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Das Gesicht des Apachen hatte, als er das sagte, einen so boshaften Ausdruck, und seine Augen blickten so hart und grausam, daß Krag bei sich dachte: Er hat dich durchschaut, er weiß, daß du Polizeispion bist.
Das war der nächstliegende Schluß. Warum sollte er ihn sonst in sein Zimmer gelockt haben, um ihn durch Gift zu töten? Krag biß die Zähne zusammen und kämpfte wie ein Verzweifelter. Er hatte das seltsame Gefühl, als ob sein Körper schwebe, verschwände, sich auflöse. Er erinnerte sich, daß er einmal etwas Ähnliches nach einer starken Dosis Opium gespürt hatte. Und wohin er sah, folgten ihm die stechenden Augen des Apachen.
Weil es ein Instinkt bei Asbjörn Krag war, niemals den Kopf zu verlieren, bewahrte er auch in dieser gefährlichen Situation die Geistesgegenwart. Hastig stellte er fest, daß sein Zustand nicht schlimmer wurde. Es sauste ihm noch immer in den Ohren, und jedesmal, wenn er den Versuch machte, sich zu erheben, schwankte er. Dennoch hatte er das bestimmte Gefühl, daß diese Schwäche nicht zunahm. Als er hierüber klar war, wußte er auch, wie er sich benehmen wollte!
Es begann in ihm zu dämmern, daß die Lage doch vielleicht nicht so hoffnungslos sei. Aber er war Meister darin, seine Gedanken zu verbergen, und auf seinem Gesicht war sicher nichts anderes zu lesen, als Erbitterung und Ratlosigkeit. Der Apache beobachtete ihn noch ebenso unverwandt und aufmerksam.
Krag nahm all seine Energie zusammen, um folgenden Satz hervorzustammeln:
»Wie lange wird es dauern?«
»Meinen Sie, bis Sie tot sind?«
»Ja.«
»Eine Stunde ungefähr.«
»Und Sie wollen die ganze Zeit dabei sitzen und mich bewachen?«
»Nein, ich verlasse Sie, sobald Sie ganz zusammengefallen sind. Lange kann es nicht mehr dauern. Sie fühlen sich bereits am Rande der großen Dunkelheit, nicht wahr? Ich kann Ihnen ansehen, daß Sie dagegen anzukämpfen versuchen. Aber ich kann Ihnen mitteilen, daß es umsonst ist.«
»Sie sind grausam,« sagte Krag, »was habe ich Ihnen getan, daß Sie mich so herzlos behandeln?«
»Sie haben versucht, mich hinters Licht zu führen, und dabei haben Sie etwas erfahren, was kein lebender Mensch wissen darf.«
»Also gut,« flüsterte Krag, indem er sich den Anschein gab, als ob er vollständig im Stuhl zusammensänke, »ich ergebe mich in mein Schicksal. Ich werde Ihnen aber zeigen, daß ich ein mutiger Mann bin. Warum aber haben Sie mir nicht die letzte Wahl gelassen, die man Leuten unseres Schlages freistellt?«
»Welche Wahl meinen Sie?«
Krag schien seine letzte Kraft zu einer Handbewegung zu sammeln, die ausdrücken sollte, was er meinte. Der Apache verstand ihn auch.
»Sie meinen einen Schuß,« murmelte er, indem er sich erhob. »Sie haben recht. Aber ich kann heute nur an meinen eigenen Vorteil denken.«
Er griff nach seinen Hut. Krag sagte nichts, starrte den andern nur durch seine halbgeschlossenen Augen an. Der Apache rüstete sich, das Zimmer zu verlassen.
»Bevor eine Stunde um ist, bin ich über alle Berge,« sagte er, »und in diesem Koffer, den ich zurücklasse, ist nichts, was Neugierige auf meine Spur bringen könnte. Niemand wird erfahren, wer Rentier Kraus war, oder wohin er sich gewandt hat. Ich beneide Christiania um dieses Mysterium.«
Er sah auf seine Uhr und darauf zu Krag hin. Dann sagte er:
»Es ist vielleicht besser, wenn ich noch eine Minute zögere.«
Er wollte ganz sicher sein.
Indessen hatte Krag die Wirkung des Giftes bereits überwunden. Jetzt wußte er auch, was für eine Art Gift es war. Es war kein tötendes Gift, aber es lähmte die Nerven, und der Angegriffene konnte stundenlang in einem schlafartigen Zustand verharren.
Vorläufig verstellte Krag sich; denn er war nicht sicher, ob der Franzose es ernst meinte, oder ob er ihn nur auf die Probe stellen wollte. Und Krag fühlte sich noch zu schwach, um einem Kampf mit ihm aufzunehmen. Aber er empfand zu seiner Befriedigung, wie ihm die Kräfte nach und nach zurückkehrten.
Zwei Minuten vergingen. Plötzlich lächelte der Franzose und ging auf ihn zu. Er berührte Krags Kopf mit zwei Fingern.
Lieber Freund,« sagte er, »Sie haben sich gut gehalten. Können Sie mich erkennen?«
Der Apache nahm schleunigst eine kleine Flasche aus seiner Tasche, tat einige Tropfen daraus in ein Glas mit Wasser und goß Krag den Inhalt in den Mund. Da belebte Krag sich nach und nach, und nachdem er eine neue Portion von der erfrischenden Medizin bekommen hatte, betrachtete er seinen Kameraden mit dämmerndem Bewußtsein im Blick. Der andere nickte zufrieden.
»Gut,« sagte er, »daß Sie wieder zu sich kommen. Ich fürchtete schon, daß ich Ihnen zu viel gegeben hätte.«
Asbjörn Krag erhob sich und stand mit schwankenden Knien vor dem Franzosen. Dieser trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Sind Sie böse?« fragte er.
Aber es hatte den Anschein, als ob der Detektiv vorläufig nur noch verwirrt sei. Er faßte sich an die Schläfen, als ob er seine Gedanken sammeln wolle.
Zuletzt schien es ihm klar zu werden, was sich ereignet hatte. Und sein Gesicht drückte Zorn und Gekränktsein aus. (Asbjörn Krag war ein vortrefflicher Schauspieler.)
Der Franzose streckte Krag die Hand entgegen, aber er ergriff sie nicht.
»Sie haben an meiner Ehrenhaftigkeit gezweifelt, das war nicht nett von Ihnen.«
»Nein, nein, Sie irren sich,« antwortete der Franzose, »aber vielleicht sind Sie noch nicht ganz klar im Kopf. Übrigens bedaure ich, daß ich Ihnen eine so starke Dosis gab. Wenn Sie es sich recht überlegen, werden Sie einsehen, daß ich eine sehr wichtige Arbeit hier in der Stadt vorhabe.«
»Dann sollten Sie Freunde, die Ihnen behilflich sein wollen, nicht von sich stoßen,« sagte Krag beleidigt.
»Das ist auch gar nicht mein Wunsch,« antwortete der Franzose eifrig, »aber ich muß neue Leute, mit denen ich mich einlasse, erst prüfen.«
»Ach so,« murmelte Krag versöhnlicher. »Es war also eine Probe?«
»Wird Ihnen das jetzt erst klar?«
»Wenn Sie die ganze Zeit von Verräterei sprechen,« antwortete Krag, »kann ich doch nicht wissen, daß Sie etwas anderes meinen.«
»Ich habe Sie, wie gesagt, nur auf die Probe stellen wollen,« antwortete der Apache und streckte Asbjörn Krag von neuem die Hand entgegen. Und diesmal ergriff der Detektiv sie.
»Und wie ist die Probe ausgefallen?« fragte Krag, indem er tat, als ob er geschmeichelt lächelte.
»Ausgezeichnet,« antwortete der Franzose. »Ich habe dieses Mittel schon früher bei Leuten benutzt, deren Charakter ich gern näher kennenlernen wollte. Einzelne fahren auf und benehmen sich wie wild. Andere bleiben ruhig sitzen wie Sie, sobald sie sich klar darüber sind, daß alles andere nutzlos ist. Solch phlegmatische Leute kann ich gerade brauchen.«
Der Apache sah auf seine Uhr.
»Sagen Sie mal,« fragte er, »fanden Sie die Dame unten im Saal hübsch?«
»Die Dame, die Sie Frau Sonja nannten, und die in der Gesellschaft des Schriftstellers war?«
»Dieselbe.«
»Ganz hübsch und sehr interessant.«
»Möchten Sie sie kennen lernen?«
»Sehr gern.«
»Jetzt ist die Uhr 12,« sagte der Apache, »vor 1 Uhr müssen Sie ihre Bekanntschaft gemacht haben.«