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X.
Der Königin Tod


»Rose, schöne Königsrose,
Hat auch Dich der Sturm getroffen?
Gilt kein Beten mehr, kein Hoffen
Bei dem schreckenvollen Loose?

»Sink' in Schlummer! Aufgefunden
Ist das Ziel, nach dem Du schrittest,
Ist der Kranz, um den Du littest, –
Ruhe labt den Quell der Wunden.«

(Schenkendorf.)

Noch waren die Tage fern, wo die der Königin Luise in Tilsit widerfahrenen Kränkungen und Enttäuschungen ihren reichen Vergeltungssegen über das von ihr so heiß geliebte Land bringen sollten. Noch mußte das Königspaar mehr als hundert Meilen weit von der Hauptstadt weilen und dort im quälenden Gefühl der Ohnmacht jeden Tag nur Nachrichten von neuen Bedrückungen in den noch bei Preußen gebliebenen Provinzen empfangen.

In Berlin wohnten die übermüthigen französischen Generäle in den Zimmern der Königin. Die Stadt galt überhaupt als die Hauptstadt einer französischen Provinz. In den Festungsstädten übten die Feinde trotz des geschlossenen Friedens die unumschränkteste Herrschaft mit der grausamen Willkür des Siegers. Schlesien blieb noch mehrere Monate in den Händen Vandamme's, des Verworfensten unter den Generälen Napoleons, welcher der ohnehin armen Provinz (die reichen Kohlenlager waren damals noch so gut wie unbenutzt) monatlich sechs Millionen Francs auszusaugen verstand.

Nichts als Trübsal ringsumher, Verzweiflung in den Herzen der Besten, auf Jahre hinaus verlorene Hoffnung in dem der Königin Luise. Jetzt hatte sie alle Kraft zusammenzunehmen, um in sich den festen Glauben an endliches Besserwerden zu bewahren, von dem sie begeistert als wie von dem Bande einer unsichtbaren Kirche gesprochen hatte, der Alle trösten, erheben und kräftigen müsse, auf daß eine bessere Zukunft sie nicht unvorbereitet finde. Nur noch einmal ging ihr in dem herrlichen Stein ein heller Strahl der Hoffnung auf, als dieser trotz seiner kränkenden Entlassung aus königlichem Dienst doch sofort willig dem Rufe des nach seiner Hülfe ausschauenden Königs folgte. Seiner großen Seele war es möglich, alle engherzigen Rücksichten hintanzusetzen, indem er schrieb, daß er es »für unmoralisch finden würde, in diesem Augenblick des allgemeinen Unglücks seine eigene Persönlichkeit in Anrechnung zu bringen.«

Die Königin hatte den ganzen Werth dieses »Edelsteins des deutschen Volkes« erkannt; sie sah in ihm einen der Wenigen, die es ehrlich mit dem Königshause, mit dem preußischen Staat und mit der deutschen Sache meinten. Er war ihr der letzte Trost, »denn großen Herzens«, schrieb sie ja, »umfassenden Geistes, weiß er vielleicht Auswege, die uns noch verborgen liegen.« Als Stein, am 30. September 1807 eben in Memel angekommen, der Königin seine erste Aufwartung gemacht hatte, war ihre Freude groß und ihr Muth neugestärkt, so daß sie sagte: »Wie glücklich bin ich, daß Stein wieder hier ist! Ja, seitdem ich ihn wieder an der Spitze der Geschäfte weiß, ist es mir, als könnte ich mich höher aufrichten und als würde mein sorgenschweres Haupt mir leichter zu tragen.«

Ach, ihr Haupt sank bald wieder, um sich nicht wieder lebensfroh aufzurichten, unter dem Drucke des Verlustes des Einzigen, der durch seine Reformen, durch seinen redlichen Willen und seine staatsmännische Einsicht im Stande war, das lecke Staatsschiff durch die gefährliche Brandung besonnen hindurchzusteuern. Ein ihn in den Augen Napoleons kompromittirender Brief an den Fürsten von Sayn-Wittgenstein, in welchem er den an den Spanischen und Tyroler Aufstand geknüpften Hoffnungen für Deutschland Ausdruck gab, wurde aufgefangen und gab den Anlaß zu der Aechtung des besten Deutschen Mannes, des »nommé Stein, voulant exciter troubles en Allemagne.« Auch wieder ein Beweis, wie jede Regung eines individuellen, ebenbürtigen Geistes einen Napoleon, der nur Sklaven aber keine Männer dulden wollte, zu den infamsten Maßregeln bestimmte.

Der Schwerpunkt der Aechtung Steins richtete sich natürlich wiederum gegen Preußen, welches Napoleon noch immer als die alleinige Macht fürchtete, die ihm unter guter Führung gefährlich werden könnte. – Im Dezember 1808 nahm Stein Abschied von König und Königin und wandte sich zunächst nach Prag. Mit ihm schwand die letzte Hoffnung dahin, die Luise noch auf baldige Errettung gehegt hatte.

Zu Anfang des Jahres 1809 machte sie mit ihrem Gemahl, einer verbindlichen Einladung des Kaisers Alexander folgend, eine Reise nach Petersburg, wo die hohen Gäste mit großer Liebe vom russischen Herrscherhause wie vom Volke empfangen wurden. Bemerkenswerth ist namentlich, daß Luise während ihres Aufenthaltes in Petersburg bei dem Besuch der von der Russischen Kaiserin gegründeten Wohlthätigkeitsanstalten für die hilflose Jugend die Idee faßte, auch für Berlin etwas Aehnliches ins Leben zu rufen, – das Luisenstift zeugt noch heute von dem edeln Wetteifer der großen Königin mit allen segensreichen Bestrebungen.

Für das belebende Wirken des dem preußischen Staate einstweilen verlornen großen Staatsmannes Stein fand Luise nur einen schwachen Ersatz in der Stiftung des Tugendbundes, dem sie vermuthlich nicht fern gestanden hat. Sie sah in solcher auf den edelsten Grundsätzen beruhenden Vereinigung aller Gutgesinnten einen Anfang zu der inneren Einkehr, durch welche allein sie eine wahre Neugeburt des Staates für möglich hielt. In diesem Sinne sind auch die Worte geschrieben: »Wollten nur die Menschen die Augen nach innen wenden, vielleicht fänden sie noch die Kraft, das Sklavenjoch abzuschütteln!«

Ganz in solchem Geiste beschäftigte sie sich während ihres letzten Aufenthaltes in Königsberg, wohin die königliche Familie inzwischen wieder zurückgekehrt war, eifrigst mit einer Reform des Volksschulwesens, wie sie von Pestalozzi und seinen Ueberzeugungsgenossen damals angeregt und praktisch verwirklicht wurde. Ihr lag eben nichts fern, was zur Hebung des Volksbewußtseins dienen konnte, an dessen Mangel ja der Staat zu Grunde gegangen war. Sie hat noch das Wehen des Geistes verspürt, der, von einem Stein, Fichte, Schleiermacher und all den Lehrern der neuzugründenden Universität Berlin Schon lange vor der eigentlichen Gründung der Berliner Universität wurden von deren zukünftigen Professoren öffentliche Vorlesungen gehalten. ausgegangen, so Herrliches versprach; seine Früchte in den Erlösungskämpfen sollte sie nicht mehr schauen.

Wohl richtete sie ihr Auge freudiger glänzend auf jedes bedeutungsvolle Ereigniß, welches wie ein prophetischer Lichtstrahl in eine trübe Zeit vorausgeworfen wurde. Innigste Theilnahme erweckte in ihrer Brust der Aufstand der Spanier, der heldenmütige Vertheidigungskampf der treuen Tyroler mit seinem traurigen Ausgang, der anfangs bei Aspern und Wagram siegreiche Kampf Oestreichs gegen Frankreich, der Zug des Herzogs von Braunschweig. – Besonders nahe aber ging ihr die verunglückte Expedition des braven Schill, von dem Arndt sang:

»Da als die Wucht von Schanden
Den Nacken Deutschlands bog,
Ist einer aufgestanden.
Der stolz den Degen zog;
Als viele wie Memmen erblichen
Und kuschten feig und still,
Ist dieser nicht ausgewichen:
Sein Name klinget Schill

Bald mußte leider der Dichter, nach dem blutigen Gefecht in Stralsund am 31. April 1809, über seinen Helden klagen:

– – »O Stralsund, du trauriges Stralesund!
In dir geht das tapferste Herz zu Grund,
Eine Kugel durchbohret das treuste Herz,
Und Buben sie treiben mit Helden Scherz.
– – Da schläft der fromme, der tapfre Held,
Ihm ward kein Stein zum Gedächtniß gestellt;
Doch hat er auch keinen Ehrenstein,
Sein Name wird nimmer vergessen sein.«

Manche von den der Königin näher Stehenden wollten wissen, daß sie direkt auf Schills muthiges Unternehmen bestimmend eingewirkt habe. Wenn auch eine solche Einwirkung der ganzen Natur Luisens widersprach, die ächtweiblich zu solchen Gewaltmaßregeln durchaus nicht hinneigte, – so läßt sich doch nicht leugnen, daß Schill von seiner Königin sich gebilligt glaubte, sie als den Schutzgeist seiner kleinen tapferen Schaar ansah und seinen ganzen Kampf mit als einen Beweis seines Bestrebens auffaßte, sich der Gnade der Königin würdig zu zeigen. In seiner Säbeltasche soll sich ein Zettel vorgefunden haben, auf dem die Worte von der Hand der Königin standen: »Für den braven Herrn von Schill. Luise.« – Wieweit dies auf Wahrheit beruht, was es mit dem Zettel, selbst wenn die Worte wirklich von der Königin herrührten, für eine Bewandniß hatte, das sind Fragen, die wohl ewig unbeantwortet bleiben werden.

Ein Stern nach dem andern löschte an dem Himmel aus, zu dem Luise sehnsüchtig ihre Blicke nach Rettung erhob; es wurde trübe in ihrem Herzen und, wie der getreue Borowski, ihr Freund und Seelsorger in Königsberg, von ihr schreibt: »Um ihren Mund, den sonst ein glückliches Lächeln umschwebte, sieht man jetzt von Zeit zu Zeit ein leises Beben.«

Der letzte schwere Schlag des Verhängnisses drohte über dem Haupte des Königs, der von ihm getroffen ausrief: »Das ist der härteste!« So lange ihm die treue Gefährtin seines Lebens tröstend zur Seite wandelte, konnte er sich nie ganz verlassen fühlen; erst da die getreuesten Augen sich zum letzten Schlafe geschlossen, rief er aus: »Bin ich nicht ein unglücklicher Mann?«

Nach der Rückkehr aus Petersburg verweilte das Königspaar noch den ganzen Sommer in einem kleinen Dorfe nahe bei Königsberg. Schon hier stellten sich bei der Königin die ersten Vorboten der Krankheit ein, der sie nach kaum einem Jahre zum Opfer fiel. Man sah ihren schönen Augen an, daß sie viele Thränen vergossen hatten. Das war die Stimmung, aus der heraus Luise schrieb: »Ich bin krank, und ich glaube, so lange die Sachen so gehen, werde ich auch nicht wieder genesen.«

Allen, welche die Königin früher im strahlenden Glanze der durch keine Seelenleiden getrübten Jugendschönheit bewundert hatten, mußte ihr jetziger Anblick doppelt schmerzlich sein. Ihr bleiches Antlitz sprach schon von einer höheren Weihe, von einer stummen Sehnsucht nach Ruhe. »Die Blüthen auf ihrem Angesicht sind wohl verblüht und eine sanfte Blässe umgiebt es, doch ist es noch schön und auf ihren Wangen wollen mir fast noch mehr als früher die rothen, jetzt die weißen Rosen gefallen«, so schrieb Borowski über das damalige Aussehen der Königin.

Sie war müde vom Leben, müde von all den Verfolgungen und unaufhörlichen Beängstigungen, die jede neue Stunde der Schwergeprüften brachte. Darum sehnte sie sich nach der Heimkehr aus der Verbannung, ein wahres Heimweh ergriff sie, wieder an den Stätten zu weilen, wo sie die ersten glücklichen Jahre ihrer Ehe verlebt hatte. Noch aber konnte ihr dieser Wunsch nicht erfüllt werden, – erst als die Franzosen Berlin vollständig geräumt hatten, durfte das Königspaar daran denken, von den getreuen Ostpreußen Abschied zu nehmen und wieder in den Kreis der auf seine Rückkehr sehnlichst wartenden Unterthanen der Residenz sich zu begeben.

Im Dezember 1809 trat die königliche Familie ihren Heimweg nach Berlin an, der auf allen Straßen, in allen Städten und Dörfern einem Triumfzuge glich. Am 22. Dezember 1809 konnten die Berliner den König und die Königin begrüßen und sie thaten das mit der bekannten freudigen Loyalität, durch die sich die Bürgerschaft der Hauptstadt von jeher ausgezeichnet hat. Es war ein Trauer- und doch wieder ein Freudentag für die Stadt. Noch lag zwar Preußen danieder unter dem Drucke des verderblichen Friedens, aber dennoch gab sich im Volke die innigste Freude jubelnd kund, wenigstens die Königsfamilie in seiner Mitte zu sehen und sich an ihrem Anblick mit Geduld und Ausdauer zu erfüllen.

Eine zarte Aufmerksamkeit bewiesen die Bürger Berlins ihrer geliebten Königin durch das von ihr hoch aufgenommene Geschenk eines Wagens in ihrer Lieblingsfarbe Lila, in welchem Luise mit ihren Kindern vom Thore bis zum Palais fuhr. Mit bewegten Worten dankte sie für dies Zeichen der herzlichen Zuneigung: »Die schönste Entschädigung für die lange schmerzliche Trennung ist die Anhänglichkeit und Liebe, wovon ich einen neuen rührenden Beweis von den guten treuen Bürgern Berlins erhalte. Mit Vergnügen und Dankbarkeit nehme ich das Geschenk an, das als Beweis erprobter Liebe meinem Herzen stets theuer und durch den ersten Gebrauch von unvergeßlichem Werthe sein wird.«

Der erste Weg der königlichen Familie in der Hauptstadt richtete sich zur Kirche, um Gott für die endliche Erlösung aus dem Exil zu danken, aus welchem die Königin an theuersten Gütern sogar reicher zurückkehrte: statt der fünf Kinder, mit denen sie in den Oktobertagen des Jahres 1806 aus Berlin hatte fliehen müssen, zählte sie jetzt sieben der lieben Häupter.

Aber schon lastete auf Luisens Seele die trübe Ahnung des baldigen Scheidens, die sich bei mancher Gelegenheit erschreckend kundgab. Bei der Feier ihres 34. Geburtstages, der letzten ihres Lebens, am 10. März 1810, sprach sie die Befürchtung aus: »Es ist wohl das letzte Mal, daß ich meinen Geburtstag hier feire. Ich bin dankbar für alle Beweise der Liebe und Theilnahme, aber ich weiß es nicht, wie es mit mir ist, – ich kann mich nicht mehr so freuen wie sonst.«

Ja schon vor ihrem Heimzuge nach Berlin, dessen Nähe ihr Herz doch in freudigeren Schlägen hätte klopfen lassen müssen, schrieb sie ahnungsvoll in ihr Tagebuch: »So werde ich denn bald in Berlin sein und wiedergegeben so vielen treuen Herzen, die mich lieben und achten. Mir wird es bei dem Gedanken ganz beklommen vor Freude und ich vergieße viele Thränen, wenn ich daran denke, daß ich Alles auf dem nämlichen Platze finde und doch Alles so ganz anders ist, daß ich nicht begreife, wie es dorten werden wird. Schwarze Ahnungen ängstigen mich, immer möchte ich allein hinter meinem Schirmleuchter sitzen, mich meinen Gedanken überlassen. Ich hoffe, es wird anders werden!« – Und es wurde anders: die Furcht sollte schwinden vor der ewigen Hoffnung und die schwarzen Ahnungen Platz machen seligster Gewißheit.

Noch ein letzter Sonnenstrahl irdischen Glückes fiel in das zu früh ausgeblühte Leben der Königin Luise, als sie einem langgehegten Wunsche im Sommer des Jahres 1810 endlich die Erfüllung nahen sah, – dem Wunsche, ihre Lieben in der Mecklenburgischen Heimath zu begrüßen, noch einmal ihren Vater, ihren Bruder, die Großmutter zu umarmen, die sie vor fast 17 Jahren verlassen hatte.

Ende Juni 1810 trat sie die Reise an, aber wie sie über die Grenze ihres Landes fuhr, zuckte wiederum ihr Herz in banger Todesahnung zusammen. Am 25. Juni schrieb die Oberhofmeisterin von Voß, die schon achtzigjährige, unzertrennliche Begleiterin ihrer angebeteten Königin, in ihre kleine Tageschronik: »Den Morgen über war die Königin heiter, aber als wir uns der Grenze näherten, überkam sie plötzlich eine räthselhafte Traurigkeit. Einige Augenblicke war sie ganz von derselben übermannt und fast beängstigt, aber sie faßte sich rasch wieder und es ging vorbei.« – Königin Luise hatte die kalte Hand des Todes gefühlt, die nach ihrem Herzen griff.

»Geht nun hin und grabt mein Grab,
Denn ich bin des Wanderns müde,
Von der Erde scheid' ich ab,
Denn mir ruft des Himmels Friede,
Denn mir ruft die süße Ruh'
Von den Engeln droben zu.«

Jene schwarzen Ahnungen verschwanden wohl noch einmal für kurze Zeit vor dem Gefühl der Beseligung in den Armen ihrer theuern Angehörigen. Zu ihrem Bruder Georg gewendet, rief sie in diesem Gefühl aus: »Lieber Georg, nun erst bin ich selig!« Noch am 28. Juni 1810 schrieb sie die Worte auf ein Blatt Papier: »Lieber Vater, ich bin heute hochbeglückt als Deine Tochter und als die Gattin des besten Mannes.« – Dies waren die letzten Worte, die ihre Hand geschrieben hat.

Alles wetteiferte in Strelitz, wie in dem bald nach der Ankunft der Königin in Mecklenburg zum Erholungsorte bestimmten Hohen-Zieritz mit einander, ihr das Leben so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Dazu kamen die fast täglichen Briefe ihres Gemahls und der Kinder, das Aufathmen nach all den Kümmernissen, welche sie in Memel und Königsberg erduldet hatte. Jedoch die vielen Leiden der vier Jahre des Unglücks hatten zu tief in ihrem Herzen gewühlt, jenes Seligkeitsgefühl war nur noch das fieberhafte Schlagen desselben vor der unendlichen Ruhe, nur noch das dem Erlöschen vorangehende letzte Aufflackern der ersterbenden Flamme.

Die Herzkrankheit, an der sie zeitweise schon in Königsberg gelitten, kam stärker als je über sie und warf sie nach kurzem Widerstande auf das Schmerzenslager, von dem sie sich nicht wieder erhob. Alle menschliche Kunst war hier machtlos, der Augenblick nahte, wo die hilflose Königin schmerzlich klagte: »Was ist doch alle irdische Größe! Man nennt mich eine Königin und ich fühle mich so ohnmächtig, daß ich keinen Arm rühren kann!«

Der König war selbst um jene Zeit erkrankt, raffte sich aber auf und eilte auf die beunruhigenden Nachrichten an das Sterbebett seiner Luise. So kam nach einer für sie schlaflosen Nacht der letzte Morgen ihres jungen Lebens heran, der des unvergeßlichen 19. Juli 1810. Die Gräfin von Voß hielt bis zum letzten Augenblick bei ihrer geliebten Herrin aus, sie schildert uns in ihrer schmucklosen Weise die Sterbestunden der Königin:

»Endlich gegen 5 Uhr kam der König, aber die Königin hatte bereits den Tod auf der Stirn geschrieben. Und doch wie empfing sie ihn! Mit welcher Freude umarmte und küßte sie ihn, und er weinte bitterlich. Der Kronprinz und Prinz Wilhelm waren mit ihm gekommen. Soviel die arme Königin es nur vermochte, versuchte sie noch immer zu sprechen. Sie wollte so gern immer noch zum König reden, – ach, sie konnte es nicht mehr. So ging es fort und sie wurde schwächer. Der König saß auf dem Rande des Bettes und ich kniete davor. Er suchte die erkalteten Hände der Königin zu erwärmen, dann hielt er die eine und legte die andre in meine Hände, um daß ich sie warm reiben sollte. Es war etwa neun Uhr. Die Königin hatte ihren Kopf sanft auf die Seite geneigt und die Augen fest gen Himmel gerichtet. Ihre großen Augen weit geöffnet und aufwärts blickend, sagte sie: » Ich sterbe, o Jesu, mach' es kurz!« – –

Das war der letzte Flügelschlag einer erlösten Seele. Das Hohe Lied von Frauenwürde, welches ihr ganzes Leben gewesen, war mit einem tiefschmerzlichen Akkord des frühen Todes verklungen. Den König hatte ein größeres Leid getroffen als Alles, was ihm Napoleon je zufügen konnte; in der tiefsten Erschütterung rief er aus: »Für mich giebt es kein Unglück mehr, mich hat das größte getroffen, dagegen sind alle andern, die noch kommen können, ein wahres Nichts!«

Traurig ging der Zug, der die theure Todte zur ewigen Ruhe in die Heimat brachte, durch die Wälder und über die Haiden, – an allen Wegen weinende und trauernde Gesichter, trübes Klagegeläute um den Tod der Mutter des Landes. Die Stelle, wo der Leichnam zuerst wieder das Preußische Gebiet berührte, bezeichnet ein Gedenkstein mit der Inschrift: »An dieser Stelle sahen wir jauchzend ihr entgegen, wenn sie, die Herrliche, in milder Hoheit Glanz mit Engelsfreundlichkeit vorüberzog. An dieser Stelle hier, ach, flossen unsre Thränen, als wir dem stummen Zug betäubt entgegensahn!« – –

– – In frühester Morgenstunde, nach der Mitternacht desselben 22. Dezember, an welchem Luise vor 17 Jahren als Kronprinzessin in Berlin eingezogen, an welchem sie vor einem Jahre als Königin aus der Noth des Exils wieder in ihre getreue Hauptstadt zurückgekehrt war, bewegte sich ein Trauerzug nach dem liebsten Aufenthalt der abgeschiedenen Königin, wo jeder Baum und jeder Stein an die Unersetzliche gemahnte. In Charlottenburg hinter dem alten Schlosse biegt ein schmaler Weg links ab durch eine Allee von düster zum Himmel ragenden Bäumen, um die sich der dunkelgrüne Epheu zur Höhe schlingt. Am Ende der Trauerallee liegt das Mausoleum, die letzte Heimat für das Irdische der Königin Luise. Wehmuthsvoll steigt man die Stufen hinauf, – man fühlt, der Ort, an den man geht, ist ein heiliger Ort.

Des Himmels Licht fällt durch blaue Scheiben gedämpft ruhig in das geweihte Haus der Todten. Stille ringsumher. Da ruht die große Königin noch im Tode vereint mit ihrem geliebten königlichen Gemahl in dem verschlossenen Gewölbe, – und darüber, wie ein holder Künstlertraum, ihr von der Muse geweihtes Marmorbild. Sie liegt da im seligen, überirdischen Schlummer, um ihren Mund schwebt ein glückliches Lächeln, das nicht an den Tod erinnert. Das ist das edle Gebilde, von dem Körner sang:

Du schläfst so sanft, die stillen Züge hauchen
Noch deines Lebens schöne Träume wieder;
Der Schlummer nur senkt seine Flügel nieder,
Und heil'ger Friede schließt die klaren Augen.

So schlummre fort, bis deines Volkes Brüder,
Wenn Flammenzeichen von den Bergen rauchen,
Mit Gott versöhnt die rost'gen Schwerter brauchen,
Das Leben opfernd für die höchsten Güter.

Tief führt der Herr durch Nacht und durch Verderben;
So sollen wir im Kampf das Heil erwerben,
Daß unsre Enkel freie Männer sterben.

Kommt dann der Tag der Freiheit und der Rache:
Dann ruft dein Volk; dann, deutsche Frau, erwache,
Ein guter Engel für die gute Sache

Luisens Sterbetag, der 19. Juli, ist in jedem Jahre für das Preußische Königshaus ein Tag der Erinnerung und stillen Andacht. Nie aber hat er eine ernstere Feier gesehen, als an jenem ewig denkwürdigen 19. Juli 1870, da derselbe Feind, der das treue Herz der Königin Luise gebrochen, ihrem Sohne Wilhelm, Preußens Könige, eroberungslustig den Fehdehandschuh hinwarf zum Kampfe um »die höchsten Güter«, von denen der deutsche Dichter singt. An demselben Tage, wo Frankreichs Kriegserklärung in Berlin eintraf, hat an dem Sarge seiner Mutter, des Schutzgeistes deutscher Sache, der Sohn gekniet, der zu altem Ruhme junge Lorbern und zur Königskrone eines mächtigen Staates die Krone des Reiches fügte, von dem Königin Luise in den begeistertsten Augenblicken ihres Lebens geweissagt hatte: – » ihres vielgeliebten Germaniens


An dem festlichen Tage, an dem seit der Geburt der großen Königin hundert Jahre verflossen, wo nur noch Wenige leben, die die Holdselige gekannt und ihre Leiden gesehen, – da schweigt die herbere Trauer und stolzen Herzschlages gedenkt das ganze Deutsche Land der erhabenen Todten, die ihm als Leitstern auf seiner Bahn in trüber Nacht vorangeleuchtet und die heute aus lichten Höhen herabschaut auf die Erfüllung ihrer geheimsten, schönsten Wünsche für das Wohl ihrer Kinder, für das Heil ihres Volkes.

Denn längst vorbei, halbvergessen sind jene Tage der Erniedrigung Preußens und der Schande Deutschlands, die Luisens Herz gebrochen. Vorbei ist die Zeit, wo sie geklagt: »Für mein Leben hoffe ich nichts mehr«, und gekommen ist der Segen, den sie auf Deutschland vorahnend herabgefleht.

Und heute wie vor mehr denn 60 Jahren klingt in unzähligen Herzen das Gebet nach, welches ein begeisterter Sänger an dem frischen Grabe der Deutschesten Fürstin zu ihr hinaufsandte:

»Und mögen tausend Flammenblitze regnen,
Und mögen tausend Tode uns umdräun, –
Ein Blick auf Deine Fahnen wird uns segnen,
Wir stehen fest, wir müssen Sieger sein!
Wer dann auch fällt für Tugend, Recht und Wahrheit,
Du trägst ihn sanft zu Deiner ewigen Klarheit.«


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