Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Der neue Anzug

Der Meister ruft Filelfo zu sich und übergibt ihm einen kostbaren Anzug aus schwarzem Samt mit echten Spitzen und Goldknöpfen, der für Seine Hoheit, den Neffen des Heiligen Vaters, fertig geworden ist. Dann sagt er: »Du bist mein bester Arbeiter, auf dich kann ich mich verlassen. Schlage den Anzug in ein weißes Tischtuch und bringe ihn Seiner Hoheit. Bestelle Empfehlungen von deinem Meister und sage, das ist der Anzug. Sage, der Meister kommt hergeflitzt, wenn etwas befohlen wird. Er drängt sich nicht auf und läuft seinen Kunden nicht das Haus ein. Er hat ein gutes Maßgeschäft und keinen Laden. Er bedient reell und pünktlich. Er versteht sich nicht bloß auf die italienische Arbeit, er versteht sich auch auf die spanische und die französische Arbeit. Seine Hoheit kann sich auf ihn verlassen, wie auf sich selber.«

Filelfo läßt sich von der Meisterin ein schön gewaschenes und geplättetes Tischtuch geben, schlägt den Anzug hinein und steckt es mit Sicherheitsnadeln zusammen. Dann aber geht er nicht zu dem Palazzo Seiner Hoheit, sondern in eine enge, schmutzige und winkelige Straße zu einem hohen und engbrüstigen Hause; dort steigt er sechs Treppen hoch und tritt in eine muffige Stube, in welcher ein alter Tisch, ein wackliger Stuhl und eine Kiste mit einem Vorhängeschloß stehen und in einem Winkel ein Bündel Stroh mit einer alten Decke liegt. Er zieht seine Kleider aus und zieht langsam und sorgfältig die neuen Kleider Seiner Hoheit an; dann packt er mit befriedigtem Gesichtsausdruck seine Kleider in die Kiste zu seiner schmutzigen Wäsche, legt das Vorhängeschloß wieder vor, schließt ab und geht die Treppe hinunter auf den Korso.

Er geht bei dem Laden eines Hutmachers vorbei und bleibt vor dem Fenster stehen. Der Hutmacher kommt herausgeschossen, ergreift ihn am Ärmel und fragt, ob Exzellenz nicht einen neuen Hut befehlen, denn er sieht wohl, daß der Hut, den Exzellenz tragen, nicht mehr geht; vielleicht kann man ihn noch einmal auffärben lassen; aber dazu würde er auch nicht raten, denn der Filz ist grob und die Form ist unmodisch, und man hat dann doch immer eine Ware zweiter Sorte, der Kenner legt seinen alten Hut ab und kauft sich einfach einen neuen; wenn man gut angezogen sein will, so kommt man auf die Weise am besten und schließlich auch am billigsten fort, denn der Schwitzrand erscheint ja nach ein paar Wochen doch wieder, und wenn das Auffärben noch so gut gemacht ist. Hier hat er nun unseren Filelfo schon längst in seinen Laden gezogen und ihm einen Stuhl hingesetzt und führt ihm Hüte vor, die er auf den gespreizten Fingern der linken Hand hält, indem er sie mit der rechten herumdreht, damit Filelfo sie von allen Seiten betrachten kann. Das sind aber schöne modische Hüte aus steifem Filz mit schmaler Krempe und weiche Hüte mit breitem Rand, mit Federn, mit Agraffen, mit Medaillen, mit Bändern, mit Schleifen; Hüte aus Biber, aus Hase, aus Kanin; glatte Hüte und Hüte, die wie aus Pelzwerk aussehen. Aus Schubladen, aus Kisten, aus Schachteln, aus Auszügen kommen die Hüte hervor; sie häufen sich auf dem Tresen, einer wird in den anderen gesteckt; dieser wird geprobt, und Filelfo wird vor den Spiegel geführt, jener wird verächtlich zur Seite geschoben.

Filelfo findet in der Tat einen Hut, der zu dem kostbaren, schwarzsamtenen Anzug mit Spitzen steht; einen weichen, schwarzen Biberhut mit weißer Straußenfeder. Der Hutmacher rät ihm, ihn gleich auf dem Kopf zu behalten; er wird den alten Hut durch seinen Laufburschen zum Palazzo Seiner Exzellenz bringen lassen. Filelfo ist einverstanden, und indem er geht, unter den Bücklingen des Hutmachers, bestimmt er, daß der alte Hut in den Palazzo Seiner Exzellenz des Neffen des Heiligen Vaters geschickt werden soll.

Auch seine schwarzseidene Strümpfe und Lackschuhe mit silbernen Schnallen erhält Filelfo von entgegenkommenden Geschäftsleuten auf die Weise, wie er den Hut erhalten hat. Vor dem Palazzo Seiner Hoheit des Neffen des Heiligen Vaters steht ein schöner Reisewagen, der bis oben bepackt ist. Der Kutscher sitzt auf dem Bock und hält seine Peitsche unbeweglich in der Luft, die Pferde stehen ruhig, eines reibt sich die Nase am rechten Vorderbein und klingelt dabei mit den Schellen. Filelfo bleibt stehen und betrachtet den Wagen; ein Herr in schwarzem Anzug tritt zu ihm, fragt, ob Hoheit die Abfahrt befehlen und öffnet den Schlag, Filelfo setzt sich, der Herr in schwarzem Anzug steigt zu dem Kutscher, und nun rasselt der Wagen eilig los, biegt um die Ecke und fährt ohne Aufenthalt durch die Stadt, aus dem Tor, wo die Wache ihr Gewehr präsentiert, die Landstraße entlang, bis zum Abend. Am Abend hält der Wagen in einer kleinen Stadt vor einem Gasthof, der Herr im schwarzen Anzug öffnet den Schlag und hilft Filelfo beim Aussteigen; dann führt er ihn in die schön hergerichteten Zimmer, fragt nach den Befehlen, versichert, daß das Essen sogleich kommen werde, und entfernt sich. Das Essen wird von einem hübschen Mädchen gebracht, das ganz rot ist vor Stolz über die Ehre und gern etwas erzählen möchte, wenn es die Ehrfurcht zuließe; Filelfo ißt, es wird abgedeckt, und er steigt mit heiterem Gemüt in ein hochgetürmtes und sauberes Bett.

Und so geht es nun Tag für Tag, bis Filelfo in Neapel ist, wo er im Palast des Bischofs aussteigt.

Man muß aber wissen, daß der Bischof von Neapel ein Mann ist, von welchem dem Heiligen Vater berichtet wird, daß er große Ausgaben macht und die Einkünfte seines Bistums in Unordnung bringt. Der Heilige Vater hat deshalb beschlossen, ihm seinen Neffen zu schicken, der ihn vermahnen soll und ihm drohen, daß er einen Koadjutor bekommen wird, wenn er sich nicht ändert. Der Neffe des Heiligen Vaters aber hat einen ganz bestimmten Grund, weshalb er gerade jetzt in Rom bleiben möchte; wir können über diesen Grund nichts weiter sagen, als daß eine sehr schöne Dame im Spiel ist. Mit dem Heiligen Vater ist jedoch nicht zu spaßen, und so hat Seine Hoheit nicht gewagt zu widersprechen. Der Wagen steht also vor der Tür, die Bedienten Seiner Hoheit haben alle Sachen eingepackt, die er auf der Reise braucht; aber wie Seine Hoheit in den Wagen steigen soll, da geht er in eine Nebenstraße, die bei seinem Palazzo in die Hauptstraße mündet, und verschwindet. Die Leute wissen nicht, wo er ist und suchen ihn im ganzen Palazzo. In diesem Augenblick steht mit einem Male Filelfo vor dem Palazzo. Der Kutscher mit den Pferden gehört zur Post, der Kurier ist ein Neapolitaner, und beide kennen die Hoheit nicht; sie denken, Filelfo ist der Neffe Seiner Heiligkeit und fahren mit ihm ab.

So waren die Dinge in Rom vor sich gegangen. Und während nun Filelfo nach Neapel fährt und in Neapel beim Bischof bleibt, hat Seine Hoheit Zeit genug, sich in Rom unbemerkt an einem Ort aufzuhalten, der ihm sehr schön vorkommt. Zuweilen denkt er wohl, daß einmal eine schreckliche Enthüllung geschehen wird, aber er sagt sich, daß die Enthüllung nicht schöner ausfallen wird, wenn er gleich nach ein paar Tagen in seinen Palazzo wiederkehrt, und so läßt er denn bis auf weiteres alles auf sich beruhen.

Filelfo wird von dem Bischof empfangen, der ein fröhlicher Mann ist, niemandem Böses zufügt und gern einen guten Wein trinkt und dabei etwas Schönes ißt. Der Bischof hat ein etwas unruhiges Gewissen, wie man sich wohl denken kann, und hält es zunächst für das beste, wenn er einige allgemeine fromme Bemerkungen macht. Filelfo antwortet entsprechend, denn das dicke Buch, in welchem er am Feierabend liest, enthält lauter Leichenpredigten, und so entwickelt sich denn bald ein angeregtes Gespräch. Der Bischof, welcher sich gewöhnlich in weltlicher Gesellschaft befindet, fühlt sich immer unsicherer; Filelfo aber spricht immer glücklicher und heiterer, denn die Schneidergesellen haben ihn stets ausgelacht, wenn er ihnen etwas von seinen Gedanken zum besten gab, und nun darf er lange und viel sprechen, und er sieht, daß seine Worte Eindruck machen. Und so spricht er denn über das Gewissen, über die Seelenruhe des wahrhaft Frommen, über seinen Schlaf, über sein Ende und über das Jüngste Gericht. Dem Bischof bricht der Angstschweiß aus, so eindringlich spricht Filelfo. Er hat nicht viel studiert, seine Feinde behaupten, er kann noch nicht einmal Latein, und er verdankt seine Stellung eigentlich mehr seinen Familienbeziehungen als seinen Fähigkeiten und Gaben. Er hat aber eine sehr hohe Achtung vor den Gelehrten. Er findet, daß sie meistens tugendhaft sind und sehr sparsam leben. Er selber gibt viel Geld aus und macht sich darüber Vorwürfe; aber er weiß nicht, wie er es ändern soll, und denkt, wenn er ein Gelehrter wäre, so wüßte er es.

In dem dicken Buche Filelfos steht eine Predigt über den Tod eines Mannes, der immer köstlich aß und trank, sich in teure Stoffe kleidete und in einer Sänfte tragen ließ. Sie hat auf Filelfo stets einen sehr großen Eindruck gemacht, und er hat sie so oft gelesen, daß er sie auswendig kennt. Wie er mit dem Bischof an der Tafel sitzt, führt ihn das Gespräch in diese Predigt hinein, und er beginnt sie dem Bischof vorzutragen.

Der Koch hat einen großen Hecht zubereitet, dem alle Gräten herausgenommen sind und der dann wieder so in Ordnung gebracht ist, daß er aussieht, als ob man ihn nicht angerührt hat, seit er aus dem Wasser gezogen ist. Das ist ein Meisterstück seiner Kunst, er erwartet, daß man ihn loben wird, und deshalb hat er sich nicht nehmen lassen, den Hecht selber zu bringen. Er hat frische Wäsche angezogen und hält den Fisch auf der silbernen Schüssel gerade vor sich hin. Eben wie er eintritt, redet Filelfo und erhebt dabei den Dinger mahnend und sagt: »Hütet Euch vor aller Unzucht, Vollsaufen, böser Gesellschaft; leichtfertige Leute verraten ihre leichtfertigen Herzen im Trunk und mit Fressen und mit üppiger Kleidung. Gewöhnt Euch beizeiten zu nützlicher Arbeit, denn Müßiggang ist aller Laster Anfang. Eine fleißige Hand wird mit Ehren reich, wenn sie an einem gottseligen Herzen steht. Haltet das Eurige zu Rat, denn wer da hält, was er hat, der findet, wenn er es braucht. Wo Ihr zu Dienst kommt, seid treu, gehorsam, willig, wahrhaftig und verschwiegen, Gott hilft treuen Dienern fort, und Treue geht durch alle Lande und geht hernieder, Untreue aber trifft ihren eigenen Herrn.«

Der Koch wird blaß und läßt die Schüssel fallen; Filelfo sieht ihn strafend an. Der Bischof blickt mit sehr bekümmertem Gesicht auf seinen Teller; er wendet noch nicht einmal den Kopf nach dem Geräusch der fallenden Schüssel.

Die Menschen von heute glauben ja nicht mehr an die Macht des Wortes. Aber in früheren Zeiten war das Wort eine Macht. Der Bischof ruft seinen Sekretär und läßt ihn einen zerknirschten Brief an den Heiligen Vater schreiben, er bittet selber, daß ihm ein Koadjutor beigegeben wird.

Filelfo fährt wieder zurück nach Rom. Der Wagen hält vor dem Palazzo Seiner Hoheit, Filelfo steigt aus und geht in den Palazzo. Er geht die Treppe hoch, die Diener kommen an ihm vorbei, sehen ihn verwundert an, aber es wagt ihn keiner zu fragen, was er will. Der Haushofmeister kommt und verbeugt sich tief vor ihm. Filelfo fragt, ob Seine Hoheit zu sprechen ist. Der Haushofmeister antwortet, daß Seine Hoheit nach Neapel gereist ist. »So, so«, erwidert Filelfo und geht.

Er geht zu seinem Haus und kommt in seine Stube; dort schließt er die Kiste auf und holt seine Kleider vor, die bei der schmutzigen Wäsche liegen; dann zieht er sich um. Den Anzug Seiner Hoheit schlägt er sorgfältig in das reine Tischtuch, fügt den Hut, die Strümpfe und Schuhe bei und trägt alles zum Palazzo Seiner Hoheit. Der Haushofmeister empfängt ihn, und er sagt von seinem Meister, er bringe den Anzug und er solle Empfehlungen bestellen. Wenn etwas befohlen werde, so komme der Meister angeflitzt, er dränge sich nicht auf und laufe seinen Kunden nicht das Haus ein. Er habe ein gutes Maßgeschäft und keinen Laden. Er bediene reell und pünktlich. Er verstehe sich nicht bloß auf die italienische Arbeit, er verstehe sich auch auf die spanische und französische Arbeit, Seine Hoheit könne sich auf ihn verlassen wie auf sich selber.

Dann packt er Anzug, Hut, Stiefel und Strümpfe aus, faltet das Tischtuch wieder, nimmt es unter den Arm, macht eine Verbeugung und geht.

Der Meister fragt ihn, wo er so lange Tage gewesen ist; er schweigt, gibt der Meisterin das Tuch und setzt sich auf seinen Tisch. Die andern Gesellen fragen, stellen Vermutungen auf, die von einer Liebschaft mit einem Stubenmädchen einer verreisten Herrschaft bis zu einer Gefängnisstrafe wegen unbefugten Predigens gehen; er schweigt, Und so ist in der Werkstätte denn alles wieder im gewohnten Gang. Seine Hoheit kommt wieder in den Palazzo, etwas abgemagert und blaß, Seine Heiligkeit befiehlt ihn zu sich und umarmt ihn; Seine Heiligkeit hätte nie gedacht, daß er solche Gaben besitze, der Bischof von Neapel ist ein ganz anderer Mensch geworden und spricht immer nur mit der größten Verehrung von Seiner Hoheit, dem er die Wandlung in seinem Innern verdankt, dessen Einfluß man es zuschreiben muß, daß er nun ein echt apostolisches Leben führt.


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