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An der Via Appia auf der ersten Erhöhung vor Rom liegt das Grabmal der Cäcilia Metella. Man hat von ihm einen sehr schönen Blick auf die ewige Stadt.
Ein wohlgenährter und zufrieden aussehender Mann kommt auf einem Maultier langsam und behaglich von den Bergen her auf der Via Appia angeritten. Ein dickgeschwollener Mantelsack ist hinter ihm aufgeschnallt, sein Anzug ist sauber und adrett, das Maultier sieht glatt und rund aus und klingelt fröhlich mit seinem Glöckchen. Bei dem Grabmal der Cäcilia Metella hält er sein Tier an, legt die linke Hand über die Augen und betrachtet wohlwollend die Aussicht, welche sich ihm bietet. Dann sagt er zu sich: »Dieses wäre nun wohl der passendste Ort, um das Frühstück einzunehmen.« Er treibt sein Maultier an die Seite, wo ein niedriges altes Gemäuer die Straße begrenzt, und steigt unter Verwendung dieses Gemäuers ab. Dann holt er dem Tier den Mantelsack vom Rücken und legt ihn neben sich ins Gras, schnallt dem Tier den Sattel ab und nimmt ihm das Gebiß aus dem Maul, und indem er ihm einen leichten Streich mit der Hand gibt, sagt er: »Nun genieße auch du, was Gott für dich bereitet hat.« Das Maultier bewegt dankbar seine Ohren, geht auf die Weide neben der Straße und beginnt Gräser, Gänseblumen, Veilchen und allerhand grüne Kräuter zu fressen; welche ihm gut scheinen. Der Mann aber öffnet den Mantelsack, zieht ein glänzendes Mundtuch vor und breitet es auf dem Gemäuer aus, dann stellt er einen großen Fiasco roten Wein auf, legt ein Brot daneben und wickelt eine halbe gebratene Kalbskeule aus, zwei gebratene Täubchen und drei schöne goldgelbe Äpfel; und endlich holt er noch eine Tüte vor, in welcher sich Krachmandeln und Rosinen befinden. Als er das alles sauber und schön geordnet hat, tritt er etwas zur Seite, sieht es an und sagt: »Da geht einem doch das Herz auf, wenn man so etwas sieht.« Dann aber setzt er sich neben das Mundtuch auf das Mäuerchen und beginnt zu essen; und nachdem er eine Weile gegessen, nimmt er den Fiasco, hält ihn prüfend gegen das Licht, hebt ihn hoch, richtet den geöffneten Mund ihm entgegen und lenkt den Strahl des roten Weines mit großer Geschicklichkeit in seinen Mund.
Indem Herr und Tier nun fröhlich verzehren, was vor ihnen ist, ertönt auf der Straße das Glöckchen eines andern Maultieres, und als sie hinblicken, da sehen sie einen andern Herrn auf einem Maultier ankommen. Auch dieser Herr sieht sauber und ordentlich aus, auch sein Tier ist glatt und wohlgenährt, und auch er hat einen dicken und prallen Mantelsack hinter sich. Er hält vor den beiden an, sieht bewundernd auf das Mundtuch und die schönen Speisen und lüftet dann wortlos den Hut. Der erste Herr erhebt sich, erwidert die Begrüßung und setzt sich dann wieder zu seinem Frühstück. Nun treibt der zweite Herr sein Tier auf die entgegengesetzte Seite der Straße, steigt mit Hilfe des Mäuerchens ab, befreit sein Tier von Mantelsack, Sattel und Zaum und entläßt es mit einem leichten Klaps auf die Weide, und packt dann seinerseits auf seinem Mäuerchen aus. Auch er breitet ein frisch gewaschenes Mundtuch aus und setzt seinen Fiasco auf; dann bringt er einen schönen Schweinebraten vor, ein Rippenstück, das erst gepökelt war und auf dem eine dicke Kruste von geriebener Semmel und Kümmel sitzt; dann eine halbe Gans und endlich ein großes Brot und Früchte.
Der erste Herr sieht über die Straße dem zweiten zu und findet, daß der sich auch gut versorgt hat, und ohne daß die beiden sich bis nun näher kannten, halten sie sich doch für Ehrenmänner und sind sich im stillen freundschaftlich gesinnt.
So beginnen sie denn bald ein Gespräch, indem sie sich gegenseitig befragen, woher sie kommen und wohin sie ziehen. Der erste der Herren ist ein Ser Giovanni und stammt aus Albano, der zweite ein Ser Ambrogio und stammt aus Castel Gandolfo; sie wollen aber beide nach Rom reiten, um den Heiligen Vater die Ostermesse feiern zu sehen. Und wie nun ein Wort das andere gibt, da zeigt sich, daß sie die gleichen Anschauungen haben, denn sie verabscheuen beide die Wirtshauskost in den Städten; Ser Giovanni erzählt von einem Rebhuhn, das wieder lebendig geworden war, soviel Maden hatte es gehabt, und Ser Ambrogio verkauft seine Eier nach Rom, wenn die Hühner sich an Maikäfern satt gefressen haben, was zwar das Eierlegen befördert, aber den Eiern einen ranzigen Geschmack gibt; dann spricht Ser Giovanni von den süchtigen Hammeln, die man schlachten muß, und die noch ganz appetitlich zu essen sind, wenn man nur die schlechten Stücke herausschneidet, und Ser Ambrogio erzählt von einem ungeborenen Kalb, das ihm ein Schlächter aus Rom abgenommen hat. Jeder schließt, indem er sagt: »Die Römer fressen alles, aber ich fresse so etwas nicht.«
Unter solchen Gesprächen vergeht ihnen die Zeit angenehm und schnell; und wie sie gesättigt sind, da wischen sie ihre Messer hinten an den Hosen ab, schnappen sie zusammen und stecken sie in die Tasche, und dann wickeln sie ihre Braten und alles andere ein, und legen die Mundtücher zusammen, und packen alles in die Mantelsäcke, holen ihre Maultiere, satteln und reiten gemeinsam weiter.
So kommen sie nach Rom und finden eine angemessene Herberge, wo sie zur Nacht bleiben können. Sie stellen ihre Maultiere in den Stall, gehen in die Wirtsstube, breiten wieder ihr Mitgebrachtes aus und essen, und dann setzt sich jeder in sein Fenster, sieht auf die Straße, wo die Leute vorübergehen, legt den Arm auf und trommelt fröhlich auf dem Fensterbrett, denn es ist eine schöne Unterhaltung, wie die Leute eilig vor den Fenstern vorbeilaufen und hungrig aussehen.
Nun kommt zufällig Lange Rübe an der Herberge vorbei, sieht die beiden Männer im Fenster sitzen und denkt sich, daß er da ein Geschäft machen kann. Er tritt ein und geht in die Gaststube, und indem er die beiden höflich grüßt, setzt er sich und läßt einen Fiasco Marino vor sich hinstellen. Seiner durchdringenden Menschenkenntnis ist es klar, wie er es beginnen muß, um mit den beiden in ein Gespräch zu kommen. Er erhebt den Fiasco und gießt sich einen Strahl in den Mund, dann verzieht er die Miene und spuckt aus. Hierauf greift er in die Tasche, ruft die Kellnerin herbei und fragt, was er zu zahlen habe. Die Kellnerin hält den Fiasco vor das Gesicht und erklärt, daß der Herr für einen Soldo getrunken habe; er greift in die Tasche und wirft das Kupferstück nachlässig auf den Tisch; die Kellnerin dankt und geht aus dem Zimmer, indem sie den Fiasco mitnimmt.
Ser Giovanni räuspert sich, beginnt aber nicht zu sprechen. Ser Ambrogio sagt: »Der Herr ist ein feiner Herr, er bezahlt, was er zu bezahlen hat, und sagt nichts.« »Was soll man sagen!« erwidert Lange Rübe; »der Wein ist verfälscht.« Ser Giovanni lacht und sieht den Ser Ambrogio an. »Ich saufe so etwas nicht«, sagt Ser Ambrogio; »wenn ich eine Reise mache, dann nehme ich mit, was ich brauche.« Damit holt er seinen Fiasco aus seinem Mantelsack und hält ihn Lange Rübe unter die Nase, damit er riechen solle, wie gut der Wein ist. Ser Giovanni beginnt seine Erzählung von dem Rebhuhn, und Ser Ambrogio erzählt die Geschichte von den Maikäfern; Lange Rübe bringt in den Erzählungen einige Ausrufe an; Ser Giovanni fährt mit den süchtigen Hammeln fort und Ser Ambrogio mit dem ungeborenen Kalb. Lange Rübe beginnt nun auch zu erzählen und sagt, wenn die Leute auf dem Lande fein seien und die Leute in der Stadt übers Ohr hauen, so seien die Städter auch nicht dumm, und so erzählt er von Fremden, die in den Herbergen in Rom des Nachts bestohlen werden. Die Männer fassen jeder an seine Brust, woraus Lange Rübe schließt, daß sie ihr Geld in einem Säckchen verwahrt haben, das sie an einer Schnur um den Hals tragen. Die beiden erkundigen sich besorgt, wie man sich des Nachts schützen könne, und Lange Rübe merkt, daß es eine größere Summe sein muß, welche sie in den Säckchen haben. Er erklärt: »Den Schlüssel abziehen und das Geld mit dem Schlüssel unter das Kopfkissen legen.« Er schwört, in Rom schlafe jeder so, sogar der Heilige Vater, für den das recht unbequem ist, wenn man bedenkt, was der doch manchesmal für Summen im Hause hat.
Die Kellnerin kommt wieder in die Wirtsstube und fragt Lange Rübe, ob der Herr zur Nacht zu bleiben gedenke, weil sie jetzt die Betten beziehen muß. Lange Rübe bestellt sich ein Zimmer, nimmt dann seine Mütze und geht, um noch einige Geschäfte zu besorgen.
Ser Giovanni und Ser Ambrogio schlafen auf einer Kammer. Sie machen ab, daß Ser Giovanni, welcher der ältere ist, den Schlüssel unter sein Kopfkissen legen solle, schließen ab, legen ihre Mantelsäcke ordentlich auf den Boden, ziehen sich aus; jeder steckt heimlich vor dem andern, indem er ihm unauffällig den Rücken dreht, sein Säckchen unter sein Kopfkissen, Ser Giovanni fügt noch den abgezogenen Schlüssel dazu, dann bläst Ser Ambrogio das Licht aus, und dann legt sich jeder, deckt sich zu und streckt sich behaglich aus.
In der Nacht scheint es Ser Giovanni, als stehe jemand an seinem Bett und mache sich am Kopfkissen zu schaffen; aber er ist so im Schlafe, daß er sich nicht fragt, was das bedeuten könne, sondern sich nur unwillig umwendet und knurrt. Ser Ambrogio wacht halb auf und glaubt eine Hand unter seinem Kissen zu fühlen, aber dann wird es ihm klar, daß das seine eigene Hand nicht sein kann, und so beunruhigt er sich nicht, sondern schläft ruhig weiter.
Am andern Morgen erwacht Ser Giovanni zuerst. Seit langen Jahren hatte er sich schon darauf gefreut, einmal die Ostermesse vom Heiligen Vater zu hören, und so kann er die Zeit gar nicht erwarten. Er greift der Vorsicht halber unter das Kissen; aber da findet er nur den Schlüssel; er richtet sich auf den Knien im Bett auf, sucht, wirft das Kopfkissen auf den Boden; das Säckchen mit dem Geld ist verschwunden.
Ser Ambrogio schläft und schnarcht. Er schnarcht durch die Nase, jedoch nur mit dem einen Nasenloch, das heftig zittert. Ser Giovanni will ihn wecken; plötzlich aber besinnt er sich; er kleidet sich still und schnell an, schleicht aus der Kammer, schließt von außen wieder zu und geht in die Wirtsstube.
In der Wirtsstube sitzt Lange Rübe und ißt seine Morgensuppe; er ist etwas beklommen durch das unerwartet frühe Aufstehen des Ser Giovanni; er hat schon seine Zeche bezahlt und wollte eben aufbrechen. Aufgeregt tritt Ser Giovanni auf ihn zu. »Wo wohnt der Polizeihauptmann?« ruft er. Lange Rübe ist erstaunt, und Ser Giovanni erzählt ihm mit fliegender Hast, daß Ser Ambrogio ihm des Nachts sein Geld gestohlen hat und nun so tut, als schlafe er fest; wahrscheinlich hat er es irgendwo versteckt; aber Ser Giovanni hat die Kammer abgeschlossen und ihn so gefangen. Lange Rübe beschreibt die Wohnung des Polizeihauptmanns, und Ser Giovanni eilt fort. Kaum aber hat er das Haus verlassen, als Ser Ambrogio die Treppe herunterpoltert. Er war aufgewacht, das Bett seines Freundes war leer, sein Geldbeutel unterm Kopfkissen fehlte, und die Tür war verschlossen. Er hatte sich schnell die Kleider übergeworfen, die Tür durch einen Fußtritt gesprengt und eilte nun gleichfalls in die Wirtsstube; auch ihm beschreibt Lange Rübe die Wohnung des Polizeihauptmanns, denn natürlich hält seinerseits Ser Ambrogio den Ser Giovanni für den Dieb; und so eilt denn auch Ser Ambrogio ab. Lange Rübe löffelt in Ruhe seine Schüssel leer, nimmt seine Mütze vom Haken und geht fort, indem er sich von der verwunderten Kellnerin freundlich und mit einem Trinkgeld verabschiedet.
Ser Giovanni und Ser Ambrogio wissen beide in den winkeligen Gassen Roms nicht Bescheid. So kommt es, daß sie sich in ihrer Aufregung verirren. Nach einiger Zeit begegnen sie sich vor dem Hause des Polizeihauptmanns, indem sie von der entgegengesetzten Seite gegeneinanderlaufen; jeder denkt vom andern, daß der vor ihm flieht, und so stürzen sie sich denn aufeinander, halten sich gegenseitig fest und rufen beide um Hilfe. Es sammeln sich schnell Menschen um sie, ein Auflauf entsteht; in dem Gedränge findet sich auch Lange Rübe ein, der ihnen nachgegangen ist; die beiden beschuldigen sich gegenseitig des Diebstahls, raufen sich, ringen miteinander. »Du Spitzbube, du verkaufst madige Rebhühner«, ruft Ser Ambrogio, und Ser Giovanni schreit: »Du verkaufst Maikäfereier.« »Ich rode meine süchtigen Hammel ein«, erwidert ihm Ser Ambrogio, und Ser Giovanni sagt, er werde die Geschichte mit dem ungeborenen Kalb der Polizei anzeigen. Die Zuschauer beginnen zu ahnen, daß sie Rebhühner, Eier, Hammel und Kalb für teures Geld gekauft haben, werden wütend und beginnen im Mißverständnis sich gegenseitig zu prügeln; Lange Rübe erklärt, man müsse die Polizei rufen und trennt mit beiden Armen das Gedränge, wobei es ihm gelingt, noch die Börse eines dicken, kurzatmigen und ratlosen Herrn zu erwischen, der alle Leute fragt, was es gibt. Er eilt die Treppe hinauf zum Polizeihauptmann Tromba.
»Herr Polizeihauptmann«, sagt er, »Sie kennen mich. Sie wissen auch, daß wir in Rom keine Kaffern dulden, die uns ins Geschäft pfuschen. Unten vor Ihrem Haus sind zwei Auswärtige, die einen Herbergsdiebstahl verübt haben. Ich liefere sie Ihnen in die Hand und hoffe, daß Sie sich einmal erkenntlich zeigen.« Damit grüßt er und geht fort. Tromba aber schnallt seinen Säbel um, setzt die Mütze auf, geht die Treppe hinunter, hört auf der Straße eine Weile zu, dann teilt er das Gewühl und legt schwer beide Hände auf Ser Giovanni und Ser Ambrogio, indem er ruft: »Im Namen des Gesetzes, meine Herren, Sie sind verhaftet.«