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VIII.
Königin Luise und Kaiser Napoleon


»Der Mann, die Hölle im Herzen, das Chaos im Kopf.«

( Stein über Napoleon.)

 

»Eine Frau, ein schwaches Wesen, und
doch erhaben über diesen Widersacher so
arm und matt an Herz!«

( Brief der Königin.)

Vom Februar bis zum Mai 1807 lebte die Königin Luise unter Furcht und Hoffnung abwechselnd in Königsberg und in Memel, je nachdem die Franzosen mehr oder weniger Miene machten, in Königsberg einzurücken. Ihre Hoffnung aber stand auf sehr schwachen Füßen, sie beruhte einzig und allein in einer energischen Hilfe von Seiten des Russischen Kaisers, der ganz gemäß seiner leicht zu enthusiasmirenden Natur sich durch geschickte Schmeicheleien Napoleons und durch Vorspiegelungen von einer Russischen Weltherrschaft neben der Französischen nur zu sehr von seinem Waffenbündniß mit Preußen abwendig machen ließ.

Zum ersten Male feierte Luise ihren Geburtstag, den 31sten, in Trauer und Noth an den Grenzen der Monarchie, von der dem Könige nur noch so viel übrig geblieben war, wie eines Napoleon Gnade für gut hielt ihm zu lassen. Der Fall von Danzig und Neiße, die sich außer Colberg noch am längsten gehalten hatten, eröffnete die Aussicht auf das traurigste Loos, bald gar keine Stätte mehr zu haben, wo der Preußische Adler noch frei seine Schwingen ausbreiten durfte.

Die unglückliche Schlacht bei Friedland am 14. Juni, in der Napoleon selbst seine Armee gegen die verbündeten Russen und Preußen führte, bildete den Schluß der Tragödie, die nur noch ihr Nachspiel in dem zerschmetternden Frieden von Tilsit erhalten sollte.

Die Franzosen rückten in Königsberg ein und Luise schrieb die schmerzlich resignirten Worte an ihren Vater, der wie immer Derjenige war, dem sie ihr ganzes Herz im Leiden offenbarte: »Wir stehen auf dem Punkt, das Königreich zu verlassen, – aber wir gehen mit Ehren unter. – – Gott wird mir helfen, den Augenblick zu bestehen, wo ich über die Grenze des Reiches muß!«

Ihr Gemahl befand sich mit dem Kaiser Alexander im Hauptquartier der Verbündeten zu Piktupönen, hart an der russischen Grenze, folgte aber einer Einladung Napoleons zu den Friedensverhandlungen nach Tilsit. – Hier war es, wo die berühmte Unterredung zwischen Napoleon und der Königin Luise stattfand, zu deren wahrem Verständniß wir einen Blick rückwärts auf das Verhältniß werfen müssen, welches zwischen diesen so entgegengesetzten Erscheinungen herrschte.

Napoleon ist wohl nie von einem Manne so sehr verabscheut worden wie von dem ganzen weiblichen Geschlecht. Den Männern konnte seine geistige Ueberlegenheit, sein für Militärwesen und diplomatische Heimtücke nicht abzuleugnendes Genie imponiren; selbst seine von ihm besiegten Feinde haben ihn wohl gefürchtet, ihn auch verwünscht und gehaßt, aber nicht verachtet. Wenn hiervon Friedrich Wilhelm III. vielleicht eine Ausnahme machte und auch äußerlich dem übermüthigen Sieger gegenüber niemals seine Manneswürde vergaß, wie das so viele andere Fürsten um ein Geringeres gethan, so kommt es nicht unwesentlich darauf an, wie sehr in diesem Punkt der weibliche Einfluß seiner Gemahlin sich bei ihm geltend machte.

Eine Natur wie die Napoleons mußte einem weiblichen Gemüthe geradezu monströs erscheinen. Für einen die Welt erobernden Alexander, den jungen Makedonierkönig, kann sich auch eine Frau begeistern, – ein Napoleon muß auf sie abstoßend wirken. Und wenn dies schon bei den gewöhnlichen weiblichen Charakteren jener Zeit der Fall war, um wie viel mehr bei einer Luise! Sie hat nie daraus ein Hehl gemacht, wie sich ihr Innerstes empört fühlte über die Gewaltthätigkeiten, mit denen der Widersacher Europa's überall zu Werke ging.

Sie hat ihn verachtet und verabscheut, noch ehe sein Arm schwer auf Preußen fiel. Wir wissen nicht, was in jenem Briefe stand, den sie noch vor den Schlachten bei Jena und Auerstädt geschrieben und der, in ihrem Boudoir liegen geblieben, dem Franzosenkaiser in die Hände fiel und ihm zeigte, wie ein edles Herz über ihn dachte. Die Oberhofmeisterin von Voß schreibt darüber die wenigen Worte: »Napoleon soll in Charlottenburg einen Brief gefunden haben, den die Königin dort gelassen, und dieser Brief hat ihn ganz wüthend gemacht.« Daß keine unreinen Schmähungen darin gestanden, wie Napoleon sie so reichlich gegen die Königin Luise schrieb oder durch gedungene Skribenten schreiben ließ, ist wohl selbstverständlich. Aber er wird bei seiner pöbelhaften Durchstöberung der Privatzimmer einer Königin in jenem Briefe gelesen haben, daß er, der Sieger über Europa, nicht zu siegen vermöge über die Achtung einer Frau, die aus der Bibel die Liebe zum wahrhaft Guten und aus ihrem Schiller die Liebe zum Vaterlande und die Begeisterung für alles Hohe im Menschenleben geschöpft hatte.

Und wie jämmerlich erscheint jener zum Kaiser avancirte Korporal, wenn er, noch ehe der Krieg gegen Preußen erklärt ist, es nicht unter seiner Würde hält, die gemeinsten Verleumdungen zu schleudern gegen eines Königs Gemahlin, die sich in ganz Europa eines exemplarischen Rufes und selbst der Bewunderung der Feinde Preußens erfreute. Da es ihm unmöglich war, gegen die sittliche Hoheit dieser Frau anzukämpfen, so gefiel er sich darin, sie als ein unweibliches Wesen, eine Art von unnatürlicher Amazone darzustellen, die darauf ausgehe, Haß und Zwietracht zu säen, wo er natürlich nur Liebe und Versöhnung im Munde führte. Hier stieß er einmal auf eine ihm überlegene Gegnerin, die freilich nicht mit den rohen Waffen des Soldaten in der schwachen Hand ihm entgegentrat, sondern ihn mit dem vernichtenden Urtheil der allem Schlechten abholden Verachtung strafte.

Ein Feind aller nationalen wie individuellen freiheitlichen Entwicklung, war ihm gerade Preußens Standhaftigkeit und Luisens sittliche Hoheit und Seelengröße im Unglück etwas so Neues, Fremdartiges, Unbequemes, daß er mit der ganzen Wucht brutalster Schonungslosigkeit über diesen seinen einzigen wahrhaft gefährlichen Gegner herfiel.

So hatte er ja auch schon früher eine andere berühmte Frau aufs Grausamste verfolgt, hatte die Frau von Staël-Necker aus Frankreich durch seine Soldaten vertreiben lassen, weil sie es gewagt, ihm die Würde und Majestät der Menschennatur auch einmal in etwas Anderem zu zeigen als im Morde, in der Eroberung und Plünderung.

Während er die kleinen Seelen, die sich vor ihm bei Zeiten beugten, mit einer affektirt zur Schau getragenen Herablassung und demüthigenden Milde behandelte, sie dadurch zu Seinesgleichen machte, war ihm ein moralischer Widerstand noch unerträglicher als ein politischer. Seine Taktik war, durch scheinbare Nachgiebigkeit, Schmeichelei und Bestechung seine Feinde zu versuchen; da die Meisten dieser Versuchung unterlagen (Johannes von Müller ist ein recht schlagendes Beispiel), so erwuchs in ihm das Niedrigdenken von der Menschennatur überhaupt. Er glaubte, überall mit Gold, Ehren oder auch Phrasen sein Ziel erreichen zu können, und kannte deshalb in seiner Wuth keine Grenze des einfachsten Anstandes, wenn er auch einmal auf eine seltene Ausnahme von seiner sich selbst zurechtgemachten Regel der allgemeinen Schlechtigkeit stieß. Theilweise traf es bei ihm zu: »die Menschen zwangen ihn dazu, die haben sich freiwillig ihres Adels begeben, freiwillig sich auf diese niedre Stufe herabgesetzt.« – Hatte doch der damalige Fürst von Württemberg einen Censor gestraft, weil dieser die Schmähungen auf die Königin Luise in einem der Napoleonischen Lügenblätter gestrichen hatte!

Gerade bei dieser allgemeinen Entartung, die Napoleon entgegentrat, hätte man doch erwarten können, daß ein wahrhaft reiner, edler Charakter selbst ihm Bewunderung abzwingen sollte. Aber seine niedrige Seele hielt diese Probe nicht aus; er sah da, wo die Welt weiblichen Heroismus und uneigennützigste Aufopferung verehrte, nichts als das schwache Weib, das er mit einem Worte vernichten könnte. Nur hat er die noch größere Grausamkeit besessen, diese Vernichtung mit raffinirter Berechnung zu üben, erst mit tausend kleinen, für ein großes Herz doppelt empfindlichen Nadelstichen sein Opfer zu verfolgen und ihm dann nach Ertödtung aller Hoffnungen mit kaltem, satanischem Lächeln die Hand zum Abschiede zu reichen. Nie hat die Welt fürwahr einen weniger edelmüthigen Sieger gesehen als Napoleon!

Die Aerzte hatten Recht, wenn sie nach dem Tode der Königin Luise erklärten, ihre Herzkrankheit rühre her von zu viel Kummer und Schmerzen. Was konnte die Unglückliche wohl schwerer treffen als die fortgesetzten Verleumdungen Napoleons, der bemüht war, sie ihrem eigenen Volke als die Urheberin des unheilvollen Krieges darzustellen; der Schandbilder zeichnen ließ, auf denen die Königin in Husarenuniform, als Amazone an der Spitze von Barbarenhorden dargestellt wurde; der selbst in seinen amtlichen Bülletins, diesen Ausgeburten lügenhaften Dünkels, in den rohesten Ausfällen gegen Luise sich gefiel! Vor dem Anmarsch auf Jena schrieb er in einem Tagesbefehl an seine Soldaten: »Wir wollen artig sein und ohne Aufenthalt nach Sachsen marschiren. Eine schöne Königin will, wie man sagt, Zeugin der Kämpfe sein.«

Mit einer unheilvollen, Kriege anstiftenden Helena, einer Karoline von Neapel wurde sie in seinen offiziellen Schriftstücken verglichen, und mit dem Wohlgefallen eines groben Feldwebels sandte er die ungezogensten Beleidigungen gegen Luise in die Welt. Wollte er doch Anderen oder sich weißmachen, daß die Königin in Gemeinschaft mit dem General Rüchel – man staune! – den Schlachtplan für den sächsischen Feldzug im Herbst 1806 festgestellt habe; wobei man nicht weiß, ob man sich mehr wundern soll über die Dreistigkeit Napoleons, seinem Volke solchen Unsinn vorzureden, oder über die Stupidität derer, die an denselben glaubten und an Gassenwitzen solchen Schlages ihr Gefallen fanden.

In Berlin erging sich Napoleon sogar in der Audienz, die er den höheren Beamten und der Geistlichkeit der Residenz ertheilte, in den gemeinsten Verdächtigungen gegen die Königin Luise, und nur ein Ehrenmann hatte Muth genug, dem Lügengeist mit den kernigen Worten entgegenzutreten: » Sire, ce n'est pas vrai!« Das war der Prediger Erman von der französischen Kolonie, ein weißhaariger Greis, der für seine von der feigen Welt verlassene Königin ritterlich eine Lanze brach. Das Wort konnte ihm den Kopf kosten, das wußte der wackere Priester; aber er wollte zeigen, daß ein Diener Gottes auch Gott mehr fürchte als die Menschen. Daß Napoleon ihn nicht hinrichten ließ, wie so manchen um geringerer Veranlassung willen, ist nur dadurch zu erklären, daß er es doch wohl für gerathen hielt, die Erbitterung des Volkes nicht durch einen solchen Gewaltakt aufs Höchste zu steigern, zumal in der Hauptstadt des Feindeslandes. – Luise dankte bei ihrer Rückkehr nach Berlin in der herzlichsten Weise ihrem Vertheidiger, welcher dadurch zugleich die Ehre der durch die Landsmannschaft mit einem Lombard arg compromittirten französischen Kolonie gerettet hatte.

Napoleon kannte eben aus der jüngsten Geschichte keine anderen Frauen als eine Josefine, die frühere Maitresse des Revolutionshenkers Barras, später des Kaisers interimistische Gemahlin, – oder gar eine spanische Königin, die von ihm verlangte, er solle ihren eigenen Sohn gleich dem Duc d'Enghien hinrichten lassen. Nach solchen Kreaturen maß Napoleon, der ächte Sohn einer Letizia Ramolini, die weibliche Würde!

Wie er über die Königin Luise dachte oder vielmehr zu denken sich gern den Anschein gab, beweist auch der Umstand, daß er nach dem vereitelten Attentat des jungen Staps sich zu seiner Umgebung äußerte: »Das sind wieder die Umtriebe von Berlin und Weimar, Die Herzogin Amalie von Sachsen-Weimar steht in ihrem Muthe Napoleon gegenüber würdig an Königin Luisens Seite und bildet einen Beleg zu unseren früheren Ausführungen. dahinter stecken die Weiberhände« – mit einem ganz deutlichen Hinweis auf die preußische Königin. Und das sagte ein Mensch, der bemüht gewesen, durch alle erdenklichen geheimen Anschläge und Bestechungen sich nach der Schlacht von Jena der Königin und ihrer Kinder zu versichern, um sie als Spolien seiner Siege nach Paris zu schleppen, er, dessen Laufbahn als Kaiser mit einem zwiefachen Morde begann!

Allen jenen persönlichen Beschimpfungen, durch die sich der Urheber nur selbst mit dem brennendsten Makel entehrte, setzte die Königin Luise die Ruhe einer über niedrige Gemeinheit und Bosheit erhabenen Seele entgegen. Ihr erschien der Mann, vor dem die Welt im Staube lag, nur »wie die Zuchtruthe in der Hand Gottes«, der eine kurze Frist zum Zerstören gegeben ist. Nicht bloß vereinzelt kehrt in ihrer Beurtheilung des Charakters Napoleons der Vergleich mit solchen »Geißeln der Welt,« wie sie sie nannte, wieder; bald sah sie in ihm einen Attila, bald einen blutgierigen Nero, mit dessen Büste (im Museum zu Berlin) sie auch in Napoleons Antlitz Aehnlichkeiten herausgefunden hatte.

Nur als auch in dem eigenen Lande die Hyder des Verraths ihr Haupt erhob, als Deutsche sich fanden, die ihre Feder dem Unterjocher des Vaterlandes zur Schmähung der edelsten Fürstin verschacherten, da rief sie wie gebrochen aus: »Ist es diesem boshaften Menschen nicht genug, dem Könige seine Staaten zu rauben, – soll auch noch die Ehre seiner Gemahlin geopfert werden, indem er niedrig genug denkt, die schändlichsten Lügen über mich zu verbreiten!« In solcher Stimmung, noch gesteigert durch das harte Benehmen Napoleons gegen sie in der Zusammenkunft zu Tilsit, schrieb sie an ihren Vater: »Ach, mein Gott, wann kommt die Zeit, wo die Hand des Verhängnisses endlich das Mene – Mene, Tekel an diese Mauern schreibt?«

Selbst französische Historiker, die sich fast sammt und sonders in der Glorifizirung des zum Nationalhelden erhobenen Korsen überboten, konnten das Schmachvolle in Napoleons Betragen gegen die Königin Luise nicht mit gewohnter Schönfärberei rechtfertigen; einer der Namhaftesten von ihnen (Thiers) verstand sich dazu, von »Ungezogenheiten« (» inconvenances«) zu sprechen, die sich der würdige Vertreter der »großen Nation« gegen ein schwaches Weib erlaubt hatte.

Und welchen glorreichen Gegensatz bildet der glanzlose Hof, den König und Königin von Preußen in dem von aller Welt abgeschiedenen Memel unter persönlichen Entbehrungen, aber in Achtung gebietender sittlicher Einfachheit und Hoheit des Unglücks führten, gegen das schamlose Treiben des Bruders Napoleons, Jérôme, in dem neugebackenen Königreich Westphalen. Kassel, früher der Stapelplatz des von den Landgrafen von Hessen verkauften Menschenfleisches ihrer Landeskinder, wurde nun der Sklavenmarkt weiblicher Schande, auf den selbst deutsche entartete Edelleute ihre Weiber und Töchter führten.

Das Leben der königlichen Familie von Preußen in Memel ist eine wahre Glanzperiode aus jener Zeit schmachvollster Erniedrigung; die Schilderung von den Entbehrungen und Leiden der Königin Luise hat damals manches Herz in heiligem Zorn aufwallen lassen und in ihm den Entschluß gereift, volle Vergeltung an Denen zu üben, die jene Leiden verschuldeten.


Napoleon, von dem grimmigsten Haß des Schlechten gegen das ihm widerstehende Gute erfüllt, – Königin Luise, durch Schmähungen und Kränkungen des unbarmherzigen Siegers aufs Grausamste verletzt, – das sind die beiden Gestalten, die wir in dem einfachen Zimmer der Königin zu Tilsit in den ersten Julitagen des Jahres 1807 einander gegenüber stehend erblicken.

Nachdem Napoleon bei den Vorverhandlungen zum Frieden den König Friedrich Wilhelm III. mit der ausgesuchtesten Kälte behandelt und ihm die niederschmetterndsten Eröffnungen über das Schicksal der Monarchie gemacht hatte, drangen die preußischen Kabinetsräthe, mit ihnen vereint auch Kaiser Alexander, in den König, das letzte Mittel zu versuchen und die Königin zu einer Unterredung mit Napoleon zu bestimmen. Es fehlte eben hier wie früher nicht an einflußreichen Stimmen, die den hoffnungslos gewordenen König dazu brachten, nach all den traurigen Erfahrungen, die er über Napoleons Großmuth schon gemacht, sich zu einem Schritte zu entschließen, der das Herz seiner Gemahlin auf das Schmerzlichste verwunden mußte.

Andrerseits aber gab es in der Umgebung Friedrich Wilhelms auch Männer, die entschieden abriethen von einer doch erfolglosen Demüthigung, die vielleicht auf jede andere Natur Eindruck machen konnte, nur nicht auf die eines Mannes, welcher das Glück nicht zu ertragen und das Unglück nicht zu achten verstand.

Erwägen wir aber die geradezu trostlose Lage, in der sich damals Preußen und mit ihm der König befand, der es als eine Gnade Napoleons hinnehmen mußte, daß dieser nicht, wie schon so oft von anderen Dynastien, jetzt von der seinen erklärte: »Das Haus Hohenzollern hat aufgehört zu regieren«, – vergegenwärtigen wir uns die Bedingungen des Friedens, die ihm als Basis für eine zukünftige Neugestaltung des Staates gestellt wurden: ein Preußischer Staat zwischen Elbe und Weichsel, ohne die polnischen Gebietstheile, ohne Magdeburg, ohne Danzig, – so können wir es wohl beklagen, aber doch begreifen, daß der König in dem Gedanken, durch die Macht eines weiblichen Gemüthes auf den Sieger mildernd einzuwirken, einen letzten Rettungsanker erblickte.

Friedrich Wilhelm jedoch, der bis dahin auch nicht durch einen Schritt vor Napoleon sich persönlich gedemüthigt hatte und deshalb selbst von den französischen Offizieren in Tilsit mit Ehrfurcht begrüßt wurde, konnte unmöglich seiner gleich ihm von den Gefühlen der Ehre beseelten Gemahlin zumuthen, sich gegen ihren Willen zu einem solchen Anflehen von Gnade zu verstehen. Er ließ ihr deshalb die gänzlich freie Entschließung darüber, ob sie nach Tilsit reisen wollte oder nicht.

So war denn der Augenblick für die Königin Luise gekommen, wo sie ihrem Volke und ihrem Gemahl, wo sie der Welt bewies, daß sie nicht bloß mit Worten der Klage und mit Thränen der Verzweiflung bei der Erniedrigung des Vaterlandes sich begnügte, sondern auch, wenn es verlangt oder für gut befunden würde, gern bereit wäre, die schmerzlichsten Opfer zu bringen, um eine wenn auch noch so geringe Milderung des Schicksals Preußens herbeizuführen. Ihre hochherzigen Worte waren: » Wenn irgend Jemand glauben kann, daß ich durch diesen Schritt dem Vaterlande auch nur ein Dorf mehr erhalten könnte, so bin ich schon allein durch diese Meinung unwiderruflich verpflichtet.« Nicht für sich ging sie den schweren Gang, sondern in uneigennützigster Aufopferung bat und flehte sie um die Städte und Provinzen, die der Monarchie fortan nicht mehr gehören sollten.

Am 4. Juli 1807 reiste die Königin in Begleitung von zwei Ehrendamen zu ihrem Gemahl nach Piktupönen und empfing dort am 6. desselben Monats den Abgesandten Napoleons, General Caulaincourt, der sie zu einem Diner beim französischen Kaiser einlud und ihr gleichzeitig dessen Besuch anmeldete. Von französischen Dragonern geleitet, die neben ihrem Wagen herritten, kam sie in Tilsit an und stieg in der Wohnung ab, die offiziell für ihren Gemahl hergerichtet, von ihm aber fast gar nicht bewohnt worden war. Hier empfing sie schon eine Stunde nach ihrer Ankunft den Besuch Napoleons, der mit Talleyrand zur Seite die Treppe zu den Gemächern der Königin hinaufstieg.

Luise hatte seiner Ankunft mit Zittern und Zagen entgegengesehen; sie mochte wohl selbst nicht viel Vertrauen in den Erfolg ihrer schwierigen Mission setzen, und nun war der gefürchtete Augenblick da, von dem sie vor der Abreise nach Tilsit in ihr Tagebuch geschrieben hatte: »Welche Ueberwindung es mich kostet, das weiß Gott! Denn wenn ich gleich den Mann nicht hasse, so sehe ich ihn doch als Den an, der den König und das Land unglücklich gemacht. Seine Talente bewundere ich, aber seinen Charakter, der offenbar hinterlistig und falsch ist, kann ich nicht lieben. Höflich und artig gegen ihn zu sein, wird mir schwer werden. Doch das Schwere wird einmal von mir gefordert, Opfer zu bringen bin ich gewöhnt

Der Kaiser zeigte sich in dieser ersten Unterredung so »arm und matt an Herz« wie nur möglich. Nach den durch die Etikette gebotenen höflichen Begrüßungsredensarten fuhr er die Königin in seiner pöbelhaften Manier urplötzlich an: »Aber wie konnten Sie nur wagen, mit mir den Krieg zu beginnen?« Luise faßte sich nach einer vorübergehenden Bestürzung schnell. Sie wußte zwar, was in diesem Augenblick auf dem Spiele stand, wenn sie den Zorn des Mannes reizte, der ihr Schicksal in den Händen hatte, – sie fühlte aber auch, was sie der Ehre des Namens, den sie trug, schuldig sei, und so sprach sie gelassen die wahrhaft großen und prophetischen Worte aus: »Sire, il était permis à la gloire de Frédéric de nous tromper sur nos moyens, si toutefois nous nous sommes trompés

Das mochte Napoleon wohl nicht recht zusagen, denn er versuchte die Unterhaltung auf gleichgültige Dinge zu lenken und fragte z. B. (in einer politischen Unterredung von der höchsten Wichtigkeit für die Existenz eines Staates!) nach dem Stoff des Kleides der Königin. Aber Luise ließ den Schlangenglatten nicht so leichten Kaufes davon, sie drang mit Wärme und Innigkeit, ja mit thränenden Augen in ihn, die Friedensbedingungen herunterzusetzen, dem Lande nicht die ungeheure ihm zugedachte Last einer halben Milliarde mit all den Besatzungen aufzuerlegen, ihr namentlich zu versprechen, daß Magdeburg und Danzig bei Preußen bleiben sollten.

Jedoch Napoleon brauchte Magdeburg für den König von Westphalen, und Danzig sollte ihm den Besitz der Ostseeküste sichern, – darum hielt er die Königin mit einem von ihr wie ein Strahl der Hoffnung aufgenommenen »J'y songerai« hin, eröffnete ihr auch sonst noch mannigfache Aussicht auf einen erträglichen Frieden und verließ sie dann, die über so schwache Versprechungen schon hocherfreut war.

Bei dem darauf folgenden Mittagsmahl zeigte sich Napoleon ausnahmsweise freundlich, befolgte aber sorgfältig die Taktik, seinem schönen Gaste gegenüber sich zu keiner festen Verpflichtung zu verstehen. Er würde sich übrigens auch wohl schwerlich an die heiligsten Versprechungen gebunden geglaubt haben, wenn er nach der jeweiligen politischen Constellation die Wortbrüchigkeit für vortheilhafter erachtet hätte.

Tags darauf machte er der Königin noch einmal einen Besuch, um Abschied von ihr zu nehmen. Luise wiederholte hier ihre dringendste Bitte, wenigstens Magdeburg bei Preußen zu belassen, – seine niederschmetternde Antwort lautete so plebejisch, wie sie nur ein Napoleon finden und aussprechen konnte: »Magdeburg ist mir mehr werth als hundert Königinnen!« –

Das war das Resultat der hingebendsten Aufopferung einer Königin, die das gutzumachen suchte, was die Haugwitz und Lucchesini verdorben, die dem Aergsten sich unterzog, um für Preußen nur irgendwelche Erleichterung zu erbitten, und die nun dem scheidenden Quäler sagen mußte: »Sire, Sie haben mich grausam getäuscht!«

Napoleon schrieb Tags darauf an Josefine: »In dem Augenblick, wo Du diesen Brief liesest, ist der Frieden mit Preußen und Rußland geschlossen und dadurch Jérôme als König von Westphalen mit drei Millionen Unterthanen anerkannt.« – Und weiter: »Die Königin von Preußen ist wirklich ein reizendes Weib, sie ist sehr liebenswürdig gegen mich; Du brauchst aber nicht eifersüchtig zu sein: ich bin wie ein Wachstuch, über welches dergleichen Dinge hingleiten, ohne mein Inneres zu berühren. Auch würde es mich zu viel kosten, bei solcher Gelegenheit den Galanten zu spielen.«

Napoleon selbst hat, leider aber erst in seinen Memoiren von St. Helena, an der Stelle, wo er über seine Unterredung mit der Königin Luise in Tilsit handelt, in der für sie ehrenvollsten Weise von ihr gesprochen: »Sie bewegte sich auf das Ungezwungenste in ihrer Unterhaltung, kehrte immer wieder zu ihrem Gegenstande zurück, und das Alles mit so viel Takt und Feinheit, daß man sich doch unmöglich daran stoßen konnte. Und in der That muß man gestehen, daß die Sache, um die es sich handelte, von unberechenbarer Wichtigkeit und die Zeit kurz und kostbar war.«

Ein Jahr aber nach diesem fruchtlosen Opfer, welches Königin Luise für ihr Land gebracht hatte, schrieb sie an ihre Freundin die Frau von Berg: »Ich leide unsäglich. Nur zu oft fallen Vorwürfe gegen mich – gegen mich, die ich, wie Atlas die Welt, eine Bürde von Leiden trage. Was kann ich darauf antworten? Ich seufze und verschlucke meine Thränen. Vorgestern vor einem Jahre hatte ich meine erste Unterredung mit Napoleon, gestern vor einem Jahre meine letzte mit ihm. Ach, welche Erinnerung! Was ich da gelitten habe, – gelitten mehr um Andrer als um meinetwillen! Ich weinte, ich bat im Namen der Liebe und Humanität, im Namen unseres Unglücks und der Gesetze, welche die Welt regieren. Und ich war nur eine Frau, ein schwaches Wesen, und doch erhaben über diesen Widersacher so arm und matt an Herz


Der »Frieden« von Tilsit wurde für Preußen verderblicher als der vorangegangene Krieg. Zunächst mußte es von vornherein alle Einrichtungen gutheißen, die der Sieger in Deutschland später zu treffen für gut befinden würde. Preußen behielt »aus Gnade« die Provinzen Pommern, Schlesien, die Neu- und Kurmark und die Provinz Preußen, – zusammen 2618 Quadratmeilen mit 5 Millionen Einwohnern Vor dem Kriege besaß Preußen mehr als das Doppelte an Flächeninhalt und Bevölkerung.. Außerdem mußte es sich zur strengsten Durchführung der Kontinentalsperre und zur Kriegserklärung gegen England verpfiichten, sowie Militärstraßen im Innern des Landes den Franzosen zur Verfügung stellen. Die Festungen Stettin, Küstrin und Glogau mußten in des Siegers Händen bleiben als Unterpfänder für die richtige Bezahlung einer Kriegskontribution, die durch die Ernährung der fremden Truppen und Aussaugungen aller Art bis zum Ende des Jahres 1808 mindestens 600 Millionen Francs betrug und von einem Lande aufgebracht werden mußte, welches, ohnehin arm und seiner reichsten Gebiete beraubt, nur den fünften Theil des heutigen Frankreichs an Flächeninhalt und den siebenten Theil an Bevölkerung umfaßte! Was ist gegen jene Unsumme bei dem damaligen Geldwerth und einer jährlichen Staatseinnahme von kaum 15 Millionen Thalern die verhältnißmäßige Bagatelle von 5 Milliarden Francs gewesen, die Frankreich im letzten Kriege an Entschädigungen hat zahlen müssen?

Friedrich Wilhelm III. hat in seinem bekannten »Aufruf an mein Volk« den Tilsiter Frieden aufs schärfste charakterisirt mit den Worten: »Wir unterlagen unter der Uebermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte meiner Unterthanen mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht: er schlug uns tiefere Wunden, als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen. Die Hauptfestungen blieben vom Feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt, sowie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt, die Quelle des Erwerbs und Wohlstands verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung

Die wahre Vergeltung für Tilsit sollte erst an dem Septembertage des Jahres 1870 folgen, wo der Sohn der Königin Luise und ein zweiter Franzosenkaiser, auch ein Napoleon, eine Unterredung hatten, diesmal aber auf dem für die deutschen Heere zum schönsten Siegesplan gewordenen Schlachtfelde. Von Tilsit bis Sedan, – » welch eine Wendung durch Gottes Fügung!« schrieb König Wilhelm von Preußen damals an seine Gemahlin, mit vollem Recht und wohl nicht ohne sich an jene Unterredung seiner Mutter mit Napoleon Bonaparte bewegt zu erinnern.


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