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Es ist kein Wunder, daß Coraline und Flavio sich lieben; sie sind die beiden ausgezeichnetsten Mitglieder der Truppe, und Coraline hat immer das Prinzip, den Mann zu lieben, hinter dem die Frauen am meisten her sind. Das ist das Prinzip eines mutigen Mädchens; aber sie hat es noch immer durchgesetzt, daß sie dann diesen Vielumworbenen bekam.
Sie hat also auch Flavio bekommen. Aber es ging ihr mit ihm, wie es uns so oft geht, wie es auch ihr schon so oft gegangen war: was man hat, das schätzt man nicht mehr. Schließlich ist Flavio im Grunde auch langweilig. Flavio ist immer langweilig. Die jungen Mädchen schwärmen für ihn; sie kritzeln seinen Namen auf ihre Butterbrote und essen sie dann; Coraline ist aber nicht mehr sechzehn Jahre alt, sie ist bereits fünfundzwanzig. Wenn man fünfundzwanzig alt ist, dann wird einem der Liebhaber komisch, man beginnt dann den Charakterspieler zu verstehen.
Indessen handelt es sich hier nicht um einen Charakterspieler, sondern um einen Aristokraten. Der Aristokrat betreibt eine große Seifenfabrik, und Mezzetin nennt ihn geradezu einen Seifensieder. Nun, Marchese oder Seifensieder, das ist schließlich ziemlich gleichgültig; sie sind beide bürgerlich und haben Geld; und natürlich ist es sehr angenehm, wenn ein Liebhaber Geld hat. Was bekommt Coraline für Roben, Kostüme, Toiletten, Kleider, Kleidchen, Röcke, Jupons, Blusen, Taillen, Kittel, Mieder, Jäckchen; was für Strümpfchen, Schühchen, Handschuhe, Bänder – ja, denkt euch, sie bekommt sogar eine Badewanne. Die ganze Truppe besucht sie, um die Badewanne zu besehen; sie ist aus Blech, rot angestrichen, mit einem Badeofen, mit einer Brause; jeder von der Gesellschaft verspricht Coralinen, wenn er einmal baden wolle, dann werde er zu ihr kommen. Eine Badewanne! Wie kann ein Mädchen einem Mann widerstehen, der Badewannen schenkt, Badewannen mit Badeöfen dazu!
Man kann sich denken, daß Flavio traurig wird. Er macht ihr eine Szene, sie antwortet ihm kaltblütig: »Ich bin noch nicht so alt, daß ich treu bleiben müßte; bei dir ist die Sache ja anders.« Flavio braust auf, ruft mit großer Gebärde: »Das wird die Welt sehen«, und geht fort.
Silvie ist ein reizendes Mädchen, sie ist noch ganz jung, so jung, daß man überhaupt nicht weiß: hat sie eigentlich Talent, oder ist sie nur jung? Sie hat also viel Gefühl; wir wollen es nur verraten, auch sie hat Flavios Namen mit dem Fingernagel auf ein Butterbrot gekritzelt. Nun liebt Flavio also Silvien, und Silvie ist glücklich; mit verklärten Augen sieht sie durch die Kulissen seinem Spiel zu; wie ein kleines Beutelchen, in dem Federbälle sind, hängt sie an seinem Arm, wenn er sie nach Hause begleitet, in ihr zierliches Dachstübchen, wo im Fenster ein Resedabusch steht, eingepflanzt in einen alten braunen Topf ohne Henkel, auf dem Tisch liegt ein großes Brot neben einem Haufen Äpfel – sie hat so wenig Gage, die Kleine, und hat solchen Appetit. Einmal, wie er sie in ihr Stübchen gebracht hat und sich verdrießlich umschaut, weil gar nichts zu Essen da ist, beißt sie sich heimlich in den kleinen Finger, sie kann ja gar nicht glauben, daß es ein solches Glück gibt, sie denkt immer, daß sie nur träumt. Dann aber, wie der Finger recht weh tut und sie doch nicht aufwacht, springt sie mit beiden Beinen in die Höhe, hängt sich an seinen Hals und sagt: »Bring mir nur immer dein gebrauchtes Hemd, ich wasche es dir mit; das macht mir keine Mühe, das heiße Wasser habe ich ja doch.«
Es gibt Leute, welche behaupten, daß Schauspielerinnen keine Kinder bekommen. Silvie ist nach kurzer Zeit ein Beweis dafür, daß diese Behauptung falsch ist. Der Zustand hat seine Unbequemlichkeiten, aber Silvie ist trotzdem selig. Wie wunderbar, wenn sie nun ein Kind haben wird, das ganz allein ihr gehört, das sie anziehen, ausziehen, waschen, baden, nähren, zu Bett bringen, aus dem Bett nehmen kann; das sie anlacht, mit seinen kleinen Händchen machen kann »backe, backe Kuchen«, und das so süß ist, so süß wie ein Engel! Auch Flavio ist ganz glücklich; Flavio ist ja überhaupt meistens der Ansicht, welche die anderen haben. Silvie ist nun sehr fleißig. Zwei Hemden hat sie nur; wenn sie das eine in ihrer Waschschüssel wäscht, zieht sie das andere an; aber das Kind muß Windeln haben, und im Sommer kann man auch mit einem Hemd auskommen; es trocknet ja schnell vor ihrem Fenster; so zerschneidet sie also das überflüssige zweite Hemd und näht Windeln. Die anderen bewundern sie und bringen ihr Hemden, Tischtücher, Bettlaken; selbst Mezzetin schleppt einen großen Packen alte Leinwand an; er war früher in Verona engagiert, wo das Publikum die Gewohnheit hat, beliebten Schauspielern zu ihrem Benefiz Wäsche zu schenken; und Mezzetin war natürlich ein sehr beliebter Schauspieler.
Doch wer kennt das weibliche Geschlecht! Coraline sieht die Liebe Silviens und beschließt, Flavio wieder zu erobern. Der Aristokrat ist ihr gleichgültig.
Die Eroberung Flavios ist nicht schwierig; er ist es so gewohnt, erobert zu werden. Das verdrießt Coralinen schon; noch mehr aber verdrießt es sie, daß Silvie gar nichts von Flavios Untreue merkt. Vergeblich schreibt sie ihr anonyme Briefe; Silvie zeigt ihm die Briefe lachend, sieht seine Verlegenheit nicht und sagt stolz zu ihm: »So werde ich um deine Liebe beneidet, daß man mir sogar Briefe schickt, um uns auseinanderzubringen.« Vergeblich stichelt sie, wenn sie Silvien hinter den Kulissen begegnet; Silvie denkt nur, sie ist traurig, daß Flavio sie nicht mehr liebt, denn ein Mädchen muß doch traurig sein, wenn sie einen Flavio verloren hat! Coraline würde ihr ja durch einen Kollegen alles sagen lassen, aber niemand will ihr helfen, sie ist zu unbeliebt bei allen. Silvie merkt nichts, garnichts; sie denkt, daß sie nun bald nicht mehr auftreten kann, daß dann Flavio während der Vorstellungen ohne sie ist und sich langweilen wird; sie will aber so lange ins Theater kommen, wie es geht, und hinter den Kulissen stehen, damit Flavio mit ihr plaudern kann, wenn er nicht auf der Bühne zu tun hat.
Heute spielt sie das letztemal mit; das Publikum findet, daß es eigentlich nicht mehr so recht geht, aber es ist gerührt und klatscht, wie es noch nie geklatscht hat. Silvie strahlt vor Vergnügen und Stolz. Sie hat eine junge Frau zu spielen, die ihren Mann bei einer Untreue belauscht; sie ist allein auf der Bühne und muß durch ein Schlüsselloch in ein Nebenzimmer sehen, laut berichten, was sie sieht, und zuletzt in Ohnmacht fallen. Sie beugt sich vor das Schlüsselloch – wie komisch! Da ist wirklich ein kleines rundes Loch, durch das sie auf die Hinterbühne sehen kann; da steht Flavio; sie nickt ihm zu, denn sie vergißt im Augenblick, daß er sie ja gar nicht sieht; sie ruft: »Flavio!« besinnt sich aber schnell, kommt wieder in ihre Rolle und fährt fort: «Ungetreuer, Meineidiger! Was sehe ich!« Ach, was sieht sie! Coraline steht neben ihm, legt die Hand um seinen Nacken. Silvien schwimmen die Augen in Tränen. Sie muß in ihrer Rolle fortfahren: »Sie legt den Arm um seinen Nacken«; ihre Stimme will ersticken, sie sieht, wie er sie umfaßt und küßt, und sie muß sagen: »Du küßt sie, sie kannst du küssen und mir hast du Treue geschworen!« Lautlose Stille ist im Publikum, noch nie wurden diese Worte mit solcher Naturwahrheit gesprochen. Die beiden halten sich fest umschlungen. Coraline lacht. Silvie muß sagen: »Ach, wie kannst du das nur tun, ich habe dich doch so lieb«; dann sinkt sie um und wird ohnmächtig, und der Vorhang geht nieder.
Sie wird wirklich ohnmächtig, sie hört nicht den donnernden Beifall, sie sieht nicht, wie der Vorhang wieder hochgeht, wie Blumensträuße auf die Bühne geworfen werden, wie das Publikum im Parterre aufsieht, um noch lauter zu klatschen; sie liegt noch ohnmächtig; der Vorhang sinkt nieder und geht wieder hoch; da hörte sie das Klatschen wie einen Gewitterregen auf ein Dach, sie besinnt sich, es wird ihr alles klar, sie erhebt sich, mit einem freundlichen, dankbaren Lächeln verneigt sie sich vor dem Publikum.
Die Kollegen sind empört über Coralinen. Mezzetin erklärt: »Die Badewanne riecht nach Seife.« Der Witz kommt uns vielleicht nicht gut vor, aber er wirkt wie ein Dolchstoß; Coraline wird blaß und reißt sich schluchzend aus Flavios Armen. Mezzetin und der Kapitän begleiten die leise weinende Silvie nach Hause; der Kapitän schwört, daß er Flavio fordern wird, denn wer eine Dame beleidigt, der hat es mit dem Kapitän zu tun, der Kapitän ist der Verteidiger jeder Unschuld.
Die armen Schauspieler haben ja alle kein Geld, um Blumen zu kaufen. Aber man kann Blumen stehlen, man bekommt auch vom Publikum Blumen geschenkt, schließlich kann man auch borgen: jedenfalls, als am anderen Tage Silvie erwachend das Köpfchen von ihrem naßgeweinten Kopfkissen hebt, da klopft es, und der Zettelträger bringt Rosen vom Kapitän, Nelken von Mezzetin, Veilchen von Isabellen, Anemonen vom Doktor, Aurikeln von Pantalon, von jedem Mitglied bringt er einen großen Blumenstrauß. Und wie das kleine Zimmer schon ganz voll ist von den Blumen der Kollegen, da kommt ein feiner Diener und bringt ein kostbares Bukett von einem Conte, und ein anderer einen Lorbeerkranz von einer Marchesa, und ein Kaufmannslehrling bringt eine Kiste Apfelsinen von seinem Herrn, und immer mehr Blumen und Geschenke kommen. Das Publikum schickt, weil Silvie so schön gespielt hat, die Kollegen aber, weil sie finden, daß Coraline gemein gegen sie gehandelt hat; denn das ist ja menschlich, daß die Liebe wechselt, aber es muß alles anständig vor sich gehen.