« Er sah sich ängstlich um. Der Pfarrer war nach Hause gegangen, seinen Talar abzulegen; er wollte nachher gleichfalls zum neuen Stollen gehen. Der Schuster legte die Hand an den Mund und sagte flüsternd: »Erst muß mir der Herr Pfarrer beweisen, daß er nicht selber etwas mit der Teufelsbrut zu tun hat.«

Einige Männer, welche die Rede gehört hatten, zuckten die Achseln, andere machten bedenkliche Gesichter. Einer sagte ruhig: »Du solltest lieber deinem Handwerk besser nachgehen, Schuster, als dich in solche Sachen zu mengen, von denen du nichts verstehst. Wenn das der Obrigkeit zu Ohren kommt, was du da geschwatzt hast, dann wirst du bestraft, und die Obrigkeit hat recht, wenn sie dich bestraft.«

»Was habe ich gesagt?« fragte der Schuster erschrocken. »Nichts habe ich gesagt. Ich weiß von nichts. Ich treibe mein Handwerk, mein ehrliches Handwerk, meine sechs Kinder wollen ernährt sein, da bekümmere ich mich nicht um Geschichten, die mich nichts angehen.«

»Ja, tu das nur,« sagte der andere Mann ernst und wendete sich zum Gehen. Er ging gleichfalls in der Richtung zum neuen Stollen; die andern folgten ihm, auch der Schuster.

Im Ort hatte sich das Gerücht von dem Unglück im Stollen schnell verbreitet. Auch die Frauen und Kinder machten sich auf und liefen zum Stolleneingang. Da standen nun alle Leute aus dem Ort dicht gedrängt; die vorderen starrten auf den Stolleneingang, aus dem gelbes, lehmiges Wasser mit Macht hervorbrach; es hatte sich schon tief eingewühlt und brauste in die Innerste hinunter. Die hintenstehenden reckten sich auf die Fußspitzen und suchten etwas von dem Anblick zu erhaschen. Ganz zu hinterst fragten die Leute mit bangen und leisen Worten einander. Jungen suchten sich durchzudrängen, um nach vorn zu kommen, und wurden ausgezankt.

Kurt stand vorn. Er hatte Marien nach Hause geschickt, um den Grubenanzug und die Krempelstiefel des gestorbenen Geschworenen zu bringen. Er ging in das Pochwerk hinunter in die Zechenstube, da kleidete er sich schnell um; er kam mit einer Stange und der brennenden Grubenlampe zurück. Marie erfaßte die Hand, welche die Stange hielt, mit beiden Händen; aber er schüttelte ärgerlich den Kopf und riß sich los. Nun ließ er sich in das Bett hinab, welches das Wasser sich gerissen; er tastete sich mit der Stange vorwärts; das Wasser ging ihm fast bis an den Leib; die Krempelstiefel waren hochgezogen, sie standen nur etwa einen Zoll noch über dem Wasser. Langsam konnte sich Kurt durch den Wasserdruck vorarbeiten. Nun verschwand er im Stolleneingang.

Ein Junge warf sich auf den Boden und reckte den Kopf über das Wasser; so konnte er in den Stollen hineinschauen und das Licht verfolgen, das sich in dem trüben Wasser widerspiegelte. »Er ist schon ganz weit drinnen!« rief er. Alle Leute schwiegen und starrten; Marie hatte die Hände gefaltet und betete. »Nun kann ich nichts mehr sehen!« rief der Junge. Marie schrie auf. Ein alter Mann nahm sie in den Arm und tröstete sie. Er sagte: »Laßt nur, junge Frau! Wenn ihm etwas geschieht, dann treibt ihn das Wasser gleich heraus, dann sehen wir ihn hier kommen. Es ist nichts.« – »Jetzt sehe ich das Licht wieder!« schrie der Junge. »Ganz klein!«

Atemlos starrten die Leute in den dunkeln Stolleneingang. Zuweilen flüsterte einer dem andern eine Bemerkung zu. Eine der Bohlen, auf welchen man im Stollen gegangen war, kam herausgeschwommen. »Das ist die Gefahr,« sagte einer leise zum andern, »wenn eine Bohle auf ihn loskommt.« – »Er sieht sie ja kommen,« erwiderte der Angeredete, »dann gibt er ihr mit der Stange ihre Richtung. Dazu wird er die Stange wohl mitgenommen haben.« Er drängte sich zu Marien durch, tippte ihr auf die Schulter und sagte: »Keine Angst, junge Frau, es ist keine Gefahr.«

Von der Lautenmühle war Käthe im Ort gewesen. Sie hatte sich die schöne Beerdigung ansehen wollen. Sie war zu einem Bäcker gegangen, aus dessen Fenster hatte sie den Zug gesehen. Als die Geschichte von dem Wassereinbruch gekommen war, da wurde sie unruhig und eilte nach Hause. Sie ging nicht den gewöhnlichen Weg zur Mühle, sondern sie kürzte ab. So kam sie an der Stelle vorbei, da die Fremde an dem Wasserlauf saß, die Laute im Schoß liegen hatte und den Vögeln lauschte.

Zu Hause erzählte sie Franz: »Da wurde mir unheimlich zumute. Das fremde Fräulein saß da und spielte, und alle Vögel saßen um sie herum und sperrten ihre Schnabel auf, und die Fische hielten die Köpfe aus dem Wasser und lauschten. Das fremde Fräulein ist eine Wasserfrau. Das wird doch erzählt, daß die im Wasser leben, und da sind sie glücklich, denn sie haben nicht Sorgen und Kummer, wie wir Menschen haben; aber sie haben auch keine Seele; deshalb, wenn sie die Kirchenglocken hören, dann werden sie traurig und weinen, und so kommen sie zu den Menschen und sind gut zu denen und tun ihnen allerhand Wohltaten, weil sie doch über alle Schätze gebieten, verschenken Ringe und Kleinodien und zeigen die verborgenen Metalle von Silber und Gold und gehen auch in die Kirche, hören die Predigt und sehen und hören zu beim Heiligen Abendmahl, aber beten können sie nicht, wenn sie auch die Hände falten, und das Abendmahl nehmen können sie auch nicht.«

Franz erwiderte brummig: »Du schwatzt, wie du es verstehst. Geh du an deine Arbeit und bekümmere dich nicht um solche Dinge! Mir kommt solches Zigeunerwesen nicht wieder ins Haus. Wir haben hier Vieh, das kann behext werden, daß es Blut gibt statt Milch. Das habe ich schon selber mit angesehen. Da muß man vorsichtig sein. Wenn jetzt der neue Gang ersäuft‚ was habe ich dann von der ganzen Rutengeherei? Gar nichts. Dann können sie keinen beim Bergwerk anlegen.«

»Ich dachte nur, weil sie doch gesagt hatte, daß die Laute schon wiederkommt,« sagte kleinlaut Käthchen.

»Die sagt viel. Das kennt man schon,« erwiderte Franz.

»Ich glaube es ja auch nicht,« beteuerte Käthchen. »Ich glaube ja, sie ist eine ganz schlechte Person. Das sagen die Leute in Lautenthal ja auch. Die sagen: ›Verbrannt muß sie werden, von der kommt das ganze Unglück!‹ Aber die Obrigkeit tut ja nicht mehr ihre Pflicht gegenüber dem Hexengesindel. Die Obrigkeit merkt freilich nichts von dem Unglück, das da angerichtet wird. Das müssen wir allein ausbaden.« Als sie das gesagt hatte, da weinte sie herzbrechend, und Franz wurde ärgerlich über sie, denn er dachte sich, daß sie sich nun wohl im Innern überlegte, ob er nicht heimlich ausreißen wolle; denn eigentlich hatte er sich doch nun verplempert, denn er war doch ein Mühlenknappe; und nun eine Mühle ohne Wasser und bloß Futter für zwei Kühe!

Unterdessen war nun aber der Tag zu Ende gegangen, und die Dunkelheit zog auf. Da geschah es in Langelsheim, daß Thilo von Uslar zu seiner Mutter sagte, er fühle eine eigentümliche Unruhe, und es sei ihm, als wenn dem fremden Fräulein in Lautenthal Gefahr drohe. Deshalb wolle er Satteln und nach Lautenthal reiten.

Die Mutter machte große Augen; sie sagte: »Zu nachtschlafender Zeit willst du nach Lautenthal reiten? Was soll denn das bedeuten? Was ist denn das für ein Unsinn, daß dem Fräulein Gefahr drohen soll? Was geht dich denn das Fräulein an?«

»Mutter, wir verdanken ihr, daß unsere Kuxe wieder Ausbeute geben werden,« sagte Thilo. »Das ist doch wohl etwas. Ich habe mich die ganzen drei Tage hindurch nicht nach ihr umgesehen, ich habe ihr noch nicht einmal gedankt.«

»Morgen ist auch ein Tag,« erwiderte Frau von Uslar. »Du kannst morgen früh reiten.«

»Ich reite aber heute. Und überhaupt, ich gehe nach Venedig. Ich will endlich einmal aus der Kinderstube herauskommen,« sagte Thilo.

»Wenn du es so gern willst,« erwiderte die Mutter, »ich habe ja nur aus Besorgnis gesprochen, weil es schon dunkel wird. Ich will dir doch keine Befehle geben.«

Thilo wurde befangen. Er sagte: »Du mußt es mir nicht übel deuten. Es läßt mir keine Ruhe. Ich weiß, daß du denkst, ich bin verliebt in das Fräulein. Ich habe doch meine Braut. Aber das Fräulein hat doch auch für uns den Anbruch gefunden.« Er umarmte seine Mutter und küßte sie auf die Stirn. Sie sagte zu ihm: »Du machst mit mir, was du willst. Geh nur! Ich will beten, daß dir nichts geschieht in der Nacht.«

So ließ Thilo seine Mutter, eilte in den Stall, sattelte und zäumte sein Pferd und ritt los nach Lautenthal.

Er kam an, als in den Häuserchen die Lichter brannten. Es fiel ihm auf, daß viele Menschen auf der Straße waren; die standen zusammen und sprachen miteinander in gedämpftem Ton. Von einer Gruppe wurde Thilo erkannt, er wurde begrüßt. Ein Mann rief: »Wißt Ihr schon, daß die Wasser in den neuen Stollen eingebrochen sind? Die Wasser sind nicht zu halten.«

Thilo brachte sein Pferd zum Stehen, er erkundigte sich nach Näherem. Die Leute drängten sich um ihn. Es wurde ihm erzählt, daß viele glaubten, der Einbruch der Wasser sei Hexenwerk. Diese Männer, die da standen, glaubten das nicht. Aber es wurde nun so gemunkelt und man konnte nicht wissen, ob nicht doch etwas an dem Gerede war. Thilo erwiderte ärgerlich: »Das ist dummes Zeug. Der Teufel hat Wichtigeres zu tun, als sich um Lautenthal zu bemühen.« Die Leute traten auseinander, er grüßte zum Abschied und ritt zum Pfarrhaus.

Im Pfarrhaus waren alle Fenster erleuchtet. Das alte Ehepaar war erregt, die Magd sprach heftig auf die beiden ein, indem sie mit den Händen fuchtelte, und der Pfarrer sagte: »Du bist ein Gans, Martha.« Die Fremde stand ruhig zur Seite.

Als Thilo eintrat, beachtete der Pfarrer gar nicht seine Begrüßung. Er zog ihn am Ärmel zu einem großen Stein, der da auf der Diele lag. »Den Stein haben sie mir durch das Fenster geworfen,« sagte er. »Gleich wieder fortgelaufen. Nichts von den Tätern zu sehen.«

»Ich weiß, wem das gilt! Ich weiß, wem das gilt! Dem Herrn Pfarrer nicht!« schrie die Magd aufgeregt.

»Geh in deine Küche, Martha, und sei still!« sagte der Pfarrer. Die Magd entfernte sich murrend.

»Ich hatte schon gestern die Absicht, Lautenthal zu verlassen,« sagte das Fräulein ruhig. »Es tut mir leid, daß ich sie nicht ausgeführt habe. Nun hat der Herr Pfarrer meinetwegen solche Unannehmlichkeiten.«

»Wenn ich nur eine Ahnung davon hätte, wer es gewesen sein kann! Dem Schuster traue ich nicht,« sagte der Pfarrer nachdenklich. »Aber der hat den Stein nicht geworfen. Das sind junge Burschen gewesen. Das habe ich am Klang gemerkt, als sie fortliefen.«

Als alle noch so bestürzt und nachdenklich um den großen Stein herumstanden, kam Kurt eilig in das Haus. Er erzählte mit kurzen Worten, daß ein dummes Geschwätz umgehe, das fremde Fräulein sei schuld an dem Wassereinbruch. Er habe in seiner Heimat einmal erlebt, daß ein Unglück geschehen sei durch die Leute in ihrem Wahn, und er rate dringend, daß das Fräulein jetzt gleich den Ort verlasse. Er biete sich an, sie zu begleiten.

»Ich habe ja Max bei mir,« sagte die Fremde. »Vielen Dank für die Freundlichkeit, aber es wird schon nichts geschehen.«

»Wir begleiten Euch beide,« sagte Thilo. Er wendete sich zu Kurt: »Besorgt Euch ein Pferd. Wenn drei Männer mit dem Fräulein abreiten, dann wird schon nichts geschehen.« Er wendete sich zu der Fremden: »Wenn es Euch recht ist, dann bringe ich Euch nach Gittelde zu Fräulein Koch.«

Das Fräulein sah, daß die Männer ernste und besorgte Gesichter machten. Sie fragte in ängstlichem Ton: »Aber dann bleiben der Herr Pfarrer und seine Frau ja allein hier?«

»Uns geschieht nichts,« sagte der Pfarrer. »Ich weiß ja nicht, ob die Gefahr für Euch so groß ist, wie die beiden jungen Männer denken; aber immerhin ist Vorsicht besser als Leichtsinn. Erinnert Euch, Fräulein, wie ich Euch vor dem Rutengehen warnte! Kein Mensch kann wissen, was aus solchen Beziehungen zu unbekannten Mächten kommen kann.«

Kurt eilte fort zu einem Fuhrherrn, der für das Bergwerk Fuhren machte, um sich ein Pferd auszuleihen. Er kam an seinem eigenen Haus vorbei. Da stand seine junge Frau in der Tür. Sie eilte auf ihn zu, umklammerte ihn. »Sie will dich mir fortnehmen!« sagte sie; »sie will dich mir fortnehmen!«

Kurt lachte, aber er lachte erregt. »Wir bringen sie nur nach Gittelde,« sagte er. Er wollte sich von ihr losmachen, aber sie hielt seinen Arm fest, und so ging sie denn mit ihm weiter, indem sie hilflos sich seinem eiligen Schritt anpaßte. Die beiden traten in das Haus des Fuhrherrn.

Der trat ihnen entgegen, in blauem Kittel, manchesterner Kniehose und hohen Gamaschen. Kurt trug sein Anliegen vor. Marie fiel ihm in die Rede: »Ich will auch mitreiten! Ich lasse meinen Mann nicht allein!«

Der Fuhrherr kratzte sich den Kopf. »Seine Gäule verborgt man ja nicht gern,« sagte er. »Ich reite mit!« rief Marie dazwischen. Kurt ging nicht auf ihre Worte ein, er sah angstvoll dem Fuhrherrn ins Gesicht. Der fuhr fort: »Das Fräulein hat den Gang gefunden, das kommt uns allen zugute. Mir auch. Was denkt Ihr denn, wie es mit den Wassern ist?«

»Sie sind oberirdisch. Ich habe eine lebendige Forelle darin gesehen, eine einjährige Forelle,« sagte Kurt.

»So, eine einjährige Forelle?« wiederholte der Fuhrherr und kratzte sich wieder den Kopf. Er war ein großer, schwerer Mann mit blondem Haar und Bart. »Ich will Euch etwas sagen. Wir nehmen drei Pferde, und ich reite mit. Es geht. Die Gäule haben heute nichts zu tun gehabt.«

Kurt lachte vor Glück. »Das ist ein Ausweg,« sagte er. »Das ist ein Ausweg.« Aber da fiel ihm plötzlich auf, was Marie gesagt hatte. Er wendete sich zu Marien: »Ja, kannst du denn überhaupt reiten?« – »Freilich,« sagte die. »Im Sattel ja natürlich nicht. Aber der Gevatter Thiele hat ruhige Gäule, wir legen eine Decke auf.« Der Fuhrherr lachte. Er sagte: »Ja, da bürge ich, der jungen Frau geschieht nichts; wir können sie ja auch zwischen uns nehmen. Die junge Frau habe ich ja schon gekannt, wie sie noch ein Kind war.«

Mit kurzen Worten machte Kurt mit dem Fuhrherrn ab, daß er mit den Pferden zum Pfarrhaus kommen solle, dann ging er eilig zurück. Es war ihm, als ob mehr Menschen auf der Straße waren als auf dem Hinweg. Vornehmlich sah er junge Burschen.

Im Pfarrhaus wurde schon alles vorbereitet für den Ritt. Im Stall war Licht, dort schaffte Max bei den Pferden. Thilo stand mit dem Zügel seines Pferdes in der Hand schon vor dem Haus. Kurt erzählte mit kurzen Worten, was er erreicht hatte; da trat das fremde Fräulein auf Marien zu, umarmte und küßte sie. Marie wurde rot und verlegen; da lachte das Fräulein und sagte: »Laß nur, ich weiß ja doch, daß du nicht meinetwegen mitkommst, sondern seinetwegen.« Da wurde auch Kurt rot.

Nun kam der Fuhrherr geritten mit den beiden ledigen Pferden auf beiden Seiten. Die drei Pferde wirkten groß und schwer in der Dunkelheit, und Thilo sagte: »Na, in Galopp werden die wohl nicht fallen.« – »Entschuldigen, Junker,« erwiderte der Fuhrherr, »Euer Gaul wird auch keinen Höhlwagen mit Schlieg ziehen.« Alle lachten, auch die Pfarrersleute‚ die in dem hellbeleuchteten Hausflur standen.

Nun kam auch Max mit den gesattelten Pferden. Thilo half dem Fräulein in den Sattel; Kurt wollte seiner jungen Frau helfen; aber der große und schwere Fuhrherr schob ihn zur Seite; er hob Marien wie eine Puppe hoch und setzte sie auf die Decke, welche dem Gaul übergeschnallt war. Der wieherte zufrieden. Dann setzten sich die Männer auf ihre Pferde; noch ein Gruß und Winken der Hand zu den Pfarrersleuten in der hellen Haustür, und der kleine Zug kam in Gang.

Die Reiter ritten die Straße entlang und bogen dann ab, wo der Weg nach Seesen führt; da ritten sie bergab. Es standen vereinzelt Gruppen auf der Straße, die wichen zur Seite, als sie den Zug sahen; kein Zuruf kam; es hatte etwas Unheimliches, wie die Leute zur Seite wichen. Als die Reiter das letzte Haus hinter sich hatten und nun die helle Landstraße sich in das Dunkel zog, da sagte Thilo: »Jetzt fällt mir eine Last von der Seele; jetzt ist das Fräulein in Sicherheit.«


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